Berlin (epd). Die evangelische Kirche will sich mit einem eigenen Schiff an der Seenotrettung im Mittelmeer beteiligen. Man wolle nicht hinnehmen, dass dort weiter Menschen ertrinken, sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, am 12. September in Berlin. Gemeinsam mit anderen Organisationen will die EKD einen Verein gründen, der ein eigenes Schiff kauft, umbaut und betreibt. Zum dahinter stehenden Bündnis gehören nach Angaben des Bischofs zahlreiche Institutionen und Organisationen, auch Kirchengemeinden und Sportvereine. Bedford-Strohm rechnet mit einem hohen sechsstelligen bis niedrigen siebenstelligen Betrag für die Aktion.
Die Idee, ein eigenes Schiff ins Mittelmeer zu entsenden, wird innerhalb der evangelischen Kirche seit dem Kirchentag im Juni in Dortmund diskutiert. Eine Resolution der Laienbewegung hatte die EKD aufgefordert, mit einer eigenen Rettungsmission ein Zeichen zu setzen. "Wir setzen damit ein klares Zeichen", sagte Bedford-Strohm nun. Den Beschluss für die Gründung des Vereins hat der Rat der EKD nach den Worten seines Vorsitzenden am 6. September gefasst.
Egal aus welchen Gründen Menschen in Lebensgefahr seien, bestehe die Pflicht zu helfen, sagte Bedford-Strohm: "Not hat keine Nationalität." Die Kirche sei in dieser Situation kein politischer, sondern ein "diakonischer Akteur", betonte er.
Die Seenotrettung im Mittelmeer ist ein Streitthema unter den EU-Staaten. Italien hatte unter Innenminister Matteo Salvini, der inzwischen nicht mehr im Amt ist, wiederholt Rettungsschiffen die Einfahrt in Häfen verweigert. Crews und Gerettete mussten teilweise wochenlang auf dem Wasser ausharren. Deutschland setzt darauf, dass sich die EU-Staaten auf eine Verteilung der Geretteten einigen, weil Italien nicht allein für die Anlandenden aufkommen will. In der Woche vom 16. bis zum 22. September will sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit der neuen italienischen Innenministerin Luciana Lamorgese in Berlin treffen.
In der Haushaltsdebatte am 12. September im Bundestag sagte Seehofer: "Ich denke, wir müssen nicht darüber diskutieren, dass wir Menschen vor dem Ertrinken retten, aber wir wollen ein Regelverfahren, das diese erbärmlichen Zustände der letzten Monate vermeidet." Am 23. September kommen einige der EU-Innenminister auf Malta zusammen, um weiter darüber zu beraten.
Bedford-Strohm präsentierte den Beschluss für ein eigenes Schiff gemeinsam mit Vertretern von "Ärzte ohne Grenzen", den Organisationen "Seebrücke" und "Sea-Eye" sowie dem Potsdamer Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). Die brandenburgische Hauptstadt gehört zum Bündnis "Städte Sicherer Häfen", die als Kommunen anbieten, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen.
Welche Organisationen genau den Verein mitgründen werden, blieb am 12. September noch offen. Bedford-Strohm hofft auch auf Unterstützung aus der katholischen Kirche. Der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, äußerte sich zunächst zurückhaltend. Das Engagement der EKD sei begrüßenswert. Auch für die katholische Kirche bleibe die Seenotrettung ein wichtiges Anliegen. "Neben diesem evangelischen Projekt wird es auch auf katholischer Seite weiterhin Aktivitäten in diesem Feld geben", sagte Kopp, ohne konkretere Angaben zu machen.
Unklar ist auch noch, wer welchen Anteil an den Kosten trägt. Die Evangelisch-reformierte Kirche hatte bereits vor längerer Zeit angekündigt, 15.000 Euro für ein kirchliches Seenotrettungsschiff spenden zu wollen. Die EKD selbst unterstützte bereits das Aufklärungsflugzeug "Moonbird" im Mittelmeer finanziell.
Begrüßt wurde die Initiative der EKD von den Grünen. Die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt und die Abgeordnete Luise Amtsberg sagten, die Kirche gehe mit gutem Beispiel voran. Die parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, Britta Haßelmann, twitterte: "Danke dafür". Auch der Kirchentag begrüßte in einer Mitteilung, dass die EKD seiner Forderung nachkommt.
Düsseldorf (epd). Der rheinische Präses Manfred Rekowski hat die geplante Beteiligung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an der Seenotrettung im Mittelmeer begrüßt. "Es geht ja darum, ein Signal zu setzen", erklärte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland am 12. September in Düsseldorf. Das Engagement zeige, dass sich die Kirchen nicht damit abfänden, "dass weiterhin regelmäßig Menschen, die auf der Flucht sind, die Schutz und Zuflucht suchen, im Mittelmeer sterben", unterstrich Rekowski, der auch Vorsitzender der Kammer für Migration und Integration der EKD ist.
Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm hatte in Berlin darüber informiert, dass die evangelische Kirche gemeinsam mit etlichen weiteren Organisationen zusammen ein Schiff für die Seenotrettung kaufen will. Das sehe ein aktueller Beschluss des Rates der EKD vor. Zum Unterhalt des Rettungsschiffs solle ein Verein mit breiter gesellschaftlicher Beteiligung gegründet werden. An der Finanzierung wird sich nach Rekowskis Angaben voraussichtlich auch die rheinische Kirche beteiligen.
Bedford-Strohm mahnte, dass Menschen ertrinken und sterben, könne von niemandem hingenommen werden, schon gar nicht von Menschen christlichen Glaubens. "Not hat keine Nationalität", sagte der bayerische Landesbischof. Egal aus welchen Gründen Menschen in Lebensgefahr sind, bestehe die Pflicht zu helfen. Die Anschaffung eines Rettungsschiffs sei nicht nur Symbolik. Es würden ganz konkret Menschen gerettet.
Hintergrund des EKD-Ratsbeschlusses ist eine Resolution, die im Juni auf dem Kirchentag in Dortmund verabschiedet worden war. In dieser wurden die EKD und die Landeskirchen dazu aufgefordert, selbst ein Schiff zur Rettung von Menschen in Seenot ins Mittelmeer zu entsenden.
Frankfurt a.M./Bad Kreuznach (epd). Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (BAG) hat am 13. September in Frankfurt am Main ihr 25-jähriges Bestehen gefeiert. Einer der Mitgründer der Arbeitsgemeinschaft, Pfarrer Jürgen Quandt, erinnerte an das erste moderne Kirchenasyl in Deutschland vor 35 Jahren sowie an die Gründung der BAG im Februar 1994 im Anschluss an eine Tagung der Evangelischen Akademie in Mülheim an der Ruhr.
Quandt rief die Mitglieder der BAG Asyl laut Redetext auf, nicht nachzulassen, Flüchtlingen zu helfen. Hoffnung mache ihm die "inzwischen vorhandene Breite des zivilgesellschaftlichen Einsatzes für Menschen auf der Flucht", etwa die Seenotretter verschiedenster Organisationen im Mittelmeer. Zuversichtlich sei er aber auch wegen der Geflüchteten, "die inzwischen selber eine Stimme haben, um ihre Rechte und Akzeptanz in der Gesellschaft einzufordern".
Die BAG-Vorstandsvorsitzende Dietlind Jochims beklagte eine zunehmende Kriminalisierung von Unterstützern des Kirchenasyls. Sie erinnerte an den Fall von zwei Pfarrerinnen und drei Pfarren aus dem Rhein-Hunsrück-Kreis, die wegen eines Kirchenasyls für Flüchtlinge aus dem Sudan angezeigt worden waren. Im Zuge von Ermittlungen waren Pfarrbüros und Wohnungen der Beschuldigten durchsucht worden, die Staatsanwaltschaft stellte später die Ermittlungen ein.
Jochims appellierte an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), humanitäre Lösungen für Menschen im Kirchenasyl zu finden. Die BAG hatte bereits Ende August einen offenen Brief an den Minister geschrieben und darin auf die lange Tradition des Schutzes für von Abschiebung bedrohte Asylbewerber in Kirchen verwiesen.
Nach Jochims Angaben gab es Anfang August 439 Fälle von Kirchenasyl in Deutschland mit mehr als 704 Betroffenen, darunter 154 Kinder. Die Zahl sei zuletzt stetig gesunken. Gründe dafür seien der deutliche Rückgang der Zahl der Flüchtlinge, die zentrale Unterbringung in Ankunftszentren und die oftmals in wenigen Tagen abgeschlossenen Verfahren durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). "Da kommt man als Kirchengemeinde kaum noch dazwischen", kritisierte die Theologin.
Bielefeld (epd). Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, kandidiert für eine weitere Amtszeit von acht Jahren an der Spitze der viertgrößten deutschen Landeskirche. Die 56-jährige Theologin wurde ohne Gegenkandidaten nominiert, wie die westfälische Kirche am 13. September in Bielefeld mitteilte. Die Entscheidung trifft die Landessynode, die vom 17. bis 20. November in Bielefeld tagt. Theoretisch könnten in der Synode weitere Kandidaten vorgeschlagen werden.
Kurschus wurde im November 2011 als erste Frau zur leitenden Theologin der Landeskirche gewählt, sie trat ihr Amt im März 2012 an. Seit knapp vier Jahren ist sie zudem stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die 56-Jährige bekleidet eine Reihe weiterer kirchlicher Ämter, unter anderem ist sie EKD-Beauftragte für die Beziehungen zu den polnischen Kirchen, Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bibelgesellschaft und Mitherausgeberin des evangelischen Magazins "chrismon" sowie der evangelischen Monatszeitschrift "Zeitzeichen".
Bundesweite Bekanntheit erlangte die als brillante Rednerin geltende Theologin, als sie 2015 im zentralen Trauergottesdienst für die Opfer des Germanwings-Absturzes eine vielbeachtete Predigt hielt. Kurschus wurde am 14. Februar 1963 in Rotenburg an der Fulda geboren und wuchs im hessischen Obersuhl und in Siegen auf. Nach Beginn eines Medizinstudiums wechselte sie 1983 zur evangelischen Theologie und studierte in Bonn, Marburg, Münster und Wuppertal. In Siegen machte sie ihr Vikariat, wurde 1993 Gemeindepfarrerin und 2005 Superintendentin des Kirchenkreises Siegen.
Die Landessynode der mehr als 2,2 Millionen Mitglieder zählenden westfälischen Kirche entscheidet auch über ein weiteres Kirchenleitungsamt: Die 63-jährige Personaldezernentin und Oberkirchenrätin Petra Wallmann tritt zum 1. April 2020 in den Ruhestand. Um ihre Nachfolge bewerben sich die Recklinghäuser Superintendentin Katrin Göckenjan-Wessel (56) und der aus Oldenburg stammende Pfarrer Urs-Ullrich Muther (51).
Göckenjan-Wessel wurde in Münster geboren und war nach dem Theologiestudium in Bielefeld-Bethel und Hamburg Vikarin und Pfarrerin in Gelsenkirchen. Seit 2013 ist sie Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen. Muther studierte ebenfalls Theologie in Bethel sowie Philosophie und Geschichte in Bochum und war zunächst Pfarrer im niedersächsischen Westerstede. Nach einem Fernstudium ist er auch diplomierter Kaufmann und Volkswirt und nimmt an der Universität Oldenburg einen Lehrauftrag für Wirtschaftsethik wahr.
Die Landessynode muss außerdem beschließen, ob die Kirchenleitung von 18 auf 14 Mitglieder verkleinert wird. Hintergrund sind die stetig sinkenden Kirchensteuereinnahmen.
Krefeld (epd). Pfarrerin Barbara Schwahn ist am 13. September vom rheinischen Präses Manfred Rekowski in ihr Amt als neue Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Krefeld-Viersen eingeführt worden. Die 54-jährige Theologin war im Juli zur Nachfolgerin von Burkhard Kamphausen gewählt worden, der in den Ruhestand gegangen ist.
Schwahn stammt aus Worms und studierte Theologie und Germanistik in Tübingen und München. Ihr Vikariat absolvierte sie beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Anschließend arbeitete sie als Pfarrerin im Westerwald und ab 2003 in Düsseldorf. Seit 2015 ist sie auch nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland.
In ihrer Predigt im Einführungsgottesdienst appellierte sie an die Gemeinden, sich auch auf Neues einzulassen. "Habt keine Angst, die Dinge anzupacken, auch was zu verändern", sagte Schwahn laut Redetext. Die Kirche dürfe sich beim Kleinerwerden nicht zurückziehen aus den Orten und Stadtteilen und nur noch unter sich bleiben. In der Kirche müsse es vielmehr "eine bunte Landschaft ganz unterschiedlicher Orte geben, an denen Menschen mit dem Glauben und Vertrauen in Gott in Berührung kommen".
Der evangelische Kirchenkreis Krefeld-Viersen erstreckt sich auf knapp 740 Quadratkilometern von Nettetal bis Krefeld und von Meerbusch bis Straelen. Ihm gehören knapp 100.000 Christinnen und Christen in 26 Gemeinden an.
Düsseldorf (epd). Die Evangelische Kirche im Rheinland will für 13,5 Millionen Euro eine Tagespflegeeinrichtung sowie Wohnungen für Senioren und Familien in Düsseldorf errichten. Ein bisheriger Gebäudekomplex aus ehemaligem Hotel und Tagungshaus sowie Büroräumen soll abgerissen und durch den Neubau ersetzt werden, wie die Landeskirche am 12. September in Düsseldorf mitteilte. Mit dem Bau werde vermutlich 2021 begonnen, die Arbeiten sollen knapp zwei Jahre dauern.
Die zuständige Bezirksvertretung der NRW-Landeshauptstadt gab den Angaben zufolge bereits grünes Licht für das Vorhaben im Stadtteil Stockum, bis zur endgültigen Genehmigung eines Bauantrags werden aber noch Monate vergehen. Geplant ist die Errichtung eines dreistöckigen Gebäudes in U-Form, in dem die Diakonie Düsseldorf eine Tagespflegeeinrichtung für Senioren betreiben will. Außerdem sollen in dem Bau Wohnungen für betreutes Wohnen und "preisgedämpfte Mietwohnungen für Ältere" entstehen.
Darüber hinaus sollen zwei Mehrfamilienhäuser errichtet und überwiegend an junge Leute oder Menschen "im mittleren Alter" vermietet werden, um eine "generationenübergreifende Mischung" der Bewohner zu gewährleisten. Zwischen den Gebäuden werde ein begrünter Innenhof zu Begegnungen einladen. Die Landeskirche will das Bauvorhaben in Messenähe im Norden von Düsseldorf von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen zertifizieren lassen.
Der Betrieb des Tagungshauses FFFZ war im Zuge umfassender Sparbeschlüsse wegen eines jährliches Defizit von einer halben Million Euro Ende 2018 eingestellt worden, weder ein eigenständiger Hotelbetrieb noch andere Modelle seien tragfähig. Ursprünglich war das Tagungshotel als Teilbetrieb eines landeskirchlichen Medienzentrums konzipiert und gebaut worden. Derzeit werden in dem Gebäude noch Büros und Studios vermietet.
Schloss Holte-Stukenbrock (epd). Die Evangelische Kirche von Westfalen erinnert an das 70-jährige Bestehen der evangelischen Lagerkirche in Stukenbrock-Senne. Gemeinsam mit der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW und der Gedenkstätte Stalag 326 findet im Oktober ein Festprogramm statt, wie Landeskirche und Gedenkstätte am 10. September in Schloss Holte-Stukenbrock mitteilten. Die Kirche wurde am 9. Oktober 1949 durch den westfälischen Präses Ernst Wilm eingeweiht. Sie diente als Anlaufstelle für die Bewohner des damaligen "Sozialwerks Stukenbrock", das von 1949 bis 1970 auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenlagers "Stammlager (Stalag) 326" bestand.
Das vom Land Nordrhein-Westfalen zusammen mit mehreren Wohlfahrtsverbänden betriebene Sozialwerk Stukenbrock war zunächst ein Auffang- und Durchgangslager für Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Später habe das Gelände, auf dem heute eine Landespolizeischule untergebracht ist, auch zur Unterbringung von DDR-Flüchtlingen und deutschen Aussiedlern aus Russland gedient, erläuterte der Leiter des Landeskirchlichen Archivs Bielefeld, Wolfgang Günther. Zeitweise hätten dort bis zu 2.000 Menschen gleichzeitig gelebt, nach Schätzungen sollen insgesamt bis zu 150.000 Menschen dort vorübergehend gewohnt haben.
Das Stalag 326 war von 1941 bis 1945 das größte Lager für sowjetische Kriegsgefangene auf dem Gebiet des Deutschen Reiches. In dieser Zeit wurden insgesamt 300.000 sowjetische Soldaten hier festgehalten. Nach Schätzungen starben rund 65.000 Gefangene, überwiegend an Hunger und Erschöpfung. Auf einem nahe gelegenen Ehrenfriedhof liegen 25.000 sowjetische Soldaten begraben. Bevor das Land NRW hier Flüchtlinge und Vertriebene unterbringen ließ, waren von 1946 und 1947 deutsche Kriegsgefangene und mutmaßliche Kriegsverbrecher in Stukenbrock interniert.
Im Mittelpunkt des Jubiläumsprogramms steht nach Angaben der Veranstalter am 9. Oktober ein Gottesdienst mit Polizeipfarrerin Winkler, bei dem auch Zeitzeugen des Sozialwerkes Stukenbrock zu Wort kommen sollen. Eine Fotoausstellung über die Lagerkirche wird dann bis zum 12. Oktober zu sehen sein. Am 10. und 12. Oktober wird das Theaterstück "Im Herzen ein Nest aus Stacheldraht" gezeigt.
Historiker erforschen derzeit die Geschichte des Sozialwerks Stukenbrock. Hintergrund der Forschungsarbeiten ist die vom NRW-Landtag beschlossene Weiterentwicklung der Gedenkstätte entsprechend "ihrer nationalen und internationalen Bedeutung". Seit 1997 erinnerte eine Dokumentationsstätte an das Stalag 326. Im Rahmen ihrer Neukonzeption als Gedenkstätte soll nun auch die Nachkriegsgeschichte des Geländes aufgearbeitet werden.
Bonn, Frankfurt a.M. (epd). Der Vatikan hat Einwände gegen den von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und katholischen Laien geplanten Reformprozess. Die Bischofskonferenz veröffentlichte am 13. September ein Schreiben aus dem Vatikan, das die Organisation des "synodalen Wegs" infrage stellt. So kritisiert das Gutachten des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte die synodenähnliche Form, die Stimmberechtigung der beteiligten Laien und die Auswahl der Reformthemen.
Der "synodale Weg", der am 1. Dezember, dem 1. Advent, beginnen soll, ist ein Beratungsprozess, an dem sowohl die deutschen Bischöfe als auch Vertreter des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) beteiligt sind. Bislang stehen vier Themenbereiche fest: die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der Kirche und klerikaler Machtmissbrauch, die priesterliche Lebensform, die katholischen Sexualmoral sowie die Beteiligung von Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche.
Diese Themen überschritten die Zuständigkeit einer Teilkirche, heißt es in dem Gutachten des Päpstlichen Rates, das auf den 1. August datiert ist und Anfang September nach Bonn geschickt wurde: "Wie kann eine Versammlung einer Teilkirche über Themen der Weltkirche beschließen und wie kann sich eine Bischofskonferenz von einer Versammlung dominieren lassen, von der die meisten Mitglieder keine Bischöfe sind?", heißt es in dem Schreiben. Der synodale Vorgang müsse sich demnach "im Leib einer hierarchisch strukturierten Gemeinschaft" vollziehen. Zwar könnten sich Laien an den Beratungen beteiligen, doch "die Entscheidung ist eine Verantwortung des Amtes".
Die Deutsche Bischofskonferenz verwies darauf, dass das Gutachten des Päpstlichen Rats sich auf die Entwurfsfassung der Satzung mit Stand vom Juni 2019 beziehe, die jedoch nicht mehr aktuell sei. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, will laut Mitteilung kommende Woche nach Rom reisen, um "etwaige Missverständnisse" auszuräumen.
Die künftige Satzung des "synodalen Wegs" sei noch nicht beschlossen und werde Thema auf der Herbst-Vollversammlung in Fulda kommende Woche sein. Nach den jetzigen Planungen umfasse der "synodale Weg" Themen, die jedes Land angehen müsse, und natürlich Themen, die die Weltkirche beträfen. "Was die Themen der Weltkirche angeht, ist für uns völlig klar: Es gibt keinen deutschen Sonderweg", sagte eine Sprecherin der Bischofskonferenz dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, sagte, das ZdK unterstütze die Bischofskonferenz in ihrem Festhalten am "synodalen Weg". Man werde die Vorbereitungen fortsetzen. "Glaubt irgendjemand, man könne in einer solchen Krise der Kirche das freie Gespräch, das nach Ergebnissen und notwendigen Reformschritten sucht, unterdrücken?", sagte Sternberg.
Die Reformbewegung "Wir sind Kirche" forderte die Bischöfe auf, sich nicht von dem Brief einschüchtern zu lassen. Dieser scheine nicht nur von falschen Voraussetzungen auszugehen, sondern halte an einem monarchischen Kirchenverständnis fest, teilte die Organisation mit. Das klerikale Machtsystem habe jede moralische Autorität verloren.
Frankfurt a.M./Magdeburg (epd). Ein gemeinsames Abendmahl von Katholiken und Protestanten ist zwar noch nicht in Sicht. Doch das Votum führender evangelischer und katholischer Theologen für die wechselseitige Teilnahme am Abendmahl könnte einen Schritt in diese Richtung bedeuten. Eine Teilnahme an der Abendmahlsfeier der jeweils anderen Konfession soll möglich sein - ohne die bestehenden Unterschiede zu leugnen. Das ist der zentrale Punkt des am 11. September in Frankfurt vorgestellten Papiers zur gemeinsamen Abendmahlspraxis des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen.
Die Autoren sind Theologen aus den beiden großen Kirchen. "Ich sehe darin einen wichtigen und gangbaren Schritt auf dem Weg hin zu einer sichtbaren Einheit unserer beiden Kirchen", sagte der Limburger katholische Bischof Georg Bätzing. Der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein, sprach von einem "bahnbrechenden Dokument".
Das Votum der Theologen bezieht sich nicht auf ein "gemeinsames Abendmahl", das ein Zeichen für die sichtbare Einheit der Kirche wäre. Aber: "Die Sehnsucht wächst, dass uns dies zu unseren Lebzeiten geschenkt wird", sagte Bätzing. Es gehe nicht um die sogenannte Interzelebration - also einer gemeinsamen Feier mit gemeinsamer Liturgie, betonte Hein. Jedoch mache das Dokument deutlich, dass es keine theologischen Gründe gebe, die Glieder der anderen Konfession vom Abendmahl auszuschließen.
Zehn Jahre lang habe man an der Studie gearbeitet, sagte die Professorin für Ökumenische Theologie, Dorothea Sattler, bei der Vorstellung. Dass am Ende der Arbeit ein gemeinsames Votum stehe, sei nicht selbstverständlich gewesen. Sattler ist die katholische Leiterin des Arbeitskreises. "Wir formulieren eine Möglichkeit für eine gemeinsame Abendmahlspraxis und hoffen, dass diese bald Wirklichkeit wird", sagte der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin, der evangelische Leiter des Arbeitskreises. Bislang hat der Text keine bindende Kraft.
Damit aus dem Text auch Praxis wird, brauche es eine theologische Rezeption, betonten Hein und Bätzing gleichermaßen. Er hoffe, dass das Dokument bereits mit Blick auf den dritten Ökumenischen Kirchentag 2021 in Frankfurt "zu einer solide begründeten und zugleich vorsichtig verantwortbaren Öffnung" der bisherigen Praxis beitrage, erklärte Bätzing. Der katholische Ökumenebischof Gerhard Feige (Magdeburg) lobte die Möglichkeiten, die das Papier biete. Er sagte, dass dies in den Gremien der katholischen Deutschen Bischofskonferenz diskutiert werden müsse. Er hoffe, bald zu einer guten Lösung kommen.
Ein wesentlicher Grund für die Kirchentrennung, die in einem fehlenden gemeinsamen Abendmahl sichtbar wird, ist das Ämterverständnis in der katholischen und evangelischen Kirche. Im Arbeitskreis habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass nicht die handelnden Geistlichen im Zentrum der Feier stünden, sondern Jesus Christus als der Einladende, hieß es. Fragen des Amtsverständnisses seien dagegen nachrangig.
Für Evangelische wie für Katholiken könne der Text allerdings auch "eine Zumutung" bedeuten, sagte Kirchenhistoriker Leppin. Evangelische müssten beispielsweise aushalten, dass in einer katholischen Messe für Bischof und Papst Fürbitte gehalten wird. Somit werde die Frage der Teilnahme noch stärker zu einer Gewissensentscheidung der einzelnen Gläubigen.
Basel, Kassel (epd). Der Präses des pietistisch geprägten Gnadauer Verbandes, Michael Diener, wird vom September 2020 an ein unbezahltes Sabbatjahr antreten. Nach Ablauf seiner Amtszeit 2021 werde er dann für eine Wiederwahl zur Verfügung stehen, teilte der Generalsekretär des Gnadauer Verbandes, Frank Spatz, auf der Mitgliederversammlung des Verbandes in Basel mit.
