sozial-Politik

Hochschulen

Forschen trotz Behinderung




Christian Seyferth-Zapf hat Multiple Sklerose. Seine Behinderung hält ihn aber nicht von einer Promotion ab.
epd-bild/Pat Christ
Dass junge Menschen mit Behinderung ein Studium beginnen, ist heute nicht mehr so selten. Promovenden mit einer Beeinträchtigung sind aber nach wie vor rar. Deutschlandweit werden derzeit 45 Doktoranden mit Handicap über "Promi" gefördert.

Die Frage, ob er nach dem Abi studieren sollte, war für Christian Seyferth-Zapf nicht leicht zu beantworten. Vor elf Jahren wurde bei dem heute 26-Jährigen Multiple Sklerose (MS) diagnostiziert. Trotz dieser chronischen Krankheit erfüllte sich der Bayreuther seinen Traum, Englisch und Geografie auf Lehramt zu studieren. Seit Oktober promoviert er sogar: In Würzburg befasst er sich mit dem Thema "Medienkompetenz". Möglich wurde dies durch das Programm "Promi - Promotion inklusive".

"In Bayern konnten zwölf Promi-Promovenden eingestellt werden", sagt Sandra Ohlenforst von der Würzburger Kontakt- und Informationsstelle für Studierende mit Behinderung (KIS). Beteiligt seien neben Würzburg die Unis in Augsburg und Bayreuth sowie die TU München.

Fördergelder für Doktoranden

Wer bei "Promi" aufgenommen wird, erhält einen sozialversicherungspflichtigen 20-Stunden-Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter. 30 Prozent der Stelle werden von der Uni bezahlt. Im Falle von Christian Seyferth-Zapf finanziert der Lehrstuhl für Schulpädagogik von Professorin Silke Grafe diesen Part. Zu 70 Prozent werden die "Promi"-Stellen von Integrationsämtern, Arbeitsagenturen, Jobcentern und vom Bundesarbeitsministerium finanziert.

Als Promi-Promovend ist Christian Seyferth-Zapf, anders als andere Doktoranden, nicht verpflichtet, Lehrveranstaltungen zu halten. Er darf dies zwar tun: "Doch ich kann mich, wenn ich will, ganz auf die Dissertation konzentrieren." Das ist für den Medienpädagogen sehr entlastend, denn der junge Mann muss mit seinen Kräften haushalten. Die Krankheit selbst, aber auch die Medikamente, die er regelmäßig einzunehmen hat, sorgen dafür, dass er schnell erschöpft ist und immer wieder Auszeiten braucht. Stress ist für den Doktoranden ohnehin Gift, können doch zu große Belastungen dazu führen, dass er einen neuen MS-Schub bekommt. Was heißen würde, wieder in die Klinik zu müssen. Im Augenblick geht es Seyferth-Zapf gut, seit eineinhalb Jahren hat er schon keinen Schub mehr gehabt. Doch davor spielte ihm sein Leiden so manchen Streich.

Besonders aktiv war die Krankheit während des Studiums in den Jahren 2011 und 2012: "Drei- bis viermal im Jahr hatte ich einen Schub." So manches Seminar an der Uni konnte er dadurch nicht zu Ende bringen. Im nächsten Semester musste er es wiederholen. Was dazu führte, dass er zwei Semester über die Regelstudienzeit hinaus studierte. Den Stress des Staatsexamens bewältigte der Student mit Hilfe eines Nachteilsausgleichs, den er über KIS vermittelt bekam: "Ich erhielt für jede Klausur mehr Zeit."

Den Gammastrahlen auf der Spur

Christian Seyferth-Zapf sieht man seine Behinderung nicht an. Das ist bei Christoph Wendel anders. Der erste Würzburger Promi-Student leidet an einer spinalen Muskelatrophie. Er sitzt im elektrischen Rollstuhl und ist auf Assistenz angewiesen. Dank des Förderprogramms kann er seit zwei Jahren am Physikalischen Institut an seiner Dissertation arbeiten. Dabei ist der Astrophysiker den Geheimnissen extragalaktischer Gammastrahlen auf der Spur.

An der Universität Erlangen-Nürnberg promoviert mit Daniela Preiß eine geburtsblinde Frau im Fach Buchwissenschaft. Preiß forscht zur Lesemotivation Blinder. In ihrer Doktorarbeit will sie herausfinden, welche Bedürfnisse blinde Leser heute haben und wie sie diese Bedürfnisse aktuell befriedigen können. Ziel ist es, die Lesemotivation geburtsblinder Menschen zu erhöhen. Auch Preiß erhält für ihre Forschungsarbeit eine Förderung: Seit November wird sie für ein Jahr von der Erika Giehrl-Stiftung der Universität Erlangen-Nürnberg unterstützt.

Christian Seyfert-Zapf hat nun noch knapp drei Jahre Zeit, um seine Dissertation zu schreiben. Wie es danach weitergeht, weiß der junge Mann noch nicht. Den Traum, Lehrer zu sein, hat er trotz MS nicht aufgegeben. Allerdings schwebt das Damoklesschwert der Krankheit ständig über ihm. Mal schauen, meint er, wie es ihm im Herbst 2018 gesundheitlich geht. Vielleicht steigt er nach der "Diss" doch noch ins Referendariat ein. Oder er findet einen Arbeitsplatz in einem medienpädagogischen Institut.

Pat Christ


Wertevermittlung

Info-Broschüre für Flüchtlinge sorgt für Irritationen




Ein Info-Comic soll Flüchtlingen europäische Werte vermitteln.
epd-bild/Reinsch/Ackermann
Immer wieder wird diskutiert, wie man Flüchtlingen Werte und Regeln in Deutschland vermittelt kann. Jetzt hat der Schwarzwald-Baar-Kreis einen Info-Comic herausgegeben. Kann das darin verwendete "Daumen hoch"-Symbol missverstanden werden?

Mit einem neu herausgegebenen Info-Comic vermittelt der Schwarzwald-Baar-Kreis Flüchtlingen, welche Werte und Regeln im Alltag in Deutschland wichtig sind. Ohne viele Worte, aber mit vielen Bildern werden in der Broschüre mit dem Titel "Ankommen in Deutschland - Informationen für Flüchtlinge" auf fast 40 Seiten wichtige Alltagsthemen angesprochen.

"Daumen hoch", "Daumen runter"

Die Comiczeichnungen des Berliner Grafikerpaars Heike Reinsch und Titus Ackermann zeigen Figuren, die über unterschiedliche Themen sprechen und "Meinungen zulassen". Zu sehen sind etwa ein Mann und eine Frau mit zwei Kindern, ein schwules und ein lesbisches Paar und ein Mann in Frauenkleidern. Darüber steht: "Sexualität tolerieren" nicht nur in Deutsch, sondern auch in Englisch, Persisch und Arabisch. Dazu das "Daumen hoch"-Symbol.

"Daumen runter" bekommen solche Zeichnungen von Handlungen, die in Deutschland inakzeptabel sind: etwa eine Frau begrapschen. Erreicht werden sollen damit alle Flüchtlinge, insbesondere aber diejenigen, die nicht die gängigen Sprachen lesen können oder sogar Analphabeten sind.

Seitdem der Südwestrundfunk (SWR) über die Broschüre berichtet hat, wird über das "Daumen hoch"-Symbol im Netz kontrovers diskutiert. Das Zeichen steht in Europa und Nordamerika für "super", "alles in Ordnung" oder "gefällt mir". Doch einige Nutzer haben darauf hingewiesen, dass der nach oben zeigende Daumen in arabischsprachigen Ländern als obszöne Geste gelte. Er entspreche der Bedeutung des gestreckten Mittelfingers.

Streit über Zeichensprache

Die Berliner Tageszeitung "taz" schreibt, dass Flüchtlinge merken würden, "dass hier ein Missverständnis vorliegen muss." Trotzdem kommentiert sie die Broschüre als peinlichen Ausrutscher "für diejenigen, die hier interkulturelle Kompetenz vermitteln wollten - und stattdessen einfach mal den interkulturellen Stinkedaumen in die Runde gezeigt haben".

"Quatsch", sagte Pressesprecherin Heike Frank dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wir haben das Symbol nicht aus Gedankenlosigkeit verwendet." In Zeiten moderner Kommunikationsmittel, die auch von Flüchtlingen genutzt würden, werde das "Daumen hoch"-Symbol international verstanden. Nicht zuletzt werde das Symbol weltweit etwa auch im Internet bei Facebook zum "Liken" verwendet.

Auch Zeichner Titus Ackermann weist die Bedenken zurück. Er habe die Broschüre vor Veröffentlichung Zeichnerkollegen im Libanon und in Ägypten gezeigt. Dabei sei es aber nicht um das Symbol gegangen, sondern vielmehr darum, ob die Zeichnungen in deren Kulturkreis verstanden würden. Er habe nur positive Rückmeldungen erhalten, sagte Ackermann dem epd. Keiner habe ihn darauf angesprochen, dass das Zeichen als "Stinkefinger" missverstanden werden könne.

Christine Süß-Demuth


Interview

"Arbeitslosigkeit und Armut werden privatisiert"




Stefan Sell.
epd-bild/Hochschule Koblenz
Die Armen in Deutschland können nach Auffassung des Sozialwissenschaftlers Stefan Sell von Politikern keine Unterstützung erwarten. Denn für gewählte Abgeordnete sei Armut ein "Verlierer-Thema" bilanziert Sell bitter. Durch die Flüchtlinge werde sich die Lage "ganz unten" verschärfen.

In Deutschland, sagt der Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz, ist es für Kinder aus einkommensschwachen Familien besonders schwer, durch eine gute Schul- und Bildungskarriere der Armut zu entkommen. Der familiäre Hintergrund wirke in Deutschland stärker als in anderen Staaten Westeuropas. Warum Sell für Langzeitarbeitslose und Arme keine Verbesserungen erwartet, erklärt er im Interview mit Thomas Leif.

epd sozial: Woran liegt es, dass das Thema "Armut" in der Politik eher ein Randthema ist?

Stefan Sell: Wir haben in den 90er Jahren in der ganzen westlichen Welt den Siegeszug des Neoliberalismus gehabt. Damit geht einher, dass nahezu alles in der Gesellschaft privatisiert wird. Nicht nur Unternehmen, staatliche Unternehmen, sondern auch Arbeitslosigkeit und Armut werden privatisiert - dies wird also auf den Einzelnen zurückgeführt. Jeder ist seines Glückes Schmied oder eben seines Unglückes und dafür selbst verantwortlich. Das hat sich mittlerweile in den Köpfen so tief verankert, dass es gar nicht mehr infrage gestellt wird.

epd: Der Armut kann man entkommen. So haben arme Kinder die Möglichkeit, über Bildung aufzusteigen.

Sell: Leider ist es so, dass nirgendwo in Westeuropa der positive wie aber eben auch der negative Einfluss des Familienhintergrunds auf den Bildungserfolg so ausgeprägt ist wie in Deutschland. Das bedeutet allerdings, dass es mit dem Aufstieg durch Bildung gerade in den wirtschaftlich schwachen Haushalten leider nicht weit her ist - vor allem dann nicht, wenn die Eltern nicht über die kognitiven Ressourcen verfügen, ihre Kinder in der Schule besonders zu unterstützen. Nicht weil sie nicht wollen, sondern weil sie es schlichtweg nicht können.

epd: Es besteht ein großer Konsens unter Parteien und Experten, dass Kinderarmut bekämpft werden muss. Was folgt aus diesem Konsens?

Sell: "Kinderarmut" als solche gibt es gar nicht. Es handelt sich immer um eine abgeleitete Armut der Eltern. Deshalb kann man Kinderarmut auch nicht isoliert angehen, das muss scheitern. Doch die Verantwortlichen in der Politik blenden das leider aus.

epd: Gibt es eine Hierarchie beim Konfliktthema Armut?

Sell: Es gibt eine Hierarchie der Armut. Die Bevölkerungsmehrheit hat ganz klare moralische Vorstellungen, es gibt "gute" Arme und "schlechte" Arme. Und an dieser moralischen Unterscheidung entlang wird dann auch die Hilfsbereitschaft verteilt. Bei Themen wie Pflegebedürftige oder Behinderte gibt es eine große Empathie, ein großes Interesse zu helfen und sich für die Betroffenen einzusetzen. Aber ganz unten am Ende stehen die Langzeitarbeitslosen, für deren Belange sich nur wenige wirklich engagieren wollen.

epd: Wer gehört noch zu den "guten" Armen?

Sell: Zu den als "gute" Arme kategorisierten Menschen gehören auch die mehreren Hunderttausend alleinerziehenden Frauen, die im Hartz-IV-Bezug sind und sich nichts leisten können. Da sagen viele: Das geht eigentlich nicht, denn die haben doch Kinder. Hier muss geholfen werden. Die "schlechten" Armen, das sind diejenigen, denen nachgesagt wird, sie seien selber verantwortlich für ihre Situation oder sie seien faul und wollten nicht arbeiten gehen.

epd: Und dann gibt es noch die Armen, die man nicht sieht, etwa die verschämte Armut unter alten Menschen ...

