Rom (epd). Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, haben die Europäische Union (EU) aufgefordert, die Rettung von Bootsflüchtlingen wieder aufzunehmen. In einem gemeinsamen Appell riefen sie am 4. Oktober in Palermo überdies dazu auf, die beschlagnahmten Schiffe privater Seenotretter umgehend freizugeben. Bedford-Strohm und Orlando unterzeichneten den Aufruf anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der sizilianischen Regionalhauptstadt an den EKD-Ratsvorsitzenden.
Die südliche Außengrenze der EU sei die "tödlichste der Welt", beklagten Bedford-Strohm und Orlando unter Hinweis auf mindestens 994 Flüchtlinge, die seit Jahresbeginn beim Versuch umkamen, das Mittelmeer zu überqueren. Die Dunkelziffer der Opfer werde auf ein Vielfaches geschätzt. Daher seien eine "tragfähige politische Lösung für die Rettung und Verteilung von Bootsflüchtlingen" sowie eine Reform des europäischen Asylsystems unumgänglich.
"Die Kriminalisierung und Behinderung der zivilen Seenotrettung ist sofort zu beenden", mahnten beide in ihrem Appell an die EU und die Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten. Angesichts des anhaltenden Flüchtlingsstroms kritisierten sie, der EU mangele es an Lösungsansätzen für eine humanitäre Katastrophe, die sich seit Jahren im Mittelmeer abspiele.
Orlando begründete die Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Bedford-Strohm mit dessen Ideen in Bezug auf Einwanderungspolitik, Willkommenskultur, Asylrecht und Seenotrettung. Bedford-Strohm würdigte Palermo als "solidarische Stadt, sowohl für diejenigen, die dort schon lange zu Hause sind, als auch für diejenigen, die dort gerade heimisch werden".
Der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm hatte bereits im Juni bei einem Besuch in der sizilianischen Hauptstadt gemeinsam mit Orlando einen Appell gegen die Kriminalisierung privater Seenotretter und für eine europäische Lösung bei der Aufnahme von Bootsflüchtlingen unterzeichnet. Wenig später war der Bürgermeister von Palermo Gast des 37. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dortmund. Vor wenigen Wochen entschied die EKD, gemeinsam mit anderen Organisationen ein Schiff zur Rettung von Flüchtlingen aus Seenot zu kaufen.
Kiel (epd). Zum Tag der Deutschen Einheit hat die evangelische Landesbischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt, an die Menschen in der DDR erinnert, die 1989 mit Mut und Gottvertrauen in eine noch unbekannte Freiheit aufgebrochen seien. Sie hätten sich von der Staatsmacht nicht schrecken und von Hohn und Spott nicht beirren lassen, sagte sie in einem ökumenischen Gottesdienst in Kiel, der den Auftakt zu den zentralen Feiern am 3. Oktober bildete.
Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße sagte, der Tag der Deutschen Einheit liege nahe am Erntedankfest. Er sei dankbar für die guten Gaben in dieser Zeit. Dazu zähle, was sich vor 30 Jahren in Deutschland ereignet habe und was Jahr für Jahr wachse.
Landesbischöfin Kühnbaum-Schmidt sagte, wer Gottes Kraft spüre, beschreite mutig neue Wege. Auch die Kirchengemeinden in der DDR hätten dies vor 30 Jahren getan. Mit ihren Friedensgebeten, Diskussionen und Runden Tischen seien sie Erprobungsräume für Freiheit und Demokratie gewesen - "für Christen ebenso wie für Nicht-Christen". Der Feiertag am 3. Oktober biete aber auch Gelegenheit, "die Wünsche nach Erneuerung aufzunehmen, die uns heute bewegen". Auch dafür brauche es wieder weit geöffnete Türen.
Als Zeichen des interreligiösen Dialogs sprachen auch Vertreter von Judentum und Islam. Walter Joshua Pannbacker vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden verwies darauf, dass die Synagogen im Norden offene Orte der Begegnung seien. Seit 2015 seien sie auch in der Flüchtlingshilfe aktiv. Seyda Saricam von der Islamischen Hochschulgemeinde Kiel sagte: "Wir sind ein Teil der Gesellschaft, die diese bunter macht."
An dem Festgottesdienst unter dem Leitwort "Gottes Kraft erneuert", der live im Ersten übertragen wurde, nahmen die Spitzen der deutschen Verfassungsorgane teil, unter ihnen Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Bensheim (epd). Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall wirken nach Ansicht des Ökumene-Experten Martin Bräuer weiterhin unterschiedliche Prägungen der Kirchen in Ost und West nach. "Strukturell und institutionell ist der Vereinigungsprozess abgeschlossen. Dennoch existieren unterschiedliche Mentalitäten in Ost und West", sagte der Catholica-Referent des Konfessionskundlichen Instituts der evangelischen Kirche im südhessischen Bensheim dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Das Votum zur raschen kirchlichen Vereinigung sei vor 30 Jahren nicht unwidersprochen geblieben: "In einer Berliner Erklärung äußerten prominente Theologen im Februar 1990 Bedenken, und im November 1990 stritt die westdeutsche EKD-Synode in Timmendorfer Strand noch einmal über das Für und Wider." Doch die Dynamik der Geschichte habe schließlich auch die Protestanten beeinflusst.
Zu den speziellen ostdeutschen Themen sagte Bräuer dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Vor allem über die Militärseelsorge, den staatlichen Religionsunterricht sowie die Stasi-Belastung kirchlicher Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wurde gestritten. Das heißeste Eisen war sicher die Militärseelsorge." Die Kirchen der DDR hätten nicht gewollt, dass die Pfarrer für die Zeit ihrer Militärseelsorge wie im Westen Beamte des Staates werden. Dahinter stand Bräuer zufolge das in 40 Jahren gewachsene tiefsitzende Misstrauen gegen alle enge Verbundenheit mit dem Staat. In Ostdeutschland blieb es für eine Übergangszeit bis 2003 möglich, dass Militärseelsorger Pfarrer ihrer Landeskirche bleiben. Seitdem gilt im Osten das westdeutsche Modell.
Im Februar 1991 tagten beide Kirchenparlamente letztmalig getrennt in Berlin: die EKD in Spandau, der Kirchenbund in Weißensee, erinnerte Bräuer: "Im Osten kochten noch einmal Emotionen hoch: Von 'Eingliederung und Anschluss' war die Rede. Letztlich stimmten aber beide Synoden mit großer Mehrheit für das Kirchengesetz zur Vereinigung. Nach der Ratifizierung durch die östlichen Landessynoden trat im Juni in Coburg die neue EKD-Synode gesamtdeutsch zusammen.
Das Konfessionskundliche Institut wurde 1947 in Bensheim an der Bergstraße gegründet, wo es bis heute seinen Sitz hat. Es ist das ökumenewissenschaftliche Arbeitswerk der EKD und eine Einrichtung des Evangelischen Bundes. Die Einrichtung agiert als unabhängige Beratungsinstanz für evangelische Institutionen in allen Fragen der Ökumene.
Dresden (epd). Der frühere sächsische Oberlandeskirchenrat Harald Bretschneider (77) hat die Rolle der Kirchen für die friedliche Revolution unterstrichen. Die Ereignisse 1989 seien "maßgeblich von Menschen mitgeprägt worden, die aus dem Glauben heraus den Mut zur Zivilcourage hatten", sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Dresden. Kirche sei nicht nur eine Institution, sondern zu ihr gehörten einzelne Christen.
"Ich kann nicht verstehen, dass die christlichen Impulse heute zum Teil bestritten werden", sagte Bretschneider. Die friedliche Revolution sei "nicht vom Himmel gefallen, sie hatte einen langen Vorlauf", fügte er hinzu. Der Mut zur Zivilcourage sei aus dem christlichen Glauben gewachsen. Dabei habe das Bibelwort "Schwerter zu Pflugscharen" die Diktatur ins Wanken gebracht. Er sei dankbar "für das Wunder der Freiheit und der Einheit". Es sei erstaunlich, was diejenigen, die an den Runden Tischen und in den Parlamenten gesessen haben, aus der Geschichte gemacht hätten.
Zugleich mahnte Bretschneider Dialog in der Gesellschaft an. "Wir sollten uns erinnern, dass es der Dialog war, der zu einer völligen Veränderung der Gesellschaftsordnung geführt hat", sagte er. Auch heute sei das Gespräch zwingend notwendig. Gerade Kirche müsse in der Mitte der Gesellschaft sein.
Bretschneider ist einer der bedeutendsten Vertreter der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR und Erfinder des christlichen Symbols "Schwerter zu Pflugscharen". Während der friedlichen Revolution war er Landesjugendpfarrer in Sachsen.
Neuruppin (epd). Die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, hat den Mut der Menschen während der friedlichen Revolution vor 30 Jahren in der DDR gewürdigt. In einer Gastpredigt am 6. Oktober in Neuruppin warnte sie zugleich davor, wegen der Enttäuschungen nach der Wiedervereinigung zu verzagen. "Die Treuhand hat nur auf Privatisierung gesetzt. Da war gar keine Kreativität für andere Ideen", kritisierte sie rückblickend. Auch die damalige Hoffung, der "Rüstungswahnsinn" auf der Welt habe ein Ende, habe sich nicht erfüllt. Dennoch brauche es weiter Hoffnungsbilder, um neue Wege zu gehen, sagte sie.
Die frühere hannoversche Landesbischöfin predigte in der Klosterkirche der nordbrandenburgischen Kleinstadt. Wie in vielen Orten der DDR hatten sich dort im Herbst 1989 montags Menschen zum Friedensgebet versammelt und danach für Freiheit und Demokratie demonstriert. Der Westen habe "staunend" und vielleicht sogar neidisch auf den Mut der Menschen in der DDR geschaut, sagte Käßmann. "So viel Zivilcourage - wann hatten wir die denn?" fragte sie vor mehreren hundert Gottesdienstbesuchern.
Dennoch gebe es bis heute Enttäuschungen. "Ich denke an die Niederschlagung der Demokratiebewegung in China, das Ende des Arabischen Frühlings, den Krieg in Syrien, das Gebaren eines Donald Trump", sagte Käßmann und ergänzte: "Das Gehetze gegen Flüchtlinge, Hass, der sich breit macht, Antisemitismus - das schmerzt." Umso mehr seien Menschen gefordert, Hoffnung dagegenzusetzen und eine Sprache gegen den Hass zu finden. Speziell Christen seien herausgefordert, von Barmherzigkeit zu sprechen.
Schwante, Berlin (epd). Dieses Pfarrhaus war einen Tag lang ein ganz besonderer Ort: Als am 7. Oktober 1989 in der DDR in den Kirchenräumen von Schwante bei Berlin eine Reihe evangelischer Pfarrer und anderer Oppositioneller zu einem konspirativen Treffen zusammenkam, wurde hoer Geschichte geschrieben. Während die SED in Ost-Berlin mit Militärparaden den 40. Jahrestag der DDR-Gründung feierte, gründeten sie die erste politische Partei der Protestbewegung, die neue "Sozialdemokratische Partei" (SDP) - ein offener Affront gegen den Staat.
"So kann es nicht weitergehen", hatten die Initiatoren, die Pfarrer Markus Meckel und Martin Gutzeit, den Gründungsaufruf überschrieben: Der Wahrheits- und Machtanspruch der SED stehe der Demokratisierung des Landes im Weg. Die Massenbewegung der DDR-Flüchtlinge war längst im Gang, als der Aufruf am 26. August 1989 in der Ost-Berliner Golgatha-Gemeinde öffentlich vorgestellt wurde. Anlass war eine Veranstaltung zur damals 200 Jahre zurückliegenden Französischen Revolution. "Unser Ziel", hieß es in dem Aufruf kurz und bündig: "Eine ökologisch orientierte soziale Demokratie."
"Wir wollten eine parlamentarische Demokratie westlichen Musters", so hat Meckel, der später bis 2009 fast 20 Jahre lang für die SPD im Bundestag saß, die Pläne einmal zusammengefasst: "Und wir wollten uns in die längste demokratische Tradition in Deutschland stellen." Deshalb die Sozialdemokratie.
Andere Oppositionsgruppen entstanden zur gleichen Zeit, das "Neue Forum", "Demokratie Jetzt", der "Demokratische Aufbruch", der "Unabhängige Frauenverband". Doch die Theologen haben sich bewusst für eine Partei und gegen die lockere Organisation anderer Gruppen entschieden.
Die Parteigründung war eine klare Herausforderung an die SED, die sich seit der Zwangsvereinigung der alten SPD mit der KPD in Ostdeutschland 1946 auch als Nachfolgerin der Sozialdemokratie präsentierte. "Wir haben gewissermaßen eine Hand aus dem Parteiabzeichen der SED gezogen", erklärte Meckel. Dem Ein-Parteien-Staat mit den Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und Bauernpartei, die bei den Volkskammerwahlen gemeinsam mit der SED auf Einheitslisten als "Nationale Front" antraten, wurde der Kampf angesagt.
Eine christliche Partei kam laut Meckel aus theologischen Gründen nicht infrage: "Um den christlichen Glauben und die Kirche nicht zu missbrauchen und für politische Zwecke zu instrumentalisieren." Ein weiterer Pfarrer, Steffen Reiche, hatte sich unabhängig von Gutzeit und Meckel mit gleichem Ziel auf den Weg gemacht. Im Herbst 1989 fanden sie zueinander, andere schlossen sich an.
Ein konspirativer Gründungsort wurde gesucht, der Pfarrer von Schwante stellte seine Räume zur Verfügung. Damit die Stasi nichts verhindern konnte, wurde am 2. Oktober vorab eine provisorische Gründungsurkunde unterzeichnet und sicher versteckt. In der Nacht zum 7. Oktober sollten sich die rund 40 SDP-Gründungsmitglieder nicht mehr zuhause aufhalten, um möglichen Verhaftungen zu entgehen. "Die Spannung war groß", hat es Meckel beschrieben: "Ich selbst bin ab dem 2. Oktober untergetaucht, selbst meine Frau wusste nicht, wo ich bin."
Dass die Stasi fast von Anfang an mit am Tisch saß, wusste damals noch niemand: Unter den ersten SDP-Interessierten war auch Ibrahim Böhme, der die Partei 1990 in den Wahlkampf führte und danach als Stasi-Spitzel enttarnt werden sollte.
Die sozialdemokratische Herausforderung wurde im Ministerium für Staatssicherheit schnell verstanden, zuständig war die Kirchenabteilung des MfS. Ein "Maßnahmeplan" wurde entworfen. Stasi-Leute sollten zum Gründungstreffen geschickt werden, um "Gegenpositionen zu beziehen, Zweifel zu erzeugen, zu debattieren, Sachverhalte zu zerreden und Misstrauen aufkommen zu lassen". Der Plan misslang.
In Schwante musste dann alles ganz schnell gehen. Steffen Reiche fuhr schließlich nach Ost-Berlin, um West-Journalisten die Nachricht von der Parteigründung zu überbringen. Dann wurde alles zum Selbstläufer. Während die Massendemonstrationen der DDR-Opposition zunahmen, entstanden auch überall neue Ortsgruppen der Sozialdemokraten.
"Wir haben eher mit Gefängnis gerechnet als mit Ministersesseln", hat es Markus Meckel im Rückblick später beschrieben. 1990 ging er als erster frei gewählter und zugleich letzter Außenminister der DDR in die Geschichte ein. Warum ausgerechnet evangelische Pfarrer die SDP-Gründung organisiert haben, bleibt offen. "Diese Frage kann man nicht beantworten", hat Markus Meckel dazu einmal gesagt: "Das hätten auch andere tun können."
Schloß Holte-Stukenbrock (epd). Stolz zeigt Klaus-Jürgen Streck seine Konfirmationsurkunde von 1957. In der evangelischen Lagerkirche im westfälischen Schloß Holte-Stukenbrock bei Bielefeld wurde er eingesegnet. Über zehn Jahre lebte er als Jugendlicher im "Sozialwerk Stukenbrock", einem nach dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Lager für Vertriebene, Flüchtlinge und Aussiedler. Eine Baracke des ehemaligen NS-Kriegsgefangenenlagers "Stalag 326" war vor 70 Jahren um einen gemauerten Altarraum und einen Turm zur Lagerkirche erweitert worden. Zwei Jahrzehnte bot sie vielen Tausend Bewohnerinnen und Bewohner des Sozialwerks eine geistliche Heimat, jetzt dient sie der Polizeiseelsorge.
Seit 1970 befindet sich auf dem geschichtsträchtigen Areal ein Bildungszentrum für Polizeibeamte. Das Kirchlein, das am 9. Oktober 1949 durch den damaligen westfälischen Präses Ernst Wilm (1901-1989) eingeweiht wurde, gehört seither dem Land Nordrhein-Westfalen. "Das Land vermietet das Gotteshaus an die Polizei, die Kirche ist Nutzerin", erklärt die Landespfarrerin für Polizeiseelsorge Pia Winkler, "eine bundesweit wohl einmalige Konstellation." Das Gelände ist umzäunt, daher ist auch die Kirche nur zu besonderen Anlässen zugänglich. Eine frühere katholische Lagerkirche musste einem Sportplatz weichen.
Zweimal im Jahr, um Himmelfahrt und im Advent, hält die westfälische Polizeipfarrerin zusammen mit ihrem katholischen Kollegen ökumenische Gottesdienste in der Lagerkirche. Dazu sind die angehenden Polizeibeamten ebenso eingeladen wie Menschen in der Nachbarschaft und ehemalige Bewohner des Sozialwerks, die heute weit verstreut leben. Auch Taufen, Hochzeiten oder Ehejubiläen von Polizeiangehörigen und ihren Familien werden hier gefeiert oder Verabschiedungen in den Ruhestand. Das denkmalgeschützte Gebäude, das vor ein paar Jahren komplett saniert wurde, verbindet bald acht Jahrzehnte. Teile der Kirche stammen noch aus einer Baracke des Stalag.
Im sogenannten NS-Stammlager (Stalag) 326 kamen zwischen 1941 und 1945 schätzungsweise 65.000 sowjetische Kriegsgefangene ums Leben. Aber auch Soldaten aus westlichen Ländern, zum Beispiel Franzosen, waren dort interniert. Das Land NRW möchte die heutige Gedenkstätte zu einem Gedenkort von nationaler und internationaler Bedeutung weiter entwickeln, der die Nachkriegsgeschichte mit einschließt. Im Rahmen eines solchen Geschichtsortes könnte auch die evangelische Lagerkirche eine Rolle spielen, sagt Pia Winkler. Aufgrund seiner Geschichte eigne sich das schlichte Gotteshaus als geistliches Zentrum für die Themen Flucht und Vertreibung. "Vor allem aber steht die Lagerkirche für das soziale Engagement der Kirchen nach dem Krieg", betont die Pfarrerin.
"Über das Sozialwerk wurde lange nicht gesprochen", bedauert Klaus-Jürgen Streck, der mit seiner Mutter 1949 aus Rostock nach Westdeutschland floh. Sein Vater war bereits 1945 als Kriegsgefangener der Briten nach Stukenbrock gekommen. In den Jahren 1946 und 1947 war er dort im Internierungslager für mutmaßliche Kriegsverbrecher und NS-Funktionäre als Verwaltungsangestellter des britischen Militärs tätig, später arbeitete er auch für das Sozialwerk und die Polizei.
Unter der Regie des Landes wurde das Sozialwerk damals vom Evangelischen Johanneswerk und der Caritas zusammen mit anderen Wohlfahrtsverbänden betrieben. "Als Angestellten-Familie wohnten wir im ehemaligen Vorlager", erinnert sich der heute 76-jährige Streck. Zuerst wurde sie in einer Baracke mit Doppelstock-Betten wie die anderen Flüchtlinge untergebracht, dann zog die Familie in ein Steinhaus um. Der junge Klaus-Jürgen Streck ging zur evangelischen Lagerschule, während die katholischen Flüchtlingskinder außerhalb des Sozialwerks unterrichtet wurden.
Die Konfessionen lebten auch in getrennten Wohnbereichen. Die eingesessene katholische Bevölkerung in der Umgebung habe sich mit den Zuwanderern schwergetan, erzählt Streck: "Wer aus dem Lager kam und dazu noch einen anderen Glauben hatte, wurde von manchen schief angesehen."
Die Lagerkirche ist in der Erinnerung des pensionierten Lehrers das erste Gotteshaus, das er bewusst betreten hat. Jeden Sonntag besuchte er den Kindergottesdienst. "Für uns war das damals aufregend." Zu Kirchenfesten sang er als Junge im Schulchor oder spielte Flöte. "Hier ist mir der Glaube nahegebracht worden", sagt er. Wenn er heute Weihnachten feiere, erinnere er sich immer wieder an die stimmungsvollen, teils auch wehmütigen Gottesdienste in der Lagerkirche.
