Kirchen

Der unverstandene Feiertag


Christus am Kreuz (in der Marktkirche Goslar)
epd-bild/Norbert Neetz
In Österreich ist der Karfreitag kein gesetzlicher Feiertag mehr, in Deutschland wird er als Stiller Feiertag angefochten. Gleichzeitig wird das Kreuz zum kulturellen und politischen Symbol. Dabei wird vergessen, worin das Kreuz seinen Ursprung hat.

Der Karfreitag hat es schwer. Schwerer als andere Feiertage des christlichen Kalenders. Der Tag, an dem Jesus ans Kreuz genagelt wurde, ist kein "Feier"-Tag, er ist ein Tag des Schmerzes, ein Tag des Scheiterns, ein Tag, der die Grabesstille, das Innehalten braucht. Doch das Verständnis dafür scheint zu schwinden.

In Österreich ist der Karfreitag seit diesem Jahr kein gesetzlicher Feiertag für Evangelische mehr. Nun müssen sie ihn beim Arbeitgeber als persönlichen Feiertag deklarieren und dafür einen Urlaubstag nehmen. Der österreichische Bischof Michael Bünker hat die evangelischen Gläubigen in seinem Land dazu aufgerufen, am Karfreitag in großer Zahl zum Gottesdienst zu erscheinen. Damit soll die Bedeutung des Karfreitags betont werden. Rechtliche Schritte gegen die Entscheidung der Regierung werden zurzeit eingeleitet.

Tanzverbot

In Deutschland wird der Karfreitag immer wieder angefochten, weil er ein "Stiller Feiertag" ist. Es gilt ein Tanzverbot. Religionskritikern ist das ein Dorn im Auge. Gleichzeitig wird das Kreuz, das im Karfreitag seinen Ursprung hat, als kulturelles und politisches Symbol vereinnahmt - vor allem in der Auseinandersetzung mit dem Islam.

Seit vergangenem Jahr hängt das Kreuz als Symbol gut sichtbar im Eingangsbereich bayerischer Behörden. Für den sogenannten Kreuzerlass bekam der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) viel Kritik - auch von leitenden Geistlichen der katholischen und evangelischen Kirche. "Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen wird, hat man es nicht verstanden. Dann würde das Kreuz im Namen des Staates enteignet", sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, damals der "Süddeutschen Zeitung". Sogar der Vorsitzende der FDP, Christian Lindner, sprach von einer "Profanierung des Kreuzes".

Das Kreuz - es hat im Karfreitag seinen Ursprung. Es steht für den Tod und die Auferstehung Jesu und ist damit ein Zeichen des Scheiterns und der Liebe Gottes gleichermaßen. Im antiken Rom galt die Kreuzigung als die schlimmste Form der Hinrichtung, mit ihr wurden nur die Rangniedrigsten bestraft. Dass der Heiland gekreuzigt wird, war für die Juden undenkbar.

Spott über Messias

Zur Zeit der ersten Christen hatte sich das Kreuz als Symbol für die neue Religion noch nicht etabliert. Im Gegenteil, es wurde von den Gegnern des Christentums verwendet, um über den Messias am Kreuz zu spotten. Das Kreuz wurde erst im 4. Jahrhundert nach Christus zum Symbol einer ganzen Religion. Der römische Kaiser Konstantin schaffte die Kreuzigung ab. Derselbe Kaiser hatte der Legende nach die Schlacht an der Milvischen Brücke unter dem Zeichen des Kreuzes gewonnen. Damit beginnt bereits die Geschichte seiner Vereinnahmung.

Der gekreuzigte Jesus, das Leiden, der Tod, die Katastrophe - das alles ist Menschen näher als das Wunder der Auferstehung. Trotzdem ist der Tag unpopulärer. Dabei hängen Karfreitag und Ostern so eng zusammen, wie die Henne und das Ei. Wer als Christ an Karfreitag in die Kirche geht, kennt bereits die Pointe der Geschichte. Es fällt schwer, sich als Glaubender in die Verzweiflung und Trauer zu stürzen, die die Zeugen der Kreuzigung empfunden haben.

"Karfreitag gehört zweifellos zu den theologisch anspruchsvollsten Feiertagen; aber das helle, heitere und frühlingsgesättigte Osterfest, das Leben und Zuversicht, Hoffnung und Weite eröffnet, braucht diesen Durchgang durch die Schwere, den Jammer, die Einsamkeit des Sterben Jesu Christi, um wirklich strahlen zu können", sagt der Chef-Theologe im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thies Gundlach.

Ohne Kreuzigung keine Auferstehung und ohne Auferstehung keine Überwindung des Todes. "Wirkliche Befreiung, wirkliche Entängstigung, wirkliche Auferstehung wird auch im Herzen der Menschen erst zu spüren sein, wenn es sich gegen Kummer und Leid durchsetzen muss", sagt Gundlach. "Deswegen laden wir als Kirchen alle ein: Lassen Sie sich das Innehalten und die Stille des Karfreitags nicht nehmen."

Franziska Hein (epd)


"Gemeinsames Wort": Kirchen äußern Sorge um Demokratie


Stellten das "Gemeinsame Wort" vor: Bischof Franz-Josef Overbeck, Eva Senghaas-Knobloch, Tine Stein und Reiner Anselm (v.l.)
epd-bild/Christian Ditsch
Die Demokratie ist unter Druck. Das treibt auch die Kirchen in Deutschland um. Gemeinsam haben sie nun ein Papier vorgelegt. Es ist der Versuch einer Ursachenanalyse - und eine Handlungsempfehlung für mehr "demokratische Sittlichkeit".

In einer gemeinsamen Stellungnahme warnen die beiden großen Kirchen vor einer Erosion der Demokratie in Deutschland und Europa. "30 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist unser Blick auf die politische Ordnung von einer neuen Besorgnis geprägt", heißt es in dem am 11. April in Berlin vorgestellten "Gemeinsamen Wort" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Die "Wiederkehr von autoritärem Denken und skrupelloser Machtpolitik" machten deutlich, dass Frieden, Demokratie und die Herrschaft des Rechts keine Selbstverständlichkeit seien, heißt es darin weiter.

Rund 50 Seiten hat das Papier, in dem beide Kirchen den Versuch wagen, eine Analyse der Vertrauenskrise zu liefern und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Die beiden Kirchen benennen in der Schrift die in ihren Augen vier zentralen Gründe für Verunsicherung und Anfälligkeit für Populismus: Globalisierung, soziale Ungleichheit, Umgang mit Migration sowie Digitalisierung. "Alle vier Bereiche erfordern neue Antworten", sagte der evangelische Theologieprofessor Reiner Anselm. Er saß gemeinsam mit dem katholischen Essener Bischof Franz-Josef Overbeck der ökumenischen Arbeitsgruppe vor, die das Papier in knapp zwei Jahren erarbeitet hat.

Stärkung des Multilateralismus

Darin fordern die Kirchen politische Antworten auf die großen Herausforderungen, zum Beispiel eine Stärkung des Multilateralismus - konkret der EU, die gerechte Teilhabe sozial Schwacher und von Migranten, die Gewährleistung einer Infrastruktur für den digitalen Zugang aller, Kampf gegen Diskriminierung und Gewalt und Medienbildung für den kritischen Umgang mit Informationen aus dem Netz. Im Zentrum steht die Forderung nach "demokratischer Sittlichkeit". Dies beschreibe das Streben nach Gemeinwohl, erläuterte Overbeck. Es gehe um die Einhaltung geschriebener und ungeschriebener Regeln im demokratischen Wettbewerb: Fairness, Respekt, Kompromissbereitschaft.

Im Vorwort des "Gemeinsamen Wortes" erinnern der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, an die Demokratie-Jubiläen in diesem Jahr: den 100. Jahrestag der Weimarer Reichsverfassung, den 70. Geburtstag des Grundgesetzes und das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zur EU-Reform, das sich im Dezember zum zehnten Mal jährt.

Keine einfachen Antworten

Allen Rückschlägen zum Trotz sei eine tragfähige und stabile, demokratische, rechtsstaatliche und soziale Ordnung entstanden, schreiben Marx und Bedford-Strohm. "Die rechtsstaatliche Demokratie ist die beste Garantie für die Wahrung der Freiheit, der Würde und der Rechte jedes einzelnen Menschen", heißt es in dem Papier.

Die Stellungnahme lässt immer wieder anklingen, wie Populismus der Demokratie schadet, will aber Anselm zufolge keine einseitig Schuldigen nennen. Das würde der Analyse nicht gerecht, sagte er. Die derzeitige Vertrauenskrise sei Produkt eines beschleunigten gesellschaftlichen Wandels, "wie man ihn in dieser Form wahrscheinlich noch nicht erlebt hat", sagte der Theologe. Darauf gebe es keine einfachen Antworten.

Zu den Mitgliedern der Arbeitsgruppe gehörten unter anderen auch der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD), Diakoniepräsident Ulrich Lilie, der Rechtswissenschaftler Christoph Möllers, die Soziologin Eva Senghaas-Knobloch und die Politikwissenschaftlerin Tine Stein. Die Stellungnahme kann im Internet heruntergeladen werden und soll nach Angaben der Autoren auch an politische Entscheidungsträger geschickt werden.



Drei Kandidaten für Junkermann-Nachfolge

Um die Nachfolge der Bischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Ilse Junkermann, bewerben sich zwei Männer und eine Frau. Auf der Synode Anfang Mai stellen sich die Superintendentin des Kirchenbezirks Plauen, Ulrike Weyer (45), der Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt, Friedrich Kramer (54), und Pfarrer Karsten Müller (53) aus Halle der geheimen Wahl, wie die EKM am 10. April in Erfurt mitteilte. Der Einführungsgottesdienst für die neue Landesbischöfin oder den neuen Landesbischof ist für den 7. September im Magdeburger Dom geplant.

Die Wahl war notwendig geworden, weil Amtsinhaberin Junkermann nach zehn Jahren nach Leipzig wechselt. Ab 1. September 2019 soll sie an der Universität der Messestadt die Forschungsstelle "Kirchliche Praxis in der DDR. Kirche (sein) in Diktatur und Minderheit" leiten.

Im November 2017 war das mitteldeutsche Kirchenparlament von der Entscheidung des Landeskirchenrates überrascht worden, Junkermanns Amtszeit als Bischöfin nicht zu verlängern. Die inzwischen 61-Jährige wollte ihr Amt ursprünglich um etwa vier weitere Jahre bis zum Erreichen ihrer Pensionsgrenze ausüben, fand aber in der Kirchenleitung dafür nicht die nötige Unterstützung. Gründe für diese Entscheidung wurden damals nicht genannt.

Junkermann kam aus Württemberg

Nach dem Zusammenschluss der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen mit der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen zum 1. Januar 2009 hatte man sich zunächst bewusst für eine Frau an der Spitze der EKM entschieden, die zuvor keiner der beiden fusionierten Kirchen angehörte. Gegen die Themensetzung der früheren Stuttgarter Oberkirchenrätin Junkermann waren allerdings in den vergangenen Jahren Vorbehalte gewachsen. Zudem wurde ihr eine fehlende Verwurzelung in der Region vorgehalten. Der EKM gehören aktuell etwa 700.000 Mitglieder an. Bei der Gründung vor zehn Jahren waren es noch gut 900.000 Mitglieder.

Friedrich Kramer ist in Greifswald geboren und zog im Alter von zehn Jahren mit seiner Familie nach Wittenberg. Nach seinem Theologiestudium in Berlin startete er als Pfarrer in Lodersleben und Gatterstädt bei Querfurt. Karsten Müller ist in Merseburg geboren und hat in Naumburg studiert. Seine erste Pfarrstelle war in Jerichow im Kirchenkreis Stendal. Ulrike Weyer wurde in Dresden geboren und hat in Halle und Leipzig studiert. Ihre erste Pfarrstelle lag in Nordsachsen, zuständig für sechs Kirchgemeinden und 37 Dörfer. Das Trio hat am 27. April in der Marktkirche von Halle Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit vorzustellen.

Gewählt wird die Landesbischöfin oder der Landesbischof von der Landessynode, die vom 9. bis 11. Mai im Kloster Drübeck im Harz tagt. Am darauffolgenden Tag können dann die 80 Synodalen über die Personalie entscheiden. Gewählt ist laut Kirchenverfassung der EKM, wer die Stimmen von zwei Dritteln der anwesenden Synodalen erhält. Die Amtszeit beträgt zehn Jahre.



Experte: Kirchenmitgliedschaft nur für besondere Aufgaben nötig


Jacob Joussen
epd-bild / Norbert Neetz

Kirchliche Einrichtungen sollten ihre Identität nach Ansicht des kirchlichen Arbeitsrechtlers Jacob Joussen künftig nicht mehr an die Konfessionszugehörigkeit ihrer Mitarbeiter koppeln. Vielmehr sollten sich evangelische und katholische Pflegeheime, Krankenhäuser oder Kitas durch besondere Angebote und Verhaltensweisen von anderen Einrichtungen abheben, sagte der Direktor des Instituts für Kirchliches Arbeitsrecht an der Ruhruniversität Bochum dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Als Konsequenz aus den jüngsten Urteilen des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) solle etwa in der evangelischen Kirche nur noch bei Leitungsfunktionen sowie in Verkündigung, Seelsorge, Bildung und bei "Verantwortlichen für die evangelische Identität" eine Mitgliedschaft in der Kirche vorausgesetzt werden, empfahl Joussen. An der Ruhr-Universität Bochum berieten am 10. April Experten aus beiden großen Kirchen sowie von Diakonie und Caritas darüber beraten, wie das Profil ihrer Einrichtungen nach den arbeitsrechtlichen Grundsatzurteilen aus Luxemburg und Erfurt gewahrt bleiben kann.

Verfassungsbeschwerde der Diakonie

Der EuGH hatte im April 2018 entschieden, dass das Verlangen einer Kirchenzugehörigkeit von Stellenbewerbern "wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt" sowie gerichtlich überprüfbar sein muss. Gegen ein Urteil des BAG, das im Oktober den Luxemburger Richtern folgte, hat die Diakonie beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht.

Der Jurist Joussen, der auch dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört, begrüßte die Verfassungsbeschwerde der Diakonie. "Europäischer Gerichtshof und Bundesarbeitsgericht haben die besondere Situation im europäischen Recht nicht ausreichend gewürdigt", erläuterte der Rechtsprofessor. In Kirchenfragen habe sich die Europäische Union Zurückhaltung auferlegt und achte den rechtlichen Status der Kirchen in den Mitgliedsstaaten. Der EuGH grätsche jedoch in das deutsche Verfassungsrecht hinein, kritisierte Joussen. Hier müsse eine Klärung herbeigeführt werden.

Einstellungspolitik ändern

Die Kirchen sollten allerdings nicht auf den Ausgang des Rechtsstreites warten, sondern im Lichte der europäischen Rechtsprechung bereits jetzt ihre arbeitsrechtlichen Vorschriften und ihre Einstellungspolitik ändern, verlangte der Arbeitsrechtler. Es müsse überlegt werden, wen man mit welchen Loyalitätsverpflichtungen beschäftigen wolle. Abgesehen von den genannten besonderen Positionen solle es für Arbeitnehmer genügen, die kirchlichen Grundsätze anzuerkennen - sie müssten dann nicht mehr zwingend Christ sein.

Jede kirchliche Einrichtung sollte künftig ihr Profil unabhängig von der Zusammensetzung ihrer Belegschaft herausarbeiten, regte Joussen an. Dazu könne es zum Beispiel gehören, Gottesdienste auch während der Arbeitszeit der Mitarbeiter anzubieten, Treffen in Andachtsräumen zu ermöglichen, zu Rüstzeiten einzuladen oder im betrieblichen Handeln konsequent zur Bewahrung der Schöpfung beizutragen.

epd-Gespräch: Thomas Krüger


Ministerpräsident Kretschmer will an Kirchensteuer festhalten


Michael Kretschmer
epd-bild/Matthias Rietschel

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat die Kirchensteuer verteidigt und lehnt die Forderung des thüringischen Regierungschefs Bodo Ramelow (Linke) nach einer Kultursteuer ab. "Kirche darf man nicht auf Kultur reduzieren", sagte Kretschmer in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dahinter stecke "meistens der Versuch, die Rolle der Kirchen zu relativieren", ergänzte der CDU-Politiker.

Kretschmer betonte: "Kirche steht nach meiner festen Überzeugung für Glauben und Werte. Es geht um eine religiös geprägte Gesellschaft, die ein festes Fundament findet." Das betreffe auch Menschen, die selbst diesen Glauben nicht teilen würden. "Sie merken, dass es gut ist, dass es Kirche und Religion gibt. Und sie greifen mitunter in schwierigen Lagen auf diese Angebote der Kirchen zurück", sagte der Regierungschef. Ramelow hatte vorgeschlagen, in Deutschland nach italienischem Vorbild eine Kultur- anstelle einer Kirchensteuer zu erheben.

"Natürlich haben wir den Auftrag, Kultur zu fördern. Und Kirche und Religion haben sehr maßgeblich unsere Kultur beeinflusst", sagte Kretschmer. Mit dem Staatskirchenvertrag werde aber "keine kulturelle, sondern eine religiöse Institution, die unser Land prägt", gefördert.

Staatsleistungen

In dem Zusammenhang wies er auch Kritik an den Staatsleistungen für die beiden großen Kirchen zurück. "Man kann das verfassungsrechtlich und juristisch begründen und kommt dann sehr schnell zu dem Ergebnis, dass diese Vorgehensweise richtig und fundiert ist", sagte der Ministerpräsident.

Immerhin seien es 25 Prozent aller in Sachsen lebenden Menschen, die in einer christlichen Kirche sind. "Kirche prägt und bereichert das Gemeinwesen und die Kultur immens. Und sie leistet Dinge, die wir als Staat sonst entweder gar nicht oder nur sehr teuer anbieten könnten", sagte Kretschmer. Die evangelischen Kirchen auf dem Gebiet des Freistaates Sachsen hatten nach Angaben der Landesregierung 2018 rund 28,8 Millionen Euro an Staatsleistungen erhalten, die katholische Kirche rund 1,15 Millionen Euro.

Der Ministerpräsident hatte sich kurz nach seinem Amtsantritt 2017 mit Vertretern der Kirchen getroffen. Unter anderem gebe es ein "gemeinsames Verständnis über Sinn und Auftrag der freien Schulen", sagte er im epd-Gespräch. Zu den konfessionell gebundenen Schulen habe es in den vergangenen Jahren "viele Konflikte und unnötige Diskussionen" gegeben. Das habe ihn geärgert.

Die sächsische Verfassung sehe aber ganz klar diese Breite in der Schullandschaft vor. "Deswegen haben wir bei den freien Schulen jetzt auch finanziell nachvollzogen, was wir bei der Verbeamtung und bei der Besserstellung der Lehrer an den staatlichen Schulen gemacht haben. Das Geld wird recht schnell bei den Trägern ankommen", sagte Kretschmer. Schulen in konfessioneller Trägerschaft seien eine große Bereicherung.

epd-Gespräch: Katharina Rögner und Jens Büttner


Hunsrück: Durchsuchungsbeschlüsse gegen Pfarrer aufgehoben

Die Hausdurchsuchungen bei Kirchengemeinden im Rhein-Hunsrück-Kreis, gegen deren Pfarrer wegen eines Streits um mittlerweile beendete Kirchenasyl-Fälle ermittelt wird, waren unzulässig. Das Landgericht Bad Kreuznach teilte am 12. April mit, die Durchsuchungsbeschlüsse seien aufgehoben worden. Die in den Gemeindebüros und den privaten Arbeitszimmern beschlagnahmten Unterlagen und Datenträger müssen an die Pfarrer zurückgegeben werden. Die Kreuznacher Staatsanwaltschaft teilte mit, eine Entscheidung über den Abschluss des 2018 eingeleiteten Strafverfahrens sei damit noch nicht getroffen.

Anlass für die Ermittlungen war ein Konflikt um neun sudanesische Flüchtlinge, denen im Rhein-Hunsrück-Kreis Kirchenasyl gewährt worden war. Nachdem die Kreisverwaltung in Simmern im Sommer vergeblich versucht hatte, eines der Kirchenasyle polizeilich räumen zu lassen, hatte der örtliche Landrat Marlon Bröhr (CDU) die zwei Pfarrerinnen und drei Pfarrer angezeigt. Im Raum steht der Vorwurf der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt.

Landgericht sieht keine Beihilfe zum illegalen Aufenthalt

Nach Aussage der Staatsanwaltschaft war der Durchsuchungsbeschluss eingeholt worden, weil die beschuldigten Pfarrer angeforderte Dokumente nicht in angemessener Zeit zur Verfügung gestellt hätten. Die rheinische Landeskirche und die Anwälte der Betroffenen hatten die Durchsuchungen als unverhältnismäßig kritisiert und den Ermittlern vorgeworfen, auch sensible seelsorgerische Daten ohne Bezug zu den Kirchenasyl-Fällen seien beschlagnahmt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin zunächst darauf verzichtet, die mitgenommenen Dokumente zu sichten.

Das Landgericht gab der offiziellen Beschwerde gegen die Durchsuchungen mit der Begründung statt, strafbare Handlungen bei den Pfarrern seien nicht erkennbar. Eine Beihilfe zum illegalen Aufenthalt liege nicht vor, weil der Aufenthalt dem Ausländeramt offiziell angezeigt worden war. Auch nach Überzeugung der Pfarrer kann die Aufnahme ins Kirchenasyl keine Straftat darstellen, da jederzeit die Möglichkeit bestanden hätte, die Flüchtlinge mit einem Polizeieinsatz vom Gelände abzuholen. Bislang gibt es zur Frage einer möglichen Strafbarkeit beim Kirchenasyl noch keine einheitliche Rechtsprechung.



EKD-Ratschef: Im Netz werden "Kübel von Hass" ausgeschüttet

Öffentliche Debatten werden nach Einschätzung des bayerischen Landesbischofs und EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm zunehmend durch "neue Brüllorte im Internet" vergiftet. Das Hören habe es heutzutage nicht leicht, das laute Reden und auch das Brüllen hätten "Hochkonjunktur", sagte Bedford-Strohm am 14. April bei einem Gottesdienst in der Rothenburger Heilig-Kreuz-Kirche: "Unter dem Schutz der Anonymität oder auch mit Klarnamen unter dem Schutz der Masse der Gleichgesinnten in den Internetblasen schütten Menschen Kübel von Hass auf andere aus", erläuterte der evangelische Theologe laut Redemanuskript.

Vor allem Personen des öffentlichen Lebens, die an hervorgehobener Stelle politische Verantwortung trügen, müssten sich beispielsweise auf Facebook-Seiten "in einer Weise beleidigen lassen, die irgendwann zur Gefahr für unser politisches System zu werden droht", sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Er frage sich, welcher sensible Mensch es sich noch antun werde, ein politisches Amt zu übernehmen, wenn er sich "damit zum Abfallkübel der Nation macht!?" Dabei brauche man in der Politik eben gerade "nicht coole, abgebrühte Politiker, sondern wir brauchen gerade die Sensiblen, Hörbereiten und Nachdenklichen".



Bischof Fürst: Ökumene nicht nur Abendmahl reduzieren


Gebhard Fürst
epd-bild/Gerhard Bäuerle

Der Bischof der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart, Gebhard Fürst, erwartet nicht, dass Katholiken und Protestanten in absehbarer Zeit miteinander Abendmahl feiern können. Wann das möglich sein werde, dazu könne er keine Prognose abgeben, sagte Fürst dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 12. April. Voraussetzung wäre eine "Kirchengemeinschaft" sowie ein gemeinsames Verständnis davon, was beim Abendmahl geschieht.

Fürst nahm Stellung zur "Ravensburger Erklärung", in der sich Katholiken und Protestanten gegenseitig zum Abendmahl einladen wollten. Er habe intervenieren müssen, weil auch eine lokale katholische Gemeinde an das weltkirchliche Verständnis der Eucharistie gebunden sei. Es wäre besser gewesen, die Verantwortlichen vor Ort hätten sich schon früher mit ihm als Bischof in Verbindung gesetzt - "das hätte manchen Frust erspart", sagte er. 2017 hatten die katholische und die evangelische Kirchengemeinden in Ravensburg in einer gemeinsamen Erklärung "Gemeinden an einem Tisch" versucht, ein gemeinsames Abendmahl zu etablieren. Bischof Fürst hatte dem widersprochen.

Uneins in ethischen Fragen

Fürst warnte davor, die Ökumene auf die Frage des gemeinsamen Abendmahls zu reduzieren. Man solle den "guten ökumenischen Weg" weitergehen, etwa im gemeinsamen Lesen der Bibel, Beten und Stellungnahmen zu Fragen der Zeit. Auch im diakonisch-karitativen Engagement lasse sich vieles zusammen machen.

Dass die Synode der Evangelischen Landeskirche in Württemberg im März die öffentliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ermöglicht hat, sieht der Bischof kritisch. Katholische und evangelische Kirche seien sich in ethischen Fragen nicht immer einig. "Dann können wir auch nicht mit einer Stimme in die Gesellschaft hineinsprechen. Das mindert das gemeinsame Zeugnis", sagte Fürst.

epd-Gespräch: Marcus Mockler


Benedikt XVI.: Sexuelle Revolution für Missbrauch verantwortlich


Papst Benedikt XVI.(Archivbild von 2013)
epd-bild / Cristian Gennari

Die sexuelle Revolution der 68er Bewegung ist nach Ansicht des emeritierten Papstes Benedikt XVI. verantwortlich auch für die vielen Missbrauchsfälle in der Kirche. In den 20 Jahren von 1960 bis 1980 seien "die bisher geltenden Maßstäbe in Fragen Sexualität vollkommen weggebrochen", schreibt der emeritierte Papst in einem mehrseitigen Aufsatz im bayerischen "Klerusblatt". Aus dieser Entwicklung heraus sei dann eine "Normlosigkeit entstanden", die man nun abzufangen versuche. Diese Abkehr von der katholischen Sexualmoral habe schlimme Folgen in der Priesterausbildung, der Hochschultheologie und der Auswahl von Bischöfen gehabt, erklärt Benedikt in seinem Aufsatz.

"Zu der Physiognomie der 68er Revolution gehörte, dass nun auch Pädophilie als erlaubt und als angemessen diagnostiziert wurde", heißt es in dem Schreiben. Der Staat habe "die Einführung der Kinder und der Jugend in das Wesen der Sexualität" schließlich als Folge der 68er Bewegung verordnet. Als Beispiel nennt der emeritierte Papst Aufklärungsfilme, die die frühere Bundesgesundheitsministerin Käte Strobel (SPD) in ihrer Amtszeit von 1969 bis 1972 erstellen ließ. Darin sei "alles, was bisher nicht öffentlich gezeigt werden durfte, einschließlich des Geschlechtsverkehrs, nun vorgeführt" worden. Sex- und Pornofilme seien daraufhin "zu einer Realität" geworden.

"Homosexuelle Clubs"

In der katholischen Kirche habe diese gesellschaftliche Entwicklung dann dazu geführt, dass Teile der Kirche ein "neues, radikal offenes Verhältnis zur Welt" wollten. Benedikt verweist in dem Aufsatz auf einen Bischof, der vorher als Regens ein Priesterseminar geleitet habe und seinen Seminaristen Pornofilme habe vorführen lassen. "Angeblich mit der Absicht, sie so widerstandsfähig gegen ein glaubenswidriges Verhalten zu machen", schreibt er. In mehreren Priesterseminaren hätten sich "homosexuelle Clubs" gebildet, "die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten", erläuterte der frühere Oberhirte.

In der Einleitung des Aufsatzes schreibt Benedikt, der Text beruhe auf Notizen, die er sich "in der Zeit von der Ankündigung" bis zum Zusammentreffen der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen zum Missbrauchs-Gipfel in diesem Februar in Rom gemacht habe. Er hoffe damit "den ein oder anderen Hinweis zur Hilfe in dieser schweren Stunde" beizutragen.



BVB-Maskottchen "Emma" wirbt für Quartiere zum Kirchentag


BVB-Maskottchen "Emma" auf Werbetour
epd-bild/Friedrich Stark
Die Betten-Kampagne zum evangelischen Kirchentag hat Unterstützung der Fußballmannschaft Borussia Dortmund erhalten.