Sell: Leider ist das so. Die Altersarmut wird ein großer sozialer Sprengstoff sein, den wir jetzt auf unserem Weg in die Zukunft vor uns liegen haben. Die Altersarmut steigt von Jahr zu Jahr. Viele Menschen, die unstete Erwerbsbiografien hatten, arbeitslos waren, gering bezahlt wurden, werden gesetzliche Renten beziehen, die unter Hartz IV liegen werden.

epd: Wenn die Lage so drängend ist, warum bewegt sich so wenig?

Sell: Zum einen, weil Armut ein Verlierer-Thema ist. Politiker, und das ist gar kein Vorwurf, haben eine sehr genaue Vorstellung davon, wer sie wählt und wer überhaupt wählen geht. In sozialen Brennpunkten, wo die Armen leben, liegt die Wahlbeteiligung mittlerweile bei unter 20 Prozent. In den guten Mittelschicht-Stadtteilen dagegen bei über 60, 70 Prozent. Und das wissen Politiker und fragen sich: Warum soll ich mich für Menschen einsetzen, die nicht einmal zur Wahl gehen?

epd: Die Armen werden als Wählerpotenzial abgeschrieben?

Sell: Richtig. Sie werden abgeschrieben, weil sie sich am politischen Willensbildungsprozess nur wenig beteiligen. Und es gibt ja auch kaum noch Stellvertreter, die für Arme sprechen. Ein paar Wohlfahrtsverbände versuchen das. Denen wir dann aber sofort unterstellt, sie hätten nur eigene Interessen, teilweise wird das mit solchen Begriffen wie "Armutsindustrie" effekthascherisch zugespitzt. Bei den Kirchen gibt es noch hier und da engagierte Persönlichkeiten und Gruppen, die gegen die Windmühlenflügel der Arbeitslosigkeit und Armut anzulaufen versuchen.

epd: Aber steckt nicht Sprengstoff im Thema? Wenn ungefähr jeder fünfte mit Armut konfrontiert ist, kann dies zu spürbaren sozialen Konflikten führen?

Sell: Es gibt die Vorstellung, dass ab einem bestimmten Ausmaß der Verarmung die Situation kippt und es deshalb zu Unruhen kommt. Wenn ich allerdings etwa auf das Ruhrgebiet schaue, wo wir in den letzten Jahren eine gewaltige Verarmungswelle erleben, dann glaube ich das nicht. Es sieht so aus, dass die Individualisierung so weit vorangeschritten ist, dass die Leute sich eher autoaggressiv verhalten. Sie ertränken ihre Situation in Alkohol, sie nehmen Drogen, sie werden krank. Wir haben die höchsten Krankheitsquoten und auch Krankheitsausgaben bei arbeitslosen, vor allem langzeitarbeitslosen Menschen. Auch bei ihnen ist die Individualisierung und Personalisierung von Arbeitslosigkeit und Armut angekommen, und das führt zu einer Paralyse jeglichen kollektiven Handelns.

epd: Warum gibt es keine Steuerreformen, die wirksam umverteilen würden?

Sell: Weil Politiker, die das fordern, konfrontiert werden mit den Widerständen der Betroffenen, denen sie etwas wegnehmen müssten, also der Mittelschicht, der oberen Mittelschicht und den Unternehmen. Sie sind außerdem mit einem aggressiven Medien-Kartell konfrontiert. Politiker, die in der Vergangenheit Vorstöße in diese Richtung gemacht haben, sind bei Wahlen durchaus abgestraft worden. Ich glaube, Politiker haben verstanden, dass sie mit solchen Forderungen ihre politische Existenz infrage stellen können.

epd: Welche Auswirkung hat diese Entwicklung langfristig?

Sell: Die Gesellschaft spaltet sich immer mehr. Interessanterweise gibt es seit einigen Jahren viele neuere Untersuchungen, und zwar von den Zentren des Neoliberalismus, also Internationaler Währungsfond, OECD, Weltbank, die darauf hinweisen, dass die Spaltung negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum und auf die gesellschaftliche Stabilität hat. Diese Studien besagen - und belegen das auch mit Daten - dass in Gesellschaften, in denen über Umverteilung ein geringerer Grad an Ungleichheit hergestellt wird, skandinavische Gesellschaften beispielsweise, auch die wirtschaftlichen Kennzahlen besser sind und die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt deutlich harmonischer abläuft.

epd: Und warum kommt diese Botschaft bei den Politikern hier nicht an?

Sell: Weil viele das schlichtweg nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Es passt nicht in ihr Weltbild.

epd: Das heißt, das politische Thema Armut liegt weiter auf Eis?

Sell: Derzeit auf alle Fälle. Das Thema könnte aber möglicherweise durch den Druck der Verhältnisse aufgerufen werden. Wir erleben nämlich eine Vervielfachung des Armuts- und Verarmungsproblems durch die vielen Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen. Von denen werden nicht wenige im Hartz-IV-Bezug landen. Das wird die sozialen Spannungen zwischen den Armen und Ärmsten enorm ansteigen lassen. Leider. Das lässt sich schon heute beobachten, etwa auf dem "Markt" für bezahlbaren Wohnraum.

epd: Der Kampf "ganz unten" wird sich also verschärfen?

Sell: Natürlich. Sie können das beobachten, wenn Sie zu Tafeln gehen. Dort gibt es sozusagen die alteingesessenen Armen, die auf einmal beobachten, dass neue Bedürftige kommen - und jetzt ist auf einmal weniger da. Da entstehen neue Konflikte.



Bundesregierung

Zahl der Eltern-Kind-Kuren steigt



Die deutschen Krankenkassen bewilligen wieder mehr Mutter-/Vater-Kind-Kuren. So stieg die Zahl der absolvierten Kuren von rund 121.000 im Jahr 2012 auf knapp 135.000 im Jahr 2014. Das bedeutete einen Anteil genehmigter Kuren von 88,3 Prozent, geht aus einer am 6. April in Berlin veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor.

Nach Kritik an der restriktiven Bewilligungspraxis der Kassen hatten der GKV-Spitzenverband, der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes, die Elly Heuss-Knapp-Stiftung Müttergenesungswerk und der Bundesverband Deutscher Privatkliniken Anfang 2012 die "Begutachtungsrichtlinie Vorsorge und Rehabilitation" überarbeitet. Sie bildet die Grundlage für die Entscheidungen der Krankenkassen im Genehmigungsverfahren.

Demnach dürfen die Kassen Kuren nur in Einrichtungen genehmigen, mit denen ein Versorgungsvertrag besteht. Das Vertragssystem solle die Qualität und Effizienz der Leistungen sichern, hieß es: "Dieser Mechanismus ist nach Ansicht der Bundesregierung sachgerecht." Derzeit gibt es in Deutschland 138 Einrichtungen, mit denen ein solcher Versorgungsvertrag besteht. Vor zehn Jahren waren es noch 159.



Bundesregierung

1,9 Prozent aller Arbeitslosen waren Berufsrückkehrer



Im Jahresdurchschnitt 2015 waren bei den Agenturen für Arbeit und Jobcentern 91.000 berufsrückkehrende Personen als arbeitssuchend registriert. Das berichtete die Bundesregierung laut einer Mitteilung des Bundestag vom 4. April auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit. Demnach waren davon waren 54.000 als arbeitslos gemeldet. Das entspricht einem Anteil von 1,9 Prozent an allen Arbeitslosen.

Darin heißt es weiter, dass die durchschnittliche Arbeitslosigkeitsdauer bei den Berufsrückkehrern im vergangenen Jahr bei knapp 290 Tagen gelegen habe. 45 Prozent der arbeitslos gemeldeten Berufsrückkehrer waren demnach zwischen 30 und 39 Jahre alt. 68 Prozent hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine akademische Ausbildung, 30 Prozent hatten keine abgeschlossene Ausbildung, hieß es.

15 Prozent der Berufsrückkehrenden waren den Angaben nach jünger als 30 Jahre. 45 Prozent waren zwischen 30 und 39 Jahren und 40 Prozent der Berufsrückkehrenden hatten das Alter von 40 Jahren bereist überschritten.



Studie

Schlechte Noten für Arbeitszeugnisse



Arbeitszeugnisse gehören aus der Sicht Thüringer Wissenschaftler am besten abgeschafft. Ihre Anfertigung sei "zu einem relativ sinnfreien Ritual mutiert", meinen die Autoren einer Studie der Jenaer Ernst-Abbe-Hochschule, die am 31. März veröffentlicht wurde. Dem erheblichen Aufwand an Zeit und Kosten stehe kein hinreichender Nutzen für die Personalauswahl gegenüber, fassen die Autoren der Studie vom Fachbereich Betriebswirtschaft der Hochschule, Steffi Grau und Klaus Watzka, ihr vernichtendes Urteil zusammen.

Dabei machen den Experten drei Dinge besonders zu schaffen. Den Verfassern der Zeugnisse fehle es oft selbst an eigener Expertise für diese Tätigkeit. Dazu würden Zeugnisse kaum noch individuell verfertigt. Statt selbst zu schreiben, griffen die Autoren auf Versatzstücke aus dem Internet oder auf PC-gestützte Zeugnisgeneratoren zurück. Auf der anderen Seite verstünden die Mitarbeiter in den Personalabteilungen die verwendeten Formulierungen nicht wirklich.

"Es existiert eher babylonische Sprachverwirrung als eine einheitliche, eindeutige Zeugnissprache, diese gehört ins Reich der gut gepflegten Mythen und Legenden", so die Wissenschaftler.

Als eine Ursache für das Dilemma haben die Experten die deutsche Rechtsprechung ausgemacht. Die verlange zwar wahre, aber eben auch wohlwollende Formulierungen. Dadurch dominiere bei vielen Unternehmen offenbar die Angst vor juristischen Auseinandersetzungen. In der Praxis spielten Zeugnisse bei der Personalauswahl eine untergeordnete Rolle. Wichtiger für die Entscheidungen sind demnach Lebenslauf und Anschreiben.

Die Jenaer Wissenschaftler treten deshalb für eine radikale Lösung ein. Allerdings müsse bei einer kompletten Abschaffung der Zeugnispflicht sichergestellt werden, dass ein ausscheidender Arbeitnehmer eine alternative Bestätigung über seine ausgeübten Tätigkeiten und wahrgenommenen Funktionen erhält.

Für ihre Studie werteten ihre Autoren nach eigenen Angaben getrennte Fragebögen von Zeugniserstellern (insgesamt 97) und Zeugnisauswertern (89) aus. Von den angeschrieben 500 Unternehmen habe fast jedes fünfte geantwortet.



Flüchtlinge

EU-Kommission stellt Reformvorschläge für Asylsystem vor



Die EU-Kommission hat Vorschläge zur Reform des europäischen Asylsystems vorgestellt. Es gehe um eine gerechtere Verteilung von Asylbewerbern auf die EU-Staaten, einheitlichere Asylverfahren und eine Stärkung des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO), teilte die Kommission am 6. April in Brüssel mit. Das jetzige Asylsystem sei "nicht zukunftsfähig", erklärte Vizekommissionspräsident Frans Timmermans.

Mit der angestrebten faireren Verteilung soll das sogenannte Dublin-System verändert werden. Es sieht vor, dass in der Regel dasjenige Land für die Prüfung und damit Beherbergung eines Asylbewerbers zuständig ist, in dem dieser das erste Mal europäischen Boden betritt. Vor allem die Überforderung Griechenlands hat die Schwächen dieses Systems offenbar gemacht.

Eine Angleichung der Asylverfahren soll dazu führen, dass Flüchtlinge nicht mehr gezielt bestimmte EU-Staaten ansteuern, wo sie sich bessere Perspektiven erhoffen als anderswo. Ein neues Mandat für EASO würde der EU-Ebene mehr Befugnisse gegenüber den einzelnen Regierungen geben.

Bei den Vorschlägen handelt es sich noch nicht um konkrete Gesetzespläne. Vielmehr beschreibe die Kommission damit "mögliche Wege" zu einer besseren Asylpolitik, hieß es in einer Presseerklärung. Erst nachdem sie darauf Rückmeldungen - unter anderem aus den europäischen Hauptstädten - erhalten hat, will die Kommission konkrete Vorschläge vorlegen.



Flüchtlinge

Kirche: Lage in Idomeni bedrückend



Der rheinische Präses Manfred Rekowski und der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung haben die Situation im provisorischen Flüchtlingslager in Idomeni an der griechischen Grenze zu Mazedonien als bedrückend bezeichnet. Es mache sprachlos zu sehen, wie die Menschen dort hausen müssten, sagte Rekowski dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 6. April nach einem Besuch in Idomeni.

Kirchenpräsident Jung würdigte das Engagement der vielen Ehrenamtlichen in Idomeni, für das man dankbar sein müsse. Zugleich betonte er, dass sich die Politik nicht dauerhaft nur auf Ehrenamtliche verlassen könne.

Insgesamt leben in dem provisorischen Lager Schätzungen zufolge zurzeit bis zu 13.000 Menschen, nachdem die Länder entlang der Balkanroute ihre Grenzen vor einigen Wochen dichtgemacht hatten. Griechenland bemüht sich, die Flüchtlinge zu überreden, in offizielle Lager im Landesinneren umzusiedeln. Zwischenzeitlich wurden einige der Flüchtlinge mit Bussen in andere Lager gebracht.



