Kalte weiße Flure, ein langer Lichtschacht und Bürotüren in hellem Einheitsbraun: Das Abgeordnetenhaus des rheinland-pfälzischen Landtags in Mainz ist eigentlich kein einladender Ort. Doch wenn Manfred Geis einlädt, wird es eng in den Korridoren. Der SPD-Abgeordnete veranstaltet seit mittlerweile 20 Jahren regelmäßig Ausstellungen unter dem Motto "Kunst im Abgeordnetenbüro". In seinem Zimmer mit der Nummer 236 präsentiert er zwischen Aktenordnern, Regalen und dem Wandschrank mit eingebautem Klappbett die Bilder und Skulpturen zeitgenössischer Künstler.

Gewöhnlichen rheinland-pfälzischen Abgeordneten wie ihm steht in Mainz ein gerade einmal 15 Quadratmeter großes Arbeitszimmer zur Verfügung. Bei Manfred Geis sind die Wände des winzigen Vorraums schon fast komplett mit den Einladungen vergangener Schauen vollgehängt. Ein Teil der Kunstwerke bekommt meist einen Platz in den angrenzenden Fluren. "Ich habe dabei noch nie ein politisches Wort gesagt", stellt Geis klar. "Das ist mein persönlicher Spleen, keine Parteiveranstaltung."

Von einer Vorstellungsfeier zur Serie

Kulturpolitik ist das Steckenpferd des Pfälzer Sozialdemokraten. 1998 kam er als Nachrücker in den Landtag - fast zeitgleich mit der Eröffnung des Abgeordnetenhauses. Die erste Ausstellung in seinem Büro entstand, weil Geis einen Anlass suchte, um sich seinen Landtagskollegen vorzustellen. Das Echo überraschte den Politiker: Zeitungskorrespondenten, Radio und Fernsehen berichteten, mehrere Kunstwerke des Malers Stefan Budian fanden einen Käufer, und Budian bekam später den offiziellen Auftrag des Landes, das kahle Treppenhaus des Neubaus zu gestalten. So wurde aus der einmaligen Vorstellungsfeier eine Serie.

Für junge Künstler wie die gebürtige Koreanerin Juyoung Paek sind das häufig die ersten Solo-Ausstellungen. Sie zeigte in Mainz vor dem Jahreswechsel unter anderem winzige Skulpturen, die sie sogar in der Deckenleuchte und hinter einem Wasserhahn platzierte.

Wie bei anderen Kunstausstellungen

Zur Eröffnung bestaunte die Mainzer Kunstszene einen Performance-Darsteller, und Barbara Weyandt, Dozentin für Kunstgeschichte am renommierten Institut für Künstlerische Keramik und Glas in Höhr-Grenzhausen, führte in das Werk ein. Die Koreanerin stehe gewissermaßen in der Nachfolge von Yoko Ono, mache es möglich, sich mit seinem eigenen "inneren Kind" zu treffen, sagte sie vor rund 50 Gästen: "Paek zeigt sich als Künstlerin, die sich leichtfüßig zwischen den Genres bewegt."

Manfred Geis legt Wert darauf, dass es bei ihm zugeht wie bei anderen Kunstausstellungen auch - es gibt eine Vernissage und Einladungskarten. Und er hat ein gutes Gefühl für junge Kunst, bescheinigt ihm der frühere Mainzer Kulturstaatssekretär Walter Schumacher, der gelegentlich bei den Ausstellungen zu Gast ist: "Das ist schon eine richtige Marke im Land geworden." Dabei bleibe der Abgeordnete ganz unprätentiös. Tatsächlich vermeidet Manfred Geis alles, was irgendwie abgehoben wirken könnte: "Die Leute, die häufiger da waren, wissen schon, wo bei mir der Kühlschrank steht, aus dem man sich den Wein rausholt."

Skurrile Geschichten

Fast über jede der mittlerweile knapp 100 Ausstellungen mit zusammen rund 250 teilnehmenden Künstlern kann Geis lange, skurrile Geschichten erzählen - etwa von den drei Mainzer Kunststudenten, die aus Schrottteilen eine Art Wasserleitung vom Wasserhahn seines Büros bis hinunter ins Erdgeschoss des Abgeordnetenhauses verlegten. "Das war absolut verrückt, das Projekt", schwärmt der Abgeordnete, der sich bis heute nicht ganz sicher ist, ob es sich um einen Baufehler oder einen Teil der künstlerischen Inszenierung handelte, als bei der Eröffnung ein Teil der Konstruktion zusammenbrach.

Der Klangkünstler Nicola Hein habe über das gesamte Stockwerk verteilt "Stationen" aufgebaut, unter anderem eine Badewanne, die gewöhnungsbedürftige Töne von sich gab, wenn man sich hineinsetzte. Und die Ausstellung einer Fotokünstlerin über selbstbewusste Frauen aus der Türkei - ihre Abschlussarbeit an der Mainzer Kunsthochschule - löste 2017 sogar einen politischen Eklat aus. Ein wohlwollender Artikel in der Lokalzeitung über die Vernissage war mit einem Foto bebildert, auf dem unschwer eine kurdische Kämpferin zu erkennen war. Das türkische Generalkonsulat legte offiziell Protest ein, türkische Medien griffen den Fall auf.

Andere Abgeordnete kommen fast nie

Die Parlamentsverwaltung, die gelegentlich eigene Ausstellungen im Foyer des Gebäudes organisiert, hat Geis in all den Jahren dennoch nie Steine in den Weg gelegt. "Es ist sehr beeindruckend und außergewöhnlich, was ein einzelner Abgeordneter hier seit vielen Jahren in Eigenregie auf die Beine stellt", lobt Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) die Aktivitäten seines Fraktionskollegen.

Andere Abgeordnete kommen allerdings so gut wie nie zur "Kunst im Abgeordnetenbüro" - nicht einmal die aus der eigenen Partei. Geis ist klar, dass niemand seine Initiative fortführen wird, wenn er zum Ablauf der Legislaturperiode aus dem Landtag ausscheidet: "Wenn ich nicht mehr dabei bin, ist es vorbei."