Leipzig, Berlin (epd). Der Leipziger Thomanerchor hat erstmals ein Mädchen zum Vorsingen eingeladen. Nach Angaben der Berliner Rechtsanwältin Susann Bräcklein vom 10. September wurde das Mädchen, dessen Bewerbung zunächst abgelehnt worden war, zum Aufnahmeverfahren der Thomaner zugelassen. Die Stadt Leipzig als Trägerin des traditionellen Knabenchors bestätigte die Einladung. Sie habe damit allerdings keine grundsätzliche Entscheidung zur Zulassung von Mädchen getroffen, sagte ein Sprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei die künstlerische Entscheidung des Kantors, ob das Mädchen mitsingen dürfe. Seine Stimme müsse dem Klangbild des Knabenchors entsprechen.
Im weltberühmten Thomanerchor singen bislang nur Jungen. Die Bewerbung des Mädchens lehnte die Stadt im Mai ab. Die Satzung des Chores schließe die Aufnahme von Mädchen aus, außerdem gebe es eine "gewohnheitsrechtliche Diskriminierungserlaubnis", zitierte Anwältin Bräcklein die Begründung. Mit einem Widerspruchsbescheid hob die kommunale Kulturbehörde die Ablehnung nun auf.
Urteil des Verwaltungsgerichts
Der Thomaskantor habe entschieden, das junge Mädchen aufgrund des jüngsten Berliner Urteils zu dem Fall zum Vorsingen einzuladen. Voraussetzung sei, dass die Mutter der Meinung sei, dass das Klangbild einer Knabenstimme entspreche, erklärte der Leipziger Pressesprecher Matthias Hasberg. Zur Vorbereitung der Einladung stehe der Thomanerchor mit der Mutter in Verbindung. Bräcklein sagte, sie habe dem Justiziar der Thomaner bereits die grundsätzliche Bereitschaft des Mädchens kundgetan, am Aufnahmeverfahren teilzunehmen.
Leipzig reagierte mit dem neuen Bescheid auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom August. Dieses hatte die Klage des Mädchens auf Zulassung zum Staats- und Domchor in Berlin abgewiesen. Mit Blick auf den besonderen Klang eines reinen Knabenchores dürften Mädchen abgelehnt werden, wenn ihre Stimmen nicht dem geforderten Klangbild entsprächen, so das Gericht. Das Recht auf Kunstfreiheit aus Artikel 5 Grundgesetz überwiege hier das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts aus Artikel 3, Absatz 3 (VG 3 K 113.19). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Falles ließ das Gericht allerdings eine Berufung zu.
Bräcklein, die in Berlin ihre Tochter vertreten hatte, erklärte, es sei zu begrüßen, "dass sich der Thomanerchor für Mädchen öffnet". Dies werde auch von zahlreichen ehemaligen Thomanern unterstützt.