Kirchen

Bahn wirbt für Kirchentag in Dortmund


Hans Leyendecker und Bahn-Chef Richard Lutz (rechts) präsentierten am 14. Januar in Berlin die Intercity-Lok zum Kirchentag.
epd-bild/Jürgen Blume
"Was für ein Vertrauen": Mit dem Motto des diesjährigen evangelischen Kirchentags wirbt die Deutsche Bahn seit 14. Januar auf einer Intercity-Lok für die Großveranstaltung im Juni.

100.000 Besucher würden zum Kirchentag erwartet, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Richard Lutz. Die Bahn werde alles tun, um sie zuverlässig ans Ziel zu bringen, versprach er. Der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag findet vom 19. bis 23. Juni 2019 in Dortmund statt.

Kirchentagspräsident Hans Leyendecker sagte, auch wenn die Deutsche Bahn in Bezug auf Pünktlichkeit und Kapazitäten nicht nur gute Nachrichten produziere, gebe es ein Grundvertrauen in die Bahn. "Der Kirchentag fährt Bahn", sagte der Journalist, der nach eigenen Angaben aus einer Eisenbahner-Familie stammt. Leyendecker verwies auch auf die Umweltfreundlichkeit des Zugfahrens. Es sei vernünftig und gut für das Klima, sagte er.

Die Deutsche Bahn und der Kirchentag kooperieren traditionell, um die Zehntausenden Besucher des Christentreffens möglichst reibungslos zur Veranstaltung und wieder nach Hause zu bringen. Das Treffen steht in diesem Jahr unter der Losung "Was für ein Vertrauen". Der Kirchentag ist alle zwei Jahre in einer anderen Stadt zu Gast. 2017 fand das Protestantentreffen anlässlich des 500. Reformationsjubiläums in Berlin und Wittenberg statt. Für den großen Abschlussgottesdienst in Wittenberg wurden damals zahlreiche Sonderzüge eingesetzt.



Rekowski: Rheinische Kirche wird vielfältiger und agiler


Manfred Rekowski
epd/Hans Juergen Vollrath
Mehr Jugendbeteiligung, Anstoß zu neuen Gemeindeformen und gerechtere Verteilung der Einnahmen aus der Kirchensteuer: Die Synode der rheinischen Kirche hat eine Reihe von Änderungen auf den Weg gebracht.

Die Evangelische Kirche im Rheinland sieht sich nach ihrer diesjährigen Landessynode für die kommenden Jahre gut aufgestellt. In zehn Jahren werde die zweitgrößte Landeskirche in Deutschland "in den Formen vielfältiger und agiler sein", sagte der leitende Theologe Manfred Rekowski am 11. Januar zum Abschluss der diesjährigen Synodentagung in Bad Neuenahr. Auch die erstmals vorgeschaltete Jugendsynode und die Beteiligung von mehr jungen Menschen an den Beratungen des Kirchenparlaments habe gezeigt: "Es gibt eine deutliche Schnittmenge zwischen dem, was junge Leute bewegt, und was für unsere Kirche relevant ist."

Positives Fazit zu Landes- und Jugendsynode

Zufrieden zeigte sich auch die 21-jährige Fiona Paulus, Mitorganisatorin der Jugendsynode, die vom 4. bis 6. Januar tagte. Deren Beschlüsse seien von der Landessynode mit nur kleinen Änderungen "zu hundert Prozent übernommen" worden. Sie sei froh über das Erreichte und freue sich auf die Weiterarbeit: "In vielen Beschlüssen steht, dass die Jugend miteinbezogen wird."

Die Landessynode hatte zuvor beschlossen, dass junge Leute künftig stärker an Entscheidungen beteiligt und Quotenregelungen für bestimmte Gremien geprüft werden, dazu sind Modellversuche geplant. Auch die Forderung der Jugend, sich an der Finanzierung eines Seenotrettungsschiffs zu beteiligen, machte sich die Landesynode als oberstes Leitungsorgan zu eigen.

Präses Rekowski äußerte sich zudem erfreut über den Rückenwind, den es von der Kirchenjugend für die Förderung innovativer und unkonventioneller Formen kirchlichen Lebens gebe. "Wir haben konkrete Veränderungen auf den Weg gebracht", sagte der 60-jährige Theologe. Für "Erprobungsräume" jenseits der klassischen Ortskirchengemeinde sind in den nächsten zehn Jahren bis zu 13 Millionen Euro zur Anschubfinanzierung eingeplant.

Finanzdezernent Bernd Baucks lobte den am 10. Januar verabschiedeten Ausbau des Finanzausgleichs zwischen den 37 rheinischen Kirchenkreisen. Die bessergestellten Kirchenkreise hätten sich bereit erklärt, den ärmeren Kirchenkreisen in strukturschwachen Gebieten mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Das sei "ein deutlicher Einschnitt" für die gebenden Kirchenkreise, sagte Baucks.

Landeskirche erinnert an Missionsgeschichte in Südafrika

Am letzten Synodentag erinnerte die rheinische Kirche in einer Gedenkzeremonie mit Gästen aus Südafrika an die Geschichte der evangelischen Kirche in dem Land. Oberkirchenrätin Barbara Rudolph sagte, es bedürfe "angesichts der bewegenden Geschichte der südafrikanischen Kirchen eines besonderen Willkommensgrußes, der Zeit gibt für die nicht immer leichten Erinnerungen".

Die Rhenish Church in South Africa (RCSA) und die Uniting Reformed Church in Southern Africa (URCSA) sind aus der Arbeit der Rheinischen Missionsgesellschaft hervorgegangen, deren heutige Nachfolgerin die Vereinte Evangelische Mission (VEM) mit Sitz in Wuppertal ist. Seit September sind die beiden südafrikanischen Kirchen wieder Mitglieder der VEM.

Nachdem die Rheinische Missionsgesellschaft im Jahr 1829 ihre Arbeit in Südafrika aufnahm und in der Region Kapstadt mehrere Missionsstationen gründete, zog sie sich in den 1930er Jahren aus dem Land zurück. Ihre Gemeinden übergab sie an die Niederländisch-Reformierte Kirche, die die Apartheidsregierung stützte. "Unsere geistlichen Mütter und Väter haben uns verlassen und als Waisen zurückgelassen", sagte Tommy Solomons von der RCSA. Zu der Gedenkzeremonie gehörte auch ein Versöhnungsritual mit Wasser und Öl, in dem die wechselvolle Geschichte vor Gott gebracht wurde. Solomons bewertete die Zeremonie als wichtiges Zeichen. "Es werden die Missetaten der Vergangenheit zugegeben und wir drücken die Bereitschaft aus, eine neue Beziehung zu beginnen." Die Geschichte der südafrikanischen Gemeinden wird zurzeit auch von einem Promovenden der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel und einem südafrikanischer Theologen wissenschaftlich aufgearbeitet.

Die Evangelische Kirche im Rheinland ist mit 2,5 Millionen Protestanten in Teilen von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Hessen die zweitgrößte der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Die Landessynode ist das oberste Entscheidungsgremium, sie tagt in der Regel einmal im Jahr eine Woche lang und entscheidet über alle wesentlichen Fragen, die die gesamte Landeskirche betreffen.



Neuer Finanzausgleich zwischen rheinischen Kirchenkreisen

"Beim Geld hört die Freundschaft auf", heißt es. Wohl nicht bei den rheinischen Kirchenkreisen, die einmütig Millionenverschiebungen zugunsten der Ärmeren beschließen. Eine grundlegende Reform der Kirchensteuerverteilung steht aber noch aus.

Ärmere Kirchenkreise in der Evangelischen Kirche im Rheinland erhalten künftig mehr Geld von den reicheren: Der bestehende Finanzausgleich innerhalb der Landeskirche wird nach einer Entscheidung der Landessynode ausgeweitet, deren Tagung am Freitag in Bad Neuenahr zu Ende ging. In vier Jahren will das Kirchenparlament der zweitgrößten Landeskirche in Deutschland diskutieren, ob diese Aufstockung ausreicht oder ob die Finanzverteilung grundlegend reformiert wird, um das kirchliche Leben flächendeckend aufrechterhalten zu können.

Reiche Metropolen und strukturschwache Regionen

Während die Kirchensteuereinnahmen beispielsweise in der westfälischen Kirche entsprechend dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Aufkommen gleichmäßig auf die Kirchenkreise und Gemeinden verteilt werden, haben die Kirchenkreise im Rheinland unterschiedlich hohe Pro-Kopf-Einkünfte. Sie hängen von der wirtschaftlichen Lage der Kirchenmitglieder ab - Protestanten in Metropolen wie Düsseldorf, Köln und Bonn zahlen im Schnitt deutlich mehr Einkommen- und damit auch Kirchensteuer als in strukturschwachen Gegenden etwa im Ruhrgebiet oder im Saarland.

Deshalb gibt es einen Finanzgleich, der bisher Folgendes vorsieht: Wenn ein Kirchenkreis pro Mitglied weniger als 95 Prozent des landeskirchlichen Durchschnitts an der Kirchensteuer einnimmt, bekommt er zum Ausgleich Geld von den reicheren Kirchenkreisen. Diese Grenze wird nun bis 2023 von 95 auf 97 Prozent erhöht. Die Neuerung klingt unspektakulär, hat aber die Verschiebung erheblicher Summen zur Folge.

Geheime Abstimmung im Plenum

So muss der Kirchenkreis Düsseldorf im Jahr 2023 nach heutigem Stand dadurch rund 2,5 Millionen Euro mehr in den Ausgleichstopf zahlen. Auf der anderen Seite machte der Superintendent des Kirchenkreises Saar-West, Christian Weyer, die Not der "nehmenden" Kirchenkreise mit einem Beispiel aus Saarbrücken klar: Dort gebe es zwei Kirchengemeinden, die "ohne diesen Finanzausgleich überhaupt nichts machen könnten, sie müssten ihre Arbeit aufgeben und sogar noch Schulden bezahlen".

Schon die Art der Diskussion in der Landessynode zeigt, wie heikel das Thema ist: Es wurde anders als gewöhnlich nicht nur in Ausschüssen behandelt, sondern zunächst von allen Abgeordneten des Kirchenparlaments in 15 übergreifenden Arbeitsgruppen. Im Verlauf der Synode entstanden allein 66 Seiten Protokolle, die Abstimmung im Plenum war geheim. Und fiel mit 167 von 193 Stimmen dennoch einmütig aus.

Finanzdezernent Bernd Baucks räumte in der Debatte ein, dass es bei dieser Frage auch um "blank liegende Nerven" gehe. Nirgends seien die Ressourcen von Gemeinden und Kirchenkreisen im Überfluss vorhanden, sie seien vielmehr knapp im Verhältnis zur geleisteten Arbeit. Alles beim Alten zu lassen, wäre aber "eine Horrorvision" gewesen. Die Gesamtkirche stehe beispielsweise vor der Frage, ob es denkbar sei, dass es in finanziell gebeutelten Kirchenkreisen keine hauptamtliche Kirchenmusik oder Jugendarbeit mehr gibt.

"hohen Akt der Solidarität".

In der Synode hoben Vertreter der "gebenden" Kirchenkreise ihre Bereitschaft zur Solidarität hervor, mahnten aber auch Planungssicherheit an. Der Superintendent des Kirchenkreises Trier, Jörg Weber, dankte den in den Finanzausgleich einzahlenden Kirchenkreisen für ihren "hohen Akt der Solidarität". Das sei keine Einbahnstraße: "Hier lässt keiner den anderen im Regen stehen." Auch künftig müsse austariert werden, "was man sich gegenseitig zumuten kann und muss".

Deutlich wurde auch, dass sich die Grenze zwischen gebenden und nehmenden Kirchenkreis mit den Jahren verschieben kann. So gehörte der Kirchenkreis Solingen nach Angaben von Superintendentin Ilka Werner 2014 noch zu den Gebern, ist aber inzwischen ein Empfänger des Finanzausgleichs.

Ein Vorschlag der Kirchenleitung zu einem weitergehenden Finanzausgleich von 100 Prozent des Durchschnittsaufkommens fand in der Landessynode keinen ausreichenden Rückhalt. Nun sollen bis 2023 beschlussreife Alternativen vorgelegt werden. "Wir werden uns in den nächsten Jahren zusammenraufen und bittere, schwere Entscheidungen treffen müssen", sagte der Vorsitzende des Ausschusses "Kirchensteuerverteilung", Wolfgang Albers.

Ingo Lehnick (epd)


Frischer Wind im rheinischen Kirchenparlament


Fiona Paulus (rechts) bei der Abschlusspressekonferenz mit Präses Manfred Rekowski
epd-bild/Hans Juergen Vollrath
Die erste Jugendsynode der rheinischen Kirche endete mit Hausaufgaben für die Landeskirche. Deren Landessynode hat schnell geliefert und viele Ideen junger Leute übernommen. Sie sollen in der Evangelischen Kirche im Rheinland mehr Einfluss bekommen.

Die guten Absichten stehen auf roten Zetteln an einer Wand des Tagungshotels in Bad Neuenahr. "Junge Erwachsene könnten mal ernst genommen werden", lautet ein Vorsatz, "Offenheit für 'Das-haben-wir-noch-nie-gemacht'-Ideen von jungen Leuten" ein anderer. Jugendliche und Erwachsene aus der erstmals veranstalteten Jugendsynode der Evangelischen Kirche im Rheinland haben festgehalten, was sie im neuen Jahr in ihrer Kirche ändern wollen.

Ein Gutteil der Vorsätze für 2019 ist schon am Ende der zweiten Januarwoche erfüllt: Die Landessynode, das oberste Gremium der Landeskirche, übernahm bei ihrer am 11. Januar zu Ende gegangenen Tagung fast alle Vorschläge der vorangegangenen Jugendsynode. Junge Leute werden demnach mehr Einfluss in der zweitgrößten deutschen Landeskirche bekommen.

Drei Tage lang hatten junge Delegierte der evangelischen Jugend und altgediente Abgeordnete der Landessynode vom 4. bis 6. Januar über Zukunftsfragen der Landeskirche diskutiert. Einige der jungen Leute nahmen als Gäste auch an der Landessynode teil, die direkt im Anschluss tagte und über die Vorschläge und Forderungen der Kirchenjugend zu entscheiden hatte.

Modellprojekte in fünf Kirchenkreisen

Fiona Paulus, Mitorganisatorin der Jugendsynode, ist mit den Ergebnissen sehr zufrieden. "Im Prinzip hat die Landessynode alles übernommen, was die Jugendsynode vorher beschlossen hat", sagt die 21-jährige Vize-Vorsitzende der Evangelischen Jugend im Rheinland erfreut. Auch für die weitere Arbeit an den Themen gebe es schon die ersten Termine. "Jetzt müssen wir einen gemeinsamen Weg für eine dauerhafte Zusammenarbeit finden."

Wie genau junge Menschen stärker an Entscheidungen beteiligt werden können, soll in fünf Kirchenkreisen über einen Zeitraum von drei Jahren in Modellprojekten erprobt werden. Zudem sollen künftig mehr junge Menschen in der Landessynode vertreten sein. Geprüft wird bis zur Landessynode 2020 auch eine Quotenregelung: Nach dem Willen der Jugendsynode soll jede Gemeinde und jeder Kirchenkreis Jugendausschüsse einrichten, die zur Hälfte mit jungen Menschen besetzt sind.

Der Jugenddelegierte Lukas Schrumpf aus Solingen freut sich vor allem darüber, dass bei seinem "Herzensanliegen", dem Thema neue Gemeindeformen, die Ideen der Jugendsynode Anklang in der Landeskirche fanden. "Es wurde nicht jede Formulierung der Jugendsynode zu dem Thema aufgenommen, aber jeder Gedanke", sagt der 24-Jährige. Auch andere Beschlüsse des Jugendparlaments übernahm die Landessynode - etwa den Entschluss, sich an einem neuen Seenotrettungsschiff zu beteiligen, und das Bekenntnis zu einer vielfältigen Jugendarbeit.

Austausch auf Augenhöhe

Die jungen Abgeordneten berichten begeistert von einem Austausch auf Augenhöhe mit den erfahrenen Synodalen. "Der Altersunterschied spielte keine Rolle", sagt Schrumpf. Das sei entscheidend, um junge Menschen zur Mitarbeit in der Kirche zu motivieren. "Junge Menschen brauchen das Gefühl, gebraucht zu werden", unterstreicht der Jugenddelegierte und benutzt eine Fußballmetapher: "Und zwar nicht als Bankwärmer, sondern als Mittelstürmer."

Auch Präses Manfred Rekowski bewertet die Jugendsynode als Erfolg. "Das Experiment, das wir eingegangen sind, hat sich bewährt", sagte der leitende Theologe der rheinischen Kirche. Die Landessynode habe gemerkt: "Das sind junge Menschen, die zu unserer Kirche gehören, die in dieser Kirche etwas wollen, die viel können und viel einbringen können."

Doch die kirchlichen Strukturen machen es jungen Leuten manchmal schwer, sich einzubringen. Lukas Schrumpf berichtet, es sei eine Herausforderung gewesen, eine Jugenddelegation für die Landessynode zusammenzustellen. Das liege nicht an mangelndem Interesse, sondern an praktischen Problemen: "Es ist nicht leicht, es zeitlich zu organisieren, sich eine ganze Woche freizunehmen", sagt der junge Mann, der selbst berufstätig ist. Auch die Mitarbeit in vielen kirchlichen Ausschüssen, die sich außerhalb der Synode vormittags an Werktagen treffen, sei für Berufstätige kaum möglich.

Auch für Fiona Paulus, die in Bonn studiert, war es nicht einfach, sich eine ganze Woche für Jugendsynode und Landesynode freizuschaufeln. Zwar sei sie als Studentin recht flexibel. "Aber ich musste hier in Bad Neuenahr abends manchmal Stoff nacharbeiten, weil ich sonst zu viel verpasst hätte."

Jasmin Maxwell (epd)


Die Ergebnisse der rheinischen Landessynode

Nach sechstägigen Beratungen ist am 11. Januar in Bad Neuenahr die diesjährige Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland zu Ende gegangen. Das Kirchenparlament der 2,5 Millionen rheinischen Protestanten entschied über zahlreiche Vorlagen und Kirchengesetze. Die wichtigsten Ergebnisse:

* JUGEND: Junge Leute werden künftig stärker an Entscheidungen beteiligt, geprüft wird eine Quotenregelung in bestimmten Gremien. In fünf Kirchenkreisen werden Modelle erprobt. Die Landessynode macht sich zudem für eine vielfältige und inklusive Jugendarbeit mit ausreichend vielen hauptamtlichen Mitarbeitern stark. Die Kirchenleitung prüft, ob ein eigenes landeskirchliches Budget für die Kinder- und Jugendarbeit bereitgestellt und ein verbindliches Qualifikationsniveau für Mitarbeiter eingeführt wird.

* NEUE GEMEINDEFORMEN: Für die Förderung neuer und unkonventioneller Formen kirchlichen Lebens stellt die rheinische Kirche in den kommenden zehn Jahren bis zu 13 Millionen Euro zur Verfügung. "Erprobungsräume" jenseits der klassischen Ortskirchengemeinde werden mit insgesamt 600.000 Euro gefördert. Zudem werden dafür fünf Pfarrstellen und eine Projektstelle eingerichtet.

* FLÜCHTLINGE: Die Landeskirche beteiligt sich an der Finanzierung eines Rettungsschiffs der Seenotrettungsorganisation "SOS Méditerranée", über die Höhe wird noch entschieden. Die rheinische Kirche schließt sich zudem dem internationalen Bündnis "Seebrücke" an, das sich für sichere Fluchtwege nach Europa und eine Entkriminalisierung der Seenotrettung einsetzt. Die Synode fordert außerdem mehr Hilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge.

* FINANZEN: Zum dritten Mal in Folge wird ein positiver Haushalt vorgelegt. Der Etat hat ein Volumen von 616,5 Millionen Euro, der Überschuss beträgt 8,1 Millionen Euro. Aus Kirchensteuern werden brutto 948 Millionen Euro erwartet. Als Verteilbetrag werden im Haushalt 744 Millionen Euro angesetzt. Die Kirchensteuereinnahmen werden künftig sozial gerechter verteilt: Kirchenkreise mit höherem Aufkommen zahlen mehr Geld als bislang in den Finanzausgleich für ärmere Kirchenkreise.



Präses Rekowski: Soziale Fragen bewegen die Menschen


Manfred Rekowski
epd-bild / Norbert Neetz

Soziale Fragen wie Wohnungsnot, Mobilität oder die Situation an Schulen machen den Menschen nach den Worten des rheinischen Präses Manfred Rekowski Sorge. Eines der Hauptthemen sei zurzeit der Zusammenhalt der Gesellschaft, sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bad Neuenahr. Mit Blick auf Diskussionen in sozialen Medien nehme er nicht immer den Willen zu einer echten Debatte wahr, kritisierte Rekowski. Dennoch will er den sozialen Medien nicht den Rücken kehren.

epd: Wie nehmen Sie die gesellschaftliche Stimmung wahr?

Rekowski: Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist zurzeit eines unserer Hauptthemen. Auch Menschen, die vergleichsweise abgesichert leben, haben Sorgen vor dem Abstieg, vor sehr komplexen Zusammenhängen wie etwa Globalisierung und Digitalisierung. Diese Verunsicherung führt manchmal dazu, dass nach einfachen Lösungen gefragt wird, und dann sucht man auch Sündenböcke.

Was den Menschen Sorgen bereitet, sind soziale Fragen wie Wohnungsnot, die Schule oder die Verkehrssituation. Wir dürfen nicht dem Agenda-Setting der AfD folgen und die Debatte über diese Probleme permanent mit dem Thema Flüchtlinge überlagern.

epd: Welche Aufgabe hat da die Kirche?

Rekowski: Unsere Aufgabe ist es, auch mit den Menschen im Gespräch zu sein, die potenziell AfD wählen. Wir müssen immer versuchen zu verstehen, was Menschen bewegt: ihre Sorgen, ihre Ängste, die ungelösten Probleme. Nehmen wir das Beispiel Wohnungsbaupolitik: Es erbost die Menschen zu Recht, dass es an einer für viele so existenziellen Frage einen fast kollektiven Stillstand gab. Da müssen wir auch Lobbyfunktion für das Anliegen dieser Menschen übernehmen - egal, wo sie ihr Kreuz bei Wahlen machen. Es gibt nicht wenige ungelöste Probleme. Das muss ich ausdrücklich sagen. Ich erkenne oft keinen ernsthaften Willen der Politik, Zukunftsfragen entschlossen anzupacken.

Die Stärke von uns als Kirche ist, etwa beim Thema Braunkohle sowohl mit denen zu reden, die um ihre Arbeitsplätze bangen, als auch mit denen, die ihre Heimat verlieren. Es muss unsere Stärke sein, dass wir dialogfähig bleiben und möglichst auch Menschen mit unterschiedlichen Positionen ins Gespräch bringen. Das ist eine Chance, die wir als Kirche haben, die wir auch nutzen sollten.

epd: Welche Rolle spielen soziale Medien für Sie?

Rekowski: So ein Medium muss uns dienen und dann ist es auch nützlich. Aber ich selbst habe keine Lust, das Medium zu bedienen und es permanent zu füttern. Ich nutze es nach meinen zeitlichen Möglichkeiten und ich gewichte inhaltlich. Ich hoffe, dass Themen, die mir wichtig sind, auf diese Art und Weise einen breiteren Kreis als nur den "inner circle" erreichen. Da sehe ich nach wie vor Chancen. Aber ich weigere mich, den ganzen Tag zur Kenntnis zu nehmen, wie andere Menschen gerade mit profanen Dingen wie dem Bräunungsgrad ihrer Grillwurst beschäftigt sind.

epd: Wie nehmen Sie die Kommunikation in den sozialen Medien wahr?

Rekowski: Für mich kommt das Gefühl einer echten Kommunikation oder gar eines Dialogs nicht durchgängig auf. Es ist berechenbar, wer mit welchem "Argument" oder "Statement" die Bühne betritt. Auf mich wirkt das reflexartig, wenn zum Thema Flucht etwas gesagt wird. Dann muss ich es fast nicht lesen. Ich weiß, was die Gegenargumente sind. Wenn es um Seenotrettung geht, werde ich darüber belehrt, dass wahre Seenotrettung ja nur auf der Nordsee passieren kann, wenn jemand versehentlich zu weit rausschwimmt.

epd: Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat sich von Facebook und Twitter zurückgezogen, weil es dort viel Hass, Böswilligkeit und Hetze gebe. Wie gehen Sie mit Hass, Häme und mangelnder Diskussionskultur um?

Rekowski: Die Hemmschwellen sind in diesem Bereich deutlich niedriger geworden. Da gibt es keine Beißhemmung mehr. Ich weigere mich, mich damit den ganzen Tag zu beschäftigen. Ich nehme das hin. Das ist die Form der Auseinandersetzung, die einige pflegen. Da steige ich nicht ein. Ich habe meine Methodik entwickelt, dass ich mich nicht treiben lasse und nicht über jedes Stöckchen springe.

epd-Gespräch: Marc Patzwald


Huber: Kirche darf nicht auf "Twitter-Falle reinfallen"


Wolfgang Huber
epd-bild/Juergen Blume

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, hat davor gewarnt, sich in der Kirche zu stark an Trends und Moden zu orientieren. Die Kirche müsse sich zwar beständig erneuern, dabei aber Tradition und Zukunft miteinander verbinden, sagte Huber am 10. Januar bei einer Diskussion im Dom zu Brandenburg an der Havel. Die Kirche dürfe nicht "auf diese Twitter-Falle reinfallen" und denken, sie sei "beständig neu", wenn sie sich digitalen Trends anschließe.

Kirche, darunter auch das evangelische Domstift Brandenburg, müsse ein Ort sein, an dem sich Menschen begegnen und sich nicht "durch twittern aus dem Weg gehen", sagte der Berliner Altbischof Huber. Zu den bleibenden Aufgaben des Domstifts gehöre auch, zur Wertschätzung von Kultur beizutragen und einen geschützten Ort zu bieten, an dem Menschen Verantwortung lernen können.

Das Domstift Brandenburg ist die älteste Institution des Landes Brandenburg mit einer mehr als 850 Jahre langen Tradition. Zu den Aufgaben gehören laut Satzung die Erhaltung und zeitgemäße Nutzung des umfangreichen historischen Gebäudeensembles aus Dom, Klausur, Kurien und Nebengebäuden, die Förderung von Theologie, kirchlicher Kunst und Kirchenmusik sowie die Förderung kirchlicher Schulen und sozialdiakonischer Einrichtungen. Das Domstift ist eine Einrichtung der evangelischen Kirche und Körperschaft des öffentlichen Rechts.



Ökumenisches Institut für Friedenstheologie gegründet

Katholische und evangelische Theologinnen und Theologen haben das Ökumenische Institut für Friedenstheologie (ÖFT) gegründet. Die 18 Gründungsmitglieder beschlossen in Köln "die erste Forschungseinrichtung, die sich im Raum der Volkskirchen auf friedenstheologische Fragen spezialisiert", wie der katholische Theologieprofessor Thomas Nauerth aus Bielefeld am 14. Januar mitteilte. Die Koordination des ÖFT liege derzeit bei dem baden-württembergischen Pfarrer Rainer Schmid.