Kreuz, Altar und Kanzel sind noch die gleichen wie bei der Einweihung der Kirche 1949. Nach der Renovierung kehrten auch das hölzerne Taufbecken und ein buntes, bleiverglastes Weihnachtstriptychon nach über 40 Jahren an ihren ursprünglichen Ort zurück. Erzählungen zufolge hatten Flüchtlinge das Altarbild aus Resten von zerschossenen Fensterscheiben gestaltet und mit dem Sprungfederrahmen eines Bettgestelles eingefasst.
Düsseldorf/Münster (epd). Die Beauftragten der evangelischen und katholischen Kirche beim nordrhein-westfälischen Landtag haben am 2. Oktober ein von der schwarz-gelben Koalition geplantes Verbot religiöser Symbole in der Justiz des Landes abgelehnt. Das geplante Gesetz zur Neutralität der Justiz, das das Tragen religiöser und weltanschaulicher Symbole oder Kleidungsstücke verbiete, greife "erheblich in das Grundrecht der Religions- und Weltanschauungsfreiheit" ein, erklärten die Vertreter des Katholischen und Evangelischen Büros NRW in einer gemeinsamen Stellungnahme zur Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Parlaments in Düsseldorf.
Religiöse Symbole wie eine Kette mit Kreuz oder ein muslimisches Kopftuch sollen einem Gesetzentwurf zufolge künftig für alle, die in Gerichtssälen arbeiten, verboten sein. Dazu zählen auch Schöffen oder andere Justizbeschäftigte. Das Kopftuchverbot gilt bislang nur für Richter und Beamte.
"Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist eine besondere Ausprägung der Menschenwürde und gerade vor dem Hintergrund der Geschichte des Grundgesetzes ein hohes Gut", erklärten die Kirchenvertreter als Sachverständige. Sie sollte gerade in Zeiten wachsender religiöser und weltanschaulicher Pluralität ihre Bedeutung nicht verlieren. Sie erklärten, dass Juristen und Juristinnen in den Ämtern von Berufsrichtern und Staatsanwälten das gegebenenfalls gewählte religiös oder weltanschaulich konnotierte Symbol oder Kleidungsstück nicht aufgrund staatlicher Veranlassung oder Anordnung tragen. Daher ergebe sich keine unmittelbare Zurechnung zum Staat, begründeten sie ihre Einschätzung.
Hinnerk Wißmann von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster verwies darauf, dass die verfassungsrechtliche Lage für das Verbot religiös oder weltanschaulich konnotierter Symbole oder Kleidungsstücke im Bereich der Justiz unsicher sei. Bei Kopftuch tragenden muslimischen Richterinnen oder Staatsanwältinnen schaffe ein Verbot des Kopftuches eine "Sonderlast, der die große Zahl christlich gestimmter Richter und Richterinnen nicht ausgesetzt wird, die ihre religiöse Identität in anderer Weise leben können", erläuterte Wißmann.
In einer schriftlich vorliegenden Stellungnahme der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität hieß es: "Der Ausschluss des muslimischen Kopftuchs im Justizvollzugsdienst ist überschießend." So wie ein strenggläubiger muslimischer Angeklagter eine Richterin zu akzeptieren hat, sei es männlichen Gefangenen zuzumuten, den Anblick einer ein muslimisches Kopftuch tragenden Vollzugsbeamtin oder eine Beamtin hinzunehmen, die eine Kette mit christlichen oder jüdischen Symbolen trage.
Der Gesetzentwurf der schwarz-gelben NRW-Regierungskoalition geht in seiner Ausdehnung auf alle Justizbeschäftigten nach Ansicht der Experten im Vergleich aller Bundesländer besonders weit und übertreffe die bayerischen Regelungen noch. Im Entwurf des Gesetzes heißt es, Beamte und Beschäftigte sollten etwa bei Verhandlungen weder Kopftuch noch Kippa oder sichtbare christliche Kreuze tragen. "Es dürfe nicht der geringste Anschein von Voreingenommenheit erweckt werden", heißt es im Gesetzentwurf.
Düsseldorf/Münster (epd). Im evangelischen Büro beim nordrhein-westfälischen Landtag und der Landesregierung wechselt die Leitung. Der evangelische Pfarrer Rüdiger Schuch wird neuer Beauftragter der drei Landeskirchen in NRW und beginnt Anfang des kommenden Jahres seine neue Tätigkeit, wie die Evangelische Kirche im Rheinland am 2. Oktober in Düsseldorf mitteilte. Schuch tritt die Nachfolge von Kirchenrat Thomas Weckelmann an, der seit 2013 das gemeinsame Düsseldorfer Büro von rheinischer, westfälischer und lippischer Kirche geleitet hatte. Der Theologe Weckelmann wechselte in das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und ist dort seit 1. August Abteilungsleiter der Abteilung Kinder und Jugend.
Schuch ist bislang Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Perthes-Stiftung in Münster, einer diakonischen Einrichtung mit Angeboten für Senioren, Behinderte und Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten. Der gebürtige Dortmunder studierte Theologie in Bochum, Tübingen und Wuppertal. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Kirchlichen Hochschule in Wuppertal. Nach seinem Vikariat in Wuppertal und Ahaus war er Gemeindepfarrer in Hagen und Iserlohn und stand von 2006 bis 2013 als Superintendent an der Spitze des Kirchenkreises Hamm. In der Evangelischen Kirche von Westfalen war Schuch unter anderem Vorsitzender des Ständigen Ausschusses für politische Verantwortung. Er arbeitete als Dozent an der Führungsakademie für Kirche und Diakonie in Berlin.
Der Leiter des Evangelischen Büros Nordrhein-Westfalen pflegt die Verbindungen zu Landtag und Landesregierung sowie den dazugehörigen Ministerien. Er hält Kontakt zu den politischen Parteien und zu Vereinigungen und Verbänden auf Landesebene. Gemeinsam mit dem katholischen Büro ist er für regelmäßige Andachten im Landtag sowie für gottesdienstliche Feiern verantwortlich und steht Vertretern des öffentlichen Lebens als Seelsorger zur Verfügung.
Hannover (epd). Carsten Simmer (46) wird neuer Leiter der Finanzabteilung im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Der Finanzexperte aus dem hessischen Homberg (Ohm) trete zum 1. Februar die Nachfolge von Heidrun Schnell an, die aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand gegangen sei, teilte die EKD am 1. Oktober in Hannover mit. Der Diplom-Mathematiker arbeitet derzeit bei der Unternehmensberatung McKinsey und gehört zudem der EKD-Synode an.
Simmer ist auch stellvertretender Schatzmeister der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). Der 1959 gegründete kirchliche Dachverband vereint mit Ausnahme der Katholiken die Gläubigen aller großen christlichen Konfessionsfamilien in Europa; ihm gehören 114 protestantische, anglikanische, orthodoxe und altkatholische Kirchen an, darunter die EKD. Simmer ist zudem ehrenamtlicher Vorsitzender des Finanzausschusses der Landessynode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.
Die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, begrüßte die Berufung von Simmer: "Für die Veränderungen, die unsere kleiner werdende Kirche in den nächsten Jahren einleiten muss, ist die Expertise aus seiner beruflichen Erfahrung und seine exzellente Kenntnis der evangelischen Kirche von großem Wert", erklärte die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, die Simmer bereits durch sein ehrenamtliches Engagement als EKD-Synodaler kennt.
Zugleich dankte Schwaetzer der bisherigen Amtsinhaberin Heidrun Schnell für ihre Arbeit: "Heidrun Schnell hat ihr Leitungsamt mit viel Engagement und Fachexpertise gefüllt. Dafür sind wir dankbar. Unsere guten Wünsche und Gebete begleiten sie."
Simmer freut sich nach eigenen Worten auf die künftigen Aufgaben: "Wie schon im kirchlichen Ehrenamt an der Basis wird es mir im Hauptamt ein Anliegen sein, dass es mit unserer evangelischen Kirche weitergehen kann." Zudem betonte er die Wichtigkeit einer Neuausrichtung der Finanzstrategie der EKD: "Ich freue mich auf diese Zukunftsaufgabe, weil ich überzeugt bin, dass die evangelische Kirche eine gute Zukunft haben wird." Simmer studierte den Angaben zufolge an der Justus-Liebig-Universität in Gießen Mathematik, Geschichte und Betriebswirtschaftslehre.
Herford/Bielefeld (epd). Um nachhaltiges Wirtschaften und mehr Wertschätzung für Lebensmittel ging es bei einer gemeinsamen Erntedankveranstaltung der westfälischen Kirche und des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband (WLV) am 4. Oktober in Herford-Elverdissen. Volker Rotthauwe vom Institut für Kirche und Gesellschaft der westfälischen Kirche rief dazu auf, die Kirche müsse das Bewusstsein für den Wert der Lebensmittel "als Mittel zum Leben" schärfen und selber mit gutem Beispiel vorangehen: "Da ist noch Luft nach oben, etwa bei der Bratwurst beim Gemeindefest."
Die Bewahrung der Schöpfung sei für die Kirchen bereits seit Jahrzehnten ein zentrales Thema, erklärte die westfälische Präses Annette Kurschus. "Wir waren schon frühzeitig auf dieser Spur, und es hat sich gelohnt, dass wir konsequent dran geblieben sind." Denn es gehe um Verantwortung auch für die nachfolgenden Generationen, so die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen.
WLV-Vizepräsident Wilhelm Brüggemeier erklärte, es gebe kein besseres Beispiel für nachhaltiges Wirtschaften als die Land- und Forstwirtschaft. Weltweit müssten aber heute acht Milliarden Menschen ernährt werden, und das sei nicht ohne moderne Produktionstechnik möglich. Hermann Dedert, Vorsitzender des WLV-Kreisverbandes Herford-Bielefeld, betonte, die Bauern seien selbstverständlich bereit, über das Wohl ihrer Nutztiere zu sprechen. Es müsse aber wirtschaftlich machbar sein.
Im Gottesdienst zuvor hatte Kurschus zum Einsatz für gerechte Lebensverhältnisse aufgerufen. Das bedeute ein Leben, "in dem niemand auf Kosten anderer genießt und keiner sinnlos verprasst, was andere bitter nötig bräuchten". Die Präses setzte sich zudem für ein Miteinander ein, "in dem wir aufeinander achthaben, füreinander sorgen und einander unser Herz zeigen".
Traditionell veranstaltet der Landwirtschaftsverband zum Erntedankfest einen Gottesdienst in wechselnden Regionen. In diesem Jahr wurde er vom Landwirtschaftlichen Kreisverband Herford-Bielefeld und vom Kirchenkreis Herford ausgerichtet.
Berlin (epd). Bischöfe haben am Erntedankfest mehr Wertschätzung für Landwirte und zugleich einen verantwortlichen Umgang mit Lebensmitteln gefordert. Der Freiburger Erzbischof Stephan Burger äußerte sich besorgt über das Höfesterben in Deutschland. "Wenn Menschen in unserer Mitte nicht mehr von ihrer Hände Arbeit leben können, dann läuft in unserer Gesellschaft etwas ganz gewaltig schief", sagte Burger am 6. Oktober im Freiburger Münster. Die Preise, die Bauern mit ihrer Arbeit erzielen, seien ungerecht. Burger erinnerte in diesem Zusammenhang an die bundesweite Aktion "Grüne Kreuze", mit der Landwirte gegen das jüngste Agrarpaket der Bundesregierung protestieren.
Der württembergische evangelische Bischof Frank Otfried July mahnte in Berlin einen verantwortlichen Umgang mit den Ressourcen der Erde an. "Empfangender Dank schärft uns den Blick für den gedankenlosen und respektlosen Umgang mit Lebensmitteln", sagte July laut Redemanuskript im Berliner Dom. Die "unglaublichen Mengen" an Nahrungsmitteln, die in den Müll geschüttet würden, nannte der Bischof einen Skandal.
Das Erntedankfest mache vor dem Hintergrund von Krisen in der Welt neu bewusst, welche Verantwortung Menschen für das Bebauen und Bewahren der Erde hätten. "Wir sollten alle ein Interesse haben, dass es noch Landwirte in unserem Land gibt, die Erntedank feiern, vom Schöpfer aller Gaben wissen, Heger der vielfältigen Geschenke der Schöpfung sind und Mut zur Zukunft haben", sagte July.
Erzbischof Burger verwies ebenfalls auf die Verantwortung der Verbraucher, sich beim Einkauf an regionalen, fairen und ökologischen Kriterien zu orientieren. Es brauche ein neues Miteinander in der Gesellschaft. Lebensmittel müssten auch mit den Kosten belastet werden, die durch Transport und Verkehr als Folgelasten entstünden.
Der Bischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Ralf Meister, mahnte ebenfalls Respekt und Wertschätzung für Landwirte an. "Diejenigen, die für unser tägliches Brot sorgen und dabei oftmals um ihre berufliche Existenz ringen, verdienen unsere Achtung", sagte Meister am 6. Oktober in einem Gottesdienst zum niedersächsischen Landeserntedankfest im Dom von Verden bei Bremen. Zu den Veränderungen des Klimawandels trügen Mobilität, Industrie und auch Landwirtschaft bei. "Doch die Debatten, die wir führen, verweisen viel zu schnell auf andere", sagte Meister. Doch sei niemand "schuldlos". Keiner könne sich aus der Verantwortung nehmen.
Beim Erntedankfest bedanken sich die Gläubigen in Gottesdiensten für die Ernte eines Jahres und erinnern damit an die Verbindung von Mensch und Schöpfung. Typisch für das Fest sind die mit Obst, Gemüse und Getreide geschmückten Altäre in den Kirchen. In Solidaritätsaktionen sammeln Kirchengemeinden oft Spenden, insbesondere für die ärmsten Länder der Welt.
Bremerhaven (epd). Deutschlands zweitgrößter Seemannsclub in Bremerhaven ist am 6. Oktober neu eröffnet worden. Das Gebäude mitten im Hafen an der Nordschleuse der Seestadt wird von der evangelischen Deutschen Seemannsmission betrieben. Es ist an 365 Tagen im Jahr ein wichtiger Anlaufpunkt für Schiffsbesatzungen aus aller Welt. Sein Name ist Programm: "Welcome" heißt der Club, der im Februar 2003 offiziell eingeweiht wurde.
Seither seien mehr als 500.000 Seeleute zu Gast gewesen und der Club ein wenig in die Jahre gekommen, sagte Bremerhavens Seemannspastor Andreas Latz. Allein im vergangenen Jahr waren es seinen Angaben zufolge 23.107. Mehr gibt es nur noch im internationalen Seemannsclub "Duckdalben" im Hamburger Hafen. Dort kamen den Angaben zufolge vergangenes Jahr über 34.000 Besucher.
Für die Modernisierung des "Welcome" waren nach Informationen von Latz mehr als 100.000 Euro eingeplant. Die internationale Transportarbeitergewerkschaft ITF habe 60.000 Euro zugeschossen. Das Haus hatte mehr als eine Million Euro gekostet. Schon beim Bau spielte die ITF in der Finanzierung eine wichtige Rolle: Mit knapp 900.000 Euro kam der Hauptteil der Kosten aus einem Fonds, den die Gewerkschaft verwaltet.
Bremerhaven ist Teil eines Netzwerkes von 32 Standorten der Deutschen Seemannsmission im In- und Ausland. Haupt- und Ehrenamtliche leisten national und international auf Schiffen, in Clubs und in Heimen auf mehreren Kontinenten Seelsorge und Sozialarbeit an Seeleuten aus aller Welt und machen wie im "Welcome" auch Freizeitangebote. Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, die oft von Stress und kurzen Liegezeiten bestimmten Lebens- und Arbeitsverhältnisse an Bord zu verbessern.
Münster (epd). Soziologen des Exzellenzclusters "Religion und Politik" der Universität Münster wollen untersuchen, warum die Religiosität in westlichen Gesellschaften zurückgeht und welche Rolle die Glaubensweitergabe in den Familien dabei spielt. "Wir wissen, dass die Religiosität eines Menschen stark von seiner Erziehung abhängt", erklärten die Religionssoziologen Christel Gärtner und Olaf Müller am 2. Oktober zum Start des internationalen Projekts. "Doch es fehlt an exakten Daten und Erklärungen, warum manche Familien Glauben weitergeben wollen oder können und andere nicht."
Ein Forscherteam mit Wissenschaftlern aus Münster, Finnland, Italien, Kanada und Ungarn will den Angaben zufolge Familien in den fünf Ländern befragen. Geplant sind eine repräsentative Erhebung sowie qualitative Interviews mit Familienmitgliedern aus jeweils drei Generationen, Großeltern, Eltern und Kinder. Für die Untersuchung stellt die amerikanische John Templeton Foundation bis 2022 knapp 1,8 Millionen Euro Fördermittel zu Verfügung.
Familien, die an Interviews im Rahmen der Studie teilnehmen wollen, können sich bei Linda Hennig-Yildirim vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" (generationen@uni-muenster.de oder Tel. 0251-8323584) melden. Teilnehmen muss jeweils mindestens eine Person pro Generation (Großeltern, Eltern, Kinder).
Hannover (epd). Junge Protestanten können sich mit Hilfe einer neuen App auf ihre Konfirmation vorbereiten. Die kostenlose "KonApp" kann seit dem 1. Oktober in den Online-Stores für das iPhone und Android-Smartphones heruntergeladen werden, wie die Deutsche Bibelgesellschaft in Hannover mitteilte. Die App ermöglicht Kommunikation innerhalb der Konfirmandengruppe, enthält Auszüge aus dem Alten und Neuen Testament und sammelt verschiedene liturgische Texte und Gebete wie das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und die Zehn Gebote.
Nichts liege näher, als das Smartphone für Unterricht und Kommunikation in der Konfi-Arbeit zu nutzen, sagte die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, laut Mitteilung. Die App werde gleichzeitig den datenschutzrechtlichen Standards der EKD gerecht.
Die EKD ist die Auftraggeberin für die App, gefördert wird sie auch von evangelischen Landeskirchen. Die Deutsche Bibelgesellschaft ist verantwortlich für die Inhalte der App. Es gibt mittlerweile viele digitale Anwendungen für Smartphones rund um Kirche und Gottesdienst wie eine Bibel-App mit dem Text der Lutherbibel, eine Kirchenjahres-App mit dem christlichen Festkalender und eine Liederbuch-App.
Die Konfirmation ist die Bestätigung der Taufe. In der evangelischen Kirche werden Jugendliche zwischen 13 und 15 Jahren konfirmiert und dadurch stimmberechtigte Mitglieder der Gemeinde: Sie dürfen Pate werden, den Gemeinderat wählen und dafür kandidieren. Die Konfirmation wird meist als großes Familienfest an der Schwelle zum Erwachsenenalter gefeiert. Jährlich werden rund 180.000 Jugendliche in Deutschland konfirmiert.
Berlin, Düsseldorf (epd). Pastor Christian Ceconi wird neuer Theologischer Vorstand der Berliner Stadtmission. Der derzeit in Toronto lebende Theologe soll sein Amt nach einer Entscheidung des neu gewählten Kuratoriums zum 1. April 2020 antreten, wie die Stadtmission am 1. Oktober mitteilte. Ceconi ist derzeit Pastor in der Evangelischen Martin-Luther-Kirche in Toronto. Er folgt auf Joachim Lenz, der auf eigenen Wunsch nach Ablauf der Wahlperiode von fünf Jahren zum 31. Dezember seinen Dienst in Berlin beendet und wieder in seine Heimatkirche im Rheinland zurückkehrt.
Lenz stammt aus Wuppertal und war unter anderem Theologischer Referent im Landeskirchenamt in Düsseldorf und Gemeindepfarrer im Kirchenkreis Simmern-Trabach. 2008 wurde er zum Kirchentagspastor beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Fulda berufen, 2015 wurde er Direktor und Theologischer Vorstand der Berliner Stadtmission.
Die Berliner Stadtmission unter dem Dach der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz kümmert sich seit 1877 um sozial Benachteiligte in der Stadt. Sie ist Trägerin verschiedener sozialer Einrichtungen für Obdachlose, Wohnungslose, Behinderte, Kinder und Familien, hat aber auch von Gästehäusern und Hotels in der Bundeshauptstadt. Unter anderen betreibt sie die Bahnhofsmission am Zoo und eine Clearingstelle für Menschen ohne Krankenversicherungen.
Leipzig (epd). Es hatte sich in Leipzig einiges angestaut im Laufe des Jahres 1989. Öffentliche Proteste nahmen zu: ein "Pleiße-Gedenkumzug" zur Umweltzerstörung und ein Straßenmusikfestival im Juni, der "Statt-Kirchentag" im Juli. Dann die Sommerpause mit massenhaften Ausreisen in den Westen. "Das Land blutete irgendwo aus, und da haben wir gesagt, dem müssen wir etwas entgegensetzen", erinnert sich der 57-jährige Uwe Schwabe, Leipziger und DDR-Bürgerrechtler. Am 4. September sollte es so weit sein.
