Ausgabe 14/2016 - 08.04.2016
Nürnberg (epd). Moderne Kommunikation per Internet, Whatsapp und Facebook haben nichts verändert: Telefonseelsorge wird mehr denn je gebraucht. Das stellt Pfarrerin Birgit Dier fest, die seit 2011 die Telefonseelsorge der Stadtmission Nürnberg leitet. Obwohl die Menschen gerade in den sozialen Medien so viel wie nie schreiben oder sprechen: "Die Zahl der Anrufer lässt nicht nach - im Gegenteil", sagt sie.
Im vergangenen Jahr wurden bei der Nürnberger Stelle 17.500 Telefonate geführt, hinzu kommt noch das Vielfache vergeblicher Anrufversuche. Gefragt sind die "Profis am anderen Ende der Telefonleitung", also die 74 Ehrenamtlichen, die für die Stadtmission rund um die Uhr ihren Dienst leisten.
Ihr Team ist bunt gemischt, entstammt unterschiedlichen beruflichen und privaten Hintergründen und deckt ein Altersspektrum von 35 bis 82 Jahre ab, sagt Dier. Das Angebot lebe von der Vielfalt, jeder Mitarbeiter wende sich mit seiner persönlichen Art den Sorgen der Anrufer zu, erklärt Dier.
Zu ihnen gehört Claudia Schulze, die sich seit über 30 Jahren regelmäßig um die Anliegen der Ratsuchenden kümmert. Sie fragt nach, versucht Gründe für Streit oder Frust herauszufinden oder rät in akuten Fällen, sich Hilfe, etwa bei Psychologen vor Ort zu holen.
In all den Jahren hat Schulze gelernt: "Ich kann reden und Hilfe anbieten, aber ich kann nicht die Verantwortung oder die Entscheidungen für einen Anrufer übernehmen." Sich persönlich abzugrenzen und nicht alle Sorgen der Klienten mit nach Hause zu nehmen, hat sie bereits in den intensiven Vorbereitungskursen gelernt. Schon dort wurde sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt: "Man kann nicht immer helfen."
Pfarrerin Dier hält die einjährige Vorbereitung für die anspruchsvollste Ausbildung, die es im Ehrenamt gibt. Beim Telefonat fehlen anders als beim persönlichen Gespräch die körperlichen Signale wie Mimik oder Gestik des Gegenübers. Die Probleme, über die die Anrufer berichten, sind so vielfältig wie die Menschen selbst.
Mal beklagen sich junge Familien über viele Geschenke von Oma und Opa. Schulze hat gelernt, dass hinter solchen Gesprächen oft das Problem des knappen Geldes steht. Mal geht es aber auch richtig an die Substanz. Da hört sie von anonymen Anrufern einfach nur "ich habe keine Lust mehr zu leben" oder ein "ich wollte noch mit jemand sprechen, bis die Tabletten wirken". Viele Anrufer sind "chronisch psychisch krank", haben Therapien und Klinikaufenthalte hinter sich und wissen nicht mehr wohin.
Dier war früher selbst in der Gemeindeseelsorge aktiv und ist heute nur noch zur Begleitung der Mitarbeiter mit am Telefon dabei. Aber sie kennt die Gespräche, bei denen die Einsamkeit durch den Hörer kriecht. Fast jeder dritte Anrufer leide an Depression, Ängsten oder anderen psychischen Erkrankungen. Jeder fünfte hat Beziehungsprobleme mit Lebenspartner, in der Familie oder in anderen Alltagsbeziehungen.
Mehrheitlich rufen Frauen an, das Alter der Menschen, die die Telefonseelsorge einmalig oder gar regelmäßig nutzen, liegt zwischen 30 und 70 Jahren. Anders als die häufig "oberflächliche Kommunikation" in Chats oder anderen virtuellen Räumen hört bei der Telefonseelsorge "ein Mensch zu, versucht Auswege zu finden oder hält das Leid am Telefon einfach nur mit aus".