Kirchen

Nach dem Missbrauchs-Gipfel


Missbrauchsopfer demonstrieren in Rom
epd-bild/Romano Siciliani/s
Der Papst hat das Krisentreffen zum Missbrauchsskandal mit einer allgemeinen Rede über unterschiedliche Formen von Gewalt gegen Kinder beendet. Opferverbände sehen darin eine Verharmlosung. Der Vatikan kündigte ein Dokument zum Kinderschutz an.

Als Papst Franziskus am Ende des Krisentreffens mit den Bischöfen im Vatikan sexuellen Missbrauch in die Nähe von Menschenopfern heidnischer Religionen, Sex-Tourismus, Pornografie im Internet, Organhandel und anderen Themen stellt, glauben selbst äußerst kirchenkritische Opferverbände ihren Ohren nicht. Tagelang hatten sie in Rom für einen offenen Umgang der Kirche und grundlegende Reformen demonstriert. Kardinal Reinhard Marx hatte sich als einer von wenigen Teilnehmern der Konferenz in Rom mit einigen von ihnen getroffen. Angesichts der Empörung gingen die Ankündigungen des Vatikans zwei Stunden später fast unter.

Franziskus werde ein offizielles Dokument über den "Schutz von Kindern und gefährdeten Personen" veröffentlichen und Veränderungen des Kirchenrechts veröffentlichen, kündigten die Organisatoren der Konferenz am 24. Februar an. Das Papstdokument wird in Form eines "Motu proprio" erscheinen, mit dem das Kirchenoberhaupt von ihm beschlossene Veränderungen verkündet.

Die Reformen im Kirchenrecht dürften die Forderungen nach einer Einführung von Straftatbeständen rund um sexualisierte Gewalt beinhalten. Bislang wird Missbrauch nur im Rahmen von Paragrafen um das Verbot, die Ehe zu brechen, behandelt. Überdies wird die vatikanische Glaubenskongregation ein "Vademecum" herausgeben, das Bischofskonferenzen der einzelnen Länder bei der Abfassung oder Aktualisierung ihrer eigenen Richtlinien im Umgang mit dem Phänomen Hilfe bieten soll.

Marx für kirchliche Verwaltungsgerichte

Zuvor hatten Bischöfe und Ordensobere aus aller Welt gemeinsam mit Kurienkardinälen drei Tage lang Berichte von Opfern angehört und konkrete Vorschläge gemacht. Eine Frau berichtete, wie sie als Jugendliche über Jahre von einem Priester mit Prügeln zum Sex und anschließend zu Abtreibungen gezwungen wurde, weil er keine Lust auf Verhütungsmittel gehabt habe.

Kardinal Marx rief bei der Konferenz zur Einführung von Verwaltungsgerichten in der katholischen Kirche auf, die den Umgang mit Missbrauch überprüfbar und einklagbar machen. Sogar das Päpstliche Geheimnis solle dafür eingeschränkt werden.

Im Verhältnis zur im Vatikan üblichen Geheimhaltung und Achtung einer weitgehenden Autorität der Bischöfe waren Berichte von Missbrauchsopfern über die Taten und deren Vertuschung sowie Forderungen nach Rechenschaftspflicht revolutionär. So offen waren Missstände in der katholischen Kirche im Vatikan noch nie ausgesprochen worden.

Doch nach dem Krisengipfel ist vor dem Gipfel: Vom 25. Februar an wollen die Organisatoren des Gipfels gemeinsam mit Chefs von Kurienbehörden im Vatikan über das weitere Vorgehen und die Umsetzung der zahlreichen Vorschläge der vergangenen Tage beraten.

Dabei gilt es jedoch zunächst, den durch die Papstbotschaft zum Abschluss des Gipfels entstandenen Glaubwürdigkeitsverlust auszugleichen. Er hatte zu Beginn der Tagung konkretes Handeln gefordert und stellte das Thema am Ende als allgemeines Menschheitsübel dar, das laut den UN in neun von zehn Fällen bei Mädchen im Rahmen der Familie stattfinde.

Bettina Gabbe (epd)


Westfälische Kirche beruft Beauftragte für Missbrauchsopfer

Die Evangelische Kirche von Westfalen hat die Kirchenrätin Daniela Fricke zur Beauftragten für Missbrauchsopfer berufen. Die 51-jährige Theologin werde den Opfern von Missbrauch und Gewalt in der Kirche als Ansprechperson zur Verfügung zu stehen, teilte die westfälische Kirche am 18. Februar in Bielefeld mit. Zu ihren Aufgaben gehöre unter anderem, zu beraten, Hilfen zu vermitteln, die Aufklärung zu befördern und für die Ansprüche der Opfer einzutreten.

Präventionsausbau

Mit der hauptamtlichen Beauftragten für den Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung setze die westfälische Kirche eine klares Zeichen und schaffe eine handlungsfähige Struktur im Kampf gegen Missbrauch, erklärte die westfälische Landeskirche weiter. Fricke werde die Landeskirche sowie Kirchengemeinden und Kirchenkreise beim konsequenten und angemessenen Umgang mit Fällen unterstützen. Zudem soll die Beauftragte das bereits vorhandene System der Prävention im Bereich der westfälischen Kirche ausbauen und auf eine gesetzliche Grundlage stellen.

Es müsse auf allen Ebenen der Kirche "ein wirksames System von Prävention, Intervention und Aufarbeitung entstehen", erklärte die künftige Beauftragte. Fricke soll auch die systematische Aufarbeitung von Vorgängen in der Vergangenheit weiter vorantreiben.

Die 1967 geborene Fricke war von 1999 bis 2015 Pfarrerin im Kirchenkreis Vlotho, bevor sie als Referentin für Seelsorge und Beratung ins Bielefelder Landeskirchenamt berufen wurde. Der Umgang mit Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung fiel nach Angaben des Landeskirchenamtes bereits in dieser Zeit in ihren Aufgabenbereich. Künftig werde sie ihren Dienst ganz auf diese drängende Aufgabe konzentrieren, hieß es.



Zahl der Kirchenasyle stark zurückgegangen


Ein Paar im Kirchenasyl (Archivbild)
epd-bild / Stefan Arend
Im vergangenen Jahr haben die Innenminister die Regeln fürs Kirchenasyl verschärft. Flüchtlinge können nun auch nach 18 Monaten noch abgeschoben werden. Die Zahl der Fälle ist seitdem stark zurückgegangen. Das Innenministerium wertet das als Erfolg.

Die strengeren Regeln beim Kirchenasyl haben zu einem starken Rückgang der Fallzahlen geführt. Von Anfang August bis Jahresende 2018 wurden dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 341 Fälle gemeldet, in denen Gemeinden abgelehnten Flüchtlingen Schutz gewährten, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Das war ein drastischer Rückgang: Bis Ende Juli vergangenen Jahres summierten sich die Fälle noch auf 1.180.

Zwischen Januar und August verzeichnete das Bundesamt der Statistik zufolge monatlich rund 150 bis 200 Fälle. Ab August lagen die Zahlen dann nur noch im zweistelligen Bereich. Im August selbst waren es 57, im September 76 Fälle. Im Januar dieses Jahres gab es einen Tiefststand mit 47 Fällen.

Frist verlängert

Im Juni vergangenen Jahres hatten die Innenminister von Bund und Ländern eine Verschärfung der Praxis beim Kirchenasyl beschlossen, nachdem sie den Kirchen zuvor mehrfach vorgeworfen hatten, sich nicht an Verfahrensabsprachen zu halten. Die staatlichen Behörden bemängelten unter anderem, dass in vielen Fällen keine Dossiers abgegeben wurden oder Menschen das Kirchenasyl auch dann nicht verlassen haben, wenn das Bundesamt nach nochmaliger Prüfung ein Asylbegehren abgelehnt hat.

Seit August 2018 können die Behörden die Frist für den sogenannten Selbsteintritt von 6 auf 18 Monate erhöhen, was im Ergebnis dazu führt, dass die Asylsuchenden länger mit einer Ausweisung aus Deutschland rechnen müssen. Bei vielen Fällen von Kirchenasyl handelt es sich um sogenannte Dublin-Fälle, für die ein anderer EU-Staat zuständig wäre. Deutschland kann diese Flüchtlinge binnen sechs Monaten in das andere EU-Land zurückschicken, ansonsten ist die Bundesrepublik selbst für das Verfahren zuständig. Das Kirchenasyl sorgt oft für ein Überschreiten dieser Frist. Mit der Verlängerung auf anderthalb Jahre soll es erschwert werden, dass sich Menschen unter kirchlicher Obhut der EU-Regelung entziehen.

Ministerium: "positives Signal"

Die Fristverlängerung habe sicherlich zu den gesunkenen Zahlen geführt, sagte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums am 22. Februar in Berlin. Sie wertete den Rückgang als "positives Signal". Kirchenasyl könne nur dann Sinn ergeben, wenn sich alle Beteiligten an Verfahrensabsprachen halten, sagte sie. Zwischen Staat und Kirchen hatte es lange Zeit Streit ums Kirchenasyl gegeben.

Aus den Zahlen des Ministeriums geht auch hervor, dass nur für einen geringen Prozentsatz der Kirchenasyl-Fälle das Bundesamt nach nochmaliger Prüfung von sich aus den Selbsteintritt erklärte: von den insgesamt mehr als 3.000 Fällen von Januar 2017 bis heute in nur 158 Fällen. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg kritisierte dies und verwies auf die Verschärfungen für Flüchtlinge in Italien. "Den zurückgeschickten Asylsuchenden droht damit de facto die Obdachlosigkeit in Italien - ein unhaltbarer Zustand, auf den die Kirchengemeinden durch die Gewährung von Kirchenasylen zu Recht hinweisen", sagte sie.

Nach der Kritik der Behörden an den Kirchen ist im vergangenen Jahr auch die Zahl der Dossiers gestiegen, die Gemeinden über die Fälle erstellen sollen. Während 2017 beim Bundesamt noch knapp 800 Dossiers eingingen, waren es 2018 mehr als 1.000. Die Zahl der Kirchenasyle insgesamt war 2018 leicht von 1.561 auf 1.521 gesunken.



Westfälische Kirche: Flüchtlingsbürgen gleichermaßen entlasten

Inwieweit Bürgen von Flüchtlingen weiterhin mit Zahlungsaufforderungen rechnen müssen, bleibt auch nach der angekündigten Lösung offen. Die westfälische Kirche dringt auf eine faire Regelung für alle Betroffenen.

In der Debatte um staatliche Rückforderungen gegenüber Flüchtlingsbürgen hat sich die westfälische Kirche an NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) gewandt. Die Kirche habe Stamp in einem Brief dringend gebeten, sich für eine Lösung einzusetzen, bei der alle Bürgen bei der Entlastung von staatlichen Rückforderungen gleich behandelt würden, sagte Landeskirchenrat Thomas Heinrich dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bielefeld. Bei der angestrebten Lösung zugunsten der Flüchtlingsbürgen sei eine Differenzierung nach der Art der Sozialleistungen oder der Zuständigkeiten von Bund und Ländern nicht nachvollziehbar.

Brief an Integrationsminister

Da die Bürgen stets aufgrund des gleichen Paragrafen des Aufenthaltsgesetzes in Haftung genommen werden sollten, sei eine Gleichbehandlung geboten, hieß es in dem Brief des Landeskirchenamtes an den NRW-Integrationsminister. Eine zwischen Bund und Ländern gefundene Lösung solle zudem auch für "bereits bestands- und rechtskräftige Bescheide" gelten. Die westfälische Kirche betonte in dem Schreiben, dass es nicht um eine vollständige Freistellung der Verpflichtungsgeber gehe, sondern "eben nur ab dem Zeitpunkt der staatlichen Flüchtlingsanerkennung".

Seit 2017 hatten Jobcenter und Sozialämter Rechnungen in bis zu sechsstelliger Höhe an Personen oder Initiativen verschickt, die sich vor mehreren Jahren verpflichtet hatten, für den Lebensunterhalt syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge aufzukommen. Die Geltungsdauer der Verpflichtungen war damals jedoch unklar.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte Ende Januar erklärt, Bund und Länder hätten sich auf eine Lösung des Konflikts verständigt. Wer vor August 2016 rechtlich falsch beraten worden sei oder für wen die Rückforderung eine besondere Härte darstelle, der müsse nicht zahlen. Heil kündigte an, die Jobcenter entsprechend anzuweisen. Von den Forderungen der Sozialämter war in der Stellungnahme nicht die Rede. Initiativen äußerten die Befürchtung, dass es zu Einzelfallprüfungen kommen könnte und Bürgen weiterhin mit Zahlungsaufforderungen rechnen müssten. Derzeit erarbeiten Bund und Länder nach eigenen Angaben die Details der Lösung.

Zwischen 2013 und 2015 hatten Schätzungen zufolge rund 7.000 Menschen in Deutschland Verpflichtungserklärungen abgegeben, durch die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf sicherem Weg einreisen konnten. Die Bürgen waren davon ausgegangen, nur so lange für den Lebensunterhalt der Flüchtlinge aufkommen zu müssen, bis die Asylverfahren positiv beschieden sind. Diese Position vertraten damals unter anderem Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen, nicht aber der Bund. Erst das Integrationsgesetz bestimmte im August 2016 eine Fünf-Jahres-Frist, die für Altfälle auf drei Jahre reduziert wurde. Zahlreiche Betroffene ziehen gegen die Kostenbescheide vor Gericht.



Kirchen rufen zur "Klimafasten"-Aktion auf


Gesunde und umweltfreundliche Alternative zum Auto: Radfahren
epd-bild / Jens Schulze

Bei der Aktion "Klimafasten" rücken in diesem Jahr ab 6. März erneut Kirchen und Bistümer den Klimaschutz in den Mittelpunkt der Fastenzeit. Zu der vom Institut für Kirche und Gesellschaft der westfälischen Kirche ins Leben gerufenen Aktion laden in diesem Jahr insgesamt elf evangelische Landeskirchen und drei katholische Bistümer ein, wie Evangelische Kirche von Westfalen am 19. Februar in Bielefeld mitteilte. Die siebenwöchige Aktion "Klimafasten" von Aschermittwoch (6. März) bis Ostersonntag (21. April) soll dazu anregen, das eigene Handeln im Alltag zu überdenken und bewusster auf die Umwelt zu achten.

"Konkrete Einübung einer Ethik des Genug"

Mit dem Klimafasten ließen sich verschiedene Schritte für klimafreundliche Alternativen im eigenen Alltag ausprobieren, erläutert der Umweltpfarrer der westfälischen Kirche, Volker Rotthauwe. Es gehe um die konkrete Einübung einer Ethik des Genug. Das Klimafasten steht unter dem Motto "So viel du brauchst..." (2. Mose 16)

Die von der Evangelischen Kirche von Westfalen angestoßene Aktion geht bereits in die sechste Runde. In diesem Jahr beteiligen sich den Angaben nach neben der rheinischen und lippischen Kirche auch die Landeskirchen Bremen, Oldenburg, Hannover, Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz sowie Kurhessen-Waldeck, Baden und Württemberg am Klimafasten. Außerdem sind die Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland und die katholischen Bistümer Hildesheim, Berlin und Passau mit dabei.

Eine kostenlose, online abrufbare Broschüre gibt praktische Anregungen zum Leben mit ressourcenschonender Energie, weniger Konsum und mehr Zeit zur inneren Einkehr.



Eröffnung des Kirchentages mit drei zentralen Gottesdiensten

Der Kirchentag in Dortmund wird am 19. Juni mit drei großen Gottesdiensten eröffnet. Die Predigten halten die westfälische Präses Annette Kurschus, die Ökumene-Beauftragte der rumänischen evangelischen Kirche, Elfriede Dörr, sowie die Offenbacher Pfarrerin Henriette Crüwell, wie der Kirchentag am 22. Februar in Dortmund bekanntgab. Der Gottesdienst mit der Präses Kurschus wird auch im Fernsehen übertragen.

Beim Schlussgottesdienst am 23. Juni predigt die hannoversche Pastorin der ökumenischen Bewegung "Kirchehoch2", Sandra Bils, im Signal Iduna Park. Parallel dazu gibt es auf der Seebühne im Westfalenpark einen Gottesdienst mit der Superintendentin des mitteldeutschen evangelischen Kirchenkreises Altenburg, Kristin Jahn. Beim zentralen ökumenischen Gottesdienst an Fronleichnam (20. Juni) werden die Dortmunder Superintendentin Heike Proske sowie der katholische Stadtdechant Andreas Coersmeier im Dialog predigen, wie es hieß.

Ehrenamtliche Helfer gesucht

Die Predigten der großen Gottesdienste beschäftigten sich mit den zentralen Kirchentagstexten, die auf Vorschlag von Jugendlichen um das Themenfeld Vertrauen ausgesucht wurden, erklärte der Kirchentag. Die Eröffnungsgottesdienste beginnen mit der Losung des Kirchentages "Was für ein Vertrauen". Der Schlussgottesdienst steht unter der Aufforderung "Werft euer Vertrauen nicht weg".

Der Kirchentag wirbt noch um ehrenamtliche Helfer. Einen Anlaufpunkt gibt es im Reinoldiforum, dem Informationszentrum der Evangelischen Kirche in Dortmund. Zudem bietet eine mobile Bude vor der Kirche St. Reinoldi Infos. Ehrenamtliche Helfer sind unter anderem als Auskunft, bei der Einlasskontrolle, bei der Schalverteilung, beim Papphockerfalten und im Kirchentags-Shop im Einsatz. Zum Deutschen Evangelischen Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund erwarten die Veranstalter rund 100.000 Dauerteilnehmer.



Kurschus: Kirchentag wird Zeitansage


Annette Kurschus
epd-West/EKvW/Jörg Dieckmann

Der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag, der im Juni in Dortmund zu Gast ist, wird nach den Worten der westfälischen Präses Annette Kurschus "ein großes Fest des Glaubens" werden. Bei dem Protestantentreffen sollten zudem aktuelle Fragen aufgegriffen werden, sagte die Theologin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch die Vielfalt der Ruhrgebietsmetropole Dortmund und der gastgebenden Evangelischen Kirche von Westfalen sollten deutlich werden.

epd: Welche Hoffnungen verbinden Sie mit dem Kirchentag in Dortmund?

Kurschus: Der Kirchentag wird ein großes Fest des Glaubens, das inspirierend und orientierend in unsere Kirche hineinwirkt und weit über sie hinaus ausstrahlt. Der Kirchentag wird eine Zeitansage - er greift aktuelle Fragen auf, thematisiert sie im Licht des Evangeliums, bringt Menschen darüber in leidenschaftliche Gespräche, bezieht Position. Der Kirchentag wird ein Fest der Kultur - vielfältig, anspruchsvoll, lebendig. Und das Ganze in Dortmund, wo man immer wieder mit tiefgreifenden Umbrüchen umgehen musste, wo man Konflikte und Probleme nicht verdrängt, sondern beherzt anpackt. Von dem rauen und zugleich herzlichen Charme dieser Stadt wird auf diesem Kirchentag etwas spürbar sein.

epd: Der Kirchentag hat sich früh klar zur AfD positioniert, keine Podien für Funktionäre zu bieten und zugleich Gespräche mit AfD-Sympathisanten zu suchen. Was erleben Sie an Reaktionen darauf?

Kurschus: Unsere Landessynode hat die Entscheidung des Kirchentagspräsidiums mit Beifall aufgenommen. Es gibt durchaus auch bedenkenswerte Einwände, die ich nachvollziehen kann. Doch insgesamt überwiegt die Zustimmung.

epd: Inwieweit spiegelt der Dortmunder Kirchentag Westfalen und die westfälische Landeskirche?

Kurschus: Dieser Kirchentag ist eine gemeinsame westfälische Sache. In besonderer Weise wird man das am Abend der Begegnung erleben, wo sich die Vielfalt unserer Regionen zeigen wird und alle miteinander als gute Gastgeber beteiligt sind. Jede Dortmunder Kirchengemeinde hat in der Vorbereitung auf den Kirchentag einen der 28 westfälischen Kirchenkreise als Partner - die beste Voraussetzung dafür, dass die ganze Landeskirche die Tage im Juni mitgestaltet und prägt.

epd-Gespräch: Holger Spierig


Verlosung zum Kirchentag: BVB-Karten für private Gastgeber

Der Versicherungskonzern Signal Iduna verlost jeweils zehn VIP- und Tribünenkarten für ein Heimspiel von Borussia Dortmund an Menschen, die Privatunterkünfte für die Besucher des evangelischen Kirchentags bereitstellen. "Für die erwarteten Gäste fehlen noch rund 7.000 Privatunterkünfte", sagte der Vorsitzende der Vorstände der Versicherungsgruppe, Ulrich Leitermann, am 22. Februar in Dortmund. Deshalb unterstütze das Unternehmen die Kampagne des Kirchentages "Noch Platz im Revier", mit der Privatquartiere in Dortmund und in der Region gesucht würden.

