Sie kriechen besoffen ins Auto, werden gewalttätig oder übergeben sich. Wenn die Gäste nach dem Oktoberfest ins Taxi steigen, lassen sie ihre Masken fallen: "Da ist kein Glamour mehr, sondern nur der Geruch von Schweiß und Alkohol", sagt Frank Schmolke. Der Comiczeichner ist früher selbst viele Jahre in München Taxi gefahren. Nun legt er mit seiner Graphic Novel "Nachts im Paradies" eine furiose Wiesn-Geschichte vor. Das diesjährige Volksfest endete am 6. Oktober.

Mit 22 Jahren machte Schmolke die "Ortskundeprüfung zur Fahrgastbeförderung". Schon am gleichen Abend saß er hinter dem Taxi-Lenkrad. Es sei eine der aufregendsten Nächte seines Lebens gewesen, findet er noch heute. Von diesem Moment an fuhr er so oft es ging - das Skizzenbuch meist dabei, um die Begegnungen mit schnellem Strich festzuhalten. Aus diesen optischen Notizen ist nun eine eindrucksvolle Story geworden.

Strudel von Ereignissen

Vincent, so der Name des Comic-Helden, hat nicht mehr viel zu verlieren. Seine Frau hat sich von ihm getrennt, die 16-jährige Tochter kommt nur noch selten zu Besuch. In seinem Taxi lässt Vincent sich durch die Stadt treiben "wie ein Stück Holz". Selbst als eine Schlägerei ihm ein blaues Auge beschert, nimmt er das gleichmütig hin.

Doch dann gerät Vincent in einen Strudel von Ereignissen. Für den "Kunden" Igor fährt er die Edelprostituierte Valerie zu einer Villa, in der ein übler Russe wartet, der die junge Frau brutal schlägt und würgt. Igor beginnt eine Schlägerei, Vincent flieht zusammen mit Valerie. Wenig später in ihrer Wohnung bekommt Valerie einen Anruf: Igor ist tot.

Gezeichnetes Roadmovie

Frank Schmolke ist dem sauberen Image Münchens in seiner Geschichte mit einem düsteren, aggressiven Strich begegnet. Auf seinen Großstadtbildern finden sich vierspurige Straßen und dunkle Gassen, trostlose Hochhäuser und finstere Parkgaragen. Die Graphic Novel wird so zum gezeichneten Roadmovie - rastlos folgt der Autor seinen präzise gezeichneten Protagonisten durch die Nacht.

Zum Beispiel auch Vincent und seiner Tochter: Während eines Besuchs beim Vater werden ihr in der Disco Drogen ins Getränk gemischt. Aus ursprünglich freundlichen Begleitern werden plötzlich gruselige Wölfe, die Tochter rennt um ihr Leben und versteckt sich in einer Parkgarage. In letzter Minute wird sie vom Vater gerettet - vom Autor großartig in Szene gesetzt als surrealer Kampf zwischen Tier und Mensch.

Großartiger Zeichner

Überhaupt ist Schmolke ein großartiger Zeichner. Mit kräftigen schwarzweißen Strichen charakterisiert er seine Figuren, die Geschichte treibt er mit Zooms, Schnitten und ungewöhnlichen Panels rasant voran. "Wenn du nachts Taxi fährst, weißt du eigentlich nicht wirklich, wie die Nacht endet", schildert Schmolke seine Zeit als Taxifahrer: "Man befindet sich auf engstem Raum mit wildfremden, oft alkoholisierten Menschen. Da kann alles passieren."

Quasi im Vorbeifahren streift Schmolke noch ganz andere Themen - die rechtsradikale Szene der Taxler oder die Konkurrenz durch Fahrdienste wie Uber. Comic-Held Vincent wirkt nach seinen nächtlichen Erlebnissen jedenfalls reichlich erschöpft. Er will den Job als Taxifahrer aufgeben. "Meine Zeit ist vorbei. Ich brauche eine Ausfahrt", denkt er. Doch schon klopft der nächste Gast an die Scheibe.