Flüchtlinge

Ministerin: Bedarf an Sprachkursen nicht zu decken



In der Debatte um Integrationspflichten für Flüchtlinge hat sich die niedersächsische Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne) gegen einen Zwang für Sprachkurse ausgesprochen. Solange die Nachfrage nach Sprachkursen größer sei als das Angebot, habe die Forderung einer verpflichtenden Teilnahme wenig Sinn, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die Bundesregierung arbeitet derzeit an einem Integrationsgesetz. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) plant unter anderem, Flüchtlingen künftig nur noch dann ein Daueraufenthaltsrecht zu geben, wenn sie sogenannte Integrationsleistungen, darunter ausreichende Deutschkenntnisse, vorweisen können. Vertreter der SPD hatten daraufhin ebenfalls angemahnt, auch genügend Angebote für das Erlernen der Sprache zur Verfügung zu stellen.

Heinen-Kljajic forderte mehr Unterstützung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge bei den Sprachkursen. Die Landesregierung hat nach Angaben ihres Ministeriums zusammen mit Einrichtungen der Erwachsenenbildung bisher rund 700 Sprachkurse auf den Weg gebracht. Damit erhielten 13.500 Flüchtlinge Deutschunterricht. Weitere geplante Grundkurse sollen zusätzlich 19.500 Menschen erreichen. Hinzu kämen Sprachkurse von Ehrenamtlichen. Sie könnten etwa 43.500 weitere Flüchtlinge unterrichten. "Der Bedarf an Sprachkursen kann damit nicht gedeckt werden", unterstrich Heinen-Kljajic.

Sie ergänzte, nur Flüchtlinge mit einer sogenannten Bleibeperspektive dürften die Kurse des Bundesamts besuchen, dessen Integrationskurse sich von den Sprachkursen des Landes unterscheiden. Auf die Frage, ob Verweigerer von Integrationskursen bestraft werden sollten, verwies die Ministerin auf eine fehlende Datengrundlage. Es lägen weder Zahlen über die Kurse des Bundesamts, noch über Kursteilnehmer oder sogenannte Integrationsverweigerer vor. Fachleute berichteten, dass die Bereitschaft der Flüchtlinge, an den Sprach- und Integrationskursen teilzunehmen, sehr hoch sei, sagte Heinen-Kljajic.



Bundesregierung

Immer mehr Anlagen der Bahn barrierefrei



Nach Angaben der Bundesregierung sind immer mehr Anlagen und Fahrzeuge der Bahnunternehmen barrierefrei. Wie der Bundestag am 4. April mitteilte, werde die Barrierefreiheit bei der Ausstattung der rund 400 DB-Reisezentren stetig vorangetrieben und auf die Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Reisender ausgerichtet.

Die Regierung antwortete unter Berufung auf die Bahn auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit. In mehreren Hunderttausend Fällen sei Menschen mit eingeschränkter Mobilität Hilfestellung beim Einstieg in Züge geleistet worden. Im Personenfernverkehr eingesetzte Omnibusse seien ebenfalls immer öfter barrierefrei, so dass die Mobilität von Menschen mit Behinderungen weiter verbessert werde, hieß es.

Die Regierung kündigte zudem die Vorlage eines Berichts zur Erfüllung der Ziele des Gesetzes zur Änderung personenbeförderungsrechtlicher Vorschriften an, der dem Bundestag bis zum 1. Januar 2017 vorzulegen ist. Diese Stellungnahme werde sich auch mit dem Umsetzungsstand der neuen Regelungen zur Barrierefreiheit befassen, schreibt die Regierung.



Nordrhein-Westfalen

Zahl der Erwerbspersonen sinkt ab 2020



In Nordrhein-Westfalen wird die Zahl der Beschäftigten und Arbeitssuchenden einer aktuellen Statistik zufolge bis zum Jahr 2060 deutlich zurückgehen. Wie das Statistische Landesamt am 4. April in Düsseldorf mitteilte, wird die Zahl der sogenannten Erwerbspersonen um 14,3 Prozent auf knapp 7,5 Millionen sinken. Bis 2020 wird die Zahl der Erwerbspersonen zunächst aber steigen: von knapp 8,2 (2014) auf dann 9,2 Millionen.

Ab 2020 tritt dann nach Erkenntnissen der Statistiker der Umschwung ein. Bis zum Jahr 2040 wird die Zahl der Erwerbspersonen um 7,9 Prozent auf etwa acht Millionen zurückgehen. Landesweit werden dann nur noch neun kreisfreie Städte und Kreise Zuwächse verzeichnen: Dazu zählen Köln (plus 14,8 Prozent), Düsseldorf und Münster (beide plus 9,8 Prozent). Die stärksten Rückgänge an Erwerbspersonen prognostizieren die Statistiker im Kreis Höxter (minus 25,9 Prozent), im Märkischen Kreis (minus 28,6 Prozent) und im Hochsauerlandkreis (minus 27,4 Prozent).

Bei der Modellrechnung hat das statistische Landesamt alle Personen als Erwerbspersonen gezählt, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen - unabhängig davon, ob als Erwerbstätiger oder als Arbeitssuchender. Nicht berücksichtigt wurden Personen unter 15 Jahren.



Nordrhein-Westfalen

Gesundheitskarte für Flüchtlinge in 20 Städten



Seit dem 1. April können Flüchtlinge in Köln mit der elektronischen Gesundheitskarte zum Arzt gehen. Die Gesundheitskarte sei eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität der Flüchtlinge, sagte Nordrhein-Westfalens Gesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) am 4. April in Köln. Damit könnten Flüchtlinge direkt zu einer Ärztin oder einem Arzt gehen, wenn sie Schmerzen hätten oder krank seien. Auch in Düsseldorf und Solingen wurden die Gesundheitskarten zeitgleich eingeführt. In Nordrhein-Westfalen bieten mittlerweile etwa 20 Kommunen diesen Service an, neben größeren Städten wie Bonn und Münster nehmen auch kleinere Kommunen wie Dülmen und Sprockhövel teil.

Gesundheitsministerin Steffens betonte, dass die Kosten für die Gesundheitskarten nicht aus den Versichertenbeiträgen bezahlt würden. Für die Kosten der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen kämen die Kommunen auf, die dies direkt mit den Krankenkassen abrechneten. Für das erste Quartal erhält die Versicherung pro Flüchtling pro Monat eine Abschlagssumme von in der Regel 200 Euro von den Kommunen, also insgesamt 600 Euro. Fallen keine oder geringere Arztkosten an, wird dieser Betrag den Kommunen zurückerstattet. In den folgenden Quartalen fallen keine Abschlagszahlungen mehr an. Allerdings zahlen die Kommunen acht Prozent der pro Flüchtling entstandenen Gesundheitsaufwendungen als Verwaltungsaufwand an die Kassen, mindestens aber zehn Euro pro Monat.

In einer Rahmenvereinbarung hatte sich die Landesregierung 2015 mit den Krankenkassen darauf verständigt, welche Kasse für welche Kommune zuständig ist. So gibt in Düsseldorf die AOK Rheinland/Hamburg die Gesundheitskarten aus. In Köln ist es die DAK Gesundheit, die bereits 7.250 Kölner Asylbewerber in ihr System aufgenommen hat und in den nächsten drei Wochen mit Gesundheitskarten ausstattet. Eine Gesundheitskarte erhalten nur Flüchtlinge, die einer Kommune zugewiesen werden, nicht diejenigen, die auf eigenen Wunsch dort hinreisen.

Bislang mussten Flüchtlinge in den betreffenden Kommunen zu einem kommunalem Amt gehen und sich einen sogenannten grünen Behandlungsschein abholen. Die Entscheidung, ob ein Besuch beim Arzt möglich sein kann, trafen beispielsweise Mitarbeiter des Sozialamts.



Flüchtlinge

Baden-Württemberg beginnt mit Abschiebehaft



In Baden-Württemberg gibt es seit 1. April eine Hafteinrichtung für abgelehnte Asylbewerber, die ihrer Ausreisepflicht nicht nachkommen. Ein ehemaliges Jugendgefängnis in Pforzheim bietet zunächst 21 Plätze, teilte das Innenministerium in Stuttgart mit. Bis zum Frühjahr 2018 soll es auf 80 Plätze ausgebaut werden.

Innenminister Reinhold Gall (SPD) wies darauf hin, dass es sich bei den Untergebrachten nicht um Straftäter handele. Deshalb wolle man sie nicht in Zellen einsperren, sondern den "Gefängnischarakter" minimieren. Die Bewohner dürften sich in der Einrichtung frei bewegen, Besuche empfangen, Medien und das Internet nutzen, selbst kochen und eigene Kleidung tragen.

Voraussetzung für eine Abschiebehaft ist den Angaben zufolge die begründete Annahme, dass ein Ausländer untertauchen wolle. Eine gemeinsame Unterbringung mit Strafgefangenen hatte der EU-Gerichtshof im Juli 2014 verboten. Deshalb sei nun die ehemalige Jugendstrafanstalt umgebaut worden. Seit Jahresbeginn wurden im Südwesten 740 Menschen abgeschoben, im vergangenen Jahr waren es insgesamt 2.449.



Landesmuseum

Junge Flüchtlinge gestalten Ausstellung in Braunschweig



Das Braunschweigische Landesmuseum widmet ein neues Projekt der Integration junger Flüchtlinge. Gemeinsam mit neun jungen Braunschweigern sollen sechs unbegleitete jugendliche Flüchtlinge aus Afghanistan in den kommenden Monaten die Ausstellung "Gesichter dieser Stadt" erarbeiten, wie Museumsdirektorin Heike Pöppelmann am 1. April sagte. Entstehen sollen Interviews, Fotografien und Filme. Es gehe darum, wie beide Gruppen die Stadt sehen und Integration erleben.

Die niedersächsische Kulturministerin Gabriele Heinen-Kljajic (Grüne) sagte, das Projekt sei "ein schönes Beispiel, wie Museumsarbeit heutzutage funktionieren sollte". Das Museum öffne sich der Stadt und greife ein brandaktuelles Thema auf: "Da trifft die Perspektive derjenigen, die hier im Wohlstand aufgewachsen sind, auf die derjenigen, die es durch Krieg, Gewalt und Verfolgung teils im wahrsten Sinne des Wortes hierher gespült hat."



Forschung

Studie zu Umgang mit chronisch kranken Angehörigen



Pflegewissenschaftler der Universität Witten/Herdecke untersuchen, wie Familien ihren Alltag mit schwer oder chronisch erkrankten Angehörigen regeln. "Wir wissen weder für Nordrhein-Westfalen noch für ganz Deutschland, wie viele Familien von Krankheit betroffen sind und ebenso wenig, welche Unterstützung sie benötigen", erläuterte Pflegewissenschaftlerin Sabine Metzing am 5. April in Witten. Bei Krebs, Multipler Sklerose, Rheuma oder Depression würden häufig die Kinder das Einkaufen, Putzen und Kochen und manchmal auch Teile der Pflege übernehmen.

Aus Österreich sei bekannt, dass in der Gruppe der fünf- bis 18-Jährigen 3,5 Prozent bei Krankheit zu Hause mithelfen. "Wenn wir das auf Deutschland übertragen, wären hier rund 270.000 Minderjährige regelmäßig zu Hause eingespannt", schätzt Metzing.

Im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums wollen die Wittener Forscher mehr als 16.000 Schüler ab der Sekundarstufe II in NRW befragen. Die Schulen werden dabei in einem statistischen Verfahren per Zufall ausgewählt, wobei Faktoren wie Schulform, Klassenstärke, Alter, Geschlecht und Herkunftsland berücksichtigt werden. Mit Unterstützung der Schulleitungen und Lehrer werden anonyme Befragungen vor Ort via Tablet stattfinden.



Demonstration

"Konfetti-Parade" wirbt für demenzfreundliche Gesellschaft



Mit einer bunten "Konfetti-Parade" durch die Hamburger Innenstadt haben am 2. April knapp 500 Menschen für einen liebevollen Umgang mit Demenzkranken geworben. Zwei Dutzend Oldtimer begleiteten die Musik-Parade, die unter dem Motto stand "Demenz berührt mit vielen Gesichtern". Es sei wichtig, dass sich die Gesellschaft für Demenzkranke und ihre Angehörigen weiter öffnet, sagte Fernsehmoderatorin Bettina Tietjen bei der Abschlusskundgebung vor dem Rathaus. Auch ein Leben mit Demenz könne sehr lebenswert sein.

Mit humorvollen Zitaten von Demenzkranken warben die Teilnehmer für offene Begegnungen. "Ist denn schon heute?", hieß es unter anderem oder: "Ich hätte gern noch ein Stück Kuchen - aber ohne Kuchen". Den Abschluss der Kundgebung bildete ein Konfetti-Regen auf dem Rathausmarkt - mit anschließender Besenreinigung.



Kirchen

Bedford-Strohm kritisiert Budgets in der Pflege



Mit Blick auf die Versorgung alter und kranker Menschen hat der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, die Budgetierung in der Pflege kritisiert. Anstelle festgelegter Budgets müsse danach gefragt werden, was Menschen brauchen, um würdig gepflegt zu werden, sagte der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm am 6. April in München.

Der EKD-Ratsvorsitzende sprach sich für eine Kultur der Menschenwürde, Achtsamkeit und Nächstenliebe im Umgang mit Pflegebedürftigen aus. Es sei die Aufgabe der Gesellschaft, ein Sozial- und Rechtssystem sowie eine Sozialkultur zu erhalten, die den pflegebedürftigen Menschen das Gefühl gebe, "dass sie leben dürfen".