"Ein Bett, ein Sofa oder eine Liege und ein kleines Frühstück am Morgen reichen völlig aus", betonte Leitermann. Bei der Verlosung werden Tickets für ein Heimspiel des BVB in der kommenden Saison vergeben. Signal Iduna ist Sponsor des Fußball-Bundesligisten, seit Ende 2005 trägt das ehemalige Westfalenstadion den Namen des Versicherungskonzerns.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag besteht seit 1949 und findet alle zwei Jahre in einer anderen Großstadt statt. Zum Kirchentag vom 19. bis 23. Juni in Dortmund erwarten die Veranstalter rund 100.000 Dauerteilnehmer. Das Treffen steht unter der Losung "Was für ein Vertrauen".



Schließung evangelischer Kirchen in NRW hält an

Weniger Mitglieder, weniger Kirchen: Etliche evangelische Kirchengemeinden haben in den vergangenen Jahren Kirchengebäude aufgeben, verkaufen oder abreißen müssen, wie eine epd-Umfrage zeigt. Von 2008 bis 2018 schloss alleine in der Evangelischen Kirche im Rheinland etwa jede zehnte Kirche die Türen: 150 Kirchengebäude wurden nach Angaben der Landeskirche in diesem Zeitraum entwidmet, zwischen neun und 22 pro Jahr. Im gleichen Zeitraum ging die Zahl der Protestanten im Rheinland von 2,9 auf 2,5 Millionen zurück.

In der Evangelischen Kirche von Westfalen sank die Mitgliederzahl seit dem Jahr 2000 von rund 2,7 Millionen auf rund 2,2 Millionen in 2018. Auch hier hatte der Mitgliederrückgang Auswirkungen: Von 2001 bis 2018 wurden 78 der mehr als 900 Kirchen aufgegeben, außerdem 61 weitere Gottesdienststätten. Durchschnittlich waren es fünf aufgegebene Kirchen pro Jahr. Die meisten wurden im Jahr 2007 verzeichnet, in dem elf Kirchen aufgegeben wurden. 2018 waren es drei. 26 ehemalige Kirchen wurden verkauft, zehn vermietet und zwölf abgerissen. Bei 18 entwidmeten Kirchen ist laut aktueller Statistik der viertgrößten Landeskirche noch offen, was mit ihnen geschieht, weitere zwölf Gebäude fallen unters Erbbaurecht.

Rheinischer Vizepräses für neue Nutzung als Orte der Gemeinschaft

Nachdem in den 1960er bis 1980er Jahren noch viele neue evangelische Kirchen und Gemeindehäuser gebaut worden seien, heiße es nun "Abschied nehmen und loslassen", sagte der rheinische Vizepräses Christoph Pistorius dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Düsseldorf. Das falle vielen Menschen nicht leicht, weil sie dort bedeutsame Ereignisse wie ihre Hochzeit oder die Taufe ihres Kindes erlebt hätten. "Menschen bewegt es, wenn sie hören, dass 'ihre' Kirche geschlossen wird", sagte der Theologe. Veränderungen erforderten Mut und Vertrauen.

Gut sei es, wenn aufgegebene Kirchen neu genutzt werden und weiterhin als "Treffpunkt oder Ort der Gemeinschaft" dienen könnten, sagte Pistorius. In Essen wurde beispielsweise die Neue Pauluskirche nach ihrer Entwidmung zu einem Seniorenzentrum und einer Kindertageseinrichtung umgebaut. "Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass nicht immer der Erhalt eines Gebäudes möglich ist", räumte der Theologe ein.

Auch die gemeinsame Nutzung einer Kirche durch evangelische und katholische Gemeinden sei "ein wegweisendes Zeichen", erklärte der Vizepräses. Im Gebiet der rheinischen Landeskirche gibt es den Angaben zufolge bereits fünf solcher "ökumenischen Wohngemeinschaften", davon eine in Essen in einer evangelischen Kirche, die anderen in Aachen, Mettmann und Krefeld.

In der lippischen Kirche - mit rund 159.000 Mitgliedern eine der kleinen der 20 Landeskirchen in Deutschland - ist die Aufgabe von Kirchengebäuden indes kein Thema. Bislang sei im Jahr 2014 eine evangelische Kirche in Bad Salzuflen an eine Freikirche verkauft und ein Jahr später umgewidmet worden, sagte Öffentlichkeitsreferentin Birgit Brokmeier dem epd. "Derzeit steht in Lippe keine Kirche leer, ist vermietet, verkauft oder zum Verkauf stehend." Zur Lippischen Landeskirche gehören 69 Kirchengemeinden mit insgesamt rund 90 Kirchen.



Heilige Leere


Essen statt Beten: das Bielefelder Restaurant "Glückundseligkeit" in der ehemaligen Martini-Kirche im Stadtteil Gadderbaum
epd-bild/Norbert Neetz
Zu groß und zu teuer: Immer mehr evangelische Gemeinden müssen über die Zukunft ihrer Kirchen beraten. Doch die Entscheidung über Umnutzung, Verkauf oder Abriss erfordert Fingerspitzengefühl. Einige Initiativen haben kreative Ideen.

Wohnungen, Restaurants, Synagogen und Moscheen: Wenn Kirchen nicht mehr für den Gottesdienst gebraucht werden, erhalten viele ein zweites Leben in einer neuen Funktion. Immer mehr evangelische Gemeinden in Deutschland müssen sich mit der Zukunft ihrer Kirchengebäude beschäftigen. Weil die Mitglieder weniger werden, bleibt manchmal nur die Entscheidung für eine Entwidmung, also die Aufgabe als sakrales Gebäude. In fast allen der 20 Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mussten Kirchen bereits aufgegeben werden, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) ergab.

2008 etwa kaufte die liberale jüdische Gemeinde Hannover die Gustav-Adolf-Kirche in Hannover, seit 2009 ist sie eine Synagoge. In Bielefeld wurde 2005 die Martini-Kirche vollständig saniert und als Restaurant neu eröffnet. In Berlin wurde die ehemalige Ananiaskirche verkauft und zu Wohnungen umgebaut. In Mecklenburg-Vorpommern entstand ein Orgelmuseum in einer ehemaligen Klosterkirche. Solche Fälle könnten sich in Zukunft häufen.

Kein finanzieller Druck

Nach Ansicht von Experten wird das Problem ungenutzter und leerstehender Kirchen in den kommenden Jahrzehnten größer werden. Nach Ansicht der Karlsruher Architektur-Professorin Kerstin Gothe wird das Problem derzeit noch kleingeredet. Viele Landeskirchen versuchen derzeit noch, all ihre Kirchengebäude zu halten, auch wenn dort nicht mehr regelmäßig ein Gottesdienst stattfindet, wie die epd-Umfrage ergab. Durch die gute Steuersituation sei der finanzielle Druck, sich mit dem Thema zu beschäftigen erst einmal raus, sagt Gothe. Doch für Gemeinden sei es wichtig, sich frühzeitig mit Lösungen zu befassen.

In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der verkauften und entwidmeten Kirchen besonders hoch. In der Evangelischen Kirche im Rheinland wurden zwischen 2008 und 2018 150 Kirchen entwidmet. Seit 2001 wurden in der Evangelischen Kirche von Westfalen 78 Kirchen und 61 weitere Gottesdienststätten aufgegeben. Die Landesinitiative Stadt-Bau-Kultur geht davon aus, dass bis zu 30 Prozent der rund 6.000 Kirchengebäude in Nordrhein-Westfalen (die katholischen mit eingerechnet) auf Dauer leerstehen werden. Die Initiative hat im Februar das Projekt "Zukunft - Kirchen - Räume" gestartet, das Gemeinden bei der Entscheidung über die Umnutzung ihrer Kirchen beraten soll.

Denn oftmals sind besondere bau- und kirchenrechtliche Aspekte zu beachten. Zum Beispiel stehen viele Kirchen unter Denkmalschutz und sind daher vor dem Abriss und bestimmten baulichen Veränderungen geschützt. Grundsätzlich ist die Aufgabe einer Kirche ohnehin eine emotionale Angelegenheit. "Kirchen haben oft eine besondere Bedeutung im Leben der einzelnen Menschen", sagt die Expertin Kerstin Gothe.

Schauplatz von Übergangsritualen

Sie seien Schauplatz von Übergangsritualen wie Taufen, Einschulungen, Konfirmationen, Hochzeiten und Begräbnissen. Daher wirkten Kirchen auch für Menschen identitätsstiftend, die sonst wenig mit der Kirche zu tun hätten. Gleichzeitig prägen Sakralgebäude auch das Erscheinungsbild von Städten und Dörfern. "Oft sieht man den Kirchturm, bevor man die Häuser eines Ortes sieht", sagt Gothe. Daher sei es verständlich, wenn Bürger etwas gegen Kirchenabrisse einzuwenden haben.

Im Osten und in der Mitte Deutschlands sind leerstehende Dorfkirchen für die Gemeinden eine Herausforderung. Zur Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), die sich über Thüringen, Teile Sachsen-Anhalts, Sachsens und Brandenburgs erstreckt, gibt es 4.000 Kirchen. Das sind nach Angaben der Landeskirche 20 Prozent aller evangelischen Kirchen in Deutschland. Allein in Thüringen gehören 2.000 Kirchen zur EKM, 99 Prozent davon sind denkmalgeschützt. Wie viele von ihnen überwiegend leerstehen, lasse sich nicht beziffern, teilt der Pressesprecher mit.

Dass es viele sind, zeigt ein Projekt der Landeskirche zusammen mit der Internationalen Bauausstellung Thüringen (IBA). 2017 wurden Ideen für alternative oder zusätzliche Nutzungen für überwiegend leerstehende Kirchen gesammelt. 500 wurden in einem Katalog veröffentlicht, sieben werden derzeit in die Tat umgesetzt. Darunter eine Herbergskirche, die über die Online-Plattform Airbnb vermietet wird, eine Gesundheitskirche und eine Bienengartenkirche.

Kerstin Gothe empfiehlt Gemeinden, sich früh um Kooperationen mit Vereinen oder der öffentlichen Hand zu bemühen, um gemeinsam zu überlegen, wie man Kirchen erhalten könne. Aber: "Es gibt überhaupt keine Rezepte. Jede Gemeinde muss schließlich ihren eigenen Weg finden."

Franziska Hein (epd)


Sozialpolitischer Aschermittwoch zum Thema Armut und Teilhabe

Die Evangelische Kirche im Rheinland und das katholische Bistum Essen laden am 6. März wieder zum Sozialpolitischen Aschermittwoch ein. Thema des Treffens in der Oberhausener Tafelkirche ist "Armut und Teilhabe in Deutschland", wie die rheinische Kirche und das Ruhrbistum am 22. Februar ankündigten. Präses Manfred Rekowski und Bischof Franz-Josef Overbeck diskutieren mit der Vorsitzenden des Oberhausener Tafelvereins, Petra Schiffmann, und dem Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann Stiftung, dem früheren niederländischen Arbeits- und Sozialminister Aart Jan de Geus.

Die Tafelkirche Oberhausen ist eine ehemalige katholische Kirche, in der seit 2008 die Oberhausener Tafel Lebensmittel an bedürftige Menschen ausgibt. Zum Sozialpolitischen Aschermittwoch laden die Evangelische Kirche im Rheinland und das Ruhrbistum seit 1998 gemeinsam ein. Damit wollen sie einen politischen Akzent aus christlicher Perspektive setzen.



Ökumenischer Predigtpreis 2019 für Professoren aus Köln und Konstanz

Der ökumenische Predigtpreis geht in diesem Jahr an zwei Professoren aus Köln und Konstanz. Für ihr Lebenswerk werden am 6. März der Organist Johannes Geffert von der Musikhochschule Köln und Hans-Georg Soeffner von der Uni Konstanz ausgezeichnet, wie die Jury am 23. Februar in Bonn mitteilte. Die Wissenschaftler hätten auf profilierte Weise auf die christliche Praxis in der modernen Gesellschaft eingewirkt.

Preisträgerin für die beste Predigt des Jahres ist Pfarrerin Cordula Schmid-Waßmuth aus Nienburg. Ihre Predigt in einer deutschsprachigen Gemeinde in der amerikanischen Hauptstadt Washington sei auf ein großes Echo gestoßen, hieß es.

Der Professor für Orgel und Improvisation Geffert habe die evangelische Kirchenmusik über Jahrzehnte inspiriert, erklärte die Jury. Soeffner wird für seine kritisch-konstruktive Kommentierung der christlichen Predigt ausgezeichnet.

Der ökumenische Predigtpreis würdigt seit 20 Jahren traditionell am Buß- und Bettag die Redekunst in den Kirchen. Dieses Jahr findet die Verleihung erstmals am Aschermittwoch statt. Die nicht dotierte Auszeichnung besteht aus einer Bronzeplakette. Zu den bisherigen prominenten Trägern des ökumenischen Predigtpreises für ihr Lebenswerk zählen Norbert Lammert, Margot Käßmann, Hanns Dieter Hüsch und Walter Jens.



Die komplette Bibel jetzt in 692 Sprachen

Die vollständige Bibel gibt es jetzt in 692 Sprachen. Das seien 18 Komplettübersetzungen mehr als im Vorjahr, teilte die Deutsche Bibelgesellschaft unter Berufung auf den Weltverband der Bibelgesellschaften am 18. Februar in Stuttgart mit. Neu sind den Angaben zufolge beispielsweise Minderheitensprachen aus Indonesien, Myanmar und Surinam. Insgesamt hätten damit rund 5,6 Milliarden Menschen Zugang zu allen Texten des Alten und Neuen Testaments in ihrer Muttersprache. Die Bibelgesellschaften gehen von weltweit rund 7.350 Sprachen aus, zu denen auch 245 Zeichensprachen für Gehörlose gezählt werden.

Darüber hinaus seien im vergangenen Jahr auch einzelne Teile und Schriften der Bibel in weitere Sprachen übersetzt worden. So liege das Neue Testament nun auch in Blin und Gondi vor. Blin wird den Angaben zufolge in Eritrea von rund 112.000 Menschen gesprochen, Gondi wird in Indien genutzt.

Die Bibelgesellschaften legen zudem einen verstärkten Schwerpunkt auf Zeichensprachen, um den 70 Millionen Gehörlosen weltweit einen Zugang zur biblischen Botschaft zu ermöglichen. So seien 2018 unter anderem Schriften in ungarischer und japanischer Gebärdensprache publiziert worden, heißt es in der Pressemitteilung. Ein weiterer Fokus sei die Arbeit für blinde und sehbehinderte Menschen. So sei zum Beispiel erstmals eine Bibel in Blindenschrift für Luganda sprechende Menschen in Uganda entwickelt worden.




Gesellschaft

Mit Kippa und Tee in den Karneval


Michael Szentei-Heise von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf zeigt den Entwurf Jacques Tillys für den "Toleranzwagen".
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
In Köln gibt es erstmals seit der NS-Zeit wieder einen jüdischen Karnevalsverein, in Düsseldorf wollen sich Muslime närrisch organisieren. Sie möchten im Karneval sichtbar sein - und jenseits von Herkunft und Religion einfach gemeinsam feiern.

Eigentlich haben ja alle Kölner einen Migrationshintergrund. So heißt es zumindest in der Karnevals-Hymne "Unser Stammbaum" der Kölsch-Band "Bläck Fööss": Schließlich habe die Geschichte der Domstadt vor rund 2.000 Jahren mit der Ankunft der Römer am Rhein begonnen. Vielfalt und Toleranz gehört inzwischen zum Selbstverständnis des gesamten rheinischen Karnevals. "Dennoch trauen sich viele Muslime nicht mitzumachen", beobachtet Ataman Yildirim. Der Düsseldorfer Pädagoge ist derzeit damit beschäftigt, den ersten muslimischen Karnevalsverein ins Leben zu rufen.

Diesen Schritt haben einige jüdische Jecken in Köln schon getan: Sie haben die "Kölsche Kippa Köpp" gegründet, den ersten jüdischen Karnevalsverein seit der Nazi-Zeit. In dieser Session laden sie erstmals zu einer Veranstaltung ein.

Der Verein sehe sich in der Tradition des "Kleinen Kölner Klubs", eines jüdischen Karnevalsvereins, der unter den Nationalsozialisten aufgelöst wurde, sagt Vorsitzender Aaron Knappstein. Den beiden Vereinsgründern, Willi und Max Salomon, gelang es, rechtzeitig nach Palästina und in die USA auszuwandern. Andere Mitglieder aber wurden von den Nazis ermordet.

"Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz"

Während der NS-Diktatur beteiligten sich auch Karnevalisten an judenfeindlicher Hetze. Bereits 1934 rollte der erste antisemitische Mottowagen im Kölner Rosenmontagszug. Lange Zeit hätten die Vereine die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit des Karnevals abgelehnt, sagt der Kölner Historiker Marcus Leifeld.

Seit einigen Jahren finde die Beschäftigung mit diesem Thema jedoch verstärkt statt, angeregt unter anderem durch die Ausstellung "Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz" im Kölner NS-Dokumentationszentrum 2012. "Inzwischen schaut man genau hin und tritt für Toleranz ein", beobachtet Leifeld.

Der Vorschlag zur Gründung eines jüdischen Vereins kam sogar von höchster karnevalistischer Stelle. Christoph Kuckelkorn, Präsident des Festausschusses des Kölner Karnevals, habe jüdische Karnevalisten darauf angesprochen, die Tradition wieder aufleben zu lassen, sagt Aaron Knappstein.

"Wir wollen aber gar nichts Spezielles sein", betont Knappstein, der wie einige andere der zwölf Gründungsmitglieder bereits seit Jahren im Kölner Karneval aktiv ist. "Es gibt keinen jüdischen Karneval." Den Mitgliedern gehe es nicht um Abgrenzung, sondern darum, an den historischen Verein zu erinnern und wieder sichtbar zu werden.

Der Verein stehe auch Nicht-Juden offen. "Es gibt bereits einige nicht-jüdische Interessenten", sagt Knappstein. Durch das gemeinsame Feiern von Juden und Menschen anderer Religionen könne der Verein auch zum gegenseitigen Verständnis beitragen.

Muslime in Karneval integrieren

In eine ähnliche Richtung denkt auch Ataman Yildirim. Ihm gehe es darum, Muslime in den Karneval zu integrieren, sagt der Pädagoge, der seit vielen Jahren in der Migrationsarbeit tätig ist. Dafür brauche es eine Struktur wie einen Verein. "Denn auch viele Muslime finden Karneval toll und würden gerne mitfeiern. Allerdings denken viele, dass sie dann Alkohol trinken müssen."

Mit dem neuen Verein wolle er sich nicht abgrenzen, betont Yildirim. "Der Verein soll Menschen jeder Religion offenstehen. Mir geht es um das Gemeinsame." In dem Verein solle sich einfach jeder wohlfühlen, ganz gleich ob er beim Feiern Tee oder Bier trinke.

Unterstützt wird Yildirims Idee vom Kreis Düsseldorfer Muslime (KDDM). Und der mischt schon in diesem Jahr im Karneval mit: Am Rosenmontag fahren KDDM-Vertreter gemeinsam mit Teilnehmern der Jüdischen Gemeinde sowie der evangelischen und katholischen Kirchen auf einem "Toleranzwagen" mit. Mit diesem bislang einmaligen Projekt wollen die Religionsgemeinschaften ein Zeichen gegen Diskriminierung setzen.

Organisiert wird die Initiative von der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Deren Gemeindemitglieder hatten sich im vergangenen Jahr erstmals mit einem eigenen Wagen am Zug beteiligt. "Dafür bekamen wir eine sehr positive Resonanz", sagt der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde, Michael Szentei-Heise. Doch statt alleine weiterzumachen, sei die Idee entstanden, Muslime und Christen mit ins Boot zu holen und daraus eine interreligiöse Aktion zu machen.

Auf dem "Toleranzwagen" nach einem Entwurf des bekannten Karnevalwagenbauers Jacques Tilly werden Geistliche der vier Religionsgemeinschaften mit roten Pappnasen Arm in Arm vor ihren jeweiligen Düsseldorfer Gotteshäusern zu sehen sein. Frei nach dem Motto der Bläck Fööss-Karnevalshymne, in der es heißt: "Mir sprechen hück all die selve Sproch" ("Heute sprechen wir alle dieselbe Sprache").

Allerdings stimmt das nicht ganz. Denn im rheinischen Karneval gibt es durchaus noch Sprachbarrieren. Die verlaufen aber nicht zwischen den Religionen oder Herkunftsländern, sondern zwischen den konkurrierenden Karnevalshochburgen Köln und Düsseldorf: Während es in der Domstadt "Alaaf" heißt, rufen die Düsseldorfer "Helau".