Es ist ein sogenannter Messemontag: Westliche Unternehmen präsentieren zweimal im Jahr ihre Produkte in Leipzig. Journalisten und Kamerateams aus Westdeutschland sind in der Stadt, brauchen keine zusätzliche Akkreditierung. Die Bürger der Protestbewegung wissen das - und mobilisieren nach dem montäglichen Friedensgebet in der Nikolaikirche zum Protest. Zwei mutige Frauen halten ein Transparent hoch: "Für ein offenes Land mit freien Menschen". Es ist die erste Montagsdemonstration. Die Bilder laufen abends in der "Tagesschau".
"Das haben auch in der DDR Tausende gesehen", erklärt Schwabe - eine "wahnsinnige Mobilisierung" sei die Folge gewesen. Wer etwas verändern wollte, habe nun gewusst, "dass er montags um 17 Uhr zur Nikolaikirche gehen muss". Die Zahl der Montagsdemonstranten wächst rasant - bis auf 25.000 am 2. Oktober.
Dann kommt der 7. Oktober: Republikgeburtstag. Die DDR wird 40 - und SED-Chef Erich Honecker verkündet im Berliner Palast der Republik das "Weiter so". Nicht ein Wort fällt zu den immensen wirtschaftlichen oder ökologischen Problemen im Land, zu möglichen Reformen gar.
Derweil protestieren vor dem Palast Tausende, es kommt zu Zusammenstößen mit der Polizei. Der sowjetische Staatsführer Michail Gorbatschow, der in der Heimat längst die Wende eingeleitet hat, verlässt das Bankett vorzeitig. In Leipzig werden zugleich Proteste gewaltsam aufgelöst; im vogtländischen Plauen kommt es zur ersten regionalen Massendemonstration mit 15.000 Teilnehmern.
Unter diesen Eindrücken geht Leipzig in den 9. Oktober, und schon am frühen Nachmittag ist klar: Es wird voll. Viele reisen an, aus Zwickau, Erfurt, Karl-Marx-Stadt. Gerüchte kursieren: In Krankenhäusern ständen Blutkonserven und Extrabetten bereit, am Stadtrand parkten Panzer. Noch am 6. Oktober hatte die "Leipziger Volkszeitung" einen Kampfgruppen-Kommandeur mit den Worten zitiert, man sei bereit, den Staat "wirksam zu schützen (...) wenn es sein muß, mit der Waffe in der Hand!".
Die Staatsmacht scheint entschlossen, den Protest niederzuschlagen. Erst im Juni waren chinesische Sicherheitskräfte brutal mit Panzern und Gewehren gegen die Demokratiebewegung auf dem Tiananmen-Platz in Peking vorgegangen. Unzählige Menschen wurden getötet.
"Über allem schwebte daher die Angst vor der chinesischen Lösung", erinnert sich 30 Jahre später Gisela Kallenbach. Die damals 45-jährige dreifache Mutter hat sich am Nachmittag einige von insgesamt 30.000 Flugblättern geholt. Ihr Inhalt: absoluter Gewaltverzicht. Kallenbach verteilt den Aufruf in der Innenstadt - bis ihr ein Mann auf die Schulter tippt: "Polizei, mitkommen!"
Kallenbach reagiert selbstbewusst: "Wohin soll ich denn mitkommen?" Sofort bildet sich ein Traube von Menschen, die sich weigern weiterzugehen: "Wir wollen jetzt wissen, was mit der Frau passiert." Der Polizist führt Kallenbach zu einer Gruppe Kollegen, "mit sanfter Gewalt", erinnert sie sich. Auch dort ringsum Bürger - und plötzlich darf Kallenbach gehen. Der Druck der Masse, er siegt. Und Kallenbach verteilt weiter Flugblätter.
Nach dem Friedensgebet, das erstmals in vier evangelischen Kirchen gleichzeitig stattfindet, sammeln sich die Menschen auf dem heutigen Augustus-, damals Karl-Marx-Platz. Angespannte Stille wechselt sich ab mit "Gorbi, Gorbi"-Rufen - sie wollen Reformen nach Gorbatschows Vorbild. Manche intonieren die "Internationale".
"Allen war, volkstümlich gesagt, sehr mulmig zumute", erinnert sich der Kabarettist Bernd-Lutz Lange in seinem gerade erschienenen Buch "David gegen Goliath". Dann tönt aus den öffentlichen Säulen des Stadtfunks der Aufruf der "Leipziger Sechs" - unter ihnen neben Lange auch Gewandhauskapellmeister Kurt Masur und drei SED-Bezirksfunktionäre. Der Inhalt: Bleibt besonnen, damit ein friedlicher Dialog möglich wird.
Als sich die etwa 70.000 Demonstranten dem Hauptbahnhof nähern, ist von der dortigen Einsatzzentrale der Sicherheitskräfte nichts mehr zu sehen. Denn der diensthabende Polizeichef Helmut Hackenberg wird von der Berliner SED-Riege alleingelassen; Stasi-Minister Erich Mielke ist nicht erreichbar. Kurz nach halb sieben ruft Hackenberg seine Leute schließlich zum "Zurückziehen" auf, zur "Eigensicherung". Die Demonstranten ziehen unbeschadet um den Ring.
Dass es friedlich blieb, ist angesichts der in der DDR nie dagewesenen Zahl von Demonstranten bis heute ein Wunder - und die Voraussetzung für das Gelingen der friedlichen Revolution. Er habe, berichtet Uwe Schwabe, durchaus Leute gekannt, die Schlagstöcke im Auto hatten, um sich im Zweifel zu wehren. Und Polizeichef Hackenberg habe ihm vor zwei Jahren erzählt: "Wenn vonseiten der Demonstranten Gewalt gegen uns ausgeübt worden wäre, hätten wir zurückgeschlagen."
So jedoch machte sich am Abend des 9. Oktober vor allem Erleichterung breit - und das Gefühl, den Durchbruch geschafft zu haben. "Uns war sofort klar, dass man das so leicht nicht mehr zurückdrehen kann, ohne massiv Gewalt anzuwenden", sagt Schwabe: "Für uns war das schon ein Tag der Entscheidung." Bis zum Mauerfall vergingen noch 31 Tage.
Kiel (epd). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zum Tag der Deutschen Einheit zu demokratischem Engagement aufgerufen. "Als Bürgerinnen und Bürger in der Demokratie haben wir alle eine Verpflichtung", sagte Merkel beim Festakt zum 3. Oktober in Kiel. Freiheit sei immer "Freiheit in Verantwortung".
In den 29 Jahren seit der deutschen Vereinigung sei "unglaublich viel erreicht" worden, sagte Merkel. Zugleich wies sie auf weiterhin bestehende Unterschiede zwischen Ost und West hin. Die staatliche deutsche Einheit sei vollendet, die Einheit der Deutschen sei es nicht, sagte sie. Die deutsche Einheit bleibe ein fortwährender Prozess und ständiger Auftrag.
Repräsentative Umfragen zeigten, dass sich eine Mehrheit der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse fühle. Es gelte zu verstehen, warum die deutsche Einheit für die Menschen in Ostdeutschland nicht nur eine positive Erfahrung sei. "Wir müssen lernen zu verstehen, was es für den einzelnen Menschen bedeutete, als auf die Last der Teilung die Wucht der Einigung folgte", sagte die aus der DDR stammende Kanzlerin.
Die staatliche Vereinigung habe für die Ostdeutschen zu elementaren Veränderungen geführt. Die Mehrheit der Westdeutschen indes habe die Ereignisse "eher aus der Rolle eines Zuschauers betrachtet".
Merkel sagte, über die großen Zukunftsfragen müsse frei diskutiert werden, dazu bilde das vor 70 Jahren in Kraft getretene Grundgesetz den Rahmen. "Die Werte des Grundgesetzes müssen jede Debatte in unserem Land bestimmen", sagte sie. Konkrete bedeute das Absagen an Intoleranz, Ausgrenzung, Hass und Antisemitismus sowie an ein Leben auf Kosten der Schwachen und Minderheiten
Am 3. Oktober 1990 waren die nach dem Mauerfall 1989 und dem anschließenden Zusammenbruch der DDR neu gegründeten ostdeutschen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Die Festlegung des Feiertags auf den 3. Oktober war Teil des Einigungsvertrages. Schleswig-Holstein führt in diesem Jahr den Vorsitz im Bundesrat und richtete deshalb in Kiel die zentralen Einheitsfeiern aus.
Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warf in seiner Rede beim Festakt der AfD den Missbrauch der Erinnerung an die friedliche Revolution in der DDR vor. "Diese Wende als historische Lebensleistung der Ostdeutschen bleibt singulär und untrennbar mit dem Ende der DDR verbunden", sagte Günther unter großem Applaus. Die Leistung der Menschen werde verhöhnt, wenn Parteien den Mut der Menschen heute für ihre Zwecke missbrauchten, indem sie von einer "Wende 2.0" reden.
Günther nannte die AfD nicht explizit. Den Begriff der "Wende 2.0" hatte die Partei jüngst in ostdeutschen Wahlkämpfen verwendet.
Zeitgleich zum Festakt zogen rund 300 meist junge Menschen aus dem linken Spektrum durch die Kieler Innenstadt, um gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem im vereinigten Deutschland zu protestieren. Sie forderten unter anderem mehr soziale Gerechtigkeit und einen wirksamen Klimaschutz. Nach Angaben der Polizei gab es keine Zwischenfälle.
Berlin (epd). Bei der Verteilung von Vermögen in Deutschland gibt es einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge weiterhin starke Ost-West-Unterschiede. Ostdeutsche haben nach den am 2. Oktober in Berlin veröffentlichten Ergebnissen nicht einmal halb so viel Vermögen wie Westdeutsche. 55.000 Euro waren es 2017 demnach im Schnitt im Osten, 120.000 Euro im Westen. Der gesamtdeutsche Durchschnitt lag bei 103.000 Euro.
Der Abstand verkleinert sich den Angaben zufolge allerdings in der jüngeren Generation. Die 71- bis 80-Jährigen im Osten haben den Angaben zufolge durchschnittlich 133.000 Euro weniger als westdeutsche Altersgenossen. Bei den 21- bis 25-Jährigen beträgt der Abstand noch 5.000 Euro.
Die Studie, die auf Daten des sozio-oekonomischen Panels beruht, stellt erneut auch insgesamt eine große Ungleichverteilung der Vermögen in Deutschland fest. Die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung besitzen demnach mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens. Die ärmere Hälfte hat nur 1,3 Prozent der Vermögens.
Um die Ungleichheit zu reduzieren, werde es nicht reichen, Vermögen ein wenig zu besteuern, sagte Studienautor Markus Grabka. Die Einnahmen kämen nicht automatisch vermögensschwachen Bevölkerungsgruppen zugute. Wichtiger sei es, bessere Möglichkeiten zur Vermögensbildung anzubieten, auch um drohender Altersarmut vorzubeugen, sagte Grabka.
Berlin (epd). Die Herabwürdigung eines Mitarbeiters wegen dessen ostdeutscher Herkunft stellt nach einem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin keine Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) dar. Eine Diskriminierung wegen der ethnischen Herkunft oder der Weltanschauung sei in diesem Fall nicht gegeben, urteilte das Gericht laut einer Mitteilung vom 2. Oktober. (AZ: 44 Ca 8580/18).
Der Kläger war nach Angaben des Gerichts bei einem Zeitungsverlag als stellvertretender Ressortleiter beschäftigt. Er verklagte seinen Arbeitgeber auf Entschädigung, Schadenersatz und Schmerzensgeld. Zur Begründung führte er an, von zwei vorgesetzten Mitarbeitern wegen seiner ostdeutschen Herkunft stigmatisiert und gedemütigt worden zu sein.
Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Eine Entschädigung nach dem AGG stehe dem Kläger nicht zu, da eine Benachteiligung wegen seiner ethnischen Herkunft oder Weltanschauung nicht erfolgt sei. Menschen ostdeutscher Herkunft seien nicht Mitglieder einer ethnischen Gruppe oder Träger einer einheitlichen Weltanschauung. Einen Schadenersatzanspruch wegen einer Persönlichkeits- oder Gesundheitsverletzung lehnte das Arbeitsgericht ebenfalls ab. Der Kläger habe seinen Arbeitgeber nicht rechtzeitig auf das Verhalten seiner Vorgesetzten aufmerksam gemacht.
Das Gericht ließ eine Berufung zum Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zu.
Dresden (epd). Vor dem Oberlandesgericht in Dresden hat am 30. September der Prozess gegen die mutmaßliche rechtsextreme Terrorgruppe "Revolution Chemnitz" begonnen. Den acht Männern im Alter von 21 bis 32 Jahren werden die Gründung einer terroristischen Vereinigung sowie die Mitgliedschaft darin vorgeworfen, wie der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Kai Lohse, sagte. Den Vorwurf eines Verteidigers, die Ermittlungen seien politisch motiviert, wies er zurück.
Die Anklage sei nicht wegen einer Gesinnung, sondern aufgrund von Straftaten erhoben worden, betonte Lohse: "Dies ist kein politischer Prozess, sondern wir knüpfen allein an Handlungen und Aktionen an, die möglicherweise politisch motiviert waren."
"Revolution Chemnitz" sei auf unbestimmte Zeit angelegt worden, hieß es. Grundlage sei eine nationalsozialistische und ausländerfeindliche Gesinnung. Rädelsführer soll laut Bundesanwaltschaft der Angeklagte Christian K. gewesen sein. Die Mitglieder der Gruppe hätten sich bereits zuvor gekannt und gemeinsam Straftaten begangen. Sie seien in der rechtsextremen Szene und der Hooliganszene gut vernetzt und hätten sich fortlaufend radikalisiert.
Bereits beim Verlesen der Anklage zitierte der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Michael Glaser, aus Chatprotokollen der mutmaßlich rechtsterroristischen Vereinigung. Darin heißt es, dass die Mitglieder von "Revolution Chemnitz" Andersdenkende und Ausländer "ausrotten" und dazu "auf die Pirsch gehen" und "Jagd machen" wollten.
Laut Anklage plante die Gruppe zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2018 in Berlin einen "Systemwechsel", eine "Revolution mit allen Konsequenzen". Dieser "historische Tag" sei als "Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland" geplant worden. Dafür gab es am 14. September 2018 einen "Probelauf" in Chemnitz, an dem fünf der Angeklagten beteiligt gewesen sein sollen. Ein Mann wurde verletzt und erlitt laut Anklage eine Platzwunde am Kopf.
Zur Planung ihrer Vorhaben hätten sich die Beteiligten am 10. September 2018 in einem Chat zur Gruppe "Revolution Chemnitz" zusammengeschlossen. Für den geplanten Umsturz hätten sie sich um Waffen bemüht und bereits den Preis erfahren. Die Anklage basiert auf Chatprotokollen aus der Zeit zwischen dem 10. und 14. September 2018.
Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats verlas zu Beginn der Beweisaufnahme aus Protokollen der Ermittler, die über die Art und Weise der Sicherstellung der Handydaten mit den Protokollen informieren. Zudem wurden Teile aus dem viertägigen Chatverlauf "Revolution Chemnitz" vorgelesen.
"Wir wollen etwas bewegen", zitierte ein Richter des Staatsschutzsenats aus den Chats. Das "klappt nicht immer gewaltfrei und könnte auch Opfer fordern". Und weiter hieß es: "Wir versuchen die Wende voranzutreiben und den Parasiten zu schwächen." Der Chat sei mit den Worten "Freiheit ist mehr als ein Wort" überschrieben.
"Sollten die Zeichen günstig stehen", werde der "Stein ins Rollen" gebracht. Es solle wirken, "als hätten die Parasiten angefangen, es muss so aussehen, als drehten die Linken frei". Die acht Chatmitglieder hätten ihre Bereitschaft bestätigt, bei dem Vorhaben dabei zu sein. Einer schrieb zudem, er sei sich der Gefahren bewusst. Der Prozess wird am 7. Oktober fortgesetzt.
Minden/Bielefeld (epd). Eine für den 9. November in Bielefeld angemeldete Kundgebung für die inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck darf stattfinden. Das hat das Verwaltungsgericht Minden in einem Eilverfahren entschieden, wie eine Gerichtssprecherin am 30. September mitteilte (AZ: 11 L 886/19). Der Demonstrationszug von der Partei "Die Rechte" ist einen Tag nach dem Geburtstag von Haverbeck geplant, die am 8. November 91 Jahre alt wird. Die mehrmals wegen Volksverhetzung verurteilte rechte Aktivistin sitzt derzeit ein Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt in Bielefeld ab. Das Motto des rechtsextremen Kundgebung lautet "Mit 91 Jahren in den Knast! Freiheit für Ursula Haverbeck! Für echte Meinungsfreiheit".
"Die Rechte" hatte gegen eine Auflage des Polizeipräsidiums Bielefeld Rechtsmittel eingelegt. Die Behörde hatte die angemeldete Demonstration zwar erlaubt, aber aufgrund des Gedenkens an die Novemberpogrome von 1938 gefordert, dass die Partei grundsätzlich einen anderen Veranstaltungstag wählen solle.
Die 11. Kammer des Verwaltungsgerichts Minden sah im Gegensatz zur Polizeibehörde keine ausreichenden Gründe für eine Beschränkung der "Rechten"-Kundgebung gegeben. Das benannte Thema der geplanten Demonstration weise "keine Stoßrichtung gegen das Gedenken an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft" auf, heißt es in dem am 30. September veröffentlichten Beschluss. Eine solche ergäbe sich auch nicht aus sonstigen Umständen. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig, gegen ihn ist eine Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster möglich.
Ein Polizeisprecher sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), das Polizeipräsidium werde alle Rechtsmittel ausschöpfen. "Wir stellen uns aber auf eine Demonstration ein." Ein gesellschaftliches Bündnis hat bereits eine Gegendemonstration für den 9. November angekündigt.
Haverbeck verbüßt seit Mai 2018 in Bielefeld-Brackwede eine zweijährige Haftstrafe wegen Volksverhetzung, die vom Landgericht Verden verhängt wurde. Das Detmolder Landgericht hatte sie zu einer weiteren Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt. Haverbeck hatte unter anderem bestritten, dass das Konzentrationslager Auschwitz ein Vernichtungslager war.
Im vergangenen November waren 6.000 Menschen in Bielefeld gegen eine rechte Kundgebung für Holocaust-Leugnerin auf die Straße gegangen. Die Polizei Bielefeld war im Nachhinein für ihren Einsatz scharf kritisiert worden. Das "Bielefelder Bündnis gegen Rechts" warf der Polizei ein aggressives Vorgehen vor. Mit Wasserwerfern, Räumpanzern und Hundertschaften sei der friedliche Protest "unverhältnismäßig" erschwert worden. Die Gegendemonstranten seien zudem entgegen vorheriger Absprachen weiträumig von den Neonazis abgesperrt worden.
Berlin (epd). An der Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin ist es am 4. Oktober zu einem Zwischenfall gekommen. Wie die Polizei mitteilte, überwältigten Beamte einen 23-Jährigen, der die Absperrung vor der Synagoge überstiegen und mit einem Messer auf die dortigen Mitarbeiter des Objektschutzes zugelaufen sein soll. Dabei soll er den Angaben zufolge etwas auf Arabisch gemurmelt haben.
Als zwei Objektschützer ihre Dienstwaffen zogen, blieb der Mann den Angaben zufolge stehen, legte das Messer aber nicht weg. Inzwischen eingetroffene Unterstützungskräfte mussten schließlich Reizstoff einsetzen, so dass der 23-Jährige das Messer fallen ließ und überwältigt werden konnte. Er wurde festgenommen.
In einer Befragung und bei einer Durchsuchung seiner Wohnung habe sich das Motiv des Mannes nicht klären können, hieß es. Da ein politisches Motiv nicht ausgeschlossen werden könne, seien Datenverarbeitungsgeräte und Unterlagen beschlagnahmt worden. Der Mann wurde am Samstagmorgen aus dem Polizeigewahrsam entlassen, die Ermittlungen dauerten an.
Berlin/Leipzig (epd). Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hat sich besorgt über die gewaltbereite rechtsextreme Szene geäußert. "Der Rechtsextremismus ist neben dem islamistischen Terrorismus mittlerweile die größte Bedrohung in unserem Land", sagte Seehofer der "Welt am Sonntag" (Ausgabe vom 6. Oktober). Er kündigte an, das Bundeskriminalamt und den Verfassungsschutz personell und organisatorisch zu stärken.
