Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat zum Tag der Deutschen Einheit zu demokratischem Engagement aufgerufen. "Als Bürgerinnen und Bürger in der Demokratie haben wir alle eine Verpflichtung", sagte Merkel beim Festakt zum 3. Oktober in Kiel. Freiheit sei immer "Freiheit in Verantwortung".

In den 29 Jahren seit der deutschen Vereinigung sei "unglaublich viel erreicht" worden, sagte Merkel. Zugleich wies sie auf weiterhin bestehende Unterschiede zwischen Ost und West hin. Die staatliche deutsche Einheit sei vollendet, die Einheit der Deutschen sei es nicht, sagte sie. Die deutsche Einheit bleibe ein fortwährender Prozess und ständiger Auftrag.

Repräsentative Umfragen zeigten, dass sich eine Mehrheit der Ostdeutschen als Bürger zweiter Klasse fühle. Es gelte zu verstehen, warum die deutsche Einheit für die Menschen in Ostdeutschland nicht nur eine positive Erfahrung sei. "Wir müssen lernen zu verstehen, was es für den einzelnen Menschen bedeutete, als auf die Last der Teilung die Wucht der Einigung folgte", sagte die aus der DDR stammende Kanzlerin.

"Zuschauerrolle"

Die staatliche Vereinigung habe für die Ostdeutschen zu elementaren Veränderungen geführt. Die Mehrheit der Westdeutschen indes habe die Ereignisse "eher aus der Rolle eines Zuschauers betrachtet".

Merkel sagte, über die großen Zukunftsfragen müsse frei diskutiert werden, dazu bilde das vor 70 Jahren in Kraft getretene Grundgesetz den Rahmen. "Die Werte des Grundgesetzes müssen jede Debatte in unserem Land bestimmen", sagte sie. Konkrete bedeute das Absagen an Intoleranz, Ausgrenzung, Hass und Antisemitismus sowie an ein Leben auf Kosten der Schwachen und Minderheiten

Am 3. Oktober 1990 waren die nach dem Mauerfall 1989 und dem anschließenden Zusammenbruch der DDR neu gegründeten ostdeutschen Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland beigetreten. Die Festlegung des Feiertags auf den 3. Oktober war Teil des Einigungsvertrages. Schleswig-Holstein führt in diesem Jahr den Vorsitz im Bundesrat und richtete deshalb in Kiel die zentralen Einheitsfeiern aus.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) warf in seiner Rede beim Festakt der AfD den Missbrauch der Erinnerung an die friedliche Revolution in der DDR vor. "Diese Wende als historische Lebensleistung der Ostdeutschen bleibt singulär und untrennbar mit dem Ende der DDR verbunden", sagte Günther unter großem Applaus. Die Leistung der Menschen werde verhöhnt, wenn Parteien den Mut der Menschen heute für ihre Zwecke missbrauchten, indem sie von einer "Wende 2.0" reden.

Linke Demo

Günther nannte die AfD nicht explizit. Den Begriff der "Wende 2.0" hatte die Partei jüngst in ostdeutschen Wahlkämpfen verwendet.

Zeitgleich zum Festakt zogen rund 300 meist junge Menschen aus dem linken Spektrum durch die Kieler Innenstadt, um gegen das kapitalistische Wirtschaftssystem im vereinigten Deutschland zu protestieren. Sie forderten unter anderem mehr soziale Gerechtigkeit und einen wirksamen Klimaschutz. Nach Angaben der Polizei gab es keine Zwischenfälle.