Derzeit werde in mehreren evangelischen Landeskirchen Deutschlands und in der katholischen Kirche verstärkt über das Thema Frieden nachgedacht, erklärte der elsässische Theologe Theodor Ziegler. Zunehmend werde erkannt, dass bei internationalen Konflikten "nicht das Militär, sondern nur gewaltfreie Mittel nachhaltig zu Sicherheit und Frieden führen". Das Institut wolle diese friedensethischen Prozesse theologisch unterstützen und begleiten.

Projekte und Forschung

Das Ökumenische Institut für Friedenstheologie verstehe sich als Vernetzungsstelle friedenstheologischer Projekte und Forschung, ergänzte Koordinator Schmid. Es wolle "klassisch-theologische Grundfragen in Hinsicht auf Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit neu denken und artikulieren". Geplant seien dazu Seminare, Veröffentlichungen und Stellungnahmen.

Unter den Gründerinnen und Gründern sind unter anderem auch die Kirchenrätin der Evangelischen Kirche im Rheinland, Anja Vollendorf, die badische Oberkirchenrätin Karen Hinrichs, Mauricio Salazar von der Evangelischen Akademie Bad Boll, der Franziskaner Bruder Stefan Federbusch und der frühere Schülerreferent im Erzbistum Köln, Heribert Graab.



Experte: Neue Ukraine-Kirche schlecht für orthodoxe Glaubwürdigkeit

Die Gründung einer neuen orthodoxen Kirche in der Ukraine ist laut dem Ostkirchen-Experten Thomas Bremer schlecht für die Glaubwürdigkeit der Orthodoxie. "Es wird das Vorurteil bestätigt, die orthodoxe Kirche sei eng mit dem Staat verbunden", sagte der Münsteraner Professor für Ökumenik und Ostkirchenkunde am 7. Januar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte sich wie seine Vorgänger stark für die Gründung einer ukrainischen Nationalkirche eingesetzt.

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I., hatte am 5. Januar nach ukrainischen Medienberichten der neuen orthodoxen Kirche der Ukraine die vollständige Eigenständigkeit zuerkannt. Aus russischer Sicht verstößt deren Gründung gegen das Kirchenrecht, weil es in einem bestimmten Land nur eine orthodoxe Kirche geben kann und in der Ukraine eine solche bereits existiert - unter Moskauer Patriarchat. Neben dieser orthodoxen Kirche unter russischem Patriarchat gab es in dem osteuropäischen Land bislang zwei weitere, die sich 1992 beziehungsweise um 1920 abspalteten und in der Orthodoxie allgemein nicht anerkannt wurden. Aus diesen Ablegern hat sich nun die neue Kirche gebildet.

Grundsätzlich sei die Gründung einer orthodoxen Nationalkirche legitim, sagte der Experte Bremer. Unabhängigkeitsbestrebungen habe es schon lange gegeben. "Die ukrainisch-orthodoxe Kirche unter russischem Patriarchat hätte allerdings nicht übergangen werden dürfen." Ob diese Interesse an einer Autokephalie, also der vollständigen Eigenständigkeit, gehabt hätte, sei aber fraglich. "Die ukrainisch-orthodoxe Kirche, die zum Moskauer Patriarchat gehört, war schon immer sehr autonom."

Für Poroschenko habe sich die Neugründung kurz vor der Präsidentschaftswahl bereits gelohnt, sagte Bremer: "In Umfragen konnte er deutlich aufholen." Der politische Einfluss aufs religiöse Leben werde derweil immer deutlicher. "Es wurden beispielweise Hausdurchsuchungen bei Priestern angeordnet, die sich der neuen Kirche nicht anschließen wollen."

Weltweit bezeichnen sich Schätzungen zufolge bis zu 300 Millionen von rund zwei Milliarden Christen als orthodox. In Deutschland gibt es etwa eine Million orthodoxe Christen. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel mit Sitz im heutigen Istanbul nimmt eine Art Ehrenvorsitz in der Orthodoxie wahr.



EKD erinnert an ihre erste Synode in Bethel


Irmgard Schwaetzer
epd-bild/Norbert Neetz
Im Januar 1949 war im Bielefelder Stadtteil Bethel erstmals die Synode der EKD zusammengekommen. Die heutige Synodenpräses Schwaetzer würdigte das 70. Jubiläum.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat an ihre erste Synode vor 70 Jahren erinnert. "Von Anfang an gestalteten und leiteten Laien und Ehrenamtliche die Synode. Das spiegelt unser evangelisches Verständnis von Kirche wider", sagte die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

"Nach dem Krieg dominierten dabei noch die Männer, inzwischen ist das Verhältnis von Männern und Frauen ausgewogen. Dazu hat übrigens ein Synodenbeschluss entscheidend beigetragen, 1989 in Bad Krozingen", fügte Schwaetzer hinzu.

Bewahrung der Einheit

Rund acht Monate vor der Konstituierung des Deutschen Bundestages war vom 9. bis 13. Januar 1949 erstmals die Synode der EKD im Bielefelder Stadtteil Bethel zusammengekommen. Die Bewahrung der Einheit zwischen Ost und West stand vor 70 Jahren im Mittelpunkt. Bis 1969 waren die östlichen evangelischen Landeskirchen mit den westlichen noch in der EKD verbunden. Einige der Themen auf der ersten Synodentagung in Bethel blieben lange Zeit aktuell, etwa die Situation der Heimatvertriebenen aus den Ostgebieten. Erster Synodenpräses war der spätere Bundesminister und Bundespräsident Gustav Heinemann (1899-1976).

Zum EKD-Ratsvorsitzenden wurde der Berliner Theologe Otto Dibelius gewählt. Er setzte sich in der Abstimmung gegen Pastor Martin Niemöller durch, der während der NS-Diktatur im KZ gesessen hatte. Dibelius stand wegen seiner ursprünglich zum Ausdruck gebrachten Befürwortung der nationalsozialistischen Machtübernahme und eines bestehenden Antijudaismus in der Kritik, gehörte aber wie Niemöller der Bekennenden Kirche an.

Verantwortung für den Frieden

Die Verantwortung für den Frieden und die Militärseelsorge beschäftigten die Synodalen besonders seit Ende der 50er Jahre. Diese Diskussion fand ihren vorläufigen Abschluss in der Einigung über Grundfragen der Militärseelsorge und Orientierungspunkte zur Friedensverantwortung bei der Synodentagung in Osnabrück 1993.

Bereits bei der zweiten Tagung 1950 in Berlin-Weißensee äußerte sich die Synode zur Mitschuld der evangelischen Christen an den Verbrechen der Deutschen gegenüber dem jüdischen Volk. In ihrer Demokratiedenkschrift von 1985 schließlich besiegelte die EKD eine Abkehr von der protestantischen Distanz zur Demokratie der Weimarer Zeit und bekannte sich zur politischen Verantwortung der Christen in der Gesellschaft. Schließlich wurden 40 Jahre nach der Einsetzung des Ausschusses zur "Arbeit der Frau in der Kirche" auf der Synode in Bad Krozingen 1989 Beschlüsse zur verstärkten Beteiligung von Frauen in den kirchlichen Gremien gefasst.

Einige Synodeninhalte bleiben zeitlos: Dass die Synodalen nur einen kleinen Ausschnitt der Gesellschaft repräsentieren, der Gottesdienstbesuch gering ist oder die Predigten nicht selten die Hörer abschrecken, klagen Protestanten heute wie vor 70 Jahren. Immer wieder werfen Kritiker der Kirchenleitung zudem vor, sie sei parteipolitisch einseitig festgelegt. Nach der Zeit der Trennung stand für die EKD und ihr Ost-Pendant, den Bund der Evangelischen Kirchen, Anfang der 90er Jahre die Zusammenführung auf der Tagesordnung. Nach einer Sondersitzung von EKD und Bundessynode im Februar 1991 in Berlin-Spandau konstituierte sich die erste gemeinsame EKD-Synode im Juni 1991 in Coburg.



Bedford-Strohm: Religion kann helfen, Schmerzen anzunehmen

Frömmigkeit ersetzt nach Ansicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, zwar keine medizinische Schmerzbehandlung, sie könne aber ein "Resilienzfaktor" sein. Religion könne dazu beitragen, Schmerzen anzunehmen und zu verarbeiten, also das Immunsystem der Seele zu stärken, sagte Bedford-Strohm bei der Vorstellung des interdisziplinären Promotionsschwerpunkts "Resilienzfaktoren in der Schmerzverarbeitung" der Universitäten Bamberg und Würzburg am 10. Januar in Bamberg.

In der christlichen Religion habe das Thema Schmerz eine inhaltliche und zentrale Bedeutung, sagte Bedford-Strohm, der auch bayerischer Landesbischof ist. Gott selbst habe in seinem Sohn Jesus Christus nämlich "abgründiges Leiden und Schmerzen im Foltertod am Kreuz erlebt". Doch Jesu Leiden sei nicht das Ende gewesen, sondern mündete in eine hoffnungsvolle Perspektive: in die neue Stadt, wie sie die Offenbarung des Johannes beschreibe.

"Jesus trat als Heiler auf, er hat den Menschen nicht Schmerz zugefügt, um sie offen zu machen für Religion." Die in der Kirchengeschichte bekannten Selbstgeißelungen seien eine Perversion von Religion, sagte er: "Schmerz ist kein Selbstzweck." Jesu Gebot der Nächstenliebe fordere, Leidenden zu helfen, das Leid zu überwinden. Dieser Aufgabe stellten sich Klinikseelsorger. Ihre Erfahrung sei, dass "Gott nah am Menschen ist, nah am Schmerz und diesen ertragen lässt".



Kirchen erinnern an Martin Luther King

Mit einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe erinnern die Evangelische Kirche im Rheinland und das Bistum Essen an Martin Luther King (1929-1968). Den Auftakt macht eine Podiumsdiskussion am 90. Geburtstag des US-amerikanischen Bürgerrechtlers am 15. Januar. In der Essener Kreuzeskirche sprechen die WDR-Integrationsbeauftragte Iva Krtalic und der Menschenrechtsaktivist Ali Can über soziale Bewegungen im 21. Jahrhundert.

Der ökumenische Gottesdienst zur Gebetswoche für die Einheit der Christen am 27. Januar in der Erlöserkirche Essen dreht sich um Martin Luther Kings berühmte Rede "I have a dream". Unter dem Motto "Ein Traum verändert die Welt" steht auch ein musikalischer Themenabend am 31. Januar im Medienforum des Bistums Essen. Außerdem sind ein ökumenischer Jugendgottesdienst am 8. Februar im Lighthouse Essen und ein Tagesseminar in englischer Sprache für internationale Studierende am 9. Februar in der Evangelischen Studierenden Gemeinde Essen geplant.

Höhepunkt des gemeinsamen Gedenkens der rheinischen Kirche und des Bistums Essen ist den Angaben zufolge das Chormusical "Martin Luther King - Ein Traum verändert die Welt" in der Grugahalle Essen am 9. und 10. Februar in Zusammenarbeit mit dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden und der Stiftung Creative Kirche. 2.400 Sängerinnen und Sänger bringen das Leben des 1968 ermordeten Bürgerrechtlers und Baptistenpastors auf die Bühne. Nach der Premiere in Essen ist das Musical im Juni auch beim Kirchentag in Dortmund zu sehen und geht ab dem 2020 auf bundesweite Tournee.



Christi Liebe wird Thema des ökumenischen Weltgipfels in Karlsruhe

Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) will die Liebe Christi zur Welt zum zentralen Thema auf seiner Vollversammlung in Karlsruhe 2021 machen. Wie der ÖRK am 10. Januar in Genf mitteilte, wird das offizielle Thema der 11. Vollversammlung lauten: "Christ's love moves the world to reconciliation and unity".

Das Thema werde schon in die Vorbereitungen für die erste ÖRK-Vollversammlung in Deutschland einfließen, erläuterte Generalsekretär Olav Fykse Tveit. Es solle klarmachen, dass die ökumenische Bewegung eine Bewegung der Liebe sei, und verdeutliche ebenso, dass die Menschen nach Gerechtigkeit und Frieden streben sollten. Der Zentralausschuss des ÖRK hat sich für das Thema entschieden.

Zu der Vollversammlung der rund 350 ÖRK-Mitgliedskirchen in Baden werden Tausende Teilnehmer erwartet. Die Kirchen repräsentieren mehr als 500 Millionen Gläubige. Die Einladung nach Karlsruhe wurde gemeinsam von der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland und der Evangelischen Landeskirche in Baden ausgesprochen. Die Vollversammlung soll eine starke europäische Ausrichtung haben.

Der ÖRK-Zentralausschuss hatte sich im Juni 2018 für Karlsruhe als Austragungsort entschieden, einziger Mitbewerber war Kapstadt. Die jüngste ÖRK-Vollversammlung fand 2013 in Busan, Südkorea, statt. Die Vollversammlung ist die höchste Instanz des ÖRK und tritt etwa alle acht Jahre zusammen. Die katholische Kirche ist kein ÖRK-Mitglied, sie arbeitet aber mit dem Ökumene-Dachverband zusammen und will Vertreter nach Karlsruhe schicken.



Württembergische Landeskirche erlaubt Taufen in freien Gewässern

Als erste Gliedkirche innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat die württembergische Landeskirche eine Taufe durch Untertauchen geregelt. Taufort solle "in aller Regel ein Gewässer unter freiem Himmel" sein, sagte der für Theologie zuständige Kirchenrat Frank Zeeb dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 10. Januar in Stuttgart. Grundlage sind ein Beschluss der Landessynode vom vergangenen März sowie ein neues Gottesdienstbuch, das im Januar der Öffentlichkeit übergeben wurde.

Wer sich fürs Untertauchen ("Immersionstaufe") entscheidet, braucht dazu eine Genehmigung vom Oberkirchenrat. Der von der Kirchengemeinde ausgewählte Ort - etwa ein Baggersee, ein Freibad, ein Bach oder ein Teich - muss mit Zustimmung der Kirchenleitung in die örtliche Gottesdienstordnung aufgenommen werden. Auch müssen sich Pfarrer mit ihrem Kirchengemeinderat abstimmen, bevor sie diese Form der Taufe zusagen.

Laut Zeeb war es schon in der Vergangenheit in Württemberg möglich, Menschen durch Untertauchen zu taufen, sofern der Oberkirchenrat eine Ausnahmegenehmigung erteilt hat. Zwei- bis dreimal pro Jahr habe er entsprechende Anfragen erhalten.

Wie getauft wird, ist seit vielen Jahrhunderten immer wieder Teil der theologischen Diskussion. Während in der katholischen und evangelischen Kirche überwiegend das Benetzen des Täuflings mit Wasser üblich ist, praktizieren orthodoxe Kirchen sowie viele Freikirchen das Untertauchen. Jährlich werden in der württembergischen Landeskirche knapp 18.000 Menschen getauft, EKD-weit sind es rund 180.000.



Evangelische Allianz ruft zur Internationalen Gebetswoche auf

Die Deutsche Evangelische Allianz hat am 13. Januar ihre Internationale Gebetswoche gestartet. Sie dauert bis zum 20. Januar. Dabei geht es nach Angaben der biblisch-orientierten Glaubensbewegung aus dem thüringischen Bad Blankenburg unter anderem um die Einheit in Freundschaft, Familie, Ehe und Gemeinde.

Die Allianzgebetswoche wird in mehr als 25 Ländern Europas sowie in Ländern anderer Kontinente begangen. In Deutschland wollen sich den Angaben zufolge etwa 300.000 Christen in mehr als 1.000 Orten aus den unterschiedlichen Kirchen und Gemeinden an der Aktion beteiligen.

In der nach dem Zweiten Weltkrieg neu konstituierten Weltweiten Evangelischen Allianz arbeiten Bünde aus 129 Ländern aus allen Kontinenten zusammen. Als praktisches Zeichen der Gemeinsamkeit wurde bereits 1846 der Aufruf beschlossen, sich wöchentlich einmal und jährlich in der ersten Woche über die Konfessionsgrenzen hinweg zum gemeinsamen Gebet zu treffen. Hieraus ist die Allianzgebetswoche entstanden.

Die Deutsche Evangelische Allianz umfasst rund 1.100 Ortsgruppen sowie 340 überregionale Werke und Verbände mit mehr als einer Million evangelikaler Christen aus Landes- und Freikirchen. Auch diakonische Einrichtungen, humanitäre Aktionen sowie gesellschaftspolitische Initiativen gehören zur Arbeit der Evangelischen Allianz.



Peter Hahne ist Gastredner einer Kirchen-Vortragsreihe in Lübbecke


Peter Hahne
epd-bild / Ralf Maro

Der frühere ZDF-Journalist Peter Hahne und der evangelikale Prediger Ulrich Parzany nehmen in diesem Jahr an einer Vortragsreihe der theologisch-konservativen Bekenntnisbewegung "Kein anderes Evangelium" im westfälischen Lübbecke teil. Bei der 50. Auflage der Reihe "Zeit- und Streitfragen" geht es wieder um Themen, die in Kirche und Gesellschaft kontrovers diskutiert werden, wie der Arbeitskreis der Bekenntnisbewegung ankündigte. Im Mittelpunkt steht in diesem Jahr die Bibel und Kritik an deren Glaubwürdigkeit. Die Vorträge finden an vier Abendterminen zwischen Februar und April in der Stadthalle Lübbecke statt. Der Eintritt ist jeweils frei.

Die Reihe startet am 25. Februar mit einem Vortrag des Stuttgarter Pastoren und Autoren Winrich Scheffbuch, der unter anderem Initiator der Jugendmissionskonferenzen ist. Der Fernsehmoderator Hahne spricht am 11. März über die Bedeutung der Bibel als Orientierung in der modernen Gesellschaft. Der frühere Redner der Missionsbewegung "ProChrist", Ulrich Parzany aus Kassel, hält am 25. März einen Vortrag zum Thema "Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen". Die Reihe endet am 8. April. Der Naturwissenschaftler Werner Gitt aus Braunschweig setzt sich dann mit der Urknall-Hypothese auseinander.



Magazin "chrismon" sucht "Gemeinde 2019"

Das evangelische Monatsmagazin "chrismon" sucht die "Gemeinde 2019". Ab sofort können sich Gemeinden für die mit insgesamt 25.000 Euro dotierten Preise bewerben, ab dem 12. März kann jeder auf der Internetseite der Zeitschrift für seine Lieblingsgemeinde abstimmen. Mit dem Jurywettbewerb mit Publikumsbeteiligung sollen das Engagement von Kirchengemeinden gewürdigt und herausragende Projekte gefördert werden, wie "chrismon" am 7. Januar in Frankfurt am Main mitteilte.

Aus den 30 Gemeinden, die bis zum 4. April unter "www.chrismongemeinde.de" am meisten Stimmen bekommen, wird eine Jury fünf Projekte für die ersten Plätze auswählen. Zudem vergeben die Juroren sieben Förderpreise in Kategorien wie "Besonderer Gottesdienst", "Jugend" und "Flüchtlingsarbeit". Auch die drei beim Publikum beliebtesten Gemeinden sollen Geld erhalten. Erstmals wird zusätzlich ein mit 5.000 Euro dotierter Sonderpreis von "Brot für die Welt" an eine Gemeinde vergeben, die sich in besonderer Weise um die Lebensverhältnisse von Menschen in armen Regionen weltweit kümmert.

Mitmachen kann jede evangelische, katholische oder freikirchliche Gemeinde, die der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) angehört.

Die Zeitschrift "chrismon" liegt monatlich mit einer Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren unter anderem in den Zeitungen "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Welt", "Welt am Sonntag" und "Zeit". "chrismon" erscheint seit 2006 unter dem Dach des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP). Die zentrale Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland trägt auch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd).



Evangelischer Kirchbautag zu geschlossenen Kirchen

Der Evangelische Kirchbautag 2019 findet vom 19. bis 22. September in Erfurt statt. Er beschäftige sich mit dem Thema "Aufgeschlossen - Kirche als öffentlicher Raum", teilte das Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Universität Marburg am 9. Januar mit. Hintergrund des Themas sei die Situation in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, die "reich an Kirchen, aber arm an Mitgliedern" sei.

Statistisch komme in Mitteldeutschland eine Kirche auf 200 Gemeindemitglieder. Die oft schönen und wertvollen Kirchen stünden überwiegend unter Denkmalschutz. Aber mindestens ein Viertel dieser Kirchen sei das ganze Jahr über geschlossen. Sie würden von den kleiner gewordenen Gemeinden nicht mehr gebraucht.

Der 29. Evangelische Kirchbautag in Erfurt erwartet rund 600 Gäste, Architekten, Künstler und Theologen aus ganz Deutschland und dem Ausland. Sie wollen darüber diskutieren, welche Rolle die Kirchen im öffentlichen Raum, in den Städten, aber auch in der Region von Thüringen und Sachsen-Anhalt spielen.

Der Evangelische Kirchbautag wurde 1949 auf Vorschlag der Professoren Otto Bartning und Oskar Söhngen gegründet. Gastgeber der alle drei bis vier Jahre stattfindenden Tagungen sind die jeweiligen Landeskirchen. Sitz der Geschäftsstelle ist das EKD-Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart an der Philipps-Universität Marburg.



Freikirchen bereiten Jubiläum 500 Jahre Täuferbewegung vor

Nach der Feier 500 Jahre Reformation im Jahr 2017 steht 2025 das Jubiläum 500 Jahre Täuferbewegung an. Vertreter von Mennoniten, Baptisten und der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) bereiteten dazu fünf Themenjahre ab dem Feiertag Himmelfahrt 2020 vor, teilte die ACK am 9. Januar in Frankfurt am Main mit. 1525 habe die erste täuferische Glaubenstaufe in Zürich stattgefunden. Die Täufer-Bewegung gilt als «linker Flügel» der Reformation. Die Täufer setzten sich für radikalere soziale Reformen im Christentum ein, als etwa die Reformatoren Luther und Zwingli. Die Evangelische Kirche in Deutschland hatte das Reformationsjubiläum 2017 mit zehn Themenjahren vorbereitet.

Die fünf Themenjahre vor dem Jubiläum 2025 stehen unter den Stichworten "mündig leben", "gemeinsam leben", "konsequent leben", "gewaltlos leben" und "Hoffnung leben". Die geplanten Themenjahre sollen nach Angaben der ACK zum Nachdenken darüber anregen, "was Christsein unter täuferischen Vorzeichen im 21. Jahrhundert bedeutet". Die Erinnerung an 500 Jahre Täuferbewegung solle dazu führen, sich mit den eigenen Traditionen auseinanderzusetzen und sich "dialogfähig in die ökumenische Diskussion einzubringen".

Zu jedem Themenjahr wird ein Magazin veröffentlicht. Das Jubiläumsjahr wird von Ausstellungen und Materialien für Schulen und Bildungsinstitutionen begleitet. Träger der Jubiläumsfeiern ist der Verein "500 Jahre Täuferbewegung 2025" mit Sitz in der Ökumenischen Centrale der ACK in Frankfurt am Main. Vereinsvorsitzende ist die Leiterin der Mennonitischen Forschungsstelle im pfälzischen Bolanden-Weierhof, die Historikerin Astrid von Schlachta.




Flüchtlinge

Rheinischer Präses verteidigt Kirchenasyl



epd-bild / Rolf Zöllner
Die Solinger Kirchengemeinde, die sei März einem zum Christentum konvertierten Iraner Kirchenasyl gewährt und am 7. Januar seine Abschiebung verhinderte, hat Rückendeckung vom rheinischen Präses Manfred Rekowski bekommen.

"Nach Auskunft des Gemeindepfarrers haben 200 Menschen eine Andacht gefeiert und die Mitarbeiter des Ausländeramts mit Kerzen in der Hand empfangen", sagte Rekowski dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bad Neuenahr. "Ich sehe nichts, was daran zu beanstanden wäre, im Gegenteil: Die Gemeinde bleibt sich an dieser Stelle treu."

"Gemeinde bleibt sich an dieser Stelle treu"

"Kirchenasyl bedeutet ja keinen Rechtsbruch, sondern ermöglicht in bestimmten Fällen, einen Aufschub zu erhalten, um Fälle noch einmal zu prüfen", betonte der Theologe, der auch Vorsitzende der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. "Die hohe Zahl erfolgreicher Überprüfungen, die ein Bleiberecht für die Betroffenen nach sich gezogen haben, spricht sehr für das Kirchenasyl." Im Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland gibt es nach Rekowskis Worten aktuell 65 Fälle von Kirchenasyl, davon 61 in NRW. "In Relation zu den hier lebenden Geflüchteten ist das nach wie vor ein kleiner Prozentsatz."

Der 28-jährige Iraner, der seit rund zehn Monaten im Kirchenasyl der evangelischen Luther-Gemeinde in Solingen lebt, war 2016 über Frankreich nach Deutschland gekommen. Er befürchtet in seiner Heimat Verfolgung oder sogar die Todesstrafe, weil er zum Christentum konvertiert ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat seinen Asylantrag bereits abgelehnt und seine Abschiebung nach Frankreich angeordnet. Dort bestehe die Gefahr, dass der Mann zügig in den Iran abgeschoben werde, befürchtet die Gemeinde.

Kreis Wesel kündigt zweiten Abschiebeversuch an

Der im Solinger Fall zuständige Kreis Wesel hat unterdessen angekündigt, einen zweiten Abschiebeversuch zu unternehmen. Sobald ein konkreter Flugtermin vorliege, werde ein Durchsuchungsbeschluss für die Gemeinderäumlichkeiten beantragt. Die Gemeinde werde den Mitarbeitern der Ausländerbehörde den Zugang nicht verwehren, wenn sie mit einem Durchsuchungsbeschluss kommen, betonte ein Sprecher der Gemeinde am Mittwoch auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd). "Es wird keine Aktion des Ungehorsams geben, wenn staatliche Behörden mit einem Durchsuchungsbeschluss vor unserer Tür stehen. Das Kirchenasyl ist kein rechtsfreier Raum."



Solinger Kirchenasyl: Ökumenisches Netzwerk warnt vor Eskalation

Das Ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche in NRW hat das Verhalten der Solinger Gemeinde im Fall eines jungen Iraners im Kirchenasyl als mutig und entschlossen gewürdigt. Es stimme den Verein sehr hoffnungsfroh, wenn sich Menschen solidarisch zeigten und beherzt für Flüchtlinge einträten, erklärte Benedikt Kern von dem ökumenischen Verein am 11. Januar in Münster. Zugleich warnte das Netzwerk vor einer weiteren Stufe der Eskalation, sollte die Ausländerbehörde des zuständigen Kreises Wesel einen erneuten Abschiebeversuch mit einem Durchsuchungsbeschluss unternehmen.

Der Kreis hatte angekündigt, einen entsprechenden Beschluss zu beantragen, sobald ein konkreter Flugtermin vorliege. Die Solinger Kirchengemeinde, die seit März einem zum Christentum konvertierten Iraner Kirchenasyl gewährt, hatte am 7. Januar seine Abschiebung durch Mitarbeiter der Ausländerbehörde verhindert. Mehr als 200 Menschen hatten mit Kerzen und einer Andacht ihre Unterstützung für den 28-Jährigen zum Ausdruck gebracht.

Die geplante Abschiebung widerspreche den Vereinbarungen mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) und den wiederholten Zusagen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums, nach denen Kirchenasyle geachtet werden sollen, kritisierte Benedikt Kern vom Ökumenischen Netzwerk Asyl. Der Verein, der Betroffene und Gemeinden zum Kirchenasyl berät, appellierte an die schwarz-gelbe Landesregierung, eine Eskalation der Situation zu verhindern. Kern rief weitere Gemeinden dazu auf, "Zeichen der Solidarität zu setzen und gegen die Räumung von Kirchenasylen zu protestieren".



