Mit Forderungen nach einer echten Gleichberechtigung von Frauen hat der Bundestag am 17. Januar an die Einführung des Frauenwahlrechtes vor 100 Jahren erinnert. Von einer geschlechtergerechten Gesellschaft sei man noch weit entfernt, sagte die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) in ihrer Festrede. Sie verwies auf den geringer gewordenen Anteil von Frauen im Parlament, die ungleiche Bezahlung von Frauen und die "massive Unterbewertung" von frauentypischen Berufen in der Sorge um Menschen.

Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) appellierte, keine weiteren 50 Jahre bis zum nächsten Schritt zu warten. Beide forderten in ihren Reden zudem mehr Anerkennung der Leistung der Frauen im Osten für die Gleichberechtigung.

Am 19. Januar 1919 hatten erstmals bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung auch Frauen das Recht, zu wählen und gewählt zu werden. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, mit dem Jahrestag werde heute etwas Selbstverständliches gefeiert. Frauen könnten sich wie Männer an der Gestaltung von Staat, Politik und Gesellschaft beteiligen.

"Menschenrechtstag"

Süssmuth sagte, eine Veranstaltung zu diesem Jahrestag sei für sie "gar nicht selbstverständlich" und hob den Tag als historische Errungenschaft hervor. "Für mich ist es ein Menschenrechtstag", sagte die frühere Frauenministerin. Ebenso wie Bergmann beklagte sie einen Rückgang der Frauen im Bundes- und in Landtagen. Auch auf kommunaler und regionaler Ebene habe man stark verloren, sagte Süssmuth. Bergmann schloss sich der Forderung an, durch gesetzliche Regelungen dafür zu sorgen, dass Frauen gleich stark in der Politik repräsentiert sind. "Es ist an der Zeit, sich endlich ernsthaft mit einem Paritätsgesetz zu befassen", sagte sie.

Der Frauenanteil im Bundestag ist nach der Bundestagswahl 2017 von 37,3 auf 30,7 Prozent gesunken. In den Parteien hat daraufhin eine Debatte über gesetzliche Änderungen im Wahlrecht oder im Parteienrecht eingesetzt, um den Frauenanteil zu erhöhen. Es sei Zeit für Parität in den Parlamenten, erklärte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Donnerstag.

Die frühere Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer (FDP) sprach sich für Quoten auf Wahllisten aus, um schlechtere Chancen für Frauen zu überwinden. "Ich glaube, anders geht es nicht", sagte sie dem epd.

Süßmuth und Bergmann forderten zudem eine stärkere Anerkennung dessen, was Frauen aus der ehemaligen DDR zur Gleichberechtigung beigetragen hätten. Ihre Leistung sei unterschätzt, sagte Süssmuth. Bergmann kritisierte, in nahezu allen Berichten über Frauen finde man ausschließlich den westdeutschen Blick. Der ostdeutsche sei ein anderer, komme aber nicht vor.

Weiße Blusen

Bei der Wiedervereinigung seien unterschiedliche Frauen- und Familienbilder zusammengekommen, sagte Bergmann. 1989 seien knapp 90 Prozent der Frauen im Osten erwerbstätig gewesen, meist in Vollzeit. Im Westen seien 1990 54 Prozent der Frauen, oftmals in Teilzeit, berufstätig gewesen. Im Osten hätten erwerbstätige Mütter nicht als "Rabenmütter" gegolten. Es habe einen "Gleichstellungsvorsprung" gegeben, sagte Bergmann.

Zur Feierstunde im Bundestag saßen männliche und weibliche Abgeordnete in den ersten Reihen abwechselnd nebeneinander. In Anspielung auf die erste Nationalversammlung mit weiblichen Abgeordneten, die damals knapp neun Prozent ausmachten und in weißen Blusen auf historischen Fotos einzeln deutlich herausragen, hatten die Frauen der SPD weiße Oberteile an.