Das Bundesverfassungsgericht hat am 15. Januar in Karlsruhe darüber verhandelt, ob Jobcenter das Arbeitslosengeld II kürzen dürfen. Dabei geht es um die Frage, ob Sanktionen gegen Hartz-IV-Bezieher gegen das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstoßen. Geprüft wird zudem, ob die Strafmaßnahmen der Jobcenter die Berufsfreiheit verletzen. Dazu hatte das Sozialgericht Gotha den Fall eines Lageristen aus Erfurt vorgelegt, der einen Lagerjob ablehnte. Daraufhin wurde ihm Hartz IV zunächst um 30 Prozent und später um 60 Prozent gestrichen. (AZ: 1 BvL 7/16)

Das Bundesverfassungsgericht werde prüfen, ob die Sanktionen, die der Gesetzgeber festgeschrieben hat, grundgesetzlich zulässig seien, sagte der Vizepräsident des Gerichts, Stephan Harbarth. Es gehe darum, ob die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele geeignet und zumutbar für die Betroffenen seien. Es gehe aber nicht um die Frage, ob das Sanktionssystem politisch sinnvoll sei. Das sei Sache des Gesetzgebers.

Anwältin: Sanktionen bewirken keine Verhaltensänderung

Für den Kläger sagte Rechtsanwältin Susanne Böhme, starre Sanktionen, die für drei Monate gelten, bewirkten keine Verhaltensänderung beim Leistungsbezieher. Besonders Personen mit "multiplen Vermittlungshindernissen" seien von den Kürzungen betroffen. Häufig wirke sich das außerdem auf weitere Personen aus, die mit dem Empfänger in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dies seien häufig Kinder.

Für die Bundesregierung sagte Sozialminister Hubertus Heil (SPD), mit der Einführung der Regelungen im Jahr 2005 habe sich der Gesetzgeber für "aktivierende Hilfen" entschieden. Es solle "soviel Ermutigung geben wie möglich und soviel Ermahnung wie nötig". Der Sozialstaat müsse Mittel haben, die Mitwirkung verbindlich einzufordern. Das Existenzminimum bleibe gesichert.

"Zur Menschenwürde gehört auch, dass Menschen sich anstrengen", sagte Heil. Sonst wäre das Arbeitslosengeld ein bedingungsloses Grundeinkommen. "Das will ich nicht", sagte Heil. 2018 seien nur bei 3,1 Prozent aller Hartz-IV-Bezieher Sanktionen ausgesprochen worden.

Allein die Existenz von Sanktionen führe zur Verbesserung der Wiedereingliederung von Hilfeempfängern. Daher sei die Bundesregierung von der Verfassungsmäßigkeit und der "grundlegenden Notwendigkeit" des bestehenden Systems überzeugt, sagte deren Bevollmächtigter Rechtsanwalt Matthias Kottmann.

Komplette Streichung von Arbeitslosengeld II möglich

Nach den rechtlichen Bestimmungen im Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) müssen die rund vier Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher jede zumutbare Arbeit annehmen oder andere Eingliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt nutzen, sonst drohen Kürzungen. Bei wiederholten Pflichtverstößen darf das Jobcenter das Arbeitslosengeld II sogar komplett streichen.

Die Diakonie Deutschland erklärte, wenn Betroffene nicht mitwirkten, sei dies oft nicht auf Verweigerung, sondern auf Überforderung zurückzuführen. "Sanktionen treffen in der Praxis häufig Menschen, die sich nicht ausdrücken können, und nicht diejenigen, die sich drücken", sagte Friederike Mussgnug von der Diakonie. Überforderung entstehe etwa durch Krankheiten, Depressionen, familiäre Konflikte oder auch Verständnisprobleme.

Hilfen statt Leistungskürzungen

Direktorin Katrin Gerdsmeier vom Deutschen Caritasverband erklärte, Sanktionen sollten eine Ermessensentscheidung sein. Hartz IV-Empfänger müssten als eigenverantwortliche Personen ernst genommen werden. "Wir möchten, dass auf den Einzelfall reagiert werden kann", sagte sie.

Joachim Rock vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands forderte, statt Leistungskürzungen Hilfen in den Vordergrund zu stellen. Sanktionen seien schwerwiegend, sinnvoller seien weitere Fördermaßnahmen.