Zahl der Asylanträge sinkt 2018 auf knapp 186.000

Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist 2018 weiter zurückgegangen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums vom 13. Januar wurden im vergangenen Jahr insgesamt 185.853 Asylanträge gestellt. Das sind 16,5 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Jahr 2017 waren es 222.683 Anträge. Zuerst hatte die "Bild am Sonntag" über die Zahlen berichtet. Eine Sprecherin des Ministeriums sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), 2018 seien 161.931 Erstanträge auf Asyl gestellt worden - und 23.922 Folgeanträge.

Der für Migration und Rückführung zuständige Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Helmut Teichmann, geht von einer Trendwende aus. "Wir sehen seit dem Höhepunkt der Flüchtlingslage im Herbst 2015 einen kontinuierlichen Rückgang des Zugangsgeschehens nach Deutschland", sagte er der "Bild am Sonntag". Ursächlich dafür sei auch der "Masterplan Migration". 2015 waren rund 890.000 Flüchtlinge gekommen.

Die Zahl der Erstanträge auf Asyl 2018 liegt damit unter der im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbarten Obergrenze von jährlich 180.000 bis 220.000 Flüchtlingen. In diesem Korridor werden auch Aufnahmen aus humanitären Gründen und über Resettlement-Programme mitgezählt, sowie Menschen, die durch Familiennachzug nach Deutschland kommen. Bis Ende 2018 wurden nach Angaben des Ministeriums 3.260 Anträge auf Familiennachzug bewilligt und 2.612 Visa dafür erteilt.



Asyldebatte: Diakonie beklagt Fokus auf Rückkehr statt Integration

Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) hat einen stärkeren Blick auf Integrationsmöglichkeiten für Flüchtlinge angemahnt. "Diese starke Fokussierung auf Rückkehr statt Integration besorgt und ärgert uns", erklärte Vorstand Christian Heine-Göttelmann am 11. Januar in Düsseldorf. Die Parteien der Mitte hätten sich auch durch den Druck von der AfD und CSU ein Stück nach rechts bewegt. Er wies darauf hin, dass jeder Asylbewerber ein individuelles Recht auf Asyl habe, das zunächst geprüft werden müsse, bevor die Rückkehr empfohlen werde.

In der Flüchtlingsdebatte plädierte Heine-Göttelmann für mehr sachliche Aufklärungsarbeit. "Eine wirkliche Verdrängung in den Sozialsystemen beobachten wir nicht", betonte er. "Kein Arbeitsloser, kein Jugendlicher bekommt weniger Unterstützung, weil Flüchtlinge da sind."

Konkurrenzen gebe es aber, vor allem auf dem angespannten Wohnungsmarkt. Die Wohnungsnot sei zur neuen sozialen Frage geworden, erklärte der Diakonie-Vorstand und forderte einen nationalen Plan gegen Wohnungslosigkeit sowie mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau. "Auch Kirche und Diakonie können hier mit eigenen Grundstücken und Kapital ein Vorbild sein und bezahlbaren Wohnraum schaffen und fördern", erklärte er.



36 Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben

Deutschland hat erneut Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben. In dem vom Bundesinnenministerium organisierten Flugzeug befanden sich demnach insgesamt 36 abgelehnte afghanische Asylbewerber, wie das Bayerische Landesamt für Asyl und Rückführungen am 8. Januar mitteilte. 23 der abgeschobenen Menschen hielten sich zuletzt in Bayern auf, darunter zwölf rechtskräftig verurteilte Straftäter. Neben Bayern beteiligten sich Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, das Saarland, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein an der Abschiebung. Das Flugzeug landete den Angaben zufolge am Dienstagmorgen in Kabul.

Der Flug war die inzwischen 20. Sammelabschiebung nach Afghanistan seit Dezember 2016. Seitdem wurden mehr als 430 Menschen per Sammelcharter nach Afghanistan gebracht.

Unter den von München aus Abgeschobenen sei auch ein afghanischer Flüchtling gewesen, der zum Christentum konvertiert war, kritisierte der Bayerische Flüchtlingsrat und bezeichnete seine Ausweisung als "Todesurteil für den Betroffenen". Die Flüchtlingshelfer halten Afghanistan für nicht sicher und weisen darauf hin, dass sich bewaffnete Konflikte dort zuspitzen.

Nach der Einschätzung des Auswärtigen Amtes und des Bundesinnenministeriums sind Abschiebungen nach Afghanistan generell möglich. Die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin hätten ausdrücklich bestätigt, dass sie wieder ohne Einschränkung zulässig seien, erklärte das Landesamt für Asyl und Rückführungen.



Neues Seenotrettungsboot wird in Düsseldorf getauft

Das neueste Seenotrettungsboot der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) wird im Binnenland getauft, bevor es an der Ostsee in Dienst genommen wird. Die Bootstaufe soll am Eröffnungstag der weltgrößten Wassersportmesse "boot" am 19. Januar in Düsseldorf stattfinden, wie die Seenotretter in Bremen ankündigten. Auf der neuntägigen Messe will die Organisation das neueste Spezialschiff ihrer Rettungsflotte präsentieren.

Eine Rostocker Werft hat das gut zehn Meter lange Seenotrettungsboot gebaut, dessen Name erst bei der Bootstaufe bekanntgegeben wird. Finanziert wurde es den Angaben zufolge aus dem Nachlass eines passionierten Seglers. Nach dem Ausflug nach Düsseldorf wird das Schiff in sein endgültiges Einsatzgebiet an der Kieler Förde gebracht. Stationiert wird es im Olympiahafen Kiel-Schilksee.

Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger ist für den Such- und Rettungsdienst an der deutschen Nord- und Ostsee zuständig. Die Besatzungen der rund 60 Seenotrettungskreuzer und -boote fahren nach Angaben der Organisation im Jahr mehr als 2.000 Einsätze.



Universität Bielefeld qualifiziert erneut geflüchtete Lehrkräfte

An der Universität Bielefeld startet erneut ein einjähriges Qualifizierungsprogramm für 25 Lehrer, die aus ihren Heimatländern fliehen mussten. Interessenten können sich bis zum 28. Februar an der Universität Bielefeld bewerben, wie die Universität Bielefeld am 10. Januar mitteilte. In dem Programm "Lehrkräfte Plus" sollen sie ihre Sprachkenntnisse ausbauen sowie fachliches und didaktisches Wissen vertiefen. Zudem hospitieren sie an Schulen. Zum Abschluss erhalten die Teilnehmer ein Zertifikat für die einzelnen absolvierten Lerneinheiten. Das Programm startet im September.

Als Voraussetzungen müssen die Teilnehmer einen Lehramtsabschluss im Heimatland, Berufserfahrung und gute Deutschkenntnisse mitbringen. Die Bertelsmann Stiftung fördert das Projekt. Das Programm ist eine Kooperation mit dem nordrhein-westfälischen Schulministerium und der Landeskoordinierungsstelle der Kommunalen Integrationszentren NRW.




Gesellschaft

"Soldat ist kein Job wie jeder andere"


Ein Wachbataillon übt das Marschieren.
epd-bild/Rolf Zöllner
Dutzende Bundeswehr-Soldatinnen und -Soldaten stellen jedes Jahr einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung, können und wollen keinen Dienst mehr an der Waffe tun. So ging es auch Helena Kaiser. Sie sagt: Auch die Anwerbe-Praxis der Armee hat Schuld.

Helena Kaiser atmet tief aus. Es ist kein Seufzer, eher ein erleichtertes Innehalten. "Ich hatte wirklich großes Glück", sagt die junge Frau, die in Wirklichkeit anders heißt. Noch immer wirkt vieles von dem, was vor knapp zwei Jahren geschehen ist, surreal auf die heute 29-Jährige.

Der Morgen des 21. Februar 2017 ist grau und nieselregennass. Helena Kaiser hat einen Termin beim Verwaltungsgericht Würzburg. Vor Verhandlungsbeginn wieselt sie unruhig vom einen Ende des Gangs zum anderen. Die junge Frau ist Ärztin. Und Zeitsoldatin, hatte sich für 17 Jahre verpflichtet. Doch das kann sie nicht mehr, sagt sie. Sie will weg von der Bundeswehr.

Verhandlung am Verwaltungsgericht

Zwei Jahre später ist für Kaiser alles anders. "Es geht mir richtig gut", sagt sie. Heute arbeitet sie als Klinikärztin in Süddeutschland. An jenem Februarmorgen hatte der Richter direkt am Tag ihrer Verhandlung eine Entscheidung gefällt und auch verkündet: Helena Kaiser wird als Kriegsdienstverweigerin anerkannt.

Als seine Worte fallen, bricht ein lautes Schluchzen aus der Soldatin heraus - sie weint vor Erleichterung. Die Bundesrepublik Deutschland legt keine Beschwerde gegen das Urteil ein, Ende März ist es rechtskräftig.

Helena Kaiser ist nicht die Einzige: Im Jahr 2017 sind beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) 174 Anträge von Soldaten und Reservisten auf Kriegsdienstverweigerung eingegangen, 2016 waren es 214, 2015 noch 244.

Aus dem Bundesverteidigungsministerium gibt es ganz ähnliche Zahlen - inklusive der Zusatzinformationen, in wie vielen Fällen die Anträge auch erfolgreich waren. Der prozentuale Anteil sinkt: Wurden 2012 mehr als 80 Prozent der 429 Kriegsdienstverweigerungs-Anträge von Zeitsoldaten anerkannt, seien es 2018 noch gerade 42 Prozent gewesen. Die größte Gruppe der Kriegsdienstverweigerer machten die Soldatinnen und Soldaten aus der Gruppe der Gesundheitsberufe wie Sanitäter und Ärzte aus, erläutert eine Sprecherin des Bundesverteidigungsministeriums.

Tod des Vaters ließ Helena Kaiser Berufswahl überdenken

Eine von ihnen war Helena Kaiser. Sie, deren Vater Berufssoldat war. Die der deutschen Armee bei ihrer Verpflichtung ziemlich unvoreingenommen gegenüberstand - und inzwischen vieles ganz anders sieht. Im Sommer 2009 absolvierte sie ihre dreimonatige Grundausbildung, die Bundeswehr schickte sie nach Würzburg zum Medizinstudium. "Parallel dazu hatten wir immer wieder einzelne Veranstaltungen bei der Bundeswehr", erzählt sie. Sie musste Sportabzeichen machen, Offizierslehrgänge besuchen und auf den Schießstand. 2013 starb ihr Vater, nicht im Einsatz, doch: "Ich bin zum ersten Mal wirklich mit dem Tod konfrontiert worden."

Das habe viel in ihr ausgelöst, erzählt sie. Zunehmend habe sie auch den Dienst an der Waffe infrage gestellt. "In den Anwerbegesprächen wurde immer gesagt: Naja, Sie müssen ja eigentlich keinen Dienst an der Waffe tun - nur, wenn sie sich selbst oder ihre Patienten im Einsatz schützen müssen", erzählt die junge Frau. Nur hatte das wenig mit dem zu tun, was erfahrene Ärzte ihr aus Einsätzen berichteten. Rückblickend sagt sie: "Ich finde es ungeheuerlich, dass sich jemand mit gerade mal 18 Jahren für 17 Jahre verpflichtet." Diesen Zeitraum könne kein junger Mensch wirklich überblicken, seine Entwicklung nicht vorhersehen.

Rund 59.000 Euro muss Helena Kaiser der Bundeswehr nach ihrem Ausscheiden für die Ausbildungskosten zahlen. "Ich habe damit gerechnet", sagt sie. Trotzdem startete sie verschuldet ins Berufsleben: "Aber das war und ist mir meine Freiheit wirklich wert."

Evangelische Arbeitsgemeinschaft äußert Kritik

Fälle wie ihren kennt Wolfgang Buff zuhauf. Er ist Referent für Friedensbildung der beiden evangelischen Landeskirchen in Hessen und Vorsitzender der bundesweiten Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK). Der 62-Jährige wirft der Bundeswehr unlauteres Verhalten vor, wenn sie 18-Jährige für 17 Jahre Dienstzeit verpflichte: "Die Leute, die sich darauf einlassen, sind nicht dumm. Die Bundeswehr argumentiert eher 'knapp an der Wahrheit vorbei'." Eine Karriere bei der Armee werde als ein Job wie jeder andere verkauft: "Aber das ist er nicht. Man kann nämlich nicht kündigen."

In Anwerbegesprächen würden Dinge wie Auslandseinsätze entweder nur am Rande oder auch gar nicht erwähnt, kritisiert Buff. Dem widerspricht das Bundesverteidigungsministerium: Man gehe "transparent und offen mit den Themen Einsätze, Verwundung und auch Tod" bei Anwerbungen um, erklärt eine Sprecherin.

Helena Kaiser sagt: "Es hieß am Anfang immer: Deine Waffe musst Du nie einsetzen. Bis mir erfahrene Bundeswehr-Ärzte gegen Ende des Studiums sagten: Klar, Du gehst ja auch mit auf Patrouille." Nicht einmal ihr Vater habe offen mit ihr darüber gesprochen, was sie erwarte, als sie sich verpflichtete.

Ende Februar, wenn sich ihre Gerichtsentscheidung zum zweiten Mal jährt, wird Helena Kaiser wieder besonders an ihre Zeit bei der Bundeswehr denken. Und an eine Unterschrift, die ihr Leben verändert hat.

Daniel Staffen-Quandt (epd)


Kretschmann: Religion in Öffentlichkeit ist wünschenswert

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält Religion in der Öffentlichkeit nicht nur für tolerabel, sondern für wünschenswert. "Religionsgemeinschaften bilden das Werte-Fundament auf dem der Staat überhaupt erst existieren kann", sagte der Ministerpräsident am 10. Januar in Mannheim. Denn der Staat an sich habe keinen moralischen Kompass.

Zudem entziehe sich der Staat zwar einer Bewertung des Religiösen, erkenne aber die gesellschaftsrelevante Bedeutung der Kirchen und Religionsgemeinschaften an. "Identifikation entsteht erst durch Gemeinschaft", erklärte der Grünen-Politiker. Aus diesem Grund schützte der Staat die kooperativen Gemeinschaften zur Ausübung von Religion im öffentlichen Raum. "Es wäre ein fataler Fehler, Religion aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen", sagte der Katholik.

Allerdings dürfe sich der Staat nicht in das religiöse Bekenntnis des Einzelnen einmischen. "Bei dieser allerpersönlichsten Entscheidung hat der Staat nichts verloren. Da ist Religion Privatsache", erklärte der Ministerpräsident.

Insgesamt befände sich das Christentum, das Religiöse, heutzutage in einem Spannungsfeld. Auf der einen Seite verliere die Kirche an Kraft für die persönliche Lebensgestaltung vieler Menschen. "Wir sehen das zum Beispiel an den rückläufigen Nachfrage nach Taufen und Hochzeiten", sagte der Ministerpräsident. Auf der anderen Seite habe sich die Religionslandschaft stark pluralisiert. "Es gibt zahlreiche Religionslose, aber auch viele Migranten, die ihre Religion mitgebracht haben und danach leben", sagte er.

Die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen Mannheim (ACK) hatte den Ministerpräsidenten anlässlich des Jubiläumsjahres "70 Jahre Grundgesetz" zu einem Vortrag über das Verhältnis von Staat und Kirche eingeladen. Mitglieder der ACK Mannheim sind die Alt-Katholische Kirche, die Evangelische Kirche, die Römisch-Katholische Kirche, die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde (Baptisten), die Evangelisch-Lutherische, die Evangelisch-Methodistische Kirche und die Griechisch-Orthodoxe Kirche.



"Toleranz-Wagen!" rollt beim Düsseldorfer Rosenmontagszug

Erstmals wird am 4. März beim Rosenmontagszug durch Düsseldorf ein gemeinsamer interreligiöser Wagen durch die Straßen ziehen. Juden, Protestanten, Katholiken und Muslime stellten am 9. Januar den Entwurf zum "Toleranz-Wagen!" von Wagenbauer und Künstler Jacques Tilly vor. "Wir wollten und konnten nicht Nein sagen zu dem interreligiösen Projekt im Karneval", sagte der evangelische Pfarrer Martin Fricke, Synodalassessor des Kirchenkreises Düsseldorf.

"Es ist das erste Mal, dass die vier großen Religionsgemeinschaften gemeinsam in die Öffentlichkeit gehen, um für Toleranz zu werben", betonte der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise, bei der Präsentation des Entwurfs in der Synagoge. Zu sehen sind auf blauem Hintergrund lachende Geistliche der vier Religionsgemeinschaften, zusammen mit den Symbolen der Religionen und lokalen Gotteshäusern. Dies sind die Düsseldorfer Synagoge, die evangelische Johanneskirche, die katholische Lambertuskirche sowie die im Entstehen befindliche Moschee im Stadtteil Reisholz. Über allem schwebt das Sessionsmotto Düsseldorfs: "Gemeinsam jeck".

"Judentum und Karneval gehörten bislang in Deutschland und in Düsseldorf nicht unbedingt zusammen", sagte Szentei-Heise. Der Geschäftsführer der drittgrößten Jüdischen Gemeinde in Deutschland erinnerte daran, dass im Jahr 1922 in Köln ein erster jüdischer Karnevalsverein gegründet worden war. Schon ein Jahr später, 1923, und damit zehn Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurde der Verein in Köln verboten.

In Zeiten wie diesen, mit zunehmendem Antisemitismus, aber auch mit Islam- und Christenfeindlichkeit wolle man damit "ein Zeichen setzen, dass wir zusammen Karneval feiern und gemeinsam Spaß haben können", erklärte Dalinc Dereköy vom Verband der Düsseldorfer Muslime. Der hatte sich erst am vergangenen Dienstagabend mit großer Mehrheit für die Teilnahme ausgesprochen.

Crowdfunding zur Finanzierung

Um den Wagen mit Gesamtkosten in Höhe von bis zu 65.000 Euro zu finanzieren, wurde ein Crowdfunding gestartet. Zwei Tonnen Wurfmaterial sollen ins närrische Volk geworfen werden. Darunter auch eine halbe Tonne koschere Kamellen, die die Jüdische Gemeinde bereitstellt.

Zum Thema Alkohol und Muslime meinte der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde: "Das Alkohol-Problem der Muslime kennen wir. Wir haben es auch gelöst. Die kriegen keinen. Umso mehr bleibt für die Angehörigen der anderen Religionen auf dem Toleranz-Wagen übrig."



Ditib mit neuem Vorstand

Als Reaktion auf anhaltende Kritik hat der türkische Islamverband Ditib einen neuen Vorsitzenden gewählt. Der Theologe Kazim Türkmen folgt als Vorstandsvorsitzender auf Nevzat Yasar Asikoglu, wie die Ditib am 7. Januar in Köln mitteilte. Türkmen gehörte zuletzt nicht dem Vorstand an, war aber in der Vergangenheit bereits als Buchhalter für den Islamverband tätig.

Die Ditib erklärte, man wolle mit der Neuwahl des Vorstandes "die seit nahezu drei Jahren andauernden Debatten entschärfen und einen Neuanfang starten". Dabei werde die staatliche türkische Religionsbehörde Diyanet "der Ditib als Quelle ihrer spirituellen, geistigen und religiösen Referenz auch weiterhin eine wichtige Stütze sein". Die Ditib steht wegen ihrer engen Verbindung zum türkischen Staat immer wieder in der Kritik.

Stellvertretender Vorsitzender bleibt der Theologe Ahmet Dilek. Die bisherige Generalsekretärin Emine Secmez wird von ihrem Stellvertreter Abdurrahman Atasoy abgelöst und nimmt nun selbst den Posten der Vize-Generalsekretärin ein. Neu in den Vorstand gewählt wurden die stellvertretende Vorsitzende des Ditib-Landesverbandes NRW, Sümeyye Öztürk Mutlu, und der Vorsitzende des Ditib-Landesverbandes Baden-Württemberg, Erdinc Altuntas. Der neue Vorstand will sich den Angaben zufolge im Januar auf einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellen.

Versäumnisse eingeräumt

Die Ditib beklagte am 7. Januar "zum Teil weit über das Maß der Kritik hinausgehende und zum Teil ungerechtfertigte Angriffe" in der öffentlichen Debatte. Zugleich räumte der Verband aber auch "zum Teil berechtigte Kritik an der Ditib wie auch Versäumnisse der Ditib" ein. Konkrete Beispiele nannte der Verband nicht.

Die Ditib kündigte an, künftig ihre "Verantwortung als Religionsgemeinschaft" in das Zentrum ihrer Arbeit zu stellen und die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts voranzutreiben. In Hessen und NRW seien die Satzungen der Landes- und Regionalverbände bereits dahingehend geändert worden, "dass sie die notwendige Selbstständigkeit ohne jeden Zweifel erfüllen", hieß es. Dies sei nötig, um dort auch künftig Träger des islamischen Religionsunterrichts zu sein.

Auch in den anderen Bundesländern wolle die Ditib ihren Beitrag beim Religionsunterricht und bei den Standorten für Islamische Theologie leisten, erklärte der Verband. Als weitere Tätigkeitsfelder nannte er unter anderem eine Professionalisierung der Wohlfahrtsarbeit und die Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe muslimischer Frauen.

Vom 2. bis 4. Januar hatte es in Köln auf Einladung von Ditib und Diyanet ein Treffen europäischer Muslime mit rund 100 Teilnehmern aus 17 Ländern gegeben. Laut Medienberichten sollen mit Kahled Hanafy, Hussein Halawa und Ibrahim El-Zayat Teilnehmer vor Ort gewesen sein, die den Muslimbrüdern und damit radikalen Islamisten zugerechnet werden. Die Ditib bestätigte deren Teilnahme nicht und erklärte lediglich, dass "Vertreter von konservativeren bis hin zu moderneren Auslegungen des Islams" anwesend waren. Das NRW-Innenministerium hält die offensichtliche Nähe zwischen Ditib und Muslimbruderschaft, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, für bedenklich.



Ehemaliger KZ-Aufseher Palij in Altenheim in Ahlen gestorben

Fünf Monate nach seiner Abschiebung aus den USA ist Jakiv Palij im Alter von 95 Jahren im Münsterland gestorben. Deutschland und die USA hatten jahrelang um den Umgang mit dem Mann gerungen, der Aufseher im NS-Arbeitslager Trawniki war.

Der ehemalige KZ-Aufseher Jakiv Palij ist tot. Er starb am 9. Januar im Alter von 95 Jahren in einem Altenheim im münsterländischen Ahlen, wie die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am 10. Januar meldete. Die Information wurde dem Evangelischen Pressedienst (epd) bestätigt. Der staatenlose Palij war im August vergangenen Jahres aus den USA nach Deutschland abgeschoben worden.

Der Mann, der nach Angaben der US-Regierung Aufseher im NS-Arbeitslager Trawniki im besetzten Polen war, lebte nach dem Zweiten Weltkrieg im New Yorker Stadtteil Queens. Deutschland und die USA hatten jahrelang um den Umgang mit Palij gerungen. Die Vereinigten Staaten hatten seit 2004 versucht, Palij abzuschieben.

Der gebürtige Pole, der auf dem Gebiet der heutigen Ukraine geboren wurde, war 1949 in die USA emigriert und 1957 amerikanischer Staatsbürger geworden. Weil er falsche Angaben zu seiner Beteiligung an NS-Kriegsverbrechen gemacht hatte, wurde ihm 2003 die US-Staatsbürgerschaft entzogen und 2004 seine Abschiebung angeordnet.

Keine strafrechtlichen Ermittlungen

In Deutschland liefen gegen Palij bei seiner Überstellung keine strafrechtlichen Ermittlungen. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft Würzburg in der Vergangenheit gegen Palij ermittelt, diese Ermittlungen waren aber aus Mangel an Beweisen eingestellt worden, wie die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg erklärte.

Palij wurde US-Angaben zufolge im SS-Ausbildungslager Trawniki ausgebildet. Aus Gerichtsunterlagen gehe hervor, dass dort ausgebildete Männer an der "Aktion Reinhard" zur Ermordung der Juden in Polen beteiligt gewesen seien. Zudem sei Palij im benachbarten Arbeitslager Trawniki als bewaffneter Aufseher tätig gewesen. Als solcher habe er die Flucht jüdischer Gefangener verhindert und somit eine entscheidende Rolle dabei gespielt, dass dort am 3. November 1943 etwa 6.000 Juden erschossen wurden.



Besucherrekord bei "Topographie des Terrors"


Ausstellung im Dokumentationszentrum "Topographie des Terrors" in Berlin
epd-bild/Rolf Zöllner

Die Berliner Stiftung "Topographie des Terrors" hat im vergangenen Jahr mehr als 1,38 Millionen Besuchern gezählt und damit einen Rekord erreicht. Das waren mehr als 200.000 Besucher zusätzlich gegenüber dem bisherigen Rekordjahr 2014, wie die Stiftung am 10. Januar in Berlin mitteilte. Besucherstärkster Tag war mit rund 6.800 Gästen der 30. Dezember. Im September vergangenen Jahres wurde der 15-millionste Gast seit Präsentation der ersten Ausstellung im Juli 1987 begrüßt.

Das zur Stiftung gehörende Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide steigerte nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr seine Besucherzahlen um fast 25 Prozent auf 15.500.

Auf dem 4,5 Hektar großen Gelände der "Topographie des Terrors" direkt neben dem Martin-Gropius-Bau im Zentrum Berlins befand sich zwischen 1933 und 1945 das Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) und der SS-Führung. Heute informiert dort unter anderem eine Dauerausstellung über den NS-Terrorapparat.

Die Stiftung plant für dieses Jahr unter anderem eine Sonderausstellung über das Reichsarbeitsministerium. Ab April sollen die Ergebnisse einer Unabhängigen Historikerkommission präsentiert werden. Die Kommission erforscht seit 2014 die Geschichte des Ministeriums. Die Ausstellung soll am 2. April von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eröffnet werden.



Dortmunder Bündnis will antisemitische Hetze bekämpfen

Der Dortmunder Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus will verstärkt gegen antisemitische Hetze vorgehen. Rechtsextreme hätten im vergangenen Jahr bei Demonstrationen in der Stadt immer wieder mit Äußerungen wie "Wer Deutschland liebt, ist Antisemit" provoziert, sagte der Sprecher des Arbeitskreises Friedrich Stiller am 11. Januar in Dortmund: "Wir können die Hetzparolen nicht unwidersprochen hinnehmen."

Dazu will sich der Arbeitskreis, dem Organisationen aus Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Verbänden angehören, in diesem Jahr an die Staatsanwaltschaft wenden. "Wir wollen gemeinsam mit Vertretern der Justiz gucken, was passieren muss, um solchen Parolen etwas entgegenstellen zu können", betonte der evangelische Pfarrer. Antisemitische Hetze dürfe in gewissen Konstellationen nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt werden.

Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds in Dortmund, Jutta Reiter, warnte, dass sich durch rechtspopulistische Hetze die Grenzen des Sagbaren verschöben. Auch wenn manche Äußerungen strafrechtlich nicht verfolgt würden, müssten sich die Dortmunder Bürger und Bürgerinnen fragen, ob sie eine solche Veränderung akzeptieren wollen.