Claudia Rometsch (epd)


"Jüdischer Hohepriester" im Düsseldorfer Rosenmontagszug

Ein als "Jüdischer Hohepriester" kostümierter Karnevalist wird beim Düsseldorfer Rosenmontagszug am 4. März auf dem Toleranzwagen der Religionen mit durch die Straßen ziehen. Im Gewand des Hohepriesters aus dem Film "Das Leben des Brian" steckt der Brauchtumsmanager der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Walter Schuhen, teilten die Veranstalter am 20. Februar in Düsseldorf mit. Dieser erhalte noch rund 30 aus Pappmaché gefertigte graue Wackersteine, die an die Steinigungsszene aus dem Film erinnern sollten. Juden, Katholiken, Muslime und Protestanten organisieren den Toleranzwagen gemeinsam.

Vertreter von vier Religionen feiern auf Toleranzwagen mit

Wie sich die übrigen insgesamt 31 Mitglieder auf dem Toleranzwagen kostümieren ist noch unbekannt. "Wir haben bewusst keine Vorgaben gemacht", sagte der Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise. Vom Marienkäfer bis zum Indianer seien alle Kostüme denkbar. Jede der vier Religionsgemeinschaften schickt sieben Personen auf den Wagen. Die Besatzung wird laut Szentei-Heise "Normal-Kamellen, aber natürlich auch koscheres und Halal-Wurfmaterial" verteilen. Von den Gesamtkosten in Höhe von bis zu 65.000 Euro sind den Angaben zufolge bislang rund 30.000 Euro gesammelt worden.

Entwurf von Künstler Jacques Tilly wirbt für Akzeptanz

Der Wagenbauer und Künstler Jacques Tilly hat den zehn Meter langen "Toleranz-Wagen!" im Auftrag der Jüdischen Gemeinde, der evangelischen und katholischen Kirchen sowie dem Dachverband der muslimischen Gemeinden in Düsseldorf gestaltet. An den Seiten sind drei lachende männliche Vertreter und eine weibliche Geistliche der vier Religionsgemeinschaften zu sehen. Zudem sind die vier Religionssymbole sowie jeweils ein typisches Gotteshaus abgebildet.

Über allem schwebt das Düsseldorfer Sessionsmotto "Gemeinsam jeck". Wagenbauer Tilly sagte bei der Präsentation, dass der Wagen eigentlich "Akzeptanz" hätte heißen müssen: "Denn Toleranz heißt ja nur, dass wir die anderen dulden." So einen Wagen habe es bisher noch nicht gegeben, betonte der Künstler. Der Toleranzwagen sei vor allem "eine Absage an jede Art von Antisemitismus, Rassismus und Fanatismus". Die vier teilnehmenden Religionen erklärten damit übereinstimmend, dass sie noch andere Sichtweisen auf Gott als die eigene akzeptierten.



SPD für Antisemitismus-Meldepflicht an Schulen

Wegen einer zunehmenden Judenfeindlichkeit in Deutschland regt die SPD-Fraktion des Düsseldorfer Landtags eine Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an den nordrhein-westfälischen Schulen an. Ein solches "niederschwelliges Meldesystem" sollte entsprechende Vorkommnisse aber nicht an Polizei oder Justiz sondern zunächst an die neue NRW-Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) weitergeben, erläuterte Fraktionschef Thomas Kutschaty am 19. Februar in Düsseldorf.

Null-Toleranz-Grenze

Auf diese Weise könnten "Problemschulen" erkannt und damit mehr Prävention etwa mit Besuchen der Antisemitismus-Beauftragten möglich werden, erklärte Kutschaty. Die frühere Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger war für die Aufgabe im Dezember ernannt worden. "Der Antisemitismus muss im Keim erstickt werden", machte der SPD-Fraktionschef beim Besuch der Düsseldorfer Synagoge deutlich. Die Zunahme der Vorfälle sei "erschreckend". Es müsse klar gemacht werden, dass es dafür "Null-Toleranz" gebe.

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland befürwortet eine solche Meldepflicht, die das Land Berlin schon ab dem Schuljahr 2019/20 einführen will. Judenfeindliches Mobbing gilt dann als eine eigenständige Kategorie in den Notfallplänen der Schulen in der Bundeshauptstadt. Über eine solche Meldepflicht könnten Vorfälle genauer dokumentiert und eine Statistik über Antisemitismus präziser geführt werden, sagte der Vizepräsident des Zentralrats, Abraham Lehrer, im Beisein Kutschatys.

Nach Worten Lehrers werden Beleidigungen und Stereotypen gegenüber jüdischen Bürgern und Gemeinden immer offener geäußert und kommen zunehmend aus der Mitte der Gesellschaft. Bei antisemitischen Zuschriften verwendeten Adressaten immer häufige ihren Klarnamen und keine Pseudonyme. Lehrer sprach von einer "großen Sorge" der jüdischen Gemeinschaften wegen des Antisemitismus sowohl in Deutschland als auch in ganz Europa.

So hatten am 18. Februar sieben Abgeordnete der britischen Sozialdemokraten die Labour-Partei auch wegen Antisemitismus-Vorwürfen gegen Parteichef Jeremy Corbyn verlassen. In Frankreich war bei einer Demonstration der Gelbwesten in Paris der jüdische Schriftsteller und Philosophen Alain Finkielkraut antisemitisch beschimpft worden.



NRW fordert schnelle Umsetzung des Digitalpaktes


Neue Medienkonzepte finden nur langsam Eingang in den Schulalltag.
epd-bild/Jens Schulze

Nordrhein-Westfalens Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) dringt nach der Einigung auf einen Digitalpakt zwischen Bund und Ländern auf eine schnellstmögliche Umsetzung ohne weitere Veränderungen. Sie freue sich "für unsere Schulen und für alle Schulträger in NRW, dass der Vermittlungsausschuss in so kurzer Zeit eine Lösung zur Umsetzung des Digitalpaktes Schule erarbeitet" habe, sagte Gebauer am 21. Februar in Düsseldorf. Die "überzogenen Mitfinanzierungspflichten der Länder" seien damit verhindert worden.

Zudem werde mit der vorgesehenen Grundgesetzänderung für den Bereich Schule und Bildung eine stabile und verfassungsrechtlich abgesicherte Kooperationsmöglichkeit zwischen dem Bund und den Ländern geschaffen. Zugleich verwies die Ministerin darauf, dass Bund, Länder und Kommunen beziehungsweise Schulträger über den jetzt vereinbarten Digitalpakt hinaus noch klären müssten, wie die Digitalisierung in den Schulen dauerhaft finanziert werden kann.

Einmalige Anschubfinanzierungen, wie sie der "Digitalpakt Schule" mit einer Milliarde Euro vor allem für die Schulträger in NRW vorsieht, reichten nicht für eine dauerhaft funktionierende Digitalisierung der Schulen, betonte sie. Notwendig sei eine "fortwährende, gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung", an der sich auch der Bund weiter beteiligen müsse.

Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat hatte am Mittwochabend die Einigung von Bund und Ländern bei der Finanzierung des Digitalpaktes beschlossen. Die Einigung sieht vor, dass der Bund die Länder mit fünf Milliarden Euro bei der Ausstattung der Schulen mit Computern und digitalen Lerninhalten unterstützt. Zuletzt hatte sich die Vereinbarung verzögert, weil der Bund von den Ländern eine Kofinanzierung bei den Projekten gefordert hatte. Zudem hatten die Länder in der Diskussion auf ihre Bildungshoheit gepocht.



Digitaler Wandel: Initiative fördert bundesweit 14 Schulen

Der Stifterverband und die Heinz-Nixdorf-Stiftung fördern 14 Schulen in Deutschland bei der Erarbeitung von Medienkonzepten, mit denen Kinder und Jugendliche auf das Leben in der digitalen Welt vorbereitet werden sollen. Die Schulen wurden aus bundesweit 120 Bewerbungen für das Programm "Schule in der digitalen Welt" ausgewählt, wie die Organisatoren am 21. Februar in Berlin mitteilten. Die Förderung liegt bei jeweils 15.000 Euro pro Schule. In Nordrhein-Westfalen erhalten Schulen in Alfter (Rhein-Sieg-Kreis), Bottrop, Herne, Dortmund und Essen die Fördergelder. Unterstützt wird das Programm auch durch regionale Stiftungen und Unternehmen vor Ort.

Wettbewerb

Mit der Fördersumme sollen die Schulen gemeinsam mit einer Partner-Hochschule, die in der Lehrerausbildung tätig ist, Medienkonzepte für den Schulalltag gestalten und erproben, Kompetenzen vermitteln oder Hard- und Software anschaffen. Die geförderten Einrichtungen werden mit der jeweiligen Hochschule in das Netzwerk "Schule in der digitalen Welt" aufgenommen. Hier erarbeiten sie Konzepte, um digitale Medien erfolgreich in den Unterricht zu integrieren. Das Netzwerk der beteiligen Schulen und Hochschulen soll in den nächsten Monaten noch um weitere Teilnehmer wachsen.

"Nach der Einigung zum Digitalpakt Schule steht der technischen Ausstattung der Schulen nun nichts mehr im Wege", sagte der stellvertretende Generalsekretär des in Essen ansässigen Stifterverbandes, Volker Meyer-Guckel. Die prämierten Schulen erhalten neben der finanziellen Unterstützung auch Weiterbildungs- oder Beratungsangebote. Das können beispielsweise schulinterne Fortbildungen für Lehrkräfte, Programmierkurse für Lehrer und Schüler oder Coachings im Bereich Unterrichts- und Schulentwicklung sein.



Mehr Bußgeldverfahren wegen Schulschwänzens in NRW

In Nordrhein-Westfalen mehren sich die Bußgeldverfahren wegen Schulschwänzens. Allein im Regierungsbezirk Arnsberg wuchs die Anzahl seit 2016 von 2.194 auf 2.841 im vergangenen Jahr, wie die Behörde dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 21. Februar mitteilte. In 2018 wurden in der Region 480 Bußgelder gegen "Ferienverlängerer" verhängt - also Eltern, die ihre Kinder an den Tagen vor oder nach den Schulferien eigenmächtig vom Unterricht befreien. Der Regierungsbezirk deckt mit den fünf Großstädten Bochum, Dortmund, Hagen, Hamm und Herne einen wesentlichen Teil des dicht besiedelten Ruhrgebiets ab.

Insgesamt rund 8.000 Bußgeldverfahren 2018

Zuerst hatte die in Essen erscheinende "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ, 21. Februar) berichtet, dass Arnsberg im Kalenderjahr 2018 die meisten Schulpflichtverletzungen geahndet hatte. Demnach wurden im vergangenen Jahr in den fünf Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen insgesamt rund 8.000 Bußgeldverfahren wegen Schulschwänzens verhängt. Davon knapp über 1.400 im Regierungsbezirk Köln (2017: 1.230), wie dessen Pressestelle am 25. Februar bekanntgab.

Auch der Regierungsbezirk Düsseldorf hat in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg verzeichnet. Während 2014 noch 1.344 Bußgeldverfahren wegen Verletzung der Schulpflicht eingeleitet wurden, waren es im vergangenen Jahr 2.300, wie aus einer Statistik der Behörde hervorgeht, die dem epd vorliegt.

Im eher ländlich geprägten Regierungsbezirk Münster gab es im vergangenen Jahr 1.027 Fälle von Schulpflichtverletzungen. Davon wurden etwa 800 mit einem Bußgeld entweder gegen Schüler selbst oder auch gegen die Erziehungsberechtigten geahndet, wie eine Sprecherin der Behörde dem epd sagte. Für den Regierungsbezirk Detmold liegen aktuelle Zahlen erst nach den Osterferien Ende April vor. Im Jahr 2017 gab es laut Pressestelle in der Region 743 Bußgeldbescheide wegen Schulschwänzens, 2016 waren es 675, wie es hieß.

Unter dem Motto "Fridays for Future" demonstrieren Schülerinnen und Schüler seit Wochen immer freitags für den Klimaschutz und schwänzen dafür in der Regel den Unterricht. In NRW drohen ihnen dafür Strafen. Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) hatte am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag erneut auf die Einhaltung der Schulpflicht gepocht. Bei Verstoß dagegen kann ein Bußgeld von bis zu 1.000 Euro drohen. 18-jährige Schüler unterliegen nicht mehr der Schulpflicht.



Opferzahl an Odenwaldschule laut Gutachtern noch höher

Die Zahl der Opfer von sexuellem Missbrauch an der Odenwaldschule in Südhessen ist offenbar noch deutlich höher als bislang bekannt. Bei Vorlage der letzten beiden Studien zur Aufarbeitung der Vorfälle bezifferten sie die Gutachter am 22. Februar in Wiesbaden auf eine mittlere bis möglicherweise sogar hohe dreistellige Zahl. Der Gründungsvorsitzende des Betroffenenvereins "Glasbrechen", Adrian Körfer, sprach von 500 bis 900 Schülern und Schülerinnen. In einem 2010 abgeschlossenen ersten Bericht über die Missbrauchsfälle an der ehemaligen Reformschule in den Jahren 1966 bis 1998 war noch von 132 Opfern die Rede.

Diese Zahl ist nach Aussagen der beiden Hauptgutachter Jens Brachmann von die Universität Rostock und Florian Straus vom Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München nach heutigem Erkenntnisstand nicht mehr haltbar. Brachmann sagte, eine genaue Zahl könne aber nicht mehr ermittelt werden. Die Zahl der Täter, bei denen es sich vor allem um den Leiter und weitere Lehrkräfte der Odenwaldschule in Oberhambach bei Heppenheim handelte, schätzen die Experten auf mindestens zwei Dutzend. Die weitaus meisten davon waren demnach Männer, doch sollen auch mindestens fünf Frauen Grenzüberschreitungen gegenüber ihren Schützlingen begangen haben. Die Zahl der Straftaten gegen die Schülerinnen und Schüler geht in die Tausende.

"Vielfaches Versagen"

Der hessische Sozialminister Kai Klose (Grüne), der die Ergebnisse der Studie zusammen mit den Autoren und den Betroffenen vorstellte, sprach von einem vielfachen Versagen bei dem notwendigen Schutz der Jungen und Mädchen vor sexueller Gewalt. Dabei gehe es nicht nur um die persönliche Schuld der Täter, sondern auch um nicht wahrgenommene gesellschaftliche Verantwortung und das Versagen staatlicher Stellen wie beispielsweise der Jugendämter und der Schulaufsicht. Klose, der sein Ministeramt erst Mitte Januar antrat, bat die Opfer als heute politisch Zuständiger um Verzeihung.

Er betonte, auch mit den beiden letzten Gutachten zu den Missbrauchsfällen sei keineswegs der Schlusspunkt der Aufarbeitung erreicht. Diese gehe mit der Auswertung der Erkenntnisse weiter. Wissenschaftliche Aufarbeitung könne nichts wiedergutmachen, aber Transparenz über das entstandene System herstellen, das die Übergriffe ermöglichte und begünstigte. Die Landesregierung werde alles in ihrer Macht Stehende tun, damit sich so etwa nie mehr wiederholen könne.

Klose verwies auf den Landesaktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt in Institutionen und die auf 2,2 Millionen Euro verfünffachten Mittel für inzwischen 54 Beratungsangebote in Hessen. Zudem stelle das Land der Stiftung "Brücken bauen" zur Unterstützung der Opfer bis Ende des Jahres 100.000 Euro zur Verfügung.

Schule 2015 geschlossen

Nach der Insolvenz des Trägervereins der 2015 geschlossenen Schule waren die Aufträge an die Gutachter zunächst gekündigt worden. Mit finanzieller Hilfe des Sozialministeriums konnten sie mit Verzögerung doch noch fertiggestellt werden. Die Münchner Studie befasst sich auf Basis von Interviews mit 40 Betroffenen mit dem sozialpsychologischen Aspekt der Missbrauchsfälle.

In dem Gutachten aus Rostock geht es nach intensiver Auswertung der umfangreichen Akten der Odenwaldschule um das Tätersystem. Die Vermischung der Rolle von Pädagogen und "Familienoberhäuptern" in dem Internat habe die Verbrechen begünstigt, viele dort Tätige hätten gar keine ausreichende pädagogische Qualifikation gehabt.

Adrian Körfer von "Glasbrechen", der selbst sieben Jahre lang Schüler und Opfer war, äußerte die Hoffung, dass dies sein letzter öffentlicher Auftritt zu diesem Thema war. Viele Opfer litten noch immer unter den Taten, manche seien in der Psychiatrie gelandet. Zwei der Haupttäter lebten noch, seien aber nie juristisch belangt worden. Nach Angaben des Grünen-Landtagsabgeordneten Marcus Bocklet hängt dies wesentlich mit der Verjährung der Verbrechen zusammen.



Archiveinsturz: Erst acht Prozent der Archivalien nutzbar

Zehn Jahre nach dem Einsturz des Historischen Archivs in Köln sind erst etwa acht Prozent der geborgenen Archivstücke wieder im Original zu sehen. Man gehe nun davon aus, dass es weitere 30 Jahre dauern werden, bis alle geborgenen Dokumente und Archivalien die letzte Konservierungsstufe durchlaufen hätten und jeder Riss und jede Falte beseitigt sei, sagte Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia am 22. Februar in Köln. 95 Prozent der verschütteten Archivalien wurden seit dem Einsturz am 3. März 2009 geborgen. Die Stadt kalkulierte den entstandenen Gesamtschaden auf mindestens 1,3 Milliarden Euro.

In allen Gerichtsverfahren sei festgestellt worden, dass die fehlerhafte Schlitzwand in der Baugrube der Nord-Süd-Stadtbahn die Ursache gewesen sei, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos). Neben der persönlichen Verantwortung der einzelnen Angeklagten trage auch die ARGE Süd als der Unternehmensverbund, der den Auftrag übernommen hatte, Verantwortung, so Reker. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig, da die Beschuldigten in Revision gegangen sind.

1,6 Millionen Bergungseinheiten

Die Kosten für den gesamten Rettungs- und Bergungseinsatz habe bislang die Stadt Köln geschultert, betonte Stadtdirektor Stephan Keller. "Wir gehen aber davon aus, dass wir die Schadenssumme im diesem Umfang einfordern werden", sagte er. Die erste Bahn der Nord-Süd-Strecke solle im Jahr 2027 fahren.

Zum Stand der Restaurierungsarbeiten sagte Archivleiterin Schmidt-Czaia, dass etwa 15 Prozent von insgesamt 1,6 Millionen Bergungseinheiten die erste Konservierungsstufe, also die Trockenreinigung, durchlaufen hätten: "Hiervon sind mehr als die Hälfte, nämlich 55 Prozent, bereits direkt wieder im Original nutzbar." Weitere 44 Prozent seien in den nächsten Monaten in digitaler Form nutzbar. Rund 9.000 Stücke seien vollständig restauriert. Beim Einsturz des Archivs waren etwa 62.000 Urkunden, 329.000 Karten und Plakate und 500.000 Fotos verschüttet worden.

Beim Einsturz des Archivs am Kölner Waidmarkt stürzten das Gebäude und zwei benachbarte Wohngebäude ein. Zwei Menschen kamen ums Leben. Anwohner mussten ihre Wohnungen verlassen und angrenzende Schulen und Wohnheime evakuiert werden. "Es sind Katastrophen wie diese, die uns bewusst machen: In der Kürze eines Wimpernschlages kann das Leben ganz anders aussehen", sagte Reker.



Kampagne fordert Grundgesetz ohne "Rasse"-Begriff

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen fordert vom Gesetzgeber, den Begriff "Rasse" im Grundgesetz zu streichen. Eine entsprechende Unterschriftaktion sei nun online gestartet worden unter "http://www.frauenhilfe-westfalen.de/news_2019/grundgesetz-ohne-begriff-rasse-gefordert-741.html", wie die Frauenhilfe am 22. Februar in Soest mitteilte. Damit unterstützt der Verband eine Initiative des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Die Kampagne solle Bundesregierung und Bundestag deutlich machen, wie wichtig eine solche Änderung sei, hieß es.

Im Grundgesetz taucht der Begriff im Artikel 3 (Gleichheit vor dem Gesetz), Absatz 3, auf: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden."

Initiative des Menschenrechtsinstituts

Das Institut für Menschenrechte setzt sich seit rund zehn Jahren dafür ein, dass das Wort "Rasse" durch einen anderen Begriff wie etwa ein "aus rassistischen Gründen" ersetzt werden soll. Die Formulierung im Grundgesetz führe zu einem unauflösbaren Widerspruch, heißt es in einer Begründung. "Rassismus lässt sich nicht glaubwürdig bekämpfen, wenn der Begriff 'Rasse' beibehalten wird." Vielmehr könne es dazu beitragen, rassistischem Denken Vorschub zu leisten. Auf Empfehlung des Europäische Parlament hätten einige EU-Staaten den Begriff aus ihren Gesetzestexten bereits getilgt oder planten es demnächst. Auch in Deutschland wäre die Änderung des Artikels 3 "ein wichtiges Signal, Sprachgewohnheiten aufzubrechen".