Das BVB-Maskottchen, die Biene Emma, warb am 10. April vor dem Stadion in einem großen Kirchentagsbett für Gastfreundschaft. Für den Kirchentag werden nach Veranstalterangaben noch 4.000 Privatquartiere benötigt. Wer einen Gast des Kirchentages für die fünf Tage im Juni aufnehmen möchte, benötige nicht einmal ein ganzes Gästezimmer, hieß es. Ein Bett, ein Sofa oder eine Liege und ein kleines Frühstück am Morgen reichten völlig aus.

Zum 37. Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 19. bis 23. Juni werden bis zu 100.000 Dauerteilnehmer und viele tausend Tagesbesucher erwartet. Das Protestantentreffen steht unter der Losung "Was für ein Vertrauen". Auf fast 2.400 Veranstaltungen sollen neben Glaubensfragen auch gesellschaftliche Themen wie Migration, Umwelt und Frieden in den Blick gerückt werden.



Gehörlosenseelsorger der westfälischen Kirche ins Amt eingeführt

Die Evangelische Kirche von Westfalen hat sieben Theologen als Gehörlosenseelsorger in ihre Ämter eingeführt. Die Gehörlosenseelsorge sei zwar schon lange fester Bestandteil des kirchlichen Lebens in Westfalen, erklärte das Landeskirchenamt am 9. April in Bielefeld. Neu sei aber die Verankerung in der Landeskirche. Die offizielle Amtseinführung fand in einem feierlichen Gottesdienst in der evangelischen Kirche Bochum-Werne statt.

Die sieben Theologen haben ihre Arbeit bereits im Februar in den unterschiedlichen Regionen Westfalens aufgenommen, hieß es. Eine weitere Berufung werde noch folgen. Zu den Aufgaben der Seelsorger gehören regelmäßige Gottesdienste in Gebärdensprache in den Gehörlosengemeinden und Regionen sowie Taufen, Trauungen und Bestattungen für Gehörlose und ihre Angehörige.

"Endlich ist der Dienst, den wir in unserer Kirche schon seit so langer Zeit ausüben, verbindlich anerkannt", würdigte Kirchenrätin Daniela Fricke, die die Konzeption als zuständige Referentin maßgeblich mit vorangetrieben hatte. Damit sei aus dem Auftrag ein Amt, eine ordentliche Pfarrstelle geworden. Gebärdensprachliche Gemeindearbeit mit gehörlosen Menschen gebe es nun nach Plan und auf Zukunft hin. In einer Gesamtkonzeption Seelsorge habe die westfälische Landessynode im November 2018 die landeskirchlichen Pfarrerstellen geschaffen und damit die Gehörlosenseelsorge gestärkt, hieß es.



Westfälische Kirche veröffentlicht Leitlinien "Kultur ist Verheißung"

Die Evangelische Kirche von Westfalen hat seine Kulturpolitischen Leitlinien von 2004 aktualisiert und neu aufgelegt. Die Textsammlung mit dem Titel "Kultur ist Verheißung - Kulturpolitische Leitlinien und kulturtheologische Leitfragen" soll dazu anregen, sich mit den vielfältigen Verbindungen von Kirche und Kultur zu beschäftigen, wie die westfälische Kirche in Bielefeld mitteilte. So werden Praxistipps für Presbyterien gegeben, nach welchen Kriterien ein Kirchenraum für Kunst, Film- und Tanzvorführungen, Konzerte sowie interreligiöse Veranstaltungen geöffnet werden kann. Dazu gibt es in der 43-seitigen Online-Broschüre weitere Links und Lese-Tipps.

"Kultur ist Verheißung" beschließt den Angaben nach eine fünfteilige ‎Reihe von Arbeitshilfen zum Thema Kultur in der Evangelischen Kirche von Westfalen. Das Dokument kann online als pdf-Datei heruntergeladen werden unter:

https://www.evangelisch-in-westfalen.de/fileadmin/user_upload/Angebote/Musik/kik_5_web_version.pdf



Grundstein für neue Versöhnungskirche in Overath gelegt

In der evangelischen Kirchengemeinde Overath im Rheinisch-Bergischen Kreis beginnen die Arbeiten für den Neubau der Versöhnungskirche. Am 14. April wurde um 12 Uhr der Grundstein gelegt. Geplant sei ein runder Kirchenraum aus Holz, der sich bewusst an die Einfachheit der bisherigen Versöhnungskirche orientieren soll, teilte der Kirchenkreis An Sieg und Rhein mit. Auch das angrenzende Gemeindezentrum werde umgebaut und energetisch saniert. Die Gesamtkosten belaufen sich demnach auf rund 1,5 Millionen Euro. Die Einweihung der neuen Kirche ist am Pfingstsonntag 2020 geplant.

Das Gotteshaus entsteht den Angaben zufolge nach den Plänen des Berliner Architekten Jörg Springer. Der Neubau der Kirche wurde nötig, weil die bisherige, aus der Nachkriegszeit stammende "Notkirche" an dem Standort stark renovierungsbedürftig war, wie es hieß. Das alte, von dem Architekten Otto Bartning geschaffene Gebäude wurde abgebaut und in das Freilichtmuseum des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) in Kommern verlegt. Zudem hatte die Gemeinde Overath die Friedenskirche und das dortige Gemeindezentrum an eine Freikirche verkauft, um sich künftig nur noch auf einen Kirchen- und Gemeindestandort zu konzentrieren.



Stadt Dortmund prüft Ankauf einer ehemaligen Kirche

Die Stadt Dortmund hat mit dem evangelischen Kirchenkreis Dortmund Verhandlungen über den Ankauf einer aufgegebenen Kirche im Stadtteil Lindenhorst aufgenommen. Die Immobilie ist seit Jahren in der Vermarktung, hat aber bislang keinen neuen Eigentümer gefunden, wie die Stadtverwaltung am 12. April mitteilte. Sie besteht aus einer ehemaligen Kirche, einem Gemeindehaus und einem Wohnhaus für den Pfarrer und hat eine Grundstücksfläche von etwa 2.200 Quadratmetern. Sowohl der spätromanische Kirchturm als auch das Kirchenschiff und das Pfarrhaus, die Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden, stehen unter Denkmalschutz.

Die Stadt prüft nun, in der ehemaligen Kirche eine Kindertagesstätte einzurichten. Dazu wird derzeit eine Machbarkeitsstudie erstellt, die die Kosten für die Sanierung der denkmalgeschützten Gebäude einbezieht. In dem Ortsteil Lindenhorst besteht ein Bedarf für eine zwei- bis dreigruppige Kindertagesstätte. Der Kirchenkreis ist bereit, die Immobilie für einen symbolischen Euro an die Stadt Dortmund abzugeben.

Verschiedene Möglichkeiten zur Nutzung der Kirchenimmobilie waren zuvor bereits im Jahr 2008 im Rahmen eine Machbarkeitsstudie untersucht worden, die das Land NRW gefördert hatte. Dabei wurden unter anderem die Nutzungen als Stadtteilzentrum mit Gastronomie, für eine Einfamilienhausbebauung, für Service-Wohnungen oder Mehrgenerationenwohnen, als Hospiz- und Palliativstation oder als Trauerhalle erwogen. Die Überlegungen scheiterten jedoch unter anderem am Denkmalschutz, an der aufwendigen Sanierung des Kirchturms, dem fehlenden Planungsrecht oder der mangelnden Wirtschaftlichkeit des Projektes.



Kölner Dom spricht jetzt auch Kölsch

Der Kölner Dom begrüßt und verabschiedet seine Besucher seit neuestem mehrsprachig. Bandansagen erklingen auf Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Niederländisch, Polnisch, Arabisch und Chinesisch, wie Dompropst Gerd Bachner am 8. April mitteilte. Vor dem Mittagsgebet, den Liturgien am Vierungsaltar und kurz vor der täglichen Schließung werden die Besucher aus aller Welt in acht Sprachen eingeladen, in den Bänken des Weltkulturerbes Platz zu nehmen und mitzufeiern. "Unsere Kathedrale und ihre Gottesdienste stehen allen Menschen offen, egal, welche Sprache sie sprechen und welcher Religion und Konfession sie angehören."

Zur Verabschiedung bei der abendlichen Schließung spricht der Dom noch eine weitere Sprache: "In e paar Minute weed d'r Dom avjeschlosse. Sit esu jot und joht jetz nohm Usjang. Schön, dat ehr do wort - und kutt baal widder", erklingt es im Lokaldialekt Kölsch. Die hochdeutsche Übersetzung: "In ein paar Minuten wird der Dom abgeschlossen. Seid so gut und geht jetzt zum Ausgang. Schön, dass ihr da ward - und kommt bald wieder."

Für die korrekte kölsche Aussprache sorgt der langjährige Puppenspieler des Kölner "Hänneschen"-Theaters, Hans Fey. Der ehemalige Darsteller der Figur des "Mählwurms Pitter" sprach den Text für den Dom ein. "Der Dom und die kölsche Sprache: Beides steht in Köln für Heimat", erklärte Dompropst Gerd Bachner. Auf der letzten Dom-Ansage des Tages werde zusammengebracht, was zusammengehöre.




Gesellschaft

"Protest für Frieden ist angesagt"


Ostermarsch im Ruhrgebiet (Archivbild)
epd-bild / Stefan Arend
Zwischen Karfreitag und Ostermontag geht es bei den traditionellen Ostermärschen auch in NRW um globale Themen: Atomwaffenverbot, Ende der Bundeswehreinsätze im Ausland, Rüstungsexport-Stopp. Auch die Bundeswehr-Werbung an Schulen wird Thema sein.

Mit Demonstrationen, Mahnwachen, Blockaden und Festen wollen Friedensaktivisten bei den diesjährigen Ostermärschen auch in Nordrhein-Westfalen wieder für eine friedliche Welt auf die Straße gehen. Von Karfreitag an bis zum Ostermontag gibt es Aktionen unter anderem in Bonn, Hagen, Dortmund, Siegen, Gütersloh und Bielefeld. Der mehrtägige Ostermarsch Rhein-Ruhr von Duisburg und Köln bis Düsseldorf und schließlich mit dem Fahrrad von Essen nach Bochum gehört auch bundesweit zu den größeren Veranstaltungen. Ab Ostersamstag steht er unter dem Motto "Abrüsten statt aufrüsten - Verbot der Atomwaffen - für ein Europa des Friedens".

Das Netzwerk Friedenskooperative mit Sitz in Bonn verweist auf insgesamt gut 100 Ostermarschaktionen bundesweit, zu denen Zehntausende Teilnehmer erwartet werden. Die Ostermarschierer fordern unter anderem einen Stopp der Bundeswehreinsätze im Ausland, die Einstellung sämtlicher Rüstungsexporte, den Abzug der nach wie vor in Deutschland stationierten US-Atomwaffen und ein Verbot von Bundeswehr-Werbung an Schulen.

Sorge über "Militarisierung der Europäischen Union"

"Protest für Frieden ist angesagt", erklärten die Veranstalter. "In Zeiten ungehemmter Aufrüstung und einer zunehmenden Bedrohung durch Atomwaffen sind Zeichen für Frieden und Entspannung dringend nötig." Gerade mit Hinblick auf die bevorstehenden Europawahlen werde bei den diesjährigen Aktionen rund um Ostern auch besonders die Militarisierung der Europäischen Union thematisiert.

Am Karfreitag starten die Aktionen unter anderem in Hagen mit einer Fahrt zur Kundgebung im Rombergpark (Bittermark) in Dortmund. Ebenfalls am 19. April findet in Gronau ab 12 Uhr eine Demonstration unter dem Motto "Atomwaffen ächten - Urananreicherung stoppen - Zivile Konfliktlösungen" statt. Die Teilnehmer ziehen zur Urananreicherungsanlage.

Am 20. April beginnt der diesjährige Ostermarsch Rhein-Ruhr mit einer Auftaktkundgebung in Duisburg. Anschließend geht es mit dem Zug weiter nach Düsseldorf. Auch von Köln starten Ostermarschierer nach Düsseldorf. Dort steht die Kundgebung vor dem Historischen Rathaus unter dem Motto "Für eine Entspannungspolitik mit Russland." Auch in Münster, Bonn, Neuss und Siegen finden am Ostersamstag Aktionen der Ostermarschierer statt. Der Ostermarsch Ostwestfalen-Lippe beginnt um 10 Uhr in Gütersloh, dann geht es nach Bielefeld.

Fahrrad-Korso

Am Ostersonntag (21. April) starten die Demonstranten des Ostermarsches Rhein-Ruhr gegen 9.30 Uhr mit dem Fahrrad am Bahnhof in Essen mit einer Kundgebung "Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen". Die Demonstranten radeln dann über Gelsenkirchen und Wattenscheid weiter bis nach Herne. Am Ostermontag lädt der Ostermarsch Rhein-Ruhr nach Dortmund-Dorstfeld zum Friedensgottesdienst am Wilhelmplatz um 12.30 Uhr ein. Anschließend findet dort um 13 Uhr die Auftaktkundgebung unter der Überschrift "Es reicht - rechte Gewalt stoppen!" statt. In Dortmund endet der Ostermarsch Rhein-Ruhr mit einem Friedensfest im Wichernhaus.

Am 22. April (Ostermontag) gibt es auch eine Kundgebung in Nottuln mit Weiterfahrt nach Dülmen, wo gegen 11.30 Uhr auf dem Marktplatz an der Mahntafel an die Bombardierung Dülmens erinnert wird. Am Atomwaffen-Standort Büchel in der Eifel gibt es am Ostermontag eine Kundgebung unter dem Motto "Atomwaffen abrüsten statt aufrüsten". Auch in Krefeld und Hamm wird am Ostermontag für Frieden und Abrüstung demonstriert.

Teilnehmer und Redner kommen von den beiden großen christlichen Kirchen, den Gewerkschaften, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner, aus Parteien und Verbänden. In vielen Städten demonstrieren die Ostermarschierer auch gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus in Deutschland.

Entstanden ist die Ostermarsch-Bewegung in Großbritannien, wo sich am Karfreitag 1958 in London unter der Regie des britischen Philosophen Bertrand Russel erstmals 10.000 Menschen versammelten, um für die atomare Abrüstung zu demonstrieren. In Deutschland fand der erste Ostermarsch 1960 statt.

Andreas Rehnolt (epd)


Zahl der per Charterflug abgeschobenen Afghanen steigt


Sammelabschiebung nach Afghanistan vom Münchner Flughafen im Februar 2017.
epd-bild/Lukas Barth
Insgesamt 284 Menschen wurden 2018 per Charterflug nach Afghanistan gebracht - mehr als doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Im Vergleich zur Zahl der offiziell Ausreisepflichtigen ist das nur ein Bruchteil.

Die Zahl der per Charterflug abgeschobenen Afghanen hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. 2018 wurden insgesamt 284 Menschen im Rahmen von Sammelabschiebungen in das Land am Hindukusch gebracht, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Im Vorjahr waren es den Angaben zufolge 121.

Offiziell ausreisepflichtig sind indes mehr Menschen aus Afghanistan: Laut Bundesregierung hielten sich Ende Februar 18.568 "vollziehbar ausreisepflichtige afghanische Staatsbürger" in Deutschland auf. Davon besaßen 15.266 eine Duldung. Das geht aus einer Antwort der Regierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion hervor, die ebenfalls dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.

Die Zahl der Afghanen in Deutschland hat sich den Angaben zufolge seit 2011 von knapp 57.000 auf rund 257.000 vervierfacht. Fast 16.000 besitzen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, gut 133.00 ein befristetes Bleiberecht.

Bayern schiebt ohne Beschränkungen ab

Deutschland schickt seit Ende 2016 abgelehnte Asylbewerber wieder nach Afghanistan zurück. Nach einer Verschlechterung der Sicherheitslage und einem Anschlag auf die deutsche Botschaft in Kabul wurden die Abschiebungen im Sommer 2017 auf Gefährder, Straftäter und sogenannte Identitätstäuscher beschränkt. Anfang Juni 2018 beriet das Bundeskabinett über den neuen Lagebericht des Auswärtigen Amts zu Afghanistan. Dieser schilderte zwar nach wie vor eine "volatile" Sicherheitslage. Dennoch hob die Bundesregierung die Einschränkungen für Abschiebungen auf. Ohne Beschränkungen schiebt derzeit aber nur Bayern Afghanen ab.

Den Angaben nach sind mindestens 140 der 2018 mit Sammelabflügen abgeschobenen Afghanen in Deutschland straffällig geworden. Mindestens fünf wurden als Gefährder eingestuft, weitere 33 als sogenannte "Identitätstäuscher". Die Zahlen könnten aber höher sein: Seit die Beschränkungen für Abschiebungen nach Afghanistan aufgehoben wurden, sind die Länder nicht mehr verpflichtet, die Menschen in die zuvor genannten Kategorien einzuordnen.

Insgesamt gab es im vergangenen Jahr elf Sammelabschiebungen nach Afghanistan. Die Ausgaben für das Fluggerät beliefen sich dabei auf rund 2,5 Millionen Euro. Getragen wurden diese Kosten von der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex).

"Menschenverachtend"

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, kritisierte die Abschiebungen nach Afghanistan als "menschenverachtend". Die Sicherheitslage dort verschlechtere sich kontinuierlich, sagte sie dem epd. Die Ausweitung der Abschiebungen in das Land seien "Ausdruck einer skrupellosen Abschiebepolitik".

Die Bundesregierung bezeichnet die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan in der Antwort derzeit selbst als "regional unterschiedlich ausgeprägt". Seit dem Ende der Mission der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe 2014 hätten die Taliban ihren Einfluss weiter ausbauen können.



Forum: Abschiebungen aus NRW verlaufen geordnet


Flughafen Düsseldorf
epd-bild / Stefan Arend

Die Abschiebung von Flüchtlingen in Nordrhein-Westfalen über die Flughäfen läuft nach Feststellung von unabhängigen Beobachtern ganz überwiegend geordnet ab. Zu diesem Ergebnis kommt das Forum Flughäfen in NRW (FFiNW) in seiner am 11. April vorgestellten Bilanz für das Jahr 2018. Demnach gab es im gesamten Berichtsraum "keine unverhältnismäßig groben Behandlungen" der Betroffenen von Seiten der beteiligten Behördenvertreter. Schwerwiegende Fälle seien nicht beobachtet worden.

Insgesamt wurden den Angaben zufolge im vergangenen Jahr über die NRW-Luftdrehkreuze knapp 5.300 Menschen aus NRW in ihre Heimatländer abgeschoben, davon 5.008 vom Flughafen Düsseldorf, 285 von Köln/Bonn und zwei von Dortmund aus. Das FFiNW besteht seit 2000 in der Trägerschaft der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. In dem Forum arbeiten evangelische und katholische Kirche, das Land NRW sowie Nichtregierungsorganisationen und die Bundespolizei zusammen.

Rheinischer Kirchenrat kritisiert verschärftes Asylrecht

Allerdings sieht der Moderator des Forums, der evangelische Kirchenrat Rafael Nikodemus, mit Blick auf problematische Fälle noch "erheblichen Handlungsbedarf" seitens der Politik. Dabei handelt es sich laut FFiNW um Fälle einer Abschiebung von schwer kranken oder suizidgefährdeten Menschen, für die es zuvor nicht gelungen war, qualifizierte Atteste einzureichen. Auch seien Trennungen von Familienmitgliedern in mehreren Fällen beobachtet worden. In Einzelfällen seien Betroffene nicht ausreichend mit für sie notwendigen Medikamenten ausgestattet gewesen.

Nikodemus kritisierte die in den letzten Jahren vollzogene Verschärfung des Asylrechts. Notwendig sei vielmehr ein "an humanitären Maßstäben orientierter Flüchtlingsschutz", wie ihn Kirchen und Diakonie seit langem forderten. Doch seit 2015 - dem Jahr, in dem sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland kamen - gebe es in Politik und Gesellschaft einen Wandel von einer Willkommenskultur hin zu einer verstärkten Abschiebung.

"Zunehmend dominieren Rückkehr- und Abschiebungsdruck die Diskussion um Geflüchtete", merkte Nikodemus an. "Die Bundesländer scheinen sich in der Anstrengung überbieten zu wollen, möglichst hohe Abschiebezahlen präsentieren zu können." Entsprechend sei die Zahl der Abschiebungen seit 2015 sprunghaft angestiegen und habe im Vorjahr auf einem hohen Niveau stagniert. Gleichwohl lobte der Kirchenrat die Unterstützung des FFiNW durch das Land und damit die Möglichkeit, die Organisation von Abschiebungen unabhängig zu beobachten: "Das ist eine besondere Stärke unseres Rechtsstaats."

Der für Flüchtlingsangelegenheiten zuständige Abteilungsleiter im NRW-Integrationsministerium, Burkard Schnieder, verteidigte das Prinzip der Abschiebungen. Sie seien nicht zuletzt notwendig, um das Recht auf Asyl zu unterstützen. Wer kein Bleiberecht erhält, muss laut Gesetz in sein Heimatland zurückgebracht werden. Eine "konsequente Rückführung" sei richtig, aber es dürfe "keine Abschiebung um jeden Preis" geben.



Seenotrettung: Abgeordnete wollen mehr Einsatz vom Bund

Hunderte Flüchtlinge ertrinken jährlich auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer. Ein Gruppe Parlamentarier möchte das nicht mehr hinnehmen und rief die Bundesregierung zum Handeln auf. Unterstützung erhielten sie aus fast allen Reihen.

Insgesamt 210 Bundestagsabgeordnete haben mit einem "Osterappell" die Bundesregierung zu mehr Unterstützung der Seenotrettung im Mittelmeer aufgefordert. Es brauche politischen Druck aus dem Parlament heraus, damit Schiffe mit geretteten Menschen an Bord nicht tage- oder wochenlang auf dem Meer ausharren müssen, sagte Luise Amtsberg (Grüne) bei der Vorstellung des Appells am 12. April in Berlin. Unterzeichnet wurde der Aufruf von Parlamentariern aus allen Fraktionen mit Ausnahme der AfD-Fraktion.

Die Gruppe fordert zum einen Verständnis dafür, dass eine zivile Seenotrettung nötig sei. "Wenn ein Mensch in Seenot geraten ist, muss er gerettet werden", betonte Amtsberg. Zum anderen wird die Bundesregierung aufgefordert, auf europäischer Ebene Koalitionen zur Aufnahme der geretteten Menschen zu schmieden. Zudem müssten die Kommunen, die sich zur Aufnahme bereiterklären, vom Innenministerium besser unterstützt werden. Außerdem müssten sich die Regierungen in Europa mit der Situation in Libyen auseinandersetzen und versuchen, Flüchtlinge aus den libyschen Lagern zu befreien.

Parlamentsgruppe "Seenotrettung"

Ausgearbeitet wurde der Appell laut Amtsberg von der Parlamentsgruppe "Seenotrettung". In der Gruppe arbeiteten seit November 2018 etwa zehn bis 20 Abgeordnete ständig mit, sagte die Grünen-Politikerin. Die Gruppe setze sich für eine Versachlichung der Debatte im Parlament ein und werbe für ein breites Bekenntnis zur Seenotrettung.

Die AfD sei bewusst nicht gebeten worden, sich dem Appell anzuschließen, sagte Amtsberg. "Die AfD-Fraktion hat in der Vergangenheit mit unsäglichen Verleumdungen gearbeitet, mit Kriminalisierung in einer Art und Weise, wie es kaum zu ertragen ist", begründete sie. Es fehle das Vertrauen, dass die Fraktion an einer sachlichen Diskussion interessiert sei.

Die meisten Unterzeichner sind Grünen-, Linken- und SPD-Politiker. Aus der FDP-Fraktion unterschrieben elf Abgeordnete, aus der Unions-Fraktion vier. Es habe viele positive Rückmeldungen gegeben, aber nicht immer konnten die Abgeordneten mit allen Formulierungen und Punkten leben, bedauerte Amtsberg.

"Ganz großer Skandal"

Matthias Zimmer (CDU) erklärte seine Unterschrift so: "Es ist an der hohen Zeit, dass wir den Anspruch in einem christlichen Europa zu leben, auch humanitär unterfüttern." Dass Menschen auf der Flucht vor Zwangsarbeit, Ausbeutung und Bürgerkrieg ertrinken, sei "einer der ganz großen Skandale dieser Zeit". Demokratische Parteien müssten dagegen ein Zeichen setzen. "Die Menschenwürde wird auch im Mittelmeer verteidigt", unterstrich er.



Flüchtlinge konnten Rettungsschiff "Alan Kurdi" verlassen

Nach eineinhalb Wochen politischen Tauziehens sind die noch 62 Flüchtlinge vom Rettungsschiff "Alan Kurdi" in Malta an Land gegangen. Zuvor hatten sich vier europäische Länder bereiterklärt, die vor der libyschen Küste aus Seenot geretteten Menschen aufzunehmen. Bis zu 26 von ihnen können nach Deutschland kommen, wie das Bundesinnenministerium mitteilte.

Die Flüchtlinge seien am 13. April in der Nähe der Hauptstadt Valletta angekommen, schrieb die Zeitung "Times of Malta" (Online). Die "Alan Kurdi" selbst durfte nicht in einem maltesischen Hafen anlegen und nahm wieder Kurs auf Spanien, wie die deutsche Rettungsorganisation "Sea-Eye" am 14. April erklärte.

Das Rettungsschiff hatte am 3. April nach Angaben der Regensburger Organisation insgesamt 64 Migranten vor der libyschen Küste von einem Schlauchboot an Bord genommen. Zwei Frauen wurden in den vergangenen Tagen wegen gesundheitlicher Probleme an Land gebracht. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR erklärte in einem Tweet, die verbliebenen 62 Flüchtlinge seien erleichtert gewesen, dass die Tortur nach so vielen Tagen auf hoher See für sie nun ein Ende habe.

Ergebnisoffene Asylverfahren

"Sea-Eye" twitterte, die maltesischen Behörden hätten die Ausschiffung der Crew abgelehnt. "Wir haben 64 Menschen gerettet, das bleibt", sagte der Hamburger Kapitän der "Alan Kurdi", Werner Czerwinski, den Angaben zufolge. Die maltesische Regierung betonte, keiner der Migranten werde in Malta bleiben. Neben Deutschland hatten sich Frankreich, Portugal und Luxemburg zur Aufnahme der Menschen bereiterklärt.

Das Bundesinnenministerium betonte, bei der Übernahme von Seenotgeretteten würden in Deutschland "ergebnisoffene Asylverfahren durchgeführt". Mit der Übernahme sei keine Entscheidung über einen dauerhaften Aufenthalt getroffen, hieß es in einem Tweet des Ministeriums.

Nach Angaben von "Sea-Eye" hat die EU-Kommission zwischen Malta und den vier Staaten vermittelt. Der "Sea-Eye"-Vorsitzende Gorden Isler kritisierte, dass die Geretteten das Schiff so lange nicht hätten verlassen dürfen. "Es ist einfach nicht erklärbar, warum es notwendig war, dass die Leute während der langen Verhandlungen an Bord bleiben mussten, während Regierungen über 64 Einzelschicksale verhandelten", erklärte er.

EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos dankte Deutschland, Frankreich, Portugal und Luxemburg dafür, sich solidarisch gezeigt zu haben. Zugleich mahnte er nachhaltige Regelungen an, um vergleichbare Situationen künftig besser bewältigen zu können.

"Ohne die Kirchen könnten wir nicht mehr retten"

Der "Sea-Eye"-Vorsitzende Isler betonte, derzeit gebe es keine weiteren privaten Seenotretter im Mittelmeer. Seine Organisation sei zudem mittlerweile komplett von der Kommunikation zwischen den Rettungsleitstellen abgeschnitten. "Selbst die Italiener und Malteser informieren uns nicht mehr über Seenotfälle", sagte er "Spiegel Online".

Isler beklagte zudem einen Rückgang der Spenden. "Die Weihnachtszeit war noch ordentlich", sagte er dem Onlineportal. "Danach war der Rückgang massiv. Ich würde schätzen, dass die Anzahl unserer Spender um etwa 80 Prozent zurückgegangen ist." Derzeit könne "Sea-Eye" die fehlenden Spenden durch einige Großspender noch sehr gut ausgleichen. Wenn der Münchner Kardinal Reinhard Marx "allerdings nicht kürzlich 50.000 Euro gespendet hätte, hätten wir nicht auslaufen können", betonte der Vereinsvorsitzende. "Ohne die Kirchen könnten wir nicht mehr retten."