Das vergangene Jahr bewertete der Arbeitskreis insgesamt als unruhig. Die rechtsextreme Szene organisierte demnach mehr als hundert Veranstaltungen in der Stadt. Mit einem weiteren Hauskauf und der Eröffnung eines Cafés im Stadtteil Dorstfeld hätten sich zudem die Wohnstrukturen der Partei "Die Rechte" verfestigt. "Die Rechte" verfügt im Dortmunder Stadtrat über einen Sitz.

Zum Engagement der Zivilgesellschaft gegen Rechts sagte Stiller, in Dortmund habe es allein im zweiten Halbjahr des vergangenen Jahres zehn Protestveranstaltungen gegeben. "Die Behauptung, dass es in der Stadt zu wenig demokratischen Widerstand gibt, ist falsch", betonte der Pfarrer.



Hamers: Ton im Düsseldorfer Landtag ist rauer geworden

Der Direktor des katholischen Büros Nordrhein-Westfalen, Antonius Hamers, beklagt einen zunehmend "rauen Ton" im Düsseldorfer Landtag. Die politischen Debatten hätten an Schärfe zugenommen, sagte Hamers der katholischen Wochenzeitung "Kirche + Leben" in Münster. "Mir fällt auch auf, dass Frauen am Rednerpult größere Schwierigkeiten bekommen, sich gegen die teils heftigen Zwischenrufe von männlichen Abgeordneten mit ihren meist deutlich kräftigeren Stimmen durchzusetzen."

Nach den gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz vergangenen Sommer sei in einer Plenarsitzung "ziemlich geholzt worden", kritisierte der katholische Priester und Jurist. Darauf habe er bewusst die Vertreter aller Parteien angesprochen. Die AfD ist nach Einschätzung von Hamers im NRW-Landtag nicht so prägend wie im Bundestag, weil sie mit deutlich weniger Abgeordneten vertreten sei. Das Katholische Büro NRW ist die Kontaktstelle der Bistümer Köln, Paderborn, Münster, Aachen und Essen zu Landtag, Landesregierung und Parteien. Der Beauftragte der drei evangelischen Landeskirchen in NRW bei Landtag und Landesregierung ist Thomas Weckelmann.

Wöchentlich ökumenische Andacht

Die evangelische und die katholische Vertretung beim Land arbeiten nach Worten von Hamers in den weitaus meisten Fragestellungen sehr eng zusammen und entwickelten gemeinsame Strategien. "Das wird zunehmend auch von politischer Seite so erwartet", betonte der Leiter des Katholischen Büros. Der Schärfe in den Debatten versuchten sie mit ihrer wöchentlichen ökumenischen Andacht ein wenig entgegenzuwirken, sagte Hamers. "Daran nehmen immer rund 50 Abgeordnete teil, aus allen Fraktionen." In der aktuell 17. Wahlperiode gibt es laut Landesregierung im Düsseldorfer Landtag 199 Abgeordnete. 72 davon gehören zur Fraktion der CDU, 69 zur SPD, 28 zur FDP, 14 zu den Grünen und 13 Abgeordnete bilden die Fraktion der AfD. Drei Abgeordnete sind fraktionslos.



Kanzlerin Merkel empfängt Sternsinger


Kanzlerin Merkel hat Sternsinger empfangen.
epd-bild / Rolf Zöllner
Kinder und Jugendliche aus allen 27 katholischen Diözesen kamen nach Berlin, um der Bundeskanzlerin den Segen der Sternsinger zu überbringen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am 7. Januar mehr als 100 Sternsinger im Kanzleramt empfangen. Traditionell kamen Kinder und Jugendliche aus allen 27 katholischen Diözesen nach Berlin, um der Kanzlerin den Segen zu überbringen. Die Sternsinger sammeln Spenden für benachteiligte Kinder in der ganzen Welt. Der Schwerpunkt bei der laufenden Sammlung liegt auf der Hilfe für behinderte Kinder. Im Fokus steht das Land Peru.

Die meisten Menschen mit Behinderung würden in Entwicklungsländern leben, sagte Merkel. Oft könnten sie dort nicht in die Schule gehen, würden in Heime gebracht und aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Deshalb sei es wichtig, diese Menschen in den Fokus zu stellen. Auch in Deutschland sei bei der Barrierefreiheit noch einiges zu tun, sagte sie.

Merkel würdigte das Engagement der Sternsinger. Deren Anwesenheit im Kanzleramt sei jedes Jahr etwas Besonderes, sagte sie. Sie hob die Musik und Fröhlichkeit hervor. "Das haben wir nicht alle Tage", sagte die Kanzlerin, bevor sie ihre Spende an die Kinder übergab.

Beim Sternsingen ziehen Kinder von Haus zu Haus, sammeln Spenden und bringen den Schriftzug "C+M+B" an. Die Buchstaben stehen für "Christus mansionem benedicat" (Christus segne dieses Haus). Seit 1984 kommen die Sternsinger nach Angaben der Bundesregierung ins Kanzleramt. Bundeskanzlerin Merkel empfing sie in diesem Jahr zum 14. Mal. Am Sonntag waren bereits Sternsinger bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Mehr als 10.000 Gemeinden und Einrichtungen beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter jährlich an der Aktion Dreikönigssingen. 2018 wurden 48,8 Millionen Euro an Spenden gesammelt.



KMK-Chef Holter: Lehrerberuf verdient mehr Wertschätzung

Der scheidende Präsident der Kultusministerkonferenz der Länder, Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke), hat vor dem Hintergrund des Lehrermangels ein Umdenken in Politik und Gesellschaft angemahnt. "Der Lehrerberuf verdient insgesamt mehr Wertschätzung", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Erfurt. Junge Menschen sollten ermuntert werden, diesen Beruf zu ergreifen, "mit all der Verantwortung, die dazu gehört". Der 65-jährige gebürtige Mecklenburger übergibt am 28. Januar die KMK-Präsidentschaft an seinen hessischen Kollegen Alexander Lorz (CDU).

Holter sieht die Thematisierung des Lehrerbedarfs als einen Erfolg seiner Amtszeit. Die Bildungsminister seien ein gutes Stück vorangekommen, in den Landeshaushalten entsprechende Investitionen zu veranlassen. Zufrieden zeigte er sich auch mit dem Beschluss zur Demokratiebildung. Auch hätten alle Amtskollegen deutlich gemacht, dass sich Lehrkräfte nicht von Rechtspopulisten einschüchtern lassen sollten. "Sie sollen offensiv die Werte unseres Grundgesetzes vermitteln. Dabei hat jede Lehrerin und jeder Lehrer die volle Solidarität der Kultusministerkonferenz", unterstrich der Minister.

Kritik an Teilen der Föderalismusreform

Als Misserfolg nannte er die Nicht-Unterzeichnung des Digitalpaktes. Die Bildungsminister hätten - eingeschlossen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) - ihre Hausaufgaben gemacht. Unmittelbar vor der Ziellinie sei dann durch die Haushaltspolitiker des Bundes unabgesprochen ein zusätzlicher Passus in die Grundgesetzänderung eingefügt worden, den die Länder nicht mittragen könnten. Er hoffe auf eine Einigung noch im Frühjahr. "Diese erneute Verzögerung ist über den Digitalpakt hinaus ärgerlich, denn solche Vorgänge zerstören das Vertrauen von Menschen in Politik", erklärte der Linken-Politiker.

Kritik übte er auch an Teilen der Föderalismusreform. Dafür, dass ein verbeamteter Lehrer in Bayern deutlich mehr verdiene als in Thüringen, mache er dem Freistaat im Süden keinen Vorwurf. Er freue sich für die Lehrerinnen und Lehrer dort und auch über starke Gewerkschaften, die diese Ergebnisse aushandelten. "Aber natürlich würde ich mir wünschen, dass wir im Osten auch die Möglichkeit hätten, solche Gehälter zu zahlen und damit junge Lehramtsabsolventen hier zu halten", fügte er hinzu. Das sei ein Grundproblem, "über das wir reden müssen".

Bewegung sieht Thüringens Bildungsminister auf dem Weg zu vergleichbaren Schulabschlüssen in Deutschland. Für das Abitur habe die KMK einen gemeinsamen Aufgabenpool beschlossen, der ab 2021 für alle Länder verbindlich sei. Im Moment könne er noch durch eigene Aufgaben ergänzt werden. "Der Weg hin zu einem einheitlichen Abitur kann nur Schritt für Schritt gegangen werden. Ich halte ihn für alternativlos", unterstrich Holter.

epd-Gespräch: Dirk Löhr


Zahl der Privatschulen steigt weiter an

In Deutschland gibt es immer mehr privat betriebene Schulen. Die Zahl der allgemeinbildenden und beruflichen Privatschulen habe im Schuljahr 2017/2018 bei mehr als 5.800 gelegen, teilte das Statistische Bundesamt am 8. Januar in Wiesbaden mit. Seit 25 Jahren sei ein kontinuierliches Wachstum zu beobachten. Im Schuljahr 1992/1993 habe die Zahl der Privatschulen noch bei rund 3.200 gelegen.

Die Zahl der privaten Schulen habe sich sogar dann weiter erhöht, als die Gesamtzahl der Schulen Ende der 90er Jahre aufgrund der gesunkenen Geburtenzahlen zurückging. So habe sich die Zahl der Schulen von 2000 bis 2017 um 19 Prozent verringert. Die Zahl der Privatschulen sei dagegen im selben Zeitraum um 43 Prozent gestiegen.

Von den gut 10,8 Millionen Schülern in Deutschland besuchte den Angaben zufolge im Schuljahr 2017/18 rund jeder elfte (eine Million) eine Privatschule. In Sachsen sei der Anteil mit 14,4 Prozent am Höchsten, in Schleswig-Holstein mit 4,3 Prozent am Niedrigsten. Die Definition von Privatschulen ist in den jeweiligen Landesschulgesetzen festgelegt. Der Anteil der Privatschulen ist bei den allgemeinbildenden Schulen mit 11 Prozent deutlich niedriger als bei den beruflichen Schulen (25 Prozent).



Rund 425.000 Besucher im Bremerhavener Klimahaus


Das "Klimahaus Bremerhaven 8° Ost" nimmt seine Gäste auf eine inszenierte Reise entlang des 8. Längengrades mit.
epd-bild / Alasdair Jardine

Rund 425.000 Besucher haben im vergangenen Jahr das Bremerhavener Klimahaus besucht. Das sei ein Minus von knapp sieben Prozent im Vergleich zu 2017 mit 455.000 Besuchern, bilanzierte Geschäftsführer Arne Dunker am 9. Januar. Vor knapp zehn Jahren, am 27. Juni 2009, öffnete die in ihrer Art weltweit erste Wissens- und Erlebnisausstellung, die Besuchern die Klimazonen der Welt und die Auswirkungen der Erderwärmung nahe bringen will.

Einen wichtigen Grund für den Besucherrückgang sieht Dunker im Hitzesommer des vergangenen Jahres, der viele Urlauber eher an die Strände der Nordseeküste lockte. Doch insgesamt freue er sich über konstante Zahlen. So kamen 2014 knapp 437.000 Besucher. 2015 waren es rund 466.000 und 2016 gut 453.000.

Der Betrieb sei kostendeckend und komme ohne öffentliche Zuschüsse aus, ergänzte Dunker. Im ersten kompletten Jahr nach der Eröffnung erlebten noch rund 700.000 Besucher Inszenierungen wie den Regenwald, eine Alm im Hochgebirge, die Gluthitze der Wüste und die Kälte der Antarktis.

Noch sei das Klimahaus einzigartig, doch die Konkurrenz nehme zu, sagte Dunker. Thematisch ähnliche Projektideen gebe es mittlerweile im süddeutschen Sinsheim sowie in New York und in Oslo. Auch deshalb solle das Klimahaus bis 2021 mit einem neuen Ausstellungsbereich zu Extremwetter-Ereignissen wie Sturmfluten, Starkregen, Waldbränden und Mega-Stürmen ergänzt werden. Für die Planungen sind 800.000 Euro veranschlagt. Eine erste grobe Kostenschätzung gehe von Investitionen in Höhe von etwa zehn Millionen Euro aus, sagte Projektleiter Heiner Behrens.

Kooperationspartner könnte Dunker zufolge der Rückversicherer "Munich Re" werden. Der Konzern hat eine eigene Forschungsabteilung, die sich mit Schäden aus Naturkatastrophen wie Stürmen und Waldbränden beschäftigt.



Räumung im Hambacher Forst wurde abgesagt


Proteste gegen die geplante Rodung des Hambacher Forsts im vergangenen September
epd-bild/Guido Schiefer
Die für die kommenden Tage anstehende Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst ist offenbar zunächst abgesagt. Das berichteten am 10. Januar mehrere Medien. Mittlerweile gibt es in Waldgebiet schon wieder fast 50 Baumhäuser.

Die zwischenzeitlich wieder im Hambacher Forst entstandenen Baumhäuser werden nun offenbar zunächst nicht geräumt. Mehrere Medien berichteten am 10. Januar, dass die für die kommenden Tage angesetzte Räumung abgesagt wurde. Das NRW-Bauministerium, die Stadt Kerpen und das Aachener Polizeipräsidium wollten zunächst keine Aussagen in der Sache machen.

Das ARD-Politikmagazin "Report Mainz" hatte berichtet, dass eine angeblich für den 14. Januar angesetzte Räumung in dem Waldstück zwischen Aachen und Köln ausgesetzt wurde. Laut dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Freitag) ist eine Räumung nicht geplant, weil Kanzlerin Angela Merkel für den 15. Januar ein Spitzentreffen mit den Ministerpräsidenten jener Länder geplant habe, in denen Braunkohle gefördert wird - dazu gehört auch NRW-Ministerpräsident Armin Lachet (beide CDU).

Stadt und Kreis kritisieren Aufforderung des Landes

Die Stadt Kerpen und der Kreis Düren hatten zuvor kritisch auf die Aufforderung der NRW-Landesregierung reagiert, die Baumhäuser im Hambacher Forst räumen zu lassen. "Wir sind nicht erfreut, werden aber der Aufforderung Folge leisten", sagte der Sprecher der Stadt Kerpen, Erhard Nimtz, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 10. Januar. Dürens Landrat Wolfgang Spelthahn (CDU) sprach sich in der Essener "Neuen Ruhr/Neuen Rhein Zeitung" (NRZ, Donnerstag) dafür aus, vor einer erneuten Räumung auf die Entscheidung der sogenannten Kohlekommission zu warten. Das nordrhein-westfälische Bauministerium hatte die Stadt Kerpen und den Kreis Düren aufgrund von brandschutzrechtlichen Bestimmungen mit der Entfernung der Baumhäuser beauftragt.

49 Baumhäuser vorhanden

Im Wald befinden sich 49 Baumhäuser, wie ein Sprecher der Polizei Aachen sagte. Umweltaktivisten haben sie errichtet, um für den Erhalt des Waldstückes zu demonstrieren. Die Polizei bereite sich auf den erneuten Einsatz vor, einen Termin wollte der Pressesprecher nicht nennen. Im Herbst waren die Beamten mit mehreren Hundertschaften in einem tagelangen Einsatz im Hambacher Forst, um mehr als 80 Baumhäuser von Umweltaktivisten zu räumen.

Landrat Spelthahn sagte der "NRZ", es sei klar, dass man keinen Rechtsbruch im Forst dulden könne. Zugleich erinnerte er an die Arbeit der Kohlekommission, die Empfehlungen für einen Kohle-Ausstieg aussprechen will. Der Bericht soll Anfang Februar vorgelegt werden. "Ich frage mich, ob es nicht klüger wäre, diese Entscheidung abzuwarten", sagte Spelthahn. Vor Ort sei dann klarer, "wohin die Reise geht".

Der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Michael Mertens, begrüßte die Absage der geplanten Räumung. Es sei die Zeit für politisches Handeln, nicht der Polizei, erklärte er gegenüber "Report Mainz". Die Politik müsse nun eine Entscheidung treffen, wie es mit dem Tagebau und dem Hambacher Forst weitergehen solle. "Wenn es dann am Ende zu einer Räumung kommt, muss sie nachhaltig sein. Die Gefährdung bei der Räumung der Baumhäuser ist extrem hoch. Das ist ein lebensgefährlicher Akt in dieser Höhe", sagte er dem Politikmagazin. Das habe man ja bereits im vergangenen Jahr erlebt, als ein Reporter zu Tode stürzte.

Verschiedene Umweltorganisationen trafen sich am 13. Januar zu einem "Waldspaziergang". Für die Räumung der Baumhäuser würden Bäume gerodet und Natur zerstört, schreiben unter anderem das Bündnis "Aktion Unterholz" und die "Hambi Mahnwache" auf Facebook. Sie rufen zur Solidarisierung mit den Baumbesetzern auf.

Der Hambacher Forst im Kreis Düren gilt als Symbol des Widerstands gegen den Kohle-Abbau. Die Essener RWE Power AG wollte eigentlich vom 14. Oktober an die Hälfte des noch stehenden Waldes für den Braunkohletagebau Hambach roden. Das Oberverwaltungsgericht Münster verhängte jedoch einen Rodungsstopp, bis über eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland gegen den Hauptbetriebsplan des Tagebaus entschieden ist. Die Entscheidung wird für Mitte März erwartet.



NRW fördert Engagement für Heimat und Brauchtum

Das Land Nordrhein-Westfalen will mit einer sogenannten "Heimat-Akademie" Ehrenamtliche unterstützen, die sich in Vereinen heimatlich oder in der Brauchtumspflege engagieren. Bis 2022 werden landesweit voraussichtlich 150 Millionen Euro für Fortbildungsveranstaltungen, unbürokratische Hilfen oder Sponsorenwerbung zur Verfügung gestellt, wie das Düsseldorfer Ministerium für Heimat und Kommunales am 8. Januar erklärte. Zunächst hatte die in Essen erscheinende "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ) über das Vorhaben berichtet.

Heimat-Schecks

Wie das Heimatministerium auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) erläuterte, wird es für dieses Jahr fünf eintägige Fortbildungsveranstaltungen in verschiedenen Regionen von NRW geben. Weitere Instrumente, mit denen die Heimatförderung umgesetzt werden soll, sind sogenannte Heimat-Schecks. Für konkrete Vorhaben sollen unbürokratisch 2.000 Euro zur Verfügung gestellt werden. Die Heimat-Schecks sind auf 1.000 begrenzt.

Im Rahmen des Heimat-Fonds können nach Angaben des Ministeriums Kommunen Sponsoren einwerben und erhalten im Höchstfall 40.000 Euro aus dem Fonds. In der sogenannten Heimat-Werkstatt sind Projekte zur Identitätsstiftung vorgesehen, etwa über Arbeiten mit Künstlern. Das Heimat-Zeugnis stellt eine Unterstützung in Höhe von mindestens 100.000 Euro für prägende Bauwerke oder entsprechende Orte in der Natur dar.

"Die neue Heimat-Akademie soll Ehrenamtliche in Nordrhein-Westfalen zusammenbringen und den Austausch der besten Ideen erleichtern", erklärte Ministerin Ina Scharrenbach (CDU). Die Nachfrage der Aktiven in den 900 Heimatvereinen nach Fortbildungen sei groß, etwa zur Entwicklung von Kinder-Guides oder zur Heimatpflege am Tag des Denkmals. In NRW sind den Angaben nach rund 160.000 Menschen in rund 900 Heimatvereinen organisiert.



"Höhner"-Sänger Krautmacher erhält das Bundesverdienstkreuz

Der Sänger und Frontmann der Kölner Band "Höhner", Henning Krautmacher, ist mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt worden. Die Auszeichnung, die Krautmacher am 8. Januar von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in der Düsseldorfer Staatskanzlei überreicht wurde, erhält er für sein herausragendes soziales Engagement. Krautmachers ehrenamtliches Engagement etwa für seine Unterstützung im Kampf gegen Leukämie, für ein friedliches Zusammenleben der Kulturen und für benachteiligte Kinder sei ein Vorbild für die Gesellschaft und mache anderen Mut, es ihm nachzutun, erklärte Laschet auf dem Festakt. "Der Mann ist ein Mulitalent, ein Multiwohltäter oder ganz einfach: Er hat ein großes 'Hätz'."

Seit Jahrzehnten setzt sich der 1957 in Leverkusen geborene Krautmacher den Angaben zufolge ehrenamtlich unter anderem für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei und die Leseförderung von Kindern ein. Zudem unterstütze der Musiker, der seit 1986 mit den "Höhnern" auf der Bühne steht, obdachlose Menschen und Flüchtlinge und trete gegen Rassismus sowie für den Tierschutz ein, hieß es. Bereits im Jahr 2013 hatte Krautmacher den Verdienstorden des Landes NRW erhalten.

Der Verdienstorden der Bundesrepublik ist die höchste Anerkennung, die die Bundesrepublik für Verdienste um das Gemeinwohl verleiht. Der Verdienstorden wurde 1951 von Bundespräsident Theodor Heuss gestiftet und wird in verschiedenen Stufen vergeben.



Neue Bäderregelung für Mecklenburg-Vorpommern

In Mecklenburg-Vorpommern soll ab dem Frühjahr eine neue Bäderregelung gelten. Künftig solle die Saison erst am 15. April beginnen und am 30. Oktober enden, sagte Wirtschaftsminister Harry Glawe (CDU) bei der Vorstellung der geplanten Änderungen am 9. Januar in Schwerin. Ergänzend gebe es allerdings eine "Osterregelung": Wenn Ostern in den März fällt, beginnt die Saison bereits am 15. März. Der Verkauf an Sonntag ist weiterhin in der Zeit von 12 bis 18 Uhr zulässig.

Das Oberverwaltungsgericht Greifswald hatte die sogenannte Bäderverkaufsverordnung in Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Juli für unwirksam erklärt. Teile der Regelung seien aus formaljuristischen Gründen verfassungswidrig, hatte das Gericht geurteilt.

Bisher durften in Mecklenburg-Vorpommern Geschäfte in 79 Orten und Ortsteilen vom 15. März bis einschließlich des ersten Sonntags im November sonntags öffnen. Die geplante Neuregelung sieht nur noch 72 Orte und Ortsteile vor. Zwölf Orte und Ortsteile sind dem Minister zufolge aus dem Anwendungsbereich der Bäderregelung herausgefallen. Fünf Ortsteile wurden neu aufgenommen. Mit der neuen Ordnung werde das "Regel-Ausnahme-Verhältnis" stärker als bisher berücksichtigt, sagte Glawe.

Das Warensortiment wird weiter beibehalten. Zulässig ist der gewerbliche Verkauf "eines typischen touristischen Angebotes" wie Nahrungs- und Genussmittel, Zeitungen und Bücher, Sportausrüstung und Spielwaren, Bekleidung und Kosmetik, Schmuck und Kunstgewerbe, Briefmarken, Geschenkartikel und der Einzelhandel an Verkaufsständen und auf Märkten.

Der Entwurf der Verordnung geht nun in ein Beteiligungs- und Abstimmungsverfahren. Beteiligt sind unter anderem die Normprüfstelle, das Justizministerium und die Staatskanzlei. Die Bäderregelung soll bis 2024 in Kraft bleiben. Zudem gibt es eine Option zur Verlängerung um weitere fünf Jahre.




Soziales

"Oldenburger Baby": Tim mit 21 Jahren gestorben


Tim mit seiner Familie im Juni 2015 (Archivbild)
epd-bild/Detlef Heese
Tim, ein Junge mit Down-Syndrom, wurde 1997 bundesweit als "Oldenburger Baby" bekannt. Seine Mutter ließ eine Spätabtreibung vornehmen, doch Tim überlebte. Jetzt ist er mit 21 Jahren an einem Lungeninfekt gestorben.

Der als "Oldenburger Baby" bekanntgewordene Tim ist am 4. Januar im Alter von 21 Jahren gestorben. Er sei einem kurzen Lungeninfekt erlegen, sagte Pflegemutter Simone Guido dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 8. Januar: "Aber kurz vorher war er noch richtig fit, und wir hatten ein superschönes Weihnachtsfest." Bei dem Jungen war im Sommer 1997 in der 25. Schwangerschaftswoche das Down-Syndrom diagnostiziert worden. Seine Mutter ließ daraufhin eine Spätabtreibung vornehmen. Tim überlebte unerwartet, obwohl er erst mehrere Stunden danach medizinisch versorgt wurde. Familie Guido aus Quakenbrück bei Osnabrück nahm ihn in Pflege.

Schwangerschaftsabbrüche sind unter bestimmten Voraussetzungen nur innerhalb der ersten zwölf Wochen einer Schwangerschaft straffrei. Von einem ärztlichen Gutachter wurde aber eine Gefahr für die körperliche und seelische Gesundheit der Mutter festgestellt, so dass eine Abtreibung auch nach dem dritten Schwangerschaftsmonat erlaubt wurde.

Doch das Kind überlebte die am 6. Juli 1997 in einer Oldenburger Klinik eingeleitete Geburt und starb auch nicht in den ersten Stunden danach, obwohl es lediglich in ein Tuch gewickelt worden war. Erst nach etwa neun Stunden begannen Ärzte mit einer intensivmedizinischen Behandlung.

Das Schicksal des Kindes, das wegen Überforderung der leiblichen Eltern in eine Pflegefamilie kam, löste eine Diskussion über Spätabtreibungen aus. Zum 18. Geburtstag des Jungen schrieben die Pflegeeltern das Buch "Tim lebt!"

"Es war immer schwer, Tim über den Winter zu bringen"

Zuerst hatte die "Neue Osnabrücker Zeitung" von Tims Tod berichtet. Tim sei schon während der vergangenen Wochen nicht so stabil gewesen und habe viele Infekte gehabt, berichtete Simone Guido: "Es war immer schwer, Tim über den Winter zu bringen. Das war immer die härteste Zeit mit ihm." Seine Lunge sei aufgrund der frühen Geburt in der 25. Schwangerschaftswoche geschädigt gewesen. Aber in diesem Jahr sei es bei dem kalt-nassen Wetter heftiger gewesen.

Zunächst sei der erneute Lungeninfekt gar nicht so schlimm gewesen. Tim habe Antibiotika erhalten und inhaliert. Gegen halb zehn Uhr abends habe ihr Mann Tim ins Bett gebracht, erzählte die Pflegemutter. Sie habe sich dann ins Nebenzimmer gelegt, um gleich da zu sein, wenn er etwas bräuchte. "Aber als ich um elf Uhr aufwachte, war es so still." Der herbeigerufene Notarzt habe ihren Sohn reanimiert und ins Krankenhaus gebracht, wo er wenige Minuten später gestorben sei.

Er wurde in einem Bestattungshaus aufgebahrt, damit Familie und Freunde Abschied von Tim nehmen konnten. Vor allem seine beiden Schwestern Melissa und Naomi, ebenfalls Pflegekinder mit Down-Syndrom, gingen ganz unbefangen damit um. "Die Mädchen haben ihn schon öfter besucht und nehmen Abschied." Viele langjährige Freunde, Betreuer und Weggefährten seien da gewesen. Die Trauerfeier mit einer befreundeten Trauerrednerin fand am 12. Januar statt. Später wird Tim im kleinen Kreis im Friedwald in Bramsche bestattet.