Das aus Bundesmitteln finanzierte Deutsche Institut für Menschenrechte wurde 2001 auf Empfehlung des Bundestages gegründet. Es soll über die Lage der Menschenrechte im In- und Ausland informieren.



Vor 100 Jahren wurde Loki Schmidt geboren


Helmut und Loki Schmidt 1988 beim Kirchentag in Rostock
epd-bild / Bernd Bohm
Loki Schmidt war eine engagierte Botanikerin, entdeckte seltene Pflanzen und warb für den Naturschutz. Lange stand sie im Schatten ihres Mannes Helmut. Dabei hatte sie schon in der Schule dessen Mathe-Hausaufgaben gemacht.

Anfangs war Loki Schmidt in der Öffentlichkeit vor allem die Frau an der Seite des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt. Erst spät wurden ihr Wissen und ihre Liebe zur Botanik gewürdigt: Die ehemalige Volksschullehrerin wurde Ehrenbürgerin von Hamburg und Ehren-Professorin. Hamburgs Botanischer Garten in Klein Flottbek heißt "Loki-Schmidt-Garten". Die Bromelie "Pitcairnia loki-schmidtii", ein Ananasgewächs, entdeckte sie bei einer Forschungsreise an einem Bach in Mexiko. Auch das Rosengewächs "Lachemilla loki-schmidtiae J.Gaviria" und der Skorpion "Tityus lokiae" sind nach ihr benannt. Am 3. März wäre sie 100 Jahre alt geworden.

Aufgewachsen ist die Naturliebhaberin in einem dichtbebauten Arbeiterviertel. Sie sei ein "typisches Großstadthinterhofkind" gewesen, sagte sie kurz vor ihrem Tod der Zeitung "Die Welt". Im Kopfsteinpflaster ihres dunklen Hinterhofs habe sie damals Wiesenrispengras und Löwenzahn entdeckt. Vielleicht habe sich damals die "uneingestandene Sehnsucht nach Grün und Pflanzen" entwickelt.

Als Hannelore Glaser kam sie am 1919 in Hamburg zur Welt. Die Familie war arm und lebte bei den Großeltern im Stadtteil Hammerbrook. Erst drei Jahre später zog sie in eine eigene Wohnung im benachbarten Borgfelde. Trotz der Armut war der Familie Bildung wichtig. Ihre Großmutter, eine gelernte Köchin, soll Goethes "Faust" auswendig rezitiert haben. Der Vater malte und spielte Geige. Als Kind gab Hannelore sich selbst den Spitznamen "Loki".

Rauflustiger "Schmiddel"

Das hochgewachsene Mädchen besuchte die reformorientierte Lichtwarkschule in Winterhude und lernte dort einen kleinen rauflustigen "Schmiddel" kennen. Beide hatten eine ähnliche Handschrift, verriet Helmut Schmidt später der "Zeit". Da er als Schüler "relativ faul" gewesen sei, habe Loki seine Mathe-Hausaufgaben gleich in sein Heft geschrieben. "Und niemand hat es gemerkt."

Die Verbindung war wohl eher kameradschaftlich. Doch als sich Hannelore und Helmut nach einem regen Briefwechsel im Sommer 1941 in Berlin wieder trafen, soll es gefunkt haben. "Dort wurden sie innerhalb von fünf Tagen zum Liebespaar", schreibt Biograf Reiner Lehberger. Sie heirateten am 27. Juni 1942. Sohn Helmut Walter starb noch vor seinem ersten Geburtstag im Februar 1945. Das Ehepaar musste mehrere Fehlgeburten verkraften. Tochter Susanne wurde im Mai 1947 geboren und lebt heute als Wirtschaftsjournalistin in England.

Lokis Wunsch, Biologie zu studieren, scheiterte an den Studiengebühren. Stattdessen studierte sie Pädagogik für das Lehramt an Volksschulen. Nach dem Krieg war sie es, die für den Unterhalt der Familie sorgte, während ihr Mann studierte. Von 1940 bis 1972 arbeitete sie als Volks-, Grund- und Realschullehrerin an verschiedenen Schulen.

Anfang der 70er Jahre zog sie nach Bonn, ihr Mann war erst Bundesminister, ab 1974 dann Bundeskanzler. Sie engagierte sich als Kanzlergattin insbesondere für den Schutz gefährdeter Pflanzen und begleitete Forschungsreisen nach Kenia, Ecuador, Malaysia, Borneo und auf die Galápagos-Inseln. 1976 gründete sie das Kuratorium zum Schutze gefährdeter Pflanzen, das als Loki-Schmidt-Stiftung seit 1980 alljährlich die "Blume des Jahres" kürt.

Zugewandt und warmherzig

Freunde beschrieben Loki Schmidt als zugewandt und warmherzig. 68 Jahre lang war sie mit Helmut verheiratet. Beide verband die Liebe zu Kunst und Musik, das Schachspiel und das Haus am Brahmsee. Einfach war ihre Ehe wohl nicht. Helmut Schmidt wurden zahlreiche Affären nachgesagt. Er selbst hat in seinem letzten Buch "Was ich noch zu sagen hätte" eine langjährige Liebesbeziehung zu einer 18 Jahre jüngeren Hamburgerin öffentlich gemacht. Die von Loki vorgeschlagene Scheidung habe er allerdings strikt abgelehnt, schreibt er.

Dass sie so lange zueinander hielten, ist fast ebenso erstaunlich wie die Tatsache, dass beide angesichts ihres Zigarettenkonsums so alt geworden sind - Loki starb mit 91, ihr Mann mit 96. Bereits mit zehn oder elf Jahren habe sie im Stadtpark geraucht, bekannte sie einmal. "Greiling Schwarz-Weiß" hieß die Marke. Als "Loki und Smoky" waren beide Teil der Comedy-Sendung "Mitternachtsspitzen".

Loki Schmidt blieb bodenständig. Wenn Staatschefs wie Valéry Giscard d'Estaing, Gerald Ford oder Leonid Breschnew das Haus in Hamburg-Langenhorn besuchten, kochte sie Grünkohl, Labskaus oder Roastbeef mit Bratkartoffeln. Besonders gelobt wurde ihre Rote Grütze.

In ihren späten Jahren verfasste sie zahlreiche Bücher. Seit 2009 ist sie Ehrenbürgerin Hamburgs. Die Schule Othmarscher Kirchenweg, an der sie 13 Jahre lang unterrichtete, heißt heute "Loki-Schmidt-Schule". Zu ihrem 100. Geburtstag wird am Botanischen Garten eine Gedenktafel enthüllt.

Am 21. Oktober 2010 starb Loki Schmidt in ihrem Haus in Langenhorn. Zur Trauerfeier im Michel kamen unter anderen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Altkanzler Gerhard Schröder (SPD), Uwe Seeler, Siegfried Lenz sowie die ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Horst Köhler. Trauerredner war der ehemalige Landesbischof Eduard Lohse: "Bis zuletzt hat sie viel Gutes bewirken können, mit Warmherzigkeit vielen Menschen geholfen und große Anerkennung und Verehrung erfahren."

Thomas Morell (epd)


"Gefrierbrand ist ein ständiger Begleiter"


Dick verpackt gegen eisige Kälte: die Astroteilchenphysikerin Raffaela Busse in der Antarktis
epd-West/Universität Münster/Busse
Die Münsteraner Forscherin Raffaela Busse hat ein Jahr im ewigen Eis verbracht: In der Antarktis trotzte sie der Kälte, begab sich mit auf die Suche nach sogenannten Neutrinos, erlebte Naturwunder und lernte eine warme Dusche als wertvolles Gut zu schätzen.

Flach, weiß und endlos - so beschreibt Raffaela Busse die Landschaft, in der sie das vergangene Jahr verbracht hat. Das klingt romantisch. Weniger romantisch waren dort die Temperaturen: minus 20 Grad Celsius im Sommer, bis zu minus 80 Grad im Winter. Und wenn es windig ist, was auf einem Hochplateau auf 3.000 m Höhe nicht selten vorkommt, kann die gefühlte Temperatur minus 100 Grad betragen. Dafür ist es sechs Monate lang hell. Danach aber auch sechs Monate lang dunkel.

Die Münsteraner Astroteilchenphysikerin war vom November 2017 bis Dezember 2018 zusammen mit 39 anderen Wissenschaftlern bei einem Forschungsprojekt am Südpol. Das Team dort spürt hochenergetischen Elementarteilchen nach, sogenannte Neutrinos. Das sind hochenergetische Lichtteilchen, die irgendwo im All erzeugt werden und weitgehend unerforscht sind. Quellen dieser Teilchen sind unter anderem aktive Kerne von Galaxien, wie etwa der vier Milliarden Lichtjahre entfernte "BlazarTXS 0506+056", der 2017 durch ein solches Neutrino entdeckt wurde.

Übermittler kosmischer Botschaften

"Hochenergetische Neutrinos sind ein wertvoller Beitrag für die Forschung, man kann sie als Übermittler kosmischer Botschaften verstehen", erklärt Busse. Um sie nachzuweisen, hat eine internationale Kooperation, zu der auch Deutschland gehört, bei der Amundsen-Scott-Südpolstation das "IceCube Neutrino Observatory" gebaut. Finanziert wird es von der US-amerikanischen Stiftung NSF. Dabei handelt es sich um einen Eisblock von der Größe eines Kubikkilometers, in den man mit heißem Wasser Löcher gebohrt und darin 5.000 Sensoren angebracht hat. Diese speichern pro Tag ein Terabyte an Daten, die von den Wissenschaftlern ausgewertet werden. Das Institut für Kernphysik der Universität Münster ist an der Datenauswertung und der Entwicklung von Sensoren für eine geplante IceCube-Erweiterung beteiligt.

Busses Aufgabe bestand darin, die IT-Infrastruktur mit den 100 Computern am Laufen zu halten. Das war ihr Hauptjob. Daneben übernahm die 28-Jährige freiwillig weitere Tätigkeiten, beispielsweise das Einweisen der Versorgungsflugzeuge und das Betanken des unterirdischen Kraftwerks, das die Forschungsstation am Laufen hält. Eine Aufgabe, die ihr zusätzliche Duschminuten einbrachte, wie sie verrät. Auf der Station stehen sonst jedem der 33 Forscher und sieben Forscherinnen nur vier Minuten warmes Wasser pro Woche zu. Es ist ein wertvolles Gut in einer Welt, die nur aus Eis besteht.

Sonnenuntergang, der eine ganze Woche dauert

Natürlich sei die Kälte eine Herausforderung gewesen, erzählt Busse. Mützen und Handschuhe hatte sie reichlich dabei. Nicht zum Wechseln, sondern um sie übereinander anzuziehen. "Gefrierbrand ist ein ständiger Begleiter", sagt sie. Nach draußen ging sie trotzdem, so oft und so lange es die Kälte zuließ. Denn nicht nur im Eis, auch am Himmel gab es ihren Worten zufolge einiges zu beobachten: Licht, das sich in Eiskristallen spiegelt und Phänomene wie Nebensonnen erzeugt. Oder ein Sonnenuntergang, der eine ganze Woche dauert.

Eine andere Hausforderung war die Isolation. "Von Februar bis Oktober kommt dort keiner raus und keiner rein", sagt Busse. E-Mail gab es zwar, manchmal auch Skype. Trotzdem sei es ein unangenehmes Gefühl gewesen, nicht einfach weg zu können, beispielsweise wenn zu Hause etwas passiert oder auch auf der Station. "Bei einem medizinischen Notfall muss ein Flugzeug ein 'Wetterfenster' abwarten, bis es einfliegen und jemanden abholen kann." Das könne mitunter mehrere Wochen dauern.

Bereut hat Busse den Forschungsaufenthalt in der Antarktis trotzdem keine Minute. "Ich habe jetzt Einblick in ein wissenschaftliches Experiment, wie ihn sonst keiner hat", sagt die Physikerin, die nun an ihrer Doktorarbeit über das IceCube-Experiment schreibt. Auch allgemein habe sie einiges dazugelernt - was für sie wichtig im Leben sei und welche Dinge überflüssig seien. "Ich kann mir gut vorstellen, mich noch einmal zu bewerben."

Helmut Jasny (epd)


Frauenhilfe unterstützt Kampagne für Gleichstellung in Parlamenten

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen fordert eine Gleichstellung von Frauen und Männern in politischen Ämtern. Die Frauenhilfe beteiligt sich deshalb an der Kampagne #mehrfrauenindieparlamente des Deutschen Frauenrates für eine Änderung des Wahlrechts, wie der Verband am 21. Februar in Soest mitteilte. Mit einem Paritätsgesetz solle sichergestellt werden, dass künftig Männer und Frauen je zur Hälfte die Mandate in den Parlamenten innehaben. Das solle sowohl bei Listenmandaten als auch bei Direktmandaten umgesetzt werden, hieß es. Mit der zum 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts gestarteten Unterschriftenaktion solle der Forderung Nachdruck verliehen werden.

Die Frauenhilfe in Westfalen unterstützt nach eigenen Angaben seit 2017 die Parität-Initiative des Frauenrates. Seit 2018 ist mit Beate von Miquel ein Vorstandsmitglied des Verbandes im Fachausschuss "Parität in Parlamenten und Politik" des Frauenrates vertreten.



Landesjugendring ruft zu U18-Europawahlen auf

Wahllokale in Nordrhein-Westfalen können sich ab sofort für die U18-Europawahlen registrieren. Vom 13. bis 17. Mai würden Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren zu den Wahlurnen gerufen, kündigte der Landesjugendring NRW am 18. Februar in Düsseldorf an. Die symbolische Wahl der jungen Leute findet neun Tage vor der Wahl für Erwachsene am 26. Mai statt.

Der Landesjugendring plädierte für eine Absenkung des Wahlalters auf 14 Jahre. Junge Menschen würden von den demokratischen Prozessen ausgeschlossen. "Gerade in Zeiten von Brexit und Nationalismus wird es immer wichtiger deutlich zu machen, wie junge Menschen von Europa profitieren - etwa durch eine gemeinsame Währung", erklärte Sarah Primus, Vorsitzende des Landesjugendrings NRW. Bei der symbolischen Wahl könnten die Kinder und Jugendlichen praktische Erfahrungen mit dem Wahlakt machen, sich politisch orientieren und das politische System kennenlernen.

Die Arbeitsgemeinschaft aus 25 Jugendverbänden in NRW forderte alle Bildungsinstitutionen zur Unterstützung des U18-Wahlaufrufs auf. Ein Wahllokal könne etwa in der Schule, im Sportverein, im Jugendzentrum oder in der Kirchengemeinde entstehen. Auch ein mobiles Wahllokal sei möglich. Vorlagen für Stimmzettel und Plakate stellt der Landesjugendring unter www.u18nrw.de zur Verfügung.



Europa-Minister Holthoff-Pförtner ist "Bürger des Ruhrgebiets"

NRW-Europaminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) erhält die Auszeichnung "Bürger des Ruhrgebiets 2018". Verliehen wird der Preis vom Verein Pro Ruhrgebiet in Dortmund, wie die Veranstalter ankündigten. Holthoff-Pförtner hatte 1990 das Politische Forum Ruhr als Instrument gegen Politikverdrossenheit gegründet.

Die Veranstaltungen des Forums rücken nach Angaben der Jury das Ruhrgebiet als Impulsgeber für Zukunftsfragen ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Holthoff-Pförtner ist gebürtiger Essener und als Rechtsanwalt überregional bekannt. Der Verein pro Ruhrgebiet vergibt den Titel seit 1981 an Menschen, die sich durch ihr Wirken in herausragender Weise um das Ruhrgebiet verdient gemacht haben.

Geehrt wurden bislang 67 Persönlichkeiten, darunter auch Kardinal Franz Hengsbach, der frühere NRW-Ministerpräsident und ehemalige Bundespräsident Johannes Rau (SPD), der langjährige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) oder der Intendant des Klavierfestivals Ruhr, Franz Xaver Ohnesorg.



NRW und Niedersachsen erhalten UN-Auszeichnung für Umweltprojekt

Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sind von den Vereinten Nationen für ein gemeinsames Umweltschutzprojekt ausgezeichnet worden. Mit den "Atlantischen Sandlandschaften" wollten die beiden Bundesländer eine Trendwende beim Verlust der Artenvielfalt einleiten, erklärte der nordrhein-westfälische Umweltstaatssekretär Heinrich Bottermann (CDU) am 22. Februar in Düsseldorf. Die Auszeichnung der UN-Dekade Biologische Vielfalt geht an Projekte, die sich in nachahmenswerter Weise für die Erhaltung der biologischen Vielfalt einsetzen.

Sandlandschaften zeichnen sich nach den Worten von Bottermann durch eine besonders hohe Artenvielfalt aus, leiden aber stark unter Nährstoffmangel. Das im Oktober 2016 gestartete Projekt stellt Heide- und Dünenlandschaften wieder her. Im Kreis Viersen wurden beispielsweise im Elmpter Schwalmbruch Gehölze innerhalb der Moorfläche entfernt. Im Naturschutzgebiet Heidemoore stellte das Projekt offene Binnendünen und Sandheiden mit ihrer typischen Vegetation wieder her, die Dünenpflanzen und viele Tierarten wie Zauneidechsen und Schlingnattern Lebensraum bieten.

Die Vereinten Nationen haben die Jahre von 2011 bis 2020 als UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgerufen, um dem weltweiten Rückgang der Naturvielfalt entgegenzuwirken.



NRW bliebt das Bundesland mit den meisten Stiftungen

Nordrhein-Westfalen bleibt das Land mit den bundesweit meisten Stiftungen. Wie der Bundesverband Deutscher Stiftungen am 21. Februar in Berlin mitteilte, erhielten im vergangenen Jahr 88 neu gegründete Stiftungen in Nordrhein-Westfalen ihre Anerkennungsurkunde. Damit kletterte die Gesamtzahl an Stiftungen im bevölkerungsreichsten Bundesland auf 4.447. Das Wachstum an Stiftungen in NRW lag mit 1,8 Prozent leicht unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von 2,1 Prozent.

Bundesweit wurden 22.743 rechtsfähige Stiftungen des bürgerlichen Rechts in Deutschland registriert. 89 Prozent davon haben ihren Sitz in den westlichen Bundesländern. In den ostdeutschen Ländern sind Stiftungen bislang eher selten anzutreffen, allerdings gibt es mittlerweile einen Aufholprozess. So lag das Nettowachstum bei den Stiftungen in Ostdeutschland im vorigen Jahr bei 3,7 Prozent. 62 der 554 Neugründungen stammen aus diesen Ländern.

Niedrigzinsphase erschwert finanzielle Lage

Aufgrund der andauernden Niedrigzinsphase haben allerdings immer mehr Stiftungen Probleme, eine Rendite oberhalb der Inflationsgrenze zu erwirtschaften. "Die aktuelle Situation mit niedrigen Zinsen und volatilen Märkten ist für Stiftungen zwar schwierig", sagte der Vorsitzende der Geschäftsführung der Robert-Bosch-Stiftung und Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen, Joachim Rogall. "Doch wer sich für die Gründung einer auf Dauer angelegten Stiftung entscheidet, tut dies mit einer langfristigen Perspektive und in der Absicht, sich nachhaltig für die Gesellschaft zu engagieren."




Umwelt

Wenn Bücher ihre Hüllen fallen lassen


Plastikmüll in einer Berliner Buchhandlung
epd-bild/Jürgen Blume
Obwohl Bücher aus Papier bestehen, fallen im Buchhandel viele Tonnen Plastikmüll an. Denn ein Großteil der Hardcover-Bände ist in Folie eingeschweißt. In der Branche setzt aber derzeit ein Umdenken ein.

Der kleine Junge sitzt mitten in einer Buchhandlung und verschwindet fast hinter einem riesigen Berg zerknüllter Klarsichtfolien. "So sieht es aus, wenn wir den Plastikmüll einer Woche in die Buchhandlung kippen", kommentierte die Hamburger Buchhändlerin Ragna Lüders das Bild Ende Januar auf Instagram. Das Foto bekam fast 1.400 Likes und viele zustimmende Kommentare. Denn die Buchhändlerin fordert mit ihrem Post in dem sozialen Netzwerk, auf die Folieneinschweißung von Büchern zu verzichten.

Plastikverpackungen geraten zunehmend in Verruf, seit die Verschmutzung der Meere, des Abwassers und des Bodens durch Kunststoffpartikel ein immer größeres Thema wird. Supermarktketten beginnen darüber nachzudenken, wie man Plastikverpackungen bei Obst und Gemüse vermeiden kann. Und in vielen Städten gibt es mittlerweile Läden, die Lebensmittel lose verkaufen. Während der unverpackte Verkauf von Lebensmitteln aber oft gar nicht so einfach umzusetzen ist, gibt es Produkte, bei denen ein Verzicht völlig unproblematisch wäre.

