Georg Ratzinger machte die Regensburger Domspatzen zu dem, was sie heute sind - ein Knabenchor auf Weltniveau. Unter seiner Ägide entfalteten die traditionsreichen Sänger im Lauf der Wirtschaftswunderjahre eine nie dagewesene Reisetätigkeit und Medienpräsenz. Am 1. Februar 1964 hatte Ratzinger sein Amt als Domkapellmeister angetreten, bereits ein Jahr später war der Chor auf seiner ersten Auslandstournee nach Rom unterwegs, inklusive einer Privataudienz bei Papst Paul VI.. Doch der Weg an die Spitze war auch von dunklen Schatten begleitet.

Der ersten Reise der Domspatzen folgten Tourneen in die USA, Kanada, Skandinavien, Japan, Irland, Polen, Ungarn und immer wieder in den Vatikan. 1966 brachte das ZDF Aufnahmen für die Serie "Chöre der Welt". Ratzingers Domspatzen traten in Fernsehshows von Peter Alexander oder Anneliese Rothenberger auf. Sie sangen beim Staatsbesuch der britischen Königin (1978), wirkten beim Papstbesuch Johannes Paul II. (1980) in der Münchner Residenz mit oder gingen auf Tournee nach Irland, unter Begleitung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1992).

Musikalische Hochbegabung zeigt sich früh

Schallplatteneinspielungen großer Werke der Chormusik folgten, wie die H-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Der BR spielte Chorkonzerte ein. Im Jahr 1976 feierten die Domspatzen ihr 1.000-jähriges Bestehen mit einer ganzen Festwoche - und einer Konzerttournee in vier skandinavische Länder. Ratzinger wurde mit Medaillen, Ehrentiteln und Verdienstorden überschüttet. Auf keinen Titel legt er so viel Wert wie auf den des Domkapellmeisters. Am liebsten werde er mit "Herr Domkapellmeister" angesprochen, sagte er. Das gilt bis heute.

Georg Ratzinger wurde am 15. Januar 1924 in Pleiskirchen bei Altötting geboren. Seine musikalische Hochbegabung zeigt sich früh. Sein Bruder Joseph, der spätere Papst Benedikt XVI., berichtet in seinem Buch "Aus meinem Leben", dass die Musik das "besondere Charisma" seines Bruders sei. Mit elf Jahren spielt er bereits die Orgel in der Kirche. 1935 tritt er in Traunstein ins Gymnasium ein und in das dortige Erzbischöfliche Studienseminar. Bereits 1936 fängt er an, selbst zu komponieren.

Es muss wie eine Initialzündung gewirkt haben, als er mit 17 Jahren zusammen mit seinem Bruder Joseph zum ersten Mal die Salzburger Festspiele besucht und die Domspatzen live erlebt. Das Ereignis lässt ihn nicht mehr los. Nach dem Zweiten Weltkrieg, er kehrt verwundet zurück, tritt er 1946 ins Priesterseminar der Erzdiözese München und Freising ein und beginnt bald darauf das Studium der Kirchenmusik an der Musikhochschule in München. 1955 belegt er den Meisterkurs an der Hochschule für Musik.

Am 1. Februar 1964 wird Ratzinger Domkapellmeister am Regensburger Dom und Leiter der Regensburger Domspatzen in der Nachfolge von Theobald Schrems, dem Domkapellmeister, den er zum ersten Mal in Salzburg begegnete. 1994 verabschiedet sich Ratzinger im Alter von 70 Jahren von den Domspatzen, er hat sie 30 Jahre lang geleitet.

Gewaltsystem bei den Domspatzen

In den Fokus der Weltöffentlichkeit gerät Georg Ratzinger am 19. April 2005, als sein Bruder Joseph zum Papst gewählt wurde. Äußert er sich anfangs noch besorgt über die Wahl seines Bruders, akzeptiert er sie bald und reist immer wieder gerne in den Vatikan.

So sehr das Licht auf Georg Ratzinger auch strahlte, im Sommer 2017 verdunkelte sich sein Stern: Die katholische Kirche veröffentlichte ihren Bericht zu den Misshandlungsfällen bei den Domspatzen. Dabei stellte sich heraus, dass Ratzinger Teil des Gewaltsystems bei den Domspatzen war. Um "seine Vorstellungen von musikalischer Qualität durchzusetzen", habe Ratzinger auch nach 1980 "körperliche Gewalt zumindest in Einzelfällen" angewendet, hieß es im Bericht. Ratzinger selbst sprach von "Ohrfeigen" und sagte, dass er sich seit 1980 strikt an das gesetzliche Züchtigungsverbot gehalten habe.

Ratzinger lebt seit 55 Jahren in Regensburg. "Die Stadt ist praktisch wie ein Stück von mir selber", sagte er einmal. Sein Wohnhaus in der Luzengasse verlässt er nur noch selten, er ist an den Rollstuhl gebunden, sieht nur sehr schlecht. Sein engster Vertrauter ist sein Bruder, der 92-jährige, emeritierte Papst Benedikt XVI., mit dem er mindestens einmal pro Woche telefoniert. Besuche sind wegen des fortgeschrittenen Alters der beiden nicht mehr möglich, wie ein Bistumssprecher sagt.

Seine letzte Ruhestätte will Georg Ratzinger am Unteren Friedhof in Regensburg finden, in der Grabstätte seines Vorgängers, des früheren Domkapellmeisters Theobald Schrems. Das habe er so verfügt, sagt Ratzinger. Wie die ewige Heimat aussieht, davon wolle er sich dann überraschen lassen: "Sie wird hoffentlich schöner, als wir es uns vorstellen können."