Außerdem wolle die Bundesregierung im Netz aktiver werden. Die Provider sollten nach seiner Vorstellung künftig dem Bundeskriminalamt (BKA) Hass-Postings "aktiv mitteilen, wenn diese einen Straftatbestand erfüllen", sagte der Bundesinnenminister. Wenn sich der Verdacht bestätige, sollten die Unternehmen die Bestandsdaten des Nutzers herausgeben. "Wir können den Hass im Internet nicht einfach dulden - Hass hat mit Meinungsfreiheit nichts zu tun", sagte der CSU-Politiker und verwies darauf, wie nach der Ermordung von Walter Lübcke in Internetkommentaren das Opfer verhöhnt und der mutmaßliche Täter gefeiert worden sei.
Im sächsischen Zwickau ist - wenige Tage nach dem Absägen eines Gedenkbaumes für das erste NSU-Opfer - in der Nacht zum 6. Oktober auch ein ersatzweise aufgestelltes Gedenkzeichen zerstört worden. Es handelte sich um eine Holzbank mit Inschrift zum Gedenken an die NSU-Opfer. Wie die Polizei mitteilte, hat der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen.
Der Baum im Schwanenteichpark in Zwickau erinnerte an den Blumenhändler Enver Simsek aus Hessen, der im September 2000 in Nürnberg von der rechtsterroristischen NSU erschossen worden war. Er war das erste von insgesamt zehn Opfern der Terrorzelle.
Angesichts der Zerstörung des Gedenkbaums warnte auch die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, Barbara John, vor der fortbestehenden Gefahr des Rechtsterrorismus. "Für mich ist das ein Indiz für die Existenz nach wie sehr aktiver rechtsterroristischer Netzwerke, die Mord offensichtlich gut heißen", sagte John den Zeitungen des "RedaktionsNetzwerks Deutschland" (6. Oktober): "Wie käme man sonst auf die Idee, die Erinnerung an die Opfer anzugreifen?"
Dass es diese Netzwerke gebe, müsse die Sicherheitsbehörden aufmerksam machen, forderte John: "Sie müssen da verstärkt hingucken. Das sage ich auch im Namen der Familien, von denen ich jetzt mit einigen gesprochen habe und die entsetzt sind."
Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) warnte vor rechter Unterwanderung in "gewissen ländlichen Regionen" Mitteldeutschlands. Im Deutschlandfunk appellierte er an die Zivilgesellschaft, entschieden gegen eine Übernahme dörflicher Strukturen durch rechte Kräfte aufzutreten.
Zwar gehörten große Rechtsrock-Konzerte der Vergangenheit an, das sei ein Erfolg, sagte der SPD-Politiker rund drei Wochen vor der Landtagswahl. Neuere Ansätze kämen aber perfider daher, sozusagen auf leisen Pfoten. So gebe es in gewissen ländlichen Regionen besonders umtriebige Rechte, die Immobilien kauften, Gaststätten betrieben und Basare sowie Liederabende veranstalteten. Sie gäben sich und ihren Aktivitäten "ein Mäntelchen des Bürgerlichen" und schafften es so, immer mehr in die Gesellschaft einzusickern.
Berlin (epd). Im Streit um die Aufnahme von geretteten Bootsflüchtlingen hat die EU-Kommission Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Rückendeckung gegeben. EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (online), Deutschland habe die Diskussion vorangetrieben, auch deshalb gebe es jetzt positive Fortschritte bei dem Thema. Vor dem Treffen der EU-Innenminister am 8. Oktober äußerte sich Avramopoulos zuversichtlich, dass mehr Mitgliedstaaten "berechenbaren und befristeten" Regelungen für die Aufnahme von Bootsflüchtlingen zustimmen würden.
Seehofer hatte sich im September mit Frankreich, Italien und Malta auf einen Verteilmechanismus für Bootsflüchtlinge auf der zentralen Mittelmeerroute verständigt. Deutschland will jeden vierten geretteten Migranten aufnehmen, wenn genügend Staaten mitmachen. Dies war unionsintern auf Kritik gestoßen.
Avramopoulos wies Bedenken, der vereinbarte Notfallmechanismus für die aus Seenot geretteten Migranten werde zu einem "Pull-Faktor", zurück: Die Regelung dürfe nicht isoliert gesehen werden. Vorrangiges Ziel sei es, die Zahl der irregulären Ankünfte zu reduzieren, Schmuggler zu bekämpfen sowie die Rückführung irregulärer Migranten zu verbessern. "Wenn sich jedoch Migranten auf See befinden, was eine Ausnahme sein sollte, ist es unsere Pflicht, Menschenleben zu retten."
Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) war im Interview mit den Funke-Zeitungen (5. Oktober) auf Distanz zu Seehofers Plänen gegangen. "Wir dürfen Schlepperorganisationen nicht ermutigen, mehr zu machen", sagte er. Auch CDU-Präsidiumsmitglied Mike Mohring äußerte Zweifel: "Das Risiko der jetzt von Horst Seehofer angestrebten Zwischenlösung ist, dass sie zur Dauerlösung wird", sagte der CDU-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober
Seehofer verteidigte indes seine Pläne. Auf keinen Fall solle damit das "menschenverachtende Geschäft der Schleuser" unterstützt werden, sagte er der "Welt am Sonntag" (Ausgabe vom 6. Oktober). Sollte der "Notfallmechanismus falsche Anreize setzen oder missbraucht werden", könne er ihn jederzeit für Deutschland beenden.
Bei einer Reise nach Athen und Ankara hatte Seehofer beiden Ländern mehr Unterstützung bei der Bewältigung der Migration zugesichert. Die Türkei und Griechenland seien beiderseits der gemeinsamen EU-Außengrenze seit Jahren stark belastet, erklärte er am späten Abend des 4. Oktober. Hier bedürfe es einer engen Zusammenarbeit mit den Partnern. An der Reise nahmen auch Avramopoulos und Vertreter Frankreichs teil.
Bei einer möglichen Unterstützung für die Türkei gehe es besonders um die Küstenwache und die Bekämpfung der Schleuserkriminalität, sagte Seehofer. In Griechenland könne etwa bei der Beschleunigung der Asylverfahren, beim Küsten- und Grenzschutz oder im IT-Bereich geholfen werden.
Laut "Welt am Sonntag" hat sich die Zahl der Flüchtlinge, die bis Ende September dieses Jahres über die Türkei in die EU gekommen sind, drastisch erhöht. Sie liege derzeit bei 46.546, berichtete die Zeitung unter Berufung auf einen ihr vorliegenden internen und vertraulichen Bericht der EU-Kommission. Dies bedeute einen Anstieg um 23 Prozent gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum (37.837). Laut Prognose der griechischen Regierung würden bis Jahresende weiter 25.000 Migranten erwartet.
Seehofer forderte die EU-Regierungen in dem Blatt auf, mehr Geld zur Bewältigung der Migration für die Türkei freizugeben. Deren Leistung liege "in unser aller Interesse". Mehr Solidarität verlangte er von den EU-Mitgliedern auch für Griechenland, anderenfalls drohe eine "noch größere Flüchtlingswelle als 2015, sagte er der "Bild am Sonntag".
Genf (epd). Der Jurist und Menschenrechtsaktivist Asisbek Aschurow aus Kirgistan erhält den diesjährigen Nansen-Flüchtlings-Preis. Aschurow und seine 2003 gegründete Organisation FVLWB hätten zur Beendigung der Staatenlosigkeit in Kirgistan beigetragen, erklärte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, am 2. Oktober in Genf. Mehr als 10.000 Menschen hätten die Staatsangehörigkeit Kirgistans erhalten, darunter 2.000 Kinder. Kirgistan sei das erste Land, in dem keine Menschen mehr von Staatenlosigkeit betroffen seien.
Aschurow habe mit großer Entschlossenheit und Zähigkeit für sein Ziel gekämpft, betonte Grandi. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, zu der Kirgistan gehörte, seien viele Menschen Anfang der 90er Jahre staatenlos geworden. Staatenlose existierten zwar physisch, aber nicht auf dem Papier, erklärte Aschurow. Diesen ungerechten Zustand habe er ändern wollen.
Der Nansen-Preis des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR umfasst eine Medaille und ein Preisgeld von 150.000 US-Dollar, das der Preisträger einem Flüchtlingsprojekt zukommen lassen kann. Der Preis wird am 7. Oktober in Genf verliehen.
Nach UN-Angaben sind Millionen Menschen weltweit staatenlos. Sie werden sozial, wirtschaftlich und politisch diskriminiert. Oft bleiben ihnen der Besuch von Schulen, gesundheitliche Versorgung und andere Leistungen versperrt. In einigen Ländern dürfen sie nicht einmal heiraten.
Oft werden Menschen im Zuge von Krieg und Flucht staatenlos. Mit dem Nansen-Flüchtlingspreis werden seit 1954 Menschen oder Organisationen geehrt, die sich besonders um Flüchtlinge und ihre Belange verdient gemacht haben. Namensgeber des Preises ist der erste internationale Hochkommissar für Flüchtlinge, der norwegische Polarforscher Fridtjof Nansen (1861-1930). Er arbeitete in den 1920er Jahren für den Völkerbund. Bekannt wurde er auch durch den nach ihm benannten Nansen-Pass für Flüchtlinge.
Köln (epd). "Das wäre nichts anderes als die Abschiebung in ein Kriegsgebiet", sagte die Türkei-Direktorin von "Human Rights Watch", Emma Sinclair-Webb, am 2. Oktober im Deutschlandfunk. Die meisten Syrer kämen in die immer noch umkämpfte Provinz Idlib, sagte Sinclair-Webb. Menschen in ein Kriegsgebiet abzuschieben, verstoße klar gegen das Gesetz.
Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR leben derzeit 3,6 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Nach Angaben des türkischen Innenministers Süleyman Soylu vom Juni sind bereits 350.000 Syrer freiwillig in ihr Heimatland zurückgekehrt. Dem widersprach Sinclair-Webb: "Wir fürchten, dass die sogenannten freiwilligen Rückreisen nicht freiwillig sind", sagte sie. "Die Menschen wurden von der Polizei genötigt, ihrer Ausreise zuzustimmen." Die Menschenrechtsorganisation hatte den türkischen Behörden bereits im August vorgeworfen, Flüchtlinge nach Syrien abzuschieben.
Nachdem die Ankunftszahlen in Griechenland nach dem EU-Türkei-Deal zurückgegangen waren, nahmen sie zuletzt wieder stark zu. Im September kamen nach UN-Angaben fast 10.300 neue Flüchtlinge auf den griechischen Inseln an, die höchste Monatszahl seit 2016.
Mönchengladbach (epd). Borussia Mönchengladbach will sich beim europäischen Fußballverband UEFA über die Behandlung seiner Fans beim Europa League-Spiel gegen Istanbul Basaksehir am 3. Oktober beschweren. Dass die türkische Polizei Gladbach-Anhänger mit Fahnen mit dem Stadtwappen wegen angeblich verbotener christlicher Symbole nicht ins Stadion gelassen habe, sei "nicht in Ordnung", erklärte Borussia-Geschäftsführer Stephan Schippers am 4. Oktober in Mönchengladbach. "Es ist respektlos, wenn man das Stadtemblem einer Gastmannschaft zurückweist."
Sportdirektor Max Eberl hatte das Vorgehen der türkischen Polizei bereits kurz nach dem Spiel auf Facebook verurteilt. "Es macht mich traurig, dass wir im Jahr 2019 solche Zustände in Europa haben - dass die Polizei entscheiden kann, welche Fahnen ins Stadion reinkommen und welche nicht." Das habe nichts mit Fußball zu tun.
Das aktuelle Wappen der Stadt Mönchengladbach zeigt unter anderem den Abtsstab der Benediktiner, die bis 1802 auf dem Abteiberg ansässig waren, sowie das Kreuz der Herren von Bylandt, das bis 1974 gültige Wappen ziert der Stadtheilige St. Vitus. Nach Angaben der Fanhilfe Mönchengladbach sei den Fans vor dem Spiel nicht mitgeteilt worden, dass keine christlichen Symbole erlaubt seien.
Kalkar (epd). Mehrere Hundert Menschen haben am 3. Oktober im niederrheinischen Kalkar gegen Militäreinsätze im Nahen und Mittleren Osten protestiert. Die Demonstranten trafen sich zunächst vor einer Kaserne der Luftwaffen-Kommandozentralen der Bundeswehr sowie der NATO und machten dort mit Trillerpfeifen ihrem Unmut Luft, wie die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsgegnerInnen (DFG-VK) NRW mitteilte. Anschließend bewegte sich der Demonstrationszug zum Marktplatz in Kalkar.
Die Proteste richteten sich vor allem gegen die Pläne der Bundesregierung, den Einsatz der "Tornado"-Kampfflugzeuge im Nahen Osten zu verlängern. Nach Veranstalterangaben beteiligten sich zwischen 200 und 300 Menschen an der Aktion. Laut der Polizei verliefen die Proteste ohne Zwischenfälle.
Auf der Kundgebung sprach unter anderem der Linken-Bundestagsabgeordnete Alexander Neu, der auch Mitglied im Verteidigungsausschuss ist. Er kritisierte die von der Bundesregierung geplante Erhöhung der Militärausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
"Die Gefahr eines neuen Krieges im Nahen und Mittleren Osten steigt", sagte Joachim Schramm, NRW-Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft. Sollte es zu einem Krieg kommen, würde "die ganze Region vom Iran über Saudi-Arabien, den Irak, Syrien bis Israel in Mitleidenschaft" gezogen. Deshalb sei es "unverantwortlich", wenn Deutschland in dieser Situation den "Tornado"-Einsatz in der Region verlängern würde, betonte Schramm.
In Kalkar und dem benachbartem Uedem wird den Angaben zufolge zudem seit Jahren "die militärische Infrastruktur für den Hightech-Krieg ausgebaut". Man brauche keine "Kriegsführungszentralen am Niederrhein", betonte Schramm. "Wir wollen in einem Land leben, das Geld nicht für Waffen und Soldaten ausgibt, sondern für Klimaschutz und für die Lösung der drängenden Probleme in der Welt."
Düsseldorf (epd). Der Mediziner und Ärztegewerkschafter Frank Ulrich Montgomery erhält die Josef-Neuberger-Medaille der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Der 1952 in Hamburg geborene Radiologe, der nach Vorstandsämtern im Marburger Bund und in der Bundesärztekammer in den Vorstand des Weltärztebundes gewählt wurde, erhält die Auszeichnung auf einem Festakt am 19. November in der Düsseldorfer Synagoge, wie die jüdische Gemeinde mitteilte. Als Laudator wird der ehemalige Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) erwartet.
Die Neuberger-Medaille ehrt Menschen oder Institutionen der nichtjüdischen Öffentlichkeit, die sich um die jüdische Gemeinschaft besonders verdient gemacht haben. Die Auszeichnung erinnert an den früheren nordrhein-westfälischen SPD-Politiker und Justizminister Josef Neuberger (1902-1977), der sich in den Nachkriegsjahren als Jude für das jüdische Gemeindeleben in NRW eingesetzt hatte und auch im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland tätig war. Zu den früheren Preisträgern gehören unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, der frühere NRW-Ministerpräsident und spätere Bundespräsident Johannes Rau und die Düsseldorfer Rockband "Die Toten Hosen".
Köln (epd). Zekeriya Altug vom türkisch-islamischen Verband Ditib vertritt seit dem 3. Oktober den Koordinationsrat der Muslime für sechs Monate in der Öffentlichkeit als Sprecher. Der Abteilungsleiter Außenbeziehungen der Ditib, der bereits im Jahr 2017 turnusgemäß das Amt innehatte, löst nun die Juristin Nurhan Soykan vom Zentralrat der Muslime (ZMD) in dem Amt ab, wie der ZMD in Köln dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte.
Im Koordinationsrat der Muslime sind seit 2007 die vier größten Moscheeverbände in Deutschland zusammengeschlossen. Dies sind neben der eng mit dem türkischen Staat verbundenen Ditib der ZMD, der Islamrat und der Verband der islamischen Kulturzentren (VIKZ). Im Juli dieses Jahres traten drei weitere Verbände dem Dachverband bei: der Zentralrat der Marokkaner, die Islamische Gemeinschaft der Bosniaken und die Union der islamisch-albanischen Zentren. Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) hat keinen Vorsitzenden, sondern nur einen Sprecher.
Die Sprecherwechsel im Herbst fällt traditionell mit dem 3. Oktober zusammen, an dem der Koordinationsrat der Muslime zum Tag der offenen Moschee einlädt. In diesem Jahr öffneten rund tausend muslimische Gotteshäuser in Deutschland ihre Türen unter dem Motto "Menschen machen Heimat(en)". Das Einstehen für Heimat und Solidarität seien für das friedvolle Zusammenleben wichtiger denn je, hatte der ZMD im Vorfeld erklärt.
Muslime müssten die Farben Schwarz-Rot-Gold mit Leben füllen, sagte der Zentralrats-Vorsitzende Aiman Mazyek. "Wir müssen zudem deutlich machen: Alles Völkische, alles Nationalistische zerstört Heimat. Eine Heimat ohne Demokratie gibt es für uns nicht." Dazu wolle man sich "am höchsten deutschen Feiertag, dem Tag der Deutschen Einheit" bekennen.
Düsseldorf, Berlin (epd). Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Udo Beckmann, ist am 2. Oktober in Düsseldorf mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Beckmann erhielt das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens auf Vorschlag von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) aus den Händen der Düsseldorfer Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP), wie die Lehrergewerkschaft am 2. Oktober mitteilte. Beckmann erhielt die Auszeichnung vor allem für sein ehrenamtliches Engagement für Lehrkräfte und Bildungsgerechtigkeit in Deutschland.
Beckmann arbeitete den Angaben nach zunächst als Lehrer für Physik, Mathematik und Biologie, später war er bis 1996 Konrektor an einer Ganztagshauptschule in Hemer. Bis 2005 leitete er eine Hauptschule in Dortmund. Von 1996 bis 2017 war Beckmann Landesvorsitzender des VBE NRW, ab 1998 bis 2009 stellvertretender, dann Bundesvorsitzender des VBE. Beckmann habe sich stets für die gleiche Bezahlung aller Lehrkräfte, für die Aufhebung des Kooperationsverbotes und für die Verwirklichung von Bildungsgerechtigkeit aller Kinder eingesetzt, erklärte der VBE. Zudem engagiert sich Beckmann bundesweit im Dachverband des dbb Beamtenbund und Tarifunion.
Gütersloh (epd). Ralph Heck wird neuer Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung. Der 62-jährige Volkswirt wird sein neues Amt zum 1. August 2020 antreten, wie die Stiftung in Gütersloh mitteilte. Heck löst den Angaben zufolge den bisherigen Vorsitzenden Aart de Geus ab, der nach acht Jahren sein Amt auf eigenen Wunsch zum Jahresende 2019 vorzeitig niederlegt, um in seiner niederländischen Heimat eine neue Aufgabe zu übernehmen. Bis zum Amtsantritt von Heck werden die Vorstände Liz Mohn, Brigitte Mohn und Jörg Dräger übergangsweise die Geschäfte der Stiftung führen.
Heck stammt den Angaben zufolge aus dem deutschsprachigen Teil Belgiens, studierte in Karlsruhe Wirtschaftsingenieurwesen und promovierte anschließend im Bereich Volkswirtschaftslehre. Er war bei der Unternehmensberatung Mc Kinsey tätig, in den vergangenen Jahren wirkte er als Aufsichtsrat und Beirat in verschiedenen Firmen. Seit 2012 gehört er dem Kuratorium der Bertelsmann Stiftung an. Diese Mitgliedschaft werde er satzungsgemäß zum Zeitpunkt seines Amtsantritts aufgeben, hieß es.
Die Bertelsmann Stiftung, die die Mehrheit des Aktienkapitals des Medienunternehmens Bertelsmann hält, ist nach eigenen Angaben eine der größten Unternehmensstiftungen Deutschlands. Sie engagiert sich unter anderem in den Bereichen Bildung, Wirtschaft, Gesundheitswesen, Kultur und Demokratie. Die Stiftung arbeitet nach eigenen Angaben parteipolitisch neutral und unabhängig von Unternehmen. Seit Beginn der Stiftungsarbeit vor über 40 Jahren wurden 1,5 Milliarden Euro in gemeinnützige Projekte investiert. Derzeit laufen den Angaben nach rund 70 Projekte, rund 380 Mitarbeiter sind in der Stiftung beschäftigt.
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Bad Segeberg, Köln (epd). Wenn Hans-Joachim Wild derzeit Besuchern die Räume seiner Tafel zeigt, dann ist er auf eine unscheinbare Ecke ganz besonders stolz: Sie liegt rechts hinter der Gemüse-Theke, und in ihr stapeln sich einfache Lebensmittel wie Nudeln, Zucker und Mehl. Was daran so besonders ist? Dass sie überhaupt da sind. "Dieses Regal ist normalerweise ganz schnell leer", sagt Wild, der die Tafel im schleswig-holsteinischen Bad Segeberg leitet. Grund dafür sei, dass diese Waren bislang selten gespendet würden. "Normalerweise können wir lange haltbare Lebensmittel nicht ohne Rationierung ausgeben."