Berlin bleibt attraktiv für Israelis

Deutschland verzeichnet weiterhin mehr israelische Einwanderer als Auswanderer. Zwar seien im vergangenen Jahr 185 jüdisch-deutsche Staatsbürger nach Israel ausgewandert und damit habe die Einwanderung aus Deutschland wieder zugenommen, sagte Jigal Palmor von der Jewish Agency in Jerusalem dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dennoch könne man nicht von einem gesellschaftlichen Trend sprechen, denn dafür sei die Einwanderung zu gering. Im Jahr 1963 waren 302 Deutsche nach Israel ausgewandert, nach Angaben der Jewish Agency war das der statistische Rekord.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden vom 8. April hielten sich zum Stichtag 31. Dezember 2017 insgesamt 13.795 israelische Staatsbürger in Deutschland auf, die Mehrheit von ihnen lebt in Berlin. Im Jahr 2017 zogen 2.083 Personen mit israelischer Staatsbürgerschaft nach Deutschland, 1.313 verließen das Land im selben Zeitraum.

"Recht auf Rückkehr"

Berlin, New York City und das Silicon Valley haben nach Angaben der israelischen Statistikbehörde die größte Anziehungskraft auf jüdische Akademiker. Das Central Bureau of Statistics nannte in seiner Mitteilung am 8. April allerdings keine Zahlen.

Die Statistik der Jewish Agency in Jerusalem erfasst nur die diejenigen, die nach Israel ausgewandert sind. Offen ist, wie viele Juden Deutschland in Richtung USA, Kanada oder anderer Länder verlassen haben. Nicht erfasst wird auch die Zahl der Einwanderer, die nach einer "Probezeit" in Israel nach Deutschland zurückkehren. Insgesamt haben aufgrund des israelischen Gesetzes "Recht auf Rückkehr" 275.000 Deutsche die Option, nach Israel auszuwandern. Dieses Gesetz erlaubt Juden die Einwanderung nach Israel und die Option, die israelische Staatsbürgerschaft zu erwerben.



Klein: Rechten-Plakataktion grenzt an Volksverhetzung


Felix Klein
epd-bild/Christian Ditsch

Mit scharfer Kritik hat der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland, Felix Klein, auf eine Plakataktion der Partei "Die Rechte" in der Kölner Region reagiert. Diese Art von Wahlkampfwerbung sei ein "Verstoß gegen die Grundsätze der Völkerverständigung", sagte er am 12. April auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd). Die rechtsextreme Partei hat offenbar vor allem im Bereich Pulheim Wahlplakate zur Europawahl aufgehängt, auf denen es heißt: "Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit". Zudem brachte sie Plakate mit der Aufschrift "Wir hängen nicht nur Plakate" an, die den kleiner gedruckten Nachsatz tragen: "Wir kleben auch Aufkleber".

"Rhetorik der Nazis"

Die Aussagen der Partei erinnerten an die "Rhetorik der Nazis", grenzten an Volksverhetzung und seien eine Grenzüberschreitung, "gegen die wir uns wehren müssen", sagte Klein. Er habe bereits die Antisemitismus-Beauftragte des Landes NRW, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, über den Vorfall informiert. Sie wolle nun prüfen, ob und inwieweit mit Mitteln des Ordnungsrechts gegen die umstrittenen Plakate vorgegangen werden könne. Zudem bleibe zu klären, ob die Plakate den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllten und die dafür Verantwortlichen von der Staatsanwaltschaft belangt werden könnten.

Nach Angaben von Klein wurde er von einer jüdischen Organisation über die Plakate unterrichtet. Im Internet bekannte sich derweil der Rechten-Kreisverband Rhein-Erft zu der Aktion.

Evangelische Kirche spricht jüdischen Gemeinden Solidarität aus

Die evangelische Kirche in Köln hat den jüdischen Gemeinden in der Stadt ihre Solidarität im Kampf gegen Antisemitismus ausgedrückt. Die Plakataktion der Partei "Die Rechte" im Stadtgebiet mit der Aufschrift "Zionismus stoppen: Israel ist unser Unglück! Schluss damit" stelle eine bewusste Anspielung an die menschenverachtende Rhetorik der Nationalsozialisten dar, schreibt Stadtsuperintendent Rolf Domning in einem am 14. April veröffentlichten offenen Brief an die Synagogen-Gemeinde und die Liberale Gemeinde Köln Gescher LaMassoret. "Dies ist ein Skandal für die demokratische Kultur in unserem Land und nach den verbalen Attacken auf den Kölner Rabbiner Yechiel Brukner ein weiteres erschreckendes Beispiel für die menschenverachtende Fratze des Antisemitismus."

Die evangelische Kirche in Köln teile und unterstreiche die Einschätzung des Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, schreibt Stadtsuperintendent Domning an die jüdischen Gemeinden. Klein hatte am vergangenen Freitag dem Evangelischen Pressedienst (epd) gesagt, die Aussagen der Partei grenzten an Volksverhetzung und seien eine Grenzüberschreitung, "gegen die wir uns wehren müssen". Diese Art von Wahlkampfwerbung sei ein "Verstoß gegen die Grundsätze der Völkerverständigung", urteilte Klein.

Mit allen Mitteln des Ordnungs-, des bürgerlichen Rechtes und des Strafrechtes müsse nun gegen die Plakate, die offenbar vor allem im Bereich Pulheim zur Europawahl aufgehängt wurden, vorgegangen werden, forderte der Kölner Stadtsuperintendent. In dem offenen Brief erinnerte er zudem an einen Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden. "Wir möchten Ihnen gegenüber gerade heute zum Ausdruck bringen, dass die Errichtung, der Fortbestand und der 70. Geburtstag des Staates Israel im vergangenen Jahr auch für uns ein Grund zur Mitfreude ist", schreibt Domning an die jüdischen Gemeinden.



Kretschmer: "Rechtsextremismus ist unser größtes Problem"

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht den Kampf gegen Rechtsextremismus als eine vordringliche Aufgabe in seinem Bundesland an. Es gebe bei diesem Thema "weiter viel zu tun", sagte der CDU-Politiker auch mit Blick auf die neuerlich gestiegenen Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität im Freistaat dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gebraucht werde ein politischer und gesellschaftlicher Konsens, "dass wir diesen Kampf aus der Mitte der Gesellschaft führen müssen". Dies betreffe auch den Kampf gegen linken oder religiösen Extremismus. Aber "Rechtsextremismus ist unser größtes Problem", sagte der Regierungschef.

Zu einem offenen Umgang mit rechtsextremen Erscheinungen sieht er keine Alternative. "Jeder in der Statistik auftauchende Fall schmerzt und ist für das Land eine Wunde", sagte Kretschmer. Aber nur durch das Aufdecken dieser Dinge könne dies letztlich auch gesunden: "Zudecken ist immer schlecht."

"Grenzen verschwimmen"

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, äußerte sich derweil besorgt über neue Entwicklungen in der rechtsextremistischen Szene. Seine Behörde bemerke eine intensivierte Vernetzung unterschiedlicher rechtsextremistischer Gruppierungen, sagte er der "Welt am Sonntag": "Die Grenzen zwischen rechtsextremistischen Kreisen und dem Protestbürgertum verschwimmen zunehmend."

"Ich glaube, die Entwicklung des vergangenen Jahres hat gezeigt, dass wir dem Bereich Rechtsextremismus mehr Aufmerksamkeit widmen müssen", sagte der Verfassungsschutzchef. Nicht nur in Chemnitz seien "ganz neue Entwicklungen" wahrgenommen worden. Haldenwang hatte an der Spitze der Behörde im vergangenen Jahr Hans-Georg Maaßen abgelöst, dessen Äußerungen über die Ereignisse in Chemnitz als Relativierung rechtsextrem motivierter Ausschreitungen gedeutet wurden.

Sachsens Regierungschef Kretschmer warb dafür, den Kampf gegen Rechtsextremismus "nicht gegen, sondern für etwas" zu führen. Konkret nannte er die Schlagworte Demokratie, Meinungsfreiheit, eine offene Diskussionskultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gefordert seien jeder Einzelne in seinem privaten Umfeld, aber auch Schule, Kommunalpolitik, Polizei, Justiz, Kirchen und Verbände. Verschwörungstheoretiker und Populisten müssten "mit ihren Thesen ins Licht der Öffentlichkeit" gezogen und dort gestellt werden.



Mahnmal-Aktion: Ermittlungen gegen Künstler eingestellt


Holocaust-Mahnmal neben dem Wohnhaus von Björn Höcke.
epd-bild/Patryk Witt/Zentrum für Politische Schönheit

Das Ermittlungsverfahren gegen den Gründer der Berliner Künstlergruppe "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS), Philipp Ruch, wird eingestellt. Das teilte das Thüringer Justizministerium am 8. April in Erfurt mit. Die erst in der Vorwoche bekanntgewordenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Gera gegen den Aktionskünstler waren auf harsche Kritik gestoßen.

So hatte das Nachrichtenportal "Zeit Online" berichtet, dass der zuständige Staatsanwalt der AfD nahe stehen soll. Er soll unter anderem Anfang April 2018 über seine private Mailadresse an die Partei gespendet haben. Gegen Ruch war ermittelt worden, weil das ZPS mit einer Kunstaktion gegen den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke protestiert hatte. Die Staatsanwaltschaft Gera hatte Ruch die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.

Andere Aufgaben

Laut Thüringer Justizministerium haben sich die Leitung der Staatsanwaltschaft Gera, der Generalstaatsanwalt und der Thüringer Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) am 8. April gemeinsam auf die Einstellung des Ermittlungsverfahrens geeinigt. Zudem soll der Staatsanwalt bis zur endgültigen Klärung der in den Medien gegen ihn erhobenen Vorwürfe mit anderen Aufgaben betraut werden. Ebenso werde er von seinen Aufgaben als Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Gera entbunden, teilte das Ministerium mit.

In der Vorwoche war bekanntgeworden, dass die Staatsanwaltschaft Gera seit 16 Monaten gegen die den ZPS-Initiator Ruch ermittelt hatte. Die Behörde reagierte damit auf einen Ende November 2017 errichteten Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals mit 24 Stelen auf einem Nachbargrundstück Höckes im thüringischen Bornhagen. Das ZPS, das immer wieder mit Kunstaktionen Schlagzeilen macht, stellte die Aktion unter das Motto "Holocaust-Mahnmal besucht Höcke".

Damit protestierte die Gruppe nach eigenen Angaben gegen eine Rede des AfD-Politikers vom Januar 2017 in Dresden. Darin hatte Höcke mit Bezug auf das Berliner Holocaust-Mahnmal von einem "Denkmal der Schande" gesprochen. Zudem forderte der frühere Geschichtslehrer eine 180-Grad-Wende in der deutschen Erinnerungskultur.



Freispruch für den Osterhasen


Ein Mädchen sucht an Ostern nach Ostereiern und - hasen.
epd-bild / Meike Böschemeyer
Viele Eltern fragen sich: Ist es noch zeitgemäß, vom Osterhasen zu erzählen oder belügen wir unsere Kinder? Experten geben Entwarnung: Kinder brauchen mythische Gestalten und lösen sich davon, wenn sie so weit sind.

Wenn die Kinder im Bonner Stadtteil Bad Godesberg in diesen Tagen mit ihren Erzieherinnen draußen unterwegs sind, interessiert sie eines ganz besonders: "Haben Sie vielleicht gerade den Osterhasen gesehen?", wollen die Jungen und Mädchen aus dem Kindergarten der evangelischen Erlöser-Kirchengemeinde von den Passanten auf der Straße wissen. "Gerade die kleineren Kinder glauben noch, dass es den Osterhasen gibt", beobachtet die Leiterin der Einrichtung, Sabrina Heß. Doch einige Eltern fragen sich auch, ob es noch zeitgemäß ist, Kindern vom Osterhasen zu erzählen.

"Kinder verstehen, dass es sich nicht um eine rationale Realität handelt, sondern um eine Geschichte", beruhigt der Hamburger Entwicklungspsychologe Ulf Liszkowski. Die Kinder lernten vielmehr, dass die Geschichten vom Osterhasen - ähnlich wie die vom Weihnachtsmann - zu Bräuchen gehörten, die zu einer bestimmten Jahreszeit gelebt würden. Und solche Bräuche würden grundsätzlich positiv erlebt. "Für Menschen ist es zentral, etwas gemeinsam zu tun und einer Gruppe anzugehören. Und um das zu erreichen, gibt es solche kulturellen Überzeugungen, die geteilt werden."

Ursprung des Osterfestes im Blick behalten

So unrealistisch es auch ist, dass ein Hase bunte Eier heranschleppt: Eine Lüge sei die Geschichte vom Osterhasen dennoch nicht, urteilt Susanne Breit-Keßler, Kuratoriumsvorsitzende der Fastenaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Motto: "Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lügen". "Kinder hören ja auch Märchen oder sehen Filme mit Fantasiegeschichten." Diese nähmen sie auch nicht für bare Münze. Zudem sei der Osterhase keine Erfindung der Unterhaltungsindustrie, sondern ein uraltes Bild, das Fruchtbarkeit und lebendige Kraft symbolisiere.

Breit-Keßler findet es allerdings wichtig, dass neben Schoko-Hasen und bunten Eiern der Ursprung des Osterfestes nicht aus dem Blick gerät. "Die Botschaft von der Auferstehung und vom ewigen Leben können auch ganz kleine Kinder schon verstehen und gut gebrauchen", sagt die Regionalbischöfin des Kirchenkreises München-Oberbayern.

Beliebtes Ritual

Osterbräuche und der christliche Gehalt des Osterfestes seien kein Widerspruch, meint auch die Religionspädagogin Birgit Deiss-Niethammer. "Es braucht keine Entscheidung zwischen der Geschichte von der Auferstehung Jesu einerseits und Bräuchen wie Osterhase oder bunten Eier andererseits", sagt die Direktorin der Evangelischen Fachschule für Sozialpädagogik in Stuttgart. "Kinder brauchen mythische Gestalten und lösen sich davon, wenn sie so weit sind."

Das ist auch die Erfahrung der Bonner Kita-Leiterin Sabrina Heß. Den älteren Kindern sei sehr wohl bewusst, dass es den Osterhasen nicht gebe, sagt sie. Aber nichtsdestotrotz freuten sie sich über das Ritual. Wenn Kinder anfangen, an Fantasiegestalten wie dem Osterhasen oder Weihnachtsmann zu zweifeln, raten Pädagogen dazu, kritische Fragen zu unterstützen und nicht an der Osterhasengeschichte festzuhalten.

In der Kita der Erlöser-Kirchengemeinde basteln die Kinder vor Ostern mit Begeisterung Küken aus Eierkartons. Und sie warten darauf, dass der Osterhase zum gemeinsamen Frühstück vor dem Start in die Ferien etwas ins Nest legen wird. "Zugleich versuchen wir aber auch, sehr deutlich zu machen, dass der Hase oder das Küken Symbole sind", sagt Heß. Der christliche Hintergrund des Festes wird auch durch eine Osterandacht unterstrichen, für die der Pfarrer in die Kita kommt.

So beliebt der Osterhase vor allem bei Kindern ist, so sei er dennoch kein Muss, sagt der Psychologe Liszkowski. "Wenn Eltern entscheiden, diesem Brauch nicht zu folgen, ist das auch kein Problem." Schließlich könnten sich Bräuche mit der Zeit ändern. Und vor allem für jüngere Kinder sei zunächst das Miteinander in der Familie das Entscheidende.

Claudia Rometsch (epd)


Ostergeschenke für Kinder: Was empfehlen Experten?


Nach Angaben des Einzelhandelsverbandes ist Ostern der drittwichtigste Geschenke-Anlass im Jahr - nach Weihnachten und Geburtstagen.
epd-bild/Anke Bingel

Ostern ist nach Angaben des Einzelhandelsverbandes der drittwichtigste Geschenke-Anlass im Jahr - nach Weihnachten und Geburtstagen. Dabei werden laut Umfragen am häufigsten Kinder beschenkt. Experten warnen vor einer zunehmenden Kommerzialisierung des Osterfestes. Sie empfehlen, lieber den Feiertag gemeinsam zu verbringen.

Was wird heutzutage zu Ostern verschenkt?

Kunden kaufen vor allem Süßwaren, aber auch Spielzeug, Dekoration mit Frühlings- oder Ostermotiven und Blumen, wie der deutsche Handelsverband mitteilt. Da mit dem Ostergeschäft auch die Outdoor-Saison starte, seien in den Spielwarenläden vor allem Fahrzeuge wie Laufräder oder Roller gefragt.

Einer Umfrage des Forschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2017 zufolge ist Schokolade das beliebteste Ostergeschenk der Deutschen. Die Mehrheit (76 Prozent) kauft demnach Geschenke im Wert unter 100 Euro: 39 Prozent legen hartgekochte bunte Eier ins Osternest, zehn Prozent verschenken Bücher. Lediglich neun Prozent der Befragten überreichten teurere Geschenke wie Kleidung oder Schuhe und acht Prozent Delikatessen oder Getränke.

Welche Erwartungen haben Kinder?

Aus Sicht des Kinderschutzbundes Niedersachsen droht Ostern zu einem Konsumfest der Geschenke zu verkommen. Das zeige sich bereits daran, wie Kinder sich miteinander austauschten, sagt Vorstandvorsitzender Johannes Schmidt: Was hast du geschenkt bekommen? Wie teuer war das? Wo seid ihr über Ostern hingefahren?

Auch der Leiter des bundesweit größten Osterhasen-Postamtes in Ostereistedt bei Bremen, Hans-Hermann Dunker, befürchtet, dass sich Ostern von den Kinderwünschen her zu einem zweiten Weihnachtsfest entwickelt: Manche Kinder legten ihren Briefen an den Osterhasen Seiten aus dem Spielzeug-Katalog samt Bestellnummern bei.

Wie bewerten die Experten diese Entwicklung?

Johannes Schmidt vom Kinderschutzbund empfiehlt Eltern, nicht zu versuchen, alle Erwartungen der Kinder zu erfüllen. Sie zögen sonst eine Generation mit "absolut überzogener" Haltung heran. Als Eltern gäben diese Kinder dann eine solche Haltung an ihre Kinder weiter und hielten so den Kreislauf aus Konsum in Gang, sagt der Sozialpädagoge. "Das ist ein echtes Problem."

Welche Geschenke-Tipps geben denn die Experten?

Nach Ansicht des Kinderschutzbund-Vorsitzenden sollten Eltern lieber gemeinsame Aktionen schenken. Ein Gartenfest, eine kleine Wanderung, Urlaub oder Kinderfeste gehörten ebenso dazu wie zusammen am Küchentisch ein Bild zu malen. So etwas könne helfen, Familientraditionen zu entwickeln, und fördere den sozialen Zusammenhalt.

Passen Geschenke überhaupt zu dem christlichen Fest?

Der Kindergottesdienst-Beauftragte der hannoverschen Landeskirche, Pastor Dirk Schliephake, sieht im Schenken zum Fest eine Tradition. Viele christliche Bräuche hätten einen Ursprung im Judentum. Auch dort gebe es den Brauch, vor großen Festen etwas im Haus zu verstecken, zum Beispiel ein Stück Hefeteig. In den biblischen Ostergeschichten machten Frauen eine freudige Entdeckung: "Statt eines Toten fanden sie eine überraschende Nachricht: Jesus wurde von den Toten auferweckt." Diesen Wechsel der Gefühle von Trauer in Freude gemeinsam mit Kindern in Ostergottesdiensten zu erleben, sei "ein lebenswichtiges Geschenk", sagt Schliephake. Zur Osterfreude gehörten deshalb auch Geschenke - am besten solche, die Kinder in Bewegung brächten.

Cristina Marina (epd)


Zahl der Privatschüler in NRW bleibt auf Niveau des Vorjahres

Die Zahl der Schüler an den Privatschulen in Nordrhein-Westfalen ist im laufenden Schuljahr in etwa auf dem Niveau des Vorjahreszeitraums geblieben. Wie das Statistische Landesamt am 11. April in Düsseldorf mitteilte, besuchen im aktuellen Schuljahr mehr als 163.000 Schüler eine sogenannte private Ersatzschule. Das sind 0,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl aller Schüler in NRW ging im in diesem Zeitraum um 0,7 Prozent zurück.

Den Angaben zufolge besuchen damit 8,6 Prozent aller 1,9 Millionen Schüler in NRW eine Privatschule. Besonders hoch ist der Anteil der Privatschüler bei den knapp 512.000 Gymnasiasten: Zurzeit werden 16,8 Prozent an privaten Einrichtungen unterrichtet. Bei den fast 320.000 Gesamtschülern beläuft sich der Anteil der Privatschüler auf 4,6 Prozent.

Laut den Statistikern handelt es sich bei den privaten Ersatzschulen um staatlich genehmigte Schulen in freier Trägerschaft - etwa evangelischer oder katholischer Träger sowie freier Waldorfschulen. Die Einrichtungen bieten als verfassungsgemäßer Ersatz für öffentliche Schulen grundsätzlich die gleichen Unterrichtsinhalte an und dürfen in der Regel auch staatliche Prüfungen abnehmen.



Lehrerverband wirbt für die Handschrift


Statt mit dem Computer zu arbeiten, sollten Schulkinder wieder mehr schreiben, fordern bundesweit Lehrer.
epd-bild / Stefan Arend

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW wirbt für das Schreiben mit der Hand an Schulen. Lehrkräfte in allen Bundesländern beklagten eine Verschlechterung der motorischen Fertigkeiten von Schülern, erklärte die Gewerkschaft am 9. April in Dortmund und verwies auf eine repräsentative Erhebung. Für die Studie Step 2019 befragte der VBE zusammen mit dem Schreibmotorik Institut in der Zeit von September 2018 bis Januar 2019 bundesweit über 2.000 Lehrkräfte. Von ihnen kamen 300 aus NRW.

Bundesweit stimmten 89 Prozent der befragten Lehrer der Aussage zu, dass sich im Primarbereich die Kompetenzen, die Schüler als Voraussetzung für die Entwicklung der Handschrift mitbringen, sehr verschlechtert haben. In Niedersachsen stimmte sogar jeder Lehrer dieser Aussage zu, in Nordrhein-Westfalen 90 Prozent der Befragten.

Unleserliche Schrift, langsames Schreibtempo

Die Aussagen der Lehrer im Sekundarbereich fielen ähnlich aus. Bundesweit gaben 86 Prozent der befragten Lehrer an, dass sich die Handschrift der Schüler durchschnittlich in den vergangenen Jahren sehr verschlechtert habe. Die meiste Zustimmung erhielt diese Aussage von Lehrern in Schleswig-Holstein (95 Prozent), gefolgt von Rheinland-Pfalz (94 Prozent) und Baden-Württemberg (91 Prozent). In NRW waren es 85 Prozent.

Unleserliche Schrift, langsames Schreibtempo, Schwierigkeiten bei bestimmten Buchstabenverbindungen oder Probleme, Texte gerade auf einer Linie zu schreiben, gehören zu den besonders häufig genannten Beobachtungen. Als Ursachen benennen die Lehrer mangelnde Schreibroutine, schlechte Motorik und Koordination sowie Konzentrationsprobleme und fortschreitende Digitalisierung der Kommunikation. Digitale Medien eigneten sich kaum als Medium zum Erlernen des Handschreibens, urteilte die überwiegende Mehrheit. Nur fünf Prozent bewerteten digitale Medien hierfür als sehr gut oder gut geeignet.

Auch im digitalen Zeitalter bleibe das Handschreiben sinnvoll und notwendig, urteilten die Lehrer zu 99 Prozent im Primarbereich und zu 98 Prozent im Sekundarbereich. Eine flüssige Handschrift wirke sich positiv auf die schulischen Leistungen aus, vor allem auf die Rechtschreibung und das Lesen, hieß es.

Wertvolles Kulturgut

Auch der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) fordert eine stärkere Förderung der Handschrift in den Schulen. "Wann immer es möglich ist, also auch in den höheren Klassen, sollte mit der Hand geschrieben werden", sagte der hessische Kultusminister Alexander Lorz (CDU) den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (10. April). Mit der Hand zu schreiben entwickele nicht nur die motorischen Fähigkeiten, "die Handschrift ist auch ein wertvolles Kulturgut, das auch die Individualität des Menschen zeigt". Bundesbildungsministerin Anja Karliczek sprach sich ebenfalls für eine Förderung des Handschreibens aus. "Vieles bleibt besser im Kopf, wenn man es von Hand notiert hat", sagte die CDU-Politikerin.



Exzellenzcluster "Religion und Politik" feiert weitere Förderung

Das Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster feiert die neue Förderperiode zum Start im Mai. Der seit 2007 von Bund und Ländern geförderte Forschungsverbund erhält für die Jahre 2019 bis 2025 31 Millionen Euro, wie die Hochschule am 8. April in Münster mitteilte. Den Festvortrag zur Eröffnungsfeier der neuen Förderperiode am 10. Mai in Münster hält der Oxforder Wissenschaftler Lyndal Roper über Martin Luther. Über die Förderung der Exzellenzcluster entscheidet die Exzellenzkommission.

Das Thema des Exzellenzclusters sei so aktuell wie nie zuvor, erklärte die Einrichtung. Religion spiele in den tiefgreifenden Umbruchsprozessen zu Beginn des neuen Jahrtausends eine zentrale Rolle. Umstritten sei jedoch, ob Religion ein entscheidender Konfliktfaktor oder ein symbolisches Medium für die Austragung sozialer Konflikte sei. Mehr denn je sei es nötig, vereinfachende Ursachenbeschreibungen zu vermeiden und analytisch mit historisch geschärftem Blick die aktuellen gesellschaftlichen Konflikte zu untersuchen.

Das Exzellencluster "Religion und Politik" erforscht nach eigenen Angaben das Verhältnis von Religion und Politik quer durch die Epochen und Kulturen. Dem Forschungsverbund gehören 140 Wissenschaftler aus mehr als 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern und zehn Ländern an. Das Exzellenzcluster ist nach eigenen Angaben der bundesweit größte Forschungsverbund dieser Art und der einzige in Deutschland zum Thema Religion.




Umwelt

Dilemma vor dem Supermarktregal


Cäcilia Thalhammer beim Einkauf
epd-bild/Michael McKee
Die 18-jährige Cäcilia Thalhammer aus München will in den Wochen vor Ostern vegan und ohne Plastikmüll leben. Das bedeutet für sie aber nicht nur Verzicht.

Als sie im Supermarkt vor den Tetrapaks mit Reismilch und Hafermilch steht, steckt Cäcilia Thalhammer in einem Dilemma. Sich vegan ernähren und gleichzeitig auf Plastik verzichten - das ist gar nicht so einfach. "Pflanzenmilch gibt es fast nur in Tetrapaks - und die sind mit Plastik beschichtet. Das ist total doof." Die 18-Jährige Cäcilia, die seit September ihr Freiwilliges Ökologisches Jahr bei der Jugendorganisation des BUND in München macht, nutzt die Zeit vor Ostern dieses Jahr zum "Klimafasten".

Naturschutzverbände und Kirchen rufen schon seit mehreren Jahren dazu auf, in der Fastenzeit klimafreundlichere Verhaltensweisen und einen Lebensstil auszuprobieren, der möglichst wenig Ressourcen verbraucht. Die Aktion "Klimafasten" von elf evangelischen Landeskirchen und drei katholischen Bistümern etwa schlägt für jede Woche einen anderen Schwerpunkt vor: "achtsam essen", "anders unterwegs" oder für die sechste Fastenwoche eben "plastikfrei".

Cäcilia versucht, in der gesamten Fastenzeit auf Plastikverpackungen und tierische Produkte zu verzichten. Die Emissionen aus der Tierhaltung zählen zu den Ursachen des Klimawandels. Fleisch isst Cäcilia schon seit ein paar Jahren fast nicht mehr. Der zusätzliche Verzicht auf Eier und Milchprodukte in der Fastenzeit funktioniert bislang auch ganz gut: "Statt Butter nehme ich Margarine, statt Milch Hafermilch oder Reismilch. Aber wenn ich unterwegs bin oder ins Restaurant gehe, esse ich manchmal aus Versehen etwas, das nicht vegan ist."

Mehr Zeit nötig

Schwieriger wird es in Kombination mit plastikfreiem Einkaufen, wie bei der Hafermilch. Zum Glück gibt es um die Ecke von Cäcilias Wohngemeinschaft in München einen "Unverpackt"-Laden. Die Lebensmittel werden dort lose aufbewahrt, die Kunden kommen mit ihren eigenen Gläsern oder Dosen und füllen sich so viel Mehl, Nudeln oder Müsli ab, wie sie kaufen möchten.