Bei der Veranstaltung zum Thema "Pflege in Würde" im bayerischen Landtag warnte der Bischof davor, Pflegebedürftige nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Menschen, die pflegebedürftig seien, dürften "nie das Gefühl entwickeln, dass sie deshalb, weil sie keinen ökonomischen Nutzen mehr haben, keinen Wert mehr haben".



Forschung

Intelligenter Fußboden soll Stürze erkennen



Forscher der Universität Siegen entwickeln einen intelligenten Fußboden, der Stürze im Alter verhindern soll. So soll Senioren ein langes selbstständiges Leben zu Hause ermöglicht werden, wie die Universität am 6. April erklärte. Im Fußboden integrierte Sensoren sollen Alarm schlagen, wenn ein Mensch stürzt. Grundlage ist ein in Frankreich patentiertes System, dass dort in Pflegeheimen bereits im Einsatz ist. Der Fußboden verständige Hilfe, wenn ein Mensch gestürzt ist und am Boden liegt. Siegener Wissenschaftler wollen in einem Forschungsprojekt "Cognitive Village" nun die Technik so weiterentwickeln, dass bereits am Gang erkannt wird, wenn ein Mensch sturzgefährdet ist.

Um das System im Alltag zu testen, wurde in Siegen nun eine erste Testwohnung mit dem "SensFloor" ausgestattet. Dieser ist drei Millimeter stark und wird als Trittschalldämmung direkt unter dem Bodenbelag verbaut. Er besteht aus vielen Feldern, die mit Sensoren ausgestattet sind und Schritte sowie Stürze erkennen. Bei Schwindel oder anderen körperlichen Beeinträchtigungen verändere sich der Schwerpunkt des Ganges. Das sollen die Sensoren erkennen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.



Sachsen

Programm unterstützt Beschäftigung Behinderter



In Sachsen werden Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung in einem neuen Programm mit insgesamt 1,85 Millionen Euro gefördert. Unterstützt würden Arbeitgeber, die junge Menschen mit Behinderungen ausbilden und Menschen mit Behinderungen mit besonderen Vermittlungsproblemen einstellen, erklärte die sächsische Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) am 5. April in Dresden. Das Arbeitsmarktprogramm der Bundesagentur für Arbeit Sachsen tritt zum 15. April in Kraft. Anträge können bei den Agenturen für Arbeit bis Ende November gestellt werden.

Mit dem Programm sollten Unternehmer motiviert werden, "die Potenziale von Menschen mit Behinderungen für ihre Unternehmen zu erschließen", hieß es. Gefördert würden 80 Ausbildungs- und 200 Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap mit einer Pauschale von jeweils 5.000 Euro. Weiterer Fördergegenstand seien bis zu fünf Projekte, die innovative Wege für Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen erschließen.

Gefördert werden dem Ministerium zufolge private Arbeitgeber mit Betriebssitz in Sachsen, die Menschen sozialversicherungspflichtig beschäftigen. Das Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis muss den Angaben zufolge bis zum 31. Dezember 2016 beginnen.



Gesundheit

Missbrauchsopfer fordern mehr Therapieplätze



Kinder und Erwachsene, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, beklagen, dass sie zu lange auf Psychotherapien warten müssen. Der Betroffenenrat beim Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung forderte am 6. April in Berlin mehr Anstrengungen für die gesundheitliche Versorgung der Menschen. Dazu zähle eine Erhöhung der Therapieplätze, eine Verlängerung der Therapien und Reformen in der Ausbildung von Medizinern und Sozialarbeitern.

Der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig unterstützte die Forderungen. Er erklärte, sie müssten bei der anstehenden Überarbeitung der Psychotherapie-Richtlinie berücksichtigt werden. Es gebe außerdem zu wenige spezialisierte Therapeuten. Viele der Betroffenen litten unter schweren Störungen wie Depressionen, Suizidgedanken, Essstörungen und darunter, dass sie die traumatischen Erlebnisse immer wieder einholen.



Prävention

Bistum stellt Experten gegen Missbrauch ein



Spezielle Fachkräfte sollen in den Einrichtungen des Bistums Münster den Schutz vor sexualisierter Gewalt stärken. Drei neu eingestellte Präventionsfachkräfte beraten seit Anfang des Monats in der Diözese flächendeckend Träger von katholischen Einrichtungen, wie das Bistum am 5. April mitteilte. Wer sich der Kirche anvertraue, müsse vor sexuell motivierter Gewalt sicher sein. Deshalb verpflichte das Bistum seine Einrichtungen, ein Schutzkonzept zu erstellen.

Die drei Expertinnen werden Pfarreien und weitere Träger katholischer Einrichtungen bei der Umsetzung solcher Konzepte unterstützen, hieß es weiter. Sie umfassen den Angaben nach eine systematische Aus- und Fortbildung sowie verlässliche Beschwerdewege und einen Verhaltenskodex.



Sozialethiker

"Panama Papers offenbaren erschütternde Dekadenz"




Gerhard Wegner
epd-bild / Andreas Schölzel

Die durch die "Panama Papers" enthüllten Steuer- und Geldwäschedelikte sind nach Ansicht des hannoverschen Sozialexperten Gerhard Wegner ein "erschütterndes Zeichen von Dekadenz". Die beteiligten Kunden verhielten sich, als hätten sie ein "Menschenrecht auf Habgier", sagte der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Sie reden nach wie vor von Verantwortung, aber das sind völlig hohle Phrasen."

Die Anlagen seien eine Folge von weltweit zunehmenden wirtschaftlichen Unsicherheiten aber auch der Angst vor Terrorismus, sagte Wegner. "Die Menschen haben das Gefühl, dass es keinen sicheren Ort mehr gibt, und wollen dann zumindest ihren Reichtum sichern."

Das Aufdecken der Geldgeschäfte werde zu einem enormen Glaubwürdigkeitsverlust in das System der Marktwirtschaft führen, mahnte Wegner. "Bisher sind die Menschen davon ausgegangen, dass der Kapitalismus sich bändigen lässt und die Menschen an der Spitze verantwortlich mit Macht umgehen." Die Enthüllungen zeigten hingegen, dass in vielen Gesellschaften das Recht auf Gier höher bewertet werde als das Recht auf Lebensunterhalt.

Dies sei allerdings kein neues gesellschaftliches Phänomen, betonte Wegner. Seit etwa 20 Jahren habe sich der Neoliberalismus mit Werbesprüchen wie "Geiz ist geil" durchgesetzt. Die einstigen Todsünden wie Gier und Geiz würden mittlerweile positiv bewertet. Egoismus sei zu einer Tugend geworden. "Diese Entwicklung ist sehr tief in der Gesellschaft verankert und nur schwer wieder zu ändern."

Zukünftig müsse der Staat den Finanzsektor noch stärker kontrollieren, forderte Wegner. "Die Regulierung der Banken muss deutlicher greifen als bisher." Sehr viel genauer müssten einzelne Produkte der Geldwirtschaft überprüft und genehmigungspflichtig werden.

Dass die Kirchen in diese Anlagegeschäfte verwickelt seien, halte er für unwahrscheinlich, ergänzte Wegner. Viele Kirchen hätten sehr strikte Anlageregeln. Zudem fordere die Kirche schon seit Jahren eine Trockenlegung der Steueroasen.

Das "Panama-Papers"-Projekt der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) gilt als bisher größte grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Enthüllungsjournalisten. Dem Münchner Blatt waren die geleakten 11,5 Millionen Dokumente über Briefkastenfirmen in dem mittelamerikanischen Staat als erste angeboten worden. In den Dokumenten tauchen die Namen von Unternehmern, Politikern, Sportlern, Waffenhändlern, Spionen und Betrügern auf - darunter Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin oder der isländische Premierminister Sigmundur Gunnlaugsson.




sozial-Branche

Gesundheit

Rollende Arztpraxis hilft Flüchtlingen




Die Notärztin Lisa Federle im mobilen Fahrdienst für Flüchtlinge.
epd-bild/DRK Tübingen
Der Arzt kommt ins Flüchtlingsheim: Mit diesem Fahrdienst übernimmt das Tübinger Rote Kreuz eine Vorreiterrolle. Angekurbelt hat das Projekt die regionale Präsidentin des DRK, Lisa Federle. Die Notärztin weiß aus Erfahrung, dass den Asylbewerbern besser geholfen werden muss.

Das Rote Kreuz in Tübingen hat mit seinem Fahrdienst in Flüchtlingsheime buchstäblich etwas ins Rollen gebracht. "Wir waren die Ersten, die den mobilen Fahrdienst gemacht haben", sagt Lisa Federle, Ärztin und Präsidentin des DRK-Kreisverbandes. Mitte Dezember startete das Angebot. Mit ausgelöst haben den medizinischen Fahrdienst auf Rädern negative Erlebnisse, die Federle als Notärztin machen musste.

Notdienst im Dauereinsatz

Permanent sei aus den Flüchtlingsunterkünften der Notdienst angerufen worden. "Das hat ein großes Potenzial verschlungen. Außerdem war den Hilfesuchenden unklar, dass nicht ein Hausarzt kommt, der sich um alles kümmert, sondern eine Überweisung ins Krankenhaus folgte. Solche Überweisungen sind viel teuer als ein Einsatz des mobilen Fahrdienstes."

Für die Medizinerin, die eine eigene Praxis hat, sprechen noch andere Kostengründe für das Projekt. "Ärzte müssten einen großen Aufwand betreiben, um Flüchtlinge betreuen zu können. Beispielsweise, indem sie Dolmetscher zur Verfügung stellen." Im Blick hatte Federle zudem ganz pragmatische Aspekte, etwa dass Flüchtlinge keine Ortskenntnisse besitzen und sich nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zurechtfinden.

"Der mobile Fahrdienst war mein erstes Spendenprojekt", sagt Federle. Ohne zu wissen, ob genügend Geld zusammenkommen wird, bestellte sie ein Campingmobil. Das gestaltete eine Ulmer Firma zum Selbstkostenpreis innerhalb von vier Wochen zur fahrenden Arztpraxis um. Auch Blutdruckmessgeräte, EKG, Babywaage und Liege sind darin enthalten.

Hohe Spendenbereitschaft

Die Spendenbereitschaft war höher als erwartet. Knapp das Dreifache des benötigten Betrags kam zusammen. Schauspieler Til Schweiger, das Modeunternehmen Marc Cain sowie Gore Verbinski, Regisseur des Films "Fluch der Karibik", konnte Federle für ihre Idee begeistern. Die Medikamente stammen von der Tübinger Universitätsklinik. "So muss ich keine Rezepte schreiben, und die Großpackungen sparen nochmals Kosten", sagt Federle. Für Medikamente, Wagen und Personalkosten kommt das Landratsamt auf.

Um die 50 Personen, vor allem Ärzte und Krankenschwestern, sind beim mobilen Fahrdienst im Einsatz. Dazu kommen Dolmetscher, etwa ein syrischer Medizinstudent im achten Semester. Ständig zur Verfügung stehen die Übersetzer nicht. "Dann heißt es, sich mit Händen und Füßen verständlich zu machen", erzählt Federle. Was für sie kein Problem ist, denn "als Notärztin bin ich oft in der gleichen Lage, weil ich da auch nicht mit Patienten sprechen kann". Grippe oder Halsschmerzen gehören zu den Behandlungen, die bei Flüchtlingen häufig anstehen. Krätze und Läuse kommen dazu.

Rund 25 Unterbringungsorte steuert das Mobil in Tübingen und Umgebung an. Schlangen von 20 bis 30 Personen bilden sich vor dem Wagen. Und die Medizinerin macht neue Erfahrungen: "Manche möchten, dass ich gleich die ganze Großpackung an Tabletten verteile. Das zeigt ihre Befürchtung, vielleicht irgendwann unterversorgt zu sein."

Körper mit Narben übersät

Ganz vorsichtig geht Federle mit stark traumatisierten Menschen um. "Ich habe Jesidinnen erlebt, deren ganzer Körper mit Narben übersät war. Diese Frauen haben Angst, sich berühren zu lassen." Nicht ganz einfach sei zudem das kulturell anders geprägte Zeitverständnis. "Ist 15 Uhr als Termin ausgemacht, dann ist mancher erstaunt, wenn er um 15.30 Uhr keinen Arzt mehr vorfindet."

Von Montag bis Freitag ist der mobile Fahrdienst im Einsatz. "Viele Leute bedanken sich", erzählt Federle. Zur Verfügung steht das Fahrzeug auch für weitere Orte. "Man kann den Wagen ausleihen", sagt die DRK-Chefin. Und sollte in ferner Zukunft kein Bedarf mehr für den mobilen Flüchtlingsdienst bestehen, "könnte das Fahrzeug genutzt werden, um dem Landarztmangel zu begegnen."

Birgit Vey


Telefonseelsorge

Einsamkeit kriecht durch den Hörer




Claudia Schulze am Telefon der Seelsorge.
epd-bild/Thomas Tjiang
Es ist ein anspruchsvolles Ehrenamt: Am Telefon fremden Menschen zuhören, wenn sie kleine oder sehr große Probleme haben. Allein die Nürnberger Telefonseelsorger erreichen im Jahr 17.500 Anrufe.

