Als der Hessische Rundfunk (HR) am 17. September 1949 die Live-Aufzeichnung des knapp 25 Minuten langen Hörspiels "Hesselbachs ihrn Hausschlüssel" sendete, ahnte wohl keiner der Beteiligten, dass der Sender und alle Mitwirkenden gerade ein neues Kapitel deutscher Mediengeschichte aufschlugen. Die von Wolf Schmidt erfundene Familie Hesselbach ging im Hörfunk in Serie und wurde bald in ganz Hessen zum Kult. Und als Schmidt Anfang der 60er die Familiengeschichten ins Fernsehen übertrug, ging die hessische Familie ins kollektive Gedächtnis der jungen Bundesrepublik ein.

Die Familie Hesselbach, von Wolf Schmidt als typisch deutsche Familie der Nachkriegszeit konzipiert, wurde im jungen HR zum Renner. 77 Hörspiele rund um den von Wolf Schmidt verkörperten Karl "Babba" Hesselbach sendete der HR in den Jahren 1949 bis 1956. Ging es zunächst um ganz gewöhnliche familiäre Begebenheiten wie die verzweifelte Suche nach dem Hausschlüssel in der ersten Folge, so weitete Schmidt nach und nach das Spektrum. Auf die "Familie Hesselbach" folgten 1953 zwölf Folgen mit dem Titel "Prokurist a. D. Hesselbach - Büro für Lebensberatung" und schließlich 18 Folgen der "Hesselbach GmbH".

Straßenfeger der frühen Fernsehjahre

Der "Spiegel" schrieb 1955 über den "Funkautor" Schmidt, seine erstaunliche Fruchtbarkeit sei "nur mit einem Arbeitstempo zu erklären, das es ihm erlaubt, zeitweilig pro Monat sechs Hörspiele zu verfassen, von denen er einige obendrein auch noch selber inszeniert. Die gleiche Geschwindigkeit, die er am Schreibtisch durchhält, überträgt er auch auf seine Arbeit am Regiepult. Noch nie hat die Funkaufnahme einer 'Hesselbach'-Sendung länger als einen Tag gedauert."

Als Schmidt gemeinsam mit Lia Wöhr, die in den Hörspielen die Mamma verkörpert hatte, Anfang der 60er die Familienserie für das Fernsehen produzierte, wurden die Hesselbachs zum Straßenfeger der frühen Fernsehjahre. Lia Wöhr spielte im Fernsehen die Reinigungskraft Frau Siebenhals, während Liesel Christ als Mamma Hesselbach in die Annalen der Fernsehgeschichte einging. Die Sehbeteiligung lag 1962 konstant bei 75 Prozent. Mamma Hesselbachs notorischer Stoßseufzer "Kall, mei Drobbe!", stammte allerdings noch von der Hörfunkmamma Lia Wöhr und wurde zum hessischen Kulturerbe. Noch heute twittern Fans von Eintracht Frankfurt diese drei Worte, wenn die Fußballer die Nerven der Zuschauer zu sehr strapazieren.

Das große Talent von Wolf Schmidt, der selbst den "Babba Hesselbach" verkörperte und durch diese Rolle unsterblich wurde, war, dass er die alltäglichen Probleme so ins Absurde steigerte, dass jeder sich nicht nur darin wiedererkennen, sondern auch darüber lachen konnte. Und hört man sich die Hesselbach-Dialoge heute noch einmal an, fällt auf, wie ausgesprochen fein sie beobachtet und gearbeitet waren.

"Gegenteil von Kitsch"

Der Schriftsteller Andreas Maier, der wie Schmidt aus Friedberg stammt, sagte 2006 in seinen "Frankfurter Poetikvorlesungen" über die Serie: "Wolf Schmidts Familie Hesselbach, für viele das Urbild eines gemütlichen Fernsehnachmittags, ist kein Kitsch, sondern das Gegenteil. Sie implementiert dem Zuschauer ein schleichendes Gift, nämlich das Gift der Selbsterkenntnis. Dass das im Rahmen einer Gemütlichkeitsfernsehserie geschieht, ist natürlich genial."

Getreu der Schmidtschen Grundthese, dass Kommunikation unter Menschen nicht gelingen kann, schwätzen die Hesselbachs in jeder Folge wieder aneinander vorbei. Vor allem Babba Hesselbach verheddert sich lustvoll in der eigenen Geschwätzigkeit. In "Hesselbachs ihrn Hausschlüssel" reden sich alle Familienmitglieder bei der Suche nach dem angeblich einzigen Schlüssel mehrfach um Kopf und Kragen, denn jeder versucht, vor dem anderen zu verbergen, dass er heimlich eine Kopie des Schlüssels gemacht hat. Und die Mamma hat Gelegenheit, eine ihrer unsterblichen Sentenzen von sich zu geben: "Das ganz Unglück in der Welt kommt nur daher, dass die Leute abends zu lang uffbleibe."

Der Name war kein Zufall: Mit der Familie Hesselbach bot der junge öffentlich-rechtliche HR den Einwohnern des nach dem Krieg von den Amerikanern gegründeten jungen Bundeslandes Hessen die Möglichkeit der Identifikation. Für Andreas Maier war die "Begegnung mit den Hesselbachs und mit Wolf Schmidt genauso wichtig, wie es die Hesselbachs für die Hessen überhaupt waren, meint er: "Er hat alles verändert, bei den damaligen Hessen wie dann später bei mir." Auch das hessische Comedy-Duo Badesalz wäre, so Maier, ohne Wolf Schmidt nicht denkbar gewesen.

"Kompromiss-Hessisch"

Einzigartig ist schon das Hessisch, das die Familie Hesselbach und die Angestellten ihrer Firma sprechen. Wolf Schmidt bemerkte dazu: "Es gibt im Hessischen 485einhalb Sorten Dialekte, die alle Hessisch sind." Der gelernte Journalist, der das Leben um sich herum so genau beobachtete, schuf für seine Figuren ein am Idiom der südhessischen Honoratioren angelehntes "Kompromiss-Hessisch", das nicht nur in ganz Hessen, sondern in der ganzen Bundesrepublik verstanden werden konnte und populär wurde. Die Schauspieler selbst variierten die Mundart - je nach Herkunft, Talent und Charakter ihrer Figuren. So verkörperte Sophie Cossäus als Fräulein Lohmeier in der Fernsehserie mit der Standard-Eröffnung: "Herr Hesselbach, isch muss misch beschwärn" perfekt die hessische Nörglerin.

Vergeblich hat Schmidt versucht, von der Rolle des "Babba Hesselbach" wieder loszukommen. 1963 stellte er die Serie nach zwei Staffeln und 42 Folgen im Fernsehen ein, weil er gern auf dem Höhepunkt des Erfolgs aufhören wollte. Eine neue Staffel, die 1966 unter dem Titel "Herr Hesselbach und..." startete, wurde vom Publikum nicht akzeptiert und nach nur neun Folgen wieder eingestellt. Schmidt erkrankte wenig später an Alzheimer und starb am 17. Januar 1977.