"Man braucht schon eine gewisse Infrastruktur, um vegan und plastikfrei zu leben", sagt Cäcilia, die in München mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist. "In dem kleinen Dorf bei Nürnberg, in dem ich aufgewachsen bin, wäre das nicht möglich gewesen. Dort gibt es nur ganz normale Supermärkte."

Neben der Infrastruktur braucht man fürs "Klimafasten" auch Zeit. Einfach schnell nach der Arbeit noch in den Supermarkt springen - das geht nicht mehr, erzählt die junge Frau. "Ich muss ja immer meine Gefäße dabeihaben." Deshalb plant sie jetzt mehr und schreibt sich schon morgens einen Zettel mit den Dingen, die sie abends noch einkaufen will.

Mehr Geld braucht sie aber nicht unbedingt, hat Cäcilia bemerkt. "Teuer sind vor allem die veganen Fertigprodukte, und man kann sich auch ohne sie ausgewogen ernähren." Dass jeder mit seinem Ernährungs- und Kaufverhalten etwas bewirken kann, davon ist Cäcilia überzeugt.

Macht der Konsumenten

Auch Paulina Rudnick sieht eine große Macht bei den Konsumenten: Die 21-Jährige ist in der Berliner Zentrale der Jugendorganisation des BUND zuständig für die Aktion "Klimafasten" der Naturschutzorganisation. "Wir essen jeden Tag mehrmals. Wenn jetzt ganz viele Leute auf einmal sagen, sie essen kein Fleisch mehr, müssen die Produzenten und die Politik darauf reagieren. Das ist ganz einfach Angebot und Nachfrage." Hand in Hand mit der Umstellung eigener Gewohnheiten geht für sie aber auch das politische Engagement - zum Beispiel bei den wöchentlichen "Fridays for Future"-Demonstrationen, bei denen vor allem junge Leute an die Politik appellieren, endlich wirkungsvolle Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen.

Jeder habe die Verantwortung, im Rahmen seiner Möglichkeiten etwas zu tun - die einen als Konsumenten, die anderen eben als Politiker, findet auch Ulrike Wolf. Sie koordiniert in Hannover die kirchliche Aktion "Klimafasten". "Wenn wir den biblischen Auftrag ernst nehmen und die Schöpfung bewahren wollen, müssen wir unsere Gewohnheiten ändern", sagt sie.

In diesem Jahr werde die Broschüre der Landeskirchen und Bistümer zum "Klimafasten" besonders stark nachgefragt. Gerade nach dem heißen Sommer 2018 sei vielen klargeworden, dass der Klimawandel mittlerweile auch Europa betreffe. Es sei aber auch eine Frage der Gerechtigkeit, sagt Wolf, die Folgen des Klimawandels für andere Weltregionen und künftige Generationen soweit wie noch möglich abzumildern. "Die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, neue Verhaltensweisen auszuprobieren und dann zu schauen, was man danach in seinen Alltag übernehmen kann."

Auch Cäcilia will versuchen, sich nach der Fastenzeit weiter vegan zu ernähren. Und das muss nicht nur Verzicht bedeuten. Der schönste Nebeneffekt sei, dass sie sich viele Kochbücher aus der Bibliothek ausgeliehen und neue Rezepte ausprobiert habe: "Ich habe jetzt viel mehr Ansporn, mir selbst etwas Leckeres zu kochen."

Imke Plesch (epd)


"Fridays for Future" legt Forderungskatalog vor


"Fridays for Future" legt Forderungskatalog vor
epd-bild/Christian Ditsch
"Wir sind es leid, für das Fehlverhalten anderer zu bezahlen" - das sagt einer der Vertreter von "Fridays for Future" bei der Vorstellung eines kleinen, aber umso radikaleren Forderungspapiers.

Die Schüler- und Studenteninitiative "Fridays for Future" hat eine radikale Reduzierung der Treibhausgasemissionen bis 2035 gefordert. Um das sogenannte Nettonull-Ziel zu erreichen, müsse bis 2035 die Energieversorgung vollständig durch erneuerbare Energien erfolgen, hieß es in einem am 8. April in Berlin vorgestellten Papier der Schülerstreikbewegung. Zudem hält "Fridays for Future" an der Forderung nach einem Kohleausstieg bis 2030 fest.

Der Kompromiss der Kohlekommission sieht einen Ausstieg aus der Kohle erst bis 2038 vor. Präsentiert wurde der Forderungskatalog von "Fridays for Future" im Museum für Naturkunde mit Skeletten von ausgestorbenen Dinosauriern im Hintergrund. Unterstützt wurden die Initiatoren dabei von der Wissenschaftler-Vereinigung "Scientists for Future".

CO2 besteuern

Um das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, müssten schon bis Ende dieses Jahres konkrete Maßnahmen getroffen werden, hieß es weiter. Dazu zählten ein "Ende der Subventionen für fossile Energieträger" wie Kohle, Öl und Gas, das Abschalten eines Viertels der derzeitigen Kohlekraftkapazitäten sowie eine Kohlendioxid-Steuer auf alle Treibhausgasemissionen. "Der Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen muss schnell so hoch werden wie die Kosten, die dadurch uns und zukünftigen Generationen entstehen", sagte Linus Steinmetz als Vertreter von "Fridays for Future". Laut Umweltbundesamt seien dies pro Tonne 180 Euro.

"Fridays for Future" reagierte mit dem eine Seite umfassenden Papier auf wiederholte Forderungen aus der Politik in den vergangenen Monaten, konkrete Maßnahmen zu fordern. Der Veröffentlichung sei ein bundesweiter Abstimmungsprozess zwischen den Aktivisten der Schüler- und Studentenbewegung vorangegangen, sagte Aktivistin Svenja Kannt. Das Papier enthalte dabei bewusst nur Ziele, keine Maßnahmen: "Um sie zu erreichen, sind verschiedene Wege denkbar", hieß es. Den geeignetesten Weg zu finden, sei jetzt Aufgabe der Politik in enger Zusammenarbeit mit der Wissenschaft. Steinmetz kündigte an, dass die Schülerstreiks weiter gehen werden, bis ersichtlich sei, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommen tatsächlich von der Politik angestrebt werden.

"Untragbare Folgen"

Kannt warnte vor weitaus größeren Folgekosten für die Steuerzahler durch die Klimaveränderung sollten bestimmte "Kipp-Punkte" überschritten und die Erderwärmung nicht mehr eingedämmt werden können. Weiter verwiesen die Vertreter von "Fridays for Future" darauf, dass Maßnahmen gegen den Klimawandel sozialverträglich umgesetzt werden müssten. Schließlich sei der ökologische Fußabdruck, also die Beanspruchung des Ökosystems, umso größer, je höher das Einkommen, sagte Aktivistin Sana Strahinjic.

Nach dem Verursacherprinzip müsse Deutschland als Industrienation Nettonull deutlich früher erreichen als andere Staaten, hieß es weiter: "Ein Verfehlen dieses Ziels hat weitreichende, untragbare Folgen." Angesprochen auf das Thema Atomkraft als mögliche Alternative zu Kohlekraftwerken sagte Strahinjic, der Ausstieg sei in Deutschland beschlossene Sache.

In dem Forderungspapier von "Fridays for Future" hieß es auch: "Uns ist bewusst, dass diese Forderungen ambitioniert sind, doch wenn wir jetzt nicht entschlossen handeln, werden wir das 1,5 Grad-Ziel verfehlen. Die dadurch entstehenden Schäden werden nicht reparabel sein."

Unterstützung erhielten die Schüler und Studenten unter anderen vom Klimaexperten der Linksfraktion im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin. Die Forderungen seien "keine Wünsch-Dir-Was-Liste für eine bessere Welt", sondern ein "notwendiger Weckruf an die tatenlose Bundesregierung", erklärte er. Die klimapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Lisa Badum, sagte: "Die jungen Menschen haben Recht: Wir brauchen in der Realität, in der wir leben, viel radikaleren Klimaschutz."



Bischof Koch vergleicht Greta mit Jesus


Heiner Koch
epd-bild/Jürgen Blume

Berlins katholischer Bischof Heiner Koch hat die Vorbild-Wirkung der schwedischen Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg mit der von Jesus Christus verglichen. Die "Fridays for Future"-Demonstranten würden in ihr ein Idol sehen, von manchen Politikern und Medien werde Greta als Heldin verehrt, sagte Koch in seinem Bischofswort am 13. April im RBB-Hörfunk. "Mich erinnern die Freitagsdemos ein wenig an die biblische Szene vom Einzug Jesu in Jerusalem", sagte Koch mit Blick auf die kommende Karwoche, an deren Ende, dem Karfreitag, Christen an den Tod von Jesus am Kreuz erinnern.

Jesu Einzug in Jerusalem sei für viele "eine Art Triumphzug für einen Volkshelden" gewesen. Manche hätten in ihm einen "Propheten, einen nationalen Retter" gesehen. Ihm gehe es nicht darum, Greta Thunberg mit dem Vergleich zu einem weiblichen Messias zu machen, sagte Koch und ergänzte: "Ich möchte jedoch daran erinnern, dass unsere Gesellschaft und auch unsere Kirche von Zeit zu Zeit echte Propheten braucht, die auf Missstände und Fehlentwicklungen hinweisen und Lösungswege vorschlagen."

"Höchst zwiespältig"

Dies gelte auch, wenn diese nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen oder Wege wie das Schuleschwänzen "höchst zwiespältig zu bewerten sind". Gesellschaft und Kirche würden von Vorbildern leben, die verlässlich und bescheiden seien, an denen man sich reiben und von ihnen lernen könne, sagte der Bischof.

Seit mehreren Wochen gehen junge Menschen weltweit freitags für den Klimaschutz auf die Straße, anstatt die Schule oder die Universität zu besuchen. Vorbild ist die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, die mit einem mehrwöchigen Schulstreik internationale Aufmerksamkeit erlangte.



NRW fördert 23 Lernorte zu Umweltthemen

Das Land Nordrhein-Westfalen gibt 2,2 Millionen Euro für eine bessere Bildung zu Umweltthemen aus. Unterstützt würden insgesamt 23 Umweltbildungseinrichtungen, erklärte das NRW-Umweltministerium am 9. April in Düsseldorf. Eine einzelne Einrichtung erhalte maximal 110.000 Euro pro Jahr. Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) bezeichnete die außerschulischen Lernorte als Bereicherung für Kinder und Jugendliche.

"Sie fördern ihre Entwicklung zu verantwortungsvoll handelnden Menschen", sagte die Ministerin. "Alle Einrichtungen der Umweltbildung sind für uns wichtige Partner bei der Vermittlung eines verantwortungsbewussten Umgangs mit unserem Planeten."

Die Einrichtungen für nachhaltige Entwicklung sollen den Angaben zufolge mit der Förderung ihre Bildungs- und Vernetzungsaktivitäten innerhalb des Landesnetzwerkes "Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) NRW" ausbauen. Die 23 geförderten Einrichtungen wirken nach Ministeriumsangaben als BNE-Regionalzentren in ihren Kreisen und darüber hinaus. Um eine Förderung bewerben konnten sich etwa regional bedeutsame Einrichtungen in Trägerschaft von gemeinnützigen Vereinen, Verbänden oder Stiftungen sowie Kirchen und Gemeinden. Zu den geförderten Bereichen zählen etwa Bildungsprogramme rund um Klimaschutzthemen oder Vernetzung von Bildungsangeboten in der Region, etwa durch das Erstellen von regionalen Übersichten.



Umwelt- und Verkehrsverbände für Tempolimit auf Autobahnen


Aktion für ein Tempolimit
epd-bild / Andreas Schoelzel

Ein Bündnis aus Polizeigewerkschaft, Umwelt- und Verkehrsverbänden fordert die kurzfristige Einführung eines generellen Tempolimits auf deutschen Autobahnen. Diese Maßnahme wäre ein wesentlicher Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele und würde zugleich Menschenleben retten, heißt es in dem am 11. April in Berlin vorgestellten Aufruf. Uneinigkeit herrscht bei der Höhe eines möglichen Tempolimits. Während die Umweltverbände 120 Stundenkilometer favorisieren und auf die höheren Einsparungen beim CO2 verweisen, ist die Gewerkschaft der Polizei für ein Tempolimit von 130 Stundenkilometern.

Deutschland sei das einzige Industrieland weltweit ohne ein generelles Tempolimit, heißt es in der gemeinsamen Pressemitteilung. "Ein Tempolimit rettet Leben, verbessert den Verkehrsfluss, sorgt für eine stressfreiere Fahrt und schützt die Einsatzkräfte von Polizei und Rettungsdiensten." Hinter der Forderung stehen die Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, die Verkehrsunfall-Opferhilfe Deutschland (VOD), der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), der Verkehrsclub VCD, Greenpeace sowie die Deutsche Umwelthilfe (DUH).

Einsparungen von fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich

Die Bundesregierung sei laut Grundgesetz zum Schutz des Lebens und des Klimas als natürliche Lebensgrundlage verpflichtet, erklärten die Initiatoren. Nicht zu handeln sei fahrlässig und widerspreche dem gesunden Menschenverstand.

Nach Einschätzung der Umwelthilfe können mit einem Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen sowie 80 Stundenkilometern auf Landstraßen bis zu fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid jährlich eingespart werden, wie Verbandsgeschäftsführer Jürgen Resch erklärte. Auf sieben von zehn Autobahnkilometern gilt den Angaben zufolge bislang kein Tempolimit.

Michael Mertens, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Nordrhein-Westfalen, erklärte: "Deutschland verliert bei der Verkehrssicherheit den Anschluss an die europäische Spitzengruppe." Rund 300 Menschen sterben nach seinen Worten jedes Jahr bei Unfällen auf Autobahnabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Eine Höchstgeschwindigkeit sei einfach einzuführen und wirke sofort, sagte Mertens.

Die Idee für eine Höchstgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern auf Autobahnen kam von einer Arbeitsgruppe, die Vorschläge für mehr Klimaschutz im Verkehr erarbeiten sollte. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) lehnt den Vorschlag ab.




Soziales

"Untersuchung ohne Risiko deutlich besser"


"Inklusion statt Selektion": Demonstration gegen vorgeburtliche Gen-Tests am 10. April in Berlin
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Der vorgeburtliche Bluttest an Schwangeren auf ein Down-Syndrom des ungeborenen Kindes könnte zur Kassenleistung werden. Im Bundestag wird das von vielen Abgeordneten befürwortet.

Vor einer Entscheidung im Gesundheitswesen über eine mögliche Kassenfinanzierung vorgeburtlicher Bluttests hat der Bundestag über möglichen gesetzlichen Regelungsbedarf beraten. Im Parlament meldeten sich am 11. April mehrheitlich Befürworter einer Finanzierung durch die Kassen zu Wort. Für den risikolosen Bluttest auf Trisomie andere Grenzen zu ziehen als für die risikobehaftete Fruchtwasseruntersuchung sei rational, medizinisch und ethisch nicht zu erklären, sagte etwa die Abgeordnete Claudia Schmidtke (CDU), die auch Patientenbeauftragte der Bundesregierung ist. Gleichzeitig betonten viele Redner, dass die Fragen an den Gesetzgeber über die Finanzierungsfrage hinausgingen.

Die Beratung am Donnerstag hatte schon deswegen einen besonderen Charakter, weil der Bundestag über einen Sachverhalt beriet, den er nicht selbst zu entscheiden hat. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von Ärzten, Kassen und Krankenhäusern muss darüber beschließen, ob der Bluttest zur Kassenleistung werden soll. Der Test erkennt am Blut der Mutter, ob das ungeborene Kind eine Trisomie, etwa das Down-Syndrom, hat. Bislang müssen ihn Eltern privat bezahlen. Andere Methoden wie die Fruchtwasseruntersuchung, die dies auch untersuchen, werden von der Kasse übernommen. Sie bergen aber ein hohes Risiko für eine Fehl- oder Frühgeburt.

Sorge über Umgang mit Behinderten

"Eine Untersuchung ohne Risiko für Fötus und Schwangere ist deutlich besser als eine Untersuchung mit Risiko", sagte die Linken-Abgeordnete Cornelia Möhring. Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte, man könne ihn Frauen nicht vorenthalten und Schwangeren stattdessen die gefährliche Fruchtwasseruntersuchung zumuten. Andere Befürworter verwiesen darauf, dass der Test nicht nur denjenigen vorbehalten sein dürfe, die ihn sich leisten können. "Die finanzielle Situation darf bei so einer Frage absolut nicht entscheidend sein", sagte die FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus.

Kritiker der Tests äußerten dagegen Sorge über den Umgang mit Behinderten. Der Test diene der Selektion, sagte die Grünen-Abgeordnete Corinna Rüffer. Der AfD-Politiker Volker Münz sagte, die Erwartungshaltung gegenüber Müttern, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, würde größer werden.

Zwei Stunden nahm sich das Parlament Zeit für die sogenannte Orientierungsdebatte. 36 Parlamentarier meldeten sich zu Wort, die jeweils drei Minuten Zeit hatten, ihre Argumente zu schildern. Die Diskussion verläuft wie bei ethischen Fragen nicht an Parteigrenzen entlang. Noch in dieser Wochen hatten die Unionsparteien betont, ihren Abgeordneten keine Linie vorgeben zu wollen.

Das Thema ist gesamtgesellschaftlich umstritten. Behindertenverbände sehen die Tests kritisch. Die evangelische Kirche hat sich in einer Stellungnahme für die Kassenleistung unter bestimmten Voraussetzungen ausgesprochen, die katholische ist dagegen.

Weitere Tests vor Zulassung

Viele Redner im Bundestag mahnten Regelungen über diese konkrete Frage hinaus an. Ganz viele andere solcher Gen-Tests stünden vor der Zulassung, sagte Rüffer. Lauterbach prognostizierte, es werde künftig Tests auf fast jede genetische Erkrankung geben. Er forderte ein Gremium zur Entscheidung über solche Tests, in denen unter anderen Wissenschaftler und Psychologen vertreten sein müssten. Die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler schlug eine Novelle des Gendiagnostikgesetzes vor, das festlegt, welche vorgeburtlichen Tests gemacht werden dürfen.

Der CDU-Abgeordnete, Arzt und Marburger-Bund-Vorsitzende Rudolf Henke forderte eine Stärkung der Beratung von Frauen. Der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger, ebenfalls Arzt, betonte wie andere Redner auch, den Bluttest nur bei Risikoschwangerschaften von den Kassen finanzieren zu lassen. Der G-BA sieht das selbst in seiner im März veröffentlichten Beschlussempfehlung vor. Eine endgültige Entscheidung soll in dem Gremium im Spätsommer fallen.



Rekowski: Beratung statt Bluttest als Kassenleistung


Manfred Rekowski
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Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, ist gegen vorgeburtliche Bluttests auf eine mögliche Trisomie 21 des Ungeborenen als Kassenleistung. "Behinderung ist kein lästiger Betriebsunfall", erklärte der Theologe am 10. April in Düsseldorf. In der Debatte über die umstrittenen Gen-Tests unterstrich Rekowski, dass auch Menschen mit dem Gendefekt Trisomie 21, auch bekannt als Down-Syndrom, oder mit anderen Behinderungen in Gottes Welt gehörten.

"Paare, die vor der schweren Entscheidung stehen, wie es mit der Schwangerschaft angesichts einer möglichen Trisomie 21 weitergehen soll, brauchen keinen Bluttest als Kassenleistung, sondern vor allem einfühlsame Beratung und kompetente Begleitung, auch für die Zeit nach der Geburt", betonte der leitende Theologe der zweitgrößten deutschen Landeskirche. Eine menschenwürdige Gesellschaft entstehe nicht durch eine Selektion nach Normen, sondern durch eine weitreichende Inklusion der Familien mit behinderten oder kranken Kindern.

Der Test gibt über durch die Untersuchung des Blutes der werdenden Mutter mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit Auskunft darüber, ob das ungeborene Kind eine Form von Trisomie hat. Darunter fällt beispielweise das Down-Syndrom, bei dem das 21. Chromosom dreimal statt zweimal vorhanden ist.

Bislang muss der ethisch umstrittene Test selbst bezahlt werden. Befürworter der Kassenleistung argumentieren, der Test dürfe nicht nur denen vorbehalten bleiben, die es sich leisten können. Kritiker, darunter Behindertenverbände, befürchten, dass bei einer Übernahme der Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung der Test zum Standard wird und kaum noch Kinder mit einer Trisomie geboren werden.



Bethel feiert 150 Jahre Diakonissenanstalt Sarepta


Zwei Diakonissen mit den traditionellen Hauben
epd-bild / Jens Schulze

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel feiern im Mai das 150-jährige Bestehen der Sarepta-Stiftung. Die Stiftung und die Diakonissen der Sarepta-Schwestern seien bis heute ein wichtiger Bestandteil Bethels, erklärten die v. Bodelschwinghschen Stiftungen am 8. April in Bielefeld. Das Jubiläum wird unter anderem mit einem Festwochenende vom 3. bis 6. Mai gefeiert. Höhepunkt ist ein Festgottesdienst mit der westfälischen Präses Annette Kurschus am 5. Mai in der Betheler Zionskirche und einem anschließendem Fest im Assapheum. Am 6. Mai findet unter dem Titel "Das Leben pflegen" eine Fachtagung zu den Arbeitsfeldern der Stiftung Sarepta statt.

Jubiläumsausstellung

Anlässlich des Jubiläums würdigt eine Ausstellung die westfälische Diakonissenanstalt. Unter dem Titel "Mitten im Leben - Sarepta Schwestern. 150 Jahre diakonisch handeln & geistlich leben" zeigen Fotografien die Schwestern in Leben und Dienst sowie die Entwicklung der Schwesternschaft. Im Mittelpunkt stehe die Frage, warum es Frauen heute wichtig sei, zu einer Gemeinschaft von Frauen in der Diakonie zu gehören, erklärte Bethel. Die Darstellungen wurden von der Fotografin Cornelia Bock, der Autorin Monika Detering und der Kunsthistorikerin Susanne Lorenz zusammengestellt. Die Ausstellung mit den Fotos und Texten ist bis zum 8. September im "Haus der Stille" in Bielefeld-Bethel zu sehen.

Die Sarepta-Schwesternschaft der v. Bodelschwinghschen Stiftungen entstand im 19. Jahrhundert. Im April 1869 wurde in Bielefeld Westfalens erstes Diakonissenhaus eingeweiht. Die westfälische Diakonissenanstalt sollte gemeinsam mit der 1877 gegründeten Westfälischen Diakonenansatalt Nazareth für qualifizierte Pflegekräfte in den Bethel-Einrichtungen sorgen. Unter Leitung von Pastor Friedrich von Bodelschwingh begann im Jahr 1872 der Bau des Sarepta-Muterhauses in Bethel als Krankenhaus, Ausbildungsstätte und Wohnhaus der Diakonissen.

Seit 1996 wurde in einer neuen Lebensordnung für die Sarepta-Schwestern die Genossenschaft, Ehelosigkeit und Tracht aufgehoben. Heute gehören nach Angaben Bethels knapp 380 Frauen der Gemeinschaft an. Alle Schwestern haben sich einer diakonischen Tätigkeit im Haupt- oder Ehrenamt verpflichtet. Zentraler Ort für die Sarepta-Schwesternschaft ist heute das "Haus der Stille" auf dem Zionsberg in Bielefeld-Bethel.



Palliativmediziner: Frömmigkeit macht Sterben nicht leichter

Fromme Menschen tun sich nach Erfahrungen des Palliativmediziners Lukas Radbruch nicht unbedingt leichter mit dem Sterben als weniger gläubige Patienten. "Wir erleben es, dass Menschen mit tiefer Religiosität genauso mit dem Schicksal hadern wie andere - oder vielleicht sogar mehr", sagte der Leiter der Klinik für Palliativmedizin an der Uniklinik Bonn der Bonner Kirchenzeitung "PROtestant" (Osterausgabe). Die zentrale Frage sei, ob jemand im Frieden mit sich selbst sei. "Wenn der Glaube dazu führt, dass man im Frieden mit sich selbst lebt und weiß, dass alles irgendwie einen Sinn hat, dann kann es eine wertvolle Ressource sein."

Um Menschen das Sterben leichter zu machen, sei zunächst eine Linderung von Schmerzen, Angst oder Luftnot notwendig, sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin weiter. "Zweitens brauchen sie jemanden, der bis zum Ende dabei bleibt." Das könnten neben der Familie auch professionelle Mitarbeiter sein. "Die Seelsorge ist dabei ein unersetzlicher Teil im Palliativteam", unterstrich der Mediziner. "Wir sind heilfroh, dass wir einen evangelischen und einen katholischen Seelsorger hier haben und für andere Konfessionen jemanden rufen können."

Auch die ehrenamtlichen Mitarbeiter seien "Gold wert", lobte Radbruch. Außerdem würden auch Ärzte und Pflegepersonal auf den Umgang mit Spiritualität vorbereitet. Patienten am Lebensende hätten viele Gedanken zu existenziellen Fragen, sagte der Mediziner. "Für gläubige Menschen ist das noch mal eine Phase, wo sie viele Fragen haben, sich austauschen wollen."



Diakonie-Präsident: Bunter werdende Gesellschaft ist Gewinn


Ulrich Lilie
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Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, sieht eine zentrale Aufgabe des evangelischen Wohlfahrtsverbandes darin, den Zusammenhalt zu stärken. Lilie sagte am 11. April beim diesjährigen Wichernempfang der Diakonie in Berlin, er sei überzeugt, dass die vielfältiger und bunter werdende Gesellschaft ein Gewinn sei und große Chancen biete.

Die Herausforderungen ließen sich aber nur von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam bewältigen, sagte Lilie vor den Gästen aus Politik, Kirchen, Wirtschaft, Wissenschaft und Soziawesen. Mit ihren Aktivitäten und Einrichtungen könnten Diakonie und Kirche viel zum Gelingen des Zusammenlebens beitragen.

Gastredner auf dem Empfang unter dem Motto "Zusammenhalt und Teilhabe in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland" war der Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände, Ali Ertan Toprak, der bekannt ist für seine Warnungen vor antidemokratischen Gruppen unter den Zuwanderern. Er warf der Politik und den Kirchen vor, sich zu stark auf den Dialog mit dem Islam einzulassen und säkulare, liberale Einwanderergruppen zu vernachlässigen.

Wenn es um Demokratie, Gleichberechtigung der Frau und Antisemitismus gehe, gebe es überhaupt nichts zu verhandeln, erklärte Toprak. Eine multiethnische Gesellschaft brauche gemeinsame Grundwerte, damit das Zusammenleben funktioniere. Die Muslime hätten es selbst in der Hand, ob der Islam zu Deutschland gehöre, indem sie ihren Beitrag zur Demokratie leisteten, sagte Toprak.

Sonderpreis für Coenen-Marx

Den Wichernpreis erhielt die Altersforscherin Melissa Henne für ihre Dissertation über ethische Fragen bei der Nutzung neuer Technologien in der diakonischen Arbeit. Henne gebe eine für die Praxis hilfreiche ethische Orientierung für den Einsatz technischer Hilfsmittel etwa in der Altenpflege, hieß es in der Würdigung. Der Preis wird seit 1998 an verdiente Persönlichkeiten der Diakonie vergeben, seit 2005 für herausragende Forschungsarbeiten.

Einen Sonderpreis überreichte die Jury der Theologin Cornelia Coenen-Marx für Veröffentlichungen über neue Formen der theologischen und diakonischen Arbeit mit einer starken sozialen Orientierung. Zuletzt hatte die 66-jährige frühere Oberkirchenrätin aus Hannover ein Buch über das Älterwerden als Chance für selbstbestimmtes soziales Engagement geschrieben.

Die Diakonie Deutschland beschäftigt bundesweit rund 525.000 hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in rund 31.500 Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe, in Krankenhäusern, Sozialstationen und Beratungsstellen.



NRW-Jobcenter sanktionieren weniger


Jobcenter
epd-bild/Norbert Neetz

Jobcenter in Nordrhein-Westfalen sprechen seltener Sanktionen gegen Arbeitslose wegen Regelverstößen oder Versäumnissen aus als in den zurückliegenden Jahren. Zudem liegt die Quote von Menschen, die von einer Leistungskürzung betroffen waren, in NRW mit 2,7 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt (3,2 Prozent), wie die Regionalstelle der Bundesagentur für Arbeit (BA) am 10. April in Düsseldorf mitteilte. Im vergangenen Jahr sei die Zahl der Sanktionen in NRW um 11.652 auf 211.179 gesunken, die niedrigste Zahl seit 2010. Mit knapp 80 Prozent sei der häufigste Grund ein sogenanntes Meldeversäumnis gewesen, also ein im Jobcenter vereinbarter, aber ohne wichtigen Grund nicht eingehaltener Termin.

