Carl Hitzke ist 88 Jahre alt. Am Vormittag war er schon mit dem Motorroller unterwegs und Kegeln. Die 54 Punkte sind ganz schön gut dafür, dass er nur vier Versuche hatte. Dabei ist Hitzke nicht mal aus dem Haus gegangen, sondern nur in einen Gemeinschaftsraum des Hospitals zum Heiligen Geist in Hamburg. Dort hat er sich zum Videospielen mit einem guten Dutzend anderer Senioren getroffen. "Ich versuche, mich viel zu bewegen. Denn wenn man das in meinem Alter sein lässt, dann versteift man schnell. Da hilft mir das Spielen sehr", sagt Hitzke.

Die Spielekonsole, an der sich die Gruppe einmal in der Woche trifft, trägt den Namen "RetroBrain". Sie funktioniert wie all die anderen Playstations, Xboxes und Wiis auf dem Markt - nur eben mit dem Unterschied, dass Bedienung und Spiele auf die Bedürfnisse der Senioren zugeschnitten sind. Neudeutsch gibt es für solche Systeme den Begriff "Serious Games", man könnte aber auch sagen: "therapeutisches Videospielen". Derzeit wird die Konsole in einem Pilotprojekt in rund 100 Senioreneinrichtungen in Deutschland getestet.

Rollerfahren und Fragen beantworten

Denn genau darum geht es: Immer, wenn Hitzke auf der Autobahn unterwegs ist, muss er den Roller mit dem ganzen Körper steuern - eine Kamera hält seine Bewegungen fest und integriert sie in das Spiel. Gleichzeitig bekommt er aber Fragen gestellt. Etwa: "In welcher deutschen Stadt ist die größte deutsche Karnevalsveranstaltung?" Dann kann er sich entscheiden, ob er nach Köln oder nach Berlin abbiegt. Verlieren kann er nicht, aber je besser er sich anstellt, desto anspruchsvoller werden die Aufgaben. Er muss zum Beispiel mehr Hindernissen ausweichen.

"Das Spiel hat eine gewisse Toleranz. Es merkt, wie geschickt jemand ist und bestimmt danach den Schwierigkeitsgrad", sagt Mandy Jerdes vom Hersteller RetroBrain. So ließen sich Fertigkeiten besser erhalten.

Im Grunde enthält eine Konsole wie die im Hamburger Hospital nicht revolutionär Neues: All die Übungen, die in die Spiele integriert sind, könnten die Senioren auch auf andere Weise ausführen. Es gibt genügend Konzepte zum Erhalt mentaler und körperlicher Fähigkeiten. Vergleichsweise neu ist allerdings die Idee, Geschicklichkeits- und Konzentrationstraining mit einem angenehmen, spielerischen Erlebnis zu verbinden.

"Im Spiel finde ich Entspannung und Ausgleich. Das senkt das Maß an Entzündungsprozessen im Körper", sagt die Psychologin Iris Kolassa, die gemeinsam mit ihrem Kollegen Patrick Fissler an der Universität Ulm die Wirkung des Spielens im Alter untersucht hat. Die Wirkung von negativem Stress auf das menschlich Gehirn sei damit weniger mächtig. Anders gesagt: Der Spaß, den das Spiel mit sich bringe, verstärkt den Effekt der Übungen.

Mehr soziale Kontakte

Das gelte nicht ausschließlich für Videospiele, erklärt Kolassa - auch Karten- oder Brettspiele könnten vergleichbare Vorteile mit sich bringen: "Wenn ich regelmäßig spiele und damit geistig aktiv bin und stressreduzierenden Ausgleich finde, ist das in sich protektiv." Zudem bringe das Spielen in der Gruppe zusätzliche positive Effekte mit sich - nämlich durch das Mehr an sozialen Kontakten.

Allerdings sollte man all dies nicht überschätzen: "Durch ein paar Mal spielen werde ich nicht gleich geistig viel besser. Aber wenn ich wiederholt spiele als Teil einer guten Work-Life-Balance, dann werde ich wahrscheinlich positive geistige und psychische Effekte erzielen." Insofern sei es eine günstige Erweiterung des Angebots, wenn in Seniorenheimen in Zukunft eine Videokonsole stehe.

Im Hospital zum Heiligen Geist in Hamburg ist es derzeit nicht nur eine - gleich zehn Spielekonsolen sind über das weitläufige Gelände verteilt. Projektleiterin Ilona Lamm ist an jedem Werktag bei mindestens einer Gruppe zu Gast, um die Menschen zum Spielen zu animieren. Was oft nicht leicht ist - aber nur am Anfang: "Viele sagen ja: 'Bleib mir weg mit Videospielen, das ist nichts für mich.' Aber wenn die nur ein einziges Mal tatsächlich dabei sind - dann habe ich die meisten im Sack."