Michael Diener, der auch Mitglied des Rates der EKD ist, stehe für einen progressiven, offenen, nach vorn gewandten Kurs der Gemeinschaftsbewegung, die sich den Fragen, Herausforderungen und Nöten der Zeit stelle, betonte Spatz. Dabei vertrete er bei kritischen Themen durchaus differenzierte Positionen, die bisherige Überzeugungen infrage stellen und die nicht wenige als diskussionswürdig ansähen. "Er tritt ein für die Anerkennung einer Heterogenität und Pluralität innerhalb Gnadaus, die faktisch längst gegeben ist, die aber nicht von allen so gesehen wird - sein Anliegen ist eine Vielfalt in Einheit innerhalb unserer Bewegung", erklärte Spatz.
Kamp-Lintfort (epd). Die Religionsgemeinschaften in Kamp-Lintfort werden zur Landesgartenschau im kommenden Jahr gemeinsam einen interreligiösen "Garten Eden" gestalten. Der Garten an der zentralen Achse im Ausstellungsbereich solle Gelegenheit zum Rückzug und Gespräch, aber auch eine Bühne für größere Veranstaltungen bieten, teilten die Organisatoren am 12. September in Kamp-Lintfort mit. Neben Gottesdiensten seien auch Konzerte, Lesungen und Gebetsveranstaltungen zu Themen wie Schöpfungsverantwortung oder Frieden geplant.
An dem Projekt sind den Angaben zufolge katholische, evangelische, muslimische und alevitische Gemeinden sowie die Neuapostolische Kirche beteiligt. Sie stemmen auch gemeinsam mit einem Gesamtbudget von 120.000 Euro die Kosten für den Bau des Gartens, das Personal und die Veranstaltungen. Da der Garten täglich besetzt sein soll und regelmäßige Angebote geplant sind, werden noch ehrenamtliche Helfer gesucht.
Die Landesgartenschau in Kamp-Lintfort findet vom 17. April bis zum 11. Oktober 2020 statt. Das Ausstellungsgelände umfasst den rund 25 Hektar großen "Zechenpark" auf dem Gelände der ehemaligen Zeche Friedrich Heinrich und das "Kamper Gartenreich" am Kloster Kamp, die mit einem drei Kilometer langen Wandelweg verbunden werden.
Freudenberg (epd). Eine Woche nach dem Explosionsunglück bei einem Dorffest im Siegerland haben am 15. September mehr als 400 Menschen in einem bewegenden ökumenischen Gottesdienst der Toten gedacht und für die Verletzten und Angehörigen gebetet. "Die Erschütterung vom 8. Septmber hat unsere Welt hier verändert", sagte der evangelische Pfarrer Oliver Günther in seiner Predigt in Freudenberg-Alchen. "Wir sind andere geworden. Nichts ist mehr wie es war." Die Menschen müssten mit dem Unsagbaren weiter leben und weinten Tränen des Leidens, des Schocks, der Verzeiflung und der Ohnmacht, aber auch Tränen der Solidarität und der Hoffnung.
Beim traditionellen "Backesfest" am 8. September in Alchen, einem 1.900-Einwohner-Stadtteil von Freudenberg, war laut Polizei eine große doppelwandige Bratpfanne aufgeplatzt und Öl in die Gasflamme gelangt. Durch die Explosion und eine große Stichflamme wurden 14 Menschen verletzt, einige erlitten schwerste Verbrennungen. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich dort mehr als hundert Menschen auf. Eine 67-jährige Frau starb am Montag in einer Dortmunder Klinik.
Durch das Unglück rücke das Dorf zusammen und es gebe viel Anteilnahme, Solidarität und Menschlichkeit, sagte Pfarrer Günther. "Wir sind Alchen - überall - und stehen zusammen." Auch Gott teile die Trauer und den Schmerz: "Gott ist ein Alcher." Das Kreuz Jesu stehe dafür, dass Gott überall auf der Welt gegenwärtig sei, wo geweint und gelitten werde, sagte der evangelische Theologe, der den Hinterbliebenen der ums Leben gekommenen Frau einen Engel aus Holz schenkte. Irgendwann seien keine Tränen mehr nötig: "Dann wird Gott sie abwischen, weil das Alte vergangen ist und Gott einst alles neu macht."
Die Freudenberger Bürgermeisterin Nicole Reschke und der Landrat des Kreises Siegen-Wittgenstein, Andreas Müller (beide SPD), dankten den Ersthelfern und Rettungskräften sowie Feuerwehr und Polizei für ihren schnellen und professionellen Einsatz. Auch Seelsorger und viele ehrenamtliche Helfer sowie Ärzte und Pfleger hätten ihr Möglichstes getan. Die Gottesdienstbesucher schlossen sich dem Dank mit Applaus an.
Viele Retter und Helfer seien über ihre körperlichen und seelischen Grenzen gegangen, sagte Reschke. Die Bürgermeisterin nannte es besonders wertvoll, dass die evangelische Gemeinde ihre Kirche als Raum für Trauer und Verarbeitung geöffnet habe, "an dem wir Fragen stellen dürfen und Halt erfahren". Den Menschen in Alchen sagte sie: "Lassen Sie uns zusammenrücken, um das Unbegreifliche auszuhalten, lassen Sie uns gegenseitig stützen."
Die Ortschaften in Freudenberg seien geprägt von aktiven Vereinen und hilfsbereiten Mitarbeitern, dieser Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sei unermesslich, erklärte Reschke. Nun müssten Wege gefunden werden, die Gemeinschaft aufrechtzuerhalten: "Zukunft geht nur gemeinsam."
Landrat Müller sagte, im Jahr der Feierlichkeiten zum 675. Dorfjubiläum von Alchen habe das Unglück beim Backesfest alle wie aus heiterem Himmel getroffen und der Schock sitze tief. Die vielen Helfer hätten nach dem Unglück "Übermenschliches geleistet". Er wünsche den Menschen in Alchen, "dass Sie sich weiter gegenseitig stärken und füreinander da sind, wie Sie das in den vergangenen Tagen waren".
Hamburg (epd). Der Bayreuther Medizinethiker Eckhard Nagel hat sich mit Nachdruck gegen jede Form eines ärztlich oder pflegerisch assistierten Suizides ausgesprochen. Wenn es dafür eine Berufsgruppe geben sollte, "warum nicht die Pfarrerinnen und Pfarrer?", fragt Nagel in einem Interview des Themenheftes "anders handeln" des Hamburger ökumenischen Vereins "Andere Zeiten" (September): "Die waren geschichtlich gesehen schon immer zuständig für das Geleit über die irdische Lebensschwelle hinweg." Vorstellen könne er sich aber auch die Juristen, Richterinnen und Richter. Diese sollten ja auch ansonsten in strittigen Fragen über Weiterbehandlung oder Behandlungsstopp mitentscheiden.
Einen assistierten Suizid auszuführen setze keinerlei medizinisches Fachwissen voraus, fügte Nagel hinzu: "Ich als Mediziner weiß nicht, wie man jemanden tötet, meine Studenten lernen das auch nicht." Ärzte seien dem Lebenserhalt verpflichtet. Nagel: "Wir beziehen uns dabei auf die jahrtausendealte Tradition des Hippokratischen Eids, dass wir uns abwenden, wenn der Tod eintritt." Dadurch habe sich ein Beruf herausgebildet, der sich - auch in der Sterbebegleitung - auf die Unterstützung zum Leben bis zu seinem Ende konzentriert. "Das Tötungsdelikte Teil des ärztlichen Behandlungsauftrags werden sollen, halte ich für völlig irre und eine grauenhafte Vorstellung." Die Ärzte würden das grundlegende Vertrauen verlieren, dass im Notfall ärztlicher Beistand bedeutet, alles zu tun, um dem Leben zu dienen.
Nagel war evangelischer Präsident des 2. Ökumenischen Kirchentages München 2010 und des 30. Deutschen Evangelischen Kirchentags Hannover 2005. Andere Zeiten wurde 1998 als gemeinnütziger Verein gegründet. Hervorgegangen ist der Verein durch den Kalender "Der Andere Advent", der 1995 erstmalig in einer Auflage von 4000 Exemplaren erschien. 1998 gründete Pastor Hinrich C. G. Westphal dann den gemeinnützigen Verein Andere Zeiten. Er ist ökumenisch ausgerichtet und steht den christlichen Kirchen nah.
Berlin (epd). Die evangelische Kirche hat der vier Todesopfer des verheerenden Verkehrsunfalls in Berlin-Mitte gedacht. Rund 150 Menschen versammelten sich am Abend des 13. September zu einer Gedenkandacht in der St. Elisabeth-Kirche, die in unmittelbare Nähe des Unfallortes liegt. Darunter waren Angehörige und Freunde der Verunglückten. Auch Familien mit Kindern aus der Nachbarschaft nahmen an der Andacht teil.
Gestaltet wurde die Andacht von den zwei Gemeindepfarrern Matthias Motter und Christine Schlund sowie einem Vikar. "Wir sind hier, weil wir in der Trauer zusammengehören und in Solidarität einstehen", sagte Pfarrerin Schlund und zitierte aus Psalm 56,9 "Gott, sammle meine Tränen in deinem Krug".
Die Besucher der Andacht entzündeten in Gedenken an die Verstorbenen zahlreiche Teelichter und stellten sie an einen Tisch mit vier brennenden Kerzen. Musikalisch umrahmt wurde die Andacht von einem Cellisten.
Am 6. September war aus bisher nicht geklärter Ursache ein SUV in Berlin-Mitte in eine Fußgängergruppe auf dem Gehweg gerast. Vier Menschen wurden dabei getötet.
Köln (epd). Die aktuelle Diakoniespende im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region geht an das Diakoniehaus Salierring in der Kölner Innenstadt. "Wir wollen mit dieser Aktion das Thema Wohnungslosigkeit in die Öffentlichkeit bringen, so dass Menschen darüber nachdenken und sie einen Blick dafür bekommen, wie das Leben von Menschen ist, die keine feste Bleibe haben", sagte Stadtsuperintendent Bernhard Seiger am 9. September. Die Diakoniespende wird bis Sommer 2020 gesammelt. Der Kirchenverband Köln und Region verdoppelt dann die eingehenden Spenden bis zu einem Gesamtbetrag von 100.000 Euro.
In dem Tagestreff im Diakoniehaus Salierring bekommen wohnungslose Menschen den Angaben zufolge Kaffee und ein günstiges Frühstück, außerdem können sie duschen, ihre Wäsche waschen und erhalten neue Kleidung. Angeschlossen sind eine soziale Fachberatung, eine Krankenwohnung inklusive ärztlicher Versorgung und ein Bereich für Betreutes Wohnen. Besonders der Tagestreff und die Krankenstation seien in die Jahre gekommen und sollten mit den Spendengeldern renoviert und neu ausgestattet werden, erklärte der Kirchenverband.
Unterstützt wird die Diakoniespende 2019/2020 den Angaben nach unter anderem von WDR-Wetter-Moderator Karsten Schwanke, der ehemaligen Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner, dem Alt-Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Kock, und der Karnevalsband Planschemalöör.
Berlin/Münster (epd). Millionen Menschen wollen weltweit am 20. September für den Klimaschutz demonstrieren. In über 150 Ländern und auf allen Kontinenten soll es Proteste geben. Allein in Deutschland werden Hunderttausende zum dritten globalen Klimastreik erwartet. Anlass ist der bevorstehende Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York. Die Organisatoren der deutschen Proteste wollen auch ein Signal an das Klimakabinett in Berlin senden, das am gleichen Tag sein lang erwartetes Maßnahmenpaket auf den Tisch legen will.
Nicht nur die jugendlichen Aktivisten von "Fridays for Future" rufen zum Streik auf. Sie bekommen Rückendeckung von über 200 Unterstützergruppen und weiteren Akteuren. Das Spektrum reicht von klassischen Umweltschutzorganisationen über Menschenrechtsorganisationen, Kirchen, Forschungseinrichtungen, Gewerkschaften bis hin zu Banken und kleinen, mittelständischen, aber auch großen Unternehmen wie dem Axel Springer Konzern.
Demonstriert wird für eine Einhaltung der Pariser Klimaziele, also eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Die "Fridays for Future"-Bewegung fordert deshalb einen raschen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und eine Bepreisung von Kohlendioxid-Emissionen.
"Es wird groß", zeigt sich die "Fridays for Future"-Aktivistin, Carla Reemtsma, mit Blick auf den kommenden Freitag überzeugt. Wie viele Menschen sich am Klimaprotest beteiligen, lasse sich aber schwer prognostizieren. Am ersten globalen Klimastreik am 15. März nahmen nach Veranstalterangaben in Deutschland rund 300.000 Menschen teil, beim zweiten globalen Klimastreik am 24. Mai kurz vor der Europawahl wurden etwa 350.000 Teilnehmer bundesweit gezählt.
"Für den 20. September rechnen wir mit mehreren hunderttausend Menschen allein in Deutschland", so Reemtsma. Dabei werde nicht nur Berlin ein wichtiger Protestort sein. Auch in Hamburg, München, Köln würden mehrere tausend Demonstranten erwartet. Ebenso werde es in Düsseldorf, Bremen oder Leipzig große Kundgebungen geben. Im gesamten Bundesgebiet haben aktuell über 400 Ortsgruppen - von Aachen bis Zwickau - Klimaproteste angekündigt. "Und es werden jeden Tag noch mehr", sagt die 21-jährige Studentin aus Münster.
Die Ortsgruppen von "Fridays for Future" organisieren unabhängig voneinander ihre Aktionen. Informationen zu den Kundgebungen fließen auf der Internetseite klima-streik.org zusammen. Gewerkschaften wie der DGB, ver.di oder die GEW, einzelne Banken, Kirchen, Forschungseinrichtungen und Unternehmen wollen ihren Mitarbeitern für die Beteiligung an den Klimastreiks arbeitsfrei geben oder eine Streikbeteiligung zumindest ermöglichen.
Parallel zu "Fridays for Future" laufen Unterstützer-Aktionen anderer Gruppen oder Einzelaktivisten, die nicht gebündelt registriert werden. Geplant sind bunte Protestformate wie "Yoga for Future", Bootstouren fürs Klima, Klimaandachten, Baumpflanzaktionen, Kunstaktionen, Mahnwachen, Fahrrad-Demos oder Klimacamps. Auch mit umstrittenen Protestformaten ist zu rechnen wie etwa Straßenblockaden der internationalen Bewegung "Extinction Rebellion".
International wird wohl die Kundgebung in New York am meisten Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Demonstration im Vorfeld des UN-Sondergipfels am 23. September wird die Gründerin der Bewegung, die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, anführen.
Frankfurt a.M. (epd). Die meisten katholischen Bistümer und evangelischen Landeskirchen in Deutschland wollen ihren Mitarbeitern die Teilnahme an den Klimaprotesten am 20. September ermöglichen. Die Schüler-Bewegung "Fridays for Future" ruft für kommenden Freitag zu einem globalen Streik auf, an dem sich auch Erwachsene beteiligen sollen. Eine Umfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) unter den 20 evangelischen Landeskirchen und den 27 katholischen Diözesen in Deutschland ergab, dass die meisten Mitarbeiter zwar an den Protesten teilnehmen können, aber dafür nicht vom Dienst befreit werden.
Eine Ausnahme ist die hannoversche Landeskirche, die die Mitarbeiter des Landeskirchenamtes und weiterer kirchlicher Einrichtungen von der Arbeit freistellt, wie Landesbischof Ralf Meister dem epd sagte. Er bezeichnete die Teilnahme als "wichtiges Signal". Auch die Mitarbeiter des Kirchenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dürfen in ihrer Arbeitszeit zwischen 11 und 13 Uhr an der Demo in Hannover teilnehmen.
Die bayerische Landeskirche ermutigt ihre Mitarbeiter ebenfalls zur Teilnahme. Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland ist, kündigte an, selbst an der Demo in München teilnehmen zu wollen. "Engagement für die Begrenzung des Klimawandels ist nicht nur Engagement für die Bewahrung der Schöpfung, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit", sagte er dem epd. Die ersten Opfer des Klimawandels seien die, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen hätten.
Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, die badische, die oldenburgische, die pfälzische und die westfälische Landeskirche wollen die Arbeitszeiten so regeln, dass die Angestellten an den Demos teilnehmen können.
Unter den katholischen Bistümern ist das Erzbistum Berlin das einzige, das seinen Angestellten "formlos" ermöglichen möchte, für den Klimaschutz auf die Straße zu gehen. Die Mitarbeitervertretung müsse aber zustimmen, die Kernarbeitszeit an diesem Tag aufzuheben, erklärte das Bistum. Das Bistum Essen verzichtet am 20. September auf die Servicezeit im Generalvikariat. Eine Teilnahme an den Protesten gelte jedoch nicht als Arbeitszeit, teilte das Bistum mit. Das Sekretariat der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in Bonn beteilige sich nicht an den Streiks, teilte ein Sprecher mit.
Das Bistum Hildesheim unterstützt zwar die Anliegen von "Fridays for Future". Aber: "Wir sind eine Dienstgemeinschaft, in der Streik nicht vorgesehen ist (dritter Weg)", teilte das Bistum Hildesheim mit. Wer an der Kundgebung teilnehmen möchte, könne sich austragen oder später wiederkommen, hieß es. Ähnlich hält es die Mehrheit der Bistümer und Landeskirchen - eine Teilnahme an den Protesten ist durch Überstundenausgleich, Urlaub oder Gleitzeit möglich.
Das Erzbistum München und Freising erklärte, dass man sich "aus unserem katholischen Selbstverständnis heraus" selbstverständlich für die Bewahrung der Schöpfung einsetze. Man werde aber keine Empfehlungen geben, an welchen Aktivitäten sich Mitarbeitende oder Ehrenamtliche beteiligen sollen. Das Bistum Regensburg ließ verlauten, die politischen Einstellungen der Mitarbeiter seien deren Privatsache.
Ein Sonderfall stellen die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland und das Bistum Erfurt dar. Sie liegen im Bundesland Thüringen, in dem der 20. September, der Weltkindertag, ohnehin ein staatlicher Feiertag ist. An der Umfrage haben sich alle 20 Landeskirchen und 23 von 27 Diözesen beteiligt.
Am Freitag sind anlässlich des UN-Sondergipfels zum Klimaschutz am 23. September in New York weltweit Demonstrationen geplant. Zum ersten Mal wurden nicht nur Schüler, sondern alle Generationen von "Fridays for Future" zum Klimaprotest eingeladen, um für die Einhaltung des Pariser Abkommens zu demonstrieren. Am kommenden Freitag tagt auch das deutsche Klimakabinett und will seinen Entwurf für ein nationales Klimaschutzgesetz vorlegen.
Düsseldorf, Bielefeld (epd). Die evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümer in Nordrhein-Westfalen wollen ihren Mitarbeitern die Teilnahme an den Klimaprotesten am 20. September weitgehend ermöglichen. Die meisten Beschäftigten können sich an den Aktionen beteiligen, werden dafür aber nicht vom Dienst befreit, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) ergab. Sie müssen überwiegend Gleitzeit, Überstundenausgleich und Urlaubsmöglichkeiten nutzen.
Ein ähnliches Bild ergibt sich der epd-Umfrage zufolge bundesweit. Die Schülerbewegung "Fridays for Future" hat für kommenden Freitag alle Generationen zu einem bundesweiten Klimastreik aufgerufen. An diesem Tag sind weltweit Demonstrationen für mehr Klimaschutz geplant. Anlass für den "globalen Klimastreik" ist der UN-Sondergipfel zum Klimaschutz am 23. September in New York.
Die zentralen Anliegen der Klimaschutz-Bewegung werden von den Kirchen geteilt, die darüber hinaus auf eigenes Engagement verweisen. Die Teilnahme an Aktionen während der Arbeit ist aber nicht ohne Weiteres möglich. Die Evangelische Kirche im Rheinland, die zum Unterstützerkreis der Demos gehört, empfiehlt ihren Beschäftigten, einen Antrag auf Freistellung oder Beurlaubung zu stellen, der wohlwollend beschieden werde.
Für die Evangelische Kirche von Westfalen ermutige Präses Annette Kurschus kirchliche Mitarbeiter, "wo es zu verantworten ist, die Arbeitszeit zu unterbrechen" und an regionalen Demonstrationen, einer Andacht oder einem Gebet teilzunehmen. Vorgesetzte sollten ihren Mitarbeitenden ermöglichen, am 20. September ein Zeichen für den Klimaschutz zu setzen. Kurschus rief auch dazu auf, um Weisheit und Mut für Entscheider in Politik und Wirtschaft zu beten. Westfälische und rheinische Kirche gehören zur bundesweiten Klima-Allianz, einem breiten gesellschaftliches Bündnis mit über hundert Mitgliedsorganisationen.
Die Lippische Landeskirche ermöglicht und empfiehlt ihren Mitarbeitern ausdrücklich, sich an Aktionen zu beteiligen, und bietet den Akteuren von "Fridays for Future" eine Zusammenarbeit an. Im Bistum Essen können Beschäftigte in Abstimmung mit ihren Vorgesetzten an Aktionen teilnehmen, dies sei aber keine Arbeitszeit, hieß es. In Aachen soll die Teilnahme "im Rahmen flexibler Arbeitszeiten" möglich sein.
Das Erzbistum Köln teilte mit, die Zeiterfassung biete großen Freiraum für individuelle Gestaltung. "In diesem Rahmen wäre gemäß den geltenden Arbeitszeitregelungen gegebenenfalls auch eine Teilnahme zu handhaben". Eine Beteiligung an den Aktionen falle "in den persönlichen Entscheidungsbereich jedes Einzelnen".
Für das Erzbistum Paderborn erklärte Sprecher Benjamin Krysmann, nach kirchlicher Ordnung gebe es kein Streikrecht für Mitarbeitende. Sie engagierten sich auf andere Weise und setzten sich für ein klimabewusstes Leben ein. Das Sekretariat der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in Bonn beteiligt sich nach Angaben eines Sprechers nicht am Klimastreik. Aus dem Bistum Münster lag zunächst keine Antwort vor.
Frankfurt a.M. (epd). Zehntausende Menschen haben am Wochenende in Frankfurt am Main gegen die Internationale Automobilausstellung (IAA) protestiert und eine rasche Verkehrswende gefordert. An einer Großdemonstration am 14. September beteiligten sich der Polizei zufolge etwa 15.000 Menschen. Am 15. September blockierten Klima-Aktivisten drei Zugänge zum Messegelände. Sie hätten auch zeitweise den Busverkehr zur Automobilausstellung behindert, teilten die Initiatoren des Bündnisses "Sand im Getriebe" mit.
Die Polizei zählte bei den Blockaden mehrere hundert Aktivisten, "Sand im Getriebe" sprach von 1.000 Teilnehmern. Die IAA sei weiter zugänglich, sagte eine Polizeisprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Besucher würden auf die anderen Eingänge verwiesen. Ziel sei es, sowohl die Versammlungsfreiheit der Demonstranten als auch die Interessen der IAA-Besucher zu garantieren. Gleichwohl sei es an einem Eingang zu einem Zusammenstoß zwischen Aktivisten und der Polizei gekommen, bei der zwei Beamte leicht verletzt worden seien.
Das Bündnis "Sand im Getriebe" äußerte sich zufrieden mit dem Verlauf der Blockade-Aktion. "Die Messe ist gesungen. Eine IAA in dieser Form wird es sicher nicht mehr geben. Die Zeiten, in denen VW, Daimler, BMW und Co. sich und ihre zerstörerischen Blechkisten ungestört feiern, sind vorbei", sagte Sprecherin Marie Klee. Zum Bündnis "Sand im Getriebe" gehören die globalisierungskritische Organisation Attac sowie die Gruppierungen "Climate Justice Frankfurt" und "Critical Mass Mainz". Das Bündnis fordert autofreie Städte, kostenlosen öffentlichen Nahverkehr sowie einen massiven Ausbau von Fahrradinfrastruktur.
Am 14. September, dem ersten Publikumstag der IAA, waren die Demonstranten zu Fuß und mit dem Rad zum Messegelände gezogen. Sie forderten eine Verkehrswende, die die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels des Pariser Klimaabkommens sicherstellt. Das veranstaltende Bündnis #aussteigen sprach von 25.000 Teilnehmern, davon 18.000 Radfahrer. Die Polizei zählte insgesamt rund 15.000 Teilnehmer. Alles sei friedlich verlaufen, sagte eine Sprecherin.
Der Protest richtete sich auch an die Politik. Am 20. September will das Klimakabinett der Bundesregierung sein Maßnahmenpaket für den Klimaschutz vorlegen. Dem Verkehr kommt dabei eine besondere Rolle zu. "Jetzt muss die Regierung liefern und den Rahmen setzen für eine Wende weg von der autofixierten Verkehrspolitik und hin zu klimafreundlichen, sauberen und lebenswerten Städten", erklärten die Organisatoren der #aussteigen-Proteste.
