Dortmund (epd). Der Textildiscounter KiK muss nicht vor einem deutschen Gericht für einen Brand in einer pakistanischen Zuliefererfabrik vor mehr als sechs Jahren einstehen. Das Landgericht Dortmund wies am 10. Januar die Zivilklage von einem Überlebenden und drei Hinterbliebenen auf Schmerzensgeld zurück. Zur Begründung hieß es, die geltend gemachten Ansprüche auf die Zahlung von jeweils 30.000 Euro Schmerzensgeld seien verjährt (AZ: 7 O 95/15).
Verweis auf pakistanisches Recht
In der Frage der Verjährung war das pakistanische Recht maßgeblich. Vor diesem Hintergrund hatte das Gericht ein Gutachten eines britischen Sachverständigen zu der dortigen Rechtslage in Auftrag gegeben. Dieser kam zu dem Schluss, dass die Ansprüche der Kläger bereits nach zwei Jahren verjährt gewesen seien. Die Dortmunder Richter folgten mit ihrem Urteil nun dieser Auffassung und damit auch der Sicht des Unternehmens, das ebenfalls von einer Verjährung ausgegangen war und zugleich den Vorwurf einer Mitverantwortung zurückgewiesen hatte.
Bei dem Feuer im September 2012 waren 258 Beschäftigte ums Leben gekommen. KiK war nach eigenen Angaben Hauptauftraggeber der Fabrik des Zulieferbetriebs Ali Enterprises. Die vier Kläger wurden von der Menschenrechtsorganisation ECCHR (Europäisches Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte) unterstützt, die KiK für einen unzureichenden Brandschutz im Gebäude mitverantwortlich macht. Nach Darstellung von KiK war die Ursache des Feuers dagegen ein Brandanschlag, gegen den man sich nicht hätte wappnen können.
KiK hatte unmittelbar nach dem Unglück eine Million US-Dollar zur Verfügung gestellt und im Verlauf der Jahre insgesamt sechs Millionen US-Dollar gezahlt. Aus Sicht des Landgerichts ist darin aber keine Anerkennung einer Haftungsgrundlage zu sehen. Diese Entscheidung sei zu einem Zeitpunkt getroffen worden, zu dem weder die konkrete Ursache des Schadensfalles noch deren konkrete Folgen aufgeklärt oder absehbar gewesen seien. Die Zahlungen seien auf freiwilliger Basis erfolgt und legten kein Schuldeingeständnis nahe.
ECCHR-Rechtsanwältin Miriam Saage-Maaß sagte nach dem Urteil, die Klage habe zumindest erreicht, dass jetzt über mehr Sorgfaltspflicht von Firmen bei der Produktion gesprochen werde. "Deutsche Unternehmen aller Branchen haben die Klage gegen KiK genau verfolgt. Rechtsexperten in Deutschland, Großbritannien und der Schweiz griffen die Argumentation auf. Allen ist klar: Das aktuelle Recht wird der globalisierten Wirtschaft nicht gerecht." Über eine mögliche Berufung werde nach Auswertung der schriftlichen Urteilsbegründung entschieden.
Klägerin Saeeda Khatoon, deren Sohn bei dem Fabrikbrand gestorben ist, sagte in einer schriftlichen Stellungnahme: "KiK hat sich der rechtlichen Verantwortung für den Tod von 258 Menschen entzogen. Aber immerhin hat sich ein Gericht in Deutschland mit dem Fall beschäftigt." Deswegen sei das Verfahren unabhängig vom Urteil wichtig gewesen. Gemeinsam mit der Ali Enterprises Factory Fire Affectees Association (AEFFAA), der Organisation der Betroffenen, werde sie weiter für menschenwürdige Arbeitsbedingungen in der globalen Textilindustrie kämpfen.
"Brot für die Welt" kritisiert Urteil
Auch die Organisationen "Brot für die Welt", CorA-Netzwerk, Germanwatch und Misereor kritisierten das Urteil. Es zeige "gravierende Lücken im deutschen Rechtssystem" und sei damit ein klarer Handlungsauftrag an die Politik: "Die gesetzlichen Grundlagen in Deutschland sind unzureichend, um deutsche Unternehmen bei Menschen- und Arbeitsrechtsverstößen im Ausland zur Verantwortung zu ziehen." Notwendig sei ein Gesetz, das die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht von Unternehmen und entsprechende Haftung klar regelt.
Auch die Firma KiK nannte es "unbefriedigend", dass die von den Klägern aufgeworfene Frage der Haftung von Unternehmen für ihre Zulieferer weiter unbeantwortet bleibe. Wenn Unternehmen wegen fehlender gesetzlicher Regelungen auf Basis von ausländischem Recht in Deutschland verklagt werden könnten, dann mache sie das abhängig von unterschiedlichen Auslegungen der bisher freiwilligen Empfehlungen. Notwendig sei daher "eine klare gesetzliche Regelung unternehmerischer Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene".