Soziale Fragen wie Wohnungsnot, Mobilität oder die Situation an Schulen machen den Menschen nach den Worten des rheinischen Präses Manfred Rekowski Sorge. Eines der Hauptthemen sei zurzeit der Zusammenhalt der Gesellschaft, sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bad Neuenahr. Mit Blick auf Diskussionen in sozialen Medien nehme er nicht immer den Willen zu einer echten Debatte wahr, kritisierte Rekowski. Dennoch will er den sozialen Medien nicht den Rücken kehren.

epd: Wie nehmen Sie die gesellschaftliche Stimmung wahr?

Rekowski: Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist zurzeit eines unserer Hauptthemen. Auch Menschen, die vergleichsweise abgesichert leben, haben Sorgen vor dem Abstieg, vor sehr komplexen Zusammenhängen wie etwa Globalisierung und Digitalisierung. Diese Verunsicherung führt manchmal dazu, dass nach einfachen Lösungen gefragt wird, und dann sucht man auch Sündenböcke.

Was den Menschen Sorgen bereitet, sind soziale Fragen wie Wohnungsnot, die Schule oder die Verkehrssituation. Wir dürfen nicht dem Agenda-Setting der AfD folgen und die Debatte über diese Probleme permanent mit dem Thema Flüchtlinge überlagern.

epd: Welche Aufgabe hat da die Kirche?

Rekowski: Unsere Aufgabe ist es, auch mit den Menschen im Gespräch zu sein, die potenziell AfD wählen. Wir müssen immer versuchen zu verstehen, was Menschen bewegt: ihre Sorgen, ihre Ängste, die ungelösten Probleme. Nehmen wir das Beispiel Wohnungsbaupolitik: Es erbost die Menschen zu Recht, dass es an einer für viele so existenziellen Frage einen fast kollektiven Stillstand gab. Da müssen wir auch Lobbyfunktion für das Anliegen dieser Menschen übernehmen - egal, wo sie ihr Kreuz bei Wahlen machen. Es gibt nicht wenige ungelöste Probleme. Das muss ich ausdrücklich sagen. Ich erkenne oft keinen ernsthaften Willen der Politik, Zukunftsfragen entschlossen anzupacken.

Die Stärke von uns als Kirche ist, etwa beim Thema Braunkohle sowohl mit denen zu reden, die um ihre Arbeitsplätze bangen, als auch mit denen, die ihre Heimat verlieren. Es muss unsere Stärke sein, dass wir dialogfähig bleiben und möglichst auch Menschen mit unterschiedlichen Positionen ins Gespräch bringen. Das ist eine Chance, die wir als Kirche haben, die wir auch nutzen sollten.

epd: Welche Rolle spielen soziale Medien für Sie?

Rekowski: So ein Medium muss uns dienen und dann ist es auch nützlich. Aber ich selbst habe keine Lust, das Medium zu bedienen und es permanent zu füttern. Ich nutze es nach meinen zeitlichen Möglichkeiten und ich gewichte inhaltlich. Ich hoffe, dass Themen, die mir wichtig sind, auf diese Art und Weise einen breiteren Kreis als nur den "inner circle" erreichen. Da sehe ich nach wie vor Chancen. Aber ich weigere mich, den ganzen Tag zur Kenntnis zu nehmen, wie andere Menschen gerade mit profanen Dingen wie dem Bräunungsgrad ihrer Grillwurst beschäftigt sind.

epd: Wie nehmen Sie die Kommunikation in den sozialen Medien wahr?

Rekowski: Für mich kommt das Gefühl einer echten Kommunikation oder gar eines Dialogs nicht durchgängig auf. Es ist berechenbar, wer mit welchem "Argument" oder "Statement" die Bühne betritt. Auf mich wirkt das reflexartig, wenn zum Thema Flucht etwas gesagt wird. Dann muss ich es fast nicht lesen. Ich weiß, was die Gegenargumente sind. Wenn es um Seenotrettung geht, werde ich darüber belehrt, dass wahre Seenotrettung ja nur auf der Nordsee passieren kann, wenn jemand versehentlich zu weit rausschwimmt.

epd: Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat sich von Facebook und Twitter zurückgezogen, weil es dort viel Hass, Böswilligkeit und Hetze gebe. Wie gehen Sie mit Hass, Häme und mangelnder Diskussionskultur um?

Rekowski: Die Hemmschwellen sind in diesem Bereich deutlich niedriger geworden. Da gibt es keine Beißhemmung mehr. Ich weigere mich, mich damit den ganzen Tag zu beschäftigen. Ich nehme das hin. Das ist die Form der Auseinandersetzung, die einige pflegen. Da steige ich nicht ein. Ich habe meine Methodik entwickelt, dass ich mich nicht treiben lasse und nicht über jedes Stöckchen springe.