Zum Bündnis #aussteigen gehören die Umweltverbände BUND, Campact, Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace, Naturfreunde, der Verkehrsclub VCD und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club ADFC. Aufgerufen zu der Demonstration hatte auch Attac.
Münster, Köln (epd). Der Luftreinhalteplan für die Stadt Köln ist laut Gerichtsentscheidung rechtswidrig und muss überarbeitet werden. Die bisher vorgesehenen Maßnahmen genügten nicht den Anforderungen der Europäischen Richtlinie und des Bundesimmissionsschutzgesetzes, entschied das Oberverwaltungsgericht Münster am 12. September. (Az: 8 A 4775/18) Ob Fahrverbote nötig sind, ließ das Gericht offen. Die Landesregierung NRW begrüßte das Urteil: Sie sieht darin die erfolgreiche Abwendung von Fahrverboten. Auch die Deutsche Umwelthilfe wertet das Urteil als Erfolg und rechnet mit Fahrverboten.
Das Oberverwaltungsgericht bestätigte zum Teil das von der Deutschen Umwelthilfe erstrittene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln. Der Grenzwert für Stickstoffdioxid, im Jahresmittel 40 Mikrogramm pro Kubikmeter, sei an verschiedenen Stellen im vergangenen Jahr deutlich überschritten worden, erklärte das Gericht. An vier Stellen Kölns werde nach bisherigen Prognosen der Grenzwert im Jahr 2020 nur mit Diesel-Fahrverboten eingehalten werden können. Betroffen sind davon die Messstellen Clevischer Ring, Justinianstraße, Luxemburger Straße und Neumarkt. Für die übrigen Messstellen in Köln scheine es nicht zwingend geboten, auch dort Fahrverbote anzuordnen.
Eine Fahrverbotszone wurde jedoch vom Oberverwaltungsgericht nicht angeordnet. Streckenbezogene Fahrverbote könnten unter Umständen genügen, hieß es. Die Bezirksregierung Köln hatte bereits einen überarbeiteten Luftreinhalteplan aufgestellt, der seit April dieses Jahres gilt. Das Oberverwaltungsgericht erklärte diesen Luftreinhalteplan für "unzureichend". An einigen Messstellen wurden laut Gericht Jahresmittelwerte für 2018 von 59 Mikrogramm pro Kubikmeter und 48 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen. Zulässig sind aber nur 40 Mikrogramm.
Fahrverbote müssten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verhältnismäßig sein, führte das Gericht aus. In dem neuen Luftreinhalteplan müsse das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch die Bezirksregierung Köln, unter Berücksichtigung der weiteren Entwicklung der Messwerte daher zunächst streckenbezogene Fahrverbote prüfen. Die Bezirksregierung müsse auch prüfen, für welche Fahrzeuge Ausnahmen vom Fahrverbot erteilt werden könnten, ohne die Einhaltung der Grenzwerte zu gefährden. Der Senat ließ die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zu, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.
Die Landesregierung NRW erklärte, durch das Urteil werde es kein zonales Fahrverbot in Köln geben, wie es noch das Verwaltungsgericht zuvor angeordnet habe. Inwieweit streckenbezogene Fahrverbote als Ultima Ratio erforderlich seien oder andere Maßnahmen wirkten, sei von der Bezirksregierung erneut zu prüfen, erklärte die Staatskanzlei in Düsseldorf. "Mit dem Urteil würdigt der Senat unsere gemeinsamen Bemühungen, die sich bereits in deutlich verbesserten Messwerten zeigen", sagte Staatssekretär Heinrich Bottermann in Münster. Damit sei es gelungen, ein zonales Fahrverbot abzuwenden. Auch gebe es weiterhin keinen Automatismus für Fahrverbote.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) begrüßte das Urteil. Die Landesregierung sollte nun nach der zweiten Niederlage in den Luftreinhalteverfahren vor dem Berufungsgericht ihren Bürgern reinen Wein einschenken und rechtzeitig mitteilen, dass Diesel-Fahrverbote kommen würden, erklärte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Nach Einschätzung der DUH sei die Einführung von Fahrverboten auf vier Hauptverkehrsstraßen in Köln unvermeidbar. "Da das Land mit diesem zweiten von uns gewonnenen Urteil die Rechtsauffassung des Gerichts auch für die zwölf weiteren Städte kennt, freuen wir uns auf die im Oktober terminierten Vergleichsgespräche mit der Landesregierung."
Frankfurt a.M. (epd). Mehr als jeder Zweite lehnt SUVs einer Umfrage zufolge ab, vor allem mit Blick auf den CO2-Ausstoß der Fahrzeuge. An das Treibhausgas dächten vor allem die 14- bis 29-Jährigen, wenn sie ein solches Fahrzeug sehen (43 Prozent), heißt es in einer Erhebung von Kantar Emnid im Auftrag des evangelischen Monatsmagazins "chrismon" (online). Dagegen seien viele Leute in den Vierzigern bequem: 31 Prozent sagten: "SUV? Da komme ich gut rein und raus."
An der repräsentativen Erhebung nahmen 1.021 Befragte teil. Die Daten wurden vor dem tödlichen Verkehrsunfall erhoben, bei dem am 6. September in Berlin vier Menschen ums Leben gekommen sind.
Insgesamt waren 34 Prozent der Befragten der Meinung, der CO2-Ausstoß der SUVs sei viel zu hoch. 19 Prozent sahen positiv, dass man bequem ein- und aussteigen könne. Man fühle sich in den Autos sicher, fanden elf Prozent. Sieben Prozent stimmten zu, dass man in den Wagen einen guten Überblick habe. Dagegen waren 13 Prozent der Ansicht, SUVs benötigten zu viel Platz und fünf Prozent sehen in SUVs eine Gefahr für Radfahrer und Fußgänger.
Am 6. September war ein Geländewagen in Berlin in eine Gruppe Passanten gefahren. Vier Menschen starben, darunter ein dreijähriger Junge. Daraufhin war eine Debatte über die Gefährlichkeit von SUVs entbrannt. Der Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Stephan von Dassel (Grüne), twitterte: "Solche panzerähnlichen Autos gehören nicht in die Stadt."
Berlin, Bochum (epd). Hitzerekorde weltweit, zunehmende Dürren und Wirbelstürme: Der Klimawandel verschärft die Probleme rund um die Wasserversorgung und erhöht damit die Verwundbarkeit von Gesellschaften. Das geht aus dem Weltrisikobericht 2019 hervor, den das Bündnis "Entwicklung Hilft" und das Friedensinstitut der Uni Bochum am 12. September veröffentlichten.
Um das Katastrophenrisiko zu senken, bräuchten Menschen eine doppelte Wassersicherheit: Zugang zu ausreichend sauberem Wasser und Schutz vor Überschwemmungen und Tsunamis. Ob das in Zukunft zu erreichen sei, hänge wesentlich davon ab, wie entschlossen die internationale Gemeinschaft gegen den Klimawandel vorgehe, warnen die Autoren des Berichts. Wassermangel könne indes auch Kriege auslösen.
"Gerade in Entwicklungsländern muss die Politik dringend handeln und allen Haushalten sicheren Zugang zu sauberem Wasser verschaffen", sagte Peter Mucke, Geschäftsführer des Bündnisses "Entwicklung Hilft", dem neun private und kirchliche Hilfsorganisationen angehören. "Nach extremen Naturereignissen muss die Wasserversorgung schnell wiederhergestellt werden, um Überleben zu sichern und die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern", fügte er hinzu.
Besonders problematisch sei vielerorts das Fehlen sanitärer Anlagen, eine wichtige Ursache für die hohe Kindersterblichkeit, heißt es in dem Bericht. Wassermangel wirke sich zudem nicht nur auf Landwirtschaft und Gesundheit aus. Wenn Kinder zum Wasserholen statt in die Schule geschickt würden, leide ihre Bildung. Besonders armen Menschen fehle häufig ein eigener Wasseranschluss im Haushalt, und an öffentlichen Wasserstellen würden nicht selten Gebühren fällig. "Oft zahlen ausgerechnet die Ärmsten am meisten für Wasser", sagte Mucke.
Nach dem Weltrisikoindex 2019 des Instituts für Friedenssicherungsrecht und humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Uni Bochum sind drei tropische Inselstaaten am stärksten durch extreme Naturereignisse wie Erdbeben, Wirbelstürme oder den Anstieg des Meeresspiegels gefährdet: Vanuatu im Südpazifik, Antigua und Barbuda (Karibik) sowie Tonga, ebenfalls im Südpazifik. Deutschland landete demnach mit einem geringen Katastrophenrisiko auf Rang 163 von insgesamt 180 Ländern.
Auch Gebiete in Afrika und Asien sind bedroht. "Die globalen Hotspots des Risikos liegen in Ozeanien, Südostasien, Mittelamerika sowie in West- und Zentralafrika", bilanzieren die Autoren des Berichts. Die Risiken seien eng mit Armut und Ungleichheit verknüpft. Auf vorderen Plätzen stehen auch die Philippinen, Papua-Neuguinea, Osttimor, Bangladesch, Guyana, Costa Rica und Guatemala. Dagegen seien die erdbebengefährdeten Staaten Japan, Uruguay und Chile in der Lage, ihre Anfälligkeit erheblich zu reduzieren. Auch die Niederlande träfen mit Blick auf den steigenden Meeresspiegel Vorsorge.
Durch neue Daten hat sich die Gefahr laut der Bochumer Professorin Katrin Radtke für Vanuatu und Tonga gegenüber früher dagegen weiter erhöht. Am wenigsten bedroht sind nach dem Index Katar und Malta. Bei der Einstufung eines Landes werden die Gefährdung durch extreme Naturereignisse, die Anfälligkeit, die Kapazitäten zur Bewältigung und die Anpassungsfähigkeit berücksichtigt.
Frankfurt a.M. (epd). Klimakrise, Umweltzerstörung und Artensterben: Davor wurde schon vor Jahrzehnten gewarnt. Bereits 1962 beschrieb die US-amerikanische Biologin Rachel Carson in "Der stumme Frühling", wie sich Gifte in der Nahrungskette verbreiten. Die 1972 von Dennis Meadows veröffentlichte Studie "Grenzen des Wachstums" sah die Gefahr einer ökologischen Übernutzung des Planeten. Der als erster Umweltreport der Geschichte geltende Bericht an den US-Präsidenten, "Global 2000", von 1980 analysierte eine Reihe zu erwartender Probleme, nicht zuletzt beim Klima. "Die Schlussfolgerungen, zu denen wir gelangt sind, sind beunruhigend", hieß es schon damals.
Lange wurden diese Warnungen von Politik und Wirtschaft ignoriert, aber ohne Wirkung waren sie Experten zufolge nicht. "Es war natürlich nicht alles richtig, was in diesen Studien gesagt wurde. Bei vielen Themen hat sich der Wissensstand weiterentwickelt. Aber deren Grundaussagen zu Themen wie Klimawandel, Umweltzerstörung und Artensterben sind auch weiterhin richtig", sagt der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Sascha Müller-Kraenner, in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd).
"Der stumme Frühling" der Wissenschaftsjournalistin Rachel Carson sei ein sehr einflussreiches Buch gewesen. Deren Hauptaussage - die verheerenden Auswirkungen von Pestiziden wie dem Insektizid DDT vor allem auf Vögel - habe durchaus Folgen gehabt. Dass die schlimmsten Produkte in diesem Bereich, wie etwa Lindan, vom Markt genommen wurden, sei nicht zuletzt Carsons Verdienst.
Die Studie "Grenzen des Wachstums" im Auftrag des Club of Rome von 1972 sei zu einem Zeitpunkt erschienen, als es in der Umweltpolitik eine Aufbruchstimmung gab, sagt Müller-Kraenner. Ein Meilenstein sei die Weltumweltkonferenz der Vereinten Nationen 1972 in Stockholm gewesen. Es folgte eine Welle an Gründungen von Umweltministerien und Behörden, erst in den USA, dann auch in Deutschland, wie der Experte beschreibt.
Allerdings habe der Bericht der 1968 gegründeten internationalen Wissenschaftler-Vereinigung Club of Rome viele Dinge in drastischen, übermäßig pessimistischen Worten ausgemalt. "Heute weiß man, die Ressourcen und Reserven reichen noch viel länger als man damals gedacht hat", sagt Müller-Kraenner. Es habe Fortschritte bei der Energieeinsparung gegeben, man fand neue Lagerstätten von Öl und Gas. Dennoch stimme die Grundaussage, dass die Ressourcen endlich und das Wachstum begrenzt seien. Die Studie habe damals noch nicht sehen können, dass die planetaren Grenzen vor allem durch Abfallstoffe, Klimagase oder Luftschadstoffe überschritten würden.
Der Global-2000-Bericht von 1980 ist der erste Versuch einer globalen umweltpolitischen Bestandsaufname. Müller-Kraenner: "Der Bericht hat aber nicht die ganze Wirkung entfaltet, die er in der Tendenz hätte haben können." Grund sei der "umweltpolitische Rollback" Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre mit dem Aufstieg neokonservativer und neoliberaler Kräfte und der Amtszeit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und des US-Präsidenten Ronald Reagan. Jimmy Carter hatte damals eine Photovoltaikanlage auf dem Dach des Weißen Hauses aufstellen lassen. Sein Nachfolger Reagan "ließ das Ding als erstes wieder abbauen", erinnert sich Müller-Kraenner.
Wichtig sei aus deutscher Sicht auch die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre" gewesen, die von 1987 bis 1990 tagte und in ihrem Abschlussbericht den Impuls für ein erstes deutsches Klimaschutzziel gab. Dies sei "unglaublich einflussreich" gewesen: Es habe damals einen parteiübergreifenden Konsens über die Notwendigkeit klimapolitischer Maßnahmen gegeben. Man habe bereits über eine Energie- oder Klimasteuer geredet. Müller-Kraenner: "Das liest sich wie heute."
Der weltweite Klimawandel war als neue globale Herausforderung ins Bewusstsein gedrungen. Die Umwelt-Klassiker hatten tatsächlich großen Einfluss, bilanziert der Experte: "Die Berichte haben ihre Aufgabe, aufzuklären und das Bewusstsein zu schärfen, erfüllt." Aber das ersetze nicht politisches Handeln.
Die jahrzehntelange weitgehende Ignoranz gegenüber den Warnungen vor Klimawandel und Umweltzerstörung aus der Wissenschaft liege vor allem in der menschlichen Natur, sagt der Journalist und Umwelt-Experte Franz Alt (81): "Um aktiv zu handeln oder sein Handeln zu verändern, bedarf es zunächst eines Bewusstseinswandels. Solche schwierigen Prozesse dauern immer viele Jahrzehnte."
Alt hält eine rechtzeitige Umkehr zu einem globalen nachhaltigen Lebensstil noch für möglich: "Die dafür notwendigen neuen Technologien sind längst vorhanden." Die alles entscheidende Frage sei, "ob Bürgerinnen und Bürger die Chancen nutzen. Und ob Politiker endlich mutiger und ehrlicher werden als bisher."
Genf (epd). Rund sieben Millionen Menschen sind laut einer Studie in den ersten sechs Monaten 2019 innerhalb ihres Landes vor extremen Wettersituationen und Naturkatastrophen geflohen. Das sei ein historischer Höchststand, erklärte eine Sprecherin des Beobachtungszentrums für Binnenflüchtlinge am 13. September in Genf dem Evangelischen Pressedienst (epd).
In einem Bericht über Vertreibungen im ersten Halbjahr 2019 nennt das Zentrum den Zyklon "Fani" in Indien und Bangladesch, den Zyklon "Idai" im südlichen Afrika und Überschwemmungen im Iran. Viele Wetterextreme wie Stürme, Fluten und Dürren gehen laut Experten des Weltklimarates direkt auf die Erderwärmung zurück.
Weitere 3,8 Millionen Menschen flüchteten im ersten Halbjahr 2019 den Angaben nach innerhalb der Grenzen ihres Landes vor Gewalt und Konflikten. Zu besonders massiven Fluchtbewegungen sei es innerhalb der Länder Syrien, Jemen, Afghanistan, Libyen und der Demokratischen Republik Kongo gekommen. Das Beobachtungszentrum wurde vom unabhängigen Norwegischen Flüchtlingsrat gegründet, um Daten über Fluchtbewegungen innerhalb von Ländern zu sammeln und Analysen zu erstellen.
Düsseldorf, Berlin (epd). Zehn Tage vor der Entscheidung des Klimakabinetts über Maßnahmen für mehr Klimaschutz hat Nordrhein-Westfalen eine Intiative für ein Zertifikate-Modell gestartet. Das Land werde einen Antrag auf eine marktbasierte CO2-Bepreisung bei Gebäuden und Verkehr in den Bundesrat einbringen, kündigte die Landesregierung am 10. September nach einer auswärtigen Kabinettssitzung in Berlin an. Die Emissionen in diesen Bereichen würden bisher nicht vom Emissionshandel erfasst. Die Bundesregierung solle daher Zertifikate einführen.
"Mit einem marktbasierten Zertifikate-Modell zur CO2-Bepreisung kann Deutschland die internationalen Klimaziele erreichen", erklärte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Die Einnahmen aus den Zertifikaten sollen nach Angaben von Wirtschafts- und Energieminister Andreas Pinkwart (FDP) eingesetzt werden, um die Stromsteuer und die EEG-Umlage zu senken und "flankierende klimaschützende Maßnahmen" zu finanzieren. Mehrkosten für Bürger und Unternehmen würden auf diese Weise ausgeglichen.
Deutschland habe sich europarechtlich verpflichtet, die Emissionen in den Sektoren Verkehr und Gebäude ab 2021 kontinuierlich zu senken, hieß es. Die vorgeschlagene Zertifikate-Lösung sehe ein Mengenziel der CO2-Emissionen vor und schaffe Anreize, den Ausstoß von Kohlendioxid zu vermeiden und damit die Gesamtmenge zu reduzieren. Eine CO2-Steuer lehnt Pinkwart dagegen ab. Dadurch würden "die Minderungsziele nicht sicher erreicht", erklärte er.
Das sogenannte Klimakabinett der Bundesregierung will am 20. September entscheiden, wie es in der Klimapolitik weitergehen soll. Union und SPD sind sich einig, dass der Ausstoß von Kohlendioxid bepreist werden soll. Während die SPD und Umweltverbände für eine CO2-Steuer plädieren, favorisiert die Union Treibhausgas-Zertifikate, mit denen gehandelt werden kann.
Düsseldorf/Aachen (epd). Umweltaktivisten fordern einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Räumung des Hambacher Forstes vor einem Jahr. Eine komplette Aufklärung des Polizei-Einsatzes sei im öffentlichen Interesse, erklärte Kathrin Henneberger von der Anti-Braunkohle-Bewegung "Ende Gelände" am 12. September in Münster. Sie warf der nordrhein-westfälischen Landesregierung von CDU und FDP vor, "eine von RWE in Auftrag gegebene Räumung durchgeführt und in Hinterzimmergesprächen geheime Absprachen getroffen" zu haben.
Die Räumung des Forstes sei "verantwortungslos und grob fahrlässig" gewesen, sagte Umweltschützerin Antje Grothus von der Initiative "Buirer für Buir". "Der soziale Frieden war massiv gefährdet." Innenminister Herbert Reul (CDU) hätte innehalten und die Ergebnisse der damals tagenden Kohlekommission abwarten müssen, "statt mit massiver Polizeigewalt vorzugehen". Grothus war Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission.
Bastian Neuwirth von Greenpeace Deutschland forderte verbindliche Zusagen für den Erhalt des Hambacher Forstes und die noch verbliebenen Dörfer im Kohlerevier. "Der Hambacher Forst ist derzeit mehr gefährdet, denn je", erklärte er. Der nahe liegende riesige Tagebau Garzweiler II von RWE habe in den beiden heißen Sommern 2018 und 2019 "wie ein Riesenfön" den Wald ausgetrocknet. Notwendig seien ein sofortiger Stopp der Bagger von RWE und die Einrichtung einer 500 Meter breiten thermischen Pufferzone um den Hambacher Forst. Das Waldstück sollte dazu in eine Stiftung überführt werden. Bei einem "Großen Waldspaziergang" am 13. Oktober wollen die Aktivisten dort als Symbol neue Bäume pflanzen.
Die Umwelt-Gruppen werden sich vorher am 20. September an dem Klima-Aktionstag von "Fridays for Future" beteiligen. Geplant ist eine Demonstration in Köln ab 13 Uhr vom Hauptbahnhof nach Köln-Deutz ziehen. Für Ende 2019 kündigten die Aktivistin neue Blockaden von Braunkohlebaggern in der Lausitz an.
Der Hambacher Forst ist ein wenige hundert Hektar großes Waldstück zwischen Köln und Aachen, das als Symbol des Widerstands gegen den Braunkohle-Abbau gilt. Umweltschützer und Polizei lieferten sich dort monatelang teilweise gewalttätige Auseinandersetzungen. RWE wollte als Betreiber des Tagebaus Hambach ursprünglich ab Mitte Oktober 2018 die Hälfte des noch stehenden Waldes roden. Nachdem sich die von der Bundesregierung eingesetzte Kohlekommission für den Erhalt des Hambacher Forsts aussprach und sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) dem anschloss, kündigte der Essener Energiekonzern an, bis 2020 keine weiteren Bäume zu fällen.
Köln (epd). Waren aus Retour-Sendungen im Onlinehandel sollte nach Ansicht des Kölner Erzbischofs Rainer Maria Woelki gespendet werden, statt sie zu vernichten. Die Vernichtung sei hierzulande manchmal einfacher als die Spende an Bedürftige, sagte Woelki am 15. September in seinem "Wort des Bischofs" im Bistumssender Domradio.de. "Das muss sich ändern!"
Der Kardinal verwies darauf, dass nach Schätzungen des Umweltministeriums in Deutschland jedes Jahr Millionen Pakete mit Produktbestellungen zurückgeschickt werden. Dadurch würden Waren im Wert von mehreren Milliarden Euro vernichtet. Allerdings könne jeder mithelfen, dass die Flut der Rücksendungen kleiner werde: "Einfach mal bei einer Bestellung verantwortlicher auswählen und so Ressourcenverschwendung vermeiden", riet Woelki.
Gelsenkirchen (epd). Im Wissenschaftspark Gelsenkirchen ist am 14. September der Deutsche Solarpreis 2019 an acht vorbildliche Projekte verliehen worden. Die Preisträger zeigten eindrucksvoll, "dass mit Engagement und Intelligenz die Energiewende von unten machbar ist", sagte der Präsident der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energien (Eurosolar), Peter Droege, nach Angaben eines Sprechers. Bund und Länder stünden "heute mehr denn je in der Pflicht, diese Erfolgsgeschichten breit und schnell überall zum Einsatz kommen zu lassen".
Der undotierte Preis ging in acht Kategorien an Initiativen, Unternehmen und Einzelpersonen, die eine konsequente und dezentrale Energiewende verfolgen. Ihr Engagement zeuge "von einem Fortschrittsdenken, welches für die Energiewende in NRW und der ganzen Bundesrepublik dringend gebraucht wird", lobte der Geschäftsführer der Energieagentur.NRW, Lothar Schneider. Eurosolar verleiht die Auszeichnung seit 1994 einmal im Jahr.
Geehrt wurden die Mainova AG in Frankfurt am Main für ihr Mieterstrommodell, die Bremer Weser-Stadion GmbH für die effiziente und ästhetisch anspruchsvolle Integration einer Photovoltaik-Anlage in den Baukörper des Stadions, das Unternehmen Busch-Jaeger Elektro in Lüdenscheid für einen CO2-neutralen Fertigungsstandort und die Bioenergiegenossenschaft Mengsberg für ihr Sonnen- und Bioenergiedorf.
Weitere Auszeichnungen gingen an den Journalisten Gero Rueter aus Bonn für seine Berichterstattung über die Energiewende, die Stadtwerke Solingen für nachhaltigen öffentlichen Nahverkehr auf Basis traditioneller Infrastrukturen, den Verein Energie Impuls OWL für seinen "Bobby Car Solar Cup" sowie den Dokumentarfilmer Carl-A. Fechner "für seine jahrzehntelange Hingabe für die Energiewende".
München (epd). Die Bundesregierung will künftig jeden vierten Flüchtling aufnehmen, der nach einer Seenotrettung in Italien an Land gegangen ist. "Wenn alles bleibt wie besprochen, können wir 25 Prozent der aus Seenot geretteten Menschen übernehmen, die vor Italien auftauchen", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der "Süddeutschen Zeitung" (14. September) "Das wird unsere Migrationspolitik nicht überfordern." Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl begrüßten die Zusage Seehofers.
Seehofer erklärte, eine ursprünglich von ihm angestrebte Regelung, wonach Flüchtlinge zunächst zu Ausschiffungsplattformen in Nordafrika gebracht werden sollten, um dort ihr Asylverfahren abzuwickeln, sei vorerst vom Tisch. "Dazu braucht es ein bis zwei Länder in Nordafrika, die das befürworten. Die gibt es nicht."
