Sie hat ein libysches Internierungslager überlebt. Jetzt sitzt die junge Frau im gehäkelten Tank-Top und mit einem schwarzen Tuch um den Kopf in einem Büro des UN-Flüchtlingshilfswerks in Niamey, der Hauptstadt Nigers. Ihren Namen möchte sie nicht nennen, aus Sicherheitsgründen. Nur ihr Alter gibt die Eritreerin preis: Sie ist 19.

Sie gehört zu der handverlesenen Gruppe von Flüchtlingen, die ganz legal mit einem bewilligten Asylantrag direkt aus Afrika in Europa einreisen. Möglich ist das nach ihrer Haft im Internierungslager durch eines sogenanntes Resettlement-Programm. Weil die Lebensbedingungen in den libyschen Lagern unmenschlich sind, bemüht sich das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) darum, möglichst viele Gefangene von dort zu befreien.

Die junge Eritreerin wird bald nach Frankreich fliegen, wann genau weiß sie nicht. "Ich bin glücklich", sagt sie dazu. Sie spricht leise, antwortet einsilbig.

300.000 Flüchtlinge im Niger

Niger sei für die 19-Jährige und Hunderte andere aus den Lagern eine Zwischenlösung, sagt Alessandra Morelli, Leiterin der UNHCR-Mission im Niger. "Die nigrische Regierung heißt die Flüchtlinge aus Libyen willkommen, aber nur vorübergehend". Niger könne nicht alle Menschen aus den libyschen Internierungslagern dauerhaft aufnehmen, weil schon 300.000 Flüchtlinge aus den Nachbarländern hier lebten, vor allem aus Mali, Nigeria und Burkina Faso.

Mehrere, überwiegend europäische Staaten haben sich bereiterklärt, insgesamt 6.300 Überlebende der Lager in Libyen aufzunehmen. Die meisten von ihnen wurden von der libyschen Küstenwache in eins der Gefängnisse gebracht, finanziert von der Europäischen Union. Europa bezahlt die libysche Küstenwache, damit sie Boote mit Migranten auf dem Mittelmeer abfängt und verhindert, dass die Menschen nach Europa kommen.

Wie brutal die Verhältnisse in den libyschen Lagern sind, verdeutlichte erst kürzlich wieder ein Bericht des britischen Senders Channel 4. Er veröffentliche Mitte März Handy-Aufnahmen, die ihm Migranten zugespielt hatten. Ihre Authentizität kann nicht geprüft werden. In dem etwa zweiminütigen Clip ist unter anderem zu sehen, wie Männer in Tarnhosen einen spärlich bekleideten Mann, der am Boden liegt, mit Feuer quälen. In einer anderen Szene wird ein Mann mit einem schweren Betonklotz traktiert.

Dennoch darf nur ein Bruchteil der Inhaftierten nach Europa. Den Umweg über die Republik Niger braucht es dafür, erläutert Morelli. "Wir können die Asylanträge in Libyen nicht prüfen, weil keine europäische Botschaft ihr Personal nach Tripolis schickt", erklärt sie. "Also haben wir den Asylraum von Libyen nach Niger ausgeweitet." Dort werden die Anträge derjenigen, die vom UNHCR für das Programm vorgeschlagen werden, von Delegationen der möglichen Aufnahmeländer geprüft.

Traum zu lernen

An dem Resettlement-Programm beteiligen sich zwölf Länder, darunter Deutschland. Bis auf Kanada und die Schweiz sind alle Mitglieder der Europäischen Union. Deutschland hat 276 Flüchtlingen aus Libyen aufgenommen. Ob weitere folgen werden, wird laut Innenministerium noch geprüft. Angaben über die Auswahlkriterien oder weitere Details machte das Ministerium auf Nachfrage nicht.

"Ich rede jetzt nicht über Zahlen, aber das Konzept ist unglaublich positiv", sagt Morelli. Ganz unwichtig sind die Zahlen aber nicht. Das UNHCR hat 53.000 Flüchtlinge in libyschen Internierungslagern als schutzberechtigt registriert. Inhaftierte, die laut den UN in ihrer Heimat nicht verfolgt werden und deshalb als Migranten bezeichnet werden, werden in dieser Erfassung nicht mitgezählt, weil das UNHCR nur für politische Flüchtlinge zuständig ist.

Die junge Eritreerin, die auf ihren Flug nach Frankreich wartet, zählt also zu einer kleinen Gruppe von Begünstigten. Eritreerinnen und Eritreer haben eine gute Chance auf einen positiven Asylbescheid. Grundlage dafür sind der lebenslange Wehr- und Nationaldienst für Männer und Frauen, die Gefahr von Folter und Misshandlungen sowie oft inhumane Haftbedingungen, vor allem für gefasste Deserteure des Nationaldienstes.

Die 19-Jährige verrät nicht viel über ihre Geschichte. "Es gibt keine Freiheit in Eritrea", sagt sie so allumfassend wie knapp. Ihre Zukunft schien durch den Zwangsdienst im Militär vorgezeichnet, dem wollte sie entgehen. Jetzt steht ihr ein großes Tor in eine unbekannte Zukunft offen. Ihr Traum: zu lernen, als erstes Französisch.