Martina Schwager (epd)


Theologe wird neuer Vorsitzender der Conterganstiftung

Der evangelische Theologe Dieter Hackler wird neuer Vorsitzender der öffentlich-rechtlichen Conterganstiftung für behinderte Menschen. Wie das Bundesfamilienministerium in Berlin mitteilte, bestellte Ministerin Franziska Giffey (SPD) ihn am 9. Januar zum neuen ehrenamtlichen Vorstandsvorsitzenden. Hackler löst damit Marlene Rupprecht ab, die den Angaben nach diese Aufgabe nach vier Jahren aus persönlichen Gründen abgibt.

Giffey bezeichnete Hackler als "erfahrenen und profilierten Kenner des Conterganthemas". Von 2006 bis 2014 war der CDU-Politiker demnach Leiter der Abteilung "Älterer Menschen" im Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von 2008 bis 2014 Stiftungsratsvorsitzender der Conterganstiftung.

Das Medikament Contergan der Firma Grünenthal war in den Jahren 1957 bis 1961 auf dem Markt. Insgesamt kamen wegen des Schlafmittels rund 10.000 Kinder mit schweren Missbildungen an Armen und Beinen auf die Welt, die Hälfte von ihnen in Deutschland. Die im Jahr 1972 mit Mitteln des Bundes und der Firma Grünenthal gegründete Stiftung betreut laut Ministerium rund 2.700 Betroffene, die heute in der Regel zwischen 55 und 60 Jahre sind.



24,6 Millionen Euro für ehemalige Heimkinder in Westfalen

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat knapp 2.000 ehemaligen Heimkindern Leistungen aus dem Fonds "Heimerziehung" vermittelt. Die Regionale Anlauf- und Beratungsstelle schloss Vereinbarungen über Rentenersatz- und Sachleistungen in Höhe von insgesamt rund 24,6 Millionen Euro ab, wie der Landschaftsverband am 9. Januar in Münster mitteilte. Bis Ende 2018 hätten sich fast 3.000 Menschen aus der Region an die Anlaufstelle für Opfer repressiver Heimerziehung in der Zeit zwischen 1949 und 1975 gewandt. Mit rund 2.000 wurden den Angaben nach persönliche Gespräche geführt.

Regionale Anlauf- und Beratungsstelle waren 2012 bundesweit zur Umsetzung des Fonds eingerichtet worden. Bund, Länder und Kirchen leisteten damit erstmals Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht in ehemaligen staatlichen und kirchlichen Heimen der Jugendhilfe. Der Fonds wurde zunächst mit 120 Millionen Euro ausgestattet, 2014 um weitere 182 Millionen Euro aufgestockt. Die Laufzeit endete zum 31. Dezember 2018, Leistungen gibt es nicht mehr. Betroffene können sich jedoch weiterhin an die LWL-Anlaufstelle in Münster wenden und beraten lassen, wie es hieß.

Betroffene ist persönliches Gespräch wichtiger als mögliche Entschädigung

In den vielen Fällen hätte das persönliche Gespräch gegenüber einer möglichen Entschädigung im Vordergrund gestanden, erklärte LWL-Jugenddezernentin Birgit Westers: "Oft sprachen Betroffene mit den Kolleginnen der Anlaufstelle das erste Mal über ihre Vergangenheit und die in vielen Fällen erlebte Gewalt und Misshandlung." Das Team in Münster habe dabei oftmals weitere unterstützende Hilfen vor Ort vermittelt, begleitende Akteneinsicht gewährt oder nach Familienangehörigen gesucht, zu denen der Kontakt nach der Unterbringung im Heim abgerissen war. Auch habe es ein Treffen in Soest mit knapp 400 Betroffenen organisiert. Für das Land Nordrhein-Westfalen gibt es eine zweite Anlaufstelle beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) in Köln.

Die Regionalen Anlaufstellen stehen seit 2016 auch Betroffenen offen, die im Rahmen der Stiftung "Anerkennung und Hilfe" entschädigt werden. Die Stiftung richtet sich an behinderte und psychisch kranke Menschen, die als Kinder oder Jugendliche zwischen 1949 und 1975 in der BRD oder zwischen 1949 und 1990 in der DDR in stationären Einrichtungen untergebracht waren und dort Leid erfuhren. Sie können eine pauschale Entschädigung in Höhe von 9.000 Euro sowie Rentenersatzleistungen von bis zu 5.000 Euro erhalten. Auch die Stiftung wird getragen von Bund, Ländern und Kirchen, die oftmals Träger solcher Einrichtungen waren.



Giffey und Heil: Wir helfen gezielt Eltern mit wenig Einkommen


Mutter mit Kindern
epd-bild/Maike Glöckner
Familienministerin Giffey und Arbeitsminister Heil sind überzeugt, dass sie mit dem "Starke-Familien-Gesetz" mehr Kinder aus armen Familien unterstützen können als heute. Sozialverbände halten die Regelungen für viel zu kompliziert.

Eltern mit geringen Einkommen sollen gezielter unterstützt werden. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey und Bundessozialminister Hubertus Heil (beide SPD) warben am 9. Januar in Berlin gemeinsam für den Entwurf des "Starke-Familien-Gesetzes", das zuvor vom Bundeskabinett gebilligt worden war. Man gehe einen weiteren und sehr pragmatischen Schritt im Kampf gegen Kinderarmut, sagte Giffey. Von den verbesserten Leistungen könnten bis zu vier Millionen Kinder profitieren. Sozialverbände bezweifeln das.

Der Gesetzentwurf sieht eine Erhöhung des Kinderzuschlags für Geringverdiener von derzeit bis zu 170 Euro auf bis zu 185 Euro im Monat vor. Der Zuschlag steht Eltern zu, deren Einkommen nicht für die ganze Familie ausreicht und die daher für ihre Kinder Sozialleistungen beantragen müssten. Geplant sind außerdem höhere staatliche Zuschüsse für Schul- und Kindergartenkinder aus einkommensarmen Familien oder Familien, die von Hartz-IV-Leistungen leben.

Kinderzuschlag seit Einführung in der Kritik

Künftig sollen Kindergeld, Kinderzuschlag und die Bildungs- und Teilhabeleistungen das Existenzminimum eines Kindes abdecken. Für den Kinderzuschlag sind Mehrausgaben von einer Milliarde Euro eingeplant, für die Verbesserung der Teilhabeleistungen 220 Millionen Euro jährlich.

Der Kinderzuschlag steht seit seiner Einführung 2005 in der Kritik, weil er von vielen Familien nicht in Anspruch genommen wird. Giffey sagte, von 800.000 anspruchsberechtigten Kindern, erhielten nur 250.000 die Unterstützung auch tatsächlich. Mit dem "Starke-Familien-Gesetz" erhöht sich Giffey zufolge die Zahl der anspruchsberechtigten Kinder um 1,2 Millionen auf zwei Millionen.

Beantragung wird vereinfacht

Weil der Kinderzuschlag künftig mit einer Befreiung von den Kita-Gebühren verknüpft wird, rechnet Giffey damit, dass sich die Zahl der tatsächlichen Bezieher deutlich erhöhen wird. Die Beantragung wird vereinfacht und der Geltungszeitraum auf sechs Monate verlängert. Bisher müssen Eltern den Kinderzuschlag ständig neu berechnen lassen und mit Rückforderungen rechnen.

Das Deutsche Kinderhilfswerk erwartet dennoch keine grundlegenden Verbesserungen. Präsident Thomas Krüger kritisierte, dass es weiterhin keine automatische Auszahlung des Zuschlags geben werde. Die Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepaket beschränkten sich zudem auf den schulischen Bereich, kritisierte Krüger weiter. Der Freizeitbereich bleibe außen vor.

Heil: Kritik "veraltet"

Arbeits- und Sozialminister Heil, der für die Teilhabeleistungen zuständig ist, wies die Kritik als "veraltet" zurück. Das Schulstarterpaket werde von 100 auf 150 Euro erhöht, der "bürokratische Wust" bei den Zuschüssen zum Schul- und Kita-Essen sowie für die Schülerbeförderung falle weg, sagte er. Schulessen, Monatskarten und Nachhilfe seien künftig für alle bedürftigen Kinder kostenlos.

Alleinerziehende sollen künftig bessergestellt werden, indem Unterhaltszahlungen nicht mehr voll, sondern nur noch anteilig auf den Kinderzuschlag angerechnet werden. Dadurch erhöht sich ihr Nettoeinkommen.

Wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Kinderarmut

Familienministerin Giffey wies darauf hin, dass Mitte dieses Jahres das Kindergeld für alle Familien erhöht wird. Parallel dazu würden nun auch die Leistungen für Geringverdiener und für Eltern verbessert, die von der Kindergelderhöhung nicht profitieren - das sind alle, die Hartz-IV-Leistungen in Anspruch nehmen müssen.

Sozialverbände kritisierten den Gesetzentwurf. Die Diakonie Deutschland erklärte, das Schulstarterpaket sei mit 150 Euro immer noch zu niedrig. Die Neugestaltung des Kinderzuschlags sei unzureichend und weiterhin zu kompliziert. Caritas-Präsident Peter Neher sprach hingegen von einer "echten Verbesserung" und einem wichtigen Schritt zur Bekämpfung von Kinderarmut. Im Detail seien die Regelungen aber weiterhin zu kompliziert und teilweise intransparent, kritisierte auch Neher.



Baukindergeld: Ein-Kind-Familien auf dem Land profitieren


Wohnungsbau in Deutschland
epd-bild/Verena Müller

Das neu eingeführte Baukindergeld nutzen vor allem Ein-Kind-Familien mit Wohneigentum in ländlichen Regionen Westdeutschlands. Die meisten Anträge wurden bis Ende November in den großen Flächenländern Nordrhein-Westfalen (9.215), Baden-Württemberg (5.564), Niedersachsen (5.175) und Bayern (5.062) gestellt, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen kommen zusammen dagegen nur auf 1.388 Anträge, was auch im Verhältnis zur Einwohnerzahl ein geringerer Wert ist. Zuerst hatte die Düsseldorfer "Rheinische Post" darüber berichtet.

NRW an der Spitze

In Berlin etwa, wo mehr als drei Mal so viele Menschen leben als im kleinen Saarland, gingen im Zeitraum September bis November nur 619 Förderanträge ein. Im Saarland waren es 622. In Hamburg wurden 405 Anträge verzeichnet, in Bremen 364. In Ostdeutschland liegt Sachsen (1.755) vorn, gefolgt vom Bundesland Brandenburg (1.535), das an Berlin grenzt. Die ebenfalls eher ländlich geprägten West-Bundesländer Hessen (2.972) und Rheinland-Pfalz (2.410) belegen das Mittelfeld.

Wie aus der Regierungsantwort weiter hervorgeht, wurden bis Ende November die meisten Anträge von Familien mit nur einem Kind gestellt: Von ihnen kamen 17.727 Anträge. Familien mit zwei Kindern fragten den Zuschuss 17.425-Mal nach. 4.472 Anträge gingen demnach von Eltern mit drei Kindern, 867 mit vier Kindern sowie nur 197 Anträge von Müttern und Vätern mit fünf Kindern ein. Der Verwaltungsaufwand der KfW Bankgruppe betrug laut Antwort der Bundesregierung bislang elf Millionen Euro.

Keine Entlastung für Großstädter

"Gerade dort, wo die Wohnpreise jetzt schon am höchsten sind, wirkt das Baukindergeld nicht - in den Metropolen", kritisierte FDP-Baupolitiker Daniel Föst. Für die meisten Familien in den Großstädten sei Eigentum schon lange nicht mehr finanzierbar. Das Baukindergeld schaffe hier keine Entlastung: "Es kommt ausschließlich zu Mitnahmeeffekten, es wird kaum Eigentum zusätzlich geschaffen und die Baupreise werden durch die Förderung weiter enorm steigen."

Seit dem 18. September können Familien das Baukindergeld bei der KfW Bankengruppe online beantragen. Die Förderung soll Familien dienen, die eine Wohnung oder ein Haus kaufen wollen. Über einen Zeitraum von zehn Jahren sollen 1.200 Euro pro Kind gezahlt werden. Anspruch haben Familien bis zu einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 75.000 Euro plus 15.000 Euro für jedes Kind.



NRW stellt ein zweites Kita-Jahr beitragsfrei


Waschraum einer Kindertagesstätte
epd-bild / Rolf Zöllner
Zwei Jahre vor der Schule sollen Kinder künftig beitragsfrei in den Kindergarten gehen können. Die Ankündigung von Familienminister Stamp stieß auf geteiltes Echo: Die SPD sprach von einer guten Nachricht, die Grünen forderten grundlegende Reformen.

Nordrhein-Westfalen will Eltern bei den Kita-Gebühren weiter entlasten und die Qualität der Kinderbetreuung verbessern. Ab dem kommenden Kita-Jahr 2020/21 soll dazu ein zweites beitragsfreies Kita-Jahr eingeführt werden, wie Familienminister Joachim Stamp (FDP) am 8. Januar in Düsseldorf bekanntgab. Damit sind dann die letzten beiden Jahre vor der Einschulung beitragsfrei. Während der Verband Bildung und Erziehung NRW (VBE) und die SPD die Ankündigung begrüßten, äußerten sich die Grünen kritisch. Sie forderten eine grundlegende Reform der Kita-Finanzierung.

Die Einnahmeausfälle der Kommunen wird das Land nach Stamps Worten mit Hilfe von Bundesmitteln "vollumfänglich" ausgleichen. Die Kosten für eine generelle Beitragsfreiheit, wie sie bislang nur im rot-rot-grün regierten Berlin existiert, werden für NRW auf rund 800 Millionen Euro geschätzt.

Lob von VBE und SPD

Auch der Weg für ein neues Kinderbildungsgesetz (KiBiz) ist frei. Es soll die Unterfinanzierung der landesweit rund 8.000 Kitas eindämmen. Nach mehrstündigen Verhandlungen unterzeichneten in der Nacht auf den 8. Januar Stamp und die kommunalen Spitzenverbände eine Vereinbarung zu Eckpunkten für die Reform. Sie sieht vor, ab dem Kitajahr 2020/21 mehr als 1,3 Milliarden Euro jährlich zusätzlich in die Betreuung der Kinder zu investieren. Insgesamt stehen damit in NRW jährlich rund 6,8 Milliarden Euro für die Kinderbetreuung zur Verfügung.

VBE-Referentin Barbara Nolte lobte die angekündigte Beitragsfreiheit als "Schritt hin zu mehr Bildungsgerechtigkeit". Ziel müsse es aber sein, allen Kindern den gleichen Zugang zu Bildung zu ermöglichen, sagte Nolte in Dortmund.

Auch die nordrhein-westfälische SPD sprach von einer "guten Nachricht für die Familien in NRW". Der familienpolitische Sprecher Dennis Maelzer forderte auf Twitter eine vollständige Abschaffung der Kita-Gebühren. Der Weg sei frei, Minister Stamp müsse ihn nur gehen, schrieb er.

Die familienpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Josefine Paul, beklagte hingegen das Fehlen einer grundlegenden Reform der Kita-Finanzierung. Die Elternbeiträge schwankten immer noch stark von Wohnort zu Wohnort, was sozial ungerecht sei. Sie plädierte für landeseinheitliche Beiträge und eine Beitragsbefreiung für Eltern mit niedrigen Einkommen.

Rund 8.000 neue Kita-Plätze geplant

Geplant ist dem Minister zufolge darüber hinaus, in den kommenden Jahren jährlich mindestens 115 Millionen Euro in den Aus- und Neubau von Kindertagesstätten zu investieren. Zielvorgabe seien rund 8.000 neue Kita-Plätze, um dem wachsenden Bedarf gerecht zu werden. "Wir geben eine Platz-Garantie", sagte Stamp. Entsprechend soll auch die Zahl der verfügbaren Erzieher deutlich zulegen. Aktuell sind laut den Angaben rund 25.000 junge Menschen in der dreijährigen Erzieher-Ausbildung, von denen 5.000 bis 6.000 jährlich ihren Abschluss machen und an den Kitas starten können. Insgesamt gab es in NRW im Vorjahr rund 81.000 Erzieher.

Einen weiteren Schritt hin zu mehr Kita-Qualität will das Land mit mehr Flexibilität bei den Öffnungszeiten gehen. Dazu zählen verlängerte Öffnungszeiten sowie zusätzliche Angebote in der Kindertagespflege. Für beides will das Land pro Jahr rund 100 Millionen Euro bereitstellen.



Diakonie sieht "erheblichen Druck" auf kirchliche Kita-Träger


Christian Heine-Göttelmann
epd-West/Diakonie RWL/Bauer

Die geplante Reform des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) benachteiligt nach Worten des Vorstands der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, Christian Heine-Göttelmann, kirchliche und freie Kita-Träger. Es könne zu einem erheblichen Druck auf diese Träger kommen, sagte Göttelmann am 9. Januar in Düsseldorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Trägeranteil bei den Kommunen solle nach Ankündigung von NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) abgesenkt werden. "Der Trägeranteil der kirchlichen Träger bleibt jedoch nicht nur gleich, sondern kann zudem auch steigen", kritisierte Heine-Göttelmann.

Die Reform des Gesetzes sieht nach Worten Heine-Göttelmanns eine Dynamisierung vor, nach der bei steigenden Personalkosten auch der Anteil der Finanzierung steigt. Damit könne auch der Trägeranteil der kirchlichen Träger weiter ansteigen. Dazu komme, dass die kommunalen Spitzenverbände in Erwartung eines besser finanzierten KiBiz angekündigt hätten, die freiwilligen kommunalen Zuschüsse an die Kitas auf den Prüfstand zu stellen. Spätestens dann, wenn sich durch Tarifsteigerungen die Kosten erhöhten, "werden sich viele der freien Träger Gedanken machen, ob sie noch eine Kita finanzieren können", warnte Heine-Göttelmann, der auch Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist.

Nachbesserungen bei KiBiz-Reform angemahnt

Skeptisch sieht Heine-Göttelmann zudem das angekündigte weitere freie Beitragsjahr in den Kitas in Nordrhein-Westfalen. "Hier werden viele Familien begünstigt, die wahrscheinlich kein Problem haben, den Beitrag zu zahlen", sagte der Diakonie-Chef. Anstelle einer Verteilung nach dem Gießkannenprinzip wären gestaffelte soziale Begünstigungen sinnvoller. Die zusätzlichen Mittel, die der Bund für Kitas bereitstelle, sollten nicht nur der Entlastungen der Elternschaft, sondern vor allem der Qualitätssteigerung der Kitas dienen.

Dass durch die geplante Reform mehr Geld in das System komme und die Unterfinanzierung landesweit eingedämmt werden solle, wertete Heine-Göttelmann im Grundsatz positiv. Vieles sei aber noch nicht ausverhandelt. So seien Vorhaben wie die Freistellung für die Leitung, mehr Vor- und Nachbereitungszeiten der Mitarbeiter sowie mehr Sprachbildung sinnvoll. "Es ist aber vollkommen unklar, in welchem Umfang mit welcher Finanzierung das passieren soll", kritisierte Heine-Göttelmann.

In NRW gibt es 9.500 Kitas, davon werden 7.500 von freien und kirchlichen Trägern betrieben. In evangelischer Trägerschaft befinden sich rund 1.600, in katholischer Trägerschaft rund 2.000.

epd-Gespräch: Holger Spierig


Schulverweigerung kann Sorgerechtsentziehung begründen

Deutsche Gerichte dürfen in Fällen von Schulverweigerung den Eltern das Sorgerecht zumindest teilweise entziehen und die Kinder befristet in einem Heim unterbringen lassen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg am 10. Januar im Fall von Eltern aus dem südhessischen Ober-Ramstadt entschieden. Soweit keine milderen Mittel mehr griffen, seien diese Maßnahmen bei einer Kindeswohlgefährdung zulässig und stellten keine Verletzung des Menschenrechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens dar, befand das Gericht. (AZ: 18925/15)

Die Eltern Dirk Günter und Angela Petra W. verweigerten den Schulbesuch ihrer vier zwischen 1999 und 2005 geborenen Kinder und wollten sie selbst unterrichten. Sie bestreiten, dass der Staat einen Erziehungsauftrag hat. 2005 meldeten sie die älteste Tochter nicht zur Schule an. Auch deswegen verhängte Geldstrafen änderten nicht ihr Verhalten.

Schulamt sah Kindeswohl gefährdet

Um ihre Kinder unbehelligt selbst zu Hause unterrichten zu können, hielten sie sich zwischen 2009 und 2011 in Frankreich, Ungarn und Norwegen auf. Als sie danach nach Deutschland zurückkehrten, untersagten sie den Kinder weiter den Gang zur Schule.

Das staatliche Schulamt und das zuständige Jugendamt sahen deshalb das Kindeswohl gefährdet. Die Kinder würden zu Hause in einer "Parallelwelt" aufwachsen, rügten die Behörden. Mit der Schulverweigerung werde verhindert, dass die Kinder sich als Teil einer sozialen Gemeinschaft verstehen. Sie könnten soziale Fähigkeiten - wie etwa Toleranz - nicht lernen.

Kinder wiesen keine "alarmierenden" Bildungsdefizite auf

Die deutschen Gerichte entzogen den Eltern daraufhin teilweise das Sorgerecht. Sie durften fortan nicht mehr über den Aufenthalt der Kinder bestimmen und deren Schulangelegenheiten regeln. Wegen einer angenommenen Kindeswohlgefährdung kamen die vier Kinder für drei Wochen in ein Kinderheim. Nachdem festgestellt wurde, dass die Kinder keine "alarmierenden" Bildungsdefizite aufwiesen, durften sie zu ihren Eltern zurück. Auch der teilweise Sorgerechtsentzug wurde aufgehoben.

Der Gerichtshof für Menschenrechte sah in dem Vorgehen der deutschen Behörden und Gerichte keinen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Straßburger Richter bestätigten damit den Erziehungsauftrag des Staates. Auch habe die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung bestanden. Die Eltern hätten sich zudem trotz Geldbußen beharrlich geweigert, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

Daher, so das Gericht, sei der teilweise Sorgerechtsentzug und die befristete Heimunterbringung der Kinder gerechtfertigt gewesen. Die Behörden hätten dabei ausreichend die Interessen der Eltern und der Kinder miteinander abgewogen.



Sozialverband VdK fordert Grundsicherung mit Freibetrag

Armut bekämpfen und niemanden zurücklassen: Beim Neujahrsempfang des Sozialverbands VdK ging es neben der Grundsicherung auch um die Folgen der Digitalisierung. Technik müsse den Menschen nutzen, sagte NRW-Techniker-Chefin Steffens.

Der NRW-Landesvorsitzende des Sozialverbandes VdK, Horst Vöge, dringt auf einen monatlichen Freibetrag von mindestens 200 Euro für Grundsicherungsempfänger. "Ansonsten gehen diejenigen, die am dringendsten auf die durchgesetzten Verbesserungen bei der Mütterrente angewiesen sind, weiter leer aus", sagte Vöge beim Neujahrsempfang des Verbands am 10. Januar in Düsseldorf. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte, die Politik müsse alles unternehmen, um Armut zu vermeiden. Die Leiterin der NRW-Techniker-Krankenkasse, Barbara Steffens, betonte, Technik dürfe niemanden "abhängen".

Vöge wies vor rund 120 Teilnehmern aus Verbänden, Politik und Sozialgerichten darauf hin, dass sich "immer mehr Arbeitnehmer durch die fortschreitende Globalisierung für austauschbar halten". Im Jahr 2019 würden von Experten etwa 2,3 Millionen neue Arbeitsplätze für Deutschland, aber auch 1,6 Millionen wegfallende Arbeitsplätze erwartet, sagte der VdK-Landesvorsitzende. Um Arbeitsplätze zu sichern und zu finanzieren seien neue Finanzierungssysteme nötig, etwa auch die Erhebung einer Digitalsteuer und einer veränderten Vermögenssteuer, sagte Vöge.

Techniker-Chefin Steffens: Digitalisierung darf nicht "abhängen"

Die frühere NRW-Gesundheitsministerin Steffens sagte, im Gesundheitsbereich würden derzeit "die größten Umbrüche seit der Erfindung des Mikroskops" stattfinden. Bei der Digitalisierung im Gesundheitsbereich mahnte die Leiterin der NRW-Techniker-Krankenkasse an, alle Technik müsse dem Menschen helfen und nutzen, den deutschen Datenschutzbestimmungen entsprechen und dürfe zudem niemanden "abhängen".

Gesundheitsminister Laumann erklärte, die Politik in NRW müsse alles tun, "um Armut und soziale Ausgrenzung von Anfang an und bis ins Alter hinein zu vermeiden" und Teilhabe sowie Partizipation zu fördern. Soziale Sicherung müsse so gestaltet werden, "dass Menschen in schwierigen Lebenssituationen nicht verarmen oder an den Rand gedrängt werden." Ihm persönlich sei es "ein ganz besonderes Bedürfnis, die Versorgung mit Wohnraum als ein elementares Grundbedürfnis sicherzustellen."

Vöge forderte vom Land Nordrhein-Westfalen zudem ein Eintreten für bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderungen. Nach seinen Worten gibt es in NRW rund 44.000 Langzeitarbeitslose, die wegen ihrer jeweiligen Behinderung länger als fünf Jahre ohne Beschäftigung sind.

Der VdK-Landesvorsitzende kündigte außerdem an, noch in diesem Jahr Vorschläge für eine neue Renten- und Pflegeversicherung vorzulegen. "Auch Selbstständige und Beamte müssen mit einbezogen werden", erklärte Vöge. Er sprach sich zudem dafür aus, sozial- und gesundheitspolitische Themen künftig auch auf europäischer Ebene zu diskutieren und zu verhandeln.



Reges Interesse an Modellversuch zu Hartz IV ohne Sanktionen

Mit einem Modellversuch will der Berliner Verein "Sanktionsfrei" testen, wie der Verzicht auf Sanktionen das Verhalten von Hartz-IV-Beziehern beeinflusst. Drei Jahre lang will er für 250 Hilfebezieher etwaige Sanktionen durch das Jobcenter finanziell ausgleichen. Die Praxis zeige, dass das Hartz-IV-System die Arbeitsbereitschaft nicht fördere, sondern eher bremse, sagte der Leiter des Projekts, Rainer Wieland, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zu klären sei, warum das System nicht so funktioniert, wie sich die Politik das vorstelle, erläuterte der Wirtschaftspsychologe der Bergischen Universität Wuppertal.

Das Interesse an dem geplanten Versuch sei groß. Mehr als 3.000 Empfänger von Arbeitslosengeld II haben sich bisher nach Angaben des Vereins "Sanktionsfrei" für die Teilnahme an der Studie "HartzPlus" gemeldet. Die Teilnehmer sollen per Los ermittelt werden.

"Wir wollen wissen, wie sich das Fehlen von Sanktionen auf die Haltung von Langzeitarbeitslosen auswirkt", sagte Wieland. "Damit meine ich: Wie sind ihre Charaktereigenschaften, ihre Einstellung zu Arbeit und dem Leben insgesamt?" Die Projektteilnehmer erhalten drei Jahre lang sanktionsfrei Hartz IV und werden dazu befragt. Befragt wird auch eine Kontrollgruppe mit weiteren 250 Menschen, die nicht von Sanktionen befreit sind.

Wieland äußerte sich kritisch zum bestehendem System: "In der Hartz-IV-Debatte stoßen wir auf ein widersprüchliches Menschenbild. In der Arbeitswelt gilt die These, dass der Mensch, wenn man ihm die entsprechenden Bedingungen bietet, fleißig, selbstmotiviert und unternehmerisch agiert." In der Nicht-Arbeitswelt gelte der Mensch jedoch als faul und nur durch Kontrolle motivierbar. Bei Hartz IV glaube man, den Menschen mit Sanktionen und Bestrafung leiten zu können.