Frankreich, Deutschland, Italien und Malta wollen sich beim Treffen der EU-Innenminister am 23. September in Malta auf eine vorläufige Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen in Europa einigen. Im Oktober soll der Vorschlag dem Europäischen Rat vorgelegt werden. "Die Erwartung ist, dass weitere Staaten sich anschließen", sagte Seehofer.
Nach den Worten von Bedford-Strom kommt nun Bewegung in die Schaffung eines europäischen Verteilmechanismus für gerettete Flüchtlinge. Die Ankündigung Seehofers sei "ein großer Fortschritt und müsste die anderen europäischen Länder in einer 'Koalition der Willigen' nun auf jeden Fall dazu bringen, Ähnliches zuzusagen", schrieb der Ratsvorsitzende auf seiner Facebook-Seite.
"Dann kann die große Aufnahmebereitschaft, die so viele europäische Städte bereits offiziell erklärt haben, endlich abgerufen werden", fügte Bedford-Strohm hinzu und sprach von einem "Schritt zu mehr Humanität im Mittelmeer". Er schaue mit zuversichtlicher Spannung auf das Treffen am 23. September.
Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland", es sei gut, dass Deutschland die Bereitschaft zeige, "großzügig nach vorne zu gehen". Jeder Gerettete sei "ein Impuls gegen die knallharte Politik, die der italienische Innenminister Matteo Salvini durchgezogen hat". Der geplante Verteilmechanismus dürfe aber nicht nur für die aus Seenot geretteten Flüchtlinge gelten, sondern auch für die, die es in maroden Booten auf eigene Faust nach Europa geschafft hätten.
Innenminister Seehofer unterstrich, auch mit der geplanten Regelung bleibe die Zahl Geflüchteter überschaubar, die zusätzlich nach Deutschland kommen könnten. Die Bundesregierung habe auch bisher schon rund ein Viertel der Geretteten aus Italien übernommen: "An diesem Schlüssel ändert sich nichts."
Es sei aber höchste Zeit, sich von dem "quälenden Prozedere" zu verabschieden, bei dem in den vergangenen Jahren bei jedem einlaufenden Rettungsschiff Flüchtlinge einzeln über Europa verteilt werden mussten, erklärte Seehofer. In den vergangenen zwölf Monaten kamen laut der "Süddeutschen Zeitung" 561 Bootsflüchtlinge über Italien nach Deutschland.
Die 82 geretteten Flüchtlinge, die seit einer Woche an Bord der "Ocean Viking" ausgeharrt hatten, konnten am späten Abend des 14. September in Lampedusa an Land gehen. Italienischen Medienberichten zufolge wollen Deutschland, Frankreich und Italien je 24 der geretteten Flüchtlinge aufnehmen. Portugal habe sich bereiterklärt, acht der Geflüchteten einreisen zu lassen, Luxemburg nehme zwei Migranten auf.
Berlin/Tripolis (epd). In den Internierungslagern für Flüchtlinge und Migranten in Libyen herrschen nach Angaben von "Ärzte ohne Grenzen" verheerende Zustände. "Besonders schlimm ist die Situation in einem Gebäude, in dem 45 Menschen zusammenleben. Sie können nie raus, sehen die Sonne nicht, haben keine Frischluftzufuhr", sagte Christoph Hey, der die Arbeit der Hilfsorganisation im Lager Sintan leitete, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
"In einigen dieser Gebäude leben Menschen mitunter seit zwei Jahren - auf weniger als zwei Quadratmetern Platz", fügte der 43-jährige Ökonom hinzu, der vor wenigen Tagen aus Libyen zurückkehrte. Sintan liegt zweieinhalb Autostunden südlich der Hauptstadt Tripolis und ist nach seinen Angaben mit 600 Menschen völlig überfüllt. Darunter seien 130 Minderjährige.
45 Internierte in einem Haus müssen sich eine Dusche teilen, bei der häufig Wasser auslaufe. Die Klärgrube sei alle paar Tage überflutet und drücke den Inhalt zurück in die Toilette. Solche Verhältnisse gelten nach Heys Worten für die Internierung der Migranten und Flüchtlinge insgesamt in Libyen. "Die Zustände sind entsetzlich", sagte er.
Lebensmittel erhielten die Internierten zwar ausreichend, aber es gebe keinerlei Vitamine, keine Proteine. "Es ist eine absolute Mangelernährung", berichtete der Projektleiter. "Morgens gibt es ein Stück Brot, zwei Mal am Tag Makkaroni mit einem Klecks Tomatensoße. Ein Mal in der Woche Reise oder Couscous - und das über mehrere Monate hinweg." Deshalb seien die Menschen geschwächt, Krankheiten nähmen zu. In Sintan seien zwischen September 2018 und Mai 22 Menschen gestorben. Eine Ursache sei Tuberkulose.
Viele der Menschen seien schon zwei oder drei Jahre unterwegs, seien teilweise gefoltert oder zur Arbeit gezwungen worden. Einige hätten erfolglos versucht, das Mittelmeer zu überqueren, und säßen nun seit vielen Monaten in den Camps fest, ohne Ausweg. Die meisten Menschen in Sintan stammten aus Somalia und Eritrea und hätten auf der Flucht schon Schlimmes erlebt. Hey sprach von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk schätzt, dass 4.700 Flüchtlinge und Migranten in den Internierungscamps in Libyen festgehalten werden. Von Libyen aus versuchen viele Menschen, in Booten das Mittelmeer zu überqueren. Werden sie von der Küstenwache aufgegriffen, werden sie in der Regel in ein Lager gebracht. Das UN-Hilfswerk versucht, Aufnahmeländer für die Flüchtlinge zu finden und sie aus den Lagern im Bürgerkriegsland Libyen auszufliegen.
Düsseldorf, Berlin (epd). Die Zahl der mutmaßlich von Flüchtlingen in Deutschland begangenen Straftaten ist im vergangenen Jahr erneut gesunken. Im Jahr 2018 registrierten nach Daten des Bundesinnenministeriums, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegen, die Polizeibehörden 265.930 Straftaten aus dem Kreis von Asylbewerbern, Geduldeten und Ausländern mit unerlaubtem Aufenthalt. Die Düsseldorfer "Rheinische Post" (10. September) hatte zuvor über die Zahlen berichtet, die aus Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der AfD-Fraktion sowie aus der polizeilichen Kriminalstatistik stammen.
Den Angaben von Ministerium und Polizei zufolge war die höchste Zahl 2016 mit bundesweit fast 290.000 Straftaten aus dem Kreis von Asylbewerbern, Geduldeten und Ausländern mit unerlaubtem Aufenthalt verzeichnet worden. Bereits 2017 hatte es einen Rückgang auf 271.171 Straftaten gegeben. Weiterhin liegen Tatverdächtige aus Syrien (25.328), Afghanistan (16.678) und dem Irak (10.225) mit weitem Abstand an der Spitze. Doch auch hier ergibt ein Vergleich mit den Vorjahren 2017 und 2016 einen sinkenden Trend.
Die von der Polizeistatistik als "Zuwanderer" zusammengefasste Gruppe mit Asylbewerbern, Geduldeten und Ausländern mit unerlaubtem Aufenthalt macht nach Angaben der Zeitung mit 281.628 einen Anteil von 13,8 Prozent unter den insgesamt 2,051 Millionen Tatverdächtigen in Deutschland aus. Im Vorjahr waren es demnach noch 14,2 Prozent. Rechne man den relativ großen Bereich ausländerrechtlicher Verstöße heraus, beispielsweise Verstöße gegen die Residenzpflicht, dann liege der Anteil der Gruppe "Zuwanderer" unter allen Tatverdächtigen in Deutschland 2018 nur noch bei 8,5 Prozent, hieß es. Im Vorjahr waren es nach Zeitungsangaben 8,6 Prozent.
Unter den einzelnen Straftaten gab es in der Gruppe Zuwanderer allerdings Anstiege. Bei Morden stieg die Zahl den Ministeriumsangaben zufolge von 77 im Jahr 2017 auf 98 im Jahr 2018, bei gefährlichen und schweren Körperverletzungen stiegen die Zahlen von 16.853 auf 16.929. Deutlich sanken hingegen innerhalb eines Jahres unter anderem die Zahlen der Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen von 1.324 auf 1.082 sowie bei Totschlag von 312 auf 261.
In NRW bilden unter den tatverdächtigen Flüchtlingen und Asylbewerbern die Syrer mit 5.886 die größte Gruppe. Mit Blick auf alle nichtdeutschen Tatverdächtigen liegen jedoch in der Kriminalstatistik Türken mit 19.553 weit darüber. Ähnlich verhält es sich den Angaben nach in Rheinland-Pfalz mit 1.295 tatverdächtigen Syrern und 3.190 Türken. In Hessen kommen demnach die meisten tatverdächtigen Flüchtlinge aus Afghanistan (1.696). Aber auch dort waren unter den ermittelten Nichtdeutschen deutlich mehr Türken (6.486) und Rumänen (5.029).
Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Zweifel an der Selbstdarstellung der AfD als "bürgerlich". Bürgertum, Rechtsstaat und individuelle Freiheitsrechte gehörten zusammen, sagte Steinmeier dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" und ergänzte: "Wer sich in dieser Tradition sieht, der kann nicht gleichzeitig einem ausgrenzenden, autoritären oder gar völkischen Denken huldigen. Das ist das Gegenteil von bürgerlich: Es ist antibürgerlich."
Eine Partei müsse sich entscheiden, wo sie stehen wolle: "entweder völkisch kollektivistisch oder aufgeklärt bürgerlich". "Beides gleichzeitig geht nicht", sagte Steinmeier. Das Bürgerliche zeige sich "in der Verteidigung der Freiheit, der Anerkennung des Individuums und damit auch im Respekt vor Andersdenkenden". Um diese Haltung gehe es. Demokratie lebe von der Kontroverse. "Aber Frust ist kein Freifahrtschein für Menschenfeindlichkeit", sagte Steinmeier.
Der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Bundestag, Alexander Gauland, warf Steinmeier vor, den "Boden der Neutralität" zu verlassen. "Ein Bundespräsident sollte sich nicht in Parteipolitik einseitig einmischen", erklärte er am 13. September. Ähnlich äußerte sich AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen. Er bezeichnete die Äußerung Steinmeiers außerdem inhaltlich als "Unfug".
Steinmeier sagte dem Nachrichtenmagazin auch, dass er nicht glaube, dass die Regierungsparteien den Rechtsextremismus unterschätzten. Beide Parteien befänden sich aber in Diskussionen über ihre politische Führung, Strategie und inhaltliche Orientierung. "Das raubt ihnen Kraft, Zeit und Energie für notwendige Debatten in einer Öffentlichkeit, die zu Recht hohe Erwartungen an die Problemlösungskompetenz einer Regierung stellt", sagte Steinmeier.
Zudem warnte er vor einem Verblassen der Erinnerung an den Nationalsozialismus. "Die eigene Geschichte und die Gegenwart derjenigen, die wählen gehen, sind nicht mehr genügend miteinander verknüpft", sagte der Bundespräsident und betonte: "Unsere Verantwortung kennt keinen Schlussstrich."
Saarbrücken (epd). Im Internet wird nach Beobachtungen des saarländischen Verfassungsschutzes immer stärker rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet. "Propaganda, Hass und Fake-News in den sozialen Netzwerken werden von Rechtsextremisten gezielt genutzt, um Wahlen zu beeinflussen", warnte der Chef des saarländischen Verfassungsschutzes Helmut Albert, bei der Vorlage des "Lagebildes Verfassungsschutz 2018" am 11. September in Saarbrücken. Die Regulierung der Internetkonzerne sei für die Demokratie mindestens ebenso wichtig wie die Verfolgung von rechtsextremistischen Straftaten.
Sogenannte "soziale Medien" bieten nach Beobachtungen des saarländischen Verfassungsschutzes Rechtsextremisten und anderen Unzufriedenen eine "Käseglocke" aus "Fake-News" und Hetze. Das belege der Versuch seines Dienstes, erklärte Albert. Nach dem Anlegen eines vorgeblich rechtsextremen Profils habe ein Verfassungsschutzmitarbeiter nur noch Freundschaftsanfragen von Rechtsextremisten sowie Links zu Hetzparolen und Fake-News bekommen.
Als sich der Verfassungsschützer als IS-Anhänger ausgegeben habe, habe er hingegen Freundschaftsanfragen und Informationen von Gegnern der Islamisten erhalten, erklärte Albert weiter. Das zeige, dass es für die Konzerne durchaus möglich sei, extremistische Inhalte auszufiltern, sagte der Verfassungsschutz-Chef.
Saar-Innenministern Klaus Bouillon (CDU) sah vor allem Bundesregierung und Europäische Union gefordert, bei ihren Verhandlungen mit den Internet-Konzernen darauf drängen, den Extremisten einen Riegel vorzuschieben. Die Situation im Saarland sei vergleichsweise ruhig.
Straftaten mit rechtsextremistischen Hintergrund sanken den Angaben zufolge im Saarland 2018 um rund fünf Prozent auf 215. Die rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, fast ausschließlich Delikte der Körperverletzung, stiegen von 15 auf 18. Bis auf zwei seien die Täter dem Verfassungsschutz nicht bekannt gewesen. Albert wertete das als ein Indiz dafür, dass sich rechtsextremistisches Gedankengut nicht auf die vom Verfassungsschutz beobachtete Szene beschränkt, sondern sich weit in die Gesellschaft hinein erstreckt.
2018 registrierten die Behörden mit 29 antisemitische Straftaten mehr als doppelt so viele als im Jahr zuvor (2017: 13). Eine Ursache dafür könnte auch in der verstärkten öffentlichen Wahrnehmung und der medialen Berichterstattung liegen, hieß es. Dies führe zum einen zu mehr Nachahmungstaten, zum anderen würden Bürger mehr Straftaten anzeigen. Bis auf einen seinen alle Tatverdächtige deutsche Staatsbürger gewesen.
Die Zahl der Islamisten erhöhte sich den Angaben zufolge im Saarland von 300 auf 360. Dies sei vor allem dem Anstieg der Zahl von Salafisten (250 auf 325) geschuldet, die aber Gewalt ablehnten. Der Verfassungsschutz beobachte rund ein Dutzend Personen, die möglicherweise gewaltbereit seien. Die Gefahr eines islamistischen Anschlags in Deutschland ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes weiter "real", auch wenn es in diesem und im vergangenen Jahr keine solche Bluttat gegeben habe.
Im Bereich Linksextremismus gab Albers "Entwarnung". Bei der gewaltorientierten linksextremistischen Szene habe die Aufklärungsarbeit über "rechte Strukturen" im Vordergrund gestanden. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten hat sich demnach 2018 von 19 auf 8 mehr als halbiert. Erstmals seit Jahren gab es keine linksextremistisch motivierten Gewalttaten im Saarland.
Bochum (epd). Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat die israelkritische BDS-Bewegung kritisiert, zugleich aber zur Differenzierung aufgerufen. Die Kampagne überschreite Grenzen, wenn sie zum Boykott Israels aufrufe und das Existenzrecht des Staates Israel infrage stelle, sagte die frühere Bundesjustizministerin (FDP) am 15. September in Bochum. Nicht jeder BDS-Sympathisant sei aber ein Antisemit.
Die BDS-Bewegung fordert eine Ende der Besetzung palästinensischer Gebiete und ruft zum Boykott israelischer Waren und Dienstleistungen auf. Der Bundestag hatte die Argumentationsmuster und Methoden der Bewegung im Mai als antisemitisch bezeichnet. Auch Leutheusser-Schnarrenberger erklärte, der BDS wolle keine politische Diskussion über Israel führen, sondern den jüdischen Staat gefährden.
Die FDP-Politikerin sprach in der Bochumer Christuskirche bei einem Benefiz-Festival der neuen "Jüdischen Kultur-Initiative". Sie lobte, die Initiative setze sich mit ihrem Engagement ausdrücklich für die künstlerische Freiheit jüdischer Künstler in Deutschland ein. Die Aktion sei aus der Mitte der Gesellschaft entstanden, zeige eine klare Haltung und setze auf Begegnung der Menschen.
Der Europaabgeordnete Dietmar Köster (SPD) beklagte, dass der Antisemitismus in zahlreichen europäischen Ländern zugenommen habe, und kritisierte ebenfalls die BDS-Kampagne. Die Bezeichnung Israels als Apartheid-Staat passe nicht zur realen Situation in dem Land, sagte Köster.
Düsseldorf/München (epd). Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wirft dem Bund vor, sich mit seinen Investitionen zu stark auf Ostdeutschland zu konzentrieren. "Eine Sanierung West ist längst überfällig", sagte Laschet der in München erscheinenden "Süddeutschen Zeitung" (13. September). In den vergangenen 30 Jahren seien "viele, viele Milliarden Euro für den Aufbau Ost bereitgestellt" worden. "Hochverschuldete Kommunen im Ruhrgebiet haben sogar Kredite aufgenommen, um den Aufbau Ost mitzubezahlen", erklärte er. Diese Kommunen würden jetzt zu Recht sagen, "gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, heißt auch im Westen zu investieren".
Das größte Problem dieser Kommunen seien ihre Altschulden, sagte Laschet. Er sei deshalb froh, dass auch der Bund nun über dieses Thema nachdenke. Es müsse jetzt eine gesamtdeutsche Herangehensweise geben und nicht nur einen Geldtransfer nach Ostdeutschland, forderte der der stellvertretende Bundesvorsitzender der CDU. "Dabei müssen wir differenziert helfen. Generell zu sagen, der ländliche Raum ist abgehängt, ist nicht richtig."
In Nordrhein-Westfalen sei der ländliche Raum der stärkste, erklärte der Ministerpräsident. Als Beispiel nannte er das Münsterland oder das Sauerland. "Da gibt es viele Autozulieferer, starke Familienunternehmen, praktisch Vollbeschäftigung." In NRW sei die Herausforderung "der erfolgreiche Strukturwandel in den Städten des Ruhrgebiets". In Ostdeutschland sei es dagegen anders herum: "Dort hat der ländliche Raum große Schwierigkeiten, die meisten Städte blühen."
Latschet warnte vor der Annahme, zu glauben, mit stärkeren Investitionen im Osten sei dort der wachsende Zuspruch gegenüber Rechtspopulisten aufzuhalten. "Mit Geld werden wir der AfD nicht beikommen", sagte er. Die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg hätten "doch auch gezeigt, dass die Stimmen für diese Partei Ergebnis von Wut und Aggression sind, die aus ganz unterschiedlichen Gründen gewachsen sind". Ein Teil der Wähler habe keine finanziellen Sorgen, mache aber trotzdem sein Kreuz bei der "spalterischen AfD".
Düsseldorf (epd). Die Gesamt- und Sekundarschulen in sozial schwachen Stadtteilen in Nordrhein-Westfalen schlagen Alarm und fordern mehr Unterstützung vom Land. Eine von der Gemeinnützigen Gesellschaft Gesamtschulen (GGG) angestoßene Initiative "Schule hoch drei" forderte am 9. September in Düsseldorf vor allem mehr Lehrpersonal und eine bessere Ausstattung. Das NRW-Schulministerium verwies darauf, dass schon jetzt die sozialräumliche Lage von Schulen bei der Verteilung von Lehrerstellen berücksichtigt werde.
Rund 100 Schulen sind "Schule hoch drei" - der Name will laut GGG die Menge der Probleme andeuten - inzwischen beigetreten. Zentrales Problem sei der Lehrermangel, sagte die Sprecherin der Initiative, Dorothee Kleinherbers-Boden. "Wir sind kaum noch in der Lage, auf dem angespannten Arbeitsmarkt qualifiziertes Personal zu finden." Notwendig seien wenigstens 25 Prozent mehr Lehrer an den Problemstandorten.
Stellen könnten auch deshalb nicht besetzt werden, weil Kollegen Schulen in besser gestellten städtischen Lagen bevorzugten, erklärte die Sprecherin. Das NRW-Schulministerium müsse deshalb dringend gegensteuern, damit auch die Schulen in schwierigen Stadtlagen genug Personal bekämen. Dazu brauche es Anreize wie finanzielle Zulagen und weniger Pflichtstunden. Notwendig sei auch eine Pflicht, die die Arbeit an diesen Schulen zur Voraussetzung für Beförderungen mache.
Die Lage an den Schulen in den sozial schwachen Stadtteilen hat sich nach Feststellung der GGG auch durch den Zuzug von Flüchtlingen weiter erschwert. Immer mehr Schüler mit Migrationshintergrund, ohne Deutschkenntnisse und ohne Alphabetisierung kämen in die Klassen, die zudem immer größer würden und zum Teil bis zu 29 Schüler hätten. Im Gegenzug habe sich die Versorgung mit Lehrern verschlechtert. Damit, warnt die GGG in ihrem Positionspapier, wachse die Gefahr einer Benachteiligung aller Kinder. Der Lernerfolg der Schüler gerate immer mehr in Abhängigkeit vom Schulstandort.
Das nordrhein-westfälische Schulministerium betonte, es sei der Landesregierung ein großes Anliegen, die Ressourcen unter Berücksichtigung der oftmals sehr unterschiedlichen Ausgangslagen an den Schulen zu verteilen. Im aktuellen Schuljahr 2019/20 werden bereits 4.510 Stellen unter Berücksichtigung eines Kreissozialindexes an die Schulen gegeben, wie das Ministerium dem epd mitteilte. Das seien doppelt so viele Stellen wie noch unter der Vorgängerregierung.
Da der Index jedoch nur die soziale Belastung von Kreisen und kreisfreien Städten messe, werde zurzeit ein passgenaues Modell eines Schulsozialindexes erarbeitet. Dabei sollen grundsätzlich alle allgemeinbildenden Schulformen in den Blick genommen werden. Zudem verwies das Ministerium auf bereits geschnürte Maßnahmenpakete zur Verbesserung der Personalsituation an Schulen und die in diesem Schuljahr gestarteten sogenannten Talentschulen, die mehr Chancengleichheit ermöglichen sollen.
Unterstützung erhielt die Initiative von der SPD-Fraktion im Landtag. Der schulpolitische Sprecher Jochen Ott bezeichnete die Herstellung von Bildungsgleichheit als größte Herausforderung in Nordrhein-Westfalens Städten und Gemeinden. Er warnte, die dramatische Lage an den Grundschulen werde sich verschärfen. Daher brauche es für alle Lehrer die gleiche Gehaltsstufe.
Gütersloh, Düsseldorf (epd). Für ihren beispielhaften gemeinsamen Unterricht von Schülern mit und ohne Förderbedarf erhalten Schulen in Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Berlin und Hamburg den Jakob Muth-Preis für inklusive Schule. Gewinner sind in diesem Jahr die die Bonner Marie-Kahle-Gesamtschule, die Staatliche Gemeinschaftsschule Kulturanum in Jena, die Friedenauer Gemeinschaftsschule aus Berlin und die Schule An der Burgweide in Hamburg, wie die Bertelsmann Stiftung am 16. September in Gütersloh mitteilte. Die ausgezeichneten Schulen erhalten ein Preisgeld in Höhe von je 3.000 Euro.
Zum ersten Mal wird ein ebenfalls mit 3.000 Euro dotierter Publikumspreis für ein Schülerprojekt vergeben. Er geht an das Projekt "Herausspaziert" der Matthias-Claudius-Gesamtschule in Bochum. Unter dem Motto "erlebe Deine Fähigkeiten" wird dort Achtklässlern ermöglicht, eigene Projekte zu entwickeln und umzusetzen. Nach den Sommerferien haben sie drei Wochen Zeit, als Gruppe geplante Wander- und Radtouren zu unternehmen oder Romane zu scheiben. Jeder Schüler hat ein Budget von 150 Euro zur Verfügung.
Die nordrhein-westfälische Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) gratulierte den Preisträgern und zeigte sich erfreut über die zwei Preisträger aus NRW. Die ausgezeichneten Schulen zeigten eindrucksvoll, wie Inklusion vor Ort gelingen kann, "mit kreativen Konzepten und individuellen Ideen". Die Landesregierung arbeite daran, die Voraussetzungen für eine gelingende Inklusion in den Schulen zu verbessern, erklärte sie. Das NRW-Bildungsministerium plant, bis 2025 rund 6.000 zusätzliche Stellen für die Inklusion an weiterführenden Schulen zu schaffen. Das Land investiert dafür den Angaben zufolge rund 1,9 Milliarden Euro. Zudem sollen rund 1,8 Millionen Euro für Fortbildungen bereitgestellt werden.
Zehn Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention sei Inklusion auch an deutschen Schulen immer noch keine Selbstverständlichkeit, hieß es vonseiten der Stifter. Noch immer gingen deutschlandweit fast genauso viele Kinder auf "separierende Sonderschulen" wie 2009, kritisierte Ute Erdsiek-Rave von der Deutschen Unesco-Kommission. Die Kommission ist gemeinsam mit dem Bundesbehindertenbeauftragten Jürgen Dusel und der Bertelsmann Stiftung Projektträgerin des Jakob Muth-Preises.
Schule habe auch die Aufgabe, Kindern den Wert einer demokratischen Gesellschaft zu vermitteln, betonte Dusel. "Zu einer guten Demokratie gehört, Vielfalt und Inklusion als Bereicherung zu sehen und zu leben." Deswegen sollte inklusive Bildung selbstverständlich sein: "Es geht um Respekt, Partizipation, um Mitwirkung, um die aktive Gestaltung des eigenen Lebens."