Im vergangenen Jahr mussten die Jobcenter wegen eines Meldeversäumnisses in 166.032 Fällen Leistungsberechtigten eine Sanktion aussprechen und die Regelleistung um zehn Prozent absenken. Dies seien 11.185 Fälle weniger als im vergangenen Jahr gewesen, erklärte der Geschäftsführer Arbeitsmarktmanagement der Regionaldirektion NRW, Torsten Withake. Er verwies auf den Service der Jobcenter, Leistungsbeziehern auf Wunsch per SMS innerhalb von 24 Stunden vor dem Termin eine Erinnerung auf das Handy zu schicken.

Withake betonte, dass es bei einem Regelverstoß zuerst immer eine Anhörung gebe. "Nur, wenn im Gespräch kein wichtiger Grund angegeben oder nachgewiesen werden kann, kommt es zu Sanktionen. Dazu sind die Jobcenter gesetzlich verpflichtet." Jobcenter bräuchten eine Handhabe, wenn sich Einzelne entziehen, erklärte er.

Für die Weigerung eine Arbeit oder Maßnahme aufzunehmen, wurden in Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr 18.846 Sanktionen ausgesprochen, Pflichtverletzungen gegen die Eingliederungsvereinbarung führten in 19.534 Fällen zu einer Leistungskürzung.

Besonders stark von Sanktionen betroffen seien junge Menschen unter 25 Jahren, hieß es. Hier lag die Sanktionsquote 2018 in NRW bei 3,6 Prozent. "Die Regeln für junge Menschen sind strikter als bei Menschen über 25 Jahren, das führt auch zu einem höheren Anteil der Betroffenen", erläuterte Withake. Das Gesetz sieht bei Jugendlichen bereits beim ersten Regelverstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht, eine komplette Streichung der Regelleistung vor. Für junge Erwachsene ab 25 Jahren liegt die Kürzung bei einem ersten Verstoß immerhin noch bei 30 Prozent. Diese Sonderregelungen seien einschneidend, erklärte Withake. Die Bundesagentur setze sich für ein Ende der Ungleichbehandlung von Jugendlichen ein.



Stiftung beklagt sinkende Reichweite von Tarifverträgen

Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung dringt auf Maßnahmen für eine größere Reichweite von Tarifverträgen. Ihre Reichweite gehe seit mehr als zwei Jahrzehnten nahezu kontinuierlich zurück, kritisierte die Stiftung am 8. April in Düsseldorf anlässlich des 70. Jubiläums des Tarifvertragsgesetzes am 9. April. Mittlerweile seien nur noch 55 Prozent der Beschäftigten und 27 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Vor allem in kleineren Betrieben, verschiedenen Dienstleistungsbereichen und den ostdeutschen Bundesländern liege die Tarifbindung erheblich unter dem Durchschnitt.

"Die rückläufige Tarifbindung untergräbt die bestehenden Tarifstandards und fördert niedrig bezahlte und prekäre Beschäftigung", erklärte Thorsten Schulten vom Tarifarchiv des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Böckler-Stiftung. Die Vertragsparteien müssten daher für eine stärkere Bindung sorgen. Bei öffentlichen Aufträgen sollte sich die Vergabe nach der Tarifbindung ausrichten, forderte er. Eine höhere Geltung könne etwa durch eine erleichterte Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen unterstützt werden. Zudem plädierte Schulten dafür, das Vetorecht der Arbeitgeber im Tarifausschuss abzuschaffen.

Jedes Jahr werden laut einer Auswertung des WSI-Tarifarchivs mehr als 5.000 Tarifabkommen neu abgeschlossen. Derzeit gebe es rund 77.000 gültige Tarifverträge. Die tariflichen Vergütungen sind der Auswertung zufolge in den letzten zehn Jahren preisbereinigt um gut 14 Prozent gestiegen.



Zahl der Drogentoten bleibt konstant


Süchtiger mit Heroinspritze (Archivbild)
epd-bild / Christoph Papsch

Im vergangenen Jahr sind 1.276 Menschen in Deutschland an den Folgen ihres illegalen Drogenkonsums gestorben. Ein Jahr zuvor waren es vier Personen weniger, wie die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), am 10. April in Berlin mitteilte. Die meisten Todesfälle wurden durch den Konsum von Opioiden verursacht: Rund die Hälfte der Todesfälle ging den Angaben zufolge 2018 auf eine Überdosis Heroin, Morphin oder ähnliche Substanzen zurück.

Zurückgegangen sei die Zahl der Menschen, die als Folge des Missbrauchs von sogenannten "Neuen psychoaktiven Stoffen" wie Badesalzen starben. Angestiegen seien indes zwischen 2017 und 2018 die Todeszahlen infolge von psychoaktiven Medikamenten wie Benzodiazepinen, einer Gruppe von Schlaf- und Beruhigungsmitteln.

Mehr Hilfsangebote gefordert

Drogenbeauftragte Mortler rief zur Ausweitung der Hilfsangebote für Suchtkranke auf: "Jeder einzelne Todesfall verpflichtet uns, Menschen noch besser vor den Gefahren von Drogen zu schützen und sie vor den oftmals tödlichen Folgen ihres Drogenkonsums zu retten", sagte sie. Dabei seien Bund, Länder und Kommunen, aber auch Wirtschaft und Zivilgesellschaft gefragt. "Drogenabhängigkeit ist eine Krankheit, Kranke brauchen Hilfe und keine Stigmatisierung", unterstrich sie.

Eine zentrale Rolle bei der Bewältigung von Suchtproblemen spielen laut Mortler die 1.500 ambulanten Suchtberatungsstellen in Deutschland. Diese erreichten schon jetzt pro Jahr mehr als eine halbe Million drogenabhängige Menschen und deren Angehörige. "Die Herausforderungen an die Einrichtungen in den Städten und Gemeinden wachsen", warnte die Drogenbeauftragte. Die aktuelle Finanzierung reiche dafür nicht aus.



Das "Rote Wien" - Geschichte des sozialen Wohnungsbaus


Karl-Marx-Hof in Wien
epd-bild/Miriam Bunjes
In Berlin läuft ein Volksbegehren zur Enteignung von Immobilienkonzernen. Wehmütig blicken viele Experten nach Wien, wo Mieter noch günstig wohnen können. Warum das so ist, zeigt ein Blick in die Geschichte der Stadt.

Wien ist die Welthauptstadt des sozialen Wohnungsbaus - und Europas größter kommunaler Immobilienbesitzer. Dass es dazu kam und auch über Jahrzehnte so blieb, hat seinen Grund darin, dass kommunalpolitische Kontinuität herrschte: Nur unterbrochen von der Zeit vor und im Zweiten Weltkrieg regieren in der österreichischen Hauptstadt seit 1919 die Sozialdemokraten und leben ihre Philosophie vom öffentlichen Wohnungsbau.

Den Arbeiterfamilien verpflichtet

Der Gemeindebau, wie der kommunale Wohnungsbau in Österreich heißt, begann als Experiment nach den ersten freien Wahlen vor 100 Jahren: Wien bekam damals als erste Millionenstadt der Welt eine sozialdemokratisch geführte Verwaltung. Das "Rote Wien" prägt das Stadtbild und die Wohnsituation bis heute. Denn: Bis zum Beginn des Faschismus 1934 ließ die Gemeinde mehr als 64.000 Wohnungen in 380 Gemeindehöfen errichten und kaufte fast 2,6 Millionen Quadratmeter Bauland.

Der Gemeindebau war ein zentraler Teil eines Programms zur Verbesserung der Lebenssituation der Arbeiter: Fast drei Viertel der Wiener Wohnungen waren überbelegt, marode und dunkel. Es gab 90.000 Obdachlose, Tuberkulose wurde europaweit "Wiener Krankheit" genannt. Viele Arbeiter waren sogenannte Bettgänger, das heißt: Nach der Nachtschicht hatten sie in der Wohnung einer anderen Familie ein Bett gemietet, das sie nutzten, während die eigentlichen Bewohner arbeiteten. Die Sozialbauten waren als Stadt in der Stadt angelegt - als Höfe, bei denen nur ein Fünftel der Fläche verbaut und der Rest Verkehrs-, Spiel-, und Gartenflächen waren.

Hinzu kamen oft Zentralwäschereien, Kindergärten, Sozialberatungsstellen, Schwimmbäder und Geschäfte. Finanziert wurde dies aus einer neu eingeführten zweckgebundenen Wohnbausteuer, die vom Vermieter zu entrichten war. Denn es galt ein Grundprinzip, das heute in vielen Großstädten zu hitzigen Debatten führt: Die Miete soll bezahlbar sein, Spekulation sollen unterbunden werden. "Der Mietzins ist sehr knapp berechnet. Er ist nur so groß, als zum ordentlichen Betrieb und zur ordentlichen Instandhaltung erforderlich ist. Ein Gewinn wird nicht angestrebt und erzielt", so ein Merkbüchlein aus 1928 für Mieter in Volkswohnhäusern.

Längster Wohnkomplex der Welt

Viele der Architekten waren Schüler der Jugendstil-Ikone Otto Wagner wie zum Beispiel Karl Ehn, der 1926-1933 den berühmten 1,2 Kilometer langen Karl-Marx-Hof im 19. Bezirk Heiligenstadt baute - der Vorzeigehof der Epoche und angeblich bis heute der längste Wohnkomplex der Welt. Während des Zweiten Weltkrieges unter nationalsozialistischem Regime stoppte der Bau - und der Karl-Marx-Hof bekam einen anderen Namen. Danach wurde bis heute weitergebaut, noch immer oft mit namhaften Architekten, mit vielen Gemeinschaftsflächen und dem Ziel, dass sich die Mieter die Wohnungen leisten können.

Die alten Gemeindebauten sind überall in der Stadt, wurden und werden fortlaufend saniert. Wien besitzt heute 220.000 Gemeindewohnungen und verwaltet mehr als 200.000 weitere, deren Neubau sie gefördert hat. "Wiener Wohnen" heißt die Hausverwaltung, die über all diese Immobilien wacht - die größte kommunale Hausverwaltung Europas. "Die Masse an Sozialwohnungen in Wien nimmt viel Druck aus dem Markt", sagt der Berliner Politikwissenschaftler Philipp Mattern.

Und Wien bleibt seiner Linie der kommunal gesteuerten Wohnraumwirtschaft treu: Ende vergangenen Jahres hat die Stadt eine neue Bauordnung beschlossen, die für Schlagzeilen sorgte: Alle Wohnungen, die künftig gebaut werden, müssen zu zwei Dritteln als "geförderte Wohnfläche" entstehen. Und diese Wohnungen dürfen höchstens fünf Euro pro Quadratmeter kosten. Zum Vergleich: Laut Mietspiegel wurden in Berlin für eine bis zu 80 Quadratmeter große Wohnung 2018 elf Euro je Quadratmeter verlangt. Noch teurer ist München: Hier lag laut Mietspiegel der Quadratmeterpreis der Kaltmiete im Schnitt bei 11,69 Euro.

Miriam Bunjes und Dirk Baas (epd)


Crowdfunding-Projekt sammelt für Obdachlosen-Duschbus


Dominik Bloh
epd-bild/Stephan Wallocha
Es gibt zu wenig Duschen für Menschen auf der Straße. Der ehemalige Obdachlose Dominik Bloh will das ändern und sammelt Spenden für einen Duschbus in Hamburg. Er glaubt: Wer sich sauber und frisch fühlt, findet auch leichter zurück ins Leben.

Dick eingepackt in der Sommerhitze: Wer nichts besitzt außer seiner Kleidung, muss diese immer mit sich rumtragen. Der ehemalige Obdachlose Dominik Bloh erinnert sich an viele heiße Nachmittage, in denen er schmutzig und schwitzend auf der Straße stand, dazu seine zehn Kilo schwere Tasche, die er überall in Hamburg dabei hatte - und um ihn herum Menschen in T-Shirts, die für ein Eis anstehen oder kalte Getränke. Er: ungewaschen, alle anderen: sauber, so kam er sich vor. Also gab es für ihn meistens kein Eis, nicht mal dann, wenn er das Geld dafür hatte. Er brachte es einfach nicht fertig. "Wenn ich friere oder Hunger habe, sieht man das nicht. Wenn ich dreckig bin, kriegt die Umwelt es mit", sagt er.

Zehn Jahre lang hatte Dominik Bloh keine Wohnung. Heute ist er 30 Jahre, hat ein Buch über die Obdachlosigkeit geschrieben, ist seit drei Jahren von der Straße weg - und will denen helfen, die noch immer dort leben. Deswegen sammelt er gerade mit einem Team aus Privatleuten und Vereinen per Crowdfunding Spenden für ein Projekt, das ganz simpel klingt, das es in Deutschland aber noch nie gegeben hat: einen Duschbus.

Selbstwertgefühl

Schon im Sommer könnte dieser durch Hamburg fahren und Wohnungslosen die Möglichkeit zum Duschen geben, so hofft er. Weil man sich als Mensch so fühlt, wie man aussieht, riecht und auftritt, wie er findet. "Solche Dinge sind wichtig für das Selbstwertgefühl." Obdachlose aber haben keine Möglichkeit, sich täglich um ihre Hygiene zu kümmern.

Einen Bus gibt es schon: Die Hamburger Hochbahn AG hat ihn gespendet. Aber umgebaut werden muss er noch. Das kostet 140.000 Euro, die das Team über eine Kampagne im Internet bis zum 26. April aufbringen will. "Waschen ist Würde", heißt es auf der Seite des Projektes "GoBanyo".

Mehr als die Hälfte ist schon zusammengekommen. Ist die Kampagne erfolgreich, sollen in dem Bus drei oder vier Duschkabinen entstehen - nicht mehr, obwohl Platz theoretisch da wäre. "Wir wollen keine Nasszellen, sondern Badezimmer", erklärt Bloh. Alles soll vorhanden sein: Dusche, WC, Waschbecken, Spiegel, von der Seife über Rasierwasser bis hin zum Tampon - und eine Kleiderkammer in einem Nebenraum, weil es keinen Sinn ergebe, sauber in komplett verdreckte Kleidung zu steigen.

Zurzeit gibt es gerade mal 22 Duschplätze in Hamburg für rund 2.000 Wohnungslose, wie das Magazin "Hinz & Kunzt" recherchiert hat. Viele seien dreckig, zu klein oder überlaufen, sagt Dominik Bloh. "Und in einigen muss man sogar zahlen."

Eine Auszeit vom Leben auf der Straße soll der Duschbus sein und Perspektiven eröffnen. "Wenn man immer nur als dreckig wahrgenommen wird, hält man sich selber für Dreck", argumentiert die Kampagne. Und weiter: "Wer sich schmutzig fühlt, vermeidet den Kontakt zu anderen Menschen. Geht nicht mehr zum Amt, stellt sich in keine Schlange zur Wohnungsbesichtigung."

Vorbild San Francisco

In San Francisco fährt ein solcher Duschbus des "Lava Mae"-Projekts seit längerem umher, in Berlin berichteten Medien Ende 2017 über ein entsprechendes Senatsprojekt. Andere mobile Hilfen für Obdachlose gibt es in vielen Städten seit Jahren: Kältebusse, Arzt- oder Gesundheitsmobile.

Einen Duschbus hält aber nicht jeder für die richtige Lösung. "Wir stehen dem Projekt eher kritisch gegenüber", sagt Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe dem epd. Priorität habe, Menschen ohne Wohnungen mit ebendiesen zu versorgen. Sei dies nicht möglich, hätten sie Anspruch auf eine menschenwürdige Unterbringung.

"Die Kommunen sind dazu verpflichtet. Und manche kümmern sich darum sehr sorgfältig, andere hingegen nicht." Tatsächlich seien fehlende Reinigungsmöglichkeiten für Wohnungslose ein Problem - dessen Lösung sei aber eher im politischen Bereich zu suchen. Und darauf müsse man hinarbeiten. "Wir halten einen Duschbus nicht für zielführend."

Dominik Bloh denkt in völlig anderen Kategorien. Fragt man ihn, wie viele Menschen im Laufe eines Jahres in dem Bus duschen könnten, ob es da ein Ziel gebe - dann zuckt er nur mit den Schultern. Es ist ihm nicht wichtig. "Der Bus ist nicht dann erfolgreich, wenn im Jahr 12.000 Menschen darin duschen. Sondern dann, wenn jemand rauskommt und denkt: 'Ich will den nächsten Schritt machen.'"

Sebastian Stoll (epd)


Diakonische Träger in Aachen schließen sich zu Netzwerk zusammen

Das Diakonische Werk im Kirchenkreis Aachen hat im Rahmen seines Zukunftssicherungskonzeptes weitere Schritte zur Neuausrichtung eingeleitet. Ziel ist es, die diakonische Arbeit in der Region Aachen zukünftig besser zu vernetzen und zu stärken. Dazu soll gemeinsam mit dem Verein Wabe das "Diakonische Netzwerk Aachen" entstehen, an dem beide Träger beteiligt sind und das auch für weitere diakonische Träger offen ist.

Im Rahmen dieses Netzwerkes behalten die Träger ihre Eigenständigkeit und führen ihre Arbeitsfelder fort. Das Diakonische Werk im Kirchenkreis Aachen wird allerdings seine Organisationsstruktur ändern: Es wird zukünftig eine Geschäftsführung geben, die neben dieser Aufgabe auch die Verantwortung in einem der bestehenden Fachbereiche haben soll. Die Umsetzung wird für das laufende Jahr angestrebt. Aufgrund dieser Entscheidung hat sich der Aufsichtsrat mit dem derzeitigen hauptamtlichen Vorstand Marion Timm verständigt, dass sie ihre Tätigkeit zum Jahresende beendet.

Eine weitere Konsequenz des Sanierungskonzeptes, das mit einer Unternehmensberatung entwickelt wurde, ist eine deutliche Verschlankung und Auslagerung der Verwaltung. Dies betrifft die Bereiche Personalabteilung, Buchhaltung und Kostenrechnung. Nach intensiven Planungs- und Abstimmungsgesprächen werden ab Mitte des Jahres die Verwaltungstätigkeiten zusammen mit Verein Wabe in dessen Räumen an der Jülicher Straße in einer gemeinsamen gGmbH fortgeführt. Die Aufsichtsräte beider Träger haben dazu eine gemeinsame Absichtserklärung unterzeichnet. Die Arbeitsplätze der Mitarbeiter aus dem Verwaltungsbereich des Diakonischen Werkes im Kirchenkreis Aachen könnten dadurch erhalten werden, hieß es.



Alzheimer Gesellschaften: Eigenanteil für Heimpflege deckeln

Der Landesverband der Alzheimer Gesellschaften in Nordrhein-Westfalen unterstützt Forderungen nach einer Begrenzung des Eigenanteil von Pflegebedürftigen in Heimen. Die steigenden Pflegekosten dürften nicht alleine an den Betroffenen hängenbleiben, erklärte die Landesvorsitzende Regina Schmidt-Zadel am 12. April in Düsseldorf. "Es kann nicht sein, dass diese Menschen oft alle Rücklagen und sogar ihr Eigenheim für die Pflege aufzehren müssen und dann in die Sozialhilfe fallen."

NRW liegt über Bundesdurschnitt

Das derzeitige System deckelt die Zahlungen der Pflegeversicherung. Alle Kostensteigerungen werden durch einen höheren Eigenanteil auf die Pflegebedürftigen umgelegt. Die Kosten, die in Pflegeheimen untergebrachte Menschen schon heute selbst tragen müssen, liegen demnach im Bundesdurchschnitt bei rund 1.800 Euro pro Monat, fallen aber je nach Bundesland ganz unterschiedlich aus. Während Pflegebedürftige in Sachsen-Anhalt für ihren Heimaufenthalt im Schnitt 1.218 Euro zahlen müssen, sind es in Nordrhein-Westfalen 2.252 Euro. Neben einem Anteil für die Pflegeleistungen fließen auch Zahlungen für Unterkunft und Verpflegung sowie für die Investitionskosten in den Eigenanteil ein.

Viele Menschen könnten diese Zuzahlungen schon jetzt nicht leisten, beklagte Schmidt-Zadel. Rund 37 Prozent der Pflegeheimbewohner seien auf Sozialhilfe angewiesen. Vorschläge der SPD und der Bundesländer Hamburg, Berlin, Bremen und Schleswig-Holstein für eine Begrenzung des Eigenanteils wiesen in die richtige Richtung, erklärte die Vorsitzende von Alzheimer NRW.

Auch eine solidarische Finanzierung der Pflegekosten über eine Bürgerversicherung oder aus Steuermitteln halte sie für "sozial ausgewogen und fair", betonte Schmidt-Zadel. "Für viele Bereiche werden Steuergelder zur Verfügung gestellt, mit welchem Grund nicht zur Verbesserung der Situation der Menschen, die pflegebedürftig sind - besonders von Menschen mit Demenz? Es geht immerhin um die Generation, die unseren Wohlstand mit aufgebaut hat."



Prüfer der Krankenkassen: Jede zweite Klinikabrechnung nicht korrekt

Die Prüfer der Krankenkassen bemängeln eine hohe Zahl falscher Abrechnungen durch die Krankenhäuser in Deutschland. Der für die Prüfungen zuständige Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) veröffentlichte am 11. April in Berlin einen Bericht, wonach jede zweite Abrechnung nicht stimmte und die Kliniken Geld an die Krankenkassen zurückerstatten mussten.

Insgesamt erstellten die MDK-Prüfer im vergangenen Jahr 2,6 Millionen Gutachten zu Krankenhaus-Abrechnungen. In 52 Prozent der Fälle kamen die Gutachter zu dem Schluss, dass die Abrechnung nicht korrekt war, weil mehr abgerechnet wurde als medizinisch tatsächlich notwendig war.

Die Kontrolleure der Kassen fordern, dass fehlerhafte Abrechnungen für die Krankenhäuser Konsequenzen haben müssen. Bisher müssen die Kliniken den Kassen nur das zu viel erhaltene Geld zurückerstatten. Strafen gibt es nicht. Obwohl die Kassen von Jahr zu Jahr mehr Abrechnungen überprüfen lassen, kann dem MDK zufolge nur ein Bruchteil tatsächlich kontrolliert werden.

Gute Nachrichten präsentierte der MDK aus seinem zweiten Arbeitsbereich, der Pflegeversicherung: Die Zufriedenheit mit den Begutachtungen hat zugenommen. Inzwischen fühlen sich den Angaben zufolge 90 Prozent der Menschen, zu denen ein Begutachter vom Medizinischen Dienst kommt, gut und kompetent behandelt.

Neun von zehn Anträgen auf Leistungen aus der Pflegeversicherung werden bewilligt, wie es hieß. Insgesamt begutachteten die MDK-Prüfer im vergangenen Jahr mehr als zwei Millionen Menschen, die Hilfe beantragt hatten. Rund 1,7 Millionen Pflegebedürftige erhielten ambulante Unterstützung und rund 300.000 Pflegeleistungen im Heim.



Ehrung für Athleten der Special Olympics

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat die NRW-Teilnehmer der Special Olympics World Summer Games 2019 in Abu Dhabi mit einem Empfang geehrt. Die Staatssekretärin für Sport und Ehrenamt, Andrea Milz (CDU), gratulierte den 19 Athleten am 8. April zusammen mit Trainern und Begleitern im Landeshaus in Düsseldorf zu ihren Leistungen, wie die Staatskanzlei mitteilte.

Sport schaffe Gemeinschaft und Zusammenhalt, erklärte Milz. "Im Sport erfahren viele Menschen Solidarität, Respekt, Anerkennung und Gemeinsinn." Sport verbinde Völker und Menschen unterschiedlicher Kulturen mit und ohne Handicaps und überwinde Grenzen. Die Staatssekretärin dankte auch den Begleitern für ihr Engagement zur Unterstützung der Sportler.

Aus NRW waren Athleten mit geistiger und mehrfacher Behinderung aus den Sportarten Basketball, Golf, Judo, Reiten, Rollerskating, Schwimmen, Tennis und Tischtennis in Abu Dhabi vertreten. Die Special Olympics World Summer Games 2019 fanden vom 14. bis 21. März erstmals in den Vereinigten Arabischen Emiraten statt. Abu Dhabi und Dubai waren Schauplätze für Wettbewerbe in 25 Sportarten.




Medien & Kultur

Leyendecker sieht Blütezeit des Investigativjournalismus


Hans Leyendecker
epd-bild/Norbert Neetz
Der ehemalige Investigativjournalist Hans Leyendecker lobt zunehmende Recherche-Kooperationen von Medien auch über Ländergrenzen hinaus. Der 69-Jährige sieht eine "Ökumene des Journalismus", die ganz andere Geschichten ermögliche als bisher.

Leyendecker, der in diesem Jahr Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags ist, spricht im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) auch über Konzentrationsprozesse bei Regionalzeitungen, Journalistenausbildung und den Fall Relotius.

epd: Herr Leyendecker, Sie haben beim "Stader Tageblatt" volontiert. Im deutschen Lokal- und Regionaljournalismus hat sich seitdem viel geändert. Viele Blätter sind im Besitz großer Ketten mit Zentralredaktionen, die teilweise untereinander sogar noch zusammenarbeiten wie Madsack und DuMont in Berlin. Ist das gut, weil es Kräfte und Kompetenzen bündelt, wie die Zeitungen immer sagen? Oder leidet die Pressevielfalt?

Leyendecker: Zum Teil geschieht das aus Not. Der Auflagenschwund bei der gedruckten Presse liegt zwischen vier und sechs Prozent, und wer digital nicht gegensteuern kann, ist in einer schwierigen Lage. Neulich war ich in der Stadt Lünen, knapp 96.000 Einwohner. Die haben dort nur noch eine Tageszeitung, die "Ruhr Nachrichten" mit einer Auflage von etwa 5.000 Exemplaren. Kann man das durchhalten? Und wäre es ein Anschlag auf die Pressefreiheit, wenn man es nicht durchhielte? Es wäre schade um die Zeitung und auch ein Jammer für die Stadt. Ich glaube aber nicht, dass man das nur aus Sicht der Gewerkschaften betrachten und sagen kann: Das darf alles nicht sein. Denn dann wird es wirklich das große Sterben geben. Dass man sich zusammentut etwa beim Vertrieb, um Kosten zu senken, ist doch längst schon normal.

epd: Die Verleger betonen immer die große Bedeutung der gedruckten Presse für die Demokratie.

Leyendecker: Die Verleger müssen sich natürlich daran gewöhnen, dass es keine Rendite von 30 Prozent mehr gibt. Die Gelddruckmaschine ist weg. Aber Journalismus ist kein gewöhnlicher Gewerbebetrieb, sondern etwas, das für die Gesellschaft wichtig ist. Es gibt auch Zusammenlegungen, durch die Freiheit kaputtgeht. Was mich aber irritiert, ist manchmal der Leser: Die "Westfälische Rundschau" in Dortmund, die kannibalisiert wurde, hat angeblich immer noch eine Auflage von 50.000 Stück, praktisch ohne eigene Redaktion. Sämtliche Blattteile werden von woanders übernommen. Es muss also viele Leser geben, die sagen: Hauptsache, ich kriege etwas aus meinen Stadtteil.

epd: Reden wir über Ihr spezielles Metier, den Investigativjournalismus. Offiziell sind Sie im Ruhestand, mischen aber bei der "Süddeutschen Zeitung" auch immer wieder mit. Wie viel Zeit verbringen Sie noch mit Investigation?