Der Forscher erläuterte weiter, "dass schon die Ankündigung von Bestrafungen eine bedrohliche Situation in den Köpfen auslöse, die als Stress erlebt wird". Diese negativen Dinge führten zum Gefühl des Kontrollverlustes. "Wir gehen davon aus, dass das Befinden der Personen besser wird, wenn wir die Sanktionen wegnehmen. Das wirkt sich wiederum bei der Arbeitssuche positiv aus"m sagte Wieland.

epd-Gespräch: Rudolf Stumberger


Tafeln kämpfen mit personellen Engpässen


Lebensmittelausgabe einer Tafel
epd-bild/Heike Lyding
Die ehrenamtlichen Helfer bei den Tafeln wünschen sich mehr Mitstreiter. Insbesondere fehlen jüngere Leute, und gerade in ländlichen Regionen ist das Angebot schwer aufrechtzuerhalten.

Die Tafeln in Deutschland haben immer wieder mit personellen Engpässen zu kämpfen. Der Betrieb ist zwar meist nicht gefährdet, wie aus einer Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) hervorgeht. "Doch die Helfer kommen an ihre Belastungsgrenzen", sagte der Vorsitzende des Dachverbandes der deutschen Tafeln, Jochen Brühl. Vielerorts fehlten Ehrenamtliche, "insbesondere jüngere, in den Leitungsfunktionen, als Fahrer oder bei der Lebensmittelausgabe". Vor allem kleine Tafeln in ländlichen Regionen hätten es meist schwer.

Der Tafel-Betrieb ist stark von freiwilligen Helfern abhängig, sie machen bundesweit 90 Prozent der 60.000 Mitarbeiter aus. Die 940 Tafeln mit mehr als 2.000 Tafelläden unterstützen nach eigenen Angaben bundesweit bis zu 1,5 Millionen bedürftige Menschen.

Tafel im Kreis Unna muss vier Ausgabenstellen schließen

In Unna mussten vier Ausgabestellen die Arbeit einstellen, weil mit dem Auslaufen des bundesweiten Programms "Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt" weniger geförderte Helfer im Einsatz sind. Der Personalmangel sei nicht allein mit Ehrenamtlichen auszugleichen, sagte die Vorsitzende Ulrike Trümper dem epd. Wegen Personalmangels hatte die Tafel im niedersächsischen Osterode für Anfang Januar erstmals seit ihrer Gründung 2005 eine vorübergehende Unterbrechung des Betriebs angekündigt. In Flensburg ist aktuell die Suppenküche geschlossen. "Wir haben 40 Helfer, bräuchten aber mindestens 60", sagte Tafelleiter Klaus Grebbin.

Die Schließung von Ausgabestellen in Unna wegen Personalmangels ist laut dem nordrhein-westfälischen Landesverband der Tafeln bislang in NRW offenbar ein Einzelfall. Wichtig sei ein gesundes Verhältnis von ehrenamtlichen Helfern, Mini-Jobbern oder anderweitig geförderten Kräften, sagte der Vorsitzende des NRW-Landesverbandes, Wolfgang Weilerswist, dem epd. Hauptunterstützer müssten Ehrenamtliche sein. Sonst bekomme man ein Problem, wenn die Förderprogramme wegbrächen. Allerdings sei die Arbeit von großen Tafeln mit Hunderten von Helfern und vielen Ausgabestellen nicht mehr ohne Hauptamtliche oder Angestellte zu bewältigen.

"Gesundes Verhältnis von Ehrenamtlichen und Ein-Euro-Jobbern wichtig"

Tafeln in Düsseldorf und Dortmund erleben offenbar bislang noch keine gravierende Einschränkungen. "Die Zahl der ehrenamtlichen Helfer für unsere Lebensmittelausgabe ist derzeit ausreichend, und wir hatten auch keine Einschränkungen in der Vergangenheit", sagte der Sprecher der Diakonie Düsseldorf, Christoph Wand, dem epd. Die Diakonie ist bei zwei Ausgabestellen für Lebensmittel in Düsseldorf Kooperationspartner der örtlichen Tafel. Aktuell gibt es dort laut dem Sprecher 32 Ehrenamtliche.

Für die Düsseldorfer Tafel erklärte auch Sprecherin Eva Fischer, dass es bislang keine Einschränkungen durch zu wenig Personal gebe. Die Düsseldorfer Tafel unterhalte selbst keine eigenen Ausgabestellen, sondern liefere Lebensmittel an die Stellen aus. Die derzeit rund 60 ehrenamtlichen Helfer reichten dazu aus.

Bei der Dortmunder Tafel mit mehr als 400 Ehrenamtlichen für acht Standorte gebe es zwar keine gravierenden Engpässe, sagte Ute Schröer, die für die Koordination von ehrenamtlichen Mitarbeitern zuständig ist. Ehrenamtliche Mitarbeiter würden jedoch immer gebraucht. Die Zusammenarbeit mit Freiwilligenagenturen laufe gut. So könne auch reagiert werden, wenn einmal an einer Ausgabestelle das Personal knapp werde, erläuterte Schröer. Wichtig für die Arbeit der Tafeln seien auch die Menschen aus dem Bundesfreiwilligendienst.

Hoher Altersdurchschnitt

Um das Ehrenamt wieder attraktiver zu machen, fordert der Tafel-Verband zusätzliche Rentenpunkte für Menschen, die sich über mehrere Jahre nachweislich ehrenamtlich engagiert haben. "Damit kann Ehrenamt auch für Berufstätige und Jüngere attraktiv gemacht werden", sagte Brühl.

Die meisten Tafeln wünschen sich mehr Engagement junger Leute, etwa in Berlin, Braunschweig und Delmenhorst. Die Ehrenamtlichen seien im Durchschnitt über 60 Jahre alt, teilten die Tafeln vor Ort mit. Aus Oldenburg hieß es, vor allem die Arbeit im Fahrdienst werde für ältere Menschen "meist zu fordernd". Mit 68 Prozent sind die meisten Ehrenamtlichen laut Tafelverband älter als 65 Jahre. Nur zwei Prozent sind jünger als 30.



Knapp 41.200 Menschen leisten Freiwilligendienst

Die Zahl der Bundesfreiwilligendienstler bleibt konstant. Knapp 41.200 Menschen hätten im vergangenen Jahr den Dienst absolviert, ergibt sich aus einer am 9. Januar bekanntgewordenen Statistik des Bundesamts für zivilgesellschaftliche Aufgaben in Köln. Seit dem Start des Freiwilligendienstes im Jahr 2012 hat sich die Zahl damit kaum verändert.

Die Sprecherin für Bürgerschaftliches Engagement der Grünen-Bundestagsfraktion, Anna Christmann, sieht in der "Stagnation der Zahlen" auch einen Auftrag an den Bund, die Rahmenbedingen zu verbessern. "Ein einheitliches Taschengeld, mehr Freiheit bei der pädagogischen Begleitung und kreative Anreize sind überfällig", sagte die Politikerin. Zudem müsse die Zahl der Plätze erhöht werden. Nicht alle Interessierten könnten auch eine Stelle antreten.

Unter den Engagierten finden sich etwas mehr Frauen als Männer: So waren im Dezember 2018 rund 57 Prozent der Bufdis weiblich (23.600). Besonders junge Menschen treten den Dienst an. Fast drei Viertel der Freiwilligen waren im vergangenen Jahr jünger als 27 Jahre (71 Prozent). Unter den 27- bis 50-Jährigen lag der Anteil bei knapp 17 Prozent (7.100) und in der Altergruppe von 51 bis 65 bei rund elf Prozent (knapp 4.800). Ein Prozent der Freiwilligen war 65 Jahre oder älter (440).

Nordrhein-Westfalen stellte als bevölkerungsreichstes Bundesland 2018 die meisten Freiwilligen: Rund 8.800 Menschen engagierten sich im sozialen, ökologischen, kulturellen und sportlichen Bereich. Auf Rang zwei und drei folgten Baden Württemberg mit knapp 5.700 und Niedersachsen mit mehr als 4.300 Bufdis.

Der Bundesfreiwilligendienst wurde nach dem Ende des Wehrdienstes und damit auch des Zivildienstes 2011 ins Leben gerufen. So sollten die Folgen der Aussetzung des Zivildienstes etwas kompensiert werden.



Hasselfeldt ist Präsidentin des Dachverbandes der Wohlfahrtspflege

Gerda Hasselfeldt, Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), hat zum Jahreswechsel turnusgemäß das Amt der Präsidentin der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) übernommen. Die 68-Jährige hat Prälat Peter Neher abgelöst, der als Präsident des Deutschen Caritasverbandes diese Funktion zwei Jahre innehatte, wie der Dachverband am 10. Januar in Berlin mitteilte.

"Es liegen beträchtliche Herausforderungen vor uns. Dazu gehören beispielsweise die Weiterentwicklung der Pflege, die Digitalisierung der Sozialwirtschaft und die Aufwertung des Ehrenamtes", sagte Hasselfeldt zum Auftakt ihrer Amtszeit. Die langjährige CSU-Bundestagsabgeordnete ist die erste Frau an der Spitze des DRK. Gewählt wurde sie einstimmig im Dezember 2017. 20 Jahre lang saß die Diplom-Volkswirtin im Parlament, war von 2005 bis 2111 Vizepräsidentin des Bundestages.

Zwei Vizepräsidenten

Im Präsidium der BAGFW arbeiten zudem zwei Vizepräsidenten: Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie Deutschland, der 2021 die Präsidentschaft übernimmt, sowie Caritas-Chef Neher.

In der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege arbeiten die Spitzenverbände der Wohlfahrtspflege zusammen. Ihr gemeinsames Ziel ist nach eigenen Angaben die Sicherung und Weiterentwicklung des Sozialstaates durch gemeinschaftliche Initiativen und sozialpolitische Aktivitäten.



Staat nimmt mehr Kinder in Obhut

Jedes Jahr werden mehr Kinder in staatliche Obhut genommen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion hervor, über die am 9. Januar zuerst die in Berlin erscheinende Tageszeitung "Die Welt" berichtet hatte. Ein großer Teil entfällt auf die Gruppe der alleinreisenden minderjährigen Flüchtlinge. Ohne diese Gruppe stieg die Zahl der Inobhutnahmen laut Bundesfamilienministerium zwischen den Jahren 2010 und 2017 von 33.521 auf 38.891 Kinder.

Der FDP-Abgeordnete Daniel Föst sprach von einem starken Anstieg der Inobhutnahmen und der Gefährdungseinschätzungen. Das zeige den enormen Handlungsbedarf, sagte er und forderte eine Untersuchung der Gründe. Kinder und Jugendliche müssten in Deutschland sicher aufwachsen können.

Regionale Unterschiede

Den Angaben zufolge hängt es auch vom Bundesland ab, in dem die Kinder leben, wie lange sie jeweils in Heimen oder Pflegefamilien leben - und ob sie überhaupt zu ihren Eltern zurückkehren können. Im Bundesdurchschnitt kehrten 41 Prozent der Kinder und Jugendlichen nach einer vorübergehenden Inobhutnahme wieder zu ihren Eltern zurück.

Regional sind die Verhältnisse aber unterschiedlich. In Bayern und Mecklenburg-Vorpommern kehrten 46 Prozent der Kinder innerhalb desselben Jahres in die Familie zurück. In Hamburg waren es nur 27 Prozent und in Berlin knapp ein Drittel (30 Prozent). Ähnliche Unterschiede gibt es bei der Dauer der Fremdbetreuung. Im Bundesdurchschnitt liegt sie bei gut einem Monat (36 Tage). Die Einzelfälle seien aber sehr unterschiedlich, hieß es. Je jünger die Kinder sind, desto länger dauere in der Regel die Inobhutnahme.



Landesregierung startet große Studie über Gewalterfahrungen

Mit einer großangelegten Umfrage will die nordrhein-westfälische Landesregierung erstmals Gewalt gegen Mädchen, Jungen, Frauen und Männer gezielt erfassen. Für die sogenannte Dunkelfeldstudie zu Gewalterfahrungen in Haushalten und im öffentlichen Raum würden Fragen an 60.000 Menschen ab 16 Jahren verschickt, kündigten Innenminister Herbert Reul und Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (beide CDU) am 8. Januar in Düsseldorf an. Die Ergebnisse sollten helfen, präventive Maßnahmen und psychosoziale Unterstützungsangebote für Gewaltopfer gezielt weiterzuentwickeln.

"Wir erwarten unter anderem Erkenntnisse über Erscheinungs- und Deutungsformen nicht angezeigter Gewalttaten, das Anzeigeverhalten der Opfer sowie die gesundheitlichen und psychischen Folgen von erfahrener Gewalt", sagte Innenminister Reul. Die Befragung wird landesweit in 81 großen und kleinen Kommunen stattfinden. Ergebnisse werden für Beginn des kommenden Jahres erwartet.

Fragebogen an 60.000 Menschen verschickt

Die Studie wird vom Landeskriminalamt im Auftrag beider beteiligter Ministerien geleitet und vom Infas-Institut für angewandte Sozialwissenschaft durchgeführt. Die Kosten bezifferte Gleichstellungsministerin Scharrenbach auf rund eine halbe Million Euro. Mindestens 25 Prozent der angeschriebenen 60.000 Personen müssen sich den Angaben zufolge beteiligen, damit die Studie aussagekräftig ist. Bei einer ähnlichen Untersuchung in Niedersachsen hatten sich 40 bis 50 Prozent der Angeschriebenen beteiligt.

Insgesamt umfasst die Studie 54 Fragen. Beim Thema Gewalterfahrung wird unter anderem nach Mord, Totschlag, Körperverletzung, Körperverletzung mit Todesfolge, Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder auch Zwangsprostitution gefragt. Die Untersuchung in Niedersachsen hat nach Worten der Ministerin unter anderem ergeben, dass nur etwa sieben Prozent aller sexuellen Straftaten zur Anzeige gebracht werden. Deutschlandweit schätzte eine EU-Studie aus dem Jahr 2016 die Zahl der zur Anzeige gebrachten sexuellen Straftaten auf 15 Prozent.

Reul wies darauf hin, dass die Studie erstmals in Deutschland nicht nur das persönliche Umfeld, sondern auch den öffentlichen Raum im Nahbereich in Sachen Gewalterfahrung abfragen wird. "Die Zahl der tatsächlichen Straftaten im Gewaltbereich wird vermutlich sehr viel höher sein, als wir gedacht haben. Wenn wir es nicht ermitteln, können wir uns auch nicht darum kümmern", sagte der CDU-Politiker.

"Ein Großteil der Fälle kommt bislang aus Scham nicht zur Anzeige oder aus der Einschätzung, als Opfer selbst Schuld zu haben", sagte Scharrenbach. 84 Prozent der Fälle von angezeigter Gewalt in NRW beträfen Frauen und Mädchen, 16 Prozent Jungen und Männer. Auch für Jungen und Männer sei die Landesregierung dabei, ein gezieltes Hilfesystem aufzubauen, zu dem auch Schutzwohnungen gehörten, kündigte die Ministerin an.



Zahl der Organspenden erstmals seit 2010 gestiegen

Bundesweit haben im vergangenen Jahr 955 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe gespendet. Trotz des Anstiegs bleibt Kritik am bestehenden Transplantationswesen.

Die Zahl der Organspenden ist im vergangenen Jahr erstmals seit 2010 wieder gestiegen. Bundesweit hätten 955 Menschen nach ihrem Tod ihre Organe für schwer kranke Patienten gespendet, teilte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am 11. Januar in Frankfurt am Main mit. Das seien 20 Prozent mehr als im Vorjahr (797 Spender). Dennoch bleibt Kritik am bestehenden Transplantationswesen. "Der Schlüssel zu mehr Organspenden ist eine gute Organisation in den Krankenhäusern", erklärte die Deutsche Stiftung Patientenschutz. Ähnlich äußerte sich die SPD.

Von 995 Spendern seien 3.113 Organe durch die Vermittlungsstelle Eurotransplant an die Patienten auf den Wartelisten vermittelt worden, erläuterte die DSO. Das seien 519 Organe mehr, ebenfalls ein Anstieg um 20 Prozent im Vergleich zum Jahr 2017. Derzeit stünden rund 9.400 Patienten in Deutschland auf den Wartelisten.

Besonders begrüßte die DSO, dass die Kontaktaufnahmen der Kliniken mit der Koordinierungsstelle im Vorjahr um mehr als ein Viertel zunahmen. Voraussetzung für eine Steigerung der Organspenden sei, dass die Kliniken mögliche Spender der DSO meldeten.

Gesetzentwurf des Bundeskabinetts

Große Hoffnung setze die Organisation in einen Gesetzentwurf des Bundeskabinetts, mit dem die Abläufe bei Organspenden besser geregelt werden sollen. Er stärke die Transplantationsbeauftragten in den Kliniken und verpflichte zu einem flächendeckenden Berichtssystem. Auch würde erstmals die Betreuung von Angehörigen im Gesetz verankert und für eine bessere Finanzierung der Kliniken für die Transplantationen gesorgt.

Der Medizinische Vorstand der DSO, Axel Rahmel, forderte darüber hinaus eine gesetzliche Regelung der Entscheidung des Einzelnen über eine Organentnahme nach dem Tod. Bisher dürfen Organe eines Hirntoten in Deutschland nur entnommen werden, wenn dieser zuvor seine Zustimmung erteilt hat.

"Die freiwillige Entscheidungslösung wie bisher hat nicht funktioniert", sagte der Mediziner. Eine künftige Lösung solle die Selbstbestimmung des Einzelnen in den Vordergrund stellen und gleichzeitig eine persönliche Entscheidung forcieren, "so dass sich möglichst jeder Bürger mit der Frage der Organspende auseinandersetzt und seine Entscheidung auch dokumentiert".

Stiftung Patientenschutz spricht von "Lichtblick"

Hilde Mattheis, Berichterstatterin der SPD-Bundestagsfraktion für Organspende, begrüßt die Zahlen, mahnt aber strukturelle Verbesserungen an. Sie sprach von einem Hoffnungsschimmer. Man dürfe sich jedoch nicht auf den gestiegenen Zahlen ausruhen. "Ursache der weiterhin niedrigen Transplantationsrate in Deutschland sind strukturelle und organisatorische Probleme in den Krankenhäusern", sagte Mattheis.

"Wir werden deshalb im Bundestag in der kommenden Woche über einen Gesetzentwurf beraten, der diese Probleme angeht", sagte die Expertin. Sie sei zuversichtlich, "dass wir damit einen echten Durchbruch für das Transplantationssystem in Deutschland erreichen".

Für die Deutsche Stiftung Patientenschutz sagte Vorstand Eugen Brysch: "Der Anstieg bei den Organspendezahlen ist ein Lichtblick. Doch das ist kein Erfolg der teuren Werbekampagnen der letzten Jahre." Der Schlüssel zu mehr Organspenden sei vielmehr eine gute Organisation in den Krankenhäusern. Der Vorschlag für eine Widerspruchsregelung, nach der jeder Bürger Organspender wird, der nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat, erweise der Sache jedoch einen Bärendienst. "Mit Zwang lässt sich kein Vertrauen gewinnen", sagte Brysch.



Private Anbieter in NRW sehen Pflegekammer skeptisch


Ein Pfleger ordnet das Bett eines Patienten.
epd-bild/Juergen Blume
NRW soll eine Pflegekammer bekommen. Die privaten Pflegeanbieter warnen die Politik davor, sich damit aus der Verantwortung für die Probleme in der Pflege zu ziehen. Die Bundesregierung hält eine Pflegekammer auf Bundesebene für sinnvoll.

Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) steht der geplanten Gründung einer Pflegekammer in Nordrhein-Westfalen skeptisch gegenüber. "Die Kammer kann keines der drängenden Probleme, unter denen Pflegende in ihrem Alltag leiden, lindern oder gar lösen", kritisierte die stellvertretende bpa-Landesvorsitzende Anne Egidy, am 10. Januar in Düsseldorf. Die Verantwortung für die Sicherstellung der Versorgung und für die Bekämpfung des Fachkräftemangels und der daraus resultierenden Arbeitsverdichtung liege bei den Sozialleistungsträgern und der Politik.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte am 9. Januar die Gründung einer Kammer für Pflegeberufe angekündigt. Sie soll ähnlich wie etwa Ärzte- oder Apothekerkammern die Belange der Berufsgruppe vertreten. Kammermitglieder sollen alle Berufstätigen der Branche werden können, die ein Pflege-Staatsexamen haben. Aufgabe einer Pflegekammer wird es unter anderem sein, die Qualität in der Pflege zu sichern, Ausbildungsstandards festzulegen sowie Fortbildungsangebote zu entwickeln. Das Land will den Aufbau der Pflegekammer in den ersten beiden Jahren mit insgesamt fünf Millionen Euro unterstützen. Danach soll sich die Kammer aus Gebühren und Beiträgen ihrer Mitglieder selbst finanzieren.

Gesundheitsminister Spahn plädiert für Bundespflegekammer

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sprachen sich unterdessen auch für eine Pflegekammer auf Bundesebene aus. "Pflege braucht eine gute Interessenvertretung", sagte Spahn der Düsseldorfer "Rheinischen Post" (9. Januar). "Kammern können dafür eine Lösung sein." Westerfellhaus sagte der Zeitung, die Institution solle sowohl Ansprechpartner für die Politik sein als auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der Pflegefachkräfte in Deutschland stärken.

Pflegekammern gibt es bisher nur in Rheinland-Pfalz und Niedersachsen.



Muslime arbeiten bei Berliner Notfallseelsorge mit

Die Berliner Notfallseelsorge arbeitet jetzt offiziell mit muslimischen Helfern zusammen. Der Kooperationsvertrag dazu wurde am 10. Januar in der Bundeshauptstadt unterzeichnet. Bei der bundesweit bislang einzigartigen Kooperation arbeiten alle Partner "inklusiv, also auf Augenhöhe" zusammen, wie der evangelische Landespfarrer für Notfallseelsorge, Justus Münster, betonte. Bei einem Einsatz spiele es keine Rolle, ob oder welchen religiösen Hintergrund ein Helfer habe.

Träger der Berliner Notfallseelsorge sind die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und das Erzbistum Berlin. In der Berliner Notfallseelsorge engagieren sich auch die Johanniter-Unfall-Hilfe, der Malteser Hilfsdienst, der Arbeiter-Samariter-Bund, das Deutsche Rote Kreuz und die Deutsche Lebensrettungs-Gesellschaft. Die Muslimische Notfallseelsorge ist der achte Kooperationspartner.

150 ehrenamtliche Notfallhelfer

Ende vergangenen Jahres hatte zudem das Land Berlin erstmals eine finanzielle Unterstützung zugesagt. Demnach stehen der Berliner Notfallseelsorge für die Jahre 2018 und 2019 insgesamt 90.000 Euro aus öffentlichen Geldern zur Verfügung.

Aktuell sind in Berlin rund 150 Frauen und Männer ehrenamtlich für die Notfallseelsorge und Krisenintervention aktiv, darunter 20 Muslime. Sie werden etwa 350 Mal pro Jahr gerufen. In Unglücksfällen betreuen die Notfallhelfer Angehörige von Opfern, aber auch Ersthelfer an Unglücksorten wie Mitarbeiter von Rettungsdiensten, Feuerwehr und Polizei sowie andere Betroffene. Alle ehrenamtlichen Notfallhelfer werden für ihren Einsatz professionell geschult.




Medien & Kultur

Flüchtlingsdebatte: Widmann-Mauz kritisiert Falschmeldungen


Die Themen Migration, Islam und Flüchtlinge sind nach Meinung von Annette Widmann-Mauz zum "Spielfeld für Unwahrheiten" geworden.
epd-bild/Friedrich Stark
Hass und Falschmeldungen im Internet stellen Journalisten vor Probleme und vergiften das politische Klima. "Manchmal hat man den Eindruck, je größer der Unsinn, desto größer die Verbreitung", sagt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung.

Die Themen Migration, Islam und Flüchtlinge sind nach Meinung der Integrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz (CDU) im Internet zum "Spielfeld für Unwahrheiten" geworden. "Manchmal hat man den Eindruck, je größer der Unsinn, desto größer die Verbreitung", sagte sie am 10. Januar bei der Civis Medienkonferenz in Berlin. Leider blieben Falschmeldungen und Halbwahrheiten nicht auf Filterblasen beschränkt, sondern flössen zunehmend in öffentliche Debatten mit ein.

Die Stilmittel der Populisten - Vereinfachung, Stilisierung von Konflikten, Polarisierung - seien auch Stilmittel von Sensationsjournalismus, betonte Widmann-Mauz und verwies darauf, dass Online-Medien auch durch Klickzahlen Reichweite erzielten. Kritik übte sie daran, dass die vermeintliche Straftat eines Flüchtlings bundesweit schon eine Nachricht sei, nur weil es sich um einen Flüchtling handele.

Die Civis Medienkonferenz befasste sich unter dem Titel "Medien Revolution: Wer spricht denn da? - Alternative Wirklichkeit im Zeitalter kreativer Zerstörung" mit den Herausforderungen für Journalisten im Zeitalter der Digitalisierung. Die Berliner Kommunikationswissenschaftlerin Ulrike Klinger sagte, dass Algorithmen nicht neutral seien, sondern diskriminierten und Stereotypen verfestigten. Falsche Informationen würden sich zudem schneller und weiter verbreiten, weil sie einen höheren Neuigkeitswert hätten.

Der Schweizer Medienforscher Mark Eisenegger hob hervor, dass zunehmend pseudojournalistische Anbieter auf den Markt kämen, während bei den professionellen Medien gespart werde. Das erschwere die Arbeitsbedingungen der professionellen Journalisten. Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen riet, dass Medien künftig verstärkt deutlich machen müssten, wie sie recherchiert hätten. Transparenz sei die neue Objektivität.

Deutsche-Welle-Intendant Limbourg für weniger Journalistenpreise

Der Deutsche-Welle-Intendant Peter Limbourg thematisierte russische Propaganda in Deutschland. Die Speerspitze seien RT Deutsch und Sputnik News. Beide sähen sich als Teilnehmer an einem Informationskrieg, gäben vor über fehlende Aspekte zu berichten, die hiesige Medien vermeintlich unterschlagen. Er kritisierte, dass die Berichterstattung tatsächlich darauf abziele, durch "falsche, verzerrte und verkürzte Darstellung, systematisch einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben".

Limbourg wies zugleich darauf hin, dass sich weite Teile der türkisch-, arabisch- und russischsprachigen Gemeinschaften mehr über Angebote des türkischen Senders TRT, des arabischen Nachrichtensenders Al Jazeera und des Kanals Russia 24 informierten als über deutsche Medien. In einer Studie von 2016 habe sogar eine Mehrheit der Russlanddeutschen angegeben, russischen Medien mehr zu vertrauen als den deutschen. Das bleibe nicht ohne Folgen für die Wertediskurs und für die Integration.