Moderne Kommunikation per Internet, Whatsapp und Facebook haben nichts verändert: Telefonseelsorge wird mehr denn je gebraucht. Das stellt Pfarrerin Birgit Dier fest, die seit 2011 die Telefonseelsorge der Stadtmission Nürnberg leitet. Obwohl die Menschen gerade in den sozialen Medien so viel wie nie schreiben oder sprechen: "Die Zahl der Anrufer lässt nicht nach - im Gegenteil", sagt sie.

Im vergangenen Jahr wurden bei der Nürnberger Stelle 17.500 Telefonate geführt, hinzu kommt noch das Vielfache vergeblicher Anrufversuche. Gefragt sind die "Profis am anderen Ende der Telefonleitung", also die 74 Ehrenamtlichen, die für die Stadtmission rund um die Uhr ihren Dienst leisten.

17.500 Telefonate im Jahr

Ihr Team ist bunt gemischt, entstammt unterschiedlichen beruflichen und privaten Hintergründen und deckt ein Altersspektrum von 35 bis 82 Jahre ab, sagt Dier. Das Angebot lebe von der Vielfalt, jeder Mitarbeiter wende sich mit seiner persönlichen Art den Sorgen der Anrufer zu, erklärt Dier.

Zu ihnen gehört Claudia Schulze, die sich seit über 30 Jahren regelmäßig um die Anliegen der Ratsuchenden kümmert. Sie fragt nach, versucht Gründe für Streit oder Frust herauszufinden oder rät in akuten Fällen, sich Hilfe, etwa bei Psychologen vor Ort zu holen.

Abgrenzung muss sein

In all den Jahren hat Schulze gelernt: "Ich kann reden und Hilfe anbieten, aber ich kann nicht die Verantwortung oder die Entscheidungen für einen Anrufer übernehmen." Sich persönlich abzugrenzen und nicht alle Sorgen der Klienten mit nach Hause zu nehmen, hat sie bereits in den intensiven Vorbereitungskursen gelernt. Schon dort wurde sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: "Man kann nicht immer helfen."

Pfarrerin Dier hält die einjährige Vorbereitung für die anspruchsvollste Ausbildung, die es im Ehrenamt gibt. Beim Telefonat fehlen anders als beim persönlichen Gespräch die körperlichen Signale wie Mimik oder Gestik des Gegenübers. Die Probleme, über die die Anrufer berichten, sind so vielfältig wie die Menschen selbst.

Mal beklagen sich junge Familien über viele Geschenke von Oma und Opa. Schulze hat gelernt, dass hinter solchen Gesprächen oft das Problem des knappen Geldes steht. Mal geht es aber auch richtig an die Substanz. Da hört sie von anonymen Anrufern einfach nur "ich habe keine Lust mehr zu leben" oder ein "ich wollte noch mit jemand sprechen, bis die Tabletten wirken". Viele Anrufer sind "chronisch psychisch krank", haben Therapien und Klinikaufenthalte hinter sich und wissen nicht mehr wohin.

Jeder fünfte hat Beziehungsprobleme

Dier war früher selbst in der Gemeindeseelsorge aktiv und ist heute nur noch zur Begleitung der Mitarbeiter mit am Telefon dabei. Aber sie kennt die Gespräche, bei denen die Einsamkeit durch den Hörer kriecht. Fast jeder dritte Anrufer leide an Depression, Ängsten oder anderen psychischen Erkrankungen. Jeder fünfte hat Beziehungsprobleme mit Lebenspartner, in der Familie oder in anderen Alltagsbeziehungen.

Mehrheitlich rufen Frauen an, das Alter der Menschen, die die Telefonseelsorge einmalig oder gar regelmäßig nutzen, liegt zwischen 30 und 70 Jahren. Anders als die häufig "oberflächliche Kommunikation" in Chats oder anderen virtuellen Räumen hört bei der Telefonseelsorge "ein Mensch zu, versucht Auswege zu finden oder hält das Leid am Telefon einfach nur mit aus".

Thomas Tijang


Flüchtlinge

Diakonie und Caritas warnen vor Abschiebehaft



Diakonie und Caritas haben die drastisch zunehmende Zahl der Inhaftierten im Ingelheimer Abschiebegefängnis beklagt. Nach wie vor werde Abschiebehaft in vielen Fällen rechtswidrig angeordnet, teilten die kirchlichen Wohlfahrtsverbände am 5. April in einer gemeinsamen Erklärung mit. Es sei zu befürchten, dass Abschiebegefängnisse als Abschreckungsinstrument künftig häufiger genutzt würden.

Ein von den Caritas- und Diakonieverbänden in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg finanzierter Rechtshilfefonds trug den Angaben zufolge dazu bei, dass in 15 von 39 betreuten Fällen die Haftentlassung der Betroffenen durchgesetzt werden konnte. Bei weiteren sechs Personen hätten Gerichte nachträglich die Rechtswidrigkeit der Haft festgestellt, nachdem die Ausländer bereits abgeschoben worden waren.

Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Wolfgang Gern, beklagte, mit dem Verzicht auf die komplette Abschaffung der Abschiebehaft sei eine "historische Chance" vertan worden. "Wir wissen, dass Abschiebungshaft krank macht und extrem teuer ist", sagte er. "Außerdem stellen wir grundsätzlich infrage, dass Menschen eingesperrt werden, die bei uns Schutz suchen."

Das ursprünglich für die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland gebaute Abschiebegefängnis in Ingelheim sollte nach den Plänen der rot-grünen Landesregierung eigentlich komplett geschlossen werden. Stattdessen wurden letztlich lediglich die Haftbedingungen verbessert und die Anzahl der Haftplätze reduziert.

Während die "Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige" in früheren Jahren zeitweise so gut wie ungenutzt blieb, stieg die Zahl der Inhaftierten seit 2013 wieder deutlich an. Wurden im gesamten Jahr 2013 noch weniger als 100 Inhaftierungen in Ingelheim registriert, stieg die Zahl 2014 auf 164 und 2015 auf 230 an. Anfang 2016 wurden zeitweise wieder mehr als 30 Personen aus dem gesamten südwestdeutschen Raum gleichzeitig in dem Gefängnis festgehalten. Auch Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg nutzten die Einrichtung wegen fehlender eigener Kapazitäten.



Baden-Württemberg

Caritas dringt auf Gesundheitskarte für Flüchtlinge



Die Caritas in Baden-Württemberg hat die künftigen Regierungsparteien des Landes dazu aufgerufen, Flüchtlinge im Südwesten mit einer Gesundheitskarte auszustatten. Das sei kostengünstiger und entlaste die Behörden, heißt es in einer am 6. April verbreiteten Mitteilung der Verbände der Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg. Mit der Gesundheitskarte könnten Asylbewerber direkt einen Arzt aufsuchen und müssten sich nicht vorher bei der Kommune einen Behandlungsschein besorgen.

Die Caritas erinnert daran, dass die Einführung dieser Karte bereits für Ende 2015 vorgesehen gewesen sei, die Entscheidung dann aber auf unbestimmte Zeit wegen technischer und formaler Schwierigkeiten ausgesetzt wurde. In Bremen sei die Karte 2005 erstmals eingeführt worden, laut einer Studie der Universität Heidelberg fallen bei diesem Verfahren 40 Prozent weniger Kosten an.

Außerdem entschieden mit der Gesundheitskarte Ärzte über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung und nicht die Kommunen, betont die Caritas. "Hier geht es nicht um Geschenke an Asylbewerber, sondern um eine menschenwürdige ärztliche Versorgung", heißt es in der Mitteilung. (0831/06.04.2016)



Rechtsextremismus

Diakonie für starke Polizei



Im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und rechtsextremistischen Tendenzen in der Gesellschaft fordert die Diakonie eine Stärkung der Polizei. Eine zivil geführte Debatte über Flüchtlinge und ihre Integration könne es nur geben, wenn ein sicherer Rahmen gesteckt und das Gewaltmonopol des Staates gesichert seien, sagte der Politologe Henning Flad am 5. April in Bremen.

Bei einem Fachtag der Diakonie Deutschland zu Rechtspopulismus und Stammtischparolen warnte der Experte, das Schüren von Unsicherheiten etwa nach den Vorfällen in Köln gehöre zu den wichtigsten Argumentationslinien rechtspopulistischer Vordenker.

Deutschland erlebt Flad zufolge derzeit die schlimmste rassistische Gewaltwelle seit Anfang der 1990er Jahre. Bei Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte sei die Aufklärungsquote zudem "unbefriedigend", kritisierte der Leiter des Projektes "Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus" bei der Diakonie. Das hänge einerseits mit einer Überlastung der Polizei zusammen. Andererseits würden die Ermittlungen erschwert, weil die Anschläge in der Regel nicht von einschlägig bekannten Neonazis verübt würden, sondern von unauffälligen Ersttätern.

Die neue rechte Bewegung, zu der Flad auch Vertreter der AfD und der sogenannten "Identitären Bewegung" zählt, sei erfolgreich, weil sie an Mehrheitsmeinungen in der Bevölkerung anknüpfe. Dazu gehört nach einer Allensbach-Umfrage beispielsweise die Überzeugung einer Mehrheit der Bevölkerung, dass die Politik mit der großen Zahl der Flüchtlinge im vergangenen Jahr die Kontrolle darüber verloren hat, wer nach Deutschland kommt. "Sie sind stark, weil sie gerade nicht Neonazis sind und intelligenter argumentieren als das Neonazi-Geblöke", betonte Flad.

Die neuen Rechten profitierten von weit verbreiteten rassistischen Ressentiments gegen Flüchtlinge, die sie als Invasoren bezeichneten. Doch falsch sei es, darauf mit einer Rhetorik zu reagieren, die Rechtspopulisten als "Pack" und "Rattenfänger" bezeichne: "Das ist ein Zeichen von Schwäche und Panik-Stimmung."

Auf die Frage, ob gerade Kirchenmitglieder menschenfeindlich eingestellt sind, gibt es nach Angaben der Soziologin Hilke Rebenstorf keine einfache Antwort. Religion könne Vorurteile befördern, sie könne aber auch davor schützen, sagte die Expertin des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Umfragen zeigten, dass die Konfessionszugehörigkeit wohl eine Rolle bei der Haltung zur Homosexualität spiele, nicht aber in der Einstellung gegenüber Ausländern. Im Sommer sollen die Ergebnisse einer vertiefenden Studie zum Thema präsentiert werden.



Obdachlose

Arbeit

"BrotRetter"-Laden mit "Hinz&Künztlern" gegründet



Die norddeutsche Bäckereikette "Junge" hat am 31. März gemeinsam mit dem Straßenmagazin "Hinz&Kunzt" in Hamburg einen "BrotRetter"-Laden eröffnet. In dem neuen Geschäft erhalten ehemals Obdachlose eine Chance im ersten Arbeitsmarkt. Sie sortieren und verkaufen Brot und Backwaren vom Vortag zu einem günstigeren Ladenpreis, wie "Hinz&Kunzt" mitteilte.

Bislang seien nicht verkaufte Backwaren an den Stammsitz der Bäckerei in Lübeck zurückgegangen, sagte "Junge"-Geschäftsführer Tobias Schulz. Von dort aus habe man Tafeln versorgt. Ein Teil des Brotes sei auch als Tierfutter verwendet worden. Mit dem "BrotRetter"-Laden verhelfe man jetzt ehemals Obdachlosen, ins Berufsleben zurückzukehren.

Der Laden verfügt über ein Café mit 28 Sitzplätzen. Zum Sortiment gehören Brote, Brötchen, Snacks, Kuchen und Kaffee. Beschäftigt werden fünf "Hinz&Künztler", drei als Verkäufer und zwei als Fahrer in Teilzeit. Öffnungszeiten: 8 Uhr bis "solange der Vorrat reicht". Gewinne am Jahresende sollen in voller Höhe dem Hamburger Straßenmagazin zugutekommen.



Sozialbeiträge

Familienbund reicht Verfassungsbeschwerde ein



Der Familienbund der Katholiken hat beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die Benachteiligung von Familien bei Sozialversicherungsabgaben eingelegt. Ziel der Beschwerde sei eine Beitragsentlastung für Familien mit Kindern, teilte der Familienbund am 1. April mit.

Die Entlastung soll an die Zahl der in der Familie lebenden Kinder gebunden sein und unabhängig sein von der Höhe des Einkommens. Die angestrebte Änderung soll für die Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung gelten.

In einer Modellrechnung geht der Familienbund von einer Entlastung von Familien um etwa 240 Euro im Monat pro Kind aus, wenn ein Freibetrag von etwa 8.000 Euro pro Kind eingeführt würde. Der Familienbund verweist dabei auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2001, damals zur Pflegeversicherung, dass der durch Erziehung von Kindern erbrachte Beitrag in der Sozialversicherung berücksichtigt werden muss. In der Pflegeversicherung zahlen kinderlose Mitglieder seit 2005 zusätzlich zum allgemeinen Beitragssatz einen Zuschlag von 0,25 Prozent.



Diakonie Hessen

Neue Ausschreibung der Schuldnerberatung gefordert



Die Diakonie Hessen fordert eine erneute Ausschreibung der Schuldnerberatung im Wetteraukreis. "Nur wenn dies geschieht, verhält sich der Kreis rechtmäßig", sagte der Diakonie-Vorstand Wilfried Knapp am 1. April in Frankfurt. Der Wetteraukreis hatte Anfang 2015 die Schuldnerberatung an zwei neue Anbieter vergeben, nachdem zuvor jahrelang Diakonie und Caritas die Beratung angeboten hatten.