Dass das jetzt anders ist, liegt an einer Sammelbox, die derzeit testweise in einem Edeka-Markt in der Stadt aufgestellt ist. Kunden haben dort die Möglichkeit, Lebensmittel, die sie zuvor gekauft haben, direkt als Spende abzugeben. Zweimal in der Woche kommt ein Mitarbeiter der Tafel und holt die Box ab.
Und wenn das Pilotprojekt weiterhin so gut anläuft, wird es bald schon auf weitere Tafeln in Hamburg und Schleswig-Holstein ausgedehnt, wie Bernd Jorkisch sagt. Er ist Leiter der Tafelstiftung Schleswig-Holstein und Hamburg und sagt: "Wir sind bereit, den Tafeln das nötige Equipment als Spende zur Verfügung zu stellen, wenn das gewünscht ist."
Dass die Tafel in Bad Segeberg einen chronischen Mangel an lange haltbaren Waren hat, ist kein Zufall. Denn überall bei den Lebensmittelausgaben kann nur das verteilt werden, wofür andere keine Verwendung mehr haben - häufig Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeits- oder Verbrauchsdatum kurz vor dem Ablauf sei, und die Supermärkte oder Gastrobetriebe nicht mehr verwerten könnten, sagt Hans-Joachim Wild. Gingen diese nicht an die Tafel, würden sie auf dem Müll landen. "Und es kostet uns viel Zeit und Aufwand, die Lebensmittel zu sortieren. Denn wir bieten nur erstklassige Ware an."
Dieser Aufwand entfalle bei den Lebensmitteln aus der Sammelbox. Und: Die Tafel kann auch ein viel breiteres Angebot machen. So seien in den ersten drei Wochen beispielsweise 132 Packungen Nudeln zusammengekommen und 46 Kilogramm Reis.
Der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge betont, dass es wichtig sei, dass Menschen genug Lebensmittel haben: "Aber das Medium, in dem Menschen in unserer hoch entwickelten Gesellschaft karitative Hilfe benötigen, ist eigentlich Geld. Das Grundgesetz sieht keine Almosen-Empfänger vor, sondern kennt nur Sozialstaatsbürger mit Rechtsansprüchen."
Butterwegge kritisierte zudem, dass das Handeln eines Supermarktes in einem solchen Spendensystem nicht selbstlos sei. Dieser bekomme die von seinen Kunden gespendeten Lebensmittel schließlich bezahlt. "Ich bin sicher, Supermarkt und Tafel handeln hier in gutem Glauben. Trotzdem ist dies Geschäftemacherei mit der Not der Menschen", sagt der Wissenschaftler. Und fügt hinzu: Es sei nicht die Aufgabe von Supermarktkunden dazu beizutragen, dass arme Menschen etwas zu essen bekommen. "Das ist eine Verschiebung der Verantwortlichkeiten", sagt Butterwegge.
Dieses Argument nennen Kritiker der Tafeln häufig: Selbst wenn Menschen in Armut durch die Lebensmittelspenden erst einmal geholfen werde - langfristig trage ihre Existenz dazu bei, ein System zu etablieren, in dem sich der Staat aus der Verantwortung nehmen kann. Und das werde hier verstärkt, urteilt Butterwegge. "Es kommt heute schon vor, dass Jobcenter-Mitarbeiter Menschen empfehlen: 'Gehen Sie doch zur Tafel.' Das wird umso mehr passieren, je mehr in Supermärkten in den Korb gepackt wird."
Auch Tafel-Leiter Hans-Joachim Wild hat den Eindruck, dass es über die Jahre mehr Menschen geworden sind, die sich in Bad Segeberg bei ihm und seinen Mitarbeitern Lebensmittel beschaffen. Verstärkt junge Menschen, die nicht über die Runden kommen - "aber auch Ältere, die sich das nie hätten träumen lassen". Gerade deswegen sei es wichtig, das Angebot ausbauen zu können.
Düsseldorf (epd). Die Ungleichheit bei den Einkommen in Deutschland liegt laut einem Bericht der Hans-Böckler-Stiftung auf einem "historischen Höchststand". Der Gini-Koeffizient, das gebräuchlichste Maß für Ungleichheit, habe Ende 2016 mit einem Wert von 0,297 um zwei Prozent höher gelegen als 2005, wie eine am 7. Oktober in Düsseldorf veröffentlichte Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Stiftung zeigt. Das Jahr gilt unter Forschern als besonders "ungleich". Im Vergleich zum Ende der 1990er-Jahre sei die Kennzahl sogar um rund 19 Prozent gestiegen.
Trotz der über Jahre guten wirtschaftlichen Entwicklung wächst die Ungleichheit der Einkommen den Angaben zufolge weiter. Das liegt den Studienautorinnen Dorothee Spannagel und Katharina Molitor zufolge vor allem an zwei Faktoren: Hohe Einkommensgruppen hätten "von sprudelnden Kapital- und Unternehmenseinkommen profitiert". Gleichzeitig seien die 40 Prozent der Haushalte mit den geringsten Einkommen zurückgefallen.
Die Armutslücke ist der Studie zufolge zwischen 2011 und 2016 preisbereinigt um 29 Prozent gewachsen und um 779 Euro auf 3.400 Euro gestiegen. Diese Summe beziffert das Jahreseinkommen, das armen Haushalten rechnerisch fehlt, um die Armutsgrenze von 60 Prozent des mittleren Einkommens zu überschreiten. Die Studie basiert auf der repräsentativen Befragung von 25.000 Menschen, die in Deutschland für das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) durchgeführt wird.
Die Ungleichheit wachse zwar langsamer als vor 2005, sagte Spannagel. Trotz dieses positiven Trends gehe die Polarisierung in Deutschland weiter: "Der Niedriglohnsektor ist weiterhin sehr groß und ärmere Haushalte fallen zurück, während sich reiche weiter absetzen." Starke soziale Spaltungen "reduzieren soziale und politische Teilhabe und gefährden das Funktionieren der sozialen Marktwirtschaft", warnte Spannagel.
Um eine "tiefgreifende Spaltung" der Gesellschaft zu verhindern, fordern die Studienautorinnen, Haushalte am oberen Ende müssten über höhere Steuern einen größeren Beitrag zur staatlichen Umverteilung leisten. Damit Haushalte am unteren Ende den Anschluss an die Gesellschaft nicht verlieren, seien vor allem die Erhöhung des Mindestlohns, eine Stärkung der Tarifbindung, höhere Regelsätze beim Arbeitslosengeld II und unbürokratische Beratungs- und Hilfsangebote notwendig.
Der Gini-Koeffizient kann Werte von 0 bis 1 annehmen. Bei einem Wert von 0 besitzen alle gleichviel, während der Wert 1 für maximale Ungleichheit steht, bei der eine Person alles besitzt.
Düsseldorf/Saarbrücken (epd). In Nordrhein-Westfalen zahlen Neumieter im Schnitt knapp acht Prozent mehr als Menschen mit älteren Mietverträgen. Für eine ab dem Jahr 2015 angemietete Wohnung bezahlten private Haushalte in NRW 2018 durchschnittlich 7,10 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter, wie das Statistische Bundesamt am 1. Oktober in Wiesbaden mitteilte. Das waren 7,6 Prozent mehr als die durchschnittliche Nettokaltmiete in NRW (6,60 Euro Euro).
Besonders hoch lagen die nordrhein-westfälischen Mieten 2018 im Regierungsbezirk Köln. Dort mussten Mieter durchschnittlich 7,60 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen. Im Bezirk Düsseldorf lagen die Mieten mit 6,70 Euro etwas darunter. Niedriger lagen die Nettokaltmieten mit durchschnittlich 5,80 Euro in den Regierungsbezirken Detmold und Arnsberg.
NRW liegt deutschlandweit im Mittelfeld. Bundesweit mussten private Haushalte den Angaben zufolge im Schnitt 7,70 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter für eine im Jahr 2015 und später angemietete Wohnung bezahlen. Damit fielen diese Mietkosten um knapp zwölf Prozent höher aus als die durchschnittliche Nettokaltmiete in Deutschland (6,90 Euro).
Weit über dem jeweiligen Landesdurchschnitt lagen die Neumieten ab dem Einzugsjahr 2015 nach Angaben der Statistiker in Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg. Am größten war der Unterschied jedoch in Berlin: Dort zahlten Meiter 2018 mit 9,10 Euro fast ein Viertel mehr als die durchschnittliche Nettokaltmiete der Stadt (7,40 Euro). Am höchsten lag die Nettokaltmiete bei Neuanmietungen mit 10,30 Euro pro Quadratmeter in Hamburg.
Im Saarland zahlen Neumieter demnach im Schnitt zwölf Prozent mehr als Menschen im gesamten Durchschnitt. Für eine ab dem Jahr 2015 angemietete Wohnung bezahlten private Haushalte 2018 durchschnittlich 6,50 Euro Nettokaltmiete pro Quadratmeter. Das waren 12,1 Prozent mehr als die durchschnittliche Nettokaltmiete von 5,80 Euro im Saarland. Das Saarland liegt im bundesweiten Vergleich mit der Nettokaltmiete unter dem Durchschnitt.
Die höheren Durchschnittsmieten tragen dazu bei, dass die Haushalte auch mit überdurchschnittlichen Mietbelastungsquoten zu kämpfen haben, wie es weiter hieß. Demnach lag 2018 der Anteil des Haushaltsnettoeinkommens, den die Haushalte insgesamt für die Bruttokaltmiete aufwendeten, bundesweit bei 27,2 Prozent, in NRW waren es mit 28,5 Prozent etwas mehr, so auch im Saarland (28,6 Prozent). Die Zahlen basieren auf einer Mikrozensus-Zusatzerhebung von 2018. Die Zahlen basieren auf einer Mikrozensus-Zusatzerhebung von 2018.
Berlin (epd). Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sollen künftig besser und umfangreicher über die Qualität von Pflegeheimen informiert werden. Am 1. Oktober startete die Umsetzung des neuen Qualitäts- und Prüfsystems, das den bisherigen Pflege-TÜV ablösen soll. Dessen meist sehr gute Noten waren heftig umstritten. Das alte System sei eine "Farce" gewesen, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Von dem neuen System, das stärker an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen orientiert sein soll, erhofft er sich mehr Vertrauen in die Pflege. Patientenschützer fürchten aber auch, dass das neue Bewertungsschema unübersichtlich und damit schwierig zu händeln wird für Betroffene.
"Künftig geht es nicht mehr darum, wer die Haken in der Akte am besten macht, sondern darum, wie es den Bewohnern wirklich geht", erklärte Spahn zum Start des neuen Systems. Künftig sollen Ernährung, Körperpflege und Wundversorgung genauer geprüft werden sowie die Anstrengungen einer Einrichtung, die Mobilität ihrer Bewohner zu erhalten oder Druckgeschwüren vorzubeugen. Die Einrichtungen müssen ab sofort zunächst selbst Angaben zur Qualitätssicherung machen, die im Anschluss von einer Datenauswertungsstelle auf ihre Plausibilität überprüft werden. Hinzukommt eine Qualitätskontrolle des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK).
Bis Ende 2020 sollen alle Heime intern und extern geprüft werden. Wie der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) in Berlin mitteilte, werden bereits ab Anfang 2020 erste Ergebnisse der MDK-Prüfungen veröffentlicht. Die Ergebnisse werden auf den Seiten der Kranken- und Pflegekassen veröffentlicht und in den Einrichtungen ausgehängt. Sie werden wesentlich detaillierter sein als heute. Auf einzelnen Skalen wird ablesbar sein, wie eine Einrichtung unter einem bestimmten Aspekt abschneidet. Die Gesamtnote entfällt.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, erklärte, dies bringe keine schnelle Übersicht. Für eine rasche Vergleichbarkeit bei der Pflegeheimsuche sei eine Gesamtnote notwendig. "Die Menschen brauchen einen Pflege-TÜV, der leicht verständlich ist", sagte er. Die pflegepolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Kordula Schulz-Asche, forderte, die Ergebnisse müssten zielgruppengerecht aufgearbeitet und schnell erreichbar sein.
Die Leiterin der Abteilung Gesundheit beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), Monika Kücking, räumte ein, dass das neue System zulasten der Übersichtlichkeit gehen werde. Nach ihren Angaben soll es auf der Internetseite deswegen Suchfunktionen geben, um sich besser durch die Bewertungskriterien navigieren zu können.
Der Abschied vom alten Pflege-TÜV wurde dennoch von allen Parteien als Fortschritt bewertet. Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger warnte aber, das neue System könne den Konkurrenzdruck auf die Schultern der Pflegekräfte laden. "Außerdem kann dieser TÜV das zentrale Problem in der Pflege nicht lösen: Personalmangel", erklärte er.
Bochum (epd). Der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat mehr Ausbildungsplätze in der Pflege gefordert. Auf einer Fachtagung am 1. Oktober in Bochum appellierte er vor allem an die Krankenhäuser, sich mehr als bisher zu engagieren. Darüber hinaus sei es auch notwendig, die gesamte Ausbildung zu modernisieren. Die Anstrengungen seien dringender denn je, weil die Zahl der Pflegebedürftigen erheblich ansteigen werde. Der Minister verwies beim Pflegetag NRW des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe, DBfK Nordwest, darauf, dass auch die geburtenstarken Jahrgänge der 1950er und 60er Jahre bald das Rentenalter erreichten.
Bei der Gewinnung von Personal solle man den Standard der Bezahlung herausstellen, betonte Laumann. Die Vergütung von Auszubildenden in der Pflege liege an zweithöchster Stelle bei einem landesweiten Vergleich der dualen Ausbildungsberufe. Im ersten Jahr bekomme eine Pflegekraft rund 1.000 Euro.
Pflegepersonal in großer Zahl aus dem Ausland nach Deutschland zu holen, bewertete der Minister kritisch. Länder wie Rumänien würden selbst Fachkräfte in der Medizin und der Pflege benötigen. Zudem stelle die Integration der ausländischen Fachkräfte weitere Herausforderungen für Arbeitgeber und Gesellschaft dar. Laumann warb für die verstärkte Gewinnung von Fachkräften auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
In seiner Rede warb Laumann erneut für die geplante Pflegekammer in NRW, deren Aufbau er mit mehreren Millionen Euro in Gang gebracht habe. Im Mittelpunkt stehe eine Interessenvertretung für die Pflegekräfte in NRW. Wie auch im Handwerk oder in der Landwirtschaft sei eine solche Institution erforderlich, um die Berufsbilder weiterzuentwickeln. Eine Pflegekammer und gewerkschaftliche Interessen stünden keineswegs im Gegensatz zueinander, betonte er. Wer in einer Pflegekammer mitwirke, könne auch in einer Gewerkschaft mitwirken. Laumann will den Aufbau einer Pflegekammer gesetzlich auf den Weg bringen.
Bad Oeynhausen/Bielefeld (epd). Die Staatsanwalt Bielefeld ermittelt gegen einen Mitarbeiter der Diakonischen Stiftung Wittekindshof wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung. Es bestehe der Anfangsverdacht, dass der Leiter des Geschäftsbereichs 4 in der "Heilpädagogischen Intensivbetreuung" Zwangsmaßnahmen angeordnet habe, ohne dass ein richterlicher Beschluss vorlag, heißt es in einer am 1. Oktober veröffentlichten gemeinsamen Erklärung von Staatsanwaltschaft und der Kreispolizeibehörde Minden-Lübbecke. Dem 55-jährigen Mann wird demnach vorgeworfen, Bewohner über längere Zeit in ihrem eigenen Zimmer eingeschlossen sowie in einem Therapieraum - ein sogenannter Time-Out-Raum - fixiert zu haben.
Rund 70 Polizeibeamte durchsuchten am 1. Oktober über mehrere Stunden Wohnhäuser auf dem Gründungsgelände des Wittekindshofes im Bad Oeynhausener Stadtteil Volmerdingsen. Dabei stellten die Ermittler umfangreiches Beweismaterial sicher, darunter Aktenordner und andere Daten, wie es die Staatsanwaltschaft mitteilte. Diese würden nun ausgewertet. Die Behörde geht von einem längeren Verfahren mit Vernehmungen von Mitarbeitern, Bewohnern und deren Angehörigen aus.
Der Vorstandssprecher des Wittekindshofes, Dierk Starnitzke, sicherte der Staatsanwaltschaft volle Unterstützung zu: "Wir sind an einer vorbehaltlosen Aufklärung im hohen Maße interessiert. Selbstverständlich kooperieren wir umfassend mit den ermittelnden Behörden." Er bedankte sich zudem bei den Polizisten für ihre besonnene Vorgehensweise bei den Durchsuchungen am 1. Oktober im Wittekindshof. Zu den Vorwürfen gegen den Mitarbeiter wolle er sich aufgrund des laufenden Verfahrens nicht äußern, erklärte Starnitzke.
Die 1887 gegründete Stiftung Wittekindshof mit Sitz in Bad Oeynhausen unterstützt nach eigenen Angaben jährlich rund 5.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsen mit Behinderung sowie seelischen und psychischen Erkrankungen in den Regionen Ostwestfalen, Münsterland und im Ruhrgebiet. In NRW unterhält die Stiftung aktuell über 100 Einrichtungen in 16 Städten. Auf dem dorfähnlichen Wittekindshof-Gelände in Volmerdingsen leben demnach noch etwa 650 Menschen. Bis 2023 werde angestrebt, die Zahl der stationären Plätze auf 500 zu reduzieren, hieß es.
Der Bereich "Heilpädagogische Intensivbetreuung" im Wittekindshof richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit einer geistigen Behinderung und zusätzlichen schweren psychischen Störungen oder massiv herausforderndem Verhalten. Diese Menschen haben einen hohen Unterstützungsbedarf und sind auf eine individuell abgestimmte, interdisziplinäre psychologisch-heilpädagogischen Betreuung und Förderung angewiesen, wie der Wittekindshof auf seiner Interseite erklärt. In der "Heilpädagogischen Intensivbetreuung" solle ein Lebensumfeld gestaltet werden, das auf die speziellen Bedarfe sowie die individuellen Fähigkeiten und Einschränkungen abgestimmt ist. Zu den Zielen der Intensivbetreuung gehöre auch die Steigerung der Belastbarkeit und die Förderung vorhandener Fähigkeiten, hieß es. Die Angebote fänden in kleinen, hochspezialisierten Bereichen an verschiedenen Wittekindshofer Standorten statt.
Berlin, Bad Oeynhausen (epd). Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben (ISL) fordert eine gesetzliche Pflicht zur Veröffentlichung von Zwangsmaßnahmen in Altenpflegeheimen und Einrichtungen der Behindertenhilfe. Es gebe eine hohe Dunkelzahl bei Fixierungen, der Nutzung von Time-Out-Räumen und Zwangsmedikationen, sagte ISL-Inklusionsbotschafter Thomas Künneke am 4. Oktober dem Evangelischen Pressedienst (epd). All diese Maßnahmen bedürften zwingend einer richterlichen Einwilligung, erläuterte der Experte.
Künneke reagierte auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen einen Mitarbeiter der Diakonischen Stiftung Wittekindshof wegen des Vorwurfs der Freiheitsberaubung. Es besteht der Anfangsverdacht, dass der Leiter des Geschäftsbereichs 4 in der "Heilpädagogischen Intensivbetreuung" Zwangsmaßnahmen angeordnet hat, ohne dass ein richterlicher Beschluss vorlag.
Für sämtliche freiheitsentziehende Maßnahmen ist laut Künneke unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Ansonsten machten sich die Handelnden wegen Freiheitsberaubung gemäß Paragraf 239 Strafgesetzbuch strafbar. Diese juristische Entscheidung ist laut Künneke in kurzen zeitlichen Abständen medizinisch und richterlich zu überprüfen.
Zwar liegen nach seinen Angaben über die Anzahl der ungenehmigten Fixierungen bundesweit keine Zahlen vor: "Wir befürchten aber, dass es in Heimen der Eingliederungshilfe und in Altenpflegeheimen eine hohe Dunkelziffer an Zwangsmaßnahmen gibt, für die keine richterliche Anordnung vorliegt." Zwangsmaßnahmen beträfen in Deutschland fast ausschließlich Menschen mit Behinderung, insbesondere Menschen mit Lernschwierigkeiten oder psychischen Beeinträchtigungen.
Die häufige Argumentation seitens der Einrichtungen, dass etwa Fixierungen unvermeidlich seien, weil nicht ausreichend Personal vorhanden sei, sei befremdlich, sagte der Experte. Er rief die Träger der Heime auf, Unterstützungsmethoden anzubieten, die Zwangsbehandlungen überflüssig machen. Dazu sei es zwingend erforderlich, ausreichend Fachpersonal bereitzustellen.