Limbourg mahnte darüber hinaus, dass die deutschen Medien nach dem Skandal um den "Spiegel"-Mitarbeiter Claas Relotius wieder Vertrauen herstellen müssten. Eine sinnvolle Konsequenz wäre, künftig deutlich weniger Journalistenpreise auszuloben, sagte er. Am Ende sei die einzig wichtige Auszeichnung für Journalisten die Aufmerksamkeit - und diese beruhe auf Vertrauen. Der "Spiegel" hatte im Dezember offengelegt, dass Relotius im großen Umfang eigene Geschichten manipuliert hat. Er war für seine Texte vielfach ausgezeichnet worden.



Leyendecker warnt vor Echokammern zur eigenen Bestätigung


Hans Leyendecker war am 7. Januar zu Gast auf der rheinischen Landessynode in Bad Neuenahr.
epd-bild/Hans Jürgen Vollrath

Mit Blick auf den Fall des früheren "Spiegel"-Reporters Claas Relotius warnt der Journalist Hans Leyendecker vor Echokammern, in denen nach einer Bestätigung für die eigene Sicht der Dinge gesucht wird. Relotius habe das angeblich immer perfekte Zitat und beste Detail gefunden, "indem er sie erfand", sagte Leyendecker am 7. Januar vor der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland in Bad Neuenahr. "Dabei bediente er feingeschrieben gern Klischees und Vorurteile - unsere Vorurteile", erläuterte der Präsident des diesjährigen evangelischen Kirchentages, der vom 19. bis 23. Juni in Dortmund stattfindet.

Der "Spiegel" hatte am 19. Dezember offengelegt, dass Relotius im großen Umfang eigene Geschichten manipuliert hat. Er hatte die Fälschungen nach internen Nachforschungen zugegeben und das Haus verlassen.

"Wir bekommen nur zu gerne bestätigt, was wir immer schon gesagt oder gemeint haben", sagte Leyendecker. "Guter Mann, schreibt, was ich denke. Schlechter Mann, schreibt nicht, was ich denke." Das mache es zurzeit im Journalismus nicht einfach. Es sei aber falsch, dem Journalismus insgesamt zu misstrauen. Zwar gebe es Betrüger und Journalisten, die Fehler machen, jedoch habe es "noch nie so viel richtig guten Qualitätsjournalismus" gegeben. Als Beispiel nannte der Investigativjournalist die Berichterstattung über die "Panama Papers".



Grütters gibt NS-Raubkunst-Gemälde zurück


Grütters (rechts) übergab das Bild an die Nachfahren von George Mandel.
epd-bild/Jürgen Blume

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) hat am 8. Januar ein weiteres Bild aus dem "Kunstfund Cornelius Gurlitt" an die Erben des einstigen jüdischen Besitzers zurückgegeben. Das Gemälde "Portrait de jeune femme assise" (Porträt einer sitzenden jungen Frau) des französischen Malers Thomas Couture (1815-1879) war 2017 als Eigentum des jüdisch-französischen Politikers und Mitglieds der Résistance, George Mandel (1885-1944), identifiziert worden. Grütters übergab das Bild im Berliner Martin-Gropius-Bau an die Nachfahren Mandels.

Das Gemälde war zuletzt in der am Tag zuvor zu Ende gegangenen Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt" im Berliner Gropius-Bau zu sehen. "Mit der Rückgabe des Gemäldes von Thomas Couture an die Familie des früheren Eigentümers setzen wir einen bewegenden Schlusspunkt unter die Ausstellungen zum Kunstfund Gurlitt", erklärte Grütters. Die Kulturstaatsministerin betonte, auch dieser Fall mahne, in der rückhaltlosen Aufarbeitung des NS-Kunstraubs, für den Deutschland Verantwortung trage, nie nachzulassen. Es ist das fünfte Bild aus der Sammlung, das an die rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben wird.

Repariertes Loch im Gemälde

Laut dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg führte ein winziges technisches Detail das Team des Projekts Provenienzrecherche Gurlitt auf die Spur zu Georges Mandel. Mit bloßem Auge kaum erkennbar, weise das Porträt in Brusthöhe der Porträtierten ein repariertes Loch auf. Eine Freundin des 1944 ermordeten Georges Mandel hatte nach dem Krieg das Gemälde als gestohlen gemeldet und auf einer handschriftlichen Notiz auch den Einriss erwähnt.

Nach weiteren Untersuchungen des Bildes aus der Sammlung Gurlitt wurde das reparierte Loch schließlich entdeckt. Ein weiteres entscheidendes Dokument, das Hinweise auf den ursprünglichen Besitzer gab, fand sich zudem im Politischen Archiv des Auswärtigen Amts in Berlin.

An der Übergabe des Gemäldes nahmen auch ein Vertreter des Kantons Bern und ein Gesandter der französischen Botschaft teil. Das Kunstmuseum Bern hat den Nachlass des NS-Kunsthändlers Hildebrand und seines Sohnes Cornelius Gurlitt geerbt. Die Provenienzen aller mehr als 1.500 Werke sollen erforscht werden.



"Reformationsfenster": Architekten-Erbe lehnt Mediation ab

Im festgefahrenen Streit um das von Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) angeregte "Reformationsfenster" für die Marktkirche in Hannover wird auch eine Mediation keine Lösung bringen. Der Erbe des Architekten Dieter Oesterlen (1911-1994), Georg Bissen, habe ein Mediationsverfahren abgelehnt, wie der evangelisch-lutherische Stadtkirchenverband am 11. Januar mitteilte. Die Mediation war vom Präsidenten des niedersächsischen Staatsgerichtshofes, Herwig van Nieuwland, vorgeschlagen worden. Niedersachsens frühere Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) hatte sich bereiterklärt, das Verfahren zu moderieren.

Der Kirchenvorstand der evangelischen Marktkirche werde nun das weitere Vorgehen prüfen, hieß es. Noch seien viele Fragen offen, insbesondere zu den Kosten und zur juristischen Einschätzung. Deshalb will sich der Kirchenvorstand von externen Fachleuten beraten lassen.

Der in Tokio lebende Rechtsanwalt Bissen hatte Widerspruch gegen das 13 Meter hohe Buntglasfenster des Künstlers Markus Lüpertz angemeldet, das Altkanzler Schröder der evangelischen Kirche schenken will. Bissen hält das geplante Fenster für nicht vereinbar mit dem architektonischen Konzept seines Stiefvaters. Er verwaltet die Urheberrechte an der Neugestaltung der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg durch Oesterlen.

Der Entwurf von Markus Lüpertz, einem Freund Schröders, setzt sich in zahlreichen Symbolen mit dem Leben und Werk des Reformators Martin Luther (1483-1546) auseinander. Für kontroverse Diskussionen sorgen dabei vor allem fünf Fliegen als Symbol des Bösen und der Vergänglichkeit.

Altkanzler Schröder hatte im Frühjahr angekündigt, er wolle der Marktkirche als Ehrenbürger von Hannover das Fenster schenken. Allein die Kosten für Material, Herstellung und Einbau werden auf rund 100.000 Euro geschätzt. Zur Finanzierung will Schröder Vortragshonorare von Verbänden und Unternehmen in Deutschland weitergeben.



Gericht weist Klage gegen Kathedralen-Umbau ab

Das Verwaltungsgericht Berlin hat eine Klage gegen die denkmalschutzrechtliche Genehmigung für den geplanten Umbau der Berliner St. Hedwigs-Kathedrale abgewiesen. Zur Begründung verwies Richter Markus Rau am 9. Januar in Berlin nach mehr als einstündiger mündlicher Verhandlung auf die fehlende Klagebefugnis der Kläger. (VG 19 K 334.18, VG 19 K 319.18)

Gegen die Pläne des Erzbistums und die Baugenehmigung durch den Bezirk Mitte hatten ein am Wiederaufbau der Kirche beteiligter Künstler sowie vier Rechtsnachfolger von beteiligten Künstlern geklagt. Der 1773 fertiggestellte Kuppelbau war im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und ab 1952 wieder aufgebaut worden.

Rau verwies unter anderem auf das Denkmalschutzgesetz, das die Interessen des Staates schütze, aber nicht das individuelle Interesse von Künstlern. Den Klägern stehe aber der Weg über eine Unterlassungsklage bei einem Zivilgericht wegen möglicher Urheberrechtsverletzungen offen. Beim Berliner Landgericht ist eine entsprechende Klage schon anhängig. Einer der Klägeranwälte, Lothar Poll, kündigte bereits in der Verhandlung an, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtes in erster Instanz Berufung zu beantragen. Die Kläger hatten eine Aufhebung der denkmalrechtlichen Genehmigung des Umbaus beantragt.

Streit um Schließung der zentralen Bodenöffnung

Die Kritik der Kläger richtet sich vor allem gegen die geplante Schließung der zentralen Bodenöffnung mit breiter Treppe in die Unterkirche. Die Innenraumgestaltung stammt von dem Architekten Hans Schwippert (1899-1973) und wurde 1963 abgeschlossen.

Nach Umgestaltung und Renovierung der Kirche soll der Altar weiter ins Zentrum der Rundkirche rücken und darum herum die Sitzbänke stehen. Bislang sitzt die Gemeinde rechts und links der Treppe in die Unterkirche und blickt seitlich auf Altar und Priester. Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke) hatte gegen Bedenken des Landesdenkmalamtes die Umbaupläne mit Verweis auf die liturgischen Belange der Gemeinde genehmigt.

Renovierung und Umbau sollen rund 60 Millionen Euro kosten und zu je einem Drittel vom Erzbistum, den anderen deutschen Bistümern sowie von Bund und Land finanziert werden. Beklagter war die Senatskulturverwaltung, vertreten durch die Untere Denkmalschutzbehörde des Bezirks Mitte.

Wegen Renovierung und Umbau ist Berlins wohl bekannteste katholische Kirche seit dem vergangenen September für voraussichtlich fünf Jahre geschlossen. Gegen den Umbau hatten in der Vergangenheit auch Gemeindemitglieder protestiert.



Domkapellmeister mit Mission: Georg Ratzinger wird 95


Georg Ratzinger wird 95 Jahre alt.
epd-bild/Stefan Hanke
Kirchenmusiker, Komponist, Domkapellmeister: Georg Ratzinger ist mehr als der Papstbruder. Von 1964 bis 1994 leitete er den weltberühmten Knabenchor der Regensburger Domspatzen. Am 15. Januar wird er 95 Jahre alt.

Georg Ratzinger machte die Regensburger Domspatzen zu dem, was sie heute sind - ein Knabenchor auf Weltniveau. Unter seiner Ägide entfalteten die traditionsreichen Sänger im Lauf der Wirtschaftswunderjahre eine nie dagewesene Reisetätigkeit und Medienpräsenz. Am 1. Februar 1964 hatte Ratzinger sein Amt als Domkapellmeister angetreten, bereits ein Jahr später war der Chor auf seiner ersten Auslandstournee nach Rom unterwegs, inklusive einer Privataudienz bei Papst Paul VI.. Doch der Weg an die Spitze war auch von dunklen Schatten begleitet.

Der ersten Reise der Domspatzen folgten Tourneen in die USA, Kanada, Skandinavien, Japan, Irland, Polen, Ungarn und immer wieder in den Vatikan. 1966 brachte das ZDF Aufnahmen für die Serie "Chöre der Welt". Ratzingers Domspatzen traten in Fernsehshows von Peter Alexander oder Anneliese Rothenberger auf. Sie sangen beim Staatsbesuch der britischen Königin (1978), wirkten beim Papstbesuch Johannes Paul II. (1980) in der Münchner Residenz mit oder gingen auf Tournee nach Irland, unter Begleitung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1992).

Musikalische Hochbegabung zeigt sich früh

Schallplatteneinspielungen großer Werke der Chormusik folgten, wie die H-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Der BR spielte Chorkonzerte ein. Im Jahr 1976 feierten die Domspatzen ihr 1.000-jähriges Bestehen mit einer ganzen Festwoche - und einer Konzerttournee in vier skandinavische Länder. Ratzinger wurde mit Medaillen, Ehrentiteln und Verdienstorden überschüttet. Auf keinen Titel legt er so viel Wert wie auf den des Domkapellmeisters. Am liebsten werde er mit "Herr Domkapellmeister" angesprochen, sagte er. Das gilt bis heute.

Georg Ratzinger wurde am 15. Januar 1924 in Pleiskirchen bei Altötting geboren. Seine musikalische Hochbegabung zeigt sich früh. Sein Bruder Joseph, der spätere Papst Benedikt XVI., berichtet in seinem Buch "Aus meinem Leben", dass die Musik das "besondere Charisma" seines Bruders sei. Mit elf Jahren spielt er bereits die Orgel in der Kirche. 1935 tritt er in Traunstein ins Gymnasium ein und in das dortige Erzbischöfliche Studienseminar. Bereits 1936 fängt er an, selbst zu komponieren.

Es muss wie eine Initialzündung gewirkt haben, als er mit 17 Jahren zusammen mit seinem Bruder Joseph zum ersten Mal die Salzburger Festspiele besucht und die Domspatzen live erlebt. Das Ereignis lässt ihn nicht mehr los. Nach dem Zweiten Weltkrieg, er kehrt verwundet zurück, tritt er 1946 ins Priesterseminar der Erzdiözese München und Freising ein und beginnt bald darauf das Studium der Kirchenmusik an der Musikhochschule in München. 1955 belegt er den Meisterkurs an der Hochschule für Musik.

Am 1. Februar 1964 wird Ratzinger Domkapellmeister am Regensburger Dom und Leiter der Regensburger Domspatzen in der Nachfolge von Theobald Schrems, dem Domkapellmeister, den er zum ersten Mal in Salzburg begegnete. 1994 verabschiedet sich Ratzinger im Alter von 70 Jahren von den Domspatzen, er hat sie 30 Jahre lang geleitet.

Gewaltsystem bei den Domspatzen

In den Fokus der Weltöffentlichkeit gerät Georg Ratzinger am 19. April 2005, als sein Bruder Joseph zum Papst gewählt wurde. Äußert er sich anfangs noch besorgt über die Wahl seines Bruders, akzeptiert er sie bald und reist immer wieder gerne in den Vatikan.

So sehr das Licht auf Georg Ratzinger auch strahlte, im Sommer 2017 verdunkelte sich sein Stern: Die katholische Kirche veröffentlichte ihren Bericht zu den Misshandlungsfällen bei den Domspatzen. Dabei stellte sich heraus, dass Ratzinger Teil des Gewaltsystems bei den Domspatzen war. Um "seine Vorstellungen von musikalischer Qualität durchzusetzen", habe Ratzinger auch nach 1980 "körperliche Gewalt zumindest in Einzelfällen" angewendet, hieß es im Bericht. Ratzinger selbst sprach von "Ohrfeigen" und sagte, dass er sich seit 1980 strikt an das gesetzliche Züchtigungsverbot gehalten habe.

Ratzinger lebt seit 55 Jahren in Regensburg. "Die Stadt ist praktisch wie ein Stück von mir selber", sagte er einmal. Sein Wohnhaus in der Luzengasse verlässt er nur noch selten, er ist an den Rollstuhl gebunden, sieht nur sehr schlecht. Sein engster Vertrauter ist sein Bruder, der 92-jährige, emeritierte Papst Benedikt XVI., mit dem er mindestens einmal pro Woche telefoniert. Besuche sind wegen des fortgeschrittenen Alters der beiden nicht mehr möglich, wie ein Bistumssprecher sagt.

Seine letzte Ruhestätte will Georg Ratzinger am Unteren Friedhof in Regensburg finden, in der Grabstätte seines Vorgängers, des früheren Domkapellmeisters Theobald Schrems. Das habe er so verfügt, sagt Ratzinger. Wie die ewige Heimat aussieht, davon wolle er sich dann überraschen lassen: "Sie wird hoffentlich schöner, als wir es uns vorstellen können."

Gabriele Ingenthron (epd)


Tönende Badewanne im Mainzer Abgeordnetenhaus


Der Landtagsabgeordnete Geis organisiert Kunstausstellungen in seinem Büro, hier mit der Koreanerin Juyoung Paek.
epd-bild/Andrea Enderlein
Im Mainzer Abgeordnetenhaus werden nicht nur Landesgesetze und Plenarreden vorbereitet: Der SPD-Politiker Manfred Geis stellt in seinem kleinen Büro seit 20 Jahren regelmäßig die Werke zeitgenössischer Künstler aus.

Kalte weiße Flure, ein langer Lichtschacht und Bürotüren in hellem Einheitsbraun: Das Abgeordnetenhaus des rheinland-pfälzischen Landtags in Mainz ist eigentlich kein einladender Ort. Doch wenn Manfred Geis einlädt, wird es eng in den Korridoren. Der SPD-Abgeordnete veranstaltet seit mittlerweile 20 Jahren regelmäßig Ausstellungen unter dem Motto "Kunst im Abgeordnetenbüro". In seinem Zimmer mit der Nummer 236 präsentiert er zwischen Aktenordnern, Regalen und dem Wandschrank mit eingebautem Klappbett die Bilder und Skulpturen zeitgenössischer Künstler.

Gewöhnlichen rheinland-pfälzischen Abgeordneten wie ihm steht in Mainz ein gerade einmal 15 Quadratmeter großes Arbeitszimmer zur Verfügung. Bei Manfred Geis sind die Wände des winzigen Vorraums schon fast komplett mit den Einladungen vergangener Schauen vollgehängt. Ein Teil der Kunstwerke bekommt meist einen Platz in den angrenzenden Fluren. "Ich habe dabei noch nie ein politisches Wort gesagt", stellt Geis klar. "Das ist mein persönlicher Spleen, keine Parteiveranstaltung."

Von einer Vorstellungsfeier zur Serie

Kulturpolitik ist das Steckenpferd des Pfälzer Sozialdemokraten. 1998 kam er als Nachrücker in den Landtag - fast zeitgleich mit der Eröffnung des Abgeordnetenhauses. Die erste Ausstellung in seinem Büro entstand, weil Geis einen Anlass suchte, um sich seinen Landtagskollegen vorzustellen. Das Echo überraschte den Politiker: Zeitungskorrespondenten, Radio und Fernsehen berichteten, mehrere Kunstwerke des Malers Stefan Budian fanden einen Käufer, und Budian bekam später den offiziellen Auftrag des Landes, das kahle Treppenhaus des Neubaus zu gestalten. So wurde aus der einmaligen Vorstellungsfeier eine Serie.

Für junge Künstler wie die gebürtige Koreanerin Juyoung Paek sind das häufig die ersten Solo-Ausstellungen. Sie zeigte in Mainz vor dem Jahreswechsel unter anderem winzige Skulpturen, die sie sogar in der Deckenleuchte und hinter einem Wasserhahn platzierte.

Wie bei anderen Kunstausstellungen

Zur Eröffnung bestaunte die Mainzer Kunstszene einen Performance-Darsteller, und Barbara Weyandt, Dozentin für Kunstgeschichte am renommierten Institut für Künstlerische Keramik und Glas in Höhr-Grenzhausen, führte in das Werk ein. Die Koreanerin stehe gewissermaßen in der Nachfolge von Yoko Ono, mache es möglich, sich mit seinem eigenen "inneren Kind" zu treffen, sagte sie vor rund 50 Gästen: "Paek zeigt sich als Künstlerin, die sich leichtfüßig zwischen den Genres bewegt."

Manfred Geis legt Wert darauf, dass es bei ihm zugeht wie bei anderen Kunstausstellungen auch - es gibt eine Vernissage und Einladungskarten. Und er hat ein gutes Gefühl für junge Kunst, bescheinigt ihm der frühere Mainzer Kulturstaatssekretär Walter Schumacher, der gelegentlich bei den Ausstellungen zu Gast ist: "Das ist schon eine richtige Marke im Land geworden." Dabei bleibe der Abgeordnete ganz unprätentiös. Tatsächlich vermeidet Manfred Geis alles, was irgendwie abgehoben wirken könnte: "Die Leute, die häufiger da waren, wissen schon, wo bei mir der Kühlschrank steht, aus dem man sich den Wein rausholt."

Skurrile Geschichten

Fast über jede der mittlerweile knapp 100 Ausstellungen mit zusammen rund 250 teilnehmenden Künstlern kann Geis lange, skurrile Geschichten erzählen - etwa von den drei Mainzer Kunststudenten, die aus Schrottteilen eine Art Wasserleitung vom Wasserhahn seines Büros bis hinunter ins Erdgeschoss des Abgeordnetenhauses verlegten. "Das war absolut verrückt, das Projekt", schwärmt der Abgeordnete, der sich bis heute nicht ganz sicher ist, ob es sich um einen Baufehler oder einen Teil der künstlerischen Inszenierung handelte, als bei der Eröffnung ein Teil der Konstruktion zusammenbrach.

Der Klangkünstler Nicola Hein habe über das gesamte Stockwerk verteilt "Stationen" aufgebaut, unter anderem eine Badewanne, die gewöhnungsbedürftige Töne von sich gab, wenn man sich hineinsetzte. Und die Ausstellung einer Fotokünstlerin über selbstbewusste Frauen aus der Türkei - ihre Abschlussarbeit an der Mainzer Kunsthochschule - löste 2017 sogar einen politischen Eklat aus. Ein wohlwollender Artikel in der Lokalzeitung über die Vernissage war mit einem Foto bebildert, auf dem unschwer eine kurdische Kämpferin zu erkennen war. Das türkische Generalkonsulat legte offiziell Protest ein, türkische Medien griffen den Fall auf.

Andere Abgeordnete kommen fast nie

Die Parlamentsverwaltung, die gelegentlich eigene Ausstellungen im Foyer des Gebäudes organisiert, hat Geis in all den Jahren dennoch nie Steine in den Weg gelegt. "Es ist sehr beeindruckend und außergewöhnlich, was ein einzelner Abgeordneter hier seit vielen Jahren in Eigenregie auf die Beine stellt", lobt Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) die Aktivitäten seines Fraktionskollegen.

Andere Abgeordnete kommen allerdings so gut wie nie zur "Kunst im Abgeordnetenbüro" - nicht einmal die aus der eigenen Partei. Geis ist klar, dass niemand seine Initiative fortführen wird, wenn er zum Ablauf der Legislaturperiode aus dem Landtag ausscheidet: "Wenn ich nicht mehr dabei bin, ist es vorbei."

Karsten Packeiser (epd)


Ophüls-Festival hat seine Bedeutung zementiert


Oliver Baumgarten
epd-bild/Filmfestival MOP/Oliver Dietze
Das Saarbrücker Filmfestival Max Ophüls Preis wird 40. Nach Einschätzung von Programmleiter Oliver Baumgarten hat es heute eine große Bedeutung im Nachwuchsbereich. Viele Filmemacher erlebten dort zum ersten Mal, wie es ist, ihr Werk einer Öffentlichkeit zu zeigen. Vom 14. bis 20. Januar sind über 150 Filme zu sehen, davon 62 im Wettbewerb.

Das Filmfestival Max Ophüls Preis hat nach den Worten von Programmleiter Oliver Baumgarten in den deutschsprachigen Ländern seine Bedeutung im Nachwuchsbereich zementiert. "Wir arbeiten daran, die Anknüpfung zwischen den Filmschaffenden und der Branche zu verfeinern, die Kontaktmöglichkeiten weiter zu verbessern", sagte der Filmkurator dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vom 14. bis 20. Januar lädt die nunmehr 40. Festivalausgabe wieder nach Saarbrücken ein.

"Wir fühlen uns einer starken Tradition verpflichtet", betonte Baumgarten. Zur DNA des Festivals gehörten dessen Rolle für junge Filmemacher am Anfang der Karriere, das Aufgreifen sozialer und politischer Themen sowie die Unterstützung durch das Saarbrücker Publikum. "Das sind die Stützpfeiler", sagte er. Auch dadurch habe sich der Max Ophüls Preis zu einer Mischform aus Publikums- und Branchenfestival entwickelt.

"Viele Filmemacher und Filmemacherinnen erleben hier zum ersten Mal, wie es ist, ihr Werk plötzlich einer Öffentlichkeit zu zeigen", sagte der Programmleiter. Sie erhielten Lob, Kritik, müssten Interviews geben und sich zu ihrem Werk äußern. "Das ist für einen Künstler ein wahnsinnig großer Schritt", unterstrich Baumgarten. Dass das Publikum darauf so dankbar reagiere, sei für die Filmemacher eine große Sache.

Bei der diesjährigen Festivalausgabe laufen insgesamt 153 Filme in Saarbrücker Kinos und erstmals auch einige in Bous und St. Ingbert. Davon treten 62 Filme in den Wettbewerben Spielfilm, Dokumentarfilm, Mittellanger Film und Kurzfilm um Preise im Gesamtwert von 118.500 Euro an. Dieses Jahr sind laut Baumgarten sehr viele Filme dabei, die sich mit Zweier-Beziehungen, Isolation oder Missbrauch auseinandersetzen.

"Wenn ein Film in unserem Wettbewerb läuft, dann muss er sich jenseits der Konvention an bestimmten Punkten trauen, etwas anders zu machen", betonte der Kurator. "Einen Film, der die konventionellen Stationen einer Dramaturgie abhakt, finde ich für ein Festival uninteressant." Diese Filme hätten bereits ein Publikum und bräuchten deswegen keine Festivalbühne.

Der Max Ophüls Preis gilt als eines der bedeutendsten Filmfestivals für Nachwuchsfilmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Benannt ist es nach dem in Saarbrücken geborenen Regisseur Max Ophüls (1902-1957). Am Festivalsamstag ist laut Baumgarten der Ophüls-Film "Liebelei" zu sehen. "Wir haben beim Film von Max Ophüls sowohl dessen Sohn Marcel Ophüls zu Gast als auch Max' Urenkel Benjamin Seyfert, der in den Film einführen wird", betonte er. Es sei wichtig, daran zu erinnern, dass Ophüls sowohl für filmische Kunst als auch für die Mahnung an die Verbrechen der Nazi-Diktatur stehe.

epd-Gespräch: Marc Patzwald


Buchhandel meldet für 2018 stabilen Umsatz

Der deutsche Buchmarkt hat 2018 seinen Umsatz gehalten. Mit einem hauchdünnen Plus von 0,1 Prozent liege das Jahresergebnis auf dem Publikumsmarkt leicht über dem Vorjahr, teilte der Börsenverein des Deutschen Buchhandels am 10. Januar in Frankfurt am Main mit. Zum Publikumsmarkt zählen Sortimentsbuchhandel, E-Commerce inklusive Amazon, Bahnhofsbuchhandel, Kauf- und Warenhäuser sowie Elektro- und Drogeriemärkte.

Auch der Buchhandel vor Ort hat sich nach Darstellung des Börsenvereins nach einem mageren Jahr 2017 (minus drei Prozent) erholt, er verringerte seinen Rückstand zum Vorjahr auf minus 0,6 Prozent. Besonders gut entwickelten sich demnach Sachbücher mit einem Plus von 5,5 Prozent. Kinder- und Jugendbücher gewannen im Vergleich zum Vorjahr 3,2 Prozent an Umsatz hinzu. Die weiterhin bedeutendste Warengruppe, die Belletristik, liegt mit 0,9 Prozent unter dem Vorjahresergebnis. Rückläufig waren ebenso Reiseliteratur (minus 3,2 Prozent) und Ratgeber (minus 1,2 Prozent).

"Der Insasse" meistverkaufter Roman

Der meistverkaufte Roman 2018 (Hardcover) war der Mitteilung zufolge "Der Insasse" von Sebastian Fitzek. Auf Rang zwei folgt "Die Tyrannei des Schmetterlings" von Frank Schätzing, den dritten Platz belegt Dörte Hansens "Mittagsstunde". Bei den Sachbüchern (Hardcover) liegt Michelle Obamas Autobiografie "Becoming" vorn. Dahinter folgen "Kurze Antworten auf große Fragen" von Stephen Hawking und "Der Ernährungskompass" von Bas Kast.