Leyendecker: Ganz wenig. Ich war Ressortleiter und habe das abgegeben. Dabei hatte ich das Glück, dass es nach mir noch besser geworden ist. Alte Leute haben ja oft das Problem, dass sie durch die Stadt rennen und sagen: Alles ist schlechter geworden. Vor allem in Berlin hört man das oft. Ich sage das nicht. Meine Nachfolger Nicolas Richter und Bastian Obermayer machen das wunderbar. Wir haben heute auch eine Art Ökumene des Journalismus, wo noch einmal ganz andere Geschichten entstehen als früher. Zum Beispiel, dass Recherchen von Journalisten, die erschossen worden sind, von Journalisten europaweit fortgeführt werden. Zu meiner Zeit bin ich beim "Guardian" kaum am Pförtner vorbeigekommen, heute arbeitet man häufig zusammen. Bei den "Panama Papers", dem letzten großen Projekt, an dem ich beteiligt war, arbeiteten 400 Leute aus fast 80 Ländern miteinander. Das löst ein regelrechtes Glücksgefühl aus.

epd: Verändert diese Blüte des Investigativjournalismus auch gesellschaftlich etwas? Ist es heute schwieriger für Politiker, Geheimdienste und Wirtschaftsunternehmen, Skandale zu vertuschen?

Leyendecker: Das weiß nicht. Es gibt immer ein Dunkelfeld und ein Hellfeld. Bestimmte Dinge haben wir tatsächlich durch intensive Berichterstattung verbessert. Korruption in Rathäusern zum Beispiel ist nicht mehr so ein Thema wie früher, die Kommunen haben viele Skandale erlebt und ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt. Auch bei einem Teil des Waffenhandels ist das so, vor allem bei Dual-Use-Gütern, die man sowohl militärisch als auch zivil nutzen kann. Früher wollte ein Abteilungsleiter bei einem Konzern brillieren und hat Libyen oder den Irak mit Waren beliefert, die für den Waffenhandel bestimmt waren. Dann haben die Konzerne aber erlebt, dass es eine Imagekatastrophe ist, wenn man sich für ein paar Millionen Euro an solchen Sachen beteiligt. Da wird jetzt besonders genau hingeschaut. Manchmal verändert die Kriminalität aber auch einfach ihr Gesicht.

epd: Sie haben beschrieben, wie internationale Teams mit Hunderten Journalisten arbeiten. Da werden ganz große Datenmengen verarbeitet. Muss sich da eigentlich auch in der Journalistenausbildung etwas verändern?

Leyendecker: Da muss sich viel verändern, es tut sich aber auch einiges. Bei allen Blättern hat man erkannt, wie wichtig der Datenjournalismus ist, und das schlägt sich auch in der Journalistenausbildung nieder. In der Schweiz gab es vor einiger Zeit eine interessante Geschichte. Da hat man geschaut, wer im Beamtenapparat gewesen ist und hinterher eine eigene Firma gegründet hat - und wie diese Firmen dann wieder Aufträge von Ministerien bekommen haben. Das kriegt man mit einer normalen Recherche nicht hin. Da gibt es ganz vieles, was man mit dem Datenjournalismus besser hinbekommt als mit dem Journalismus, den ich gelernt habe. Auch wird der digitale Journalismus immer wichtiger werden.

epd: Eine Frage zum vieldiskutierten Fall Relotius beim "Spiegel": Ist das eine singuläre Verfehlung, die da passiert ist, oder sind solche Phänomene beim Genre der Reportage früher nur nicht so aufgefallen, weil nicht so genau hingeschaut wurde?

Leyendecker: Es hat schon früher solche Erlebnisse gegeben, dass Kollegen immer den besten Einstieg und den besten Ausstieg hatten. Spätestens beim dritten Mal fragt man sich: Komisch, dass der immer am richtigen Ort ist. Im Leben passiert das eher selten. Relotius ist jemand, der besser schreiben kann, als ich das jemals konnte. Vielleicht 20 Journalisten können so gut schreiben wie Relotius. Mir fiel auf, dass alles immer so perfekt war bei ihm. Ich habe gedacht: Gut, das ist eben ein junger Außerirdischer. Aber einer Redaktion kann das schon auffallen - so viele Außerirdische gibt es auch beim "Spiegel" nicht. Nicht mal bei den Alten. Dass aus Relotius dann allerdings eine Systemkrise gemacht wurde, hat mich erstaunt.

epd: Inwiefern?

Leyendecker: Grundsätzlich verfolge ich mit Bewunderung, wie der "Spiegel" mit der Affäre umgeht. Das Magazin ist mir wichtig, ich habe achtzehneinhalb Jahre dort gearbeitet. Als der "Spiegel" aber selbst von der "Spiegel-Krise" schrieb, bin ich zusammengezuckt. Da war einfach ein junger Mann, der offenbar Furcht hatte, nicht immer die beste Geschichte zu haben. Und der viele Preise gesammelt hat. Dieser ganze Preis-Hype, der hat mit der Geschichte viel zu tun. Aber daraus abzuleiten, dass die Reportage an sich in Gefahr ist, oder den ganzen Fall sogar mit den "Hitler-Tagebüchern" zu vergleichen, wie es Springer-Chef Mathias Döpfner getan hat - darauf wäre ich in meiner Einfachheit nie gekommen. Wohl aber zwingt der Fall uns alle, genauer hinzuschauen und nochmal über die Regeln nachzudenken.

epd-Gespräch: Michael Ridder und Franziska Hein


Medienjournalisten werben für mehr Selbstreflexion


Diskutierten über die Lage des Medienjournalismus, v.l.: Kirchenpräsident Volker Jung, Annette Leiterer ("Zapp"), Joachim Huber ("Tagesspiegel"), Stefan Niggemeier ("Übermedien"), Anne Fromm (taz) und Georg Mascolo (Rechercheverbund NDR, WDR und SZ).
epd-bild/Heike Lyding
Mehr Transparenz, mehr kritische Selbstreflexion, Fehler korrigieren: Zu diesen Forderungen an Journalisten kommen Medienexperten bei der Feier zum 70. Jubiläum von epd medien. Dabei gehe es auch um Glaubwürdigkeit und Vertrauen.

Journalisten und der evangelische Medienbischof Volker Jung haben sich für mehr Medienjournalismus und kritische Selbstreflexion in der Branche ausgesprochen. Medienjournalismus habe die Aufgabe, kritisch zu gucken, was Journalismus macht, sagte der Journalist Stefan Niggemeier am 9. April in Frankfurt am Main bei der Feier zum 70. Jubiläum des Fachdienstes epd medien. Dazu gehöre auch zu benennen, was Journalismus falsch macht.

Die Redaktionsleiterin des NDR-Medienmagazins "Zapp", Annette Leiterer, warnte vor dem Impuls, als Medium zurückzuschlagen. Der Effekt andere reinzureiten dürfe niemals im Vordergrund stehen. "Eine gute Kontrolle gibt es, wenn aus verschiedensten Perspektiven, aus verschiedensten Häusern, eine Kritik stattfindet", betonte sie.

Medienjournalisten sind Niggemeier zufolge Teil eines Reparaturbetriebs. Vieles sei aber Aufgabe aller Journalisten. Dazu gehöre etwa transparenter zu arbeiten, Fehler zu korrigieren und sich selbst als Dienstleister zu sehen, sagte der Mitgründer des Blogs "übermedien".

"Skandalisierung, Personalisierung, Tribunalisierung"

Auch der Medienbischof der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Jung, warb für eine kritische Selbstreflexion. "Es gibt schon einen sehr starken Trend zur Skandalisierung, Personalisierung, Tribunalisierung", sagte der hessen-nassauische Kirchenpräsident, der dem Aufsichtsrat des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP) vorsteht. Evangelische Publizistik richte den Blick auf diejenigen, die sonst weniger beachtet würden. Bei der Medienkritik gehe es um Entwicklungen und Tendenzen. "Unsere Mission ist nämlich Gesellschaft mitzugestalten, Demokratie mit zu entwickeln, weil wir sagen, wir sind und wollen öffentliche Kirche sein", betonte er.

Joachim Huber vom "Tagesspiegel" betonte, dass Journalisten meist genau wüssten, wo sie ihre Glaubwürdigkeit untergraben: "Wenn wir etwas geschrieben haben, wissen wir: Da ist eine Unwucht drin, da fehlt eine Information, da ist ein bisschen Spekulation drin." Über die Glaubwürdigkeit bekämen Journalisten das zurückgespiegelt. Nun seien sie am Zug, ihr Ansehen zu verbessern.

Journalisten haben sich dem Leiter des Rechercheverbunds von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung", Georg Mascolo, zufolge in eine gefährliche Situation hineinmanövriert. "Vertrauen bezeichnet, dass Menschen, ohne dass sie die letzte Gewissheit haben, sagen, ich glaube, ich habe es da mit Menschen zu tun, die nach bestem Wissen und Gewissen ihren Beruf ausüben", erklärte er. Das gelte für Piloten und Ärzte und müsste im Journalismus selbstverständlich sein.

Das Für und das Wider schildern

Journalisten sollten wieder vorsichtiger, abwägender sein und dem Publikum mehr das Für und Wider und eigene Unsicherheiten schildern. Ständiges Zuspitzen in einer komplexeren Welt führe dazu, dass professioneller Journalismus verschwinde. Journalisten und nicht ihre Themen stünden heute im Interesse der Rezipienten. Mediennutzer fragten zurecht, ob Journalisten Themen weiterverfolgen und genügend berichten. "Es ist geradezu überlebensnotwendig, dass wir diese Inkonsequenz, die wir so lange betrieben haben, beenden", betonte Mascolo.

Die "tageszeitung"-Journalistin Anne Fromm verwies darauf, dass mittlerweile ganz Deutschland voll von Medienkritikern sei. Journalisten müssten sich somit rechtfertigen und sich Kritik stellen. Die Frage sei, welchen Mehrwert Journalisten innerhalb dieser vielen Kritiker leisteten. "Und das ist der, den wir immer leisten: nämlich Recherche und einordnende Analyse", betonte sie. Das schaffe Journalismus nur nicht immer in dem Maße, in dem er es schaffen müsse.

Die Publikation epd medien erschien als "epd/Kirche und Rundfunk" erstmals am 21. Januar 1949. epd medien wird in der Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter dem Dach des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) produziert. Das GEP ist das zentrale Mediendienstleistungsunternehmen der EKD, ihrer Gliedkirchen, Werke und Einrichtungen. Es trägt neben der epd-Zentralredaktion unter anderem das evangelische Magazin "chrismon" und das Internetportal "evangelisch.de" und organisiert die Rundfunkarbeit der EKD.



Vor 40 Jahren startete die Berliner "tageszeitung"


Das neue Redaktionsgebäude der "taz" in Berlin
epd-bild/Rolf Zöllner
Die taz wird 40 – und ist vielen anderen Tageszeitungen zumindest in einer Hinsicht weit voraus.

Am 17. April wird die taz 40. Hat sie diesen Geburtstag nicht schon im vergangenen Herbst gefeiert? Doch, damals ging es um die erste Nullnummer. Es dauerte dann ein halbes Jahr, bis die Berliner "tageszeitung" am 17. April 1979 in den Dauerbetrieb ging: Die alternativen, linken Gruppen, die im Protest gegen Nachrichtensperren im "deutschen Herbst" 1977 zusammengekommen waren, brauchten Zeit, ihr Organ der "Gegenöffentlichkeit" basisdemokratisch zu organisieren und zu finanzieren. Es war eine Herkulesaufgabe, eine Zeitung aus dem Boden zu stampfen, die in der ganzen alten Bundesrepublik täglich verfügbar sein sollte.

Die taz feiert sich gerne – und wird auch sonst oft gefeiert, weil bei der jungen Zeitung, die nie große Gehälter zahlen konnte, viele Karrieren begannen, die weiter zu größeren Medien führten. Mit Deniz Yücel wechselte 2015 ihr wohl polarisierendster Kolumnist zum größten Antipoden Springer. Das zeigt, dass auch die taz sich angepasst hat, vor allem aber: wie stark ihre provokante, nicht selten aus kreativem Umgang mit finanziellen Nöten geborene Machart die Medienlandschaft verändert hat. Die taz hat bewusst neue Schwerpunkte gesetzt.

"Es ist ein Mädchen"

Viele symbolstarke Geschichten gibt es über die Zeitung. Eine weniger geläufige: Ihren Sitz am damals weltberühmten Grenzübergang "Checkpoint Charlie" hat sie erst im Juni 1989 bezogen. Der Besitz dieser Immobilie, die kurz darauf nicht mehr in der Exklave West-Berlin, sondern im Zentrum einer boomenden Metropole lag, verhalf der kleinen Zeitung zu lebenswichtigen Krediten. Eine weitere Geschichte: Auf ihre heutige, laut Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch "ideale" Unternehmensform der Genossenschaft kam sie durch einen Tipp vom damaligen Justiziar des Zentralverbands deutscher Konsumgenossenschaften - dem heutigen Finanzminister Olaf Scholz (SPD).

Die taz hat die Medienlandschaft auch visuell über ihre Titelseiten geprägt. Gelungene Titel wie "Es ist ein Mädchen" (über die neue Kanzlerin Merkel) oder misslungene wie "Blühende Landschaften" (mit Helmut Kohls blumenüberhäuftem Sarg) sind nicht ganz so stark wie die der "Bild"-Zeitung, aber ähnlich im kollektiven Gedächtnis geblieben.

"Die taz verkauft ein Lebensgefühl", heißt es im hauseigenen "Zukunftsreport". Dieses Gefühl gibt es auch im "tazshop" in Form von rund 290 Produkten zwischen Filzbuch und Bienenwachs-Teelichtern zu kaufen. Schon früh war die "Tazze" ihr Erkennungszeichen, der Abdruck einer Tierspur. Doch ein einst kleiner Outdoor-Hersteller kümmerte sich früher um das Sichern von Warenzeichen und Marken als die anfangs so antikapitalistische taz: Ein zum Verwechseln ähnliches Symbol prangt heute auf Anoraks und Rucksäcken von "Jack Wolfskin" und nicht auf taz-Merchandising Produkten.

In 40 Jahren stieg die 1980 gegründete Partei der Grünen, mit der die Zeitung stets verbunden blieb, zur zweitgrößten auf. Die taz hingegen hat mit den Problemen zu kämpfen, die alle gedruckten Zeitungen treffen: Die verkauften Auflagen sinken seit Jahren.

Freiwilliges Bezahlmodell

Die gedruckte Zeitung fiel im letzten Quartal 2018 auf eine Auflage von 50.771 Stück; die Zahl der E-Paper-Abos steigt längst nicht im gleichen Ausmaß. Die taz geht damit bemerkenswert offensiv um: Schon 2011 provozierte Ruch mit der These, 2021 werde es keine gedruckten Tageszeitungen mehr geben. Im "Hausblog" gibt er, der von Anfang an dabei war und Ende 2019 in den Ruhestand gehen wird, transparent wie niemand sonst im Zeitungsgeschäft Einblick in die Probleme der Branche. Sein "Szenario 2022" rechnet vor, wie durch Verzicht auf das teure tägliche Drucken und Vertreiben bei Konzentration auf Wochenendausgaben und Online-Einnahmen der Gewinn sogar steigen könnte.

Die theoretischen Vorteile solcher Modelle sind evident. Dass im Netz viele Qualitätsangebote auch umsonst zu haben sind, dass nur wenige Leser sich auf Online-Abos einlassen, ist ebenso bekannt. Aber die "taz.zahl.ich"-Kampagne - ein freiwilliges Bezahlmodell - hat offenbar Erfolg: Im Monat Januar brachte es der Zeitung mit 101.099,53 Euro erstmals sechsstellige Einnahmen.

Durch das Genossenschafts-Modell sei zum Crowdfunding der Aspekt hinzugekommen, "dass die Unterstützer auch als Unternehmer an der Zeitung interessiert sind", sagt Ruch. Das taz-Lebensgefühl beinhaltet Solidarität auch gegenüber dem Journalismus.

Die Genossenschaftsversammlung im September soll über ein Zukunftskonzept entscheiden. So könnte die taz 2022 vom werktäglichen gedruckten Erscheinen Abstand nehmen. Wenn der jüngsten Tageszeitung als erster der Schritt gelänge, ihre Erscheinungsform zu modifizieren und dabei digital das zu bleiben, was sie ist, dann würde die taz sich umso nachhaltiger in die deutsche Mediengeschichte einschreiben.

Christian Bartels (epd)


Presserat erhielt im vergangenen Jahr 2.038 Beschwerden

Durfte man angesichts der rechten Ausschreitungen in Chemnitz von Hetzjagden sprechen? Diese Frage sorgte 2018 einige Wochen lang für Schlagzeilen und ließ auch den Verfassungsschutzchef stolpern. Auch der Presserat erhielt zahlreiche Beschwerden.

Die politischen Debatten des vergangenen Jahres spiegeln sich auch in der Beschwerdebilanz des deutschen Presserats wider. Das Selbstkontrollorgan erhielt 2018 zahlreiche Eingaben zu den Themen Migration und Rechtsradikalismus, wie aus dem am 9. April in Berlin veröffentlichten Jahresbericht hervorgeht. Insgesamt weist die Statistik 2.038 eingegangene Beschwerden aus. Noch mehr Beschwerden, nämlich 2.358, hatte es in der Geschichte des Presserats nur 2015 gegeben.

Zahlreiche Beschwerden erreichten den Presserat demnach zu den rechtsgerichteten Ausschreitungen im August 2018 in Chemnitz. Einige Leser hätten bezweifelt, dass es dort tatsächlich zu Hetzjagden gekommen sei, über die viele Medien berichtet hatten. Der Presserat wies die Beschwerden jedoch als unbegründet ab. Es sei unstrittig, dass in Chemnitz Menschen andere Menschen gejagt hätten. "Als Freiwillige Selbstkontrolle entscheiden wir nicht über verschiedene Deutungen eines Geschehens - solange die Deutungen auf korrekten Fakten beruhen", sagte der Sprecher des Presserats, Volker Stennei.

28 Rügen

Die Beschwerden zur Nennung der Nationalität von Straftätern und Verdächtigen seien hingegen zurückgegangen. Zu der entsprechenden Richtlinie 12.1 im Pressekodex erreichten den Presserat 2018 insgesamt 30 Beschwerden, im Vorjahr hatte es demnach noch 41 Eingaben gegeben. Die Spruchpraxis habe sich nach der Neuformulierung der Regel vor zwei Jahren nicht geändert: Die Hälfte der Beschwerden in diesem Bereich habe 2018 zu einer Sanktion geführt, im Verhältnis etwa so viele wie in den beiden Vorjahren.

Im März 2017 hatte der Presserat die Richtlinie geändert. Sie fordert seitdem statt eines "begründbaren Sachbezugs" ein "begründetes öffentliches Interesse" als Voraussetzung dafür, die Herkunft von Tätern oder Verdächtigen zu erwähnen. Die alte Regel war vor allem im Zuge der Berichterstattung über die sexuellen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/16 in die Kritik geraten.

Insgesamt erteilte der Presserat im vergangenen Jahr 28 Rügen (2017: 21). Am häufigsten (13 Rügen) bemängelte das Gremium Verletzungen des Persönlichkeitsschutzes, gefolgt von der Vermischung von Werbung und Redaktion (acht Rügen). Dazu kamen 70 Missbilligungen und 147 Hinweise. 42 Fälle hielt der Beschwerdeausschuss zwar für begründet, verzichtete jedoch auf eine Maßnahme, wenn die betroffenen Redaktionen reagiert und beanstandete Textstellen verändert hatten.

Das Selbstkontrollorgan beschäftigte sich im vergangenen Jahr immer wieder mit unklar gekennzeichneter Werbung vor allem im Internet. Bezeichnungen wie "Advertorial" oder "Sponsored Post" reichen aus Sicht des Presserates nicht aus. Im Fokus standen auch Online-Umfragen, die Meinungsforschungs-Startups wie Civey auf journalistischen Internetseiten anbieten. Der Beschwerdeausschuss entschied: Ob solche Umfragen repräsentativ sind oder nicht, müssen Redaktionen nicht selbst überprüfen, sofern es keine Anhaltspunkte gibt, an der Seriosität der Kooperationspartner zu zweifeln.

Link mailen

Die deutliche Mehrheit aller Beschwerden (65 Prozent) richtete sich gegen im Internet veröffentlichte Artikel. Das führt der Presserat auch darauf zurück, dass es einfacher sei, dem Selbstkontrollorgan einen Link zu mailen statt einen gedruckten Artikel einzuscannen.

Unabhängig vom Verbreitungsweg sind regionale Tageszeitungsverlage laut dem Bericht nach wie vor die häufigsten Beschwerdegegner. Gegen sie richteten sich 653 Beschwerden, gefolgt von Boulevardzeitungen (238 Beschwerden), Publikumszeitschriften (218) und überregionalen Tageszeitungen (191).

Der Pressekodex enthält Regeln für die tägliche Arbeit von Journalisten. Der Presserat prüft auf dieser Grundlage Beschwerden gegen Zeitungen, Zeitschriften und Online-Medien. Bei Verstößen kann das Gremium Sanktionen aussprechen, als schärfste Maßnahme eine öffentliche Rüge.



ZDF lässt Fall Grindel durch externen Juristen prüfen

Die Prüfung werde durch einen externen Juristen vorgenommen und in Kürze vorliegen, sagte ZDF-Sprecher Alexander Stock am 11. April dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Sender reagiert damit auf öffentliche Kritik an seiner bisherigen Rechtsauffassung. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim hatte in einem epd-Gespräch gesagt, er sehe keinen Anhaltspunkt dafür, dass Grindel jetzt noch ein gesetzlich geregeltes Rückkehrrecht zum ZDF hätte.

Grindel war am 2. April nach Korruptionsvorwürfen vom Amt des DFB-Chefs zurückgetreten. Er war von 1992 bis 2002 als Journalist beim ZDF beschäftigt, danach saß er bis 2016 für die CDU im Bundestag. Im April 2016 wurde Grindel zum Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gewählt.

Das ZDF hatte in der vergangenen Woche erklärt, dass der 57-Jährige "aufgrund seiner früheren Mitgliedschaft im Bundestag" ein im Abgeordnetengesetz geregeltes Rückkehrrecht habe. Dieses bestehe für Parlamentarier auch dann fort, "wenn sie nach ihrer Abgeordnetentätigkeit andere Aufgaben wahrnehmen". Der in Speyer lehrende Staatsrechtler von Arnim sieht das anders: Die im Gesetz genannten drei Monate, in denen nach Beendigung des Mandats ein Antrag auf Rückkehr gestellt werden muss, seien nach seiner Auffassung eine Ausschlussfrist, "von der es keine Ausnahmen gibt", sagte er dem epd.

7.200 Euro Aufwandsentschädigung

Das Abgeordnetengesetz regelt unter anderem die "Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines in den Bundestag gewählten Beamten". Sinngemäß gelten die Vorschriften auch für Angestellte von Anstalten des öffentlichen Rechts. Im Gesetz heißt es: "Der Beamte ist auf seinen Antrag, der binnen drei Monaten seit der Beendigung der Mitgliedschaft zu stellen ist, spätestens drei Monate nach Antragstellung wieder in das frühere Dienstverhältnis zurückzuführen." Stelle der Beamte nicht binnen drei Monaten seit der Beendigung der Mitgliedschaft im Bundestag einen entsprechenden Antrag, so ruhten die Rechte und Pflichten "weiter bis zum Eintritt oder bis zur Versetzung in den Ruhestand".

Die "Süddeutsche Zeitung" hatte am 2. April online berichtet, dass Grindel 2016 vom DFB-Präsidium zusätzlich zu einer Aufwandsentschädigung von 7.200 Euro pro Monat einen Verdienstausfall von weiteren 7.200 Euro pro Monat genehmigt bekommen habe. Der Grund sei gewesen, dass er für das neue Amt auf sein Mandat als Abgeordneter "sowie auf eine Rückkehroption zum vormaligen Arbeitgeber ZDF" verzichtet habe.

Grindel war am 10. April auch von seinen internationalen Ämtern bei den Fußballverbänden Uefa und Fifa zurückgetreten.



Publikumspreise von "chrismon" vergeben

Die evangelische Stiftskirchengemeinde Bad Gandersheim in Niedersachsen hat den mit 2.000 Euro dotierten Publikumspreis beim Wettbewerb "chrismon Gemeinde 2019" gewonnen. Sie wurde für ihr Jugendzentrum "Phoenix" ausgezeichnet, wie das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik als "chrismon"-Herausgeber am 8. April in Frankfurt mitteilte. Das Projekt erhielt fast 11.000 Stimmen.

Das Jugendzentrum "Phoenix" haben nach eigenen Angaben Jugendliche und Erwachsene gemeinsam aufgebaut. "In einer sterbenden Region sind wir gegen den Trend nicht der Meinung, dass hier eh alles Asche ist, sondern sind Feuer und Flamme für unsere Jugendlichen vor Ort und ihre Ideen", heißt es in der Vorstellung des Projekts.

Auf Platz zwei (1.000 Euro) wählte das Publikum die Junge Kirche Berlin mit ihrem Projekt "Verschönere deine JKB". Platz drei (500 Euro) ging an den Pfarrbereich Brück (Kreis Potsdam-Mittelmark) für seine "Pferdeglockenfriedensfahrt von Brück nach Weliki Nowgorod". Insgesamt wurden mehr als 180.000 Stimmen abgegeben.

Das Publikum nominierte aus allen 161 teilnehmenden Gemeinden zudem 30 Projekte für die Jurypreise im Wert von zusammen 21.500 Euro. Diese Gewinner sollen im Mai bekanntgegeben werden. Alle Preise werden für besonders kreative und engagierte Projekte von Kirchengemeinden vergeben. "chrismon" erscheint monatlich in einer Auflage von 1,6 Millionen Exemplaren, die Zeitschrift wird großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen beigelegt.



"Silent Reading Partys" in der Bibliothek


"Silent Reading Party" in Osnabrück
epd-bild/Uwe Lewandowski
Mal in Ruhe ein Buch lesen - auf einer Party mit 40 weiteren Gästen. Was paradox klingt, zieht in Osnabrück immer mehr Menschen an. Weil sie zu Hause abgelenkt sind, treffen sie sich bewusst mit Gleichgesinnten zum Lesen.

Das junge Paar hält seine Bücher aufgeschlagen im Schoß. Der Kühlschrank brummt gleichmäßig. Hinter der Theke bereitet die Bedienung zischend einen Cappuccino. Kaffeetassen klappern auf Tellern, Instrumentalklänge tröpfeln aus Lautsprechern. Menschen wispern. Inga Tönnissens Wangen sind gerötet, ein Lächeln spielt um ihre Lippen. Ohne aufzublicken folgen ihre Augen den Zeilen. Keine Frage - sie und ihr Mann haben zwei der besten Plätze bei der völlig überfüllten "Silent Reading Party" ergattert.

Die Cocktail-Sessel stehen nah beieinander, so dass die beiden Mittdreißiger sich gegenüber sitzen. Die Tönnissens sind zum ersten Mal bei der stillen Leseparty der Stadtbibliothek Osnabrück, zusammen mit rund 40 anderen. "Richtig gemütlich hier", sagt sie, und er stimmt zu. Das schummrige Licht von Steh- und Hängelampen in dem kleinen Café in der Altstadt reicht gerade zum Lesen. Inga Tönnissen ist begeistert von der Atmosphäre. Sie liest "Friesensommer" von Janne Mommsen, eine Liebesgeschichte. "Im letzten Moment von der Nachbarin ausgeliehen", flüstert die Lehrerin. Christian Tönnissen liest Erich Kästners "Fabian": "Das hatte ich schon angefangen." Zu Hause hütet Oma die 15 Monate alte Tochter. "Wir kommen dort nicht mehr so häufig zum Lesen", sagt er. Netflix, das Handy, der Haushalt und natürlich die Tochter. Jetzt wollen sie die konzentrierte Ruhe und die Gemeinschaft mit anderen Lesenden genießen - mit Tee und einer Flasche Bier neben sich auf einem Tisch.

Idee aus den USA

Das Idee stammt aus den USA, sagt Bibliothekar Michael Meyer-Spinner. Dort feiern Buchliebhaber in größeren Städten seit Jahren Lesepartys. In Deutschland ist Osnabrück nach Auskunft des Deutschen Bibliothekenverbands derzeit wohl der einzige Standort. In Kiel und Düsseldorf gab es vor ein paar Jahren ähnliche Angebote.

2017 hat Meyer-Spinner das Format nach Osnabrück geholt - zunächst für zwei Male pro Jahr. 2018 waren es vier Termine. Jetzt bietet der Bibliothekar die Lesepartys alle sechs Wochen an - immer im Hinterzimmer-Café des "Shock Records & Coffee", einem 30 Jahre alten Plattenladen: "Jeder bringt ein Buch mit, schaltet das Handy aus, bestellt sich ein Getränk und liest." Viele könnten wie die Tönnissens ihre Leidenschaft für Bücher im Alltag nicht mehr recht ausleben. "Zu viel Ablenkung", sagt Meyer-Spinner.