Der Jakob Muth-Preis wird am 25. September in Berlin verliehen. Er ist nach dem Bochumer Pädagogen Jakob Muth (1927-1993) benannt, der sich für eine gemeinsame Erziehung behinderter und nicht behinderter Kinder eingesetzt hat.
Frankfurt a.M. (epd). Einmal wurde es Jochen Jülicher zu bunt: Heiratswillige haben dem ehemaligen katholischen Priester schon viele ausgefallene Wünsche vorgetragen. Dieses Paar, das ihm gegenüber saß, wollte Silvester-Raketen zünden im Moment des Ja-Wortes.
Jülicher arbeitet seit 20 Jahren als freier Trauredner. Er beobachtet seit einigen Jahren, dass Hochzeiten immer aufwendiger und teurer werden. Einen enormen Einfluss habe das Internet auf Hochzeitsfeiern. "Die Paare rennen hinter Klischees her."
In den vergangenen fünf Jahren ist die Zahl der Eheschließungen wieder gestiegen. 2018 erreichte sie nach Angaben des statistischen Bundesamtes mit rund 449.000 Eheschließungen den höchsten Stand seit 1992. Hochzeiten sind heute große Events. Das Dienstleistungsportal "ProntoPro" meint in einer Studie herausgefunden zu haben, dass Paare durchschnittlich über 19.000 Euro für die Hochzeitsfeier ausgeben. Laut einer anderen Studie einer Grafikagentur, die sich auf Einladungskarten spezialisiert hat, lassen sich 78 Prozent der Paare von sozialen Medien inspirieren.
Wer auf Instagram den Hashtag #hochzeit eingibt, der sieht komplizierte Blumenarrangements aus Rosen und Gladiolen, Fotos von Frauen in feenhaften Brautkleidern mit kunstvoll aufgetürmten Frisuren. Auf den Plattformen im Internet geben Nutzerinnen und Nutzer, aber vor allem auch kommerzielle Anbieter die Schablone für die Hochzeitsfeier vor - die Outfits, die Dekoration, die Zeremonie.
Auch bei Paaren, die kirchlich heiraten, ist dies zu beobachten. Die Wünsche der Paare seien individueller als früher, erklärt eine Sprecherin der Evangelischen Kirche Deutschland. Dies habe sicher auch damit zu tun, dass kirchliche Rituale nicht mehr allen vertraut seien und daher mitunter Bilder aus den Medien zur Folie bei der Ausgestaltung der eigenen Hochzeit genommen werden.
In jedem Traugottesdienst, den Pastorin Josephine Teske bisher gehalten hat, waren Fotografen oder sogar ganze Kamerateams anwesend. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Paare arm oder reich sind: "Am Fotografen wird nicht gespart", sagt die 32-Jährige.
Auch sie hat bemerkt, dass die Leute bei der Gestaltung der Hochzeit medial beeinflusst werden. Die Bräute hätten zum Beispiel alle die Vorstellung aus romantischen Filmen, vom Vater zum Altar geführt zu werden. Von der Kirche sei das nicht so gewollt. Schon Martin Luther (1483-1546) sei der Meinung gewesen, dass Mann und Frau zusammen in die Kirche einziehen sollten. Der Vater, der seine Tochter zum Altar führt und sie dort ihrem Ehemann übergibt - das sei nur eine Hollywoodvorstellung. "Ich persönlich kann das nicht nachvollziehen", sagt sie.
Die Überbetonung des Weiblichen sei ein weiterer Punkt. Alles drehe sich am Tag der Hochzeit um die Frau: "Keine soll so schön sein wie die Braut", sagt Teske. Im Gottesdienst nehme sie als Pastorin jedoch gerne auf humorvolle Weise Bezug auf den Alltag und das Leben des Paares, damit "entzaubere" sie die romantische Überhöhung der Ehe.
Den Leuten fehle es an gesellschaftlichen Vorbildern, sagt der Alltagskulturforscher Gunther Hirschfelder. So suchten sie im Internet danach. Das habe zur Folge, dass die Feier genau geplant und inszeniert werde. Auch um die Feier in den sozialen Medien darzustellen.
"Wir haben heute durch die medialen Vorlagen ein strukturkonservatives Frauenbild, das weibliche Formen überbetont," sagt Hirschfelder. Frauen erhielten durch die sozialen Medien vermittelt, unterwürfig und schön zu sein. Die Frau als zartes, prinzessinnenhaftes Geschöpf sehe auf Bildern gut aus und gefalle den Followern - und das gebe Likes.
Trauredner Jochen Jülicher hat auf manchen Hochzeiten das Gefühl, er befinde sich in einem Fotostudio. Außerdem wollten viele Paare bei der Traurede nur hören, dass sie das perfekte Brautpaar seien. Er persönlich könne damit nicht viel anfangen. Dem Paar, das ihm mit den Silvester-Raketen kam, erteilte er jedenfalls eine Absage. "Dann habe ich das Vorgespräch zur Trauung abgebrochen."
Königswinter (epd). Der Trend zur Urnenbestattung führt auf vielen Friedhöfen zu nicht mehr benötigten Freiflächen. Diese verursachten weiterhin hohe Pflege- und Unterhaltungskosten, daher strebten viele Friedhofsträger eine anderweitige Nutzung oder den Verkauf solcher Areale an, teilte die Verbraucherinitiative Bestattungskultur "Aeternitas" am 10. September in Königswinter bei Bonn mit. In Deutschland werden den Angaben zufolge mittlerweile mehr als zwei Drittel der Verstorbenen eingeäschert, vor 25 Jahren war das Verhältnis zwischen Erd- und Feuerbestattungen noch umgekehrt.
Urnengräber benötigten jedoch allesamt weitaus weniger Platz als Sarggräber, fügte Aeternitas hinzu: "Auch finden immer mehr Beisetzungen außerhalb klassischer Friedhöfe statt, insbesondere in Bestattungswäldern oder auf See. Darüber hinaus werden die Nutzungsrechte an großen Familiengrabstätten immer seltener verlängert." In den vergangenen Jahrzehnten habe sich damit auf vielen Friedhöfen das Problem der sogenannten Überhangflächen, die nicht mehr für Bestattungen benötigt werden, weiter verschärft. Verschiedene Experten gehen davon aus, dass dies auf nahezu die Hälfte der rund 35.000 Hektar Friedhofsfläche in Deutschland zutrifft.
Die Kosten für Pflege und Unterhaltung überflüssiger Friedhofsflächen dürften nicht den Gebührenzahlern aufgebürdet werden, hieß es weiter. Friedhofsträger suchten daher nach anderen Auswegen. "Im Raum stehen in der Regel zwei Handlungsoptionen: Die Überhangflächen zu veräußern oder für andere öffentliche Zwecke bereitzustellen." Dies könne allerdings zu Konflikten führen, warnte Aeternitas. Es seien hier nicht nur Wirtschaftlichkeitskriterien zu berücksichtigen, auch der Gesichtspunkt der Pietät spiele eine Rolle. "Um möglichen Konflikten im Vorfeld zu begegnen, sollte immer der Dialog mit den Bürgern gesucht werden", bekräftigt der Aeternitas-Vorsitzende Christoph Keldenich. Viele Menschen würden an ihren Friedhöfen hängen, weshalb die vollständige Schließung eines ganzen Friedhofs besonders umstritten und nur selten eine Option sei.
Saarbrücken, Karlsruhe (epd). Drei Bundesländer wollen künftig eng bei der Pflege von rund 2.000 Gräbern deportierter Juden in Südfrankreich zusammenarbeiten. Das Saarland, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz unterzeichneten am 9. September in Karlsruhe eine Vereinbarung zum Erhalt der Gräber. "Unser Ziel ist, dass kein Grab aufgelassen wird und alle Gräber in einem würdigen, der jüdischen Begräbniskultur entsprechenden Zustand sind", sagte der saarländische Bildungsminister Ulrich Commerçon (SPD). Die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) betonte, in Zeiten eines erstarkenden Antisemitismus müsse das Gedenken wachgehalten werden.
Im Oktober 1940 wurden mehr als 6.600 jüdische Bürger aus dem heutigen Saarland, Baden und dem heutigen Rheinland-Pfalz von den Nationalsozialisten nach Südfrankreich in das Lager Gurs deportiert. Viele von ihnen starben in dem Lager am Fuß der Pyrenäen an Hunger und Kälte. Überlebende wurden den Angaben zufolge in andere französische Außenlager oder in Vernichtungslager im Osten transportiert. An mehr als 30 Orten in Südfrankreich befinden sich Einzel- und Massengräber, teils in einem schlechten Zustand.
Die drei Bundesländer verpflichten sich zu einer "dauerhaften und würdigen Erhaltung der Gräber", heißt es in der Vereinbarung. Zudem wollen sie die Jugendbildungsarbeit zu dem Thema fördern. Baden-Württemberg stellt dafür jährlich 120.000 Euro zur Verfügung, Rheinland-Pfalz 30.000 Euro und das Saarland 5.000 Euro. Etwa 5.600 der deportierten Juden stammen laut Kultusministerium aus Baden, 825 aus dem heutigen Rheinland-Pfalz und 125 aus dem heutigen Saarland. Bislang hatte eine Arbeitsgemeinschaft badischer und pfälzischer Städte zusammen mit dem Oberrat der Israeliten Badens die Gräber bei Gurs erhalten.
Detmold (epd). Das Urteil im Prozess um den hundertfachen Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz in Lügde ist rechtskräftig. Die beiden Angeklagten hätten innerhalb der Wochenfrist keine Revision gegen das Urteil der Jugendschutzkammer des Landgerichts Detmold eingelegt, teilte Gerichtssprecher Wolfram Wormuth am 13. September mit.
Die beiden Männer waren am 5. September zu Freiheitsstrafen von 13 und zwölf Jahren mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt worden (AZ: 23 KLs 14/19). Laut Gericht haben der 56-jährige Andreas V., der auf einem Campingplatz im lippischen Lügde nahe der Landesgrenze zu Niedersachsen lebte, und der 34-jährige Mitangeklagte Mario S. sich in rund 400 Fällen des Kindesmissbrauchs schuldig gemacht. Unter den Opfern war auch das Pflegekind des Hauptangeklagten.
Dass die beiden Männer nicht die 15-jährige Höchststrafe erhielten, begründete Vorsitzende Richterin Anke Grudda unter anderem mit den Geständnissen der Männer. Auch seien beide Männer nicht vorbestraft. Ein 49-jähriger Mitangeklagter aus dem niedersächsischen Stade war in einem abgetrennten Verfahren bereits am 17. Juli wegen Anstiftung zum schweren Missbrauch und Beihilfe zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden (AZ: 23 KLs 20/19).
Dortmund (epd). In Dortmund sind drei Rechtsextremisten vorläufig festgenommen worden. Den Männern wird gefährliche Körperverletzung gegen einen 25-Jährigen vorgeworfen, wie die Polizei in Dortmund am 9. September mitteilte. Nach ersten Erkenntnissen handele es sich um eine politisch motivierte Straftat. Die Ermittlungen des Dortmunder Staatsschutzes dauerten an, hieß es. Bei den Tatverdächtigen handele sich um drei bekannte Dortmunder Rechtsextremisten im Alter von 65, 49 und 39 Jahren. Aufzeichnungen der Videoüberwachungskameras wurden den Angaben nach gesichert.
Am 7. September sollen die drei Männer auf einem Bahnsteig der U-Bahn-Haltestelle Unionstraße das Opfer zunächst verbal angepöbelt haben. Einer von ihnen soll den 25-jährigen Dortmunder dann mit einem Gehstock mehrfach ins Gesicht geschlagen haben. Die drei tatverdächtigen Männer entfernten sich anschließend mit der nächsten U-Bahn. Die Polizei konnte sie jedoch am Wilhelmplatz in Dortmund-Dorstfeld im Rahmen der Fahndung vorläufig festnehmen.
Frankfurt a.M./Köln (epd). Nervös kratzt Lara K. (Name geändert) die Reste ihres rosa Nagellacks ab. Immer wieder streicht sich die 18-Jährige aus dem Raum Limburg in Hessen mit ihren zierlichen Händen über die mit Narben übersäten Arme. Lange ist es noch nicht her, dass sie in Frankfurt Platte gemacht hat. So nennen es Obdachlose, wenn sie im Freien schlafen.
Jetzt sitzt die junge Frau in einem der Beratungsräume der Frankfurter Streetwork-Station von "Off Road Kids" - einer Hilfsorganisation für Straßenkinder- und Jugendliche. Hier stehen ein paar bunte Stühle, mehrere Computer, an der Wand hängen Plakate mit Informationen zur Schwangerschaftsverhütung, in einer Schale liegen Kondome zum Mitnehmen.
Die 1993 gegründete Organisation arbeitet auch in Dortmund, Berlin, Köln und Hamburg mit Straßenkindern. Sie finanziert sich nach eigenen Angaben vor allem aus Spenden. Die Mitarbeiter erreichen die jungen Obdachlosen im Internet über die Onlineberatung "sofahopper.de" oder direkt vor Ort.
Lara K. hat harte Tage hinter sich. Ihr schwarzer Kajal ist verschmiert, manchmal hat sie Mühe, die Augen aufzuhalten. Vor wenigen Wochen ist die junge Hessin auf der Straße gelandet, nachdem sie aus der Psychiatrie abgehauen war, wie sie erzählt. Sie packte ihre Sachen, kaufte sich Alkohol und fuhr betrunken mit dem Zug nach Frankfurt. Ein oder zwei Wochen verbrachte sie dort unter freiem Himmel. Die meiste Zeit war sie am Hauptbahnhof oder auf der Einkaufsstraße Zeil, genau weiß sie es nicht mehr.
Mit etwa 14 Jahren hätten bei ihr Depressionen begonnen, erzählt sie. Ihr Vater habe sie und ihren Freund tyrannisiert. Der sei Deutscher - ein No-Go für das muslimische Oberhaupt der Familie, wie die Deutsch-Türkin erzählt. Mehrere Klinikaufenthalte hat die Jugendliche hinter sich, mit ihrer Pflegefamilie kam sie nicht zurecht.
Kaum auf Frankfurts Straßen angekommen, lernte sie ein Mädchen kennen, hing mit ihr ab, rauchte Crack. "Ich hab mein ganzes Geld für den Scheiß ausgegeben", sagt Lara K. und zupft sich an einem ihrer geweiteten Ohrlöcher. Nachts konnte sie nicht schlafen, blieb tagelang wach. Irgendwann hat eine Drogenhilfeeinrichtung im Bahnhofsviertel die Ausreißerin an Dvora Leguy von "Off Road Kids" vermittelt.
"Du warst ein bisschen durcheinander", erinnert sich die Leiterin der Streetwork-Station an das erste Treffen mit Lara K. zurück. Inzwischen wohnt die 18-Jährige wieder in der Limburger Gegend, bei einer Freundin.
37.000 wohnungslose Kinder und junge Erwachsene bis 27 gibt es laut Schätzungen in Deutschland. Etwa 7.000 von ihnen sind minderjährig - diese Zahlen hatte das Deutsche Jugendinstitut München 2017 nach einer bundesweiten Befragung von Fachkräften genannt. Meistens seien es familiäre Gründe, aus denen Jugendliche den eigenen vier Wänden den Rücken zukehrten, berichtet Carolin Hoch, die die Studie betreute.
Amtliche Statistiken über das Ausmaß der Wohnungs- und Obdachlosigkeit gibt es bisher nicht, wie kürzlich die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG) bemängelte. Die Bundesregierung arbeitet an einem Gesetz für eine solche Erhebung. Ab 2021 soll das Statistische Bundesamt bundesweit Zahlen wohnungsloser Menschen ermitteln.
Der massive Wohnungsmangel verschärfe die Lage junger Obdachloser, erklärte "Off Road Kids" in diesem Frühjahr mit Blick auf die eigene Jahresstatistik von 2018. Im vergangenen Jahr sei es gelungen, bundesweit 400 Jugendliche dauerhaft unterzubringen. Das seien allerdings 20 Prozent weniger als 2017, heißt es in dem Bericht. Es sei höchste Zeit, dass die Kommunen für mehr Wohnraum sorgten, fordert Vorstandssprecher Markus Seidel.
Auch die Notunterkünfte seien oft überfüllt, berichtet Dvora Leguy in Frankfurt. Es müsse eine Einrichtung nur für Kinder und Jugendliche geben, findet die junge Sozialarbeiterin. Mit einem Bett für ein paar Tage sei es aber nicht getan: Das Team von "Off Road Kids" möchte seinen Klienten langfristige Perspektiven aufzeigen, wie die 34-Jährige erklärt.
Ein Beispiel dafür sei das "Prejob"-Projekt, das kürzlich in Dortmund an den Start ging: Es soll die Jugendlichen zunächst bei einem Schulabschluss und später beim Start in eine Berufsausbildung unterstützten. Im ersten Schuljahr haben laut Stiftung bereits drei Schüler einen Haupt- oder Realschulabschluss erreicht.
Auch Lara K. schmiedet Zukunftspläne. Im September beginnt die gerade Volljährige mit einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme. Hier möchte sie ihren Hauptschulabschluss nachholen und später Sozialarbeiterin werden. "Ich bin ja noch jung", sagt sie und lacht leise.
Gütersloh (epd). Bis 2039 könnte laut einer aktuellen Studie jeder fünfte Rentner von Altersarmut betroffen sein. Innerhalb von 20 Jahren könnte der Anteil der von Armut bedrohten Senioren von derzeit 16,8 Prozent auf 21,6 Prozent steigen, erklärte die Bertelsmann Stiftung in einer am 12. September veröffentlichten Studie. Zu den größten Risikogruppen gehören demnach unter anderem Alleinstehende und Geringqualifizierte. Sozialverbände und die Diakonie forderten die rasche Einführung einer Grundrente sowie leichteren Zugang zu Rentenleistungen. Als armutsgefährdet gilt laut Studie, wer ein monatliches Nettoeinkommen unter 905 Euro hat.
Der Anteil der Rentner, die auf staatliche Unterstützung zur Existenzsicherung angewiesen sind (Grundsicherungsquote), könnte der Studie zufolge bis 2039 von aktuell neun Prozent auf knapp 12 Prozent steigen. Die Grundsicherungsschwelle liegt laut Studie für einen Ein-Personen-Haushalt bei etwa 777 Euro.
"Selbst bei einer positiven Arbeitsmarktentwicklung müssen wir mit einem deutlichen Anstieg der Altersarmut in den kommenden 20 Jahren rechnen", erklärte Studienleiter Christof Schiller von der Bertelsmann Stiftung. Das im Koalitionsvertrag vorgesehene Modell einer Grundrente würde das Armutsrisiko bis 2039 lediglich um 0,4 Prozentpunkte auf 21,2 Prozent reduzieren, erklärten die Autoren der Studie. Auch die von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgeschlagene bedingungslose Grundrente würde die Quote auf lediglich 18,4 Prozent verringern.
Die Studie plädiert dafür, die von Heil geplante Reform um eine einfache Einkommensprüfung ohne Vermögensprüfung und eine flexiblere Auslegung der anerkannten Versicherungszeiten zu ergänzen. Durch die Einkommensprüfung werde sichergestellt, dass nur einkommensschwache Haushalte die Aufwertung der Rentenanwartschaften bekämen.
Der Sozialverband VdK forderte, die Regierungskoalition müsse endlich ihren Streit über die Grundrente beenden. Rentner, die auf Grundsicherung im Alter angewiesen sind, benötigten einen Freibetrag von 212 Euro im Monat, erklärte die VdK-Präsidentin Verena Bentele. Menschen, die wegen Krankheit nicht mehr arbeiten können, sollten zudem eine reformierte Erwerbsminderungsrente erhalten, die sie ausreichend absichere. Auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) mahnte die zügige Einführung der Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung an.
Die Diakonie warnte, dass vormals alleinerziehende und pflegende Frauen, die in der Rente Beitragslücken haben, am stärksten von Altersarmut bedroht seien. Deshalb müssten auch Phasen der Teilzeit wegen Pflege und Erziehung stärker bei der Rentenberechnung gewichtet werden, sagte Maria Loheide vom Vorstand Sozialpolitik dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem sei eine Mindestrente nötig, die langjährig Erwerbstätige im Alter versorgt, aber auch flexible Anspruchsvoraussetzungen für die Anrechnung von Pflege und Erziehung beinhalte. Langfristig hänge eine ausreichende Alterssicherung aber jedoch auch von der Entwicklung am Arbeitsmarkt ab sowie von den Löhnen und einer besseren Integration von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt.
Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) forderte niedrigschwelligere Zugänge zu Rentenleistungen. Viele ältere Menschen lebten in verdeckter Armut, sagte die Leiterin des Geschäftsfeldes Berufliche und soziale Integration, Heike Moerland, in Düsseldorf dem epd. Sie machten häufig aus Unkenntnis oder Scham bestehende Ansprüche auf staatliche Leistungen nicht geltend.
Für die Studie "Anstieg der Altersarmut in Deutschland: Wie wirken verschiedene Rentenreformen?" wurde der gesamte zukünftige Einkommensmix im Alter, bestehend aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge berechnet. Die Studie basiert nach Angaben der Bertelsmann Stiftung auf einer Simulation der Alterseinkommen 2015 bis 2050, die durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin durchgeführt wurde. Grundlage für die Simulationsrechnungen seien repräsentative Haushaltsdaten des sozio-ökonomische Panels (SOEP), bei dem etwa 30.000 Bürger in fast 12.000 Haushalten befragt wurden.
Düsseldorf, Gütersloh (epd). Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe mahnt politische Reformen gegen eine drohende Altersarmut an. Dazu gehöre eine Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik, die es Geringqualifizierten und Menschen mit unterbrochenen Erwerbsverläufen ermögliche, eine ausreichende Rente zu erhalten, sagte die Leiterin des Geschäftsfeldes Berufliche und soziale Integration, Heike Moerland, in Düsseldorf dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Auskömmliche Leistungen auch und gerade für ältere Menschen, die unterhalb oder knapp oberhalb der Armutsrisikoschwelle leben, dürfen nicht als Almosen gestaltet sein, sondern sind Ausdruck der Generationengerechtigkeit", unterstrich die Sozialexpertin der Diakonie RWL.
Der Zugang zu Rentenleistungen müsse möglichst niedrigschwellig sein, erklärte Moerland: "Das ist bisher häufig nicht der Fall." Viele ältere Menschen lebten in verdeckter Armut leben. Sie machten häufig aus Unkenntnis oder Scham bestehende Ansprüche auf staatliche Leistungen nicht geltend. Bereits jetzt sei in den diakonischen Beratungsstellen zu sehen, dass ältere Menschen erst dann Gelder und Hilfsangebote annehmen würden, wenn Sozialarbeiter der Diakonie gezielt auf ihre Situation eingingen. Als Beispiel nannte Moerland Hausbesuche oder intensive Gespräche.
Die Diakonie begrüßte die am 12. September veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung zur Altersarmut. Anhand der Berechnungen werde deutlich, dass zur Bekämpfung der drohenden hohen Altersarmut in der Zukunft bereits heute an wichtigen Stellschrauben gearbeitet werden müsse.
Laut der Studie der Bertelsmann Stiftung könnte bis zum Jahr 2039 die Zahl der von Armut bedrohten Senioren von derzeit 16,8 Prozent auf 21,6 Prozent steigen. Bei Rentnern, die auf staatliche Unterstützung zur Existenzsicherung angewiesen sind (Grundsicherungsquote), schätzt die Studie für das Jahr 2039 einen Anstieg von aktuell neun Prozent auf knapp 12 Prozent. Zu den größten Risikogruppen gehörten demnach unter anderem Alleinstehende und Geringqualifizierte. Als armutsgefährdet gilt laut Studie, wer ein monatliches Nettoeinkommen unter 905 Euro hat.
Berlin (epd). Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, bleibt für weitere dreieinhalb Jahre an der Spitze des evangelischen Wohlfahrtsverbandes. Der 62-jährige Theologe wurde für eine zweite Amtszeit als Präsident berufen, wie der Berliner Bischof Markus Dröge als Aufsichtsratsvorsitzender des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung (EWDE) nach einer Aufsichtsratssitzung am 12. September in Berlin mitteilte.
"Ich freue mich, dass Präsident Lilie seine erfolgreiche und zielführende Arbeit an der Spitze des Bundesverbandes der Diakonie fortführt", sagte Dröge. "Für die kommenden Jahre wünsche ich ihm weiterhin viel Inspiration, Kraft und Gottes Segen." Lilies Amtszeit endet den Angaben zufolge am 30. Mai 2023, wenn er in den Ruhestand geht.
Neben der Diakonie Deutschland gehören zum Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung "Brot für die Welt" und die Diakonie Katastrophenhilfe. Turnusmäßig ist Lilie derzeit auch Vorsitzender des EWDE-Vorstands.
Lilie ist seit dem 1. Juli 2014 Präsident der Diakonie Deutschland. Zuvor war er seit 2011 theologischer Vorstand der Graf-Recke-Stiftung in Düsseldorf, einem großen diakonischen Unternehmen in Nordrhein-Westfalen.