Knapp berief sich bei seiner Forderung auf einen Beschluss der Vergabekammer Hessen. Die Kammer, die den am Ausschreibungsverfahren öffentlicher Aufträge teilnehmenden Unternehmen Rechtsschutz gewähren soll, habe bereits zum zweiten Mal die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens geprüft. Die Diakonie Hessen und die Caritas Mainz hatten eine Verletzung ihrer Rechte geltend gemacht und dies der Kammer vorgelegt. Sowohl bei einer Prüfung im Juni 2015 als auch im Februar 2016 habe die Vergabekammer festgestellt, "dass die Auswahlentscheidung des Kreises gegen gesetzliche Bestimmungen über die Vergabeverfahren verstößt", teilte die Diakonie weiter mit.

"Die Diakonie kritisiert nun keinesfalls die Tatsache, dass ein anderer Anbieter ausgewählt worden ist", sagte Knapp. Allerdings seien bei der vom Kreis vorgenommenen Auswahl Kriterien berücksichtigt worden, die in den Ausschreibungsunterlagen vorab nicht genannt waren. Ein Sprecher des Wetteraukreises hatte Ende 2014 dem Evangelischen Pressedienst (epd) gesagt, dass die beiden neuen Anbieter kostengünstiger seien. Ausschlaggebend bei der Vergabe sei jedoch vor allem die Qualität der Angebote gewesen.



Rheinland-Pfalz

Pflegeanbieter stellen Forderungen an künftige Regierung



Die Vorgaben zum Einsatz von Fachkräften in den rheinland-pfälzischen Pflegeeinrichtungen sollen nach dem Willen der Pflegeheimbetreiber gelockert werden. Statt strikter Quoten müsse es mehr flexible Lösungen geben, forderte der Vorstand der rheinland-pfälzischen Pflegegesellschaft am 4. April in Mainz. Die Belange von pflegebedürftigen Menschen und Mitarbeitern müssten mit der Realität in Einklang gebracht werden. "Für uns ist wichtig, dass wir die nötigen helfenden Hände in der Einrichtung haben", sagte der Vorstands-Co-Vorsitzende Dieter Hewener.

Von der künftigen Landesregierung erwartet der von Wohlfahrtsverbänden und privaten Pflegeunternehmen gegründete Interessensverband außerdem eine Kampagne zum Ausbau der Sterbebegleitung. Das Land müsse in den nächsten fünf Jahren die entsprechende Weiterbildung von mindestens 100 Pflegefachkräften finanzieren, damit sterbende Menschen umfassender betreut werden könnten. Ebenso müsse das Land die konzeptionelle Weiterentwicklung stationärer Einrichtungen jenseits von befristeten Modellprojekten erleichtern. Stationäre Angebote blieben trotz des Ausbaus ambulanter Hilfen auch künftig unverzichtbar, sagte Hewener.

Nach Angaben der Pflegegesellschaft herrscht in den Einrichtungen und Pflegediensten nach wie vor ein großer Fachkräftemangel. Einer Prognose des Landes zufolge soll die Zahl der fehlenden Stellen allein in der Altenpflege bis 2025 auf mehr als 4.500 ansteigen. Bei Versuchen, verstärkt Mitarbeiter aus dem Ausland anzuwerben, hätten mangelnde Sprachkenntnisse Probleme bereitet. Eine einfache, allumfassende Lösung für den Mitarbeitermangel gebe es nicht, sagte Hewener. Vor allem dürfe die Politik nicht gestiegene Personalkosten in der Pflege allein auf die Träger abwälzen.

Die rheinland-pfälzische Pflegegesellschaft ist eine 2010 gegründete Interessensvereinigung der Anbieter stationärer und ambulanter Pflegedienstleistungen. Dem Netzwerk gehören Wohlfahrtsverbände wie Diakonie und Caritas und der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste an.



Diakonie

Neuer Studiengang soll psychiatrische Hilfen verbessern



Die Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld-Bethel startet im Herbst einen neuen Studiengang zur Erforschung und Behandlung von psychischen Krankheiten. Schwerpunkt des Master-Studiengangs "Community Mental Health" sei die psychiatrische Versorgung in der Gemeinde, erklärte die Fachhochschule am 1. Arbeit. Der berufsbegleitende Master-Studiengang sei bundesweit der erste auf diesem Gebiet.

Weil psychische Erkrankungen an Bedeutung gewinnen, würden auch Versorgungskonzepte wichtiger, die die direkte Lebensumwelt und das soziale Umfeld der Menschen berücksichtigen, erklärte der Pflegewissenschaftler Michael Schulz. Viele Menschen, die von psychiatrischem Wissen profitieren könnten, würden bislang nicht erreicht. So müssten zum Beispiel für wohnungslose Menschen mit psychischen Erkrankungen oder traumatisierte Flüchtlinge niedrigschwellige Angebote entwickelt werden.

Das Studium vertiefe Kenntnisse zu psychischen Erkrankungen und wissenschaftlichen Methoden, hieß es. Voraussetzung für das Studium ist unter anderem ein abgeschlossenes Hochschulstudium auf Bachelorniveau im Bereich Pflege, Psychische Gesundheit, Heilpädagogik, Mentoring oder Medizin. Der Studiengang dauert drei Jahre.

Die Fachhochschule der Diakonie wird von 14 Gesellschaftern getragen. Hauptgesellschafter ist die Stiftung Nazareth der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel.



Neuordnung

Drei Caritasverbände wollen mehr kooperieren



Die drei Caritasverbände in Bottrop, Gelsenkirchen und Gladbeck planen, künftig enger zusammenzuarbeiten. Auch ein Zusammenschluss sei denkbar, heißt es in einer Mitteilung vom 5. April. Ziel sei es, durch die Kooperation "Angebote und Arbeitsplätze vor Ort langfristig zu erhalten".

Eine endgültige Entscheidung, ob diese Zusammenarbeit auch in einem Zusammenschluss der Verbände münden werde, stehe noch aus, sagte der Gelsenkirchener Caritasdirektor Peter Spannenkrebs: "Wir prüfen derzeit, wie wir Synergien nutzen können."

Andreas Trynogga, Direktor der Bottroper Caritas, betonte zudem, dass ein Zusammenschluss "nicht von wirtschaftlichen Zwängen getrieben werde". Im Falle einer Fusion solle es daher auch zu keinem Stellenabbau kommen.

Hintergrund der engeren Zusammenarbeit ist die Überzeugung, dass die Caritas in einer besonderen Verantwortungsposition steht. "Wir müssen alles dafür tun, unserem christlichen Auftrag zu folgen, und den Menschen, die vor Ort Unterstützung benötigen oder benachteiligt sind, zu helfen", sagte Spannenkrebs.

Dazu müssten alle drei Ortscaritasverbände auch die nächsten Jahrzehnte noch besser wirtschaften. Die Ressourcen würden knapper. Gründe dafür seien der demografische Wandel, wegfallende Fördergelder und neue Herausforderungen. Eine enge Kooperation könne helfen, diesen Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.



Niedersachsen

Medizinische Versorgungszentren der Diakonie insolvent



Die dezentralen medizinischen Versorgungszentren des Agaplesion Diakonie-Klinikums in Rotenburg bei Bremen sind insolvent. Davon sind laut Diakonie an den Standorten in Rotenburg, Sittensen, Zeven, Hoya und Verden 40 Mitarbeiter betroffen, wie die Klinik am 30. März mitteilte. Der Grund für die wirtschaftliche Schieflage sei vor allem der Ärztemangel im ländlichen Raum. "Dadurch konnten über längere Zeiträume die freien Arztstellen in den Praxen nicht besetzt werden", heißt es in der Stellungnahme. Die Insolvenz wurde den Angaben zufolge am 24. März beim zuständigen Amtsgericht in Walsrode beantragt.

Die Zentren werden durch eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Diakonieklinikums betrieben, Defizite wurden bisher vom Mutterunternehmen aufgefangen. "Die wirtschaftliche Situation lässt Krankenhäusern keinen Spielraum, so dass unser Klinikum die Subventionierung nicht länger leisten kann", erklärte Geschäftsführer Rainer Werther.

Die Geschäfte der "MVZ Diako Rotenburg gGmbH" führt ab sofort ein vom Gericht eingesetzter Insolvenzverwalter. Sein Ziel sei es, die Gesellschaft zu sanieren. Im April will das Diakonie-Klinikum einen Runden Tisch initiieren, um Strategien zur Ansiedlung von Hausärzten in der Region zu diskutieren.

In den medizinischen Versorgungszentren des Diakonie-Klinikums haben sich Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen zusammengeschlossen. Sie arbeiten eng mit niedergelassenen Hausärzten in der Region, weiteren Fachärzten sowie dem Klinikum zusammen. Die Versorgungszentren haben somit auch eine Portalfunktion für das evangelische Krankenhaus.




sozial-Recht

Bundesverwaltungsgericht

Schmerzpatient darf Cannabis anbauen




Bundesverwaltungsgericht erlaubt Anbau von Cannabis in der Wohnung.
epd-bild/Jens Schulze
Der private Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken ist erstmals erlaubt worden. Weil es für ihn keine Alternative gibt, darf ein Multiple-Sklerose-Patient die Pflanzen in seiner Wohnung züchten.

Schwer kranken Patienten ist erstmals die Möglichkeit zum eigenen Anbau von Cannabis eröffnet worden. In einem wegweisenden Urteil verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 6. April das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, einem an Multipler Sklerose leidenden Mann eine Ausnahmegenehmigung für den Anbau und die Ernte der Pflanzen zu erteilen. Bislang war in solchen Fällen noch nie eine Erlaubnis erteilt worden.

Drei Gramm Cannabis am Tag

Das Gericht erkannte an, dass es für den Mann schlichtweg keine Alternative zum Eigenanbau gibt. Der 52-Jährige leidet seit rund 30 Jahren an Multipler Sklerose und konsumiert zur Linderung der Symptome regelmäßig Cannabis - zwischen drei und vier Gramm pro Tag. Damit lassen sich für den Patienten vor allem Störungen des Gleichgewichtssinns und der Motorik besser bewältigen. Aber auch psychische Auswirkungen seiner mittlerweile chronischen Krankheit werden durch den Konsum des Rauschmittels gemildert.

Aus Sicht seiner Ärzte gibt es für den Patienten keine alternative Therapie. Auch ein anderes Medikament auf Cannabisbasis, für das die Krankenkasse die Kosten in Höhe von knapp 500 Euro pro Monat übernehmen würde, stellte sich als deutlich weniger wirkungsvoll heraus.

Mittlerweile hat der Kläger sogar eine Erlaubnis, sich Medizinalhanf in der Apotheke zu besorgen. Doch dort kostet ein Gramm etwa 15 Euro, jeden Monat wären das bei seinem Konsum mindestens 1.500 Euro - was sich der schwer kranke und erwerbsunfähige Mann nicht leisten kann. Die Krankenkasse lehnte eine Kostenübernahme mehrfach ab.

"Gerechtfertigter Notstand"

Seit Jahren baut der 52-Jährige daher in seinem heimischen Badezimmer selbst Cannabis an - zunächst in der Dusche, mittlerweile in einem eigens dafür angefertigten Schrank. Juristisch belangt wird er dafür nicht. Es liege ein "gerechtfertigter Notstand" vor, urteilte bereits im Jahr 2005 das Amtsgericht in Mannheim.

Eine offizielle Erlaubnis für den Eigenanbau wurde ihm aber - wie auch in vergleichbaren Fällen - vom Bundesinstitut verweigert. Die Behörde sorgte sich unter anderem um die Qualität der selbst hergestellten Arzneimittel und den möglichen Missbrauch des Rauschmittels. Auch stellte sich das Bundesinstitut die Frage, ob der Anbau und der Konsum ärztlich ausreichend kontrolliert ist. Die Leipziger Richter folgten dieser Argumentation nicht. Das Bundesinstitut darf nun lediglich Nebenbestimmungen zur Erteilung der Anbaugenehmigung noch erlassen.

Politisch fällt die Gerichtsentscheidung in eine Umbruchphase: Erst im Januar hatte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) einen Entwurf für eine Gesetzesänderung vorgelegt. Diese zielt darauf ab, dass künftig die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für den Medizinalhanf übernehmen sollen. Schmerzpatienten wie der 52-Jährige könnten so auf den Eigenanbau aus finanziellen Gründen verzichten. Den will die Politik offensichtlich unbedingt verhindern. Im Entwurf für das Gesetz heißt es, ein Eigenanbau sei keine Alternative und komme aus "gesundheits- und ordnungspolitischer Sicht" nicht infrage.

Mit der Neuregelung könnten die Patienten sich den Cannabis direkt vom Arzt verschreiben lassen und bräuchten keine zusätzliche Genehmigung durch das Bundesinstitut. Noch steht aber nicht fest, wie die Gesetzesänderung im Detail aussehen wird. Die Neuregelung könnte frühestens im Jahr 2019 wirksam werden.

Az.: BVerwG 3 C 10.14

Luise Poschmann


Landessozialgericht

Volle Erwerbsminderung bei starker Sehbehinderung



Arbeitnehmer, die wegen eines eingeschränkten Sehvermögens die üblichen Wege zur Arbeit nur noch unter Gefahr zurücklegen, sind erwerbsgemindert. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in einem am 31. März veröffentlichten Urteil klargestellt. Es sprach damit einem Erzieher eine volle Erwerbsminderungsrente zu.