Ullstein und Hanser Vorreiter

Das Einschweißen von Büchern etwa findet Ragna Lüders absolut überflüssig. "Wir freuen uns und danken euch, wenn ihr uns die Bücher ohne Plastikfolie liefert", appelliert die Händlerin deshalb an die Verlage. Tatsächlich setzt in der Branche derzeit ein Umdenken ein. Einige Verlage haben bereits den Verzicht auf Einschweißfolie angekündigt, darunter der Ullstein Verlag, der seine Frühjahrstitel weitgehend plastikfrei ausliefern will. "Das sind 95 Prozent der Hardcover-Novitäten mit einer Startauflage von 140.000 Exemplaren, die bislang selbstverständlich eingeschweißt wurden", erklärt Verlagssprecherin Bettina Kasten.

Die Entscheidung sei gefallen, nachdem der Verlag den Verzicht auf die Plastikfolie im Herbst 2018 bei einem einzelnen Bestseller erfolgreich getestet hatte: Mit dem neuen Titel "Muttertag" von Nele Neuhaus schickte Ullstein erstmals nicht eingeschweißte Hardcover-Bücher in den Handel. "Die Resonanz im Buchhandel und beim Endkunden war sehr gut", stellt Kasten fest. Insgesamt gab es nach Angaben der Verlagsgruppe Bonnier Media, zu der Ullstein gehört, sogar weniger Remissionen, also reklamierte Bücher, als bei dem vorangegangenen, eingeschweißten Titel der Autorin.

Auch der Hanser Verlag will künftig auf die Plastikumhüllung seiner Bücher verzichten. Ab Herbst dieses Jahres würden 80 bis 90 Prozent der Titel ohne Einschweißfolie ausgeliefert, sagt die Leiterin der Abteilung Herstellung, Stefanie Schelleis. Nur einige besonders aufwendig ausgestattete oder hochpreisige Titel würden noch eingeschweißt. "Das war keine einfache Entscheidung", sagt Schelleis. Der Verlag wolle jedoch damit Wünschen des Buchhandels nachkommen und einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Nennenswerte finanzielle Einsparungen erwarte Hanser nicht.

Weniger Buchschleifen

Denn damit die Bücher auch künftig möglichst unversehrt im Handel ankommen, müsse einiges bei der Umschlaggestaltung berücksichtigt werden, erklärt Schelleis. Der Verzicht auf Folierung habe zum Teil Konsequenzen für die Papierwahl. Außerdem werde es zum Beispiel weniger Aufkleber oder Buchschleifen, also Papierstreifen um den Einband, geben. Der Verlag warte nun gespannt die Reaktionen auf den Folienverzicht ab. "Es ist ein Risiko, denn die Bücher werden künftig ungeschützter sein", sagt Schelleis. "Wir gehen aber davon aus, dass es funktionieren wird."

Damit künftig mehr Verlage dauerhaft auf Plastikfolie verzichten, seien aber auch die Kunden gefordert, sagt Ulrike Helmer, Verlegerin des unabhängigen Ulrike Helmer Verlags in Roßdorf bei Darmstadt. Auch sie würde gerne auf das Einschweißen der Bücher verzichten, ist jedoch skeptisch, ob die Käufer das akzeptieren würden.

"In Deutschland gibt es immer noch die Haltung, dass an einem Buch kein kleiner Knick oder Kratzer sein darf", sagt Helmer, die früher selbst Buchhändlerin war. "Viele Leute meinen, dass selbst der Schutzumschlag makellos sein muss." Dabei sei die Papierhülle doch dazu da, den eigentlichen Buchdeckel zu schützen. Wenn auf die Einschweißung verzichtet werden solle, müsse sich die Einstellung der Kunden ändern.

Der Hanser Verlag setzt hingegen darauf, dass die Kundschaft mittlerweile reif für diesen Schritt ist. "Wir erwarten die Kooperation der Buchhändler, aber auch der Kunden", sagt Schelleis.

Und Buchhändlerin Lüders hofft, dass mehr Verlage diesem Beispiel folgen. Sie kündigte im Gespräch mit dem "Börsenblatt des Deutschen Buchhandels" einen gemeinsamen Brief mit anderen Buchhändlern an alle größeren Verlage an: Er soll dazu aufrufen, auf die Folie zu verzichten.

Claudia Rometsch (epd)


Laschet: NRW soll "Vorreiter" der Energiewende werden


Baumpaten-Aktion mit Prominenten (hier Benno Führmann) im Hambacher Forst
epd-bild/Guido Schiefer

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat die Vorschläge der sogenannten Kohlekommission begrüßt und seine Absicht bekräftigt, Nordrhein-Westfalen zum "Vorreiter" der Energiewende in Deutschland zu machen. Dazu wolle NRW den Konsens der Kohlekommission eins zu eins hier im Land umsetzen, sagte Laschet am 20. Februar im Düsseldorfer Landtag in einer Regierungserklärung. Es gehe darum, Eckdaten für die Energiewende zu definieren und die Ausrichtung auf die Erneuerbaren Energien voranzutreiben. Gleichwohl bleibe vor dem Hintergrund der Energiesicherheit die Versorgung durch Strom aus fossilen Energieträgern wie Kohle oder Erdgas für die kommenden 20 Jahre von Bedeutung, da der Anteil der regenerativen Energien noch zu niedrig sei.

Rodungsmoratorium für den Hambacher Forst

Laschet kündigte an, dass das Energieunternehmen RWE in dem von Abbaggerung durch den Braunkohle-Tagebau bedrohten Hambacher Forst bis zur Rodungsperiode 2020/21 keine weiteren Bäume fällen wolle. Eine entsprechende schriftliche Zusage von RWE liege ihm jetzt vor. "Ab heute gilt ein Rodungsmoratorium für den Hambacher Forst", sagte Laschet und forderte alle Waldbesetzer, den Wald zu verlassen. Derzeit gilt für den Hambacher Forst zudem ein Rodungsverbot, das das Oberverwaltungsgericht in Münster erlassen hatte, bis über eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) entschieden ist.

In diesem Zusammenhang sprach sich Ministerpräsident Laschet dafür aus, den Hambacher Forst zu erhalten. Dies habe auch die Kohlekommission festgestellt, die den Erhalt des derzeit noch rund 200 Hektar großen Waldgebietes als "wünschenswert" bezeichnet habe. Auch die angrenzenden Waldgebiete - der Merzenicher Erbwald und die Steinheide - sollten erhalten bleiben. Zudem müsse RWE alle Pläne für neue Braunkohlekraftwerke "endgültig zu den Akten" legen.

SPD und Grünen vermissen konkrete Ausführungen

Vertreter der Oppositionsparteien SPD und Grüne kritisierten die Ausführungen von Laschet. SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Kutschaty bemängelte, dass der Ministerpräsident "keine konkreten Pläne für einen erfolgreichen Strukturwandel im Rheinischen Revier und im nördlichen Ruhrgebiet" vorgelegt habe. Zudem monierte er, dass die Landesregierung die Verantwortung für die Energiepolitik an die Bundesregierung und RWE delegiere.

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Monika Düker verwies darauf, dass die schwarz-gelbe Landesregierung den Ausbau der Erneuerbaren Energien in NRW mit ihrer Politik "sabotiere" und die Zahlen beim jährlichen Zuwachs dieser Art der Energieversorgung um die Hälfte gesunken seien. Das aktuelle Regierungshandeln stehe deshalb im Widerspruch zu den Ausführungen Laschets.

Energiestrategie für NRW soll bis Sommer kommen

NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) erklärte, die Landesregierung werde bis zur Sommerpause eine Energiestrategie für NRW vorlegen. RWE werde zudem dem Land im Frühjahr eine neue Tagebauplanung vorlegen, die den Empfehlungen der Kohlekommission "bestmöglich" folgen solle. Bis Ende des Jahres solle dann die neue Leitentscheidung des Landes für die zukünftige Energiepolitik verabschiedet werden. Den Ausstieg aus der Kohleverstromung bezeichnete der Minister als Jahrhundertchance.

Der NRW-Landesverband des BUND begrüßte die Ankündigung Laschets, die Empfehlungen der Kohle-Kommission eins zu eins umsetzen zu wollen. "Allerdings bedeutet das auch, endlich damit aufzuhören, den Hambacher Wald gegen die Garzweiler-Dörfer auszuspielen", sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Thomas Krämerkämper. Sowohl der Wald als auch die Dörfer müssten erhalten werden.

Anlässlich der Diskussion im Landtag demonstrierten am Mittwoch auch Greenpeace-Aktivisten vor dem Landtag. Die Teilnehmer forderten von der Landesregierung einen "schnellen Start in den Kohleausstieg".



RWE fordert von Aktivisten Schadensersatz in Millionenhöhe

Klimaaktivisten der Gruppe "WeShutDown" werden vom Energiekonzern RWE auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagt. Fünf Mitglieder der Gruppe hatten am 15. November 2017 für mehrere Stunden die Förderbänder des Braunkohlekraftwerks Weisweiler bei Aachen blockiert und damit die Stromproduktion unterbrochen, wie ein Betroffener und Sprecher der Gruppe dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 19. Februar erläuterte. Die Aktivisten sowie ein betroffener Journalist hätten bereits Widerspruch eingereicht.

Das Landgericht Aachen bestätigte, dass in dem zivilrechtlichen Verfahren (AZ: 1 O 432/18) der RWE Power AG gegen die sechs Beklagten die Klageschrift bereits zugestellt worden sei. Der Streitwert liege bei insgesamt 2,07 Millionen Euro. Im derzeitigen schriftlichen Vorverfahren können die Beklagten sogenannte Verteidigungsanzeigen stellen.

Aktivisten-Proteste geht weiter

Die Aktivisten von "WeShutDown" erklärten, sie ließen sich von der "Abschreckung" durch den Essener Energiekonzern nicht beeindrucken. Die Proteste gegen Europas größten CO2-Emittenten würden fortgesetzt. Für den 25. Februar war eine Kundgebung am Kraftwerk Weisweiler angemeldet. "Der Klimawandel wartet nicht, Kohlekraftwerke müssen sofort stillgelegt werden."

Der Energiekonzern RWE betonte dagegen, dass durch die Blockade von Förderbändern und die dadurch unterbrochene Brennstoffzufuhr die Stromproduktion des Kraftwerks Weisweiler am 15. November für rund sechs Stunden ausgefallen sei. RWE habe in der Zeit Strom von anderen Anbietern beschaffen müssen, sagte ein Sprecher. Die dadurch entstandenen Kosten fordere RWE nun von den sechs Beteiligten zurück. Bei der Blockade habe es sich um einen "heftigen Eingriff" in den Betriebsablauf eines Großkraftwerks gehandelt.

Mitglieder von "WeShutDown" müssen sich zudem wegen desselben Vorfalls in einem weiteren, strafrechtlichen Verfahren vor dem Amtsgericht Eschweiler wegen Hausfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verantworten.



Neue App für klimaschonendes Reisen

Eine neue App will klimaschonendes Reisen fördern. Die kostenlose App wird von der gemeinnützigen Klima-Kollekte - Kirchlicher Kompensationsfonds gGmbH angeboten und unterstützt den Angaben zufolge Nutzerinnen und Nutzer dabei, den eigenen CO2-Ausstoß zu reflektieren, klimafreundliche und alternative Verkehrsmittel zu finden und im letzten Schritt unvermeidbare Emissionen zu kompensieren. Außerdem erhielten die Nutzer wöchentlich Klima-Tipps als Push-Nachrichten auf ihr Smartphone, die Anregungen für einen ressourcensparenden und klimafreundlichen Lebensstil geben, teilte die Klima-Kollekte am 18. Februar in Berlin mit.

Darüber hinaus gebe die App einen Überblick über die nachhaltigen Klimaschutzprojekte der Klima-Kollekte. Deren Qualität habe die Stiftung Warentest im vergangenen Jahr mit "sehr gut" bewertet. Nicht nur die Berechnung der CO2-Emissionen und die Übersicht über klimafreundlichere Alternativen, sondern auch die Kompensation unvermeidbarer Emissionen seien benutzerfreundlich mit wenigen Klicks ausgeführt, urteilte die Stiftung Warentest. Die Zahlung sei möglich mit PayPal, SEPA-Lastschrift und Kreditkarte.

"Oft fehlt das Wissen über die eigenen, mobilitätsbedingten Emissionen. Hier setzt die App der Klima-Kollekte an, denn sie schafft ein Bewusstsein hinsichtlich des CO2-Austoßes und bietet praktische Möglichkeiten, klimaschonender zu reisen", erklärte die Geschäftsführerin der Klima-Kollekte, Olivia Henke. Die Entwicklung der App und deren Verbreitung werden aus dem Fonds für Mobilitätskultur des Rates für Nachhaltige Entwicklung gefördert.




Soziales

"Wir müssen um vieles erst kämpfen"


Timon mit seiner Physiotherapeutin
epd-bild/Friedrich Stark
Nur eines von einer Million Neugeborenen erkrankt an "Morbus Alexander". Nach und nach verlieren die Kinder dabei ihre Fähigkeiten. Bei Timon merkten die Eltern schon wenige Monate nach der Geburt, dass er sich anders entwickelte. Am 28. Februar ist der Tag der seltenen Erkrankungen.

Timon war knapp drei Jahre alt, als Familie Hagenlüke aus Gütersloh von den Ärzten die Nachricht erhielt: Er ist an "Morbus Alexander" erkrankt. "Die Diagnose wurde uns sozusagen an den Kopf geworfen", erinnert sich Timons Mutter, Stephanie Hagenlüke. Weitere Informationen zu dieser seltenen, unheilbaren Erkrankung hätten sie nicht bekommen - nur den Rat, bloß nicht im Internet nachzuschauen. "Wir fühlten uns alleingelassen", sagt sie.

Stephanie Hagenlüke hat dann doch im Netz gelesen und dabei viel geweint, wie sie sagt: "Ich konnte das alles gar nicht glauben". "Morbus Alexander" gehört zu den Leukodystrophien. Bei diesen durch einen Gendefekt oft im Kindesalter ausgelösten, lebensverkürzenden Krankheiten wird das zentrale Nervensystem geschädigt. Die Betroffenen verlieren nach und nach ihre bereits erlernten Fähigkeiten; viele Kinder sterben früh.

Timon ist inzwischen zwölf Jahre alt. Die Ärzte sprächen von einem eher "milden Verlauf", sagen Stephanie und ihr Mann Jörg Hagenlüke. Aber seine Fähigkeiten haben schleichend nachgelassen. Der freundliche Junge, der eine Förderschule besucht, sitzt inzwischen im Rollstuhl, seine Sehkraft wird schwächer, die Sprache undeutlicher. Seit dem fünften Lebensjahr leidet Timon unter Krampfanfällen.

Arzt-Odyssee

Leukodystrophien kommen geschätzt einmal bei rund 7.500 Lebendgeburten vor und zählen damit zu den "Seltenen Erkrankungen": Davon spricht man, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen das Krankheitsbild aufweisen. "Morbus Alexander" bekommt sogar nur eines von einer Million Neugeborenen. Insgesamt gibt es mindestens 8.000 verschiedene seltene Erkrankungen.

Eben weil diese Krankheitsbilder so selten sind, beginnen die Probleme schon bei der schwierigen Diagnose: "Betroffene berichten oft von einer Odyssee von Arzt zu Arzt", schildert Christine Mundlos von der "Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen" (Achse). Mit diffusen Symptomen gingen sie erst zu Haus- oder Kinderärzten, die wiederum andere Fachärzte hinzuzögen. Doch weil Detailwissen über die "Seltenen" vielfach fehle, komme es auch zu Fehldiagnosen und falschen Therapien. Spezialisten gebe es nur wenige. Sie sind an bundesweit rund 30 Zentren zu finden, in der Regel an Universitätskliniken.

Familie Hagenlüke bemerkte einige Monate nach der Geburt Timons, dass er manches deutlich später lernte als andere Kinder: sich etwa vom Rücken auf den Bauch zu drehen oder das Köpfchen zu heben. "Erst mit 26 Monaten fing er an zu laufen", erinnert sich die Mutter. Weil eine Entwicklungsverzögerung festgestellt wurde, verordneten die Ärzte auch Krankengymnastik.

Physiotherapeutin Katrin Westhoff, die seither regelmäßig zu Timon kommt, hatte bald das Gefühl: "Da könnte mehr dahinterstecken." Der Kinderarzt riet zu einer MRT-Untersuchung im Krankenhaus, die bei Timon Veränderungen der weißen Hirnsubstanz zeigte - Anzeichen für eine Leukodystrophie. Der dann von einer Uni-Klinik durchgeführte Gentest bestätigte den Verdacht und stellte das Alexander-Syndrom fest.

Reittherapie und Familienhelferin

Im Internet stieß Stephanie Hagenlüke vor fünf Jahren auf den Selbsthilfeverein ELA, die Europäische Vereinigung gegen Leukodystrophien. Bei den jährlichen Vereinstreffen informieren Fachleute über neue Entwicklungen in Diagnostik, Therapie und Medizin. Dort erfuhr Stephanie Hagelüke von einem Spezialisten an der Uni-Klinik Leipzig, zu dem sie nun einmal im Jahr mit Timon reist. Sie hofft auf die Entwicklung neuer Medikamente, die das Fortschreiten der Krankheit zumindest verlangsamen könnten.

Die Fahrten nach Leipzig zahlen Hagenlükes privat, ebenso die Reittherapie für den Zwölfjährigen. Die Krankenkasse finanziert Logopädie und die zweimal wöchentliche Krankengymnastik. Die Physiotherapeutin möchte, so lang es geht, Timons Stehfähigkeit erhalten, die Neigung zu Spastiken bremsen und auch die Atemmuskeln stärken.

Außerdem kommt wöchentlich Familienhelferin Annette Wagner, die von der Pflegekasse bezahlt wird. "Ich bin vor allem zur Entlastung der Mutter da", sagt Wagner, die Timon zur Reittherapie fährt, Schularbeiten der Geschwister begleitet oder die Wäsche des sechsköpfigen Haushalts übernimmt. Weil Timons Krankheit lebensverkürzend ist, wird die Familie auch von einem ambulanten Palliativ-Team betreut, regelmäßig kommen Hospizbegleiterinnen.

Was es in ihrer Situation an Hilfen gibt, musste die Familie nach eigenen Worten stets selbst herausfinden. Das Gesundheitssystem, findet Stephanie Hagenlüke, sei nicht wirklich auf Patienten wie ihren Sohn eingestellt. "Niemand nimmt einen an die Hand, gefühlt müssen wir um vieles erst kämpfen", sagt die gelernte Groß- und Außenhandelskauffrau, die nach Timons Diagnose ihren Job aufgeben musste.

Wissen über den praktischen Umgang mit der Leukodystrophie bekommen die Hagenlükes vor allem durch den Austausch mit anderen betroffenen Familien - zuletzt über Erfahrungen mit einer Magensonde. Weil Timon zu wenig trank und sich dabei oft verschluckte, nimmt er Flüssigkeit nun durch eine Sonde zu sich. Die Sorge der Mutter, dass ihr Junge dann auch aufhört, normal zu essen, hat sich nicht bestätigt: Pfannkuchen oder Bratwurst mag er noch immer besonders gern.

Thomas Krüger (epd)


Wahlrechtsausschluss für Behinderte gekippt

Psychisch kranke und behinderte Menschen dürfen nicht pauschal von Wahlen ausgeschlossen werden. Der im Bundeswahlgesetz enthaltene Wahlrechtsausschluss verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und gegen das Verbot einer Benachteiligung behinderter Menschen, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 20. Februar veröffentlichten Beschluss entschied. Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung begrüßte den Richterspruch. Die BAG-Entscheidung löste neuen Streit in der Koalition aus. (AZ: 2 BvC 62/14)

Die gesetzlichen Regelungen sehen den Wahlrechtsausschluss für psychisch kranke und behinderte Menschen vor, für die dauerhaft ein Berufsbetreuer in allen Angelegenheiten bestellt wurde. Außerdem sind schuldunfähige, im Maßregelvollzug untergebrachte Straftäter per Gesetz von Wahlen ausgeschlossen.

Mehrere Betroffene hatten Beschwerde gegen ihren Ausschluss von der Bundestagswahl 2013 eingelegt. Sie konnten ebenso wie mehr als 82.000 vollbetreute Personen nicht an der Wahl teilnehmen und sahen darin einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Gleichbehandlungsgrundsatz

Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen nun recht: Der Ausschluss von psychisch kranken oder behinderten Menschen, für die dauerhaft ein Berufsbetreuer für alle Angelegenheiten bestellt wurde, verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. So gebe es Betroffene, bei denen etwa Familienangehörige die Betreuung wegen einer erteilten Vollmacht übernehmen. Diese dürften wählen. Diese Ungleichbehandlung sei nicht zu rechtfertigen.