Bamberg (epd). Infolge der Ermittlungen im Würzburger Kinderporno-Fall sind weitere Tatverdächtige im In- und Ausland aufgespürt worden. Nachdem ein Logopäde im März verhaftet worden war, hatten die Ermittler 23.000 Bild- und Videodateien ausgewertet, wie die Zentralstelle Cybercrime Bayern bei der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg am 30. September mitteilte. Zehn weitere Beschuldigte seien seitdem ermittelt und die Verfahren an die zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben worden. Die akribische Arbeit der Bamberger Ermittler habe weitere Missbrauchsfälle verhindert, sagte der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU).
Wie Generalstaatsanwalt Thomas Janovsky sagte, wird in 42 weiteren Verfahren infolge des Würzburger Falls ermittelt. Außerdem liege noch eine Vielzahl an Spuren vor, die ausgewertet werden müssten. Die bei dem 37-jährigen Logopäden gefundenen Kinderpornos wurden im sogenannten Darknet in Tauschbörsen gehandelt. Den Ermittlern zufolge wurden die ausgewerteten Bilder und Videos in mehreren europäischen Ländern, in Nordamerika und auf den Kapverdischen Inseln gefertigt.
Justizminister Eisenreich sagte, die ermittelten Beschuldigten hätten in den meisten Fällen darauf vertraut, dass sie das Darknet dauerhaft vor der Enttarnung schütze. Im Darknet, einem schwer zugänglichen Bereich des Internets, sind viele Kriminelle aktiv und handeln dort unter anderem mit Drogen, Waffen und Kinderpornografie.
Nach vorläufigem Abschluss der polizeilichen Ermittlungen im Würzburger Kinderporno-Fall stehen als Tatorte zwei Praxen des Logopäden sowie zwei evangelische Kindertagesstätten fest, in denen er als Therapeut tätig war. Die Taten wurden laut Polizei zwischen 2012 und März 2019 begangen. Nach dem vorläufigen Ergebnis der Ermittlungen waren sieben Jungen unter sechs Jahren betroffen, teils mit schweren körperlichen und geistigen Behinderungen. Dem in Untersuchungshaft sitzenden Logopäden werden insgesamt 78 Einzeltaten zur Last gelegt, 45 davon als schwerer sexueller Missbrauch.
Der Logopäde soll die Jungen nicht nur schwer missbraucht und dabei Kinderpornos angefertigt haben, sondern das Material auch im Darknet verbreitet haben. Eine Anklage solle noch dieses Jahr erfolgen, sagte ein Sprecher der Zentralstelle Cybercrime.
Frankfurt a.M., Wiesbaden (epd). Zaynab Mahmoud lebt seit sechs Jahren in Frankfurt am Main. Im kommenden Sommer sollen ihre vier Kinder in die Kita oder die Schule gehen, sagt die 30-jährige Muslima, die aus Somalia nach Deutschland geflohen ist. Sie will dann eine Ausbildung machen und anschließend halbtags arbeiten. "Ich will nicht zu Hause auf meinen Mann und die Kinder warten, ich will etwas tun."
Auch Mozhgan Noorzai will unbedingt arbeiten. Die 26-Jährige floh vor vier Jahren aus Afghanistan nach Deutschland, weil in ihrem Heimatland die Fahrt zur Arbeit zu gefährlich war. Eine Taliban-Gruppe nahm eine ihrer Kolleginnen genau auf dieser Strecke fest und hielt sie eine Woche lang gefangen, sagt Noorzai. "Mein Ziel war es, irgendwohin zu gehen, wo ich arbeiten kann."
Viele geflüchtete Frauen sind motiviert zu arbeiten, wie aus einer Befragung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit von 2017 hervorgeht. Darin gaben 88 Prozent der befragten Frauen aus den acht Hauptherkunftsländern wie Syrien, dem Irak und dem Iran an, in Deutschland "vielleicht" oder "sicher" einen Job finden zu wollen.
Aktiv nach einem Job gesucht hatten allerdings nur neun Prozent der Frauen. Tatsächlich arbeiten bislang nur wenig geflüchtete Frauen. Während im Oktober vergangenen Jahres laut IAB 41 Prozent der Männer aus den Hauptherkunftsländern einer Erwerbsarbeit nachgingen, waren es bei den Frauen nur 13 Prozent.
Fast drei Viertel der geflüchteten Frauen sind Mütter, von den Männern haben nur 25 Prozent ein Kind, sagte der Leiter des Bereichs Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung beim IAB, Herbert Brücker, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Oft versorgten die Frauen zwei oder drei Kinder. Die Hälfte der Kinder sei jünger als drei Jahre. "Die meisten Frauen sind mit ihrem Partner oder Ehemann gekommen oder ihnen später gefolgt", erklärte er.
Die Somalierin Mahmoud kam zwei Jahre nach ihrem Ehemann nach Deutschland - mit ihrem zweijährigen Sohn. In Deutschland bekam sie drei weitere Kinder. An Erwerbsarbeit war da nicht zu denken. "Ich hatte nur meine Muttersprache. Ich musste erst Deutsch lernen", sagt sie. Die Afghanin Noorzai hatte da einen klaren Vorteil: Sie kam ohne Kind nach Deutschland, lernte direkt Deutsch und machte eine Ausbildung als Industriekauffrau. Jetzt sucht sie eine Stelle.
"Kinder erschweren die Integration der Eltern in jeglicher Hinsicht", sagt Brücker. Es werde schwieriger, an Sprachkursen oder Arbeitsmarktprogrammen teilzunehmen - weil nun einmal jemand auf das Kind aufpassen müsse. So waren laut IAB nur sechs Prozent der geflüchteten Mütter im Jahr 2017 in Arbeit. Auch die Männer waren, wenn sie Kinder hatten, mit 20 Prozent deutlich seltener erwerbstätig.
Meist bleibt ein Elternteil zu Hause, um auf die Kinder aufzupassen. Oft falle die Wahl, wer sich um die Kinder kümmere, auf die Frau, sagt Helen Schwenken, Professorin für Migrationsforschung an der Universität Osnabrück. Das habe nichts mit einem veralteten Rollenbild von Mann und Frau zu tun: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Frau arbeitet."
Für Arbeitgeber sind aktuell noch Männer die interessanteren Kandidaten. Ihnen helfe die Berufserfahrung aus den Herkunftsländern, sagt IAB-Experte Brücker. Während 75 Prozent der Männer im Herkunftsland gearbeitet hätten, seien es bei den Frauen lediglich 37 Prozent gewesen.
Die Afghanin Noorzai sucht einen Job als Industriekauffrau. Sie ist zuversichtlich, dass sie bald eine Stelle hat. "Ich bekomme jeden Tag neue Stellen vom Jobcenter geschickt", sagt sie. Mahmoud, die noch vor ihrer geplanten Lehre steht, will bis zum Ausbildungsstart im August kommenden Jahres das Sprachlevel B2 erreichen: "Als Erzieherin muss ich gut Deutsch reden, ich darf keine Fehler machen."
Berlin, Düsseldorf (epd). Die Konferenz Diakonie und Entwicklung tagt am 9. und 10. Oktober in Düsseldorf. Das höchste beschlussfassende Gremium des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung befasst sich unter anderem mit den Finanzen, wie das Werk in Berlin ankündigte. Außerdem diskutieren die 112 Delegierten das Schwerpunktthema Gleichberechtigung und Demokratie. Hintergrund sei die zunehmende Zurückdrängung von Frauenbewegungen und Frauenrechten weltweit, hieß es. Zum Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung gehören die Diakonie Deutschland, "Brot für die Welt" und die Diakonie Katastrophenhilfe.
Eröffnet wird die Tagung am 9. Oktober mit einem Gottesdienst in der Berger Kirche, in dem der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, predigt. Anschließend stehen die Berichte des Vorstandes, des Aufsichtrates und der Ausschüsse, der Jahresabschluss 2018 und der Wirtschaftsplan für das Jahr 2020 auf der Tagesordnung. Um "Europa quo vadis?" (Europa, wohin gehst Du?) geht es am Abend bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion mit Diakoniepräsident Ulrich Lilie, der Präsidentin von "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel, und dem ehemaligen CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok.
Bonn (epd). Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hat Empfehlungen für die Gestaltung von Kooperationsverträgen in der beruflichen Pflegeausbildung veröffentlicht. Für die konkrete Ausgestaltung der Zusammenarbeit seien in einem Fachworkshop verschiedene Formulierungshilfen erarbeitet worden, teilte das Institut am 2. Oktober in Bonn mit. Anhand eines "Baukasten-Prinzips" sollen damit individuelle Kooperationsverträge für die jeweiligen Vertragspartner erstellt werden können.
Mit den Empfehlungen sollen Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und Pflegeschulen bei den Veränderungen unterstützt werden, die 2020 durch die neue Pflegeausbildung entstehen. Kooperation verschiedener Träger spielen dabei eine wichtige Rolle. Um auch den theoretischen Unterricht gewährleisten zu können, müsse der Träger der praktischen Ausbildung beispielsweise eine Zusammenarbeit mit einer Pflegeschule vereinbaren.
Auszubildende müssen zudem Pflichteinsätze in der stationären Akutpflege, der stationären Langzeitpflege, der ambulanten Akut- und Langzeitpflege, der pädiatrischen und psychiatrischen Versorgung durchlaufen. Da die meisten Träger nicht all diese Bereiche anbieten, müssen sie sich um entsprechende Kooperationspartner bemühen, mit denen sie ebenfalls Verträge abschließen sollten. Dabei könnten die Partner auch wechselseitige Praxiseinsatzstellen für ihre Auszubildenden einrichten.
Das BIBB hält auch Kooperationen in einem Ausbildungsverbund für denkbar. Dabei könne ein Träger der praktischen Ausbildung mit mehreren weiteren Einrichtungen und einer oder mehreren Pflegeschulen zusammenarbeiten, um eine höhere Qualität der Ausbildung bei deutlich geringerem organisatorischem Aufwand zu erreichen. Dabei seien verschiedenste Konstellationen denkbar.
Die Empfehlungen wurden von Expertinnen und Experten verschiedener Institutionen zusammengestellt, etwa der Arbeits- und Sozialministerkonferenz, der Gesundheitsministerkonferenz, der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und der Diakonie.
Düsseldorf (epd). Mit einer Online-Umfrage unter rund 10.000 Künstlerinnen und Künstlern sowie Mitgliedern der Kreativbranche will NRW-Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) Projekte für mehr Lebensqualität im Ruhrgebiet anstoßen. Gesucht würden innovative Ideen für "neue Heimatorte", sagte Scharrenbach am 2. Oktober in Düsseldorf. Durch eine künstlerische Gestaltung von Plätzen und Gebäuden könnten neue "Orte des Miteinanders und der Begegnung von Menschen verschiedener Generationen, Kulturen und sozialer Hintergründe" reaktiviert oder neu geschaffen werden. Für das Projekt "#heimatruhr" stellt das Heimatministerium nach eigenen Angaben für die Jahre 2020 und 2021 bis zu drei Millionen Euro zur Verfügung.
Die Befragung wird vom Institut für Arbeit und Technik der Westfälischen Hochschule (IAT) und dem Zentrum für kreative europäische Ökonomie durchgeführt. Projektleiterin Judith Terstriep vom IAT sagte, man wolle zunächst mit der Online-Umfrage Orte und Ideen zur Neugestaltung von Flächen, Plätzen, Gebäuden und Treffpunkten in Städten und Gemeinden ermitteln. Bei einem Kongress im April 2020 sollten erste Ideen und Projekte vorliegen und diskutiert werden. Für das Projekt bieten sich nach Terstrieps Worten auch von den Kirchen nicht mehr genutzte ehemalige Gotteshäuser an.
Düsseldorf (epd). Das Land Nordrhein-Westfalen möchte im neuen Jahr einen Tierschutzbeauftragten oder eine Tierschutzbeauftragte einsetzen. Mit dieser Position solle der Tierschutz insgesamt gestärkt werden, erklärte Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) am 1. Oktober in Düsseldorf. Im NRW-Haushalt 2020 ist die Stelle bereits angemeldet. Stimmt das Parlament dem Entwurf zu, werde der Tierschutzbeauftragte im Landwirtschaftsministerium angesiedelt. Die Position soll politisch unabhängig arbeiten und zwischen Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und den Überwachungsbehörden vermitteln.
Neben der neu geschaffenen Stelle plant das Ministerium den Angaben zufolge mit dem Tierschutz-Paket weitere Maßnahmen, um den Tierschutz vor allem in der Nutztierhaltung zu stärken. Es ist etwa eine Tiergesundheitsdatenbank geplant, die Daten aus der Überwachung und den Schlachtbefunden zusammenführen soll. Als Frühwarnsystem solle sie jederzeit und aktuell über die Gesundheit der Nutztiere informieren.
Zudem will das Ministerium die Veterinärkontrollen ausweiten, Schlachthöfe per Video überwachen und klare Vorgaben für Tiertransporte erarbeiten. Auch die Haltung von Schweinen soll stärker aufs Tierwohl ausgerichtet werden mit Außenklima, mehr Platz, Licht und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere.
Bonn (epd). Promi-Fotos in der Badehose können verhängnisvoll sein. Das hätte der frühere SPD-Vorsitzende und Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping eigentlich wissen können. 2001 führten seine Bade-Fotos mit seiner damaligen Lebensgefährtin Kristina Gräfin Pilati auf Mallorca zum Eklat. Schon 82 Jahre zuvor hatten Badehosen-Fotos von Scharpings Vorgänger Friedrich Ebert einen Skandal mit langfristigem Imageschaden ausgelöst. Zu sehen ist das historische Foto in der Ausstellung "Fotografie in der Weimarer Republik" im LVR-Landesmuseum Bonn.
"Die Ausstellung gewährt einen multifokalen Blick in eine Zeit, die uns sehr viel angeht", erklärt Kurator Lothar Altringer. Wenn man in die Weimarer Zeit gebeamt würde, wäre uns diese Zeit sehr vertraut, sagt Museumsdirektorin Gabriele Uelsberg. Die rund 350 Vintage-Fotografien sowie Buchdrucke und Zeitschriftenabbildungen dokumentieren, dass die 20er Jahre Keimzelle vieler moderner Entwicklungen waren, die bis heute nachwirken.
Die Weimarer Zeit ist die erste Epoche, die sich anhand von Fotografien in ihrer Vielschichtigkeit nachvollziehen lässt. Denn erstmals konnten Fotografinnen und Fotografen alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens abbilden. Zudem errang die Fotografie mit Vertretern wie August Sander, Lotte Jacobi, Hugo Erfurth oder Alfred Eisenstaedt den Status eines künstlerischen Mediums.
Die Bonner Ausstellung, die bis zum 19. Januar zu sehen ist, dokumentiert die vielen, teils widersprüchlichen Facetten der Zeit zwischen 1918 und 1933. Sie beginnt mit der Heimkehr der Frontsoldaten aus dem Ersten Weltkrieg. Eine einprägsame Arbeit eines unbekannten Fotografen zeigt einen Soldaten, der seine Habseligkeiten in einem verschnürten Karton am Knauf seines Gewehrs schultert. Berühmt wurde auch eine wahrscheinlich heimlich über die Mauer geschossene Aufnahme des abgedankten Kaiser Wilhelm II. im umzäunten Park des Grafen von Bentinck im niederländischen Amerongen.
Dann folgt der Aufbruch in die neue Zeit. Die Porträtfotografie offenbart eine veränderte Sicht auf die Rolle der Frau. Die Fotografin Lotte Jacobi schuf mit ihrem Porträt der Schauspielerin Lotte Lenya eine Ikone des neuen Frauenbildes. Mit Bubikopf, in der rechten Hand eine Zigarette, blickt sie dem Betrachter direkt und offen entgegen. Auch in der Modefotografie zeigte sich eine neue Sicht auf Weiblichkeit. Frauen trugen zum einen Anzüge oder Mäntel mit Herrenschnitten. Andererseits werden sie selbstbewusst in lasziven und verführerischen Posen abgelichtet.
Die Fotografien sind aber auch Beleg für die großen Gegensätze der Zeit. Eindrucksvoll zeugen die Aufnahmen August Sanders von Bettlerinnen und Bettlern während der Weltwirtschaftskrise vom Elend großer Bevölkerungsschichten. 1930 waren fast 500.000 Deutsche obdachlos. Das zeigt sich auf den Straßen des Landes. Hans Bresler begleitet einfache Arbeiter und fotografiert sie an ihrem Arbeitsplatz und in ihren Elendswohnungen.
Zugleich frönt eine betuchte Oberschicht dem glamourösen Luxus. Erich Salomon fotografiert die höhere Gesellschaft am Kalten Buffet, wo sich eine füllige Dame Häppchen in den Mund stopft. Die Fotografin Yva schaut in die Salons der Betuchten, die sich bei Champagner und Musik vom Grammophon amüsieren.
Doch auch die heile Welt der Begüterten ist bedroht. Denn die Demokratie wird von allen Seiten angegriffen. Otto Haeckel fotografiert Putschisten auf dem Potsdamer Platz während des Kapp-Putsches 1920 und Erich Hoffmann die Angeklagten des Hitler-Prozesses 1924.
Ein weiterer Erzählstrang der Ausstellung ist die Entwicklung der Fotografie zu einem künstlerischen Medium. Dafür stehen Fotografien in Stil der Neuen Sachlichkeit und aus dem Kreis der Künstler des Dadaismus. Die Architektur des Bauhauses mit ihrer Funktionalität und den klaren Linien bietet die Vorlage für eine bis heute modern wirkende fotografische Ästhetik. Damit leistet die Ausstellung ihren Beitrag des von der Kunststiftung NRW geförderten Jubiläumsprojektes "100 jahre bauhaus im westen".
Frankfurt a.M. (epd). Zu dem kleinen Jubiläum würden rund 220 Titelbilder präsentiert, darunter Originale von F.K. Waechter, Hans Traxler, Franziska Becker, Rudi Hurzlmeier und Michael Sowa, sagte der Leiter der Caricatura, Achim Frenz, am 1. Oktober. Gezeigt würden zudem Originalrequisiten wie die halb geschälte Gurke und die Jeansjacke von Zonen-Gaby, "Waffen der Satire" wie die spitze Feder und der Holzhammer sowie eine Selfie-Station, die die Besucher dazu einlädt, Titelmotive nachzustellen.
Die Schau mit dem Titel "40 Jahre - Die endgültige Titelausstellung" gewähre auch einen Blick in die Vitrinen mit den verbotenen Covern, erläuterte der frühere Chefredakteur und Ausstellungskurator, Tim Wolff. So sei zum Beispiel Björn Engholm in der Genfer Barschel-Badewanne zu sehen. Dem SPD-Politiker sei das bis dahin höchste Schmerzensgeld in der deutschen Pressegeschichte von 40.000 D-Mark zugesprochen worden.
Auch die rund 50 Titelbilder des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl seien in der Schau versammelt, sagte Wolff. Doch während sich Engholm, sein Parteikollege Kurt Beck und immer wieder katholische Würdenträger durch die satirische Darstellung ihrer Persönlichkeitsrechte verletzt gesehen und gegen die "Titanic" geklagt hätten, sei der als "Birne" verspottete Helmut Kohl "klug genug" gewesen, "nicht zu reagieren". Insgesamt habe es in 40 Jahren "Titanic" 55 Gerichtsverfahren, 38 verbotene Ausgaben sowie zahlreiche einstweilige Verfügungen und Unterlassungserklärungen gegen das Blatt gegeben.
Gegründet wurde "Titanic" 1979 von den Vertretern der neuen Frankfurter Satirikerschule Robert Gernhardt, Chlodwig, Poth, Hans Traxler und F. K. Waechter. Die erste Ausgabe mit dem programmatischen Untertitel "Das endgültige Satiremagazin" erschien im November 1979 zur Buchmesse.
Berlin (epd). Axel Springer krempelt sein deutlich schrumpfendes Printgeschäft um: Bei "Bild"-Zeitung und "Welt" stehen umfangreiche Strukturprojekte an. In den kommenden drei Jahren werde man zugleich sparen und investieren, kündigte der Medienkonzern am 30. September in Berlin an. Demnach ist ein Personalabbau in Verlag, Redaktionen, Vertrieb und Vermarktung geplant. Die Redaktionen von "Bild" und "Bild am Sonntag" werden zusammengeführt. Die werktäglichen Ausgaben der "Welt Kompakt" und der "Welt Hamburg" werden eingestellt.
Zur Personalreduzierung setzt Springer den Angaben zufolge auf Vorruhestandsregelungen und Fluktuation. Daneben soll ein Freiwilligenprogramm mit finanziellen Anreizen und individuell zugeschnittenen Qualifizierungsmöglichkeiten für die betroffenen Mitarbeiter aufgelegt werden.