In dem Café, in dem normalerweise maximal 20 Leute Platz finden, drängen sich zu den "Silent Reading Partys" von 19 bis 22 Uhr regelmäßig locker doppelt so viele. Auch an diesem Abend lümmeln sie sich auf zwei Sofas und ein paar Sesseln, räkeln sich auf Stühlen um kleine runde Tische. Die meisten sind Studenten und Auszubildende. Die mit Abstand älteste ist Gerlinde Jung.

Die 64-jährige Rentnerin hat nur noch einen der Barhocker direkt am Fenster abbekommen. "Bei mir zu Hause auf meiner Relax-Liege habe ich es gemütlicher", sagt sie und seufzt lachend: "Aber ich bin immer neugierig." Sie habe es einfach mal ausprobieren wollen und jetzt zieht sie das durch - wenn auch wohl nicht die gesamten drei Stunden.

Krimis und Liebesromane

Auf ihrem E-Book-Reader, dem einzigen im ganzen Raum, hat sie einen englischen Thriller aufgeschlagen. "Ich lese immer Krimis", sagt sie und nippt an ihrem Rotwein. Kuscheliger hat es da eine Handvoll Gäste, die sich auf gepolsterten Matten und Kissen auf dem Fußboden eingerichtet haben - vor der Theke, vor den Sofas oder im Gang zu den Toiletten.

Inga Tönnissen ist nach anderthalb Stunden aus ihrem Liebesroman aufgetaucht und bestellt sich an der Theke noch ein Glas Tee. Sie zieht die Schulterblätter hoch, macht ein paar Armbeugen und lächelt: "So viel wie hier habe ich schon lange nicht mehr am Stück gelesen." Dann steuert sie mit dem Teeglas in der Hand wieder auf ihren Sessel zu.

Martina Schwager (epd)


100 Künstler bei fünfter Urban-Art-Biennale in Völklingen


Das Werk "Brexit. Stay with us" stammt vom Bananensprayer Thomas Baumgärtel.
epd-bild/Oliver Dietze
Mark Zuckerberg mit Kameraaugen, Königin Elizabeth mit Bananenkrone oder die Türen der Berliner U-Bahn als sakrale Fenster. Urban Art ist die Kunst des 21. Jahrhundert, sagt der Chef der Völklinger Hütte zum Start der fünften Urban-Art-Biennale.

"Vorsicht, Stromschienen unter Spannung" und mehrere kleine Silhouetten des Brandenburger Tors prangen auf den kirchlichen Bleiglasfenstern. Sie sind gelb, teilweise mit Graffiti besprüht. Eigentlich waren diese Kirchenfenster mal Türen der Berliner U-Bahn. "Only God forgives" ("Nur Gott vergibt") heißt das Werk des Künstlerkollektivs Rocco und seine Brüder. Eine Anspielung auf die "Kunstreligion Graffiti". Bis 3. November ist es im Weltkulturerbe Völklinger Hütte zu sehen, wo die nunmehr fünfte Urban-Art-Biennale gestartet ist.

Ursprünglich mal aus Graffitis entstanden, umfasst die urbane Kunst Plakate, Sprayarbeiten, Manga-Interpretationen, Verweise auf die Popkultur oder auf frühere Kunstepochen. Meist begleitet von einer Spur Kritik. So präsentieren Rocco und seine Brüder auch eine leere, abgehalfterte Litfaßsäule unter dem Titel "Error 404 Not Found". Sie wollen damit laut Kurator Frank Krämer das menschliche Konsumverhalten und die Vermüllung der Städte kritisieren.

Kritische Blick auf Gesellschaft

Der Norweger Pøbel wirft wiederum einen Blick auf die Fischereibetriebe in seinem Land. Mit einem Porträt eines pfeiffenrauchenden Fischers auf ein Segeltuch gesprüht, prangert er das Ende kleiner Fischereibetriebe zugunsten großer Unternehmen an. "Es ist eine Hommage an die Fischer, eine nostalgische Bestandsaufnahme", sagt Krämer.

Der kritische Blick führt in alle gesellschaftlichen Bereiche. Der Bananensprayer Thomas Baumgärtel setzt sich beispielsweise mit dem Brexit auseinander, indem er Königin Elizabeth II. eine Bananenkrone verpasst und ihr den Appell "Stay with us!" ("Bleibt bei uns") mit auf den Weg gibt. Das Berliner Trio Mentalgassi ersetzt Mark Zuckerbergs Augen durch Videokameras, der in Spanien lebende SpY hat gleich eine Installation mit 100 Videokameras an ein Gebäude im Außengelände des Weltkulturerbes angebracht. Die Botschaft ist klar: Kritik an Überwachung.

Insgesamt 100 Künstler aus 20 Ländern präsentieren 120 Werke - sowohl in der Möllerhalle als auch inszenatorisch auf dem Gelände. SpY ließ zur Eröffnung der Schau zum Beispiel einen der Schornsteine der Hütte wieder qualmen. Das sei "deckungsgleich mit unserem Ansatz die Völklinger Hütte wieder zum Rauchen zu bringen", erklärt Krämer. Denn jetzt sei die Hütte auch wieder aktiv, nur als Kulturerbe und nicht mehr als industrielle Produktionsstätte.

Dieses Mal werden auch einige der aktuellen Hüttenmitarbeiter zu Kunstwerken. Denn ihre Gesichter hat das Trio Mentalgassi genutzt, um sie auf Gebäude, Gitterroste oder einen Ballon zu stülpen. Sie gucken einen direkt an und zeigen so, wer Teil der heutigen Hütte ist.

Moment zum Innehalten

Der aus Chile stammende und in Paris lebende Künstler Mambo lädt wiederum zum Innehalten ein. In der Möllerhalle präsentiert er seine Trilogie "The Bird Watcher" (Der Vogelbeobachter). Es gehe darum, im hektischen Lebensalltag mal einen Moment der Ruhe zu haben, daher komme die Idee eines Mannes, der die Vögel beobachte, betont Mambo. In einem Schornstein auf dem 100.000 Quadratmetern umfassenden Parcours hat er wiederum eine Karte des Gehirns dargestellt. Ihm gefalle der Gedanke, dass Menschen, Natur und Systeme in einer Art Netzwerk miteinander verbunden und voneinander abhängig seien.

Die Außenkunstwerke sind in gewisser Weise auch von ihren Vorgängern abhängig. Wo 2015 noch der "Tree of Life" (Lebensbaum) des französischen Künstlers Ludo an der 30 Meter hohen Wand des Kohleturms zu sehen war, prangt heute die Papiercollage "Le soulèvement public" (Volksaufstand) des Duos MonkeyBird. Der Vorgänger hat sich mittlerweile vollständig aufgelöst. So wie auch im städtischen Raum Kunstwerke verschwinden und durch andere ersetzt werden. Dies sei ein besonderes Zeichen der Vergänglichkeit, sagt Generaldirektor Meinrad Maria Grewenig.

Die urbane Kunst sei die Kunstform des 21. Jahrhunderts, betont er. Wer sich dem verstelle, an dem sei die Zeit vorbeigegangen. Dem stimmt auch Kurator Krämer zu. Seit der Jahrtausendwende sei der Urban-Art-Künstler zu einem neuen Künstlertypus geworden. Er designe etwa Plattencover, werde Modesigner oder erfinde Graffiti-Schriften. "Er ist kreativer Vordenker und künstlerischer Leiter von subkulturellen Ausdrucksformen."

Marc Patzwald (epd)


Die grüne Welt des Dichterfürsten


Goethe-Garten auf dem Dach der Bundeskunsthalle oeffnet
epd-bild/Meike Böschemeyer
Johann Wolfgang von Goethe war nicht nur Dichter, sondern beschäftigte sich auch Zeit seines Lebens mit Botanik. Die Bundeskunsthalle in Bonn hat nun auf ihrem Dach Teile der Weimarer Goethe-Gärten nachgebaut.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) hatte seine Gärten immer im Blick. Selbst wenn er auf Reisen war, gab er seiner Frau Christiane genaue Anweisungen, welche Pflanzen zu setzen oder zu beschneiden seien. Umgekehrt trug sie ihm auf, südländische Nutzpflanzen von seinen Reisen mitzubringen. Beide schätzten zum Beispiel Artischocken.

Die besondere Garten-Leidenschaft Goethes lässt sich nun auf dem Dach der Bundeskunsthalle erkunden. Unter dem Titel "Goethes Gärten" sind zentrale Elemente aus den beiden Weimarer Gärten des berühmten deutschen Dichters detailgetreu nachgebaut worden. Die Gartenschau stimmt auf die große Ausstellung "Goethe. Verwandlung der Welt" ein, die vom 17. Mai bis 15. September in der Bundeskunsthalle zu sehen ist.

Goethe studierte schon früh die Schriften des Gartentheoretikers Christian Hirschfeld (1742-1792) und schwärmte für englische Landschaftsgärten. 1776 bezog er sein erstes Haus in Weimar, ein Gartenhaus am östlichen Ilmhang. Den verwilderten "Garten am Stern" gestaltete er entsprechend im englischen Stil mit geschwungenen Wegen und schattigen Ruheplätzen. Außerdem legte er einen Nutzgarten mit Obstbäumen und Gemüsebeeten an.

Malvenallee

Eine charakteristische Besonderheit dieses Gartens ist die Malvenallee, die nun auf dem Dach der Bundeskunsthalle bestaunt werden kann. Diese Blumensorte war zur Zeit Goethes besonders beliebt. Die Allee verbindet das Weimarer Gartenhaus mit dem "Stein des guten Glücks". Dabei handelt es sich um eine sehr modern anmutende Skulptur, die aus einem Würfel und einer darauf liegenden Kugel besteht.

In Bonn steht eine Replik dieser Plastik, die zu den ersten nicht figurativen Denkmälern in Deutschland zählt. Symbolisch treffen in ihr zwei widerstreitende Prinzipien aufeinander: Der Würfel steht für Beständigkeit, die Kugel für Veränderung.

1782 zog es Goethe vom Rand Weimars ins Zentrum. Weil seine repräsentativen Aufgaben zugenommen hatten, wechselte er mit seiner Familie in ein größeres Stadthaus am Frauenplan. Das Gartenhaus behielt er, legte aber auch seinen Stadtgarten sorgfältig an. Im Gegensatz zu den geschwungenen Wegen im Garten am Stern dominieren hier geometrisch angelegte Rabatten.

In Anlehnung daran hat das Team der Bundeskunsthalle unter anderem einen mit Rabatten umsäumten Küchengarten mit Salaten und Kräutern im Stile Goethes angepflanzt. Auf dem Bonner Dachgarten wachsen in diesem Sommer auch Zitrusfrüchte, Feigen, Ginkgo-Bäume oder Artischocken, wie sie Goethe von seinen Reisen mitbrachte. Auf finden die Besucher dort einen Pavillon mit Weinspalieren. So pflanzte der Dichter einst auch Wein an Spalieren und erprobte neue Methoden des Beschnitts, um den Ertrag zu steigern.

Beim Spaziergang durch die grüne Welt des Dichterfürsten wird deutlich: Er legte seine Gärten so an, dass sie gleich drei unterschiedlichen Zwecken dienten. Zum einen hatten sie als Nutzgärten eine ökonomische Funktion. Goethes Frau Christiane konnte offenbar auf eine so reichhaltige Obst- und Gemüseernte aus den Gärten zurückgreifen, dass das Paar öfter Freunde mit Früchten aus eigenem Anbau beglückte.

Ästhetische Prinzipien

Zudem legte Goethe der Gestaltung seiner Gärten auch ästhetische Prinzipien zugrunde. Sie dienten mit ihren Sitznischen und der Blumenbepflanzung der Erholung, dem "Verweilen und Genießen in freier Luft". Und nicht zuletzt nutzte der Dichter die Gärten für seine botanischen Studien, wie wissenschaftliche Schriften zur Metamorphosen- und Farbenlehre in der Ausstellung belegen.

Seine besondere Aufmerksamkeit galt der Entwicklung von Pflanzen und dem Wandel ihrer Organe wie Blätter oder Stängel. Goethe legte dazu ein "botanisches Beet" an, wo er das Wachstum von Pflanzen beobachtete. Dort säte er zum Beispiel 50 verschiedene Asternsorten aus. Die Samen hatte damals der Bonner Botaniker Daniel Nees von Esenbeck dem Dichter und Naturforscher geschickt. Mehrere Generationen danach ist das Saatgut wieder an den Rhein zurückgekehrt, wo die Astern im Sommer auf dem Dach der Bundeskunsthalle blühen werden.

Claudia Rometsch (epd)


Religiöser Rebell - Jesus auf der Kinoleinwand

Von blutiger Passion, religiöser Erleuchtung und radikaler Erneuerung: Filme über Jesus haben seit mehr als 100 Jahren Konjunktur - nicht nur zu Ostern.

Jesus als erhabener Gottessohn oder als Einsamer in der Wüste: Das Kino hat das Leben und Sterben Christi immer wieder neu erzählt. Dabei ging es stets auch darum, ob den Figuren eine natürliche, freie Ausdrucksform erlaubt sein darf - oder ob sie im Repertoire des Andächtigen und Unirdischen bleiben müssen.

Die neuesten Jesusfilme versuchen dabei überraschende Perspektivwechsel. "40 Tage in der Wüste" von Rodrigo Garcia (2015) verzichtet auf Krippe und Kreuz und konzentriert sich allein auf die titelgebende existenzielle Einsamkeitserfahrung, in der Jesus nicht dem Satan, sondern sich selbst als Versucher begegnet. Und "Maria Magdalena" von Garth Davis (2018) zeigt die Welt der Evangelien aus weiblicher Sicht. Er wertet die jahrhundertelang als Hure gezeichnete Maria Magdalena um zu einer Apostolin, die Jesus besser versteht als die Männer.

Monumentalfilm

Lange hatte sich zu Beginn der Filmgeschichte der Bann der Tradition gehalten. Sydney Olcotts "Von der Krippe zum Kreuz" von 1912 reiht die vertrauten Szenen des Lebens Jesu von der Verkündigung bis zur Auferstehung aneinander und stützt sich dabei in den Zwischentiteln auf die Evangelien, mit Kapitel- und Versangabe. Vor allem mit Cecil B. DeMilles "König der Könige" von 1927 wuchs diese Tradition szenisch ins Monumentale. 800 Millionen Zuschauer, erklärte DeMille selbst, sollen den Film gesehen haben. Er wurde nicht nur in den Kinos, sondern auch in Kirchen gezeigt. Selbst wenn die Zahl übertrieben war, so gingen doch Bibelfrömmigkeit und Kino nie wieder eine vergleichbar erfolgreiche Geschäftsverbindung ein.

Nicholas Rays "König der Könige" von 1960 trägt zwar den gleichen Titel, löst sich jedoch vom vorgegebenen Rahmen und erzählt die Geschichte eines auf Befreiung hoffenden jüdischen Volkes, das von den Römern versklavt wurde. Jesus ist hier ein radikal pazifistischer religiöser Rebell. Auf der anderen Seite steht ein zum politischen Aufstand entschlossener Barabbas, der zum Anführer einer antirömischen Revolte umgedeutet wird. Und zwischen ihnen: ein innerlich zerrissener Judas.

Einen Jesus, der ganz entrückt und übermenschlich ist, zeigte 1963 "Die größte Geschichte aller Zeiten" von George Stevens, länger als drei Stunden, mit Max von Sydow als Jesus. Das Werk wurde zu einem der größten finanziellen Misserfolge der Filmindustrie.

Es ist der italienische Schriftsteller, Intellektuelle und Regisseur Pier Paolo Pasolini, der den Jesusfilm ein Jahr später neu denkt: 1964 erscheint "Das 1. Evangelium - Matthäus", eine ästhetische und politische Befreiung. Gedreht in einer vormodern gebliebenen Region Italiens, mit Laiendarstellern besetzt und strikt orientiert am Wortlaut des Matthäus-Evangeliums, verleiht er der Erzählung eine Präsenz und Dringlichkeit, die Maßstäbe gesetzt hat.

Er zeichnet einen Jesus, der aus religiöser Erleuchtung die Menschen zur Umkehr aufruft, alle sozialen Konventionen ignoriert. Der provozierende Wanderprediger Jesus, auch der Erniedrigte und Gekreuzigte stehen Pasolini näher als der Erlöser und auferstandene Gottessohn. Dennoch unterschlägt er nichts, auch nicht den Wunderheiler, der das Volk zu staunender Verehrung bringt.

Parodie und Schreckensfantasien

Nach Pasolini wandert der Traditionalismus in Fernsehproduktionen, das Kino erlaubt sich Abweichungen, Umdeutungen und Erfindungen. Wie Monty Pythons "Das Leben des Brian" (1979), eine Parodie auf Kitsch und Pathos seiner Vorgänger. Oder Martin Scorsese in "Die letzte Versuchung Christi" (1988), nach einem Roman von Nikos Kazantzakis, in dem Jesus vom Kreuz herabsteigt und ein Familienleben mit Maria Magdalena beginnt - was sich zuletzt als eine Vision des Gekreuzigten erweist. In den Abgründen von Gewalt- und Schreckensfantasien verliert sich schließlich "Die Passion Christi" von Mel Gibson (2004), der die Qualen Jesu unter Folter und Kreuzigung in blutiger Breite ausmalt.

Die radikalste Neudeutung stammt von einem französischen Regisseur aus muslimischen Milieu: "Der Fall Judas" von Rabah Ameur-Zaïmeche (2015). Darin zerstört Judas auf Jesu Geheiß die schriftlichen Aufzeichnungen, die eine misstrauische Obrigkeit über den verdächtigen Prediger anfertigen ließ und kommt dabei selbst fast um. Misstraut der Schrift, sagt dieser Film, wenn ihr eine andere Welt wollt. Folgt nicht den Dogmen, die ihre Hüter auf ihr errichtet haben. Oder den Bildern, die sich auf sie berufen.

Karsten Visarius (epd)


15.000 Menschen wollen Dokumentarfilm "Die Kinder der Utopie" sehen

Mehr als 15.000 Menschen haben bereits Kinokarten für den neuen Dokumentarfilm des deutschen Regisseurs Hubertus Siegert, "Die Kinder der Utopie", reserviert. Der Film ist nur am 15. Mai im Rahmen eines bundesweiten Aktionsabends in 120 Städten zu sehen, wie der Kölner Elternverein Mittendrin am 10. April mitteilte. Im Mittelpunkt stehen sechs junge Erwachsene, darunter drei mit Behinderung, die sich zwölf Jahre nach ihrer gemeinsamen Grundschulzeit wiedertreffen. Bereits 2005 hatte Regisseur Siegert die Mädchen und Jungen in seinem Film "Klassenleben" über eine inklusive Berliner Grundschulklasse porträtiert.

Der Film ist den Angaben zufolge im Rahmen eines bundesweiten Aktionsabends nur an diesem einen Tag zu sehen. Die Vorführung des 80-minütigen Dokumentation soll von Gesprächsrunden zum Thema inklusive Bildung begleitet werden. "Wir hoffen, dass der Film und die Aktionsabende viele Menschen daran erinnern, dass das gemeinsame Lernen und Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinderung einen großen Wert für unsere Gesellschaft haben", erklärte Christine von Kirschbaum von Mittendrin.



Stiftung sucht den besten Poetry-Slammer in Gebärdensprache

Unter dem Motto "Erzähle Deine Geschichte in Deutscher Gebärdensprache (DGS)!" lädt der DGS-Treff der Graf-Recke-Stiftung am 14. Juli zum DGS-Slam ins Düsseldorfer "Zakk". Für jeweils fünf Minuten gehört die Bühne jungen Menschen, die in der visuellen Sprache in den Wettstreit gehen. "Wir stärken damit nicht nur Begegnungen zwischen hörenden und hörgeschädigten Jugendlichen, sondern auch die Deutsche Gebärdensprache, die in Deutschland von etwa 200.000 Menschen benutzt wird", sagte Fachbereichsleiterin Sabine Blitz aus dem Bereich "Erziehung und Bildung" der Graf-Recke-Stiftung.

Der DGS-Slam findet zum zweiten Mal statt. Der Wettbewerb in der Fichtestraße 40 startet um 16 Uhr. Die Ausführungen in der Gebärdensprache übersetzen professionelle Gebärdensprachdolmetscher simultan in die Lautsprache. So kann das Publikum abstimmen. Der Gewinner des Vergleichs erhält einen Reisegutschein im Wert von 200 Euro. Zudem kürt das Bild des Gewinners Plakat und Flyer des nächsten Slams.

Wer sich auf den DGS-Slam vorbereiten will, kann sich für den kostenfreien Workshop mit Gebärdensprachdolmetscher und Profi-Slammer Rafael-Evitan Grombelka anmelden. Der Workshop findet vom 11. bis 14. Juli statt.

Anmeldungen zu Slam und Workshop unter: dgs-treff@graf-recke-stiftung.de

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Jugendliche zum Wettbewerb "Dein Song für Eine Welt" aufgerufen

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter zwischen 10 und 25 Jahren sind zum Wettbewerb "Dein Song für Eine Welt" aufgerufen. Gesucht werden Lieder zu globalen Themen wie Gerechtigkeit, Frieden oder Klimaschutz, die auch die Perspektive der Menschen in anderen Erdteilen einbeziehen, wie die Servicestelle für Entwicklungsinitiativen "Engagement Global" in Bonn mitteilte.

Mitmachen können Solisten, Chöre, Bands und alle anderen, die Spaß an Musik haben. Einsendeschluss ist der 25. Juni. Zu gewinnen sind den Angaben zufolge Geld- und Sachpreise, unter anderem Live-Auftritte, Workshops und professionelle Studioaufnahmen. Die besten 23 Songs werden auf einem Eine-Welt-Album veröffentlicht. Internet: www.eineweltsong.de



Kölner Museum sucht Rembrandt-Kuriositäten

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum sucht für seine Ausstellungen und Aktionen zum 350. Todestag des niederländischen Barockkünstlers Rembrandt van Rijn Kitsch und Kuriositäten. Egal, ob Socken mit Rembrandt-Konterfei, Zahnpasta, Weinflasche oder Radiergummi, das Wallraf nehme alle Objekte entgegen, die die Beliebtheit und Popularität Rembrandts veranschaulichten, teilte das Museum am 9. April mit. Die Exponate sollen dann in der Barocksammlung ausgestellt werden. Leihgeber der besonderen Exponate erhalten freien Eintritt und nehmen an einer Verlosung teil. Hauptgewinn ist eine private Führung.

Themenreihe geplant

Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum widmet ab dem Herbst gleich zwei Ausstellungen dem niederländischen Maler Rembrandt Harmenszoon van Rijn. Zum 350. Todestag des Künstlers am 4. Oktober startet die Schau "Rembrandts graphische Welt". Gezeigt wird bis 12. Januar 2020 eine Auswahl an Radierungen aus seinem 160 Blätter umfassenden Gesamtbestand. Mit Stichel und Nadel bearbeitete Rembrandt die Kupferplatte. Gezeigt werden unter anderem "Abraham, die Engel bewirtend" und die "Drei Kreuze".

Ab dem 1. November sind zudem unter dem Titel "Inside Rembrandt" bekannte Werke wie das Gemälde "Der Gelehrte im Studierzimmer" aus der Prager Nationalgalerie in dem Museum zu sehen. Die große Sonderausstellung ist den Angaben nach als Hommage an den Maler konzipiert. Bildgewaltig werde das dramatische Künstlerleben zwischen Tragödie und Komödie erzählt. Neben eigenen Rembrandt-Werken präsentiert das Museum bis 1. März auch Arbeiten von seinen Zeitgenossen und Schülern wie Jan Lievens, Govert Flinck und Ferdinand Bol.

Rembrandt Harmenszoon van Rijn wurde 1606 in Leiden geboren und starb 1669 in Amsterdam. Als Maler erlangte er unter seinem Vornamen Rembrandt Berühmtheit. Er gilt als einer der bekanntesten und bedeutendsten niederländischen Künstler des Barock. Mit nur 19 Jahren eröffnete er nach seiner Ausbildung bei Pieter Lastmann sein erstes Atelier in Leiden. 1631 zog er nach Amsterdam, wo er als Künstler für seine Porträts, Landschaften und für seine biblischen und mythologischen Themen gefeiert wurde. Trotz seiner künstlerischen Erfolge und der zahlreichen Aufträge starb Rembrandt in Armut. Ein langwieriger Unterhaltsstreit mit einem ehemaligen Kindermädchen, seine eigene Sammlertätigkeit mit kostspieligen Ankäufen und ein sich wandelnder Kunstmarkt in den Niederlanden trugen vermutlich zu Rembrandts finanziellem Niedergang bei.



Dortmund soll Stadtschreiber bekommen

Dortmund soll ab 2020 eine "Stadtbeschreiberin" oder einen "Stadtbeschreiber" bekommen. Das Stipendium solle es Schriftstellern ermöglichen, sich mehrere Monate lang ganz dem literarischen Arbeiten zu widmen, teilte die Ruhrgebietskommune am 9. April mit. Die politischen Gremien müssten dem Vorschlag des Verwaltungsvorstandes noch zustimmen. Grundlage dafür sei der Haushaltsbegleitbeschluss zum Haushaltsplan 2019.

Der Stadtbeschreiber soll den Plänen zufolge von Mai bis Oktober eine möblierte Wohnung in Dortmund sowie ein monatliches Honorar von 1.800 Euro erhalten. In seinem Werk solle er sich mit der Transformation des Urbanen und der Neuen Urbanität beschäftigen, erklärte die Stadt. Dazu gehöre die Auseinandersetzung mit Mentalitätsverschiebungen, Verhaltensänderungen sowie Lebensentwürfen und Sinnkonstruktionen im Wandel. Außerdem könne der Stipendiat andere Autorinnen und Autoren zu Lesungen nach Dortmund einzuladen, hieß es.

Betreut wird das Stipendium den Plänen zufolge vom Literaturhaus Dortmund und dem Kulturbüro der Stadt. Der Ausschuss für Kultur, Sport und Freizeit soll jeweils im Vorjahr über die Vergabe entscheiden. "Stadtschreiber"-Stipendien existieren den Angaben zufolge in Deutschland seit 1974 und ermöglichen Schriftstellerinnen und Schriftstellern ein wirtschaftlich abgesichertes literarisches Arbeiten. Inzwischen gibt es bundesweit 20 solcher Stipendien.




Entwicklung

Autorin Belli: Gewalt hat Nicaraguas Regierung geschwächt


Gioconda Belli
epd-bild/Giulia Iannicelli
Ein Jahr nach einer Protestwelle in Nicaragua sieht die Schriftstellerin Gioconda Belli Präsident Daniel Ortega geschwächt. "Es war ein großer Fehler von ihm, den Aufstand zu unterdrücken, weil es ansonsten ein Protest wie jeder andere auf der Welt hätte sein können", sagte sie.

Doch die brutale Niederschlagung der Proteste, die am 18. April 2018 begannen, habe Aufmerksamkeit auf die Probleme Nicaraguas gelenkt. "Es wurde zu einer Krise der Menschenrechte", sagte die nicaraguanische Autorin dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Als die Sicherheitskräfte angefangen hätten, die Studenten zu töten, sei das Land aufgerüttelt worden und der anfängliche Studentenprotest sei zu einer großen Bewegung der Zivilgesellschaft gegen Präsident Ortega geworden, erläuterte sie. "Es gibt immer weniger Menschen, die ihn unterstützen."

Auch der Druck aus dem Ausland sei hilfreich, betonte die 70-Jährige, die immer schon Literatur mit politischem Engagement verbunden hat. "Die EU-Sanktionen haben ihm viele Türen geschlossen." Sollte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) die "Demokratische Charta" anwenden, die zum Ausschluss des Landes führen könnte, würde die Regierung weitere Geldquellen verlieren.

"Monarchischer Stil"

"Ich hätte nie gedacht, dass Daniel Ortega, obwohl ich ihn verabscheue, zu so einer Grausamkeit fähig ist", sagte Belli. Die Autorin von zahlreichen Gedichtbänden und bekannten Romanen wie "Bewohnte Frau" und "Waslala" kämpfte in den 70er und 80er Jahren zusammen mit Ortega in der Revolution, die die über 40-jährige Diktatur der Familie Somoza beendete. Schon damals habe Ortega autoritäres Gebaren an den Tag gelegt. "Jetzt herrscht ein monarchischer Stil der Machtausübung." Es passiere absolut nichts, das nicht von Ortega oder seiner Frau, Vizepräsidentin Rosario Murillo, genehmigt worden sei.