Nicht mit dem Grundgesetz im Einklang stehe auch der gesetzliche Wahlrechtsausschluss von psychisch kranken, im Maßregelvollzug untergebrachten Straftätern, erklärten die Richter weiter. Die Betroffenen seien dort wegen Schuldunfähigkeit und wegen einer Gefahr für die Allgemeinheit untergebracht. Die Krankheitsbilder, die eine Schuldunfähigkeit begründeten, sagten aber nichts darüber aus, ob jemand nicht fähig sei, wählen zu können.

Auch könne von einer Unterbringung abgesehen werden, wenn "von dem Schuldunfähigen keine Gefahr erheblicher Straftaten ausgeht", hieß es weiter. In diesem Fall dürfte der Betroffene wiederum wählen gehen. Auch dies sei mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar.

Das Bundesverfassungsgericht entschied nur zum Bundeswahlgesetz. Vergleichbare umstrittene Wahlrechtsausschlüsse gibt es aber auch zur Europawahl, die am 26. Mai stattfindet.

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, begrüßte die BAG-Entscheidung. Er forderte die Regierungsfraktionen auf, den Koalitionsvertrag "nun ohne Wenn und Aber umzusetzen". Bei der anstehenden Europawahl dürfe es diese Wahlausschlüsse nicht mehr geben.

"Inklusives Wahlrecht für alle"

Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, CDU und CSU auf eine Änderung beim Wahlrecht verständigt. "Unser Ziel ist ein inklusives Wahlrecht für alle", heißt es dort. "Wir werden den Wahlrechtsausschluss von Menschen, die sich durch eine Vollbetreuung unterstützen lassen, beenden."

Die SPD attackierte den Koalitionspartner. Die Spitze der CDU/CSU-Fraktion habe bislang verhindert, dass eine bereits im November gefundene Einigung der Fachpolitiker zur Änderung des Wahlrechts im Bundestag verabschiedet werde, kritisierte die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Eva Högl.

Die FDP nannte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eine "herbe Klatsche" für die Union. Erst am Mittwoch sei der Gesetzentwurf der FDP für eine Änderung des Wahlrechts im zuständigen Ausschuss des Bundestags "grundlos von Union und SPD abgelehnt" worden.

Die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und SPD-Bundestagsabgeordnete, Ulla Schmidt, sprach von einem "großartigen Erfolg für Menschen mit Behinderung und für unsere Demokratie. Endlich dürfen wirklich alle erwachsenen deutschen Bürger wählen", sagte Schmidt. Die Lebenshilfe hatte die acht Beschwerdeführer gemeinsam mit der Caritas unterstützt.



Saarland weitet Pflegeprojekt "Saarphir" aus


Ein Krankenpfleger misst den Blutdruck einer Patientin in einem Pflegeheim.
epd-bild/Jürgen Blume

Das Modellprojekt zur besseren medizinischen Versorgung von Bewohnern in Altenpflegeeinrichtungen im Saarland geht ab 1. April in die nächste Phase. In der Pilotphase in Saarbrücken hätten bereits 345 Versicherte teilgenommen, sagte die Barmer-Landesgeschäftsführerin für Rheinland-Pfalz und das Saarland, Dunja Kleis, am 21. Februar in Saarbrücken. Nun könnten sich weitere Einrichtungen und Ärzte im Saarland bis zum 15. März für "Saarphir" (Saarländische Pflegeheimversorgung Integriert Regelhaft) anmelden. Insgesamt ist das im vorigen Jahr gestartete Projekt auf drei Jahre angelegt. Der Bund fördert es mit 5,5 Millionen Euro.

Über multiprofessionelle Teams sollen Synergieeffekte erreicht werden, die allen Beteiligten die Arbeit vereinfacht und die Qualität der Versorgung verbessert, wie der stellvertretenden Vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Saarland, Joachim Meiser erklärte. Demnach bilden niedergelassene Ärzte regionale Versorgerteams, die für die Altenpflegeeinrichtungen erreichbar sind. Ihnen stehen wiederum geschulte Pflegekräfte als Ansprechpartner zur Verfügung. Eines der Ziele ist auch, die Zahl der vermeidbaren Krankenhausaufenthalte zu verringern.

Mehr Austausch

So stehen seit Start des Projekts beispielsweise im Johanna-Kirchner-Haus der stellevertretenden Pflegedienstleitung Kerstin Schreiner zufolge sechs Ärzte aus vier Praxen zur Verfügung. In quartalsmäßigen Besprechungen tauschten sie sich über Organisatorisches aus, ansonsten gehe es in regelmäßigen Besprechungen auch um Arzneimittelsicherheit und Visitenzettel. "Saarphir ist für die Einrichtung eine richtig gute Sache", sagte sie.

Ein wichtiger Faktor sei die Rufbereitschaft, betonte Schreiner. Diese gehe von 8 bis 21 Uhr. Dadurch könne noch ein Arzt des Teams vorbeikommen, eine Patientin abhören und entscheiden, wie weiter vorgegangen werden müsse. Früher wäre die Empfehlung sonst oft das Krankenhaus gewesen. "Das wollen wir aber nicht", sagte sie. Denn ein Krankenhausaufenthalt bedeute weitere mögliche Gefahren wie etwa Stürze oder Keime.

Auch für den Arzt für Innere Medizin, Wolfgang Hoch, der an dem Projekt teilnimmt, hat die bisherige Projektphase Vorteile aufgezeigt. "Das Projekt gibt Rückenwind", sagte er. So steigerten die regelmäßigen Kontakte zum pflegerischen Personal die Kompetenz und das Vertrauen, es gebe einen Austausch auf Augenhöhe. Auch bedeute es für ihn keine Mehrarbeit, betonte er. Durch die Teamaufteilung sei er nur alle sechs Wochen mit der zusätzlichen Visite vor oder am Wochenende beschäftigt.

An dem Projekt nehmen neben Barmer, Kassenärztlicher Vereinigung und Pflegegesellschaft viele weitere Krankenkassen teil. Die Bergische Universität Wuppertal, die Hochschule für Technik und Wirtschaft sowie die Universität des Saarlandes begleiten das Projekt wissenschaftlich, um eine bundesweite Einsatzmöglichkeit zu prüfen.



Mehrheit der älteren Arbeitnehmer will früh in Rente gehen

Die meisten älteren Arbeitnehmer wollen nicht bis zum regulären Rentenalter arbeiten. Einer Erhebung der Universität Wuppertal zufolge, die der "Welt am Sonntag" vorliegt, wollen 30 Prozent der Befragten schon mit 60 Jahren in Rente gehen. 26 Prozent ziehen einen Ausstieg aus dem Erwerbsleben mit 63 Jahren vor. 15 Prozent nennen als Wunschzeitpunkt 65 Jahre. Die reguläre Altersgrenze liegt derzeit bei 65 Jahren und acht Monaten und steigt in den nächsten Jahren schrittweise bis auf 67 Jahre.

Von den geburtenstarken Jahrgängen der sogenannten Babyboomer-Generation will damit nicht einmal jeder Zehnte bis zur regulären Altersgrenze arbeiten. Die Umfrage im Rahmen der "Kohortenstudie zu Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe bei älteren Erwerbstätigen in Deutschland" wurde vom Lehrstuhl für Arbeitswissenschaft der Universität Wuppertal erstellt.

In Deutschland herrsche weiterhin eine ausgeprägte "Kultur des Frühausstiegs" vor, sagte der Studienleiter Hans Martin Hasselhorn der Zeitung. "Die Älteren wissen durchaus, dass sie länger arbeiten sollen, sie wollen aber nicht", sagt der Arbeitsmediziner.

Das Forscherteam, dem Mediziner, Soziologen und Psychologen angehören, hat für seine Langzeitstudie zwischen 2011 und 2018 drei Befragungswellen mit den gleichen Teilnehmern durchgeführt. Die Ergebnisse sind repräsentativ für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.

Wie die Studie zeigt, haben die Babyboomer überwiegend ein positives Bild von ihrem Ruhestand. So rechneten 44 Prozent für die Zeit nach dem Erwerbsleben mit einer Verbesserung ihres Lebens, nur zehn Prozent erwarteten eine Verschlechterung.



Kündigung eines katholischen Chefarztes wegen zweiter Ehe unwirksam


Symbolbild
epd-bild/Annette Zoepf
Der Chefarzt einer katholischen Klinik hat erfolgreich gegen seine Kündigung nach einer zweiten Heirat gekämpft. Das Bundesarbeitsgericht sah seine Entlassung als nicht gerechtfertigt an. Die Kirche kann aber noch das Verfassungsgericht anrufen.

Ein katholisches Krankenhaus darf einem katholischen Chefarzt nach dessen Ehescheidung nicht wegen einer zweiten Heirat kündigen. Sehen kirchliche Glaubensgrundsätze darin bei katholischen Mitarbeitern einen schweren Loyalitäts-Verstoß, bei nichtkatholischen Mitarbeitern dagegen nicht, stellt diese Ungleichbehandlung eine Diskriminierung dar, urteilte am 20. Februar das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte die Entscheidung der Richter. (AZ: 2 AZR 746/14)

Nur wenn die Einhaltung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre für die berufliche Tätigkeit eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte Anforderung darstellt", könne eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein, erklärte das Gericht. Dass ein Chefarzt wegen seiner zweiten Ehe seine Arbeit nicht mehr korrekt ausüben kann, sah das BAG dagegen nicht.

Im konkreten Fall ging es um einen Chefarzt des katholischen St. Vinzenz-Krankenhauses in Düsseldorf. Der Mediziner hatte in seinem Arbeitsvertrag erklärt, sich an die katholische Glaubens- und Sittenlehre zu halten. Diese beinhaltet auch die "heilige und unauflösliche Ehe". In der katholischen Grundordnung des kirchlichen Dienstes aus dem Jahr 1993 wurde festgelegt, dass im Fall einer Wiederheirat der leitende katholische Mitarbeiter gekündigt werden müsse. Mitarbeiter anderer Religionen hatten dies nicht zu befürchten.

Als der Chefarzt sich 2005 von seiner katholisch angetrauten Frau scheiden ließ und 2008 seine neue Lebensgefährtin standesamtlich heiratete, wurde er entlassen.

Jahrelanger Rechtsstreit

Am 8. September 2011 erklärte das BAG die Kündigung für unwirksam, da der Chefarzt im Verhältnis zu Kollegen mit anderer Religionszugehörigkeit gleichheitswidrig behandelt werde (Az.: 2 AZR 543/10). Das Bundesverfassungsgericht hob dieses Urteil 2014 jedoch auf. Das im Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht der Kirche erlaube es, eigene Mitglieder schärfer zu sanktionieren als Nichtmitglieder (Az.: 2 BvR 661/12).

Das BAG legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor, da der EU-rechtliche Gleichheitsgrundsatz verletzt sein könne. Dies bestätigten die Luxemburger Richter und erklärten, dass kirchliche Arbeitgeber die Einhaltung kirchlicher Glaubensgrundsätze nur dann verlangen dürfen, wenn dies für die konkrete Tätigkeit "wesentlich und gerechtfertigt" sei.

Dies setzte das BAG nun in seinem aktuellen Urteil um. Die Kündigung des Chefarztes sei nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt. Die Vorschrift in der Grundordnung zur Wiederverheiratung sei unwirksam. Eine Loyalitätspflicht sei damit nicht verletzt worden. Es sei aus der Tätigkeit des Chefarztes kein Grund ersichtlich, ihn wegen seiner Wiederheirat anders zu behandeln als nichtkatholische Kollegen. Die Ungleichbehandlung stelle eine Diskriminierung wegen der Religion dar.

Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 stehe dem nicht entgegen. Denn EU-Recht dürfe die Voraussetzungen festlegen, unter denen kirchliche Arbeitgeber ihre Beschäftigten wegen der Religion ungleich behandeln können.

Gegen die Entscheidung kann der kirchliche Arbeitgeber erneut Verfassungsbeschwerde einlegen. In diesem Fall könnte es zu einem Konflikt zwischen dem Bundesverfassungsgericht und dem EuGH kommen, welches Gericht das letzte Wort hat.

Neue Grundordnung

Das Erzbistum Köln erklärte, es werde das schriftliche BAG-Urteil sowie "mögliche Konsequenzen intensiv prüfen". Es verwies zudem auf die mittlerweile 2015 geänderte und nicht mehr so strenge Grundordnung des kirchlichen Dienstes. Der Kündigungssachverhalt wäre nach heute geltendem Kirchenrecht anders zu beurteilen, hieß es.

Die Gewerkschaft ver.di bezeichnete das Urteil als "überfällig und wegweisend". Einem Mitarbeiter zu kündigen, weil er ein zweites Mal geheiratet habe, finde auch in der Gesellschaft keine Akzeptanz mehr, sagte Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes begrüßte die BAG-Entscheidung. Sie stelle klar, dass kirchliche Arbeitgeber ihren Beschäftigten keine Loyalitätspflichten auferlegen dürfen, die nicht im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit stehen. "Kirchliche Arbeitgeber werden deshalb in Zukunft Loyalitätspflichten genau prüfen und sorgfältig begründen müssen", sagte Bernhard Franke, der kommissarische Leiter der Antidiskriminierungsstelle.

Der kirchenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Konstantin von Notz, sieht in dem Urteil einen "Schritt für mehr Rechtsklarheit" für die etwa 1,3 Millionen Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen in Deutschland.



Loyalität gegenüber dem katholischen Arbeitgeber

Ein Kirchenaustritt aus Gewissensgründen hat für Beschäftigte eines katholischen Arbeitgebers arbeitsrechtliche Folgen. Auch die Wiederheirat eines in einem katholischen Krankenhaus arbeitenden katholischen Chefarztes gilt dem kirchlichen Arbeitgeber als nicht hinnehmbar. Die Kirchen haben nach dem Grundgesetz ein Selbstbestimmungsrecht und dürfen in ihrem kirchlichen Arbeitsrecht schwere Verletzungen gegen die kirchlichen Loyalitätspflichten mit Kündigungen ahnden.

In der katholischen Kirche hat die Deutsche Bischofskonferenz in ihrer Grundordnung des kirchlichen Dienstes die Pflichten der Beschäftigten festgelegt. Danach müssen Arbeitnehmer zwar nicht zwingend der katholischen Kirche angehören. Doch müssen sie die "Eigenart des kirchlichen Dienstes" bejahen. "Für keinen Dienst in der Kirche geeignet ist, wer sich kirchenfeindlich betätigt oder aus der katholischen Kirche ausgetreten ist", heißt es in der Grundordnung.

Dazu gehört das öffentliche Eintreten gegen Grundsätze der katholischen Kirche wie die Propagierung von Abtreibung oder Fremdenhass. Auch das Verhöhnen von katholischen Glaubensinhalten, Riten oder Gebräuchen sowie öffentliche Gotteslästerung können bei allen Mitarbeitern arbeitsrechtliche Konsequenzen haben.

Strengerer Maßstab

Für katholische Beschäftigte gilt ein strengerer Maßstab als für Nicht-Katholiken. Sie müssen die Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre beachten. Nicht-katholische christliche Mitarbeiter müssen sich an die Werte des Evangeliums halten, nicht-christliche Beschäftigte müssen bei ihrem katholischen Arbeitgeber ihre Aufgaben "im Sinne der Kirche" erfüllen.

Gegen die unterschiedliche Behandlung von katholischen und nicht-katholischen Mitarbeitern hat sich ein Chefarzt erfolgreich gewehrt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt erklärte am Mittwoch die Kündigung für unwirksam, die der Arzt nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau und der standesamtlichen Heirat mit seiner neuen Partnerin erhalten hatte.

Zuvor hatte etwa das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg im Oktober 2011 zu einem gekündigten Krankenpfleger geurteilt, jemand handele illoyal, der sich in einer Satire im Internet mit polemischen und "auf niedrigem Niveau angesiedelten Äußerungen gegen den Papst als Oberhaupt der katholischen Kirche" auslasse. (AZ: L 12 AL 2879/09) Der Krankenpfleger hatte in einem Krankenhaus der Caritas gearbeitet und sich negativ über den Papst geäußert. Damit habe er seine Kündigung "grob fahrlässig" herbeigeführt, so dass gegen ihn außerdem eine zwölfwöchige Sperrzeit auf das Arbeitslosengeld verhängt werden kann, befand das LSG.

Loyalitätsverstoß

Auch die im Grundgesetz geschützte Gewissensfreiheit schützt bei einem Loyalitätsverstoß nicht unbedingt vor einer Kündigung. So wurde einem bei der Caritas beschäftigten Sozialpädagogen zu Recht wegen seines Kirchenaustritts gekündigt, wie im April 2013 das BAG in Erfurt urteilte. (AZ: 2 AZR 579/12)

Der Mann war wegen der zahlreichen Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Er stieß sich zudem an den Vorgängen der erzkonservativen Pius-Bruderschaft und deren "antijudaische Tradition". Aus Glaubens- und Gewissensgründen könne er der katholischen Kirche daher nicht mehr angehören, erklärte er. Seinen Caritas-Job in einem Sozialen Zentrum im Raum Mannheim wollte er dennoch behalten.

Doch der Mann habe im "verkündungsnahen Bereich" gearbeitet und damit am Sendungsauftrag der katholischen Kirche teilgenommen, stellte das BAG klar. Mit seinem Kirchenaustritt habe er sich "insgesamt von der katholischen Glaubensgemeinschaft" losgesagt. Damit habe der Sozialpädagoge seine arbeitsvertraglichen Loyalitätspflichten verletzt, so dass die fristlose Kündigung des Beschäftigten gerechtfertigt war. Eine unzulässige Diskriminierung wegen des Glaubens liege darin nicht, erklärte das BAG.

Von Frank Leth (epd)


Techniker Krankenkasse testet elektronisches Arztrezept


Digitales Arztrezept auf dem Smartphone
epd-bild/Philipp Reiss
In Hamburg testet die Techniker Krankenkasse in einem Pilotprojekt das elektronische Rezept: Patienten bekommen vom Arzt einen Code auf ihr Handy und gehen damit in die Apotheke. Deutschland kommt damit im europäischen Vergleich relativ spät.

Wer krank wird und zum Arzt geht, verlässt die Praxis heute noch mit einem rosafarbenen Rezept – in Zukunft könnte sich das ändern und das eigene Smartphone das Papier ersetzen: Geht es nach dem Willen der Techniker Krankenkasse, kann ein Arzt einem Patienten dessen Rezept in Zukunft dorthin senden, als sogenannten QR-Code. Mit seinem Handy geht der Kranke dann zur Apotheke, dort wird der Code eingescannt – und er erhält die Medikamente. All das ohne Papier. Ist ein Folgerezept notwendig, kann der Arzt dies sogar aus der Entfernung übermitteln – der Patient muss nicht mehr in die Praxis kommen.

"Mittelfristig bietet sich eine Verknüpfung mit weiteren Services an – beispielsweise kann die App den Patienten erinnern, wenn die Arznei bald aufgebraucht ist", sagt Frank Verheyen. Er hat das Pilotprojekt zum E-Rezept mitgestaltet, an dem in den kommenden 18 Monaten in Hamburger Stadtteil Wandsbek Ärzte, Apotheken und Patienten teilnehmen können. Funktioniert es, will die TK es nach Möglichkeit auf ganz Deutschland ausdehnen. Dabei setzt die Kasse auf die Kommunikation zwischen Arzt und Patient: "Es ist am aussichtsreichsten, Patienten auf diese Weise anzusprechen."

Politisch gewollt

Was die TK jetzt angeht, ist politisch gewollt: Im November hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigt, dass Ärzte ab dem Jahr 2020 ihre Verschreibungen auf elektronischem Weg an eine Apotheke übermitteln können sollen. Dies sei ein Weg, die Digitalisierung des Gesundheitswesens voranzutreiben. Ein entsprechendes Gesetz dazu solle nächstes Jahr in Kraft treten. Deutschland kommt damit relativ spät im europäischen Vergleich. Nach Zahlen des Euro Health Consumer Index 2017 haben bereits 17 Staaten das E-Rezept eingeführt.

Datenschutzrechtliche Bedenken hat die TK nicht: Die Datenübermittlung würde über einen gesicherten Kanal laufen. Und es würden keine Informationen ausgetauscht, bei denen das nicht heute schon der Fall wäre. "Die Datenübermittlung ist ja heute schon im Hintergrund digitalisiert", sagt Frank Verheyen von der TK.

Einheitliche Standards

Grundsätzliche Zustimmung zum Projekt kommt von der Ärztevereinigung Marburger Bund. Das E-Rezept sei "eine Möglichkeit, die Medizinern zur Verfügung stehen sollte", sagt deren Sprecher Hans-Jörg-Freese. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) sowie die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verweisen allerdings auf eigene Anstrengungen in dem Bereich. "Schlecht wäre es, wenn unterschiedliche technische Standards und Schnittstellen zum Einsatz gelangen würden. Davon hätte niemand einen Nutzen", sagte KBV-Sprecher Roland Stahl.