Lilie studierte Theologie in Bonn, Göttingen und Hamburg, war Pfarrer der Evangelischen Friedens-Kirchengemeinde Düsseldorf und Stadtsuperintendent des Kirchenkreises Düsseldorf. Der Theologe ist verheiratet und hat vier erwachsene Kinder.
Heidelberg (epd). Die Expertin für Tabakkontrolle am Deutschen Krebsforschungszentrum, Katrin Schaller, rät dringend davon ab, im Beisein von Kindern oder Schwangeren im Auto zu rauchen. "Selbst wenn man das Fenster ein ganzes Stück öffnet, steigt die Tabakrauchbelastung im Auto sehr schnell sehr stark an", sagte die Heidelberger Biologin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mitfahrer rauchten in einem geschlossenen Fahrzeug mehr schädlichen Tabakrauch ein als Gäste einer verqualmten Kneipe. Die nordrhein-westfälische Landesregierung will am 20. September eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat einbringen, um das Rauchen im Auto zu verbieten, wenn Minderjährige oder Schwangere mitfahren.
Kinder und Jugendliche reagieren Schaller zufolge besonders empfindlich auf die Giftstoffe im Tabakrauch, da sich ihr Körper noch in der Entwicklung befindet. Rauchten Kinder regelmäßig passiv, hätten sie ein höheres Risiko, an Atemwegsbeschwerden wie Asthma zu erkranken. Auch könnten Funktionen der Lunge eingeschränkt werden.
Für Schwangere und ihr ungeborenes Kind sei der Tabakrauch ebenfalls besonders schädlich, fügte Schaller hinzu. "Ungeborene Kinder nehmen die Giftstoffe, die die Mutter inhaliert, über das Blut auf." Die Kinder kämen häufig mit einem geringen Geburtsgewicht oder als Frühgeborene zur Welt. Im Extremfall erhöhe sich das Risiko für einen plötzlichen Kindstod.
Den Vorstoß der NRW-Landesregierung für ein Rauchverbot im Auto, wenn Kinder oder Schwangere mitfahren, begrüßte Schaller. "Es ist dringend nötig, Autos mit Kindern rauchfrei zu machen." Sie warnte allerdings davor, es bei dieser Regelung zu belassen. "Kinder müssen nicht nur in Autos passiv rauchen."
Sie forderte die Bundesländer auf, ihre Nichtraucherschutzgesetze zu verschärfen. Mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen, Bayern und dem Saarland gebe es in den Ländern immer noch Ausnahmeregelungen bei Rauchverboten in öffentlich zugänglichen Räumen. Als Beispiel nannte die Expertin für Raucher reservierte Räume in der Gastronomie. "Das zu verbieten, hätte eine noch viel breitere Wirkung", sagte Schaller.
Fast jeder siebte Jugendliche im Alter von elf bis 17 Jahren hält sich der Expertin zufolge zumindest gelegentlich in Räumen auf, in denen geraucht wird. Zehn Prozent der Jugendlichen rauchten täglich passiv.
Nordrhein-Westfalen will das Rauchen in Autos verbieten, in denen Minderjährige oder Schwangere sitzen. Dazu werde die Landesregierung voraussichtlich am 20. September eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat einbringen, teilte das Gesundheitsministerium am 11. September in Düsseldorf mit. Anschließend werde der Vorschlag in den zuständigen Ausschüssen der Länderkammer beraten. Bereits im März hatten alle nordrhein-westfälischen Landtagsfraktionen außer der AfD in einem gemeinsamen Antrag ein solches Rauchverbot gefordert.
"Es ist unverantwortlich, wenn Menschen in Gegenwart von Kindern oder Schwangeren in Autos rauchen", sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). "Ungeborene Kinder und Minderjährige können sich hier nicht den Gefahren entziehen, die mit dem Passivrauchen einhergehen." Zu den Risiken gehörten Schädigungen der Lunge, ein erhöhtes Krebsrisiko und Wachstumsstörungen. Der Staat habe eine besondere Schutzpflicht für diejenigen, die sich nicht selbst schützen könnten, sagte Laumann.
Es brauche eine bundesweite Regelung, betonte der Gesundheitsminister. "Es wäre wenig zielführend, wenn ich mich als Autofahrer zunächst mit 16 verschiedenen Gesetzen der Bundesländer auseinandersetzen muss, bevor ich mich mit meinem Auto über Ländergrenzen hinwegbewege." Vergleichbare Rauchverbote gibt es nach Ministeriumsangaben unter anderem schon in Österreich, Italien, Frankreich, England und Griechenland.
Osnabrück (epd). Die Geburtshilfe in Deutschland leidet Befragungen unter Hebammen zufolge unter großem Personalmangel. Fast die Hälfte der bundesweit interviewten Hebammen gab an, sich um drei Frauen gleichzeitig während der Geburt zu kümmern. Das geht aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags hervor. Die medizinischen Fachgesellschaften für die stationäre Geburtshilfe empfehlen dagegen eine Eins-zu-eins-Betreuung.
In den zwei neuen Gutachten, die dem epd vorliegen, beleuchtete der Wissenschaftliche Dienst die Arbeitsbedingungen von Hebammen. Zuerst hatte die "Neue Osnabrücker Zeitung" (12. September) darüber berichtet. Auch der Deutsche Hebammverband beklagt die schlechten Arbeitsbedingungen für Hebammen und die mangelhafte Versorgung der Gebärenden.
Frauen und Neugeborene seien im Kreißsaal zunehmend nur noch unzureichend versorgt, sagte die Präsidentin Ulrike Geppert-Orthofer dem epd: "Eine stetige und persönlich zugewandte Betreuung von Frauen während der Geburt ist in Deutschland mittlerweile eher ein Glücksfall als die Regel." Teils betreue eine einzelne Hebamme fünf oder mehr Gebärende gleichzeitig. Die Geburtshilfe sei seit Jahren unterfinanziert, der Personalmangel steige. Die in Deutschland gerade erst eingeleitete Akademisierung des Hebammenberufes könne dessen Attraktivität erhöhen.
Geppert-Orthofer forderte zusätzlich entschiedene politische Maßnahmen wie ein Hebammen-Sonderstellenprogramm für mehr Personal im Kreißsaal. Zudem verlangte sie eine bessere ambulante Notfallversorgung von werdenden Müttern, um das Personal im Kreißsaal zu entlasten. Hebammen müssten von fachfremden Tätigkeiten befreit und in ihren Kernkompetenzen für die direkte Betreuung der Frauen und Neugeborenen eingesetzt werden. "Zukünftig muss jeder gebärenden Frau eine Hebamme während der Geburt zur Seite stehen."
In Sachsen mussten laut Gutachten in Intensiv-Schichten 30 Prozent der Hebammen mehr als vier Gebärende betreuen. In Baden-Württemberg müssen Klinik-Hebammen regelmäßig zwei oder mehr Geburten gleichzeitig überwachen. In Bayern haben den Angaben zufolge nur sechs von 100 Frauen eine Hebamme für sich und ihr Neugeborenes.
Um den Betreuungsschlüssel zu verbessern, "fehlten schlichtweg die Hebammen", heißt es in einem der Gutachten. Um freie Stellen zu besetzen, bräuchten die Kliniken oft ein halbes Jahr oder noch länger. Klagen über Überlastung gebe es aus allen untersuchten Bundesländern.
"Die Ergebnisse der Gutachten sind erschreckend", sagte Sabine Zimmermann (Linke), Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die Hebammen würden durch die schlechten Arbeitsbedingungen in die Teilzeit oder ganz aus dem Beruf getrieben.
Köln (epd). In Köln findet vom 15. bis 18. Oktober das erste internationale Gipfeltreffen kinderfreundlicher Städte und Kommunen statt. "Köln soll die Hautstadt der Kinderrechte werden im Oktober", sagte der Geschäftsführer von Unicef Deutschland, Christian Schneider, am 11. September in Köln. Aus Anlass der vor 30 Jahren in Kraft getretenen Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen richtet das UN-Kinderhilfswerk Unicef gemeinsam mit der Stadt Köln den Gipfel aus, zu dem Bürgermeister, Politiker und Fachleute aus 50 Ländern anreisen.
"Von Köln aus soll ein Signal in die Welt gehen, dass Kinderfreundlichkeit ganz oben auf der politischen Agenda stehen muss", sagte die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos). Man wolle voneinander lernen und von den Erfahrungen anderer profitieren.
Köln hatte sich 2018 als erste deutsche Millionenstadt dem Siegel "Kinderfreundliche Kommune" verpflichtet. In Deutschland sind 20 Städte beteiligt, weltweit haben sich Städte und Kommunen aus rund 40 Ländern verpflichtet. Der Kölner Gipfel solle erstmals Vertreterinnen und Vertreter aus aller Welt zusammenbringen, um die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 voranzutreiben, sagte Schneider. Auch 60 Kinder und Jugendliche aus aller Welt reisen an, um ihre Ideen und Vorschläge einzubringen. Der Gipfel ende damit, dass die jungen Menschen ein selbst erarbeitetes Manifest überreichten, sagte der Kölner Dezernent für Bildung und Jugend, Robert Voigtsberger.
Wie wichtig es sei, die Belange von Kindern ernst zu nehmen, betonte Unicef-Geschäftsführer Schneider: "Schon heute ist jeder dritte Stadtbewohner ein Kind. Und bis zum Jahr 2050 werden sieben von zehn Kindern in Städten leben." Der Zugang zu Schulen und Gesundheitseinrichtungen sei essenziell. "Es gibt noch viel zu viele Kinder weltweit, die das nicht haben."
Düsseldorf (epd). Die Krankenhauslandschaft in Nordrhein-Westfalen ist in eine wirtschaftliche Schieflage geraten. Zu diesem Ergebnis kommt ein von der schwarz-gelben Landesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten, das Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am 12. September in Düsseldorf vorstellte. Nur noch höchstens zwei Drittel der landesweit rund 340 Krankenhäuser schreiben demnach überhaupt noch schwarze Zahlen. Laumann kündigte vor diesem Hintergrund eine umfangreiche Krankenhausreform an.
Das Hauptproblem sieht das Gutachten darin, dass sich die stationäre Versorgung zu wenig an den tatsächlichen Bedarfen und der Qualität der Behandlung orientiert. Als Folge gebe es eine medizinischen Überversorgung in den Ballungszentren wie etwa dem Ruhrgebiet und dem Köln-Düsseldorfer Raum, in der viele Kliniken mit ihren Angeboten nicht ausgelastet seien. Auf der anderen Seite litten Teile des ländlichen Raums an einer medizinischen Unterversorgung.
Als Beispiel für ein Überangebot nennt die Studie Operationen an der Bauchspeicheldrüse, einer der kompliziertesten Eingriffe in der Medizin. Die 2017 erfolgten landesweit rund 2.700 Operationen fanden in 165 Krankenhäusern statt, von denen 66 weniger als zehn dieser Eingriffe pro Jahr vornahmen - obwohl hier einen Mindestmenge von zehn Operationen vorgeschrieben ist.
Ähnlich sieht es bei Knieoperationen aus. Rund 30.000 Prothesen für Kniegelenke wurden Patienten 2017 landesweit eingesetzt - in insgesamt 233 Krankenhäusern. Knapp die Hälfte der Eingriffe entfielen auf Häuser, die weniger als 100 dieser Fälle pro Jahr haben, was im Schnitt zwei dieser Operationen pro Woche entspricht. Auch bei dieser medizinischen Leistung ist aber mit wenigstens 50 Eingriffen pro Jahr eine Mindestmenge vorgeschrieben.
Minister Laumann will dieser Entwicklung nun mit der nach seinen Worten "wohl größten Reform" der NRW-Krankenhauslandschaft gegensteuern. Im Kern sollen medizinische Leistungen auf weniger Häuser konzentriert werden und so Mindestmengen für Behandlungen sicherstellen. Eine solche Verteilung soll Spezialisierung, Qualität und Wirtschaftlichkeit der Kliniken verbessern. Geringe Fallzahlen führten zu hohen Kosten, weil die gesamte medizinische Ausstattung unabhängig von der Auslastung vorgehalten werden müsse. Allein im Kölner Raum bieten im Radius von 20 Minuten Fahrzeit 30 Krankenhäuser kardiologische Leistungen an, so die Studie.
"Die bisherige Krankenhausplanung hat zu einer Fehlentwicklung in der Krankenhauslandschaft geführt", sagte Laumann. Der Hauptgrund sei, dass als Planungsgröße immer noch die Zahl der Betten im Mittelpunkt stehe und nicht die erbrachte medizinische Leistung. Auch Qualitätskriterien spielten bislang keine Rolle. Bei der Reform solle aber sichergestellt bleiben, dass jeder Patient unabhängig von seinem Wohnort ein Krankenhaus innerhalb von 30 Minuten erreichen könne. Ob Krankenhäuser geschlossen werden sollen, ließ Laumann offen.
Der Vorstoß des Ministers stieß in der NRW-Krankenhauslandschaft auf Zurückhaltung. "Eine Planung aufgrund von vorgeschlagenen Leistungsbereichen und Leistungsgruppen darf nicht dazu führen, dass Krankenhäuser nach Umsetzung der Pläne nicht mehr wirtschaftlich geführt werden können. Zudem muss bei neuen Planungskriterien die Weiterbildung der Ärzte sichergestellt bleiben", sagte der Präsident der Krankenhausgesellschaft NRW, Jochen Brink. Ein Kapazitätsabbau dürfe "nicht im Vordergrund stehen".
Auch die Diakonie Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) mahnte, bei der Reform müsse das Patientenwohl im Vordergrund stehen. Vordergründig auf Kapazitätsabbau und Klinikschließungen zu setzen, wäre keine seriöse Krankenhausplanung. Alle Pläne müssen sich daran messen lassen, ob sie zu einer qualitativen Verbesserung der Versorgung führen. Evangelische Träger betreiben 57 Kliniken in NRW.
Die Krankenkassen begrüßten unterdessen die geplante Reform. Diese sei "eine gute Grundlage, die Qualität in der stationären Versorgung zu verbessern und die Krankenhauslandschaft effizient zu gestalten". Das gelte insbesondere für die Empfehlung der Gutachter, eine leistungsorientierte Krankenhausplanung einzuführen.
Kritik kam von der SPD im NRW-Landtag. Eine Konzentration von Leistungsbereichen beseitige weder den Investitionsstau in den Kliniken noch den Fachkräftemangel, erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Josef Neumann.
Frankfurt a.M./Bonn (epd). Marliese Luy klopft im Frankfurter Markus-Krankenhaus an die Tür eines Krankenzimmers, ein älterer Herr liegt im Bett am Fenster. Sie sei eine der Grünen Damen, stellt Luy sich vor und fragt, ob sie etwas für ihn tun könne. Er freut sich sichtlich, braucht aber keine Unterstützung. Bald komme die Familie. Marliese Luy verabschiedet sich, klopft an die nächste Zimmertür.
Jede Woche dreht Luy ihre Runde. Sie ist eine von 35 Grünen Damen und Herren im Agaplesion Markus Krankenhaus - wobei die Damen deutlich überwiegen. Ihr Name geht auf die grünen Kittel zurück, die sie während ihrer Arbeit tragen. Sie besuchen ehrenamtlich Patienten in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeeinrichtungen, machen kleine Besorgungen und haben Zeit für ein Gespräch. Mehr als 7.600 sind bundesweit engagiert.
In diesem Jahr feiert der Besuchsdienst Jubiläum, es gibt ihn seit 50 Jahren. Auf der Bundestagung am 15. und 16. Oktober in Bonn sind dazu ein Festgottesdienst, Vorträge und eine Podiumsdiskussion geplant.
Marliese Luy ist seit sieben Jahren Grüne Dame. Im Vorraum eines Operationssaales versucht sie, die Patienten vor der Operation ein wenig zu beruhigen: "Die Zeit vergeht schneller, wenn man ein wenig plaudern kann. Das nimmt die Nervosität", sagt sie. Auf den Überwachungsmonitoren könne man dann sehen, wie der Puls nach unten gehe.
"Im Kontakt mit den Patienten muss man sich zurücknehmen", betont die 65-Jährige. Sie versucht, sich auf deren Bedürfnisse einzustellen und herauszufinden, ob sie ein wenig zu mehr Wohlbefinden beitragen kann. Sei es, indem sie aus der Zeitung vorliest, ein Eis holen geht oder einfach nur ein paar Minuten Zeit hat. Sie frage prinzipiell nie nach der Krankheit, sagt sie, aber es komme immer wieder vor, dass Menschen ihr Herz ausschütteten.
Renate Drüker leitet den Einsatz der Grünen Damen und Herren im Markus-Krankenhaus. Die 69-Jährige ist zugleich Länderbeauftragte für Hessen der Evangelischen Kranken- und Alten-Hilfe (eKH), dem Trägerverein. "Wahrnehmen geht vor reden", nennt sie das Motto ihres Teams. "Ich schaue mir den Nachttisch an, registriere, ob dort Blumen oder Bilder von den Enkeln stehen und habe dann schon einen Eindruck, ob sich jemand um den Patienten kümmert oder nicht."
Sie und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter geben den Patienten die Zuwendung, für die das Pflegepersonal keine Zeit hat. Pflegetätigkeiten übernehmen die Grünen Damen nicht.
Nicht jeder könne diesen Dienst leisten, der auch belastend sein könne, sagt Käte Roos, die ehrenamtliche Bundesvorsitzende der eKH. Deshalb bietet ihre Institution den Mitarbeitenden eine Basisfortbildung an. Darin geht es unter anderem um die Frage, wie man in ein ungeplantes Gespräch hineingeht - weil man ja nie wisse, was einen im Patientenzimmer erwarte. Für die Einsatzleiterinnen in den Einrichtungen gebe es zudem ein Mentorenangebot, sagt Roos.
Problematisch ist nach den Worten der Vorsitzenden seit einigen Jahren die Finanzierung der Arbeit: "Wir brauchen im Ehrenamt gesicherte Strukturen." Allein mit Spenden seien diese aber nicht mehr zu finanzieren. Deshalb bitte man die Ehrenamtlichen inzwischen, der eKH beizutreten und einen jährlichen Mitgliedsbeitrag von 24 Euro zu bezahlen.
Ein weiteres Problem sei der Nachwuchs. Deshalb versuche die eKH verstärkt, auch Menschen im Vorruhestand und Studierende anzusprechen. Eine Hemmschwelle für viele sei die Regelmäßigkeit der Einsätze, weiß Roos. Interessenten sollten drei Stunden Zeit pro Woche an einem festen Termin mitbringen.
Käte Roos erinnert sich noch an die Gründung des Trägervereins für die Grünen Damen und Herren vor 50 Jahren. Sie hatte damals gerade ihre Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen. "Vonseiten der Pflege hat man schon geschaut, ob uns da jemand die Arbeit wegnehmen will." Angesichts des damaligen Pflegenotstands habe sich diese Frage aber schnell erübrigt. In den Krankenhäusern und Altenheimen sei man schnell zu der Erkenntnis gelangt, dass die ehrenamtliche Hilfe ein zusätzliches Angebot für die Patienten sei, das die Qualität einer Einrichtung steigern kann.
Gründerin der Grünen Damen in Deutschland war Brigitte Schröder (1917-2000). Sie begleitete ihren Mann, den CDU-Politiker Gerhard Schröder - in den 50er und 60er Jahren Innen-, Außen- und Verteidigungsminister der Bundesrepublik - auf Dienstreisen nach Amerika. Dort lernte sie den "Volunteer Service" kenne, den Freiwilligendienst. Dessen Mitglieder trugen während ihrer Arbeit in Krankenhäusern pinkfarbene Kittel, weshalb sie die "Pink Ladies" genannt wurden. In Anlehnung daran gründete Brigitte Schröder im Herbst 1969 die Evangelische Krankenhaus-Hilfe mit den Grünen Damen.
Marliese Luy aus Frankfurt mag ihr Ehrenamt. "Ich bekomme sehr viel zurück", sagt sie. Und Renate Drüker betont, dass man nirgendwo so viel über das Leben lerne wie im Krankenhaus: "Es mag kitschig klingen, aber es tut gut, etwas Gutes zu tun. Das ist eine Win-win-Situation."
Berlin, Köln (epd). 70 Prozent der Deutschen machen sich Sorgen, dass sie trotz gesetzlicher Pflegeversicherung ihre Versorgung im Pflegefall nicht mehr alleine bezahlen können. Nur sieben Prozent sehen dieses Risiko gar nicht. 17 Prozent geben an, sich darüber "wenig Sorgen" zu machen, wie aus dem am 12. September veröffentlichten "Wahlmonitor" des "RedaktionsNetzwerks Deutschland" hervorgeht, der auf einer Repräsentativbefragung des Meinungsinstituts YouGov mit 2.003 Befragten über 18 Jahren beruht.
Düsseldorf (epd). Pflegende Angehörige von Demenzkranken bekommen in Nordrhein-Westfalen nach Feststellung der Alzheimer Gesellschaft NRW zu wenig Unterstützung. Es fehle vor allem an Anlaufstellen sowie Tages- und Nachtpflegeplätzen, kritisierte die Vorsitzende Regina Schmidt-Zadel am 13. September in Düsseldorf. Vor diesem Hintergrund sei ein Landesdemenzplan notwendig, wie es ihn beispielsweise in Bayern schon seit 1986 gebe.
Schätzungen zufolge gibt es im bevölkerungsreichsten Bundesland zwischen 300.000 und 500.000 Demenzkranke. Sie werden zu rund 70 Prozent von Angehörigen daheim und zumeist ohne Unterstützung gepflegt. Viele Betroffene seien damit überfordert, machte der Vizevorsitzende und Demenzforscher Ralf Ihl deutlich: "Das ist ein Vollzeitjob mit 24 Stunden am Tag und sieben Tagen die Woche."
"Wir brauchen flächendeckend mehr Hilfsangebote für die pflegenden Angehörigen, die der größte Pflegedienst der Nation sind", betonte Schmidt-Zadel. Deren Situation werde immer schwieriger, obwohl ihr Beitrag für die Pflege nicht hoch genug geschätzt werden könne. Doch seien ambulante Pflegedienste wegen Personalmangels immer mehr ausgedünnt, weil Altenpfleger inzwischen wegen einer regulatorischen Änderung bevorzugt in Krankenhäusern arbeiteten, da die Bezahlung dort besser sei.
Ein Landesdemenzplan soll nach Forderung der Alzheimer Gesellschaft alle Missstände ins Lot bringen. Dazu müsse auch die Einrichtung eines landesweiten Krisentelefons mit Fachleuten gehören, das als Anlaufstelle für die Vermittlung von Hilfen diene. Die "klassischen" Notdienste wüssten in Krisenfällen oft nicht Bescheid. Notwendig seien auch Schulungsangebote für pflegende Angehörige für den Umgang mit Demenzkranken. Denn nicht selten könne es in Krisensituationen zu Aggressionen kommen, weil der Angehörige überfordert sei.
Auch bei den Kurzzeit-Pflegeplätzen sieht die Alzheimer Gesellschaft dringenden Nachholbedarf. Dort können Demenzkranke für eine begrenzte Zeit untergebracht werden, wenn der oder die Angehörige in Urlaub oder Kur fährt. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte jüngst vorgeschlagen, solche Plätze in Krankenhäusern zu schaffen. Demenzforscher Ihl hält davon wenig, weil die Kliniken zumeist wenig Erfahrung mit Demenzkranken hätten.
Trier (epd). Das Integrationshotel "Hotel Vinum" in Trier stellt zum 31. Dezember den Betrieb ein. Das Hotel lasse sich aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr sinnvoll und verantwortlich weiterführen, erklärte Carsten Stumpenhorst von der Gesellschaft Integrationshotel am 9. September in Trier. Als Gründe nannte er sinkende Umsatzzahlen und anhaltende Verluste sowie Investitionsstaus in Zimmern und Gebäude. Das Diakonische Werk der evangelischen Kirchenkreise Trier und Simmern-Trarbach betreibt das Hotel mit insgesamt 16 Mitarbeitern, von denen fünf eine Behinderung haben.
Mehr als zwei Jahre habe die Gesellschaft alternative Finanzierungsmöglichkeiten geprüft, hieß es. Am Ende seien jedoch alle Aktivitäten und Versuche gescheitert - auch wegen des Zustands der Immobilie. Die erforderlichen Modernisierungsmaßnahmen an dem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert seien für den Betreiber nicht zu tragen gewesen, erklärte die Gesellschaft. Mit der Schließung des Hotels werde auch die Gesellschaft aufgelöst. Die Immobilie wechsle den Besitzer. Mit dem Verkauf sollen noch bestehende Verbindlichkeiten der Gesellschaft ausgeglichen werden.
Bonn, Essen (epd). Eine Kampagne ermutigt junge Menschen mit Behinderungen dazu, sich an einem Freiwilligendienst im Ausland zu beteiligen. Individuelle Handicaps oder Beeinträchtigungen seien kein Hindernis, Auslandserfahrungen zu sammeln, erklärten die Organisation Behinderung und Entwicklungszusammenarbeit e.V. (bezev) und das Informationsnetzwerk Eurodesk am 11. September in Essen und Bonn. Die gemeinsame Kampagne "Einfach (was) bewegen" starte pünktlich zum Beginn der Bewerbungsphase vieler Freiwilligendienste.