Hans Joachim Schädlich bekommt Erich-Loest-Preis 2019

Der sächsische Schriftsteller Hans Joachim Schädlich wird mit dem diesjährigen Erich-Loest-Preis der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig ausgezeichnet. Schädlichs Art zu schreiben verbinde einen wachen, kritischen Geist mit erzählerischer Fantasie und male wirkmächtige Bilder der jüngeren deutschen Geschichte, sagte der geschäftsführende Vorstand der Stiftung, Stephan Seeger, am 10. Januar in Leipzig. Die Auszeichnung ist mit 10.000 Euro dotiert und wird am 24. Februar in Leipzig übergeben. Die Laudatio hält der Literaturredakteur Tilman Spreckelsen von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Die Jury würdigt mit Schädlichs Auszeichnung vor allem dessen Anfang 2018 erschienenen Roman "Felix und Felka". Das Buch über die letztlich vergebliche Flucht des deutsch-jüdischen Malers Felix Nussbaum und dessen Lebensgefährtin Felka vor den Nazis sei eine meisterliche literarische Verdichtung, hieß es.

Der Erich-Loest-Preis wird seit 2017 alle zwei Jahre vergeben. Erster Preisträger war der Schriftsteller Guntram Vesper. Der Preis würdige Autoren, die die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland beschreiben und mit ihrer Stimme den demokratischen Diskurs mitgestalteten, hieß es. Der Preis ist nach dem 2013 verstorbenen Leipziger Schriftsteller und Ehrenbürger Erich Loest benannt.



Umfrage: Viele Internetnutzer machen sich Sorgen um ihre Daten

Trotz des vor kurzem bekanntgewordenen Online-Diebstahls von persönlichen Informationen über Politiker, Prominente und Journalisten ist die Zahl der Deutschen, die Angst vor einem Missbrauch ihrer Daten haben, gleich geblieben. So hatten laut einer aktuellen Umfrage des ARD-Deutschlandstrends im Auftrag der "Tagesthemen" 61 Prozent der Befragten sehr große oder große Sorge vor einem Missbrauch ihrer persönlichen Daten im Internet, wie die ARD am 10. Januar in Köln mitteilte. Die Zahl habe sich damit gegenüber einer Umfrage vom April 2018 nicht verändert.

39 Prozent der Befragten äußerten dagegen bei der aktuellen Umfrage nur geringe oder gar keine Sorge vor einem Missbrauch ihrer persönlichen Daten. Bei den 18- bis 34-Jährigen war die Sorge am geringsten: In dieser Altersgruppe gab eine knappe Mehrheit (51 Prozent) der Befragten an, dass sie geringe oder gar keine Sorge vor einem Missbrauch persönlicher Daten habe.

Bei der Angabe persönlicher Daten im Internet zeigte sich bei den Nutzern eine deutliche Tendenz: 60 Prozent der Befragten erklärten, dass sie so wenig wie möglich persönliche Daten im Internet angeben, auch wenn sie deshalb manche Dienste nicht nutzen könnten. 37 Prozent sagten, dass sie ihre persönliche Daten bekanntgeben, damit sie bestimmte Dienste nutzen könnten. Und drei Prozent gaben an, dass sie die Angabe persönlicher Daten im Internet unproblematisch finden.

Mit Blick auf den Schutz vor Datenmissbrauch sagten 90 Prozent der Befragten, dass sie niemals E-Mail-Anhänge von unbekannten Absendern öffnen würden. Eine Mehrheit (56 Prozent) gab zudem an, dass sie keine öffentlichen WLAN-Hotspots verwendeten.

Für die Umfrage des ARD-Deutschlandtrends wurden zwischen dem 7. und 8. Januar 1.005 Menschen ab 18 Jahren per Telefoninterview befragt.




Entwicklung

Jahrelang in U-Haft


Entwicklungsminister Müller beim Besuch eines Gefängnisses in Sambia
epd-bild/BMZ Pool/Ute Grabowsky/photothek.net
Der Hühnerdieb und der Mörder zusammen in der U-Haft, oft lange Zeit und unter unvorstellbaren Bedingungen. Um die Verfahren zu beschleunigen, haben Sambia, Deutschland und die EU gemeinsam Rechtsberatung auf die Beine gestellt.

Bei Sonnenuntergang werden die Türen dichtgemacht. Die Insassen des Gefängnisses von Lusaka müssen in ihre Zellen. Die sind vielleicht für zwei Handvoll Gefangene ausgelegt. Manchmal müssen sich Dutzende über Nacht in den Raum quetschen. 60 bis 80 können es sein, berichten Insassen. Sie kauern dann auf dem Boden, jeder Quadratzentimeter besetzt.

In Zelle Nr. 2 stehen fünf Lagerstätten, Betten wäre zu viel gesagt. An der Wand hängen an die 30 Plastiktüten mit Habseligkeiten. Das deutet darauf hin, dass sich so viele Gefangene den Raum teilen müssen. Die Justizvollzugsanstalt in der sambischen Hauptstadt wurde für etwa 300 Insassen erbaut, derzeit sitzen rund 1.300 ein. Landesweit sieht es nicht viel besser aus: Die Kapazität der Gefängnisse ist auf 8.500 ausgelegt. Mehr als 21.000 Menschen sind hinter Gittern.

Bunt zusammengewürfelt

Viele von ihnen harren jahrelang dort aus, weil sich ihr Gerichtsverfahren so lange hinzieht oder ohne dass überhaupt ein Prozess in Sicht ist. Im Extremfall könne selbst die Untersuchungshaft zehn Jahre dauern, sagt Christiane Roth von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die in der JVA ein Rechtsberatungsprojekt betreibt. Und während der U-Haft seien die Gefangenen noch dazu bunt zusammengewürfelt: vom Hühnerdieb bis zum Mörder.

Der überwältigende Teil der Häftlinge ist männlich - etwa 95 Prozent. Es gibt laut den Vollzugsbeamten zwar kleinere Workshops, um die Gefangenen zu beschäftigen. Aber bei vielen herrscht Untätigkeit. Sie hätten den ganzen Tag nichts zu tun, sagen sie. Eine Zwei-Raum-Bücherei bietet viele Mathe-Lehrwerke an. Gibt es Unterricht dazu? Was das angeht, sei man auf dem Weg, heißt es.

Müller: "Die Not ist groß"

Der 19-jährige Peter ist seit drei Jahren in der JVA Lusaka. Sein Verfahren wegen Raubes läuft, er wartet auf das Urteil. Neben ihm stehen Abass aus Somalia und Ikechukwu aus Nigeria. Beide wurden unter Vorwürfen des illegalen Aufenthalts in Somalia inhaftiert. Während ein Prozess gegen Abass noch aussteht, wurde Ikechukwu schon verurteilt. Er habe seine Haft schon längst abgesessen, sagt der 34-Jährige. Doch so lange er keinen Flug zurück in die Heimat vorweisen könne, dürfe er das Gefängnis nicht verlassen. "Helft uns bitte", geben die drei den Besuchern mit auf den Weg.

Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ist einer der Besucher. Er macht sich in Lusaka ein Bild von den unvorstellbaren Haftbedingungen. Im Frauentrakt des Gefängnisses wendet er sich an die Häftlinge: "Ich habe gehört, die meisten Frauen sind hier wegen Diebstahls", sagt er. Das müsse zwar geahndet werden, aber er kenne auch den Grund, warum viele sich nehmen, was ihnen nicht gehört: "Die Not ist groß." Hier müsse angesetzt werden. Niemand dürfe mehr klauen müssen, um seine Kinder zu ernähren. Müller erntet lauten Applaus von den Frauen in pinkfarbenen Gefangenenkleidern, die teils mit ihren Kindern die Haft absitzen.

Nur wenige zugelassene Rechtsanwälte

Der Minister betont, jeder Gefangene habe ein Recht auf einen fairen Prozess. "Und jeder Häftling hat ein Recht auf Würde." Darum liegt ihm auch das Rechtsberatungsprogramm in dem Gefängnis besonders am Herzen. Das ist ein Gemeinschaftsprojekt von Sambia, Deutschland und der EU, umgesetzt von der staatlichen GIZ und Nichtregierungsorganisationen. Es unterstützt das Konzept, eine Art Hilfs-Anwälte - "Paralegals" genannt - einzusetzen, um den Mangel an Anwälten abzufedern.

Denn weil es in Sambia nur wenige zugelassene Rechtsanwälte gibt und das Strafrechtssystem Reformbedarf hat, stauen sich die ungelösten Fälle an Gerichten, und die Verweildauer in der U-Haft ist hoch. In dem Projekt in Lusaka werden nach GIZ-Angaben jährlich etwa 2.000 Angeklagte rechtlich beraten. Dadurch sei die Rate jugendlicher Häftlinge um mehr als 50 Prozent gesenkt worden.

Angelegt war das Vorhaben bis zum Herbst dieses Jahres. Doch es läuft so erfolgreich, dass die Verlängerungen quasi schon durch ist. Die Bundesregierung hat weitere eine Million Euro zugesagt, die EU zieht wohl mit. Damit können die "Paralegals" voraussichtlich erst einmal bis März 2021 weitermachen.

Silvia Vogt (epd)


Flugpannen bei Afrika-Reise: Müller verspätet zurück in Deutschland

Nach seiner von Flugzeugpannen begleiteten Afrika-Reise ist Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am 12. Januar wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Der Minister sei mit einer Linienmaschine aus Südafrika in München gelandet, sagte eine Ministeriumssprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Müllers Regierungsflieger hatte am Tag zuvor in Sambia wegen technischer Probleme erneut nicht abheben können.

Die Global 5000 der Flugbereitschaft, mit der Müller nach Afrika gereist war, war zunächst am 7. Januar wegen eines defekten Ventils in Malawi am Boden geblieben. Der Minister und seine Delegation flogen mit einer Linienmaschine nach Sambia weiter, der zweiten Station von Müllers Afrika-Reise. Ein geplanter Namibia-Besuch wurde abgesagt.

Nach einer Reparatur am 11. Januar flog die Global 5000 von der malawischen Hauptstadt Lilongwe nach Sambia. Allerdings trat erneut ein Defekt auf, der den Heimflug Müllers unmöglich machte. Ursprünglich war der Rückflug Müllers aus Afrika bereits für den 10. Januar vorgesehen. Nach den Worten des Ministers beschädigte der Ausfall des deutschen Regierungsfliegers das Image von "Made in Germany" in Afrika erheblich.



Landgericht Dortmund weist Klage gegen KiK ab


Filiale der Discounter-Kette KiK
epd-bild / Steffen Schellhorn

Der Textildiscounter KiK muss nicht vor einem deutschen Gericht für einen Brand in einer pakistanischen Zuliefererfabrik vor mehr als sechs Jahren einstehen. Das Landgericht Dortmund wies am 10. Januar die Zivilklage von einem Überlebenden und drei Hinterbliebenen auf Schmerzensgeld zurück. Zur Begründung hieß es, die geltend gemachten Ansprüche auf die Zahlung von jeweils 30.000 Euro Schmerzensgeld seien verjährt (AZ: 7 O 95/15).

Verweis auf pakistanisches Recht

In der Frage der Verjährung war das pakistanische Recht maßgeblich. Vor diesem Hintergrund hatte das Gericht ein Gutachten eines britischen Sachverständigen zu der dortigen Rechtslage in Auftrag gegeben. Dieser kam zu dem Schluss, dass die Ansprüche der Kläger bereits nach zwei Jahren verjährt gewesen seien. Die Dortmunder Richter folgten mit ihrem Urteil nun dieser Auffassung und damit auch der Sicht des Unternehmens, das ebenfalls von einer Verjährung ausgegangen war und zugleich den Vorwurf einer Mitverantwortung zurückgewiesen hatte.

Bei dem Feuer im September 2012 waren 258 Beschäftigte ums Leben gekommen. KiK war nach eigenen Angaben Hauptauftraggeber der Fabrik des Zulieferbetriebs Ali Enterprises. Die vier Kläger wurden von der Menschenrechtsorganisation ECCHR (Europäisches Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte) unterstützt, die KiK für einen unzureichenden Brandschutz im Gebäude mitverantwortlich macht. Nach Darstellung von KiK war die Ursache des Feuers dagegen ein Brandanschlag, gegen den man sich nicht hätte wappnen können.

KiK hatte unmittelbar nach dem Unglück eine Million US-Dollar zur Verfügung gestellt und im Verlauf der Jahre insgesamt sechs Millionen US-Dollar gezahlt. Aus Sicht des Landgerichts ist darin aber keine Anerkennung einer Haftungsgrundlage zu sehen. Diese Entscheidung sei zu einem Zeitpunkt getroffen worden, zu dem weder die konkrete Ursache des Schadensfalles noch deren konkrete Folgen aufgeklärt oder absehbar gewesen seien. Die Zahlungen seien auf freiwilliger Basis erfolgt und legten kein Schuldeingeständnis nahe.

ECCHR-Rechtsanwältin Miriam Saage-Maaß sagte nach dem Urteil, die Klage habe zumindest erreicht, dass jetzt über mehr Sorgfaltspflicht von Firmen bei der Produktion gesprochen werde. "Deutsche Unternehmen aller Branchen haben die Klage gegen KiK genau verfolgt. Rechtsexperten in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz griffen die Argumentation auf. Allen ist klar: Das aktuelle Recht wird der globalisierten Wirtschaft nicht gerecht." Über eine mögliche Berufung werde nach Auswertung der schriftlichen Urteilsbegründung entschieden.

Klägerin Saeeda Khatoon, deren Sohn bei dem Fabrikbrand gestorben ist, sagte in einer schriftlichen Stellungnahme: "KiK hat sich der rechtlichen Verantwortung für den Tod von 258 Menschen entzogen. Aber immerhin hat sich ein Gericht in Deutschland mit dem Fall beschäftigt." Deswegen sei das Verfahren unabhängig vom Urteil wichtig gewesen. Gemeinsam mit der Ali Enterprises Factory Fire Affectees Association (AEFFAA), der Organisation der Betroffenen, werde sie weiter für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der globalen Textilindustrie kämpfen.

"Brot für die Welt" kritisiert Urteil

Auch die Organisationen "Brot für die Welt", CorA-Netzwerk, Germanwatch und Misereor kritisierten das Urteil. Es zeige "gravierende Lücken im deutschen Rechtssystem" und sei damit ein klarer Handlungsauftrag an die Politik: "Die gesetzlichen Grundlagen in Deutschland sind unzureichend, um deutsche Unternehmen bei Menschen- und Arbeitsrechtsverstößen im Ausland zur Verantwortung zu ziehen." Notwendig sei ein Gesetz, das die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen und entsprechende Haftung klar regelt.

Auch die Firma KiK nannte es "unbefriedigend", dass die von den Klägern aufgeworfene Frage der Haftung von Unternehmen für ihre Zulieferer weiter unbeantwortet bleibe. Wenn Unternehmen wegen fehlender gesetzlicher Regelungen auf Basis von ausländischem Recht in Deutschland verklagt werden könnten, dann mache sie das abhängig von unterschiedlichen Auslegungen der bisher freiwilligen Empfehlungen. Notwendig sei daher "eine klare gesetzliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene".



Klimawandel als Bedrohung von Menschenrechten


Vom Taifun Haiyan zerstörtes Fischerdorf auf den Philippinen
epd-bild/Friedrich Stark
Heftiger und häufiger fegen Stürme über die Philippinen. Was Forscher als Folge des Klimawandels ansehen, spüren die Menschen am eigenen Leib. Und fragen nach den Verursachern.

Es war ein Bild der Verwüstung und des Todes: Der Taifun Haiyan, der die Zentralphilippinen im November 2013 traf, kostete mindestens 6.300 Menschen das Leben, vier Millionen Bewohner wurden obdachlos. Haiyan, auf den Philippinen Yolanda genannt, gilt als einer der stärksten Tropenstürme seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.

Das Ausmaß jener Katastrophe haben die Überlebenden immer noch vor Augen. Zu ihnen gehört Marielle Bacason, geboren und aufgewachsen in der damals mit am schwersten getroffenen Stadt Tacloban. Noch heute spricht die 27-Jährige von einer "apokalyptischen Szenerie": "Überall waren Trümmer, Leichen und verendete Tiere, viele Überlebende versuchten verzweifelt, Tacloban zu verlassen."

Anhörungen in Manila, London und New York

Wie viele ihrer Landsleute will auch Bacason, die später nach London zog, nicht mehr den Preis für die Folgen globaler Erwärmung zahlen. Ihr Trauma hat sie vor der philippinischen Menschenrechtskommission geschildert. Bei Anhörungen in Manila, London und New York untersuchte die Kommission die Mitverantwortung der 47 größten Produzenten und Förderer fossiler Brennstoffe für den Klimawandel. Grundlage war eine 2015 von Taifun-Überlebenden, Umweltschützern, Fischern und Menschenrechtlern initiierte Petition.  

Die Grundrechte der Bewohner, insbesondere der Armen, würden durch den Klimawandel negativ beeinträchtigt, betonen die Kritiker. Die weltweit größten Öl-, Gas- und Kohlekonzerne hätten wissentlich zu dem Problem beigetragen und täten dies auch weiterhin. Genannt werden unter anderem BP, Chevron, ExxonMobil, Shell und Total. Dabei geht es nicht allein um die Folgen des Klimawandels für die Philippinen. Das Inselreich wird im Schnitt von etwa 20 Tropenstürmen jährlich heimgesucht und zählt damit zu den weltweit am meisten von Wetterextremen betroffenen Ländern.  

"Klimawandel ist eine Menschenrechtsfrage", erklärte der Generalsekretär von Amnesty International, Kumi Naidoo. Da es sich um ein von Menschen verursachtes Phänomen handele, könne es gemildert werden: "Wenn die Menschen auf den Philippinen und der ganzen Welt aufgrund des Klimawandels weiterhin unerträgliche Verluste erleiden, liegt dies daran, dass diejenigen, die die Pflicht und Verantwortung haben, zu handeln, nichts oder viel zu wenig getan haben."  

Desiree Llanos Dee sieht das genauso: "Es geht darum zu betonen, wie Menschen, die am wenigsten zu dem Problem beigetragen haben, am meisten darunter leiden", sagt die Kämpferin für Klimagerechtigkeit bei der philippinischen Sektion von Greenpeace Südostasien. Für die großen Verschmutzer sei es an der Zeit, die Gesichter und Stimmen derjenigen zu sehen und zu hören, die die Konsequenzen erdulden müssten.  

Indes hätten die Ölkonzerne die Zuständigkeit der philippinischen Menschenrechtskommission angezweifelt, erklärte sie nach Abschluss der Anhörungen am 13. Dezember. Zwar räumte das Gremium ein, es könne "keine Vollstreckungsgerichtsbarkeit oder Zwangsverfahren gegen die Parteien" vorbringen. Trotzdem habe man "die Pflicht, die ihr vorgetragene Sache zu prüfen." Man habe niemanden zwingen können, vor der Kommission auszusagen, erklärte der Vorsitzende Roberto Cadiz. So setzt das Gremium, dessen Untersuchung als Meilenstein gilt, stattdessen auf einen "Dialog" über mögliche Lösungen.  

Die Zeit drängt

Die Zeit drängt. Bei der Weltklimakonferenz im polnischen Kattowitz Mitte Dezember hatten sich über 190 Staaten auf ein Regelbuch zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens von 2015 verständigt. Doch mit bereits entstandenen Verlusten würden Bewohner in den betroffenen Ländern alleingelassen, monieren Kritiker. Entwickelte Staaten drückten sich vor Verantwortung: "Wie viele Menschenleben müssen im Süden noch verloren gehen, bevor man handelt?", fragte Aaron Pedrosa, Leiter von Bulig Pilipinas, eines nach Haiyan initiierten Netzwerks für Hilfe und Wiederaufbau.  

In ihren Appellen denkt Bacason auch an die jüngere Generation, wenn sie sich an die großen Konzerne wendet: "Alles, was ich von ihnen fordere, ist, die langfristigen Auswirkungen ihrer Aktivitäten zu berücksichtigen."   

Nicola Glass (epd)


Seemannsmission sieht Flüchtlingsretter in seelischer Not


Seemannsdiakon Markus Schildhauer
epd-bild/Markus Schildhauer

Angesichts der dramatischen Situation von Flüchtlingen im Mittelmeer warnt die Deutsche Seemannsmission in Bremen vor einer Kriminalisierung derjenigen, die Menschen aus Seenot retten. Dazu gehörten immer häufiger Besatzungen von Handelsschiffen, sagte Seemannsdiakon Markus Schildhauer dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Kapitäne und Crewmitglieder werden als Fluchthelfer angeklagt." Sie seien aber nach internationalem Seerecht verpflichtet, Schiffbrüchige aufzunehmen. Schildhauer arbeitet in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria und spricht dort oft mit Nothelfern.

Nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks UNHCR sind im vergangenen Jahr 2.262 Flüchtlinge bei der Fahrt über das Mittelmeer ums Leben gekommen oder gelten als vermisst. "Auf hoher See lässt die EU nicht nur die Flüchtlinge alleine, sondern auch die Seeleute, die Gefahr laufen, der Schlepperei bezichtigt zu werden, wenn sie retten", kritisierte Schildhauer. Nötig seien eindeutige Regelungen zur Rettung schiffbrüchiger Geflüchteter, die nach internationalem Recht vorgeschrieben seien und "die dann auch überall gelten müssen".

Fluchtrouten ins westliche Mittelmeer verlagert

Die Fluchtrouten haben sich Schildhauer zufolge aufgrund der Politik etwa der populistischen Regierung in Italien ins westliche Mittelmeer verlagert. Zuvor seien Italien und Griechenland die Hauptankunftsländer gewesen. Jetzt nähmen Flüchtende von Tunesien, Algerien und Marokko aus auf wackeligen und überfüllten Booten Kurs auf Spanien, weil das Land momentan die liberalste Flüchtlingspolitik habe.

Das bedeute aber auch, dass Seeleute auf diesen Routen wieder öfter auf Holzplanken von untergegangenen Schlepperschiffen sowie auf Kleider, Taschen und Rucksäcke von Geflüchteten träfen, sagte der Seelsorger. "In Tunesien werden vermehrt wieder Schuhe am Strand gefunden."

Handelsschiffe schlecht für Rettungsaktionen geeignet

Reedereien reagierten auf die Situation und wiesen die Schiffsbesatzungen häufig an, die Fahrtroute zu ändern, um die Begegnung mit Geflüchteten zu vermeiden. Für sie koste jede Unterbrechung Geld. Deutsche Reeder handelten anders und investierten viel Geld für Material, um Geflüchteten an Bord helfen zu können.

Allerdings seien Handelsschiffe mit ihren haushohen Bordwänden schlecht für Rettungsaktionen geeignet. Wenn dort jemand beim Hochklettern von einer Strickleiter ins Wasser falle und nicht schwimmen könne, müsse der Seemann oben sehen, wie jemand unten vor seinen Augen ertrinke. "Das sind Bilder, die man niemals vergisst." Seeleute mit solchen Erfahrungen hätten eine Last auf der Seele, die ihnen genommen werden müsse.

epd-Gespräch: Dieter Sell


Vereinte Nationen: Im Jemen leiden immer mehr Menschen

Im Jemen hat sich die humanitäre Lage nach Angaben der Vereinten Nationen für Millionen Menschen weiter verschärft. Hunger, Krankheiten und Entbehrungen bedrohten in dem Bürgerkriegsland mehr Kinder, Frauen und Männer als noch vor einem Jahr, sagte der UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock am 9. Januar vor dem Sicherheitsrat in New York. Die Lage sei katastrophal.

Inzwischen seien mehr als 24 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das entspreche 80 Prozent der Bevölkerung. Von diesen Menschen seien gut zehn Millionen akut vom Hunger bedroht, erklärte der Nothilfekoordinator. Mehr als 3,3 Millionen Menschen seien auf der Flucht, die Hälfte aller Gesundheitseinrichtungen sei beschädigt oder zerstört.

Die Einigung der Konfliktparteien vom Dezember über die Hafenstadt Hodeidah habe noch keine Auswirkungen auf die Zustände im Rest des Landes, in dem seit Jahren blutige Kämpfe toben. Allerdings habe sich die Situation in Hodeidah leicht gebessert, stellte Lowcock fest. Die Menschen dort hätten weniger Angst, dass sie Opfer von Luftschlägen oder Bodenbeschuss werden könnten.

Jemens Regierung und die Huthi-Rebellen hatten sich unter UN-Vermittlung in Schweden auf einen Waffenstillstand für die Provinz Hodeidah mit der strategisch wichtigen Hafenstadt verständigt. Über den Hafen wird ein Großteil der Lebensmittelimporte in den Jemen abgewickelt. Das Abkommen ist laut Diplomaten brüchig.

Im Jemen kämpfen die Regierung und eine Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien gegen die Huthi-Rebellen, die vom Iran unterstützt werden. Seit März 2015 kamen rund 10.000 Menschen ums Leben, etwa 70.000 Menschen wurden verletzt.



UN rufen zu mehr Hilfe für den Libanon auf

Die UN haben zu mehr Unterstützung für den Libanon aufgerufen. Kein anderer Staat weltweit beherberge pro Einwohner mehr Flüchtlinge als der Libanon, betonte der humanitäre Koordinator der UN, Philippe Lazzarini, am 10. Januar in Genf. In dem Land mit mehr als sechs Millionen Einwohnern herrsche eine schwere Wirtschaftskrise, es stehe am Abgrund.

Nach UN-Schätzungen befinden sich zwischen 1,2 und 1,3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien im Libanon. Zudem haben Palästinenser und Iraker dort Zuflucht gefunden. Die Wirtschaftskrise sorge für Spannungen zwischen den Geflohenen und den Libanesen, sagte Lazzarini.

Mehr als zwei Drittel der syrischen Flüchtlinge lebten in Armut, betonte der humanitäre UN-Koordinator für den Libanon. Jeder dritte Flüchtling wisse nicht, wo er die nächste Mahlzeit hernehmen solle. Die Vergabe der wenigen Jobs sorge immer für Streit zwischen Geflohnen und Einheimischen, erklärte der UN-Koordinator. Die meisten Flüchtlinge lebten in behelfsmäßigen Unterkünften wie leerstehenden Häusern oder bei Privatpersonen.

Lazzarini betonte, dass die internationale Gemeinschaft in den vergangenen Jahren knapp sieben Milliarden US-Dollar zur Linderung der Flüchtlingskrise im Libanon bereitgestellt habe. Doch das Geld reiche nicht aus. Nur wenige syrische Flüchtlinge kehrten demnach aus dem Libanon in ihre Heimat zurück.

Der 2011 begonnene Konflikt in Syrien hat laut den UN knapp 12 Millionen Menschen in die Flucht getrieben. Rund 6,5 Millionen von ihnen irren in Syrien umher. Rund 5,5 Millionen überquerten die Grenzen. Hunderttausende Menschen wurden getötet. Mit russischer und iranischer Hilfe eroberte Syriens Machthaber Baschar al-Assad die meisten Gebiete zurück, die von Rebellen und Terrorgruppen beherrscht wurden.