"Wir können heute keine Auskunft zur Anzahl der Stellen geben, die im Zuge der Investitionen aufgebaut oder durch Strukturanpassungen wegfallen werden", sagte Springer-Sprecherin Bianca-Maria Dardon dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dies könne jetzt noch nicht beziffert werden. Ein genauer Zeitplan werde jetzt erarbeitet und mit Arbeitnehmervertretern besprochen, erste Maßnahmen könnten nach jetzigem Stand im ersten Quartal 2020 umgesetzt werden, sagte sie.
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sprach unter Berufung auf eigene Informationen von 20 Prozent der Arbeitsplätze, die in den betroffenen Unternehmensbereichen wegfallen sollten. Der Verband forderte Springer auf, die Umbaupläne ohne betriebsbedingte Kündigungen umzusetzen. Zwar sei es im Grunde richtig, starke und erfolgreiche Medienmarken "mit Augenmaß weiterzuentwickeln", sagte der Bundesvorsitzende Frank Überall. Der DJV befürchte aber, Springer gehe auf dem Rücken der Belegschaft ein zu hohes Risiko ein, um die Renditeerwartung des neuen Gesellschafters KKR zu erfüllen.
Der US-Großinvestor KKR übernimmt mehr als 40 Prozent der Springer-Anteile und will den Konzern von der Börse nehmen. Der Einstieg muss noch von mehreren Aufsichtsbehörden genehmigt werden.
Insgesamt will Springer den Angaben zufolge im Konzern-Segment News Media National, zu dem "Welt" und "Bild" gehören, in den kommenden drei Jahren mehr als 100 Millionen Euro investieren. Fließen soll das Geld nach den Worten von Springer-Vorständin Stephanie Caspar vor allem in Video, Sport und Bezahlangebote. Zugleich solle die aktuelle Kostenbasis um 50 Millionen Euro gesenkt werden. Die Springer-Zeitungen verlieren seit Jahren drastisch an Auflage.
"Bild", die Regionalausgaben, die Berliner Boulevardzeitung "B.Z.", "Bild am Sonntag" sowie "Welt" und "Welt am Sonntag" würden auch als gedruckte Zeitungen weiterbestehen, bekräftigte Springer am Freitag.
Die "B.Z." solle sich künftig jedoch ganz auf regionale Inhalte konzentrieren, die sie dann auch für den Berlin-Teil der "Bild"-Zeitung zuliefern werde. Umgekehrt steuere die "Bild"-Redaktion die überregionalen Inhalte für die "B.Z." bei. Das Wirtschaftsmagazin "Bilanz" werde redaktionell mit der "Welt" zusammengeführt.
Springer kündigte an, "Bild" zur "attraktivsten Live-Plattform für News, Entertainment und Sport" machen. Schon jetzt biete die Redaktion Live-Sendungen, Videoproduktionen und Dokumentationen an. "Wir prüfen und testen weitere Formate sowie Distributionsmöglichkeiten für unsere journalistischen Inhalte auf TV-Bildschirmen", sagte Dardon. Bei der "Welt" will Springer die Bezahlangebote im Internet ausbauen. Ein gemeinsames "Sport-Kompetenzzentrum" solle auf die jeweiligen Marken zugeschnittene Inhalte für "Welt", "Bild" und "Sport Bild" produzieren.
Zu Springer mit Sitz in Berlin gehören neben "Bild" und "Welt" unter anderem auch die Nachrichtenseite "Business Insider", die News-App "Upday" sowie Kleinanzeigenportale wie "Immonet" und "Stepstone". Im vergangenen Jahr steigerte der Konzern seinen Umsatz um 4,1 Prozent auf 3,2 Milliarden Euro. Weltweit beschäftigt Springer mehr als 16.000 Mitarbeiter.
Hamburg (epd). "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt plant einem "Spiegel"-Bericht zufolge das künftige Fernsehprogramm des Boulevardblatts als Gegenentwurf zu ARD und ZDF. "Wir wollen das Land, die Welt, die Politik und den Alltag der Menschen so zeigen, wie es die Leute erleben, und nicht so steril und weichgespült wie teilweise bei den Öffentlich-Rechtlichen", sagte Reichelt dem Nachrichtenmagazin.
Er denke, dass es "den Leuten massiv auf die Nerven geht, wenn sie dauernd erfahren, warum über manche Dinge nicht berichtet wird, statt zu sehen, was eigentlich passiert ist", sagte Reichelt. Als Beispiel nannte er die Schwertattacke von Stuttgart: Ein Migrant hatte seinen Mitbewohner auf der Straße erstochen, der Mann war mutmaßlich mit gefälschten Papieren eingereist. "Nachdem darüber in den überregionalen Nachrichten tagelang nicht berichtet wurde, ist auch bei den Öffentlich-Rechtlichen angekommen, dass darin politische Relevanz steckt", erklärte der "Bild"-Chef. Wegen übertrieben sensationeller Berichterstattung über den Schwertmord waren "Bild" und "bild.de" vom Deutschen Presserat gerügt worden.
Zur Umsetzung der TV-Pläne sagte Reichelt weiter: "Wenn nötig, schicken wir zehn Leute los, die innerhalb von 24 Stunden vor Ort und sendefähig sind. Die brauchen nicht erst Satellitenschüsseln, Übertragungswagen, Maske und ewige Planungskonferenzen."
Mainz (epd). Die Mainzer Ethnologin Carola Lentz wird neue Präsidentin des Goethe-Instituts. Die 55-jährige Forscherin übernehme ihr neues Amt zum 19. November 2020 vom derzeitigen Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann, teilten die Mainzer Johannes-Gutenberg-Universität und das Institut am 30. September mit. Lentz, die vom Präsidium des Goethe-Instituts einstimmig gewählt wurde, werde das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland zunächst für vier Jahre leiten.
Die Ethnologie-Professorin Lentz ist stellvertretende Vize-Präsidentin der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und seit 2002 Professorin für Ethnologie und Afrikastudien an der Universität Mainz. Die Wissenschaftlerin lehrte und forschte zuvor an der Freien Universität zu Berlin sowie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Kolonialismus und Erinnerungspolitik würden sehr wichtige Themen ihrer Arbeit werden, sagte Lentz bei Deutschlandfunk Kultur. Ein Schwerpunkt von Lentz' Forschungen ist Westafrika, insbesondere Ghana und Burkina Faso.
Das Goethe-Institut fördert nach eigenen Angaben mit 157 Instituten in 98 Ländern die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland, pflegt die internationale kulturelle Zusammenarbeit und vermittelt ein aktuelles Deutschlandbild. Durch Kooperationen mit Partnereinrichtungen an zahlreichen weiteren Orten verfügt das Goethe-Institut insgesamt über rund 1.000 Anlaufstellen weltweit.
Aachen (epd). In Aachen herrscht Uneinigkeit über die Vergabe des Kunstpreises. Auch nach Rückzug der Stadt wegen Antisemitismusvorwürfen gegen Walid Raad wolle man an der Auszeichnung des libanesisch-amerikanischen Künstlers festhalten, sagte Michael Müller-Vorbrüggen vom Verein Freunde des Ludwig Forums dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 2. Oktober. Trotz Recherche habe man keinen Nachweis für eine antisemitische Haltung des Fotokünstlers finden können. Zuvor hatte der WDR darüber berichtet.
Am 30. September hatte die Stadt Aachen die Kooperation mit dem Kunstverein bei der Preisverleihung für dieses Jahr abgesagt. Laut dem Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) erhielt die Stadt Hinweise, dass Raad Anhänger der israelkritischen Organisation BDS (Boykott-Deinvestitionen-Sanktionen) sei und sich mehrfach an Maßnahmen zum kulturellen Boykott Israels beteiligt habe. Raad habe eine Unterstützung der Bewegung auf Nachfrage der Stadt nicht ausräumen wollen und sich auch nicht von der Bewegung distanziert. Vom Landtag NRW wurde der BDS als antisemitisch eingestuft. Auch der Bundestag verurteilte die BDS-Kampagne und ihren Aufruf zum Boykott israelischer Waren als antisemitisch.
Man respektiere die Entscheidung der Stadt, teilte der Kunstverein mit. Die Freunde des Ludwig Forums seien allerdings ein Kunstverein und hätten "keine politische Bewertung vorzunehmen", sagte Müller-Vorbrüggen. Der Verein bekenne sich selbstverständlich zum Existenzrecht Israels und stelle sich gegen jede Form von Antisemitismus. "Wir unterscheiden diese Haltung aber vom Recht, die derzeitige Politik Israels zu kritisieren, was Walid Raad getan hat", teilte der Verein mit.
Über die Vergabe des Preises wurde bereits im vergangenen Jahr entschieden. Mit seinen Fotografien, Videos, Installationen, Performances und Skulpturen setze sich Raad unter anderem mit den Themen Geschichte und kollektive Erinnerung sowie Tradition und Kunst auseinander, hieß es vonseiten der Jury. Man habe sich unter anderem aufgrund seiner "dezidiert politisch-kritischen Haltung gegenüber Machtstrukturen im Allgemeinen" einstimmig für die Auszeichnung Raads entschieden. Der Preis soll am 13. Oktober vergeben werden. Die Verleihung darf allerdings nicht in städtischen Räumen stattfinden.
Die Auszeichnung wird von dem Kunstverein, der Staat Aachen und der Aachener Wirtschaft vergeben und ist mit 10.000 Euro dotiert. Der Preis geht alle zwei Jahre an einen Künstler, dessen Werk der internationalen Kunstszene nachhaltige Impulse gibt.
In Dortmund gab es kürzlich einen ähnlichen Fall: Die Stadt entschied sich Mitte September gegen die Vergabe eines Literaturpreises an Kamila Shamsie. Die britisch-pakistanische Autorin hatte sich 2014 am BDS-Boykott beteiligt. Der Dortmunder Literaturpreis ist nach der jüdischen deutsch-schwedischen Autorin Nelly Sachs (1891-1970) benannt.
München (epd). Sie kriechen besoffen ins Auto, werden gewalttätig oder übergeben sich. Wenn die Gäste nach dem Oktoberfest ins Taxi steigen, lassen sie ihre Masken fallen: "Da ist kein Glamour mehr, sondern nur der Geruch von Schweiß und Alkohol", sagt Frank Schmolke. Der Comiczeichner ist früher selbst viele Jahre in München Taxi gefahren. Nun legt er mit seiner Graphic Novel "Nachts im Paradies" eine furiose Wiesn-Geschichte vor. Das diesjährige Volksfest endete am 6. Oktober.
Mit 22 Jahren machte Schmolke die "Ortskundeprüfung zur Fahrgastbeförderung". Schon am gleichen Abend saß er hinter dem Taxi-Lenkrad. Es sei eine der aufregendsten Nächte seines Lebens gewesen, findet er noch heute. Von diesem Moment an fuhr er so oft es ging - das Skizzenbuch meist dabei, um die Begegnungen mit schnellem Strich festzuhalten. Aus diesen optischen Notizen ist nun eine eindrucksvolle Story geworden.
Vincent, so der Name des Comic-Helden, hat nicht mehr viel zu verlieren. Seine Frau hat sich von ihm getrennt, die 16-jährige Tochter kommt nur noch selten zu Besuch. In seinem Taxi lässt Vincent sich durch die Stadt treiben "wie ein Stück Holz". Selbst als eine Schlägerei ihm ein blaues Auge beschert, nimmt er das gleichmütig hin.
Doch dann gerät Vincent in einen Strudel von Ereignissen. Für den "Kunden" Igor fährt er die Edelprostituierte Valerie zu einer Villa, in der ein übler Russe wartet, der die junge Frau brutal schlägt und würgt. Igor beginnt eine Schlägerei, Vincent flieht zusammen mit Valerie. Wenig später in ihrer Wohnung bekommt Valerie einen Anruf: Igor ist tot.
Frank Schmolke ist dem sauberen Image Münchens in seiner Geschichte mit einem düsteren, aggressiven Strich begegnet. Auf seinen Großstadtbildern finden sich vierspurige Straßen und dunkle Gassen, trostlose Hochhäuser und finstere Parkgaragen. Die Graphic Novel wird so zum gezeichneten Roadmovie - rastlos folgt der Autor seinen präzise gezeichneten Protagonisten durch die Nacht.
Zum Beispiel auch Vincent und seiner Tochter: Während eines Besuchs beim Vater werden ihr in der Disco Drogen ins Getränk gemischt. Aus ursprünglich freundlichen Begleitern werden plötzlich gruselige Wölfe, die Tochter rennt um ihr Leben und versteckt sich in einer Parkgarage. In letzter Minute wird sie vom Vater gerettet - vom Autor großartig in Szene gesetzt als surrealer Kampf zwischen Tier und Mensch.
Überhaupt ist Schmolke ein großartiger Zeichner. Mit kräftigen schwarzweißen Strichen charakterisiert er seine Figuren, die Geschichte treibt er mit Zooms, Schnitten und ungewöhnlichen Panels rasant voran. "Wenn du nachts Taxi fährst, weißt du eigentlich nicht wirklich, wie die Nacht endet", schildert Schmolke seine Zeit als Taxifahrer: "Man befindet sich auf engstem Raum mit wildfremden, oft alkoholisierten Menschen. Da kann alles passieren."
Quasi im Vorbeifahren streift Schmolke noch ganz andere Themen - die rechtsradikale Szene der Taxler oder die Konkurrenz durch Fahrdienste wie Uber. Comic-Held Vincent wirkt nach seinen nächtlichen Erlebnissen jedenfalls reichlich erschöpft. Er will den Job als Taxifahrer aufgeben. "Meine Zeit ist vorbei. Ich brauche eine Ausfahrt", denkt er. Doch schon klopft der nächste Gast an die Scheibe.
Hamburg (epd). Kinofilme vermitteln einer Untersuchung von Plan International zufolge weiter häufig festgefügte Rollenbilder von Frauen und Männern. Die weltweit erfolgreichsten Kinofilme enthielten die Botschaft, dass Männer in Führungspositionen gehörten und Frauen - selbst wenn sie als starke Persönlichkeiten gezeigt würden - meist Sexobjekte seien, erklärte die Kinderhilfsorganisation am 4. Oktober in Hamburg. Im neuen Welt-Mädchenbericht "Schreib ihre Geschichte neu! Wie Filme und Stereotype in den Medien das Leben und die Ambitionen von Mädchen und jungen Frauen beeinflussen" hat das US-amerikanische Geena Davis Institut im Auftrag von Plan die 56 umsatzstärksten Filme aus 2018 in insgesamt 20 Ländern auf Gender-Stereotype untersucht.
Bedenklich sei, dass keine einzige Frau bei den Top-Filmen Regie geführt habe, so Plan International. Nur bei jedem zehnten Film war demnach eine Frau am Drehbuch beteiligt. Männer reden der Untersuchung zufolge doppelt so viel wie Frauen (67 Prozent zu 33 Prozent Redeanteil). Auch haben sie doppelt so viele Rollen in den untersuchten Filmen, nur etwa ein Drittel der Figuren (36 Prozent) waren Frauen. Allerdings sind die Frauen laut Geena Davis Institut viermal so oft nackt (zwei Prozent/ 0,5 Prozent) und doppelt so häufig halbnackt (15 Prozent/ acht Prozent) zu sehen. Als Führungspersönlichkeiten werden Frauen lediglich in 27 Prozent der Fälle dargestellt, Männer dagegen in 42 Prozent.
"Um mehr Gleichberechtigung zu erreichen, brauchen wir ein Gütesiegel, das Filme auszeichnet, die sowohl Frauen als auch Männer in zeitgemäßen Rollen darstellen", sagte Plan-Geschäftsführerin Maike Röttger: "Der neue Bericht, den wir anlässlich des Welt-Mädchentages herausgeben, zeigt, wie erschreckend unterrepräsentiert Mädchen und Frauen in Filmen sind." Viel zu selten seien sie an Drehbuch, Produktion und Regie beteiligt. Das habe Auswirkungen auf das Verständnis von Gleichberechtigung bei Mädchen und jungen Frauen auf der ganzen Welt, die in den Filmen kaum positive Vorbilder für sich finden. "Die von uns befragten Mädchen wünschen sich starke weibliche Vorbilder auf der Leinwand", sagte Röttger. Der Welt-Mädchentag ist am 11. Oktober.
Untersucht wurden nach Angaben von Plan International jeweils die zehn Topfilme in insgesamt 20 Ländern. Die Filme waren Produktionen aus den USA, Indien und dem Spanisch sprechenden Raum. Das Geena Davis Institute on Gender in Media wurde 2004 von der Schauspielerin Geena Davis gegründet und untersucht regelmäßig den Einfluss von Medien auf Werte und Vorstellungen der Geschlechter. Es ist an die Mount St. Mary's Universität in Los Angeles angebunden.
Saarbrücken (epd). Seit dem 1. Oktober ist die Journalistin Armgard Müller-Adams neue Chefredakteurin des Saarländischen Rundfunks (SR). Die Chefredaktion soll künftig noch stärker crossmedial ausgerichtet werden, wie der SR in Saarbrücken mitteilte. Mitarbeiter die bisher nach Verbreitungswegen getrennt arbeiteten, sollen demnach enger vernetzt werden.
Müller-Adams leitete seit 2015 die Intendanz der Rundfunkanstalt. Nach ihrem Volontariat habe die studierte Linguistin und Literaturwissenschaftlerin zehn Jahre für verschiedene Redaktionen des SR als Reporterin gearbeitet, unter anderem für das ARD-Wirtschaftsmagazin "plusminus", hieß es. Die 46-Jährige folgt auf Norbert Klein, der Ende September in den Ruhestand gegangen war.
Ihre Nachfolgerin als Leiterin der Intendanz ist Verena Klein. Die Journalistin hat den Angaben zufolge Sportwissenschaft sowie Journalismus und Technik der elektronischen Medien in Deutschland und Kanada studiert. Sie volontierte beim SR und arbeitete hat im Studio Washington der Deutschen Welle sowie für alle Radiowellen, das Fernsehen und die Online-Redaktion des SR als Reporterin. Zudem war sie Referentin in der Intendanz.
Köln (epd). Rund 800 Türen hat die "Sendung mit der Maus" für etwa 80.000 Kinder geöffnet: Beim Türöffner-Tag konnten sie mit ihren Familien bundesweit am 3. Oktober Betriebe, Institutionen, Forschungslabore und Vereine besuchen. Wie der Westdeutsche Rundfunk in Köln mitteilte, fanden erstmals auch Veranstaltungen in Australien, Singapur, Südafrika und Brasilien statt.
Auch Betriebe in den USA, Österreich und Frankreich beteiligten sich an der Aktion "Türen auf!", bei der Kinder Sachgeschichten live erleben konnten, unter anderem in der BVB-Fußballakademie in Dortmund, im Mikroskopiezentrum der Universität in Konstanz, im Düsseldorfer Schloss Benrath und in verschiedene Redaktionen des WDR. Der erste Türöffner-Tag fand 2011 zum 40. Geburtstag der "Sendung mit der Maus" statt. Seitdem wird der Tag jährlich am 3. Oktober veranstaltet.
Bonn (epd). Am größten sei der Lehrkräftemangel in Subsahara-Afrika, teilte die Organisation am 4. Oktober in Bonn zum Weltlehrertag mit. Dort gebe es in 70 Prozent der Staaten akute Personalengpässe.
Auch Deutschland müsse nachbessern, hieß es. Die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer, forderte die Bundesländer auf, dringend in die Ausbildung und Qualifizierung von Lehrern zu investieren. "Der Bedarf an gut ausgebildeten Lehrkräften in Deutschland ist enorm", betonte sie. Nach aktuellen Schätzungen der Bertelsmann Stiftung könnten bis 2025 alleine an den Grundschulen mehr als 26.000 Lehrerinnen und Lehrer fehlen.
Die Unesco berät nach eigenen Angaben Länder zur Förderung und Ausbildung von Lehrkräften, erstellt Studien zur Situation von Lehrern weltweit und schult Lehrkräfte für eine bessere Unterrichtsqualität. Den Weltlehrertag rief sie 1994 ins Leben und legte ihn auf den 5. Oktober fest.
Tunis/Saarbrücken (epd). "Wir sind der Widerstand. Und wir sind gekommen, um zuzuschlagen - im übertragenen Sinne natürlich, mit Hilfe der Demokratie." Rami Mejri nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er die tunesische Politik und vor allem die Politiker kritisiert. Am dringendsten müssten Korruption und Vetternwirtschaft in Tunesien bekämpft werden, sagt der 27-Jährige. Der Student würde das auch gern selbst tun, und zwar im neuen Parlament, das am 6. Oktober gewählt wurde.