Die Organisationen informieren auf einer Internetseite und mit einem Film über verschiedene Arten von Freiwilligendiensten für behinderte junge Menschen im Ausland. Der Film steht den Angaben nach mit Gebärdensprachverdolmetschung, Audiodeskription und Untertiteln zur Verfügung. Er stellt unter anderem ein inklusives Workcamp in Wien, einen Freiwilligendienst in Ghana und den Einsatz eines Österreichers in Deutschland vor. Zudem erhielten Interessierte auf den Seiten www.inklusivefreiwilligendienste.de und www.jetzt-einfach-machen.de Hinweise, welche Unterstützung sie erhalten und wie sie sich bewerben können.
Berlin, Düsseldorf (epd). Jedes Jahr werden in Deutschland zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, umgerechnet 75 Kilogramm pro Kopf. Das Bundeslandwirtschaftsministerium präsentierte am 12. September in Berlin eine neue Studie, die auch die in der Landwirtschaft entstehenden Abfälle einbezieht. Die Zahlen, die sich auf das Jahr 2015 beziehen, sind maßgeblich für das politische Ziel, die Verschwendung bis 2030 zu halbieren. Bisher hieß es, in Deutschland würden rund elf Millionen Tonnen Nahrungsmittel pro Jahr weggeworfen oder vernichtet.
Der Studie zufolge werfen die Privathaushalte 52 Prozent der Lebensmittel weg. Die Landwirtschaft hat einen Anteil von zwölf Prozent, etwa dadurch, dass Milch weggeschüttet wird oder Gemüse untergepflügt werden muss, weil es nicht verkauft werden kann. 18 Prozent der Abfälle gehen auf das Konto der Lebensmittelindustrie, einen Anteil von 14 Prozent haben Restaurants und Kantinen. Über die Studie hatte zunächst die Düsseldorfer "Rheinische Post" berichtet.
Am besten steht den Zahlen zufolge der Handel da, wo laut Studie vier Prozent der Lebensmittelabfälle oder 500.000 Tonnen pro Jahr anfallen. Das ist aber immer noch doppelt so viel, wie die Tafeln nach eigenen Angaben pro Jahr an bedürftige Menschen verteilen.
Das Bundeskabinett hat im Februar dieses Jahres einen Plan von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) zur Halbierung der Abfallmengen gebilligt. Die Ministerin setzt auf Gespräche mit den jeweiligen Branchen, um konkrete Ziele zur Verringerung der Abfälle zu vereinbaren. Um die Endverbraucher zu erreichen, laufen Kampagnen zum richtigen Umgang mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum und die Initiative "Zu gut für die Tonne". Ein Sprecher des Ministeriums erklärte, die beschlossene Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelabfälle nehme alle Beteiligten in die Pflicht.
Die Sprecherin für Verbraucherschutz der Linksfraktion, Amira Mohamed Ali, sagte, angesichts der Zahlen reiche es nicht, auf Verbraucheraufklärung und freiwillige Maßnahmen zur Vermeidung der Verschwendung zu setzen. Insbesondere aus dem Handel ließen sich kurzfristig noch genießbare, aber überschüssige Lebensmittel schnell an Bedürftige verteilen. "Supermärkte sollten deshalb gesetzlich verpflichtet werden, nicht verkaufte Lebensmittel kostenlos abzugeben", forderte die Linken-Politikerin.
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion geht hervor, dass die Lebensmittelabfälle bis 2025 um 3,6 Millionen Tonnen und bis 2030 dann um weitere 2,4 Millionen Tonnen verringert werden sollen. Dazu hat sich Deutschland im Rahmen der UN-Nachhaltigkeitsziele verpflichtet.
Brühl (epd). Das vogelartige Geschöpf scheint jeglicher Schwerkraft zu trotzen: Sein massiger schwanzloser Körper wirkt wie aus Stein gemeißelt. Es ist ein Rätsel, wie er seine schweren Schwingen dazu bringt, sich zu bewegen. Dennoch schwebt das Vogelwesen mit seinem spitzhütigen Reiter Arzach scheinbar schwerelos durch eine fantastische Landschaft. Jean Girauds "Arzach"-Geschichten gelten als Klassiker des fantastischen Comics. Zu sehen sind Zeichnungen aus der Serie im Großformat ab Sonntag in der Ausstellung "Moebius" im Max Ernst Museum. Bis zum 16. Februar präsentiert die Retrospektive rund 450 Zeichnungen, Comicfolgen, abstrakte Gemälde und Druckgrafiken.
Moebius wurde bekannt für seine Figuren mit ihren langgezogenen Helmen auf den Köpfen, seine futuristischen, vertikal angeordneten Stadtperspektiven und die besondere Farbgebung seiner Westerncomics mit ihren verwischten Braun-, Blau- und Gelbtönen. In seinen Geschichten treffen utopische Architekturen und futuristische Megametropolen auf Wüstenlandschaften und schamanische Reisen durch Raum und Zeit.
Giraud begann schon während der Schulzeit Comics zu zeichnen und studierte später Kunst in Paris. In den 50er Jahren hatte er erste Veröffentlichungen in verschiedenen französischen Comic-Magazinen. Seinen ersten Welterfolg hatte er in den 60er Jahren zusammen mit dem belgischen Szenaristen Jean-Michel Charlier mit der Serie "Leutnant Blueberry", die er unter dem Kürzel "Gir" veröffentlichte. Die Arbeit an dieser Serie währte mehr als vier Jahrzehnte.
Der Held der Geschichten, der US-Army-Leutnant Mike Steve Blueberry, erlebt während der Indianerkriege im Wilden Westen zahlreiche gefährliche Abenteuer. Später macht er sich auf die Suche nach einem Schatz in Mexiko. Giraud selbst war mehrmals nach Mexiko gereist, wo seine von seinem Vater getrennte Mutter lebte. Die mexikanische Landschaft hatte starken Einfluss auf die Farbgebung und die Motive seines Werks.
1975 gründete Giraud sein eigenes Comic-Magazin "Métal Hurlant" und einen Verlag. Dort veröffentlicht er unter dem Namen "Moebius" unter anderem die merkwürdigen Geschichten von Arzach. Für die Besucher des Max Ernst Museums werden der Reiter und das Vogelwesen mit Hilfe einer App tatsächlich lebendig. Wird das Bild durch die Smartphone-Kamera betrachtet, so bewegen sich die Schwingen des Tieres plötzlich. Auch mehrere andere Figuren der Ausstellung werden auf diese Weise animiert. So wird die Flucht vor einem schildkrötenartigen Fantasiewesen reell. Ein behelmter Held scheint durch eine Fensteröffnung geradewegs auf den Besucher zuzukommen.
Neben Western und fantastischen Comics schuf Giraud auch futuristische Weltraum-Geschichten wie etwa die Saga "John Difool", mit der er in den 80er Jahren Erfolg hatte. Daneben arbeitete er an Filmen mit, darunter "The Abyss" und "Das fünfte Element".
Weniger bekannt ist das abstrakte Werk des Zeichners. Er übertrug das Prinzip der "écriture automatique", des automatischen Schreibens, auf das Zeichnen. Moebius schuf rauschartige, farbige Bilder mit organischen Formen.
Die Brühler Ausstellung würdigt Giraud als Künstler. Das ist nicht selbstverständlich. "Comics werden oft nicht als Kunst wahrgenommen", sagt seine Witwe, Isabelle Giraud. "Jean Giraud hat ein großes internationales Renommee, aber von der Kunstkritik wurde er immer etwas außen vor gelassen." In Deutschland wurde Giraud im Jahr 2000 auf dem Internationalen Comic-Salon in Erlangen mit einem Sonderpreis für sein Lebenswerk und seinen Beitrag zur Ikonografie der Popkultur geehrt.
In Brühl haben die Besucher die Möglichkeit, in die fantastischen Bilder des französischen Zeichners einzutauchen. Wer seine Comics jedoch nicht kennt, wird in dem bunten Universum mitunter etwas orientierungslos bleiben.
Bonn (epd). Das Leben pulsiert auf San Franciscos Market Street: Kabelstraßenbahnen und Automobile rattern über die Fahrbahn. Dazwischen kreuzen Pferdefuhrwerke. Nur wenige Tage später, am 18. April 1906, ist es vorbei mit dem munteren Treiben. Ein heftiges Erdbeben legt die Stadt in Schutt und Asche. Traum und Alptraum liegen nahe beieinander in der kalifornischen Metropole, die seit vier Jahrhunderten Einwanderer aus aller Welt anzieht. Die Bundeskunsthalle widmet San Francisco ab Donnerstag eine Ausstellung, die zeigt, wie die Impulse dieser Stadt mit ihren sozialen und technischen Revolutionen bis heute in die ganze Welt ausstrahlen.
San Francisco steht für Goldrausch, die Hippie-Bewegung, aber auch Hightech aus dem Silicon Valley. Unter dem Titel "California Dreams. San Francisco - ein Porträt" zeichnet die Bundeskunsthalle bis zum 12. Januar nach, wie sich die besondere Dynamik dieser Metropole entwickeln konnte. Zu sehen sind zahlreiche historische und ethnologische Objekte sowie Gemälde, Fotografien und Filmmaterial - von Steve Jobs' Jeans bis zu kunsthandwerklichen Objekten der kalifornischen Ureinwohner.
Am Anfang stehen Gemälde, die den Ursprung der Metropole als spanischer Militärstützpunkt und Missionsstation San Francisco de Asis zeigen. Zweimal wechselte das Gebiet den Besitzer. 1821 wurde Kalifornien mexikanische Provinz, bis es 1848 nach dem Mexikanisch-Amerikanischen Krieg den USA zufiel.
Im gleichen Jahr wurde erstmals Gold entdeckt und es setzte ein rauschhafter Einwanderungsstrom aus aller Welt ein. Vor allem Deutsche, die sich nach der Revolution von 1848 in Sicherheit bringen mussten, strömten in die wachsende Stadt. Um 1900 war ein Viertel der Bevölkerung deutschsprachig. Viele Revolutionäre und Sozialisten, die in Europa wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt wurden, fanden hier ihre neue Heimat. "Deshalb hatte San Francisco von Anfang an ein liberales Image", sagt Kuratorin Henriette Pleiger.
Viele Einwanderer konnten hier ihren amerikanischen Traum verwirklichen. Für die Ureinwohner war die europäische Invasion ein Alptraum. Nach der Besiedlung Kaliforniens durch die Europäer dezimierte sich die Zahl der indigenen Bevölkerung innerhalb weniger Jahrzehnte von 300.000 auf rund 30.000. Die Ausstellung wirft ein Schlaglicht auf Ishi, den letzten Angehörigen des systematisch ausgerotteten Stammes der Yahi. Der Mann wurde 1911 von der Polizei aufgegriffen und dem Kurator des Anthropologischen Museums der Universität von Kalifornien übergeben. Dort dokumentierten die Ethnologen mit seiner Hilfe die Kultur seines Stammes.
Während sich in San Francisco einerseits die Hoffnungen und Träume vieler Einwanderer erfüllten, blieben andere auf der Strecke. Schon immer hatte die Stadt neben ihrer offenen und liberalen auch eine abweisende und rassistische Seite. Letztere bekamen vor allem asiatische Einwanderer zu spüren. Nachdem chinesische Immigranten die Fertigstellung der transkontinentalen Eisenbahn ermöglicht hatten, schlug ihnen Ablehnung entgegen. 1882 wurde die Einwanderung von Chinesen mit dem "Chinese Exclusion Act" gestoppt.
Stattdessen holten weiße Farmer Japaner ins Land, die sie als Arbeitskräfte für die boomende Landwirtschaft brauchten. Als die japanischen Immigranten selbst Land kaufen wollten, wurde das 1913 gesetzlich verboten. Die Diskriminierung von Amerikanern mit japanischen Wurzeln zeigte sich erneut knapp 30 Jahre später, als sie nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour interniert wurden: Ein Alptraum für eine ganze Generation von Amerikanern japanischer Abstammung.
Traumatisch sind auch die Erfahrungen vieler Menschen, die über die mexikanische Grenze illegal nach Kalifornien einwanderten, aufgegriffen, eingesperrt und von ihren Kindern getrennt wurden. Die Idee der Abschottung durch eine Grenzmauer ist heute aktueller denn je. Künstler wie Enrique Chagoya und Betsabée Romero, deren Werke in kalifornischen Museen hängen, beschäftigen sich mit der aktuellen Problematik der illegalen Einwanderung.
Zugleich ist San Francisco eine Stadt der Gegenkulturen und neuen Ideen. Hier entstand die Hippie-Bewegung, die mit konservativen, bürgerlichen Werten brechen wollte. Ihre Strahlkraft erreichte auch Europa und war Vorreiter der späteren Friedensbewegung. Schon in den 70er Jahren gingen von San Francisco außerdem Impulse für die Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben aus.
Nicht zuletzt startete in den 80er Jahren in der Metropolregion San Francisco eine technische Revolution, die mit der Entwicklung von Computern und Smartphones den Alltag von Menschen auf der ganzen Welt veränderte. Doch auch der Boom der IT-Branche im Silicon Valley mit Unternehmen wie Apple, Intel oder Facebook hat eine Kehrseite: Die Mieten sind für viele Menschen unbezahlbar geworden. Auch Menschen mit fester Arbeitsstelle sind vor dem Alptraum Obdachlosigkeit nicht gefeit.
Frankfurt a. M. (epd). Wenn Henri Cartier-Bresson der Klassiker der Fotografie des 20. Jahrhunderts war, dann war Robert Frank der Revolutionär. Mit seinem Buch "Die Amerikaner", erschienen 1958 in Paris, begann eine neue Epoche der Fotografie. In den USA wollte es zunächst niemand drucken, zu dokumentarisch-aufrichtig, zu düster-poetisch, zu persönlich-expressiv war sein Blick auf die USA. Jack Kerouac, Poet der Beat Generation, schrieb im Vorwort: "Robert Frank hat aus Amerika ein trauriges Gedicht gesogen und es auf Film gebannt und damit einen Platz unter den tragischen Dichtern der Welt errungen." Nun ist der Fotograf im Alter von 94 Jahren in Kanada gestorben, wie die "New York Times" am 10. September unter Berufung auf Franks Galeristen Peter MacGill berichtete.
Robert Frank kam 1924 in Zürich zur Welt und wanderte 1947 in die USA aus, wo er als Fotoreporter und Modefotograf arbeitete. 1955/56 konnte er mit einem Guggenheim-Stipendium eine große Reise durch das Land machen. Das Ergebnis war das Buch "Die Amerikaner" ("The Americans"), das 1959 dann auch in den USA herauskam. Frank zeigt das Amerika der kleinen Leute, der Zukurzgekommenen, der hastigen Esser in einem Schnellrestaurant, der Trauernden bei einer Beerdigung, der Einsamen vor einer Jukebox. Eine junge Fahrstuhlführerin blickt wie abwesend ins Leere. Drei Männer und eine Frau stehen fröstelnd am Straßenrand vor einer zugedeckten Leiche, Opfer eines Verkehrsunfalls.
Auf technische Perfektion und ästhetische Regeln hat Frank wenig Wert gelegt, es gibt Unschärfen, angeschnittene Köpfe und Körper. Und doch erwies er sich als Perfektionist: Von 28.000 Negativen verwendete er nur 83 Aufnahmen. Der Band "Die Amerikaner" ist eine vollkommene Komposition, er hat bis heute seine Kraft bewahrt, ist in immer wieder neuen Ausgaben erschienen, er hat viele Fotografen beeinflusst.
2013 erzielte das Bild "Trolley - New Orleans" aus dem Band mit umgerechnet 511.000 Euro einen Auktionsrekord. Es zeigt Menschen in einer Straßenbahn: die Weißen vorn, die Schwarzen hinten.
Für Frank war das Buch ein Abschluss, eine Zusammenfassung seiner fotografischen Arbeit - dabei war er erst 34 Jahre alt. Er hat danach nur noch wenig fotografiert, in einer späteren Lebensphase. Statt dessen drehte er Filme, der erste war im Jahr 1959 "Pull My Daisy", der 22. "True Story" von 2004. Die meist kurzen Filme changieren zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, es gibt keine ästhetische Kontinuität. Jeder ist anders, überraschend, spontan und direkt im Ausdruck.
Oft haben sie - wie auch seine späteren Fotografien - einen deutlichen Bezug zum eigenen Leben. Einige sind seinen verstorbenen Kindern gewidmet, es sind Dokumente der Trauer. Seine Tochter Andrea starb 1974 bei einem Flugzeugabsturz, sein Sohn Pablo beging 1995 nach langer Krankheit Suizid.
Doch es gibt auch ganz andere Werke: 1972 hat Frank einen Film über eine USA-Tournee der Rolling Stones gedreht, "Cocksucker Blues". Es ist ein schonungsloser Bericht, ein wildes Stück Kino, von unbändiger Kraft in den Konzertauftritten. Brodelndes Chaos dagegen hinter den Kulissen, im Hotel, im Privatflugzeug - Drogen und Sex, Momente der Selbstzerstörung.
Frank war zwar immer wieder in New York, lebte aber seit Jahrzehnten hauptsächlich in Nova Scotia in Kanada direkt am Meer. Die dort entstandenen Fotografien, gesammelt in dem Band "The Lines of My Hand", 1972/1989, haben einen völlig anderen Charakter als seine frühen Bilder. Sie sind ungeschützt persönlich, zeugen von Trauer und Verlorenheit. Frank suchte in der Außenwelt, an einsamen Stränden, nach Bildern, die seiner Innenwelt entsprechen.
Oft verschwindet das Außen auch hinter Fensterscheiben oder in Spiegelbildern. Manchmal zerkratzte er Negative, machte Collagen, schrieb in die Bilder hinein: "Sick of Goodbyes" (Krank von Abschieden). Nach dem Gesellschaftsporträt "Die Amerikaner" ist sein Spätwerk ein radikales Selbstporträt.
Die Amerikaner hatten längst ihren Frieden mit dem Fotografen geschlossen. 2009, zum 50. Jubiläum des Amerika-Buches, tourte eine große Frank-Ausstellung durch die Vereinigten Staaten, die auch in Deutschland zu sehen war. Das war kein Zufall, die Gesamtausgabe aller Werke Franks ist im Göttinger Steidl Verlag erschienen, alle Bücher und auf DVD alle Filme. Frank selbst hat die Druckqualität überwacht.
Leipzig, Berlin (epd). Der Leipziger Thomanerchor hat erstmals ein Mädchen zum Vorsingen eingeladen. Nach Angaben der Berliner Rechtsanwältin Susann Bräcklein vom 10. September wurde das Mädchen, dessen Bewerbung zunächst abgelehnt worden war, zum Aufnahmeverfahren der Thomaner zugelassen. Die Stadt Leipzig als Trägerin des traditionellen Knabenchors bestätigte die Einladung. Sie habe damit allerdings keine grundsätzliche Entscheidung zur Zulassung von Mädchen getroffen, sagte ein Sprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei die künstlerische Entscheidung des Kantors, ob das Mädchen mitsingen dürfe. Seine Stimme müsse dem Klangbild des Knabenchors entsprechen.
Im weltberühmten Thomanerchor singen bislang nur Jungen. Die Bewerbung des Mädchens lehnte die Stadt im Mai ab. Die Satzung des Chores schließe die Aufnahme von Mädchen aus, außerdem gebe es eine "gewohnheitsrechtliche Diskriminierungserlaubnis", zitierte Anwältin Bräcklein die Begründung. Mit einem Widerspruchsbescheid hob die kommunale Kulturbehörde die Ablehnung nun auf.
Der Thomaskantor habe entschieden, das junge Mädchen aufgrund des jüngsten Berliner Urteils zu dem Fall zum Vorsingen einzuladen. Voraussetzung sei, dass die Mutter der Meinung sei, dass das Klangbild einer Knabenstimme entspreche, erklärte der Leipziger Pressesprecher Matthias Hasberg. Zur Vorbereitung der Einladung stehe der Thomanerchor mit der Mutter in Verbindung. Bräcklein sagte, sie habe dem Justiziar der Thomaner bereits die grundsätzliche Bereitschaft des Mädchens kundgetan, am Aufnahmeverfahren teilzunehmen.
Leipzig reagierte mit dem neuen Bescheid auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom August. Dieses hatte die Klage des Mädchens auf Zulassung zum Staats- und Domchor in Berlin abgewiesen. Mit Blick auf den besonderen Klang eines reinen Knabenchores dürften Mädchen abgelehnt werden, wenn ihre Stimmen nicht dem geforderten Klangbild entsprächen, so das Gericht. Das Recht auf Kunstfreiheit aus Artikel 5 Grundgesetz überwiege hier das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts aus Artikel 3, Absatz 3 (VG 3 K 113.19). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles ließ das Gericht allerdings eine Berufung zu.
Bräcklein, die in Berlin ihre Tochter vertreten hatte, erklärte, es sei zu begrüßen, "dass sich der Thomanerchor für Mädchen öffnet". Dies werde auch von zahlreichen ehemaligen Thomanern unterstützt.
Mainz (epd). Das ZDF hat offengelegt, unter welchen Umständen der AfD-Politiker Björn Höcke ein kritisches Interview mit dem Sender abgebrochen hat. Das Interview über die Sprache des thüringischen AfD-Landesvorsitzenden hatte der ZDF-Journalist David Gebhard am 11. September in Erfurt für die "Berlin direkt"-Sendung am 14. September geführt. Der Sender veröffentlichte im Internet sowohl die Interviewaufzeichnung als auch eine Mitschrift. In der Sendung wurden Ausschnitte gezeigt.
Nachdem Höcke in dem Interview mehrfach mit eigenen Äußerungen konfrontiert und kritisch dazu befragt worden war, meldete sich aus dem Hintergrund der AfD-Sprecher Günther Lachmann zu Wort und verlangte, mit der Aufzeichnung neu zu beginnen. Der Interviewer habe Höcke mit Fragen konfrontiert, "die ihn stark emotionalisiert haben". Das sollte so nicht im Fernsehen gezeigt werden, sagte Lachmann.
Als das ZDF-Team das Ansinnen ablehnt, kommt es zu einer minutenlangen verbalen Auseinandersetzung, an deren Ende Höcke das Interview abbricht. "Passen Sie auf. Wir beenden das Interview, nur, dann ist klar. Wir wissen nicht, was kommt. Dann ist klar, dass es mit mir kein Interview mehr für Sie geben wird", sagt Höcke. Als Gebhard fragt, ob das eine Drohung sei, erwidert Höcke, zunächst, das sei "nur eine Aussage, weil ich auch nur ein Mensch bin". Auf eine weitere Nachfrage erklärt er: "Vielleicht werde ich auch mal eine interessante persönliche, politische Person in diesem Lande. Könnte doch sein."
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall, erklärte, Höcke habe "ein weiteres dunkles Kapitel des gestörten Umgangs der AfD mit der Pressefreiheit im Allgemeinen und kritischen Journalistinnen und Journalisten im Besonderen aufgeschlagen". Es sei völlig richtig gewesen, dass sich Gebhard nicht darauf eingelassen habe, das Interview in Höckes Sinn weichzuspülen. "Der Abbruch des Gesprächs durch den Interviewten zeigt, dass er auf kritische Fragen keine intelligenten Antworten hat", sagte Überall: "Herr Höcke hat die Schwelle von der Demokratie zu faschistischen Fantasien überschritten."
Im Verlauf der Auseinandersetzung über einen Abbruch oder einen Neubeginn des Interviews hatte Höcke mit "massiven Konsequenzen" gedroht, ohne konkret zu werden. Auf Gebhards Aussage, dass das Interview beendet werden könne, sagte der AfD-Politiker: "Passen Sie auf, dann haben wir ein manifestes Problem, und dann wird das entsprechende Konsequenzen haben. Ich kann Ihnen sagen, dass das massive Konsequenzen hat." Auf Nachfrage des ZDF-Journalisten wiederum sagte Höcke, dass "man das Gefühl hat, als Politiker - ich rede jetzt mal als AfD-Politiker - dass der Journalist nicht mehr neutral ist, sondern, dass er irgendwie einen politischen Auftrag exekutiert".
Frankfurt a.M. (epd). Als der Hessische Rundfunk (HR) am 17. September 1949 die Live-Aufzeichnung des knapp 25 Minuten langen Hörspiels "Hesselbachs ihrn Hausschlüssel" sendete, ahnte wohl keiner der Beteiligten, dass der Sender und alle Mitwirkenden gerade ein neues Kapitel deutscher Mediengeschichte aufschlugen. Die von Wolf Schmidt erfundene Familie Hesselbach ging im Hörfunk in Serie und wurde bald in ganz Hessen zum Kult. Und als Schmidt Anfang der 60er die Familiengeschichten ins Fernsehen übertrug, ging die hessische Familie ins kollektive Gedächtnis der jungen Bundesrepublik ein.