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt ergänzt, dass die freie Apothekenwahl nicht angetastet werden dürfe. "Die Entscheidungshoheit des Patienten, welche Apotheke sein Rezept beliefern soll und wo er sich beraten lassen will, muss erhalten bleiben."

Grundsätzliche Bedenken an der Zweckmäßigkeit und Sicherheit von E-Rezepten kommen von Patientenvertretern. "Das Smartphone ist eine potenziell gefährdete Schnittstelle. Es wäre also zu fragen, ob Patientendaten ausreichend gesichert werden können", sagt Gregor Bornes von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Patientenstellen und -initiativen (BAGP). Zudem eigne sich das System nur für Leute, die mit Technik umgehen können. "Das gilt aber für viele Patienten gerade nicht", sagt Gregor Bornes.

Sebastian Stoll (epd)


Heftige letzte Debatte zum Paragrafen 219a im Parlament


Abstimmung zum Paragrafen 219a im Bundestag
epd-bild/Christian Ditsch
In knapp einer Woche hat die Koalition ihren Kompromiss zum Werbeverbot für Abtreibungen durchs Parlament gebracht. Die Opposition ist wütend, die Union zufrieden, und die SPD verteidigt sich noch einmal. Sie muss gegen ihre Überzeugung stimmen.

Nach langem Ringen geht es am Ende schnell: Weniger als eine Woche hat die Koalition aus Union und SPD gebraucht, um ihren Kompromiss zum Werbeverbot für Abtreibungen durch den Bundestag zu bringen. Am 21. Februar stimmt das Parlament in Berlin namentlich über den Regierungsantrag ab. Es kommt wie erwartet. Die SPD hält sich an die Fraktionsdisziplin und stimmt zu. Dabei gibt es mindestens eine Ausnahme: Hilde Mattheis vom linken Flügel, die ihr Nein angekündigt hatte.

Linke, Grüne und FDP stimmen dagegen, nach einer kurzen Debatte, in der sie ihrer Wut über diesen Kompromiss noch einmal Luft gemacht haben. "Beschämend", "versemmelt", "eine Absurdität", kritisieren Abgeordnete der FDP, der Linken und der Grünen. "Verfassungswidrig" sei eine Regelung, die identische Informationen beim Arzt mit zwei Jahren Gefängnis bedrohe und auf einer Behördenseite nicht, sagt die Grünen-Rechtspolitikerin Katja Keul. Grüne, Linke und FDP wollen den Paragrafen 219a abschaffen. Auch die AfD stimmt gegen das Gesetz. Das Werbeverbot zu lockern, komme einer Kapitulation beim Lebensschutz gleich, meint sie.

"Durchpeitschen"

In etwa zwei Monaten tritt das Gesetz in Kraft. Dann müssen Ärzte keine Strafverfolgung mehr fürchten, wenn sie auf ihrer Internetseite oder in Flyern darauf hinweisen, dass sie Abtreibungen machen. Für weitere Informationen sollen sie indes auf offizielle Stellen verweisen. Die Bundesärztekammer führt eine Liste mit Ärzten und Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

Die Opposition hat das schnelle Verfahren als "Durchpeitschen" heftig kritisiert. "Die Hoffnung der Union und der SPD, dass das Thema heute beendet ist, wird sich aber nicht erfüllen", prognostizierte die Vize-Fraktionsvorsitzende der Linken, Cornelia Möhring. Im Kern gehe es einmal mehr darum, Frauen zu kontrollieren und zu bevormunden.

Die SPD war von Anfang an im Dilemma. Einen eigenen Antrag auf Abschaffung des Paragrafen 219a, den die Fraktion im Dezember 2017 nach der Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel aufgrund der umstrittenen Rechtslage beschlossen hatte, musste sie schon im Februar wieder auf Eis legen. Inzwischen war der Koalitionsvertrag mit der Union ausgehandelt - und es war allen klar, dass die SPD die erste Koalitionskrise auslösen würde, wenn sie beim Werbeverbot für Abtreibungen mit der Opposition gemeinsame Sache gegen die Union machen würde.

Mit Grabesstimme

Die Haltung der Union war klar. Das Werbeverbot ist Teil des Konzepts zum Schutz ungeborenen Lebens und sollte nicht verändert werden. Die damalige CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer gab im März 2018 die Linie vor: Aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion werde es keine Unterstützung geben für Initiativen, die das Werbeverbot kippen wollen.

Kurz darauf wurde die neue Bundesregierung vereidigt. Es brauchte dann noch fast zehn Monate, um den Entwurf auszuhandeln, den Justizministerin Barley schließlich am 15. Februar mit Grabesstimme im Bundestag vorstellte. In der abschließenden Debatte verteidigte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach den Kompromiss. Mehr sei mit der Union nicht möglich gewesen.

Die Union hingegen gab sich zufrieden. Es sei von gegenteiligen Positionen aus ein guter Kompromiss gefunden worden, schmerzhaft für beide Seiten, sagte die Fraktionsvize Nadine Schön (CDU). Das Abtreibungsrecht in Deutschland bleibe ein gut austariertes System. Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland illegal, werden aber bis zur zwölften Woche nicht bestraft, wenn die Frau das Beratungsverfahren einhält.

Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, der evangelische Theologe Peter Dabrock, sagte vor einem Jahr, als die Debatte um den Paragrafen 219a im Bundestag gerade losging und schnell klar war, welche Wucht sie entwickeln würde, wer Veränderungen im Abtreibungsrecht wolle, müsse sich darüber klar sein, dass er gesellschaftlichen Sprengstoff freisetze: "Ich frage mich", sagte Dabrock, "ob wir das in diesen ohnehin aufgewühlten Zeiten zusätzlich brauchen."

Bettina Markmeyer (epd)


Länder hinken beim Rückholen von Unterhaltsvorschuss hinterher

Die Quote, wie oft sich der Staat den Unterhalt von säumigen Elternteilen zurückholt, ist 2018 gesunken. Das Familienministerium verweist auf die gestiegene Zahl der Fälle, die ein Sinken der Quote erklärt. Verbesserungsbedarf sieht es trotzdem.

Der Staat hinkt beim Eintreiben des Unterhaltsvorschusses von säumigen Elternteilen hinterher. Wie ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums am 18. Februar in Berlin bestätigte, lag die sogenannte Rückholquote im vergangenen Jahr bei lediglich 13 Prozent. 2017 seien 19 Prozent der Mittel zurückgezahlt worden, 2016 sogar 23 Prozent. Der Unterhaltsvorschuss geht an Alleinerziehende, wenn der andere Elternteil seinen finanziellen Pflichten nicht nachkommt. Die Regelung wurde 2017 ausgeweitet. Nach Angaben des Familienministeriums ist danach die Fallzahl deutlich gestiegen - und die Quote entsprechend prozentual gesunken.

Seit Mitte 2017 wird der Unterhaltsvorschuss bis zum 18. Geburtstag unbefristet gezahlt. Zuvor wurde die Unterstützung nur bis zum zwölften Geburtstag des Kindes und für maximal sechs Jahre gewährt. Die Zahl der Fälle hat sich nach Angaben eines Sprechers des Bundesfamilienministeriums seitdem nahezu verdoppelt. 780.000 Alleinerziehende erhalten demnach derzeit für ihre Kinder Unterhaltsvorschuss. Das sind 370.000 mehr als vor der Reform.

Der prozentuale Anteil beim Rückgriff sei deshalb gesunken, erläuterte der Sprecher. Er betonte, dass der Staat insgesamt mehr Geld zurückgeholt hat: 2018 wurden 270 Millionen Euro zurückgezahlt, 2017 waren es 209 Millionen Euro.

Dennoch seien Verbesserungen beim Rückgriff auf die säumigen Väter nötig, betonte der Sprecher. Nach seinen Angaben beschäftigt sich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe mit dem Thema.

2018 gab der Staat nach Angaben des Bundesfamilienministeriums 2,1 Milliarden Euro für den Unterhaltsvorschuss aus. Der Bund beteiligt sich seit der Reform in Höhe von 40 Prozent an den Kosten, was 2018 einen Anteil von 841 Millionen Euro ausmachte. Für das Zurückholen des Geldes sind Länder und Kommunen zuständig.



Studie: Jedes zweite Kind fürchtet Armut


Ein Junge packt seine Schulbrot-Box.
epd-bild/Jürgen Blume
Materielle Sicherheit allein reicht nicht, um Kindern ein gutes Aufwachsen zu ermöglichen. Eine Umfrage unter Kindern zeigt, dass auch mehr Mitbestimmung und Ansprechpartner in Familie und Schule wichtig sind.

Jedes zweite Kind in Deutschland fürchtet Armut. Obwohl sie nach eigenen Aussagen gut versorgt seien, sorgten sich mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen um die finanzielle Situation ihrer Familie, erklärte die Bertelsmann Stiftung am 19. Februar in Gütersloh. Für mehr als 96 Prozent gilt zwar, dass sie genug zu essen und Platz zum Spielen haben. Kinder vermissen jedoch in der Familie und in der Schule Ansprechpartner, die sich um sie kümmern. Parteien und Sozialverbände fordern bessere Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder wie etwa eine Absenkung des Wahlalters.

Jeder zehnte 14-Jährige hätte der Bertelsmann-Studie zufolge gern in der Familie jemanden, der sich um ihn kümmert. Bei den achtjährigen Kinder ist es jedes zwanzigste. An der Schule hat jedes zweite ältere Kind nicht den Eindruck, von Lehrern Hilfe bei persönlichen Problemen zu bekommen. Rund ein Drittel der Kinder an Haupt-, Gesamt- oder Sekundarschulen fühlt sich zudem nicht sicher an der Schule. Sicher fühlten sich vor allem Gymnasiasten und Grundschüler mit mehr als 80 Prozent.

Der Studie zufolge haben neun von zehn Kinder einen ungestörten Arbeitsplatz, ein eigenes Schlafzimmer haben nur acht von zehn. Fast 90 Prozent haben der Studie zufolge schon einen Familienurlaub gemacht. Der Anteil von Schülern, die mit ihren Eltern Urlaub gemacht und ein eigenes Zimmer haben, ist bei Gymnasiasten höher. Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschüler haben der Studie zufolge schlechtere Bedingungen.

Experten fordern mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Kinder

Das Deutsche Kinderhilfswerk forderte die Verankerung von Beteiligungsrechten von Kindern im Grundgesetz sowie eine Absenkung des Wahlalters auf zunächst 16 Jahre, langfristig auf 14 Jahre. Zu einem guten Aufwachsen gehörten auch strukturelle Rahmenbedingungen für eine altersgerechte gesellschaftliche Teilhabe, erklärte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann. "Kinder und Jugendliche haben bisher häufig nicht die Möglichkeit, ihre Meinung kundzutun, so dass ihre Perspektive keine Beachtung findet", unterstrich Hofmann.

Auch die Grünen mahnten eine Absenkung des Wahlalters an. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichten einmal mehr, wie wichtig es sei, Kinder und Jugendliche in altersgerechter Form zu beteiligen, erklärte die jugendpolitische Sprecherin der Grünen, Beate Walter-Rosenheimer. Ein konsequenter Schritt wäre die Absenkung des Wahlalters auf Bundesebene auf 16 Jahre. Jugendliche bräuchten eine starke Stimme. Sie könnten und sollten mitgestalten: "Das muss endlich auch die Bundesregierung einsehen", betonte Walter-Rosenheimer.

Die Vorsitzende der Partei "Die Linke", Katja Kipping, forderte neben mehr Beteiligungsmöglichkeiten eine Kindergrundsicherung. Angst vor Armut sei der denkbar schlechteste Begleiter beim Start ins Leben. Alle bisherigen Instrumente schützten nicht zuverlässig vor Armut. Nötig sei eine Kindergrundsicherung von rund 600 Euro für alle Kinder und Jugendlichen.

Grundlage der Studie ist die internationale Kinder- und Jugendbefragung "Children's Worlds" für Deutschland. Für die Studie haben Forscher der Universität Frankfurt den Angaben zufolge gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung im Schuljahr 2017/2018 rund 3.450 Kinder und Jugendliche zwischen acht und 14 Jahren befragt.



Aschermittwochsempfang im Wittekindshof über Bundesteilhabegesetz


Michael Conty ist zu Gast im Wittekindshof.
epd-bild / v. Bodelschwinghsche Stiftungen

Bei ihrem traditionellen Aschermittwochsempfang rückt die Diakonische Stiftung Wittekindshof in Bad Oeynhausen in diesem Jahr die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes in den Blick. Das Gesetz sei die größte sozialpolitische Reform der Behindertenhilfe, erklärte der Wittekindshof am 20. Februar. Über die Chancen und Herausforderungen des Gesetzes werden der Vorstand des Evangelischen Fachverbands "Behindertenhilfe und Psychiatrie Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe", Michael Conty, und der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Matthias Löb gemeinsam mit Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen sprechen.

Die Herausforderung bei der Reform sei es, "einen gut abgestimmten Fahrplan zu entwickeln, um alle Beteiligten mit auf den Weg zu nehmen", erklärte der Wittekindshofer Vorstandssprecher Dierk Starnitzke. Das betreffe nicht nur Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen, sondern jede Kommune und andere Kostenträger sowie Sozialeinrichtungen. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung will die Bundesregierung die UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen. Das im Dezember 2016 verabschiedete Gesetz soll schrittweise bis 2023 in Kraft treten.

Zu dem Jahresempfang der Diakonischen Stiftung werden am 6. März etwa 300 geladene Gäste aus Politik, Wirtschaft, Sozialwesen und Kirchen auf dem Wittekindshofer Gründungsgelände in Bad Oeynhausen-Volmerdingsen erwartet. Die 1887 gegründete Stiftung Wittekindshof mit Sitz in Bad Oeynhausen unterstützt nach eigenen Angaben mit rund 3.300 Mitarbeitern rund 5.000 Menschen mit und ohne Behinderung in den Regionen Ostwestfalen, Münsterland und im Ruhrgebiet.



Preise für Sozialunternehmen wurden in Bonn verliehen

Der mit insgesamt 35.000 Euro dotierte Global-Goals-Wirkungsfonds-Preis ist am 21. Februar in Bonn an drei Unternehmen mit sozialem Schwerpunkt verliehen worden. Den ersten Platz belegte das Duisburger Start-up Ichó Systems GmbH, das 20.000 Euro erhielt, wie die Veranstalter mitteilten. Auf die Plätze zwei und drei kamen das Institut für Inklusive Bildung und das Projekt "Mein Herz lacht". Die Preisträger bekamen 10.000 beziehungsweise 5.000 Euro.

Ichó ist ein interaktiver Ball zur Förderung von kognitiv erkrankten Menschen wie etwa bei Demenz. Neben dem Preisgeld erhielt das Unternehmen auch die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Branchentreff in Barcelona sowie eine Crowdfunding-Beratung. Das Institut für Inklusive Bildung bildet Menschen mit geistigen Behinderungen zu Dozenten an Hochschulen für Fach- und Führungskräfte im sozialen Sektor aus. "Mein Herz lacht" ist eine krankheitsübergreifende Selbsthilfe-Initiative für Eltern schwerbehinderter Kinder, in der die besonderen Bedürfnisse der Eltern im Fokus stehen, wie es hieß.

Der Wirkungsfonds-Preis wird seit 2016 vergeben. Die Auszeichnung zählt den Angaben zufolge zu den drei größten Förderaktionen für Sozialunternehmertum in Deutschland. Für den diesjährigen Preis waren über 50 Bewerbungen eingegangen.



Bei Notrufen kommt in Oldenburg nicht immer der Rettungswagen


Gemeindenotfallsanitäter Lars Christians vom Malteser Hilfsdienst im Einsatz
epd-bild/Sebastian Stoll
In Oldenburg sowie drei niedersächsischen Landkreisen werden in einem Pilotprojekt sogenannte Gemeindenotfallsanitäter eingesetzt. Sie sind für jene Patienten zuständig, die die Notrufnummer 112 rufen, ohne ein Notfall zu sein.

Wenn Lars Christians unterwegs zu einem Einsatz ist, bleibt meistens das Blaulicht aus - und das, obwohl zuvor ein Mensch die Notrufnummer 112 gewählt hat. Der junge Mann, zu dem Christians an diesem Mittag unterwegs ist, hat sich mit einem Messer sehr tief in den Finger geschnitten. Christians verbindet dem Verletzten die Hand und schickt ihn dann zu einem Chirurgen. "Hätte es weniger stark geblutet, hätte ich einfach nur die Hand versorgt. So aber hatte ich die Befürchtung, dass eine Arterie betroffen ist", sagt er hinterher über den Einsatz. Das habe er klären lassen wollen.

Lars Christians ist 45 Jahre alt und seit Jahresbeginn sogenannter Gemeindenotfallsanitäter beim Malteser Hilfsdienst in Oldenburg. In der Stadt sowie in den Landkreisen Vechta, Cloppenburg und Ammerland arbeiten derzeit 25 dieser speziell ausgebildeten Notfallsanitäter im Rahmen eines auf zwei Jahre angelegten Pilotprojekts. Sie sollen jene Einsätze abdecken, bei denen offensichtlich kein Notfall vorliegt. Denn das gibt es immer öfter: Bei rund 30 Prozent aller Notrufe sei ein Rettungswagen tatsächlich nicht erforderlich, hatte Vechtas Landrat Herbert Winkel (CDU) zum Projektstart gesagt.

Kein halber Sanitäter

Ruft heute in Oldenburg oder den drei Landkreisen ein Mensch die 112, wird in der Leitstelle zunächst sortiert. "Dort muss erkannt werden: 'Es handelt sich nicht um einen Notfall.' Andererseits kann das Problem aber auch am Telefon nicht gelöst werden. Dann fährt ein Gemeindenotfallsanitäter hin", sagt Stefan Thate, Leiter des Rettungsdienstes der Stadt Oldenburg. Je nach Zustand des Patienten entscheide er, ob er den Patienten versorge, ihn in eine Klinik schicke oder doch einen Rettungswagen rufe.

Man darf sich einen Gemeindenotfallsanitäter nicht als halben Sanitäter vorstellen, der lediglich die einfachen Aufgaben übernimmt: Tatsächlich haben Lars Christians und seine Kollegen zuvor allesamt als Notfallsanitäter gearbeitet und eine Zusatzqualifikation erworben. Während der Pilotphase wird ihr Gehalt von den Krankenkassen finanziert. Wer es nach Ablauf übernimmt, ist noch nicht sicher.

Gemeindenotfallsanitäter bieten Einsparpotenzial

Die Gemeindenotfallsanitäter sind ans System der Notfallversorgung angekoppelt: Wenn es einen lebensbedrohlichen Notfall gibt und es um Sekunden geht, wird in Oldenburg immer das nächstgelegene Einsatzfahrzeug per GPS geortet und dann zum Patienten geschickt. Weshalb Lars Christians vor dem Besuch bei dem Mann mit dem blutenden Finger zu einer Reanimation gerufen wurde. Solche Einsätze kommen nicht so oft vor, aber sie gehören dazu. Jeder Gemeindenotfallsanitäter muss sie beherrschen.

Das Modell des Gemeindenotfallsanitäters bietet Einsparpotenzial, wie Rettungsdienstleiter Stefan Thate erläutert. "Ein Rettungswagen ist mit einem Notfallsanitäter besetzt sowie einem Rettungssanitäter. Ein Gemeindenotfallsanitäter hingegen ist alleine unterwegs. Ich spare also Personalkosten." Allerdings sei das Ziel keineswegs Stellenabbau – es gehe vielmehr darum, mit der stetig steigenden Zahl an Notrufen überhaupt noch umgehen zu können. Von 2012 bis 2017 seien die Einsatzzahlen des Rettungsdienstes in Oldenburg durchschnittlich um sechs Prozent jedes Jahr gestiegen. "Das hat sicher etwas damit zu tun, dass sich die Gesellschaft zum Beispiel aus der Nachbarschaftshilfe mehr und mehr zurückzieht", sagt Thate.

Krankenkassen begrüßen das Projekt

Eine ähnliche Beobachtung haben die Krankenkassen gemacht, die das Projekt deswegen begrüßen. AOK-Sprecher Oliver Giebel spricht von vielen Bagatellfällen. "Die Einsatzzeiten in der Notfallrettung steigen kontinuierlich. Gleichzeitig ist bei rund einem Drittel der Rettungswageneinsätze dieser gar nicht erforderlich, weil keine vitale Bedrohung beim Patienten vorliegt." Gemeindenotfallsanitäter könnten diesem Trend sowie den überfüllten Klinik-Notaufnahmen entgegenwirken.