Der Mann bezog nach langer Arbeitsunfähigkeit ab 25. Oktober 2011 Arbeitslosengeld. Einen Monat erlitt er eine Sehstörung an beiden Augen. Dies war mit einem Gesichtsfeldausfall verbunden. Er beantragte daraufhin die volle Erwerbsminderungsrente, die allerdings die Rentenversicherung erst ab dem 1. Januar 2013 bewilligte. Er hätte vorher noch als Poststellenmitarbeiter arbeiten können, war ihre Begründung.

Der Erzieher könne laut Sachverständigengutachten seit seinem eingeschränkten Sehvermögen die üblichen alltäglichen Wegstrecken aber nur noch unter besonderer Gefahr zurücklegen, betonte das LSG. Daher stehe ihm bereits ab Dezember 2011 und nicht später die volle Erwerbsminderungsrente zu.

Der Kläger sei nicht in der Lage, ohne Gefahr zur Arbeit zu gehen. Zur sicheren Teilnahme am Straßenverkehr sei er auf eine Begleitperson angewiesen.

Az.: L 13 R 2903/14



Oberlandesgericht

Keine Zwangsmedikation in U-Haft



Einem Inhaftierten in Untersuchungshaft dürfen nicht unter Zwang Medikamente verabreicht werden. Im nordrhein-westfälischen Gesetz zum Untersuchungshaftvollzug gebe es für eine Zwangsmedikation keine Rechtsgrundlage, erklärte das Oberlandesgericht für Nordrhein-Westfalen in einem am 31. März in Hamm veröffentlichten Urteil. Die medizinische Behandlung eines Untersuchungsgefangenen gegen seinen Willen sei ein besonders schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte, erklärte das Gericht. Nach Urteilen des Bundesverfassungsgerichts könne die Medikation nur auf einer gesetzlichen Grundlage erfolgen, die in NRW aber fehle.

Ein Mann, der wegen Totschlags in Untersuchungshaft sitzt, wurde den Angaben nach in einem vierwöchigen Aufenthalt auf der psychiatrischen Abteilung im Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg behandelt. Der Krankenhausleiter beantragte eine richterliche Anordnung zur Zwangsmedikation. Der Mann leide unter einer Psychose und sei akut aggressiv, begründete er den Antrag. Nach einer Verabreichung von Psychopharmaka, die zur Bekämpfung von Wahnvorstellungen eingesetzt werden, sei der Untersuchungsgefangene deutlich zugänglicher. Nachdem der Patient anfangs mit der Behandlung einverstanden war, lehnte er sie später ab.

Die Richter erklärten, um eine Zwangsmedikation durchzuführen, müsse das entsprechende Landesgesetz angepasst werden. Die Verabreichung von Medikamenten gegen den Willen können auch nicht mit einer notwendigen Gefahrenabwehr begründet werden. Das Urteil bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Arnsberg und ist rechtskräftig.

Az.: 5 Ws 88/16



Landesarbeitsgericht

Lohnzahlung: Schadenersatz bei Verzögerungen




Arbeiter erhalten für zu späte Lohnzahlungen Schadenersatz.
epd-bild / Stephan Wallocha
Wenn Arbeitgeber nicht pünktlich den Lohn zahlen, müssen sie für mögliche Folgen Schadenersatz leisten. Dies hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz in einem am 19. Februar veröffentlichten Urteil entschieden.

Das Gericht sprach damit einem Hilfsarbeiter über 76.000 Euro Schadenersatz wegen der Zwangsversteigerung seines Hauses zu. Der Mann arbeitete im Baugewerbe. Seinem Arbeitgeber ging es wirtschaftlich nicht sehr gut. In der Folge wurde von Juni 2012 bis Januar 2013 der Lohn des Mannes nicht pünktlich in voller Höhe gezahlt.

Dies blieb für den Hilfsarbeiter und seiner Frau nicht folgenlos. Das Paar verfügte über ein kreditfinanziertes Eigenheim. Wegen der unregelmäßigen Lohnzahlungen konnte das Paar die Raten bei ihrer Sparkasse trotz mehrerer Mahnungen zunächst mehrfach nicht pünktlich und im Januar 2013 gar nicht begleichen. Die Sparkasse forderte daraufhin das gesamte Darlehen zurück und leitete die Zwangsversteigerung ein.

Verlust von 76.000 Euro

Das mit einem Verkehrswert in Höhe von 140.000 Euro geschätzte Haus brachte bei der Versteigerung aber nur etwas die Hälfte ein. Das Minus von mehr als 76.000 Euro machte der Hilfsarbeiter nun bei seinem Arbeitgeber als Schadenersatz geltend. Hätte dieser den Lohn pünktlich bezahlt, wäre es nicht zur Zwangsversteigerung gekommen.

Der Arbeitgeber lehnte ab und verwies auf die schwierige finanzielle Lage des Unternehmens. Der Beschäftigte habe davon gewusst und hätte sich darauf einstellen müssen.

Das LAG sprach dem Arbeitnehmer Schadenersatz in Höhe von über 76.000 Euro zu. Nach dem Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe hätte der Arbeitgeber den Dezember-Lohn spätestens am 15. Januar 2013 zahlen müssen. Dem sei er nicht nachgekommen.

Letztlich habe der Arbeitgeber sich mit 1.300 Euro in Schuldnerverzug befunden. Eine Mahnung habe der Arbeitnehmer nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht aussprechen müssen. Der Arbeitgeber habe die Geldschuld zu vertreten, so dass er auch für den aufgrund des Zahlungsverzugs entstandenen Schaden aufkommen müsse.

Der Kläger sei auch nicht verpflichtet gewesen, die Finanzierung des Hauses so zu gestalten, dass allein die Ehefrau im Falle eines Lohnausfalls für die Bedienung des Darlehens einspringt. Vielmehr schulde der Arbeitgeber die pünktliche Zahlung des von seinem Arbeitnehmer verdienten Lohns. Darauf habe sich dieser verlassen und die Finanzierung danach ausrichten dürfen, urteilten die Mainzer Richter.

Az.: 2 Sa 555/14

Frank Leth


Sozialgericht

Eingliederungsvereinbarung muss genau formuliert sein



Eingliederungsvereinbarungen der Jobcenter dürfen nicht widersprüchlich sein. Verlangt die Behörde bei einem Hartz-IV-Aufstocker mit gleicher Priorität einerseits den Ausbau der bestehenden selbstständigen Tätigkeit und andererseits auch das Bemühen um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, ist dies nicht zulässig, entschied das Sozialgericht Berlin in einem Beschluss vom 17. März. Die Berliner Richter ordneten damit die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen einen Jobcenter-Bescheid an.

Konkret wurde von einer Hartz-IV-Aufstockerin gefordert, dass diese ihre selbstständige Tätigkeit mehr ausbaut und mittelfristig den Gewinn steigert. Außerdem sollte sie sich um eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bemühen und monatlich mindestens zehn Bewerbungen schreiben.

Mit dieser widersprüchlichen Anweisung, so das Sozialgericht, könne die Situation entstehen, dass für die Selbstständigkeit Investitionen getätigt werden, diese bei einer erfolgreichen Bewerbung um einen sozialversicherungspflichtigen Job dann unnötig sind. Die Hartz-IV-Bezieherin müsse sich aber mit der Eingliederungsvereinbarung auf ein bestimmtes, von ihr erwartetes Verhalten einstellen können.

Az.: S 75 AS 3600/16 ER



Oberlandesgericht

Häftling muss sich warm waschen können



Ein Strafgefangener hat zwar keinen Anspruch auf eine tägliche Dusche, er muss sich aber mehrmals in der Wochen mit warmem Wasser waschen können. Ein Gefangener müsse die Möglichkeit haben, mindestens viermal wöchentlich die Körperhygiene mit warmem Wasser zu erledigen, entschied das Oberlandesgericht Hamm in einem am 6. April veröffentlichten Urteil.

Eine Waschmöglichkeit allein mit kaltem Wasser ist laut Gericht nicht ausreichend. Einen Anspruch darauf, täglich warm zu duschen, habe ein Gefangener hingegen nicht, solange er nicht körperlich arbeitet oder Sport treibt.

Das Gericht gab damit in einem konkreten Fall einem 37-jährigem Gefangen aus der Justizvollzugsanstalt Bochum zum Teil Recht. Der Mann hatte verlangt, einmal täglich warm zu duschen. Die Justizvollzugsanstalt hatte das abgelehnt. Sie verwies darauf, dass er wöchentlich mindestens zweimal duschen könne. Zudem stehe ihm in seinem Haftraum ein Waschbecken mit kaltem Wasser zur Verfügung. Das Landgericht Bochum hatte daraufhin den Antrag des Mannes abgelehnt.

Das Oberlandesgericht änderte die Entscheidung jedoch: Zwar habe der Gefangene regulär keinen Anspruch darauf, täglich warm zu duschen, wenn es eine andere Möglichkeit gebe, sich normal zu waschen, heißt es in dem rechtskräftigen Urteil. Nach dem Strafvollzugsgesetz soll ein Gefangener die Möglichkeit haben, das Leben im Vollzug soweit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen anzugleichen. Dieser Grundsatz sei jedoch nur dann erfüllt, wenn der Gefangene Körperhygiene überwiegend mit warmen Wasser vornehmen könne. Wenn es nur kaltes Wasser gebe, bestehe besonders in der kalten Jahreszeit die Gefahr, dass die Körperhygiene vernachlässigt wird.

Az.: 1 Vollz (Ws) 529/15



Amtsgericht

Umgang mit Kind kann zwangsweise durchgesetzt werden



Der Umgang eines Kindes mit seinem Vater kann mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. So darf etwa die Polizei die Wohnung einer alleinerziehenden Mutter aufbrechen, um dem Kind den Umgang mit seinem Vater zu ermöglichen, stellte das Amtsgericht München in einem am 1. April bekanntgegebenen Beschluss klar.

Im Rechtsstreit ging es um einen siebenjährigen Jungen, der bei seiner Mutter in München lebt. Nach einer vor dem Oberlandesgericht (OLG) München getroffenen Vereinbarung sollte das Kind alle zwei Wochen den getrennt lebenden Vater besuchen können. Das Kind hatte in dem Verfahren erklärt, gerne seinen Vater besuchen zu wollen.

Doch das machte die Mutter nur zweimal mit. Danach schob sie mehrere Erkrankungen des Kindes und eine Feier vor, um den Umgang des Kindes mit seinem Vater zu verhindern. Einen Tag Ordnungshaft für die Mutter änderte ihr Verhalten nicht.

Das Amtsgericht ordnete schließlich die zwangsweise Durchsetzung des Umgangsrechts an. Polizei und Umgangspfleger ließen so zweimal die Tür bei der Mutter aufbrechen, ohne diese oder das Kind aber anzutreffen. Die Maßnahmen zeigten dennoch Wirkung. Nach einem erneuten richterlichen Umgangsbeschluss kann der Vater nun einmal in der Woche seinen Sohn sehen.



Oberlandesgericht

Fahrlässige Tötung: Freispruch für Jugendamtsmitarbeiter



Ein Leipziger Jugendamtsmitarbeiter ist auch in zweiter Instanz von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden. Ihm wurde vorgeworfen, im Juni 2012 in Leipzig fahrlässig den Tod eines zweijährigen Jungen mitverschuldet zu haben. Das Oberlandesgericht Dresden habe nach mündlicher Verhandlung die Revision der Staatsanwaltschaft gegen den Freispruch in erster Instanz als unbegründet verworfen, teilte das Gericht am 1. April in Dresden mit. Der Freispruch sei damit rechtskräftig.

Der Angeklagte, ein früherer Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) beim Leipziger Jugendamt, war bereits im August 2015 vom Landgericht Leipzig vom Tötungs-Vorwurf freigesprochen worden. Der Junge war neben seiner Mutter verdurstet, als diese unbemerkt an einer Überdosis gestorben war. Während der Zuständigkeit des Angeklagten habe eine "gegenwärtige oder nahe bevorstehende Gefahr für das Kindeswohl niemals bestanden", teilte das Dresdner Oberlandesgericht weiter mit.

Als die Mutter des Kindes sich bei dem Jugendamtsmitarbeiter im April 2012 verabschiedet habe, um mit dem Jungen aus Leipzig wegzuziehen, sei "nicht ansatzweise eine konkrete Gefährdungssituation für das Kind gegeben gewesen". Anhaltspunkte für eine zu erwartende Vernachlässigung des Jungen hätten zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen. Der Angeklagte habe daher nicht einschreiten müssen.

Eine Gefährdung des Kindeswohls folge nicht bereits daraus, dass die sorgeberechtigte Person drogenabhängig ist, erklärte das Dresdner Oberlandesgericht. Zwar müsse das Jugendamt grundsätzlich prüfen, ob sich die sorgeberechtigte Person infolge ihrer Abhängigkeit nicht mehr adäquat um das Kind kümmern könne. Das lediglich abstrakte Risikopotential genüge aber für die Annahme einer Gefährdung des Kindeswohls nicht.

Az.: 2 OLG 21 Ss 835/15



Oberlandesgericht

Kein Schadenersatz für Zahnfüllung mit Amalgam



Das Oberlandesgericht Hamm hat eine Schadenersatzklage wegen möglicher gesundheitlicher Folgen durch Amalgam-Zahnfüllungen abgewiesen. Die Verwendung von Amalgam bei Zahnfüllungen sei grundsätzlich unbedenklich, heißt es in dem am 4. April veröffentlichten Urteil.

