Wien ist die Welthauptstadt des sozialen Wohnungsbaus - und Europas größter kommunaler Immobilienbesitzer. Dass es dazu kam und auch über Jahrzehnte so blieb, hat seinen Grund darin, dass kommunalpolitische Kontinuität herrschte: Nur unterbrochen von der Zeit vor und im Zweiten Weltkrieg regieren in der österreichischen Hauptstadt seit 1919 die Sozialdemokraten und leben ihre Philosophie vom öffentlichen Wohnungsbau.

Den Arbeiterfamilien verpflichtet

Der Gemeindebau, wie der kommunale Wohnungsbau in Österreich heißt, begann als Experiment nach den ersten freien Wahlen vor 100 Jahren: Wien bekam damals als erste Millionenstadt der Welt eine sozialdemokratisch geführte Verwaltung. Das "Rote Wien" prägt das Stadtbild und die Wohnsituation bis heute. Denn: Bis zum Beginn des Faschismus 1934 ließ die Gemeinde mehr als 64.000 Wohnungen in 380 Gemeindehöfen errichten und kaufte fast 2,6 Millionen Quadratmeter Bauland.

Der Gemeindebau war ein zentraler Teil eines Programms zur Verbesserung der Lebenssituation der Arbeiter: Fast drei Viertel der Wiener Wohnungen waren überbelegt, marode und dunkel. Es gab 90.000 Obdachlose, Tuberkulose wurde europaweit "Wiener Krankheit" genannt. Viele Arbeiter waren sogenannte Bettgänger, das heißt: Nach der Nachtschicht hatten sie in der Wohnung einer anderen Familie ein Bett gemietet, das sie nutzten, während die eigentlichen Bewohner arbeiteten. Die Sozialbauten waren als Stadt in der Stadt angelegt - als Höfe, bei denen nur ein Fünftel der Fläche verbaut und der Rest Verkehrs-, Spiel-, und Gartenflächen waren.

Hinzu kamen oft Zentralwäschereien, Kindergärten, Sozialberatungsstellen, Schwimmbäder und Geschäfte. Finanziert wurde dies aus einer neu eingeführten zweckgebundenen Wohnbausteuer, die vom Vermieter zu entrichten war. Denn es galt ein Grundprinzip, das heute in vielen Großstädten zu hitzigen Debatten führt: Die Miete soll bezahlbar sein, Spekulation sollen unterbunden werden. "Der Mietzins ist sehr knapp berechnet. Er ist nur so groß, als zum ordentlichen Betrieb und zur ordentlichen Instandhaltung erforderlich ist. Ein Gewinn wird nicht angestrebt und erzielt", so ein Merkbüchlein aus 1928 für Mieter in Volkswohnhäusern.

Längster Wohnkomplex der Welt

Viele der Architekten waren Schüler der Jugendstil-Ikone Otto Wagner wie zum Beispiel Karl Ehn, der 1926-1933 den berühmten 1,2 Kilometer langen Karl-Marx-Hof im 19. Bezirk Heiligenstadt baute - der Vorzeigehof der Epoche und angeblich bis heute der längste Wohnkomplex der Welt. Während des Zweiten Weltkrieges unter nationalsozialistischem Regime stoppte der Bau - und der Karl-Marx-Hof bekam einen anderen Namen. Danach wurde bis heute weitergebaut, noch immer oft mit namhaften Architekten, mit vielen Gemeinschaftsflächen und dem Ziel, dass sich die Mieter die Wohnungen leisten können.

Die alten Gemeindebauten sind überall in der Stadt, wurden und werden fortlaufend saniert. Wien besitzt heute 220.000 Gemeindewohnungen und verwaltet mehr als 200.000 weitere, deren Neubau sie gefördert hat. "Wiener Wohnen" heißt die Hausverwaltung, die über all diese Immobilien wacht - die größte kommunale Hausverwaltung Europas. "Die Masse an Sozialwohnungen in Wien nimmt viel Druck aus dem Markt", sagt der Berliner Politikwissenschaftler Philipp Mattern.

Und Wien bleibt seiner Linie der kommunal gesteuerten Wohnraumwirtschaft treu: Ende vergangenen Jahres hat die Stadt eine neue Bauordnung beschlossen, die für Schlagzeilen sorgte: Alle Wohnungen, die künftig gebaut werden, müssen zu zwei Dritteln als "geförderte Wohnfläche" entstehen. Und diese Wohnungen dürfen höchstens fünf Euro pro Quadratmeter kosten. Zum Vergleich: Laut Mietspiegel wurden in Berlin für eine bis zu 80 Quadratmeter große Wohnung 2018 elf Euro je Quadratmeter verlangt. Noch teurer ist München: Hier lag laut Mietspiegel der Quadratmeterpreis der Kaltmiete im Schnitt bei 11,69 Euro.