Eigentlich studiert Mejri in Saarbrücken Cybersicherheit. Doch als er eine Woche lang in den Semesterferien in seiner Heimat zu Besuch war, entschied er mit einigen Freunden spontan, bei der Parlamentswahl zu kandidieren, und legte sein Studium kurzfristig auf Eis. "Wled lhouma", die "Jungs des Viertels", nennen sie sich. Auf Wahlplakaten präsentieren sich die vier Frauen und vier Männer zwischen Mitte und Ende 20 mit Gesichtsmasken und roten Kapuzenpullis, in Anspielung auf eine spanische Bankräuber-Erfolgsserie. Wir sind welche von euch und gegen das Establishment, lautet die implizite Botschaft.
Die jungen Leute von "Wled lhouma" bilden eine von 56 Listen, die in ihrem Wahlkreis antraten. Im Moment sitzen sie noch in einem einfachen Café in einem Arbeiterviertel der Hauptstadt Tunis, das ihnen als inoffizielle Wahlkampfzentrale dient. Ohne Partei im Hintergrund und ohne nennenswerte Finanzierung gehen ihre Chancen, ins Parlament einzuziehen, eigentlich gegen Null. Genauso wie die der vielen anderen unabhängigen, oft jungen Listen, die im ganzen Land zu Hunderten gegründet wurden.
Doch dieser Wahlkampf in Tunesien ist anders, und die Unabhängigen spüren ihre Chance. Bereits bei den Kommunalwahlen im vergangenen Jahr hatten unabhängige Listen in vielen Orten gut abgeschnitten. Und auch im ersten Durchgang der Präsidentenwahl am 15. September landeten die Kandidaten Nabil Karoui und Kais Saied auf den Spitzenplätzen, die beide keine etablierte Partei im Rücken haben. Sie treten am 13. Oktober in der Stichwahl gegeneinander an.
Acht Jahre nach dem politischen Umbruch mit dem Ende der Ben-Ali-Diktatur sitzt der Frust bei vielen der elf Millionen Tunesier tief. Während in der demokratischen Entwicklung durchaus Fortschritte zu verzeichnen sind, blieb die Wirtschaft vielfach auf der Strecke. Korruption, Vetternwirtschaft und eine verkrustete Bürokratie lähmen das Land zusätzlich. Die Arbeitslosenquote liegt bei 15 Prozent, und bei jungen Leuten unter 24 ist sie mehr als doppelt so hoch. Tunesien ist ein junges Land, etwa die Hälfte der Bevölkerung ist unter 30 Jahren.
Zwar verfolgen viele junge Leute die politische Entwicklung genau. Doch das Vertrauen in die Politiker haben sie oft verloren. "Die sieht man nur im Wahlkampf und danach nie wieder," schimpft der 32-jährige Kioskbesitzer Majdi, der seinen Nachnamen nicht genannt haben möchte. Er hat sich noch nicht entschieden, ob er wählen geht.
Majdi überlegt, seine Stimme "Aich Tounsi" (Tunesisch leben) zu geben, auch einem Newcomer in der Politik. Aus einer nichtstaatlichen Initiative entstanden und finanziert mit den Millionen der Mäzenin Olfa Terras Rambourg, tritt diese populistische Bewegung landesweit mit dem Slogan an: "Habt keine Angst, wir sind keine Partei."
"Aich Tounsi" hat eigenen Angaben zufolge telefonisch mehrere Hunderttausend Tunesier nach ihren Prioritäten befragt, um auf dieser Grundlage ein Wahlprogramm zu schreiben. Durch ihre landesweiten Strukturen hofft die Liste darauf, unter den stärksten Kräften im neuen Parlament zu sein.
Die Initiatoren verkünden frischen Wind: "Wir haben die Retter satt, die Väter und Großväter, die Leute, die für uns entscheiden." Wenn "Aich Tounsi" gewinne, würden alle Tunesier gemeinsam Entscheidungen treffen, verspricht der Spitzenkandidat in Tunis, Selim Ben Hassen. Doch die Arbeit im 217 Abgeordnete zählenden Parlament würde kompliziert werden, räumt der Politiker ein, der keiner sein will.
Zwar sind offizielle Umfragen im Wahlkampf verboten. Doch deutete alles darauf hin, dass keine größere politische Gruppierung eine Mehrheit erhalten wird. Weder die religiöse Ennadha-Partei, noch die säkulare Nidaa Tounes, die die Politik seit dem "Arabischen Frühling" wesentlich bestimmt haben. Selbst eine Regierungskoalition aus zwei oder drei Parteien zu bilden, könnte in einem zersplitterten Parlament schwierig werden.
Frankfurt a.M., Rabat (epd). Die marokkanische Journalistin Hajar Raissouni ist wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs und Abtreibung verurteilt worden. Ein Gericht in der marokkanischen Hauptstadt Rabat erlegte ihr eine einjährige Haftstrafe auf, wie das Nachrichtenportal "Jeune Afrique" am 30. September berichtete. "Das heutige Urteil ist ein verheerender Schlag gegen die Rechte der Frauen", erklärte die Nahost-Direktorin von Amnesty International, Heba Morayef. Journalistenorganisationen und Menschenrechtler sehen im Prozess zudem den Versuch, die 28-Jährige einzuschüchtern. Das Urteil widerspreche den Gesetzen und den Menschenrechten, sagte Raissounis Anwalt, Abdel Moula Mrouri, dem französischen Fernsehsender TV5.
Raissouni und ihr Verlobter, den die Richter ebenfalls zu einem Jahr Haft verurteilten, wurden Ende August beim Verlassen einer Frauenarztpraxis festgenommen. Raissounis Gynäkologin erhielt eine zweijährige Gefängnisstrafe, weil sie eine Abtreibung vorgenommen haben soll. Raissouni hat die Vorwürfe stets bestritten: Sie sei aufgrund einer inneren Blutung behandelt worden, sagte sie vor dem Prozess. Das Verfahren sei politisch motiviert.
Raissouni arbeitet für die Zeitung "Akhbar al-Yaoum", eines von wenigen unabhängigen Medien in Marokko. Dabei berichtete sie auch über regierungskritische Proteste. Im Gefängnis sei sie über ihre Arbeit ausgefragt worden, berichtete die Journalistin in einem Brief an ihre Zeitung.
Raissouni wurde als "Aktivistin und Frau ins Visier genommen", sagte Claire Mallinson von Amnesty International. "Ihr Geschlecht und ihr Körper werden als politische Waffe gegen sie verwendet." Mallinson forderte die unverzügliche Freilassung Raissounis und aller anderen in dem Fall Verurteilten.
Schwangerschaftsabbrüche und vorehelicher Sex sind nach dem marokkanischen Gesetz verboten. In den sozialen Netzwerken kursiert ein Schreiben marokkanischer Frauen, das die Abschaffung der entsprechenden Gesetzesartikel fordert. Alleine 2018 wurden dem Aufruf zufolge 14.503 Menschen in Marokko wegen vorehelichen Geschlechtsverkehrs verurteilt. Jeden Tag unternähmen zwischen 600 und 800 Frauen unsichere Abtreibungen in dem nordafrikanischen Land. Bisher haben 7.000 Menschen den Aufruf unterschrieben.
Genf, Jaunde (epd). In Kamerun hat Präsident Paul Biya angekündigt, Hunderte politische Gefangene zu begnadigen. Dabei handele es sich um 333 Menschen, die im Zuge der Krise im englischsprachigen Teil des Landes festgenommen worden seien, erklärte Biya am 3. Oktober über den Kurznachrichtendienst Twitter. Die Ankündigung steht im Zusammenhang mit einem von Biya einberufenen nationalen Dialog. Die Konferenz sprach sich für eine stärkere Dezentralisierung und ein Sonderstatut für die englischsprachigen Provinzen aus. Mehr als 80 Prozent der rund 25 Millionen Kameruner sind französischsprachig.
In dem vor Abschluss der Konferenz am Freitag verbreiteten Kommuniqué heißt es unter anderem, alle Provinzen zusammen sollten künftig zwischen 10 und 15 Prozent der Staatseinnahmen erhalten. Die 1996 in der Verfassung verankerte Dezentralisierung war bisher unter anderem an fehlenden Ressourcen gescheitert. Die Teilnehmer des Dialogs sprachen sich zudem für den verstärkten Gebrauch von Englisch in der Verwaltung, die Bildung einer "Wahrheits-, Gerechtigkeits- und Versöhnungskommission" sowie die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft für im Ausland lebende Kameruner aus.
Vertreter der radikalen Opposition im anglophonen Kamerun, die eine Abspaltung der Region fordern, waren zu der von Biya einberufenen Konferenz nicht geladen. Der Präsident hatte zuvor gewarnt, militante Gegner seiner Regierung müssten sich weiterhin mit der Polizei auseinandersetzen. Forderungen der Separatisten stünden nicht zur Debatte. Dessen ungeachtet hofft der seit 1986 regierende Biya, mit dem Dialog die seit drei Jahren anhaltenden Unruhen unter der englischsprachigen Minderheit im Land zu beenden.
Die Unruhen hatten 2016 mit Lehrerprotesten begonnen und sich schnell ausgeweitet. Polizei, Militär und bewaffneten Gruppen werden massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Zahl der Toten in dem Konflikt wird von den UN auf mindestens 1.850 geschätzt. Oppositionsführer Maurice Kamto droht wegen Rebellion die Todesstrafe. Er war mit 150 seiner Anhänger Ende Januar bei einer Demonstration gegen die Regierung festgenommen worden. Ob und wie viele von ihnen von der jüngsten Begnadigung profitieren, war zunächst unklar. Separatisten waren ausdrücklich ausgenommen.
Die einstige deutsche Kolonie Kamerun liegt in Zentralafrika und war nach dem Ersten Weltkrieg zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt worden. Im Zuge der Unabhängigkeit von Großbritannien hatten die Bewohner der heutigen Provinzen Südwest und Nordwest 1961 entschieden, sich Kamerun statt Nigeria anzuschließen. Der 86-jährige Biya regiert die ölreiche Nation autokratisch. Die Opposition wirft ihm vor, die Wahlen im vergangenen Jahr gefälscht zu haben.
Berlin, Quito (epd). In Ecuador hat Staatspräsident Lenín Moreno nach gewaltsamen Massenprotesten den Ausnahmezustand ausgerufen. Die Sicherheit der Bürger müsse gewährleistet und Chaos vermieden werden, erklärte Moreno am 3. Oktober laut der ecuadorianischen Tageszeitung "El Universo". Unter dem Ausnahmezustand kann Moreno auch Militär auf den Straßen einsetzen. Die Proteste hatten sich an Benzin- und Dieselpreiserhöhungen entzündet.
Moreno hatte Treibstoffsubventionen gestrichen, die sich der Staat nach seinen Worten nicht länger leisten kann. Deshalb wird befürchtet, dass sich die Preise für Benzin und Diesel etwa verdoppeln. Moreno warf den Demonstranten vor, sie wollten seine Regierung destabilisieren. "Das werde wir nicht erlauben", betonte das Staatsoberhaupt.
In zahlreichen Städten blockieren Busse und Taxis die Straßen. Der öffentliche Nahverkehr kam zum Erliegen, Menschen kamen nicht zur Arbeit und Geschäfte blieben geschlossen. Die Polizei ging gegen die Demonstranten vor und nahm 195 Menschen fest, wie die Sicherheitskräfte mitteilten.
Die Abschaffung der in den 70er Jahren eingeführten Kraftstoffsubventionen ist Teil eines ökonomischen Maßnahmepakets, mit dem die Regierung gegen die Wirtschaftskrise angehen will. Ecuador hat einen Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) erhalten und sich verpflichtet, im Gegenzug die öffentlichen Ausgaben zu kürzen.
Zudem gab Ecuador kürzlich bekannt, die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) zu verlassen, um mehr Öl fördern und damit die Einnahmen steigern zu können.
Washington (epd). Warum sind unsere Gemeinden so weiß? Über dieses Thema denken viele US-Lutheraner nach. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Amerika (ELKA), die größte lutherische Kirche Nordamerikas, sei die "weißeste Kirche in den USA", formulierte der lutherische Pastor Lenny Duncan in seinem kürzlich veröffentlichten Buch mit dem Titel "Dear Church" (Liebe Kirche). Deutlich mehr als 90 Prozent der Mitglieder sind weiß.
Und das, obwohl Kirchenvertreter seit der Gründung 1988 betonen, man wolle Kirche sein für Menschen aller Abstammungen, wie laut biblischer Überlieferung die christliche Kirche an Pfingsten, dem Fest des Heiligen Geistes und dem Geburtstag der Kirche. Die US-Gesellschaft wird bunter: In ein paar Jahrzehnten sind Weiße die Minderheit. Bleibe die ELKA wie sie ist, werde es "in unserem Land in 50 Jahren kein erkennbares lutherisches Zeugnis mehr geben", warnt der afro-amerikanische Pastor Duncan in seinem Buch. Er ist Pastor der ELKA-Gemeinde "Jehu's Table" im New Yorker Stadtteil Brooklyn.
Die von Einwanderern aus Skandinavien und Deutschland geprägte lutherische Kirche Amerikas verliert Mitglieder. 1988 zählte sie es 5,3 Millionen Gläubige, heute sind es 3,5 Millionen. Gottesdienstbesucher sterben aus. Stark vertreten ist die ELKA auf dem Land, in den USA sehen junge Menschen jedoch wenig Zukunft weit weg von der Stadt. Menschen distanzieren sich zunehmend von institutionalisierter Religion.
Pastor Lenny Duncan lässt soziologische Erklärungen allein nicht gelten. Es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen fehlender Vielfalt in der Kirche und fehlender Vitalität. Er macht ein "theologisches Problem" verantwortlich. Die Kirche habe die Botschaft der Gerechtigkeit vernachlässigt, nämlich dass alle Menschen gleichen Wert haben. Die USA seien zutiefst gespalten, schreibt Duncan, und "wir sind damit beschäftigt, es allen Gemeindemitgliedern recht zu machen, so dass wir vergessen, Gott zu gefallen".
Duncan sieht sein Buch als "Liebeserklärung" an die lutherische Kirche, der er viel verdanke. Pastor Duncan ist kein "typischer" Pastor. Schwierige Kindheit, Drogen, einer, der "eher fürs Gefängnis bestimmt schien als für die Kanzel". Er sei zur Kirche gekommen, als ein lutherischer Pastor am Kommunionstisch gesagt habe: Das ist Jesu' Tisch, und Jesus hat niemanden ausgeschlossen. Diese Botschaft habe ihn ergriffen.
Im Alltag erlebe er, wie sehr die Kirche geprägt sei vom Weiß-Sein. "Systematischer Rassismus" sei eng verflochten mit der Liturgie, in der Weiß die Farbe der Hoffnung und des Guten sei - und Schwarz eben nicht. Noch immer sei der in Gotteshäusern dargestellte Jesus ein weißer Mann. Beim Theologiestudium gebe man den künftigen Pastorinnen und Pastoren Werke über afro-amerikanischen Glauben und Kultur - freilich meist nur als "Zusatzliteratur".
Duncans Buch belebt einen Trend in der Kirche. Im Juni dieses Jahres hat der Rat der ELKA sich für die "historische Mitschuld" an der bis 1865 existierenden Institution Sklaverei entschuldigt. Die Kirche "bekenne, bereue und verurteile", dass sie geschwiegen habe zu rassistischer Ungerechtigkeit. Im Sommer 2018 hat die ELKA erstmals in ihrer Geschichte eine afro-amerikanische Bischöfin ins Amt eingeführt, die Geistliche Viviane Thomas-Breitfeld.
Bei der nationalen ELKA-Kirchenversammlung im Sommer wurde eine Resolution verabschiedet, Menschen in religiösen und politischen Führungspositionen seien verpflichtet, "rassistische Rhetorik" zu verurteilen. Zudem wurde beschlossen, den 17. Juni als Tag der Reue zu begehen. Am 17. Juni 2015 hatte der Weiße Dylann Roof in einer Kirche in South Carolina neun afrikanisch-amerikanische Gläubige ermordet.
Roof war laut ELKA Mitglied einer ihrer Kirchengemeinden. Es handle sich hier nicht nur um die "Tat eines zutiefst gestörten Mannes", sagte die leitende Bischöfin Elizabeth Eaton damals. Die Tat gründe sich auf ein rassistisches Gedankengebäude, und Rassismus sei "ein Fakt in der amerikanischen Kultur".
So jemand wie Roof könnte heute in der Bank jeder beliebigen ELKA-Gemeinde sitzen, schreibt Duncan. Und diese Person warte nur darauf, ein "gutes Wort" zu hören, um auf den richtigen Weg zu kommen. Das weiß geprägte Lutheranertum habe dessen Glauben an die Überlegenheit der Weißen offenbar nicht erschüttert.
Rom/Münster (epd). Papst Franziskus hat am 6. Oktober bei einer feierlichen Messe zur Eröffnung der Amazonas-Synode im Vatikan zu mutigen Reformen aufgerufen. Das katholische Kirchenoberhaupt äußerte vor den rund 280 Teilnehmern im römischen Petersdom die Hoffnung auf "wagemutige Besonnenheit", um das Leben der Kirche im Amazonas-Gebiet zu verändern.
Im Zusammenhang mit der Abholzung und Brandrodung des Regenwalds heute sowie den Kolonialherren der Vergangenheit wies der Papst auf das Leiden der indigenen Bevölkerung in der Region hin. Er prangerte Wirtschaftsinteressen an, die jüngst mit ausgedehnten Waldbränden zur Zerstörung breiter Landstriche im Amazonas-Gebiet geführt hätten. Zugleich beklagte Franziskus, dass der christliche Glaube den Ureinwohnern ehemals oft "nicht angeboten sondern aufgezwungen" worden sei. Dabei habe es häufig "Kolonisierung statt Evangelisierung gegeben". Auch heute bedrohe "Gier" moderner Kolonialherren das Leben der Indigenen.
Angesichts von Überlegungen, die Priesterweihe verheirateter Männer als Antwort auf den Priestermangel im Amazonas-Gebiet zulassen, bezichtigte Franziskus seine Gegner, die Häresie-Vorwürfe gegen ihn erhoben, Angst vor Veränderungen zu haben. Er kritisierte die Tendenz, nur die eigenen Ideen gelten zu lassen. Wer Unterschiede nicht gelten lasse und stattdessen Menschen und Ideen vereinheitlichen wolle, schüre ein zerstörerisches Feuer.
Bei der dreiwöchigen Amazonas-Synode unter dem Titel "Amazonien - Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie" geht es vorrangig um Umweltzerstörung, die Lage der Indigenen und Priestermangel in dem neun Länder umfassenden Gebiet. Von den rund 180 Bischöfen, die an der Versammlung gemeinsam mit Ordensleuten und Experten teilnehmen, stammen 113 aus dem Amazonas-Gebiet.
Der brasilianische Bischof Johannes Bahlmann erhofft sich von der Synode Lösungsansätze, etwa zur Behebung des Priestermangels. Um dem Sendungsauftrag gerecht zu werden, seien im Amazonasgebiet neue Wege und Formen für das christliche Leben notwendig, sagte der Bischof, der an der Synode teilnimmt, am 5. Oktober in Münster. In dem von ihm geleiteten Bistum Óbidos - flächenmäßig halb so groß wie Deutschland, aber dünn besiedelt und teils schwer zugänglich - gebe es rund 30 hauptamtliche Priester. Viele Gemeinden würden deshalb bereits von ehrenamtlichen Laien geleitet.
Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat kündigte an, in Rom auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung aufmerksam machen. "Am Amazonas brennen die Wälder, indigene Völker werden vertrieben oder ermordet", erklärte Adveniat-Hauptgeschäftsführer Michael Heinz am Samstagabend.
Zum Priestermangel sagte er, viele Gemeinden könnten nur ein, zwei oder drei Mal im Jahr die Eucharistie feiern. "Damit wird den Gläubigen das Recht auf die Quelle ihres Glaubens konsequent verweigert", kritisierte er. Es sei deshalb unausweichlich, über alternative Modelle des Zugangs zu Priesteramt und Gemeindeleitung nachzudenken. Möglich wäre die Weihe verheirateter älterer Männer, die im Team eine Gemeinde leiten. Darüber hinaus müsse über die Beteiligung von Frauen gesprochen werden.
Zu den als Zuhörer eingeladenen Teilnehmern der Amazonas-Synode gehören auch 17 Vertreter der Ureinwohner. Aus Deutschland nehmen neben dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, die in Peru lebende Theologin Birgit Weile, der Adveniat-Chef sowie auch der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, Pirmin Spiegel, teil. Als Experte wird im Zusammenhang mit der Zerstörung des Regenwalds im Amazonas-Gebiet der Gründungsdirektor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Hans Joachim Schellnhuber, nach Rom kommen.