Sogar gegen die katholische Kirche richte sich Ortegas brutale Aggression. "Die Kirche hat eine sehr kritische Haltung eingenommen", erläutert Belli. Deshalb werde sie in den regierungstreuen Medien verunglimpft, aber auch direkt angegriffen. Als Studenten, die von paramilitärischen Einheiten aus der besetzten Universität herausgeholt werden sollten, in einer Kirche in Managua Zuflucht suchten, sei die Kirche mit Kugeln durchlöchert worden. Zwei Jugendliche wurden getötet. "Das war der schlimmste Angriff." Insgesamt wurde laut Menschenrechtlern im vergangenen Jahr mehr als 300 Menschen von Sicherheitskräften getötet.

In Gefahr sind Belli zufolge jedoch alle, die Kritik an der Regierung äußern - auch sie selbst. "Es ist immer ein sehr schmaler Grat, auf dem man sich bewegt. Und schlussendlich weiß man nie." In dieser Situation rette sie ihre Bekanntheit, sagt die Trägerin mehrerer Auszeichnungen. Aber sie sehe es als ihre Pflicht, weiter die Stimme zu erheben. "Ich werde reden, bis sie mich zum Schweigen bringen."

epd-Gespräch: Natalia Matter


Papst zieht regierungskritischen Bischof aus Nicaragua ab

Papst Franziskus hat den regierungskritischen Weihbischof Silvio José Báez aus Nicaragua abberufen. Er habe nicht darum gebeten, das Land zu verlassen, betonte Báez am 10. April in Managua. Die Entscheidung sei vom Heiligen Vater ausgegangen. Er brauche ihn in Rom, habe der Papst gesagt. "Es schmerzt mich sehr, nicht mehr bei dem von Gott so geliebten Volk von Nicaragua sein zu können", zitierte ihn die Tageszeitung "El Nuevo Diario".

Báez und andere Geistliche unterstützen Regimegegner, die von Polizisten und paramilitärischen Gruppen verfolgt werden. So sind sie selbst zum Angriffsziel geworden. Der Bischof sagte, dass es im vergangenen Jahr Pläne gegeben habe, ihn zu töten. Darüber habe ihn die US-Botschaft informiert.

Die katholische Kirche vermittelt immer wieder in den Gesprächen, mit denen Oppositionelle und Vertreter der Regierung des Präsidenten Daniel Ortega nach Lösungen zur Beilegung des Konflikts in dem Land suchen.

"Erzwungenes Exil"

Die Amerika-Sprecherin von Amnesty International, Erika Guevara-Rosas, äußerte Bedauern über die Entscheidung des Papstes, eine der "ethisch wichtigsten Stimmen zur Verteidigung der Menschenrechte" aus dem Land abzuziehen. Der oppositionelle Schriftsteller Sergio Ramírez bezeichnete das "erzwungene Exil" von Báez auf Twitter als schweren Schlag im Kampf für Demokratie in Nicaragua.

Das Land befindet sich in einer schweren Krise, seit Ortega im April vergangenen Jahres repressiv gegen Proteste von Studenten, Umweltschützern und weiteren Oppositionellen vorgegangen ist. Nach Angaben der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) sind bei Auseinandersetzungen zwischen Polizisten, Paramilitärs und Demonstranten seitdem 325 Menschen getötet worden. Die CIDH wirft der Regierung Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.



Weltbank: Migranten überweisen Rekordsummen in Heimat

Migranten aus Entwicklungs- und Schwellenländern haben im vergangenen Jahr die Rekordsumme von umgerechnet mehr als 470 Milliarden Euro an Angehörige in ihrer Heimat überwiesen. Damit sei der Rekord aus dem Jahr 2017 um noch einmal knapp ein Zehntel übertroffen worden, teilte die Weltbank am 8. April in Washington mit. Die sogenannten Rücküberweisungen in diese Länder entsprächen damit dem Dreifachen der offiziellen Entwicklungshilfe. Erstmals hätten sie außerdem auch die Summe der Auslandsdirektinvestitionen überstiegen, wenn man China außer Acht lasse. Damit würden Rücküberweisungen zur wichtigsten Devisenquelle überhaupt.

Die offizielle Entwicklungshilfe liegt bereits seit Mitte der 90-er Jahre unterhalb dessen, was die im Ausland arbeitende Bevölkerung zurücküberweist. Inklusive der Industrieländer flossen 2018 fast 613 Milliarden Euro an sogenannten Rücküberweisungen. Im laufenden Jahr rechnet die Weltbank mit einer weiteren Steigerung. Die meisten Empfänger sitzen den Experten zufolge in Indien, gefolgt von China, Mexiko, den Philippinen und Ägypten. Starken Zuwachs - um 11,2 Prozent - verzeichneten 2018 auch die Rücküberweisungen innerhalb von Europa und Zentralasien, die im Vorjahr bereits um mehr als ein Fünftel gestiegen waren.

Teure Überweisungen

In ihrem Bericht über Migration und Entwicklung kritisierten die Ökonomen die anhaltend hohen Kosten von Auslandsüberweisungen, die im ersten Quartal 2019 bei durchschnittlich sieben Prozent lagen. Während die Nachhaltigkeitsziele eine Senkung der Überweisungskosten auf drei Prozent bis 2030 vorgäben, lägen die Kosten gerade in armen Ländern Afrikas südlich der Sahara noch einmal höher bei durchschnittlich 9,3 Prozent. Während die Kosten für Überweisungen sinken müssten, müsse die Politik sich zugleich um mehr Jobs in den Ausgangsländern der Migration kümmern, forderte die Weltbank.



UN-Bericht: 214 Millionen Frauen ohne Zugang zu Verhütung

Die Weltbevölkerung wächst rasant - und noch immer kommen mehr als 200 Millionen Frauen nicht an moderne Verhütungsmittel, auch wenn sie das möchten. Grund ist in vielen Ländern die Unterdrückung der Frau.

Weltweit haben rund 214 Millionen Frauen und Mädchen keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln, obwohl sie eine Schwangerschaft verhindern wollen. Das ist jede vierte Frau im gebärfähigen Alter in den Entwicklungsländern, wie aus dem am 10. April in Berlin vorgestellten Weltbevölkerungsbericht 2019 hervorgeht. Trotz aller Erfolge sei man noch immer weit von dem Ziel entfernt, dass alle Menschen selbst entscheiden können, ob und wann sie Kinder bekommen und mit wem sie Sex haben wollen, bilanziert der Bericht.

Hauptgrund ist dem Weltbevölkerungsbericht zufolge die fehlende Geschlechtergerechtigkeit. Die Unterdrückung von Frauen in vielen Ländern der Welt stehe der Verwirklichung der entwicklungspolitischen Ziele entgegen, die auf der Kairoer Weltbevölkerungskonferenz 1994 verabschiedet wurden. Der Bericht wird regelmäßig vom Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) vorgelegt. In diesem Jahr trägt er den Titel: "Unfinished business - Reproduktive Rechte und Entscheidungsfreiheit für Alle".

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wies darauf hin, dass die Bevölkerung in Afrika sich bis 2050 verdoppeln werde, wenn es so weitergehe wie bisher. Dann werde Nigeria nach China und Indien das drittgrößte Land der Welt sein. Notwendig seien die Stärkung von Frauen und Familienplanung. Dieses Thema dürfe nicht tabuisiert werden. Die Bundesregierung setze es daher auf die Tagesordnung jeder Verhandlung mit Partnerstaaten. Auch mit Religionsführern müsse werde darüber gesprochen. Doch müsse das Signal dafür zunächst von den Ländern selbst kommen.

Durchschnittlich 2,5 Kinder

Im weltweiten Durchschnitt bekommt eine Frau 2,5 Kinder, wie aus dem Bericht hervorgeht. Mitte der 1960er Jahre waren es noch doppelt so viele Kinder pro Frau. In den ärmsten Ländern der Welt gebären Frauen aber weiterhin durchschnittlich vier Kinder. Täglich sterben mehr als 800 Frauen an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. Gegenüber 1990 ist die Müttersterblichkeit dem Bericht zufolge aber um 44 Prozent zurückgegangen. Mehr als die Hälfte aller verheirateten Frauen verwenden moderne Verhütungsmittel.

Dem Bericht zufolge unternahmen die Regierungen afrikanischer Länder in den zurückliegenden Jahren die stärksten Anstrengungen, um die Mütter- und Neugeborenen-Sterblichkeit zu senken. "Unser Kampf geht weiter", betonte die Exekutivdirektorin des UN-Bevölkerungsfonds, Natalia Kanem. Sie verwies darauf, dass eine von drei Frauen im Laufe ihres Lebens physische Gewalt erfahre. 200 Millionen Mädchen und Frauen seien von Genitalverstümmelung betroffen. Das müsse aufhören.

Bei seiner Gründung war es die Hauptaufgabe des UN-Bevölkerungsfonds, Programme gegen das Bevölkerungswachstum in Entwicklungsländern zu unterstützen. Heute stehen Initiativen zur Frauen-Gesundheit, Bildung, Familienplanung und Gleichberechtigung im Mittelpunkt. Der Fonds wird aus freiwilligen Beiträgen der UN-Mitgliedstaaten und aus großen privaten Stiftungen finanziert. Die deutsche Übersetzung des Weltbevölkerungsberichts gibt die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung heraus.



Aus der Unmenschlichkeit befreit - als eine von wenigen

Eine junge Eritreerin hat es in das Resettlement-Programm für Gefangene der libyschen Internierungslager geschafft. Sie fliegt nach Frankreich. Auch Deutschland beteiligt sich an der Aufnahme. Doch für die wenigsten Inhaftieren gibt es Plätze.

Sie hat ein libysches Internierungslager überlebt. Jetzt sitzt die junge Frau im gehäkelten Tank-Top und mit einem schwarzen Tuch um den Kopf in einem Büro des UN-Flüchtlingshilfswerks in Niamey, der Hauptstadt Nigers. Ihren Namen möchte sie nicht nennen, aus Sicherheitsgründen. Nur ihr Alter gibt die Eritreerin preis: Sie ist 19.

Sie gehört zu der handverlesenen Gruppe von Flüchtlingen, die ganz legal mit einem bewilligten Asylantrag direkt aus Afrika in Europa einreisen. Möglich ist das nach ihrer Haft im Internierungslager durch eines sogenanntes Resettlement-Programm. Weil die Lebensbedingungen in den libyschen Lagern unmenschlich sind, bemüht sich das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) darum, möglichst viele Gefangene von dort zu befreien.

Die junge Eritreerin wird bald nach Frankreich fliegen, wann genau weiß sie nicht. "Ich bin glücklich", sagt sie dazu. Sie spricht leise, antwortet einsilbig.

300.000 Flüchtlinge im Niger

Niger sei für die 19-Jährige und Hunderte andere aus den Lagern eine Zwischenlösung, sagt Alessandra Morelli, Leiterin der UNHCR-Mission im Niger. "Die nigrische Regierung heißt die Flüchtlinge aus Libyen willkommen, aber nur vorübergehend". Niger könne nicht alle Menschen aus den libyschen Internierungslagern dauerhaft aufnehmen, weil schon 300.000 Flüchtlinge aus den Nachbarländern hier lebten, vor allem aus Mali, Nigeria und Burkina Faso.

Mehrere, überwiegend europäische Staaten haben sich bereiterklärt, insgesamt 6.300 Überlebende der Lager in Libyen aufzunehmen. Die meisten von ihnen wurden von der libyschen Küstenwache in eins der Gefängnisse gebracht, finanziert von der Europäischen Union. Europa bezahlt die libysche Küstenwache, damit sie Boote mit Migranten auf dem Mittelmeer abfängt und verhindert, dass die Menschen nach Europa kommen.

Wie brutal die Verhältnisse in den libyschen Lagern sind, verdeutlichte erst kürzlich wieder ein Bericht des britischen Senders Channel 4. Er veröffentliche Mitte März Handy-Aufnahmen, die ihm Migranten zugespielt hatten. Ihre Authentizität kann nicht geprüft werden. In dem etwa zweiminütigen Clip ist unter anderem zu sehen, wie Männer in Tarnhosen einen spärlich bekleideten Mann, der am Boden liegt, mit Feuer quälen. In einer anderen Szene wird ein Mann mit einem schweren Betonklotz traktiert.

Dennoch darf nur ein Bruchteil der Inhaftierten nach Europa. Den Umweg über die Republik Niger braucht es dafür, erläutert Morelli. "Wir können die Asylanträge in Libyen nicht prüfen, weil keine europäische Botschaft ihr Personal nach Tripolis schickt", erklärt sie. "Also haben wir den Asylraum von Libyen nach Niger ausgeweitet." Dort werden die Anträge derjenigen, die vom UNHCR für das Programm vorgeschlagen werden, von Delegationen der möglichen Aufnahmeländer geprüft.

Traum zu lernen

An dem Resettlement-Programm beteiligen sich zwölf Länder, darunter Deutschland. Bis auf Kanada und die Schweiz sind alle Mitglieder der Europäischen Union. Deutschland hat 276 Flüchtlingen aus Libyen aufgenommen. Ob weitere folgen werden, wird laut Innenministerium noch geprüft. Angaben über die Auswahlkriterien oder weitere Details machte das Ministerium auf Nachfrage nicht.

"Ich rede jetzt nicht über Zahlen, aber das Konzept ist unglaublich positiv", sagt Morelli. Ganz unwichtig sind die Zahlen aber nicht. Das UNHCR hat 53.000 Flüchtlinge in libyschen Internierungslagern als schutzberechtigt registriert. Inhaftierte, die laut den UN in ihrer Heimat nicht verfolgt werden und deshalb als Migranten bezeichnet werden, werden in dieser Erfassung nicht mitgezählt, weil das UNHCR nur für politische Flüchtlinge zuständig ist.

Die junge Eritreerin, die auf ihren Flug nach Frankreich wartet, zählt also zu einer kleinen Gruppe von Begünstigten. Eritreerinnen und Eritreer haben eine gute Chance auf einen positiven Asylbescheid. Grundlage dafür sind der lebenslange Wehr- und Nationaldienst für Männer und Frauen, die Gefahr von Folter und Misshandlungen sowie oft inhumane Haftbedingungen, vor allem für gefasste Deserteure des Nationaldienstes.

Die 19-Jährige verrät nicht viel über ihre Geschichte. "Es gibt keine Freiheit in Eritrea", sagt sie so allumfassend wie knapp. Ihre Zukunft schien durch den Zwangsdienst im Militär vorgezeichnet, dem wollte sie entgehen. Jetzt steht ihr ein großes Tor in eine unbekannte Zukunft offen. Ihr Traum: zu lernen, als erstes Französisch.

Bettina Rühl (epd)


Kirchen helfen Flutopfern in West-Papua

Evangelische Kirchen helfen den Opfern der Flutkatastrophe in West-Papua. Die Evangelische Kirche von Westfalen, die Evangelische Kirche im Rheinland und die Vereinte Evangelische Mission (VEM) stellen der indonesischen Partnerkirche 15.000 Euro zur Verfügung, wie die westfälische und die rheinische Kirche sowie die VEM am 12. April mitteilten. Bei der Flutkatastrophe Mitte März auf West-Papua waren den Angaben zufolge 105 Menschen ums Leben gekommen, mehr als 80 Menschen werden vermisst. 4.100 Menschen seien obdachlos, hieß es.

Nach Berichten der Evangelischen Kirche in West-Papua seien auch fast vier Wochen später Häuser und Straßen unter einer dicken Schlammdecke begraben. Weil es an entsprechendem Gerät fehle, gingen die Aufräumarbeiten nur langsam voran. Der 20 Kilometer lange Sentani-See stehe noch fast zwei Meter über seinem Normalstand. Die Dörfer am Ufer des Sees seien unbewohnbar. Auch die Kirchen seien überflutet. Sintflutartige Regenfälle hätten nahe der Stadt Sentani heftige Sturzfluten und Erdrutsche ausgelöst, die Häuser und Straßen am Fuß des Zyklopgebirges seien überspült worden.



Unesco zeichnet in Myanmar inhaftierte Reuters-Journalisten aus

Der von der Unesco vergebene Guillermo-Cano-Preis für Pressefreiheit geht in diesem Jahr an die beiden in Myanmar inhaftierten Reuters-Journalisten Wa Lone und Kyaw Soe Oo. Das teilte die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur am 10. April in Paris mit. Die beiden Reporter der Nachrichtenagentur hatten über ein Massaker an Angehörigen der muslimischen Rohingya-Volksgruppe im Bundesstaat Rakhine im Westen von Myanmar berichtet. Wegen Verrats von Staatsgeheimnissen waren sie Anfang September 2018 zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihre Anwälte legten mehrfach Berufung gegen das Urteil ein, zuletzt vor dem Oberstem Gerichtshof von Myanmar.

Mit dem Preis für Wa Lone und Kyaw Soe Oo würdige die Unesco "deren Mut, Widerstand und Engagement für die freie Meinungsäußerung", sagte Jury-Präsident Wojciech Tochman. Mit ihrer Berichterstattung hätten die beiden Reporter "ein Tabuthema über Verbrechen an den Rohingya dokumentiert". Verliehen wird der mit 25.000 US-Dollar (rund 22.000 Euro) dotierte Preis am 2. Mai, einen Tag vor dem Internationalen Tag der Pressefreiheit.

Das Gesetz gegen Geheimnisverrat in Myanmar stammt noch aus der britischen Kolonialzeit. Im Zuge ihrer Festnahme im Dezember 2017 war den Reportern vorgeworfen worden, Geheimdokumente und eine Karte von Rakhine bei sich gehabt zu haben. Von dort flohen wegen einer brutalen Militäroffensive Ende August 2017 mehr als 700.000 Rohingya nach Bangladesch. Im Prozess hatte ein Polizist ausgesagt, die Journalisten seien in eine Falle gelockt worden. Ein Vorgesetzter habe die Übergabe der Dokumente lanciert, um Wa Lone und Kyaw Soe Oo unter diesem Vorwand festzunehmen.




Ausland

Semana Santa in Sevilla: Eine Stadt wird zur Passionsbühne


Prozessionsteilnehmer mit Kapuzen, die das Gesicht bedecken. Zum Zeichen ihrer Trauer tragen sie lange schwarze Gewänder (Archivbild).
epd-bild / Michael Wolfsteiner
Die Karwochenprozessionen im andalusischen Sevilla ziehen jedes Jahr Tausende Spanier und Touristen an. Ein farbenprächtiges Spektakel mit jahrhundertealter Tradition - und noch heute voller religiöser Inbrunst.

Es ist Mitternacht in Sevilla, der Himmel sternklar, ein Duft von Orangenblüten liegt in der Luft. Die geheimnisumwobene Nacht des Karfreitags bricht an. Aus dem Portal der Basilica de la Macarena treten mit schleppendem Schritt die langen Reihen der "Nazarener" mit ihren spitzen Kapuzen, das Gesicht hinter einem schwarzen oder violetten Tuch verborgen, das nur für die Augen schmale Schlitze hat, brennende Kerzen in den Händen. Die "Kapuzenmänner" der Nazarenos gehören einer der zahlreichen Bruderschaften an, die seit Jahrhunderten die Karwochenprozessionen zur Erinnerung an Leiden und Sterben Christi in der andalusischen Stadt gestalten.

Unter dem dumpfen Klang von Trommeln folgt "Jesus Nazareno el Pobre", der "arme Jesus aus Nazareth": eine lebensgroße Holzfigur, in purpurroten Samt gekleidet, die Haare wehen im Wind, auf dem Kopf eine Dornenkrone. Die Figur steht auf einem Podest, das mit Dornen mit Kerzen, silbernen Laternen und roten Nelken geschmückt ist und von 30 bis 50 jungen Männern getragen wird.

Der "arme Christus" wiegt drei Tonnen

"Pasos" heißen die Holzpodeste, auf denen die Figurengruppen der Karwochenprozessionen stehen. Sie stammen teils noch aus der Barockzeit. Bis zu drei Tonnen wiegt ein Paso. Die Träger gehen dicht an dicht unter der riesigen Plattform, von Samtvorhängen verdeckt. Sie sehen ihren Weg nicht, werden von einem Anführer mit lauten Rufen und Klopfzeichen auf dem Kopfsteinpflaster dirigiert. Wenn sie eine Kirche oder einen großen Platz passieren, stemmen sie das Holzpodest hoch und lassen den Paso unter dem Applaus des Publikums "tanzen".

Zu ohrenbetäubender Höhe schwillt der Beifall aber erst an, wenn der Paso mit der Macarena sichtbar wird, der von allen Sevillanern heiß geliebten Madonna. "Guapa! Guapa!" rufen die Menschen der Figur zu; "wunderschön" sieht sie wieder aus, die Muttergottes, in Trauer um den sterbenden Christus zusammengesunken und doch lächelnd. Ihre Gestalt verschwindet fast unter dem Brokat-Baldachin und einem Meer aus weißen Nelken.

Friedliches Miteinander

Macarena ist der Name einer arabischen Prinzessin, er erinnert an die Zeit, als die Mauren über Spanien herrschten und ein verhältnismäßig friedliches Miteinander von Muslimen, Christen und Juden in gegenseitiger Achtung möglich war. Die Madonnenfigur aus dem 17. Jahrhundert, die eine kostbare Goldkrone trägt und am in der Nacht zum Karfreitag durch die Straßen zieht, wird als Schutzpatronin, Schönheitskönigin und Stadtregentin verehrt. Die gleichnamige, 1595 gegründete Bruderschaft ist die berühmteste in Spanien.

Mit insgesamt 60.000 Bruderschaftsmitgliedern ist Sevilla immer noch die Hochburg der malerischen Prozessionen, die in Spanien, aber auch in Italien und Lateinamerika die Semana Santa prägen, die "Heilige Woche" vom Palmsonntag bis zum Ostermorgen. Unter der magischen Lichtfülle des andalusischen Himmels, in den bühnenbildhaften Straßenlabyrinthen barocker Städte, würden Tod und Leben, Liebe und Einsamkeit, Wollust und Agonie schmerzhaft intensiv empfunden - so beschrieb es einst die sevillanische Kunsthistorikprofessorin Aurora León.

Die Heilige Woche in Sevilla ist auch eine bunte Attraktion mit Straßenhändlern, die Kerzen und Luftballons verkaufen, und Nazarenos, die Bonbons an die Kinder verteilen. Aber wenn ein Paso in Sicht kommt, fließen echte Tränen, brechen emotionale Rufe heraus.

Knapp 700.000 Einwohner hat Sevilla; das heißt, ungefähr jeder zwölfte Stadtbewohner gehört einer der 57 Bruderschaften an und ist an einer der Karwochenprozessionen beteiligt, die auf exakt festgelegten Routen von den Pfarrkirchen der einzelnen Stadtbezirke zur Plaza La Campana und von dort zur Kathedrale führen.

Kapuzenmänner und Büßer

Wer nicht bei den Nazarenos, den Kapuzenmännern, oder den Costaleros, den unsichtbaren Paso-Trägern, mitmacht, gehört vielleicht zu den Penitentes, den Büßern. Sie erinnern an mittelalterliche Geißlerzüge. Und man trifft auch heute noch solche, die Holzkreuze und schwere eiserne Fußkreuze schleppen oder sich den nackten Oberkörper peitschen, um dem leidenden Christus auf seinem Kreuzweg besonders realistisch nahe zu kommen. Die Demandantes bitten bei den Zuschauern um Almosen, die Aguadores versorgen die schweißüberströmten Träger der schweren Altarbühnen mit Wasser.

Und manchmal wird es ganz still. Plötzlich hält die Prozession mit dem Paso an, das Murmeln der Menge verstummt, und auf einem Balkon stimmt jemand ein Klagelied der Muttergottes über das Leiden ihres Sohnes an, eine "Saeta". Der Gesang erinnert an den den eintönigen Gebetsruf eines Muezzins, immer wieder wird er unterbrochen durch den Ruf "Ay!", den man aus dem Flamenco kennt.

Die ersten Bruderschaften bildeten sich in Sevilla im 14. Jahrhundert - Vereinigungen, die das gemeinsame religiöse Leben pflegten und meist aus Zünften entstanden sind. Deshalb gibt es heute noch die Bruderschaften der Tischler, der Bäcker, der Rechtsanwälte, der Dienstmädchen, der Arbeiterinnen aus der Zigarettenfabrik, vor allem aber die Bruderschaften der einzelnen Stadtviertel.

Zwei Jahrhunderte später - Heimkehrer aus dem Heiligen Land hatten die Sitte des Kreuzwegs mitgebracht - begannen die Prozessionen zur Erinnerung an die Passion Jesu. Heute übernehmen sie mit Glaubensseminaren, Diskussionsveranstaltungen, Stipendien, Feriencamps, Einsatz in Krankenhäusern und Armenvierteln auch zunehmend kulturelle und soziale Aufgaben.

Christian Feldmann (epd)


Zahl der dokumentierten Hinrichtungen weltweit gesunken

Die Zahl der dokumentierten Hinrichtungen ist laut Amnesty International 2018 auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren gesunken. Demnach wurden im vergangenen Jahr mindestens 690 Menschen in etwa 20 Ländern hingerichtet, rund ein Drittel weniger als im Vorjahr mit 993 Exekutionen. 78 Prozent der Hinrichtungen fanden im Iran, Saudi-Arabien, Vietnam und dem Irak statt, heißt es in einem am 10. April veröffentlichten Bericht der Menschenrechtsorganisation.

Der Staat mit den meisten Exekutionen bleibt laut Amnesty China, wo allerdings die Zahl der vollzogenen Todesurteile nicht veröffentlich wird. Schätzungen zufolge wurden im vergangenen Jahr dort erneut Tausende Menschen hingerichtet - mehr als im Rest der Welt zusammen.

Moratorium in Gambia und Malaysia

Auf den Plätzen zwei bis fünf stünden Iran mit mindestens 253 dokumentierten Hinrichtungen, Saudi-Arabien mit 149, Vietnam mit mindestens 85 und der Irak mit mindestens 52 Exekutionen. Im Iran seien nach einer Änderung des dortigen Anti-Drogen-Gesetzes im Vergleich zu 2017 mit 507 Exekutionen weniger Menschen hingerichtet worden. Der iranische Staat setzte allerdings seine völkerrechtswidrige Praxis fort, auch unter 18-Jährige zum Tode zu verurteilen.

In den USA wurden dem Bericht zufolge 25 Menschen hingerichtet, davon allein 13 in Texas. Praktisch abgeschafft hätte dagegen die Todesstrafe die Regierung in Burkina Faso. Gambia und Malaysia hätten ein Moratorium erlassen und verzichteten bis auf weiteres auf Hinrichtungen.

Der Rückgang der weltweit dokumentierten Hinrichtungen gebe die Richtung vor, sagte der Generalsekretär vom Amnesty Deutschland, Markus N. Beeko. 142 Staaten wendeten die Todesstrafe heute nicht mehr an, 1987 seien es nur 69 gewesen. "Das ist eine wichtige Entwicklung zu einer Welt ohne Hinrichtungen", sagte Beeko.

Fast 20.000 in Todeszellen

Dieser Weg erfordere allerdings weiter den Einsatz der ganzen Staatengemeinschaft. 2018 wurden den Angaben zufolge mindestens 2.531 neue Todesurteile in 54 Ländern gefällt, mindestens 19.336 Menschen saßen im vergangenen Jahr weltweit in Todeszellen. Ihnen allen drohe der Tod durch Enthaupten, den elektrischen Stuhl, Erhängen, die Giftspritze oder Erschießen. Im Iran seien zudem zwei Menschen zum Tod durch Steinigen verurteilt worden.

Allein in Ägypten sei die Zahl der verhängten Todesurteile um mehr als 75 Prozent von 402 (2017) auf mindestens 717 im vergangenen Jahr gestiegen, sagte Beeko. "Die gestiegene Zahl der Todesurteile erinnert deutlich daran, dass alle politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Ägypten auch auf eine dringliche Verbesserung der Menschenrechtslage gerichtet sein müssen", forderte der Amnesty-Generalsekretär. Die Todesstrafe sei grausam, unmenschlich, verstoße gegen das Recht auf Leben und gegen den Geist der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.