Die Familie Hesselbach, von Wolf Schmidt als typisch deutsche Familie der Nachkriegszeit konzipiert, wurde im jungen HR zum Renner. 77 Hörspiele rund um den von Wolf Schmidt verkörperten Karl "Babba" Hesselbach sendete der HR in den Jahren 1949 bis 1956. Ging es zunächst um ganz gewöhnliche familiäre Begebenheiten wie die verzweifelte Suche nach dem Hausschlüssel in der ersten Folge, so weitete Schmidt nach und nach das Spektrum. Auf die "Familie Hesselbach" folgten 1953 zwölf Folgen mit dem Titel "Prokurist a. D. Hesselbach - Büro für Lebensberatung" und schließlich 18 Folgen der "Hesselbach GmbH".
Der "Spiegel" schrieb 1955 über den "Funkautor" Schmidt, seine erstaunliche Fruchtbarkeit sei "nur mit einem Arbeitstempo zu erklären, das es ihm erlaubt, zeitweilig pro Monat sechs Hörspiele zu verfassen, von denen er einige obendrein auch noch selber inszeniert. Die gleiche Geschwindigkeit, die er am Schreibtisch durchhält, überträgt er auch auf seine Arbeit am Regiepult. Noch nie hat die Funkaufnahme einer 'Hesselbach'-Sendung länger als einen Tag gedauert."
Als Schmidt gemeinsam mit Lia Wöhr, die in den Hörspielen die Mamma verkörpert hatte, Anfang der 60er die Familienserie für das Fernsehen produzierte, wurden die Hesselbachs zum Straßenfeger der frühen Fernsehjahre. Lia Wöhr spielte im Fernsehen die Reinigungskraft Frau Siebenhals, während Liesel Christ als Mamma Hesselbach in die Annalen der Fernsehgeschichte einging. Die Sehbeteiligung lag 1962 konstant bei 75 Prozent. Mamma Hesselbachs notorischer Stoßseufzer "Kall, mei Drobbe!", stammte allerdings noch von der Hörfunkmamma Lia Wöhr und wurde zum hessischen Kulturerbe. Noch heute twittern Fans von Eintracht Frankfurt diese drei Worte, wenn die Fußballer die Nerven der Zuschauer zu sehr strapazieren.
Das große Talent von Wolf Schmidt, der selbst den "Babba Hesselbach" verkörperte und durch diese Rolle unsterblich wurde, war, dass er die alltäglichen Probleme so ins Absurde steigerte, dass jeder sich nicht nur darin wiedererkennen, sondern auch darüber lachen konnte. Und hört man sich die Hesselbach-Dialoge heute noch einmal an, fällt auf, wie ausgesprochen fein sie beobachtet und gearbeitet waren.
Der Schriftsteller Andreas Maier, der wie Schmidt aus Friedberg stammt, sagte 2006 in seinen "Frankfurter Poetikvorlesungen" über die Serie: "Wolf Schmidts Familie Hesselbach, für viele das Urbild eines gemütlichen Fernsehnachmittags, ist kein Kitsch, sondern das Gegenteil. Sie implementiert dem Zuschauer ein schleichendes Gift, nämlich das Gift der Selbsterkenntnis. Dass das im Rahmen einer Gemütlichkeitsfernsehserie geschieht, ist natürlich genial."
Getreu der Schmidtschen Grundthese, dass Kommunikation unter Menschen nicht gelingen kann, schwätzen die Hesselbachs in jeder Folge wieder aneinander vorbei. Vor allem Babba Hesselbach verheddert sich lustvoll in der eigenen Geschwätzigkeit. In "Hesselbachs ihrn Hausschlüssel" reden sich alle Familienmitglieder bei der Suche nach dem angeblich einzigen Schlüssel mehrfach um Kopf und Kragen, denn jeder versucht, vor dem anderen zu verbergen, dass er heimlich eine Kopie des Schlüssels gemacht hat. Und die Mamma hat Gelegenheit, eine ihrer unsterblichen Sentenzen von sich zu geben: "Das ganz Unglück in der Welt kommt nur daher, dass die Leute abends zu lang uffbleibe."
Der Name war kein Zufall: Mit der Familie Hesselbach bot der junge öffentlich-rechtliche HR den Einwohnern des nach dem Krieg von den Amerikanern gegründeten jungen Bundeslandes Hessen die Möglichkeit der Identifikation. Für Andreas Maier war die "Begegnung mit den Hesselbachs und mit Wolf Schmidt genauso wichtig, wie es die Hesselbachs für die Hessen überhaupt waren, meint er: "Er hat alles verändert, bei den damaligen Hessen wie dann später bei mir." Auch das hessische Comedy-Duo Badesalz wäre, so Maier, ohne Wolf Schmidt nicht denkbar gewesen.
Einzigartig ist schon das Hessisch, das die Familie Hesselbach und die Angestellten ihrer Firma sprechen. Wolf Schmidt bemerkte dazu: "Es gibt im Hessischen 485einhalb Sorten Dialekte, die alle Hessisch sind." Der gelernte Journalist, der das Leben um sich herum so genau beobachtete, schuf für seine Figuren ein am Idiom der südhessischen Honoratioren angelehntes "Kompromiss-Hessisch", das nicht nur in ganz Hessen, sondern in der ganzen Bundesrepublik verstanden werden konnte und populär wurde. Die Schauspieler selbst variierten die Mundart - je nach Herkunft, Talent und Charakter ihrer Figuren. So verkörperte Sophie Cossäus als Fräulein Lohmeier in der Fernsehserie mit der Standard-Eröffnung: "Herr Hesselbach, isch muss misch beschwärn" perfekt die hessische Nörglerin.
Vergeblich hat Schmidt versucht, von der Rolle des "Babba Hesselbach" wieder loszukommen. 1963 stellte er die Serie nach zwei Staffeln und 42 Folgen im Fernsehen ein, weil er gern auf dem Höhepunkt des Erfolgs aufhören wollte. Eine neue Staffel, die 1966 unter dem Titel "Herr Hesselbach und..." startete, wurde vom Publikum nicht akzeptiert und nach nur neun Folgen wieder eingestellt. Schmidt erkrankte wenig später an Alzheimer und starb am 17. Januar 1977.
Leipzig (epd). Es soll der Höhepunkt des Schumann-Festjahres "Clara19" sein: Pünktlich zum 200. Geburtstag von Romantik-Komponistin Clara Schumann - geboren als Clara Wieck am 13. September 1819 in Leipzig - öffnete das städtische Schumann-Haus die Pforten seiner neuen Dauerausstellung. Und es lässt sich sagen: Es ist ein würdiger Höhepunkt.
Das hat zwei Gründe. Da ist zunächst das Ausstellungskonzept von Kuratorin Beatrix Borchard unter dem Motto "Experiment Künstlerehe". Museumsleiter Gregor Nowak erklärt, so etwas gebe es kein zweites Mal: "dass wir beide hier haben"; gemeint ist neben Clara Schumann deren Ehemann Robert (1810-1856). Die beiden seien das Künstlerpaar des 19. Jahrhunderts schlechthin gewesen, erklärt Nowak.
Im Schumann-Haus, einem original erhaltenen, klassizistischen Gebäude im Leipziger Osten, verbrachten die beiden ab 1840 ihre ersten vier Ehejahre - und versuchten sich an einem für damals so ungewöhnlichen wie modernen Spagat. Auf der einen Seite standen zwei sich gegenseitig befruchtende Künstlerkarrieren und gemeinsame Konzertreisen, auf der anderen der turbulente Familienalltag mit insgesamt acht Kindern - inklusive aller bis heute akuten Fragen der Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern.
Die Ausstellung bildet dies - und das ist die zweite Zutat für ihr Gelingen - durchaus furios ab. So war es den Machern ein Anliegen, im großen Salon der Künstlerwohnung, in der einst Größen wie Franz Liszt (1811-1886) und Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) ein und aus gingen, zwar Hörbeispiele eben jener Komponisten anzubieten, zugleich jedoch auf Kopfhörer zu verzichten. Die Lösung sind eigens gefertigte Stühle, die über Ultraschalllautsprecher allein dem jeweils darauf Sitzenden Musik vorspielen. Auch der regelmäßige Austausch der Klangbeispiele ist möglich.
Eine weitere Einmaligkeit ist ein Werk des Komponisten und Klangkünstlers Erwin Stache. Aus Holz fertigte er eine Replik von Clara Schumanns Hand. Berührt der Besucher deren Finger, erklingen verschiedene Klaviertöne; legt er seine Hand flach auf die der Komponistin, sind deren Werke zu hören.
Als Höhepunkt der Schau dürfte sich wohl der "Ehe-Experimentierraum" etablieren. Der Betrachter hat hier zunächst die Wahl, aus welchem Lebensbereich der Künstlerehe er mehr erfahren möchte: "Geld", "Kunst und Liebe" oder "Kinder". Nach der Auswahl wird der Raum zur Kulisse sogenannter visualisierter Features, konzipiert von Kulturjournalistin Magdalena Melchers.
Nach Hörspielart wechseln sich dabei vorgelesene Passagen aus den umfangreichen Tagebüchern der Eheleute mit Kommentierungen einer Erzählerin ab, stets untermalt von Klavier- und Orchesterklängen aus der Feder der Schumanns. Abgerundet wird die Mehr-Sinnes-Erfahrung durch Projektionen über alle vier Wände des Raums. Deren Motive reichen von Originalpartituren und Künstlerporträts bis hin zu Blumenwiesen und Schmetterlingen in Nahaufnahme - was sie hier und da auch ins Kitschige driften lässt.
Vollendet wird die Schau durch eine Mitmach-Station für Kinder und die für moderne Musikmuseen obligatorische digitale Datenbank mit sämtlichen Werken beider Künstler in zwei weiteren Räumen. Museumsleiter Nowak bezeichnet es als einen "Lebenstraum, dieses Haus zu dem zu machen, was es damals auch war: ein Kulturzentrum".
Insgesamt sind in die Neugestaltung, die in nur rund zwei Monaten umgesetzt wurde, rund 460.000 Euro geflossen, maßgeblich gefördert von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Nowak ist sich sicher, dass sich die Investition gelohnt hat, gerade im Schumann-Festjahr 2019. Die bisherige Besucherzahl von rund 10.000 im Jahr will er, wie er sagt, auf längere Sicht verdoppeln.
München, Düsseldorf (epd). Experten haben den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen die Rückgabe eines Kunstwerks von Hans von Marées an die Erben eines jüdischen Kunsthändlers aus Düsseldorf empfohlen. Man empfehle die Restitution des Marées-Werkes "Ulanen auf dem Marsch" an die "Dr. and Mrs. Max Stern Foundation", teilte die "Beratende Kommission für die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter" am 9. September in Magdeburg mit. Die Empfehlung ist an zwei Bedingungen geknüpft, die von der Stern-Stiftung erfüllt werden sollen.
Zum einen soll sich die Stiftung als Erbe des früheren Düsseldorfer Kunsthändlers Max Stern verpflichten, das Bild in den kommenden zehn Jahren nicht zu verkaufen. Zum anderen soll sich die Stiftung dazu verpflichten, das Werk gegebenenfalls wieder an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zurückzugeben - denn in der Beratenden Kommission herrschte keine Einigkeit darüber, ob es sich beim Verkauf des Marées-Werks tatsächlich um eine Veräußerung handelte, die einem NS-verfolgungsbedingten Zwangsverkauf gleichzustellen ist.
Max Stern habe zwar, wie alle jüdischen Kunsthändler, als einer der bedeutendsten Kunsthändler des Rheinlandes unter den Repressionen des NS-Staates gelitten. So wurde er ab August 1935 immer wieder dazu aufgefordert, seine Galerie aufzulösen - letztlich betrieb er diese aber bis September 1937 weiter. Während mehr als zwei Drittel der Beratenden Kommission der Ansicht sind, dass der am 24. Juni 1936 erfolgte Verkauf des Marées-Gemäldes ein Zwangsverkauf war, kommt eine Minderheit des Gremiums zu einer gegenteiligen Einschätzung.
Die Minderheit in der Kommission geht, wie auch die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, davon aus, dass Stern vom NS-Staat von Anfang an rassistisch verfolgt wurde. Dies habe aber den Verkauf des betroffenen Bildes nicht beeinflusst, heißt es im Bericht der Kommission. Stern habe bis 1937 den Geschäftsbetrieb seiner Galerie gewinnbringend aufrechterhalten. Der 1987 verstorbene Händler habe 1951 an seinen Anwalt geschrieben: "Finanziell war die Galerie trotz des Drucks der Nazis solange sie bestand ein sehr lukratives Geschäft."
Laut dem Deutschen Zentrum Kulturgutverlust, der Geschäftsstelle der Beratenden Kommission, ist es das erste Mal, dass es in solch einem Verfahren eine Minderheitsmeinung gibt. Die Aufgabe der Beratenden Kommission ist es, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen heutigen Besitzern und ehemaligen Eigentümern oder Erben zu vermitteln. Der Vorsitzende der Kommission ist der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, Hans-Jürgen Papier.
Mainz, Köln (epd). Die deutsch-türkische Fernsehmoderatorin Nazan Eckes erhält den Deutschen Lesepreis 2019. Als Botschafterin für die Stiftung Lesen setze sich die 43-jährige gebürtige Kölnerin seit 2010 für das Vorlesen ein, sagte der Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen, Jörg F. Haas, am 12. September in Mainz zur Begründung. "Nahbar, glaubwürdig und mit großer Freude" zeige sie jungen Eltern, dass sich die gemeinsame Geschichtenzeit lohne, nicht nur für die Kinder selbst, sondern auch für die übrige Familie. Die Auszeichnung ist mit 25.000 Euro dotiert und wird am 6. November in Berlin verliehen.
Nazan Eckes präsentiert seit 1999 verschiedene Unterhaltungs- und Nachrichtenformate beim Kölner Fernsehsender RTL wie "Let's Dance", "Deutschland sucht den Superstar" und "Explosiv". Neben ihrer Fernsehkarriere engagiert sie sich seit vielen Jahren ehrenamtlich. So ist sie etwa seit 2011 Mitglied des Beirates der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Für ihre Verdienste um die deutsch-türkischen Beziehungen erhielt sie 2012 den "Plattino-Preis". 2017 wurde sie mit dem Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland geehrt.
Der Deutsche Lesepreis wird seit 2013 von der Stiftung Lesen und der Commerzbank-Stiftung vergeben. Schirmherrin ist die Staatsministerin für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU). Im vergangenen Jahr wurde mit dem Comedian Bülent Ceylan erstmals eine Person des öffentlichen Lebens ausgezeichnet.
Berlin (epd). Erstmals gewährleistet ein staatliches deutsches Gütesiegel die sozial- und umweltverträgliche Produktion von Kleidung, Bettwäsche und anderen Textilien. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) stellte den "Grünen Knopf" am 9. September in Berlin vor. "Es geht um Menschlichkeit in einer globalen Welt", sagte er. Menschenrechtsorganisationen und Umweltschützer äußerten jedoch scharfe Kritik.
Müller betonte, im Textilbereich gebe es eine der vielen Lieferketten, die in Entwicklungsländern anfingen und in deutschen Kaufhäusern endeten. Die Menschen arbeiteten dabei zum Teil wie Sklaven auf Plantagen und in Fabriken. Der Minister verwies auf den Einsturz des Fabrikhochhauses Rana Plaza im April 2013 in Bangladesch, bei dem mehr als 1.100 Beschäftigte von Textilfirmen getötet wurden. Der Wille, diese Bedingungen zu ändern, habe ihn angetrieben, den "Grünen Knopf" voranzubringen.
70 Unternehmen haben laut Ministerium bislang ihr Interesse an dem Siegel bekundet. 27 von ihnen können ab sofort Produkte verkaufen, die damit ausgezeichnet sind. Dazu gehören die Discounter Aldi und Lidl, die Firmen Hess Natur und Vaude sowie Rewe und Tchibo. Im Prüfprozess sind unter anderem Hugo Boss und die Otto-Group. Die Einführungsphase ist daher bis Ende Juni 2021 vorgesehen.
Minister Müller forderte, dass der "Grüne Knopf" auch bei der öffentlichen Beschaffung zum Maßstab werden müsse, indem die Bundeswehr, die Polizei und Krankenhäuser künftig Textilien verwenden, die staatlich ausgezeichnet sind. Noch sei man aber weit davon entfernt, räumte er ein.
Seinen Worten nach deckt der "Grüne Knopf" zunächst die Arbeitsschritte "Nähen" und "Färben" ab. Er versicherte, dass das Siegel in den kommenden Jahren auf weitere Produktionsschritte wie den Baumwollanbau ausgeweitet werde. Auch die Sozial- und Umweltkriterien würden kontinuierlich weiterentwickelt. Hier soll ein Beirat aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft mitwirken. Müller sprach sich für europäische gesetzliche Standards aus, für die er sich einsetzen wolle.
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, lobte das Siegel als "sehr konkreten Schritt in die richtige Richtung".
Die Organisation "terre des hommes" kritisierte indes, dass das Siegel nicht besonders ausbeuterische Produktionsschritte in den Blick nehme, nämlich "Kinderarbeit im Baumwollanbau, Sklaverei in Spinnereien".
Greenpeace hob hervor, dass nach jetzigem Stand der "Grüne Knopf" auch auf einem T-Shirt aus pestizidbehandelter Gentechnik-Baumwolle kleben könnte. Denn die Prüfprozesse gebe es quasi erst beim Färben. Andere Siegel gingen da bereits weiter.
Der Gesamtverband textil+mode erklärte, kein Vertrauen in das neue Siegel zu haben und kritisierte, dass "die international etablierten Siegel und Zertifizierungssysteme, in die unsere Unternehmen seit langem viel investieren, Schaden nehmen".
Die christliche Initiative Romero rief im Radioprogramm SWR Aktuell dazu auf, den "Grünen Knopf" noch mindestens ein Jahr zu ignorieren. Standards von bereits bestehenden Textilsiegeln könnten ausgehöhlt werden, wenn Unternehmen das staatliche Siegel bevorzugten, weil die Richtlinien weniger streng seien.
Die Menschenrechts- und Hilfsorganisation medico international kritisierte, das Siegel setze auf Freiwilligkeit und sei daher praktisch wirkungslos. Müller betreibe "Schaufensterpolitik", statt endlich das Lieferkettengesetz auf den Weg zu bringen.
Das steht allerdings frühestens für das nächste Jahr an: Die Bundesregierung befragt derzeit 1.800 deutsche Unternehmen zur Einhaltung menschenrechtlicher Standards bei der Produktion im Ausland. Wenn im Ergebnis weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen der menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, will die Bundesregierung weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen prüfen.
Maputo/Harare (epd). Rund eine Woche nach seinem Tod ist Simbabwes früherer Präsident Robert Mugabe mit einem Staatsakt in der Hauptstadt Harare geehrt worden. An der Zeremonie in einem Stadion nahmen am 14. September Tausende Bürger sowie etliche amtierende und ehemalige afrikanische Staatschefs teil. Zum Auftakt wurde Mugabes Sarg von einer Ehrengarde des Militärs ins Stadion geleitet und dort aufgebahrt.
Simbabwes aktueller Präsident Emmerson Mnangagwa, unter dessen Führung Mugabe 2017 vom Militär abgesetzt worden war, hielt eine mit Superlativen gespickte Rede. "Unsere revolutionäre Ikone, unser Kriegskommandeur und früherer Präsident, ein afrikanischer Gigant ist gefallen", sagte Mnangagwa.
Mugabe sei eine Fackel des Nationalismus, der Einheit und der Freiheit gewesen. Simbabwe trauere um einen großen Sohn und das südliche Afrika um einen großen Frontkämpfer, erklärte Mnangagwa in seiner Ansprache, die keinerlei Hinweise enthielt auf das angespannte Verhältnis, das er und Mugabe zuletzt hatten.
Mugabe war am 6. September im Alter von 95 Jahren gestorben. Er regierte Simbabwe von der Unabhängigkeit des Landes 1980 bis zu seinem Sturz 2017. Wegen seines zunehmend autokratischen Regierungsstils und wegen Menschenrechtsverletzungen stand er im In- und Ausland in der Kritik.
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa dankte Mugabe und dem simbabwischen Volk für die Unterstützung seines Landes im Freiheitskampf. Er erinnerte daran, dass Mugabe der erste Staatschef war, den Südafrikas Freiheitsheld Nelson Mandela nach dem Ende der Apartheid empfing, um sich für materiellen und moralischen Beistand zu bedanken. In seiner Rede entschuldigte sich Ramaphosa für die fremdenfeindlichen Ausschreitungen der vergangenen Woche in Südafrika.
Kenias Präsident Uhuru Kenyatta bezeichnete Mugabe als Verkörperung der panafrikanischen Idee. Jerry Rawlings, Ex-Präsident Ghanas, sagte, Mugabe sei nicht nur ein Lehrer gewesen, sondern ein "eindrucksvoller moralischer Kompass" und verlässlicher Gegner des Neokolonialismus.
Um die Umstände seiner bevorstehenden Bestattung gab es ein tagelanges Tauziehen zwischen Mugabes Familie und der Regierung. Inzwischen haben sich beide Seiten darauf geeinigt, den Leichnam erst in vier Wochen in einem noch zu errichtenden Mausoleum auf dem Heldenfriedhof in Harare beizusetzen. Das hatte die Familie zunächst abgelehnt und auf einer privaten Bestattung in heimatlicher Erde außerhalb von Harare bestanden.
Simbabwes Bevölkerung ist in der Frage der Bewertung ihres Staatsgründers gespalten. Während die einen ihn als Befreier vom weißen Joch und Landesvater sehen, werfen andere Mugabe vor, sein Land ausgeplündert und in den Ruin geführt zu haben. Simbabwes rund 17 Millionen Einwohner leiden seit Jahren unter dem wirtschaftlichen Niedergang. Millionen sind als Arbeitsmigranten in die Nachbarländer geflüchtet, insbesondere nach Südafrika. Das Land belegt im UN-Index menschlicher Entwicklung den 156. Platz und gehört damit zu den 40 ärmsten Ländern der Welt.
Genf, Abuja (epd). Nigeria ist nach Angaben des Roten Kreuzes das Land mit den meisten als vermisst registrierten Menschen. Fast 22.000 Kinder und Erwachsene in dem afrikanischen Krisenland seien nicht auffindbar, erklärte der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, Peter Maurer, am 12. September in Abuja. Viele der Vermissten stammten aus dem gewaltgeplagten Nordosten des Landes, wo die islamistische Miliz Boko Haram seit Jahren die Bevölkerung mit Anschlägen und Entführungen terrorisiert.
Knapp 60 Prozent der Verschwundenen seien noch Kinder gewesen, als sie verschwanden, erklärte Maurer. Für Eltern sei das Verschwinden eines Kindes der schlimmste Alptraum, betonte der Rot-Kreuz-Präsident am Ende eines fünftägigen Besuchs in Nigeria. Das Rote Kreuz helfe bei der Suche nach Vermissten, seit 2013 seien 367 Fälle aufgeklärt worden.
Im Nordosten Nigerias würden viele Familien auch auf der Flucht getrennt. Erschwert werde die Suche nach Vermissten durch mehrfache Vertreibungen: Menschen flüchteten wiederholt, somit verliere sich schnell ihre Spur. Maurer wies darauf hin, dass humanitäre Organisationen aufgrund der anhaltenden Gewalt viele Gebiete im Nordosten Nigerias nicht aufsuchen könnten. Somit könnten sie auch nicht bei der Vermisstensuche helfen.
Frankfurt a.M./Nairobi (epd). Das Oberste Gericht von Kenia hat die Rastafari-Bewegung als Religion eingestuft, die unter dem Schutz der Verfassung steht. Ein Mädchen mit Rasta-Locken dürfe deshalb nicht von der Schule verwiesen werden, weil ihre Frisur den Schulregeln widerspreche, urteilte das Gericht laut einem Bericht der Tageszeitung "The Standard" vom 13. September. Jedes Kind habe ein Verfassungsrecht auf Grundbildung. Rasta-Locken zu haben, sei eine Art, den Glauben zu praktizieren, zitierte der britischen Sender BBC aus dem Urteil.
Eine 15-Jährige war an der Olympic High School in der Region Nairobi vom Unterricht ausgeschlossen worden, weil sie sich weigerte, ihre Dreadlocks und ihren Turban zu entfernen. Ihre Eltern waren vor Gericht gezogen. Bereits im Januar hatte das Gericht ihre vorläufige Wiederzulassung zum Unterricht verfügt.
Die Rastafari-Bewegung entstand in den 1930er Jahren als afroamerikanische Erweckungs- und Befreiungsbewegung in Jamaika. Seit den 70er Jahren breitete sie sich aus und fand Ausdruck in der Reggae-Musik. Es gibt keine festen Lehren, vielfach geht es um eine individuelle Gotteserfahrung, Kritik an Sklaverei, Kolonialismus und Rassismus, ein Back-To-Africa-Denken und den Konsum von Marihuana. Viele Rastafaris verehren den äthiopischen Kaiser Haile Selassie (1892-1975) als Messias, da Äthiopien als einziges afrikanisches Land niemals Kolonie war.