Laut dem Gutachten eines medizinischen Sachverständigen werde die Oberfläche der Silberamalgamen beim Kontakt mit Speichel mit einem Niederschlag überzogen, der weitere elektrochemische Reaktionen verhindere, hieß es zur Begründung. Unbedenklich sei auch der Verbleib von Amalgamresten beim Aufbau von neuen Goldkronen.

Geklagt hatte eine 1959 geborene Frau, die ihrer ehemaligen Zahnärztin vorwarf, bei den Behandlungen zwischen 1987 und 2009 fehlerhaft Amalgam, insbesondere in Kombination mit Goldkronen, verwendet zu haben. Nach massiven Beschwerden wurden der Patientin, die inzwischen die Praxis gewechselt hatte, zwei Zähne gezogen. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen führte die Klägerin auf eine Amalgam-Allergie zurück. Als Schadenersatz verlangte sie unter anderem ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 Euro.

Nach Ansicht der Richter des Oberlandesgerichts konnte die Klägerin jedoch nicht beweisen, dass die von ihr genannten Gesundheitsschäden auf der Anwendung des Zahnamalgams beruhen. Laut dem eingeholten Sachverständigengutachten sei bei der Klägerin eine Amalgam-Allergie nicht feststellbar. So habe die Patientin erst ab Ende 2001 massive gesundheitliche Beeinträchtigungen geschildert. Zudem habe die Klägerin keine Symptome einer allergischen Reaktion gezeigt, nachdem sie Amalgamfüllungen erhalten habe.

Az.: 26 U 16/15




sozial-Köpfe

Dienstjubiläum

Krassuski und Peleschkei 50 Jahre bei Ecclesia




Burghard Krassuski (li.) und Manfred Peleschkei.
epd-bild/Volker Pesch/Ecclesia Gruppe
Burghard Krassuski und Manfred Peleschkei starteten am 1. April 1966 ihre Ausbildung bei der Ecclesia Gruppe. Auch über das Erreichen der Altersgrenze hinweg bleiben die beiden Führungskräfte dem Versicherungsunternehmen erhalten.

Als sie ihre Ausbildung vor einem halben Jahrhundert begannen, hatte das Unternehmen weniger als 20 Beschäftigte. Heute hat die Ecclesia 1.350 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von 170 Millionen Euro im Jahr.

Manfred Peleschkei war zunächst als Prokurist und Abteilungsdirektor für Norddeutschland und Berlin zuständig. 1999 übernahm er die Verantwortung für Ostdeutschland. Als Mitglied der Ecclesia-Geschäftsleitung war er an dem Erwerb der Daimler Chrysler Assekuranz, heute die Deutsche Assekuranz-Makler GmbH, Berlin, beteiligt.

Der heute 67-Jährige stellte sich 2013 einer neuen beruflichen Aufgabe: Er baute die Assekuranz-Service GmbH auf, die sowohl für die Makler seines ehemaligen Arbeitgebers als auch für die Versicherer Angebote gestaltet.

Burghard Krassuski arbeitete zunächst in Westfalen in der Kundenbetreuung, später übernahm er den Aus- und Aufbau des Innen- und Außendienstes in ganz Nordrhein-Westfalen. Als leitender Handelsbevollmächtigter ist der 66-Jährige dort auch nach der Altersgrenze noch aktiv.

Der Hauptsitz der Ecclesia Gruppe ist im nordrhein-westfälischen Detmold. Zum Versicherungsunternehmen gehören mehrere Spezialmakler und Beratungsunternehmen. Die Versicherungsgesellschaft hat eine lange Tradition: Nach ihrer Gründung im Jahr 1909 versicherte sie vor allem Kirchen, kirchliche Einrichtungen und ihre Mitarbeiter. Heute ist das international tätige Unternehmen auch auf Industrie und Gewerbe ausgerichtet.

Jana Hofmann


Weitere Personalien



Jochen Keßler-Rosa (60), Geschäftsführer der Diakonie Schweinfurt, hat das Goldene Kronenkreuz der Diakonie erhalten. Bei der Übergabe der höchsten Ehrung des evangelischen Sozialverbandes sagte Michael Bammessel, Präsident der Diakonie Bayern, Keßler-Rosa sei ein Vertreter einer Diakonie, die "vor Ort für die Menschen arbeitet, aber überregional vernetzt ist". Er arbeitete mit Barmherzigkeit und Aufmerksamkeit für die Menschen, "ohne dabei Fragen wie Wirtschaftlichkeit und Zukunftsperspektive der Dienste aus den Augen zu verlieren." Keßler-Rosa ist seit 1992 Geschäftsführer und seit 2004 Vorstand des Diakonischen Werkes Schweinfurt. Auch ist er ist Mitglied des Diakonischen Rates, dem Aufsichtsgremium der Diakonie in Bayern.

Nikolaus Immer, Leiter des Geschäftsbereichs Soziales und Integration der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, ist am vergangenen Wochenende gestorben. "Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe trauert mit den Angehörigen um einen engagierten Streiter für soziale Gerechtigkeit und sozialen Frieden", erklärten die Vorstände Christian Heine-Göttelmann und Thomas Oelkers. Immer wurde 63 Jahre alt. Immer studierte Erziehungswissenschaften, Sozialwissenschaften und Philosophie in Bonn. 1991 kam er zum Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche im Rheinland. Im Zuge der Fusion der diakonischen Landesverbände Rheinland, Westfalen und Lippe übernahm Immer 2008 die Leitung des Geschäftsbereichs Soziales und Integration.

Rita Süßmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin und Ministerin (CDU), ist am 7. April zum Ehrenmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe ernannt worden. Der Dachverband würdigt damit Süssmuths wegweisende Aids-Politik in ihrer Zeit als Gesundheitsministerin in den 80er Jahren. 1985 wurde sie zur Bundesministerin für Jugend, Familie und Gesundheit (ab 1986 zusätzlich für Frauen) ernannt und war damit die erste Frauenministerin auf Bundesebene. Entschieden habe sich Süßmuth gegen Ausgrenzung gewandt und habe stets die am stärksten von HIV betroffenen Gruppen als Partner mit einbezogen: "Sie legte damit die Grundlage für die bis heute sehr erfolgreiche HIV-Prävention in Deutschland."

Claudia Pfrang ist als neue Direktorin der Stiftung Bildungszentrum der Erzdiözese München und Freising in ihr Amt eingeführt worden. Peter Beer, Generalvikar des Erzbischofs von München und Freising, dankte zugleich Monsignore Rainer Boeck, dem bisherigen Direktor der Stiftung. Pfrang wird als Direktorin zuständig sein für Planung, Organisation und Durchführung des Bildungsprogramms im Kardinal-Döpfner-Haus, dem Bildungszentrum der Erzdiözese, sowie für die Konzeption und Durchführung von weiteren Bildungsangeboten und -formaten im Erzbistum. Die promovierte, 50 Jahre alte Theologin arbeitete seit 2009 als Geschäftsführerin des Katholischen Kreisbildungswerks Ebersberg.

Martina Schäfer ist als Vorsitzende des Vorstandes der der Bundesarbeitsgemeinschaft für Hauswirtschaft (BAG-HW) für zwei weitere Jahre im Amt bestätigt worden. Zu ihren Stellvertretern wählten die Delegierten Helga Klingbeil-Weber vom Ständigen Ausschuss Hauswirtschaft und Verbraucherthemen bei der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschland e.V. (kfd) und Alfred Vollmer vom DiCV Köln e.V. als Delegierter des Deutschen Caritasverband (DCV). In der BAG-HW sind über eine Million Mitglieder organisiert.




sozial-Termine



Die wichtigsten Fachveranstaltungen bis Juni

April

12.-13.4. Fulda:

Fachtagung "Trauma Flucht. Erziehungsberatung im Netzwerk der Hilfen"

der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung

Tel.: 0911/977140

wwwbke.de

13.4. Frankfurt am Main:

Fachtagung "Integration von minderjährigen unbegleiteten Jugendlichen

in der Kinder- und Jugendhilfe"

des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik

Tel.: 069/95789-153

www.iss-ffm.de

14.4. Mülheim a.d.R.:

Sozialethisches Kolloquium "Eigentum verpflichtet!"

der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg"

Tel.: 0208/99919981

www.die-wolfsburg.de/tagungen/16068

14.4. Münster:

Seminar "Kirchliche Stiftungen, rechtliche Grundlagen, Rechnungslegung, Stiftungsaufsicht"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

www.bgp-muenster.de

14.-15.4. Berlin:

Fachtagung "Flüchtlingsfamilien im Schatten der Hilfe? Geflüchtete Minderjährige

und ihre Familien in Deutschland"

des Deutschen Instituts für Urbanistik

Tel.:030/39001139

www.fachtagung-jugendhilfe.de

14.-16.4. Kassel:

Christlicher Gesundheitskongress "Zeichen setzen - heilen und begleiten

in Gesundheitswesen und Gemeinde"

Tel.: 04104/9170934

www.christlicher-gesundheitskongress.de

14.-17.4. Nürnberg:

Werkstätten-Messe "Impulse für eine inklusive Arbeitswelt"

der Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen

Tel.: 069/94339436

www.werkstaettenmesse.de

15.4. Berlin:

Fortbildung "Rechtliche Aspekte der Pflegedokumentation"

des DBfK Nordost

Tel.: 030/208987260

19.4. Berlin:

Fortbildung "Transkulturalität in der Pflege- Kompetenzerwerb oder Bedienungsanleitung

für Menschen aus anderen Kulturen"

des DBfK Nordost

Tel.: 030/208987260

20.-21.4. Frankfurt a.M.:

Messe und Kongress "Zukunft Lebensräume"

der Messe Frankfurt Exhibition GmbH

Tel.: 069/75750

www.zukunft-lebensraeume.de

20.-22-4. Augsburg:

Tagung "(Un-)Haltbare Zustände? Kritische Betrachtung der Wohnungslosenhilfe

nach zehn Jahren SGB II"

des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200276

www.caritas.de/termine

21.4. Berlin:

Seminar "Mit Pflegediagnosen arbeiten"

des DBfK-Regionaverbandes Nordost

Tel.: 030/108987266

21.4. Münster:

Seminar "Haftungsrisiken des GmbH-Geschäftsführers in der Krise"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

www.bpg-muenster.de

23.4. Bad Kreuznach:

"Erstes palliativmedizinisches Symposium"

der Stiftung Kreuznacher Diakonie

Tel.: 0671/605-3858

www.kreuznacherdiakonie.de

26.4. Kassel:

Fachtag "Die Pflegestärkungsgesetze - Ambulant und stationär, statt ambulant vor stationär!"

der diakonischen Fachverbände DEVAP und VdDD

Fax: 030/83001-25277

www.devap.info

26.4. Münster:

Seminar "Betriebsverfassungsrecht für Arbeitgeber: Mitbestimmung in sozialen

und personellen Angelegenheiten"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/4820412

https://www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

27.4. Berlin:

Strategieworkshop Krankenhaus "Stark aufgestellt für die Zukunft"

der Evangelischen Bank eG

Tel.: 0431/6632-1321

www.eb.de

28.-29.4. Eichstätt:

Fachtagung "Ökonomie und Management der Sozialimmobilie"

der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt

Tel.: 08421/9321673

www.ku.de/swf/ncs

Mai

2.-4.5. Loccum:

Tagung "Arbeitsmarktzugang für Flüchtlinge - wie können Spracherwerb,

gesellschaftliche Integration und berufliche Qualifizierung durch Arbeit gelingen?

der Evangelischen Akademie Loccum

in Kooperation mit dem KDA und der Gewerkschaft IGBCE

Tel.: 05766/810

www.loccum.de

3.-4.5. Köln:

Tagung "ALL IN: Qualität und Öffnung von Kulturarbeit durch Inklusion"

des Instituts für Bildung und Kultur

Tel.: 02191/794297

www.ibk-kubia.de/symposium

9.5. Freiburg:

Seminar "Neues vom Bundesarbeitsgericht"

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997221

www.solidaris.de

11.5. Berlin:

Seminar "Die GmbH-Geschäftsführung in der steuerbegünstigten GmbH - Anstellungsvertrag,

Kompetenzen, Haftungsrisiken"

der BFS Service GmbH

Tel.: 0221/97356159

www.bfs-service.de

11.-13.5. Leipzig:

Deutscher Stiftungstag 2016 "Älter - bunter - anders: Demografischer Wandel und Stiftungen"

des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen

Tel.: 030/89794777

12.5. Köln:

Seminar "Compliance in sozialtätigen Unternehmen"

der Unternehmensberatung Solidaris

Tel.: 02203/8997221

www.solidaris.de

17.-20.5. Hamburg:

Suchttherapietage "Diagnose - Hilfe oder Etikett?"

des Zentrums für Interdisziplinierte Suchtforschung

Tel.: 040/741054203

www.suchttherapietage.de

Juni

1.6. Leipzig

Tagung "Alternative Finanzierungsformen in der Sozialwirtschaft"

der Deutschen Gesellschaft für Management und Controlling in der Sozialwirtschaft e.V.

in Kooperation mit den Sozialforen Leipzig

Tel.: 02642/932-409

www.dgcs.de