Ob das Projekt Gemeindenotfallsanitäter in der Praxis tatsächlich funktioniert, wird mit den Universitäten Maastricht und Oldenburg sowie dem Klinikum Oldenburg untersucht. In zwei Jahren soll eine wissenschaftliche Bewertung vorliegen.

Sebastian Stoll (epd)



Medien & Kultur

"Witbooi-Bibel" reist zurück


Bibel und Peitsche von Hendrik Witbooi (1830-1905)
epd-bild/Gerhard Bäuerle
Das Stuttgarter Linden-Museum gibt ein Kulturgut aus der Kolonialzeit an Namibia zurück. Die Bibel und die Peitsche des einstigen Nama-Anführers Hendrik Witbooi wird Ende Februar in das südafrikanische Land zurückkehren.

Es ist bundesweit eine der ersten bedeutenden Restitutionen von afrikanischen Kulturgütern der Kolonialzeit: Die "Witbooi-Bibel", seit mehr als hundert Jahren im Besitz des Stuttgarter Linden-Museums, wird Ende Februar nach Namibia zurückkehren. Im letzten Moment wollten Vertreter der Nama die Rückgabe an die Regierung des südafrikanischen Landes noch platzen lassen. Doch die Stuttgarter Verfassungsrichter wiesen ihre Klage ab. Der Streit ist ein Paradebeispiel für die Schwierigkeiten von Restitutionen.

Im gut versicherten Handgepäck von Museumschefin Inés de Castro soll das Buch nun zurückreisen. Die Ethnologin und Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) wollen das Neue Testament des einstigen Nama-Anführers Hendrik Witbooi (um 1830-1905) und dessen Peitsche in einer Zeremonie am 28. Februar an namibische Regierungsvertreter übergeben.

Kritik an der Entscheidung

De Castro nennt die Rückgabe eine "moralische Verpflichtung". Seit 2013 hatte Namibia - ehemals Deutsch-Südwestafrika - mit dem Land Baden-Württemberg darüber verhandelt. Es gab intensive Gespräche mit den Nachfahren Witboois und Nama-Vertretern. Die Familie stimmte schließlich der Übergabe an die Regierung zu, sie wird die Zeremonie an ihrem Stammsitz in Gibeon im Süden Namibias mitgestalten.

Unter den Nama gibt es allerdings auch Kritik an der Entscheidung. So versuchte die Vereinigung der Nama-Stammesältesten (NTLA), die selbst Anspruch auf das Kulturerbe erhebt, die Übergabe vor dem baden-württembergischen Verfassungsgerichtshof zu stoppen. Das Gericht sah ihren Antrag als unzulässig an. Vieles spreche dafür, den Rechtsstreit um die Eigentumsfrage innerhalb Namibias zu klären, hieß es.

Hendrik Witbooi, der christlich erzogene "Kaptein" der Nama in Deutsch-Südwestafrika, hatte zunächst mit den Deutschen kooperiert, dann aber den Aufstand seines Volkes und der Herero gegen die Kolonialherren angeführt, der 1908 brutal niedergeschlagen wurde. Er starb bereits 1905 an einer Kriegsverletzung. Seine in Nama-Sprache verfasste und mit handschriftlichen Vermerken versehene Familienbibel wurde wohl schon 1893 von den kolonialen Truppen erbeutet.

Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften

Wie sie in den Besitz des Berliner Hofrats von Wassmannsdorf kam, der zwischen 1895 und 1898 "kommissarischer Intendant für die Schutztruppe und Chef der Finanzverwaltung" in Deutsch-Südwestafrika war, ist nicht bekannt. Wassmannsdorf schenkte das Buch jedenfalls dem Vorläufer des 1911 eröffneten Linden-Museums.

Das Völkerkundemuseum setzt heute auf Zusammenarbeit mit den Herkunftsgesellschaften seiner Objekte. Auch künftig sollten mögliche Rückgaben mit "dialogischen Prozessen" verbunden werden, sagt Museumschefin de Castro, die weiteren Restitutionen grundsätzlich offen gegenübersteht.

Unterdessen deutet sich im Deutschen Historischen Museum in Berlin die nächste Rückgabe an: das Cape Cross, eine von den Portugiesen im 15. Jahrhundert aufgestellte steinerne Säule mit Kreuz. Namibia erhob 2017 Anspruch auf die Säule, die Kaiser Wilhelm II. nach Berlin bringen ließ. Bei einem Symposium im Sommer wurde als Lösung angedacht: Rückgabe und zugleich Aufbereitung der Geschichte des Cape Cross anhand einer Kopie in Berlin. Doch das letzte Wort ist noch nicht gefallen.

Gemeinsame Aufarbeitung

"Restitution sollte nicht als Nullsummenspiel betrachtet werden, wobei entweder der eine oder der andere alles bekommt, sondern sollte zur Win-win-Geschichte werden", sagt der Sondergesandte der Bundesregierung für deutsch-namibische Beziehungen, Ruprecht Polenz (CDU). Er nennt das Cape Cross und die gemeinsame Aufarbeitung seiner Geschichte als Beispiel. In diese Richtung würden mit Namibia Wege gesucht. Der Weg über Recht und die Eigentumsfrage führe nicht zum Ziel; oft lasse sich gar nicht genau klären, wie die Objekte in deutschen Besitz gekommen seien, erläutert der CDU-Politiker die deutsche Linie, Gespräch und Kooperationen mit den Herkunftsländern zu suchen.

Die Eigentumsfrage ist schwierig, wie auch die Klage der Nama-Aktivisten zeigt. Im Falle von Witboois Bibel und Peitsche entzündet sich an ihr auch die Auseinandersetzung um den künftigen Ausstellungsort. Laut namibischer Botschaft ist er noch Gegenstand von Verhandlungen – auch wenn die Bibel zunächst ins Nationalarchiv gebracht werden soll. Gaob PSM Kooper, Vorsitzender der NTLA, erklärte beizeiten, die für sein Volk wichtigen Gegenstände sollten an die Nama und nicht an die Regierung gehen, die nicht "kulturell homogen" sei. Der Staat habe nicht das Recht, über sie zu verfügen.

Von Renate Kortheuer-Schüring (epd)


ARD verteidigt "Framing-Manual"


Fernsehbild der ARD (Archivbild)
epd-bild / Norbert Neetz
Kritiker werfen der ARD vor, mit ihrem "Framing-Manual" die öffentliche Meinung unzulässig manipulieren zu wollen. Der amtierende ARD-Vorsitzende Wilhelm hält die "Aufregung um das Papier" für "völlig übertrieben".

Der amtierende ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm hat die Kritik am umstrittenen "Framing-Manual" des Senderverbundes zurückgewiesen. "Die Aufregung um das Papier halte ich für völlig übertrieben. Es handelt sich um eine Workshop-Unterlage von 2017 und nicht um eine verbindliche Kommunikationsstrategie oder um eine Handlungsanweisung an die Mitarbeitenden", erklärte Wilhelm am 19. Februar in München. Jede Landesrundfunkanstalt habe frei entschieden, wie sie mit den Erkenntnissen umgeht.

Zuvor hatte die ARD-Generalsekretärin Susanne Pfab dem Evangelischen Pressedienst (epd) gesagt, wissenschaftliche Expertise für die professionelle Kommunikation einzuholen, sei für nahezu jedes Unternehmen und nahezu jede Institution ein ganz normaler Vorgang. Die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling hatte das 89-seitige Dokument mit dem Titel "Framing-Manual" bereits vor zwei Jahren im Auftrag des MDR erstellt, der damals den ARD-Vorsitz innehatte. Die Kosten für die Arbeitsunterlage und begleitende Workshops hätten sich auf 90.000 Euro belaufen, die der MDR als Vorsitzanstalt bezahlt habe, teilte die ARD am Dienstag mit. 30.000 Euro habe zudem das ARD-Generalsekretariat für Folgeworkshops bezahlt.

Das Blog "netzpolitik.org" hatte das Dokument veröffentlicht, nachdem einige Medien darüber berichtet und damit eine öffentliche Debatte ausgelöst hatten. Der ARD wird vorgeworfen, sich mit der darin beschriebenen Framing-Methode einer manipulativen Strategie zu bedienen.

Strategie verteidigt

Die Sprachforscherin Wehling veröffentlichte am 18. Februar auf ihrer Internetseite eine "Klarstellung" in eigener Sache. Inhalt des Auftrages des MDR sei es gewesen, "die Kommunikation der öffentlich-rechtlichen ARD als Institution zu analysieren und auf Basis der wissenschaftlichen Erfahrung aufzuzeigen, welche Alternativen zu welchen Worten mit welchen Bedeutungsinhalten besetzt sind", schreibt Wehling. Ziel sei es gewesen, der "ARD darin eine gedankliche Grundlage zu schaffen für eine Kommunikation, die auf Basis der unbestrittenen Fakten den tatsächlichen Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Demokratie schon auf den ersten Blick besser erkennbar macht".

Der Politikberater Johannes Hillje verteidigte diese Strategie der ARD: "Unternehmen wollen durch Kommunikation ihre Produkte verkaufen, die ARD will ihre Werte und demokratische Rolle darstellen. Beides ist legitim und sinnvoll", sagte Hillje dem epd in Berlin. Ebenso sei es "vollkommen legitim", dass sich die ARD in Kommunikationsfragen beraten lässt. Es gebe seit einigen Jahren eine stark polarisierte Debatte über den Rundfunk. "Die ARD sollte wirksam ihre eigenen Werte und ihre gesellschaftliche Funktion kommunizieren, dazu ist eine Framing-Beratung sinnvoll."

Hillje kritisierte allerdings die konkrete Umsetzung der Framing-Methode in dem Manual. "Das Grundproblem ist, dass hier ein stark moralgestützes Framing für einen Akteur vorgeschlagen wird, dessen Kernwerte Sachlichkeit und Neutralität sind", sagte der Politikberater. Die ARD sei ein Akteur, der Nachrichten anbiete, die sich an möglichst objektiven Kriterien und weniger subjektivem Empfinden orientieren.

Die Diskreditierung von Privatmedien und Rundfunkgegnern legitimiere den Diskurs der gegenseitigen Abwertung, sagte Hillje. "Die Gegner der ARD sagen 'Staatszensur', die ARD antwortet mit 'Profitzensur'." Das beidseitige rhetorische Aufrüsten befördere die Polarisierung, die vor allem Populisten in die Karten spiele.



Stiftung will Fördermittel für ARD-Kirchenfilm zurück

Eine ARD-Doku über die Neuaufstellung der ostdeutschen Kirche nach der Wende sorgt für Kritik. Die Bundesstiftung Aufarbeitung will ihre Fördergelder für den Film, der am Montagabend ausgestrahlt werden sollte, zurück.

Bereits vor der Ausstrahlung der Dokumentation "Ewige Schulden: Ostdeutschlands Kirchen und die Staatsleistungen" hat die Bundesstiftung Aufarbeitung Fördergelder für den ARD-Film zurückgefordert. Die Dokumentation habe mit der ursprünglichen Intention im Förderantrag nichts mehr zu tun, sagte Vorstandsmitglied Christine Lieberknecht (CDU) der in Weimar erscheinenden mitteldeutschen Kirchenzeitung "Glaube + Heimat" (Ausgabe 24. Februar). Der Film wurde am 18. Februar im Ersten ausgestrahlt.

Insgesamt habe die Stiftung die Produktion mit 26.000 Euro unterstützt, hieß es in dem Bericht. Dieses Geld werde jetzt zurückgefordert, da der von MDR und NDR verantwortete Film in der ausgestrahlten Fassung nicht gefördert worden wäre. Die Änderungen seien mit der Stiftung nicht abgesprochen gewesen, beklagte die frühere Thüringer Ministerpräsidentin Lieberknecht.

Die ursprünglichen Planungen unter dem Arbeitstitel "Woran glaubt der Osten" hätten eine Dokumentation vorgesehen, in der aus der "gegenwärtigen Perspektive die Situation des Glaubens beziehungsweise des Fehlens des Glaubens in den neuen Bundesländern" erzählt werden sollte. So habe in der Kurzbeschreibung gestanden: "Über den Rückgriff auf Zäsuren der DDR-Kirchengeschichte soll deutlich gemacht werden, wie weitreichend die gesellschaftlichen Folgen der repressiven DDR-Religionspolitik bis heute sind und wie die Strukturen der SED-Diktatur die Menschen in den neuen Ländern in Glaubensfragen immer noch prägen", zitierte die Kirchenzeitung.

"Fakten können belegt werden"

Der MDR erklärte auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd), dem Film seien umfangreiche zweijährige Recherchen vorausgegangen. "Alle im Film enthaltenen Fakten können belegt werden", so der Sender. Der Film sei im Auftrag von MDR und NDR von der Produktionsfirma Hoferichter & Jacobs produziert worden. "Vor diesem Hintergrund gibt es zwischen der Stiftung und dem MDR keine direkten vertraglichen Vereinbarungen", erklärte der Sender. Produzent Olaf Jacobs wollte sich auf epd-Anfrage zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern.

Kritik an dem Film war bereits nach einer Voraufführung im Erfurter Augustinerkloster Anfang Februar laut geworden. Aus der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) hieß es, die aktuelle Finanzsituation und der gesellschaftliche Beitrag der Kirchen kämen im Film nicht vor.

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur wurde 1998 vom Deutschen Bundestag gegründet. Als Stiftungskapital bekam sie 75 Millionen Euro aus dem ehemaligen SED-Vermögen. Ihr Haushalt finanziert sich aus Zinserträgen und einem jährlichen Zuschuss der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.



Kirchliches Filmfestival Recklinghausen ehrt Wim Wenders

Das Kirchliche Filmfestival Recklinghausen verleiht dem Regisseur Wim Wenders einen Ehrenpreis für sein Lebenswerk. Die Auszeichnung wird Wenders am 24. März bei der Vorstellung seines Filmes "Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes" im Cineworld Recklinghausen überreicht, wie die Organisatoren am 22. Februar mitteilten. Die mit 3.000 Euro dotierte Auszeichnung wird in diesem Jahr erstmals vergeben, weil das Festival sein zehnjähriges Bestehen feiert.

Die Auszeichnung würdige Wenders facettenreiches Werk, das den Menschen und die Menschlichkeit in den Vordergrund rücke, erklärte der Arbeitskreis "Kirche & Kino" des evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen und des katholischen Kreisdekanats Recklinghausen.

Das komplette Festivalprogramm wird am 7. März vorgestellt. Die ausgewählten Filme behandelten aktuelle Themen wie Zukunft der Arbeit, Migration sowie Dialog der Kulturen und Religionen, hieß es. Zum zehnten Mal vergibt das Festival den mit 2.000 Euro dotierten "Ökumenischen Preis des Kirchlichen Filmfestivals Recklinghausen". Erstmals veranstaltet wird ein ökumenischer Filmgottesdienst zum Auftakt des Festivals.

Das Filmfestival ist den Angaben zufolge europaweit einzigartig und findet in diesem Jahr vom 20. bis 24. März statt. Seit seinem Start hat das Festival rund 30.000 Besucher angelockt, die mehr als 100 Filme sehen konnten.



Erfundene Protagonistin: SZ trennt sich von freiem Autor


Wim Wenders
epd-bild/Friedrich Stark
Das "SZ Magazin" konnte die Veröffentlichung eines Artikels stoppen, in der eine Protagonistin erfunden wurde. Nun überprüfen auch andere Redaktionen Texte des freien Autors.

Das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" (SZ) hat sich von einem freien Mitarbeiter getrennt, nachdem Ungereimtheiten in einem noch nicht veröffentlichten Text aufgefallen sind. Eine hausinterne Faktenprüfung habe Anfang Februar ergeben, dass eine die Geschichte tragende Protagonistin nicht existiert, wie die Chefredaktion des "SZ Magazins" am 21. Februar erklärte. Der Journalist habe zugegeben, dass die Zweifel an dem Text berechtigt seien. Auch "Der Spiegel" und "Die Zeit" prüfen Artikel, die der Autor für sie geschrieben hat. Hinweise auf weitere Fälschungen haben sich dabei bislang nicht ergeben.

Die Redaktionen von SZ und "SZ Magazin" haben den Angaben zufolge mittlerweile auch andere Texte des Autors überprüft, die Print und Online erschienen sind. Dabei hätten sich keine Anhaltspunkte für weitere schwerwiegende Verstöße gegen journalistische Standards ergeben. Es habe sich einzig herausgestellt, dass der Journalist in einer Geschichte vier Userkommentare auf einem Bewertungsportal ungenau oder unrichtig wiedergegeben habe.

Obwohl die Veröffentlichung des Textes verhindert werden konnte, werde der Vorfall zum Anlass genommen, redaktionsinterne Abläufe bei der Verifizierung und Dokumentation von Texten weiter zu verbessern, hieß es in der Stellungnahme der Chefredaktion.

Ausgezeichnet

Medienberichten zufolge wurde der betroffene Autor mit dem Deutschen Reporterpreis und dem Nannen-Preis ausgezeichnet. Er schrieb auch für andere Medien wie "Spiegel Online", den gedruckten "Spiegel" und "Die Zeit".

"Wir prüfen intensiv alle Texte des freien Mitarbeiters, die in der 'Zeit', im 'Zeit Magazin' und bei 'Zeit Online' erschienen sind", sagte eine Verlagssprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Autor habe dafür seine Rechercheunterlagen zur Verfügung gestellt. "Bislang haben sich alle Orte, Personen und Ereignisse als real erwiesen", erklärte die Sprecherin. In einem Teil der Texte seien allerdings sachliche Fehler und Ungenauigkeiten aufgefallen. "Über eine abschließende Bewertung und mögliche Konsequenzen beraten wir zeitnah, nach Ende aller Recherchen", sagte sie.

Der Spiegel-Verlag teilte am Mittwochabend mit, von der SZ über den Fall informiert worden zu sein. Der Großteil der Texte des Autors bei "Spiegel Online" sei zunächst bei einem anderen Medium erschienen. Dabei handele es sich um einen Kooperationspartner, der nicht zum Spiegel-Verlag gehöre, wie ein Sprecher dem epd sagte. Bisher gebe es keine Hinweise auf bewusste Manipulationen. In einem Fall sei eine Verifizierung unmöglich, weil der Autor persönliche Erlebnisse schildere. Dabei handele es sich um einen Text aus der "Homestory"-Reihe des "Spiegels".

Erinnert an Fall Relotius

Bei rund der Hälfte der insgesamt 43 bei "Spiegel Online" und im gedruckten "Spiegel" erschienenen Artikel des Autors sei die Untersuchung noch nicht beendet. Wenn noch Hinweise auf Manipulationen gefunden werden sollten, will der Spiegel-Verlag die Ergebnisse der Prüfungen öffentlich machen.

Erst im Dezember hatte "Der Spiegel" einen Betrugsfall im eigenen Haus aufgedeckt. Der damalige Redakteur Claas Relotius hatte nach internen Nachforschungen massive Fälschungen zugegeben und das Haus verlassen. Relotius, der mehrfach mit Journalistenpreisen ausgezeichnet wurde, bestätigte anschließend über seinen Anwalt öffentlich, dass er "über mehrere Jahre hinweg vielfach Fakten falsch dargestellt, verfälscht und hinzuerfunden hat". Auch andere Redaktionen, für die Relotius als freier Journalist gearbeitet hatte, haben inzwischen manipulierte Texte entdeckt.



Indonesisches Künstlerkollektiv leitet documenta 15


Der Installationskünstler, Kurator und Direktor von Ruangrupa, Ade Darmawan, und der Architekt Farid Rakun
epd-bild/Andreas Fischer

Das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa ist zur künstlerischen Leitung der Weltkunstausstellung documenta 15 berufen worden. Wie die Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, am 22. Februar in Kassel bekanntgab, folge der Aufsichtsrat mit der Ernennung dem Vorschlag der Findungskommission, die die zehnköpfige Gruppe von Künstlern und Journalisten aus Jakarta einstimmig nominiert habe. Es ist das erste Mal in der Geschichte der documenta, dass die künstlerische Leitung einem Kollektiv anvertraut wird. Die documenta 15 findet vom 18. Juni bis 25. September 2022 in Kassel statt.

Der Kurator und Direktor von Ruangrupa, Ade Darmawan, kündigte an, bei der Gestaltung der Ausstellung experimentell und auf Erfahrungsebene vorgehen zu wollen. Wichtig sei der Gruppe auch eine alternative Praxis. Einen zweiten Standort wie bei der documenta 14 solle es zwar nicht geben, dafür aber eine Kooperation mit Partnern an unterschiedlichen Orten.

Etat erhöht

"Wir haben kein Ausstellungskonzept im klassischen Sinn vorgelegt", ergänzte Gruppenmitglied Farid Rakun. Vieles wisse man noch nicht. "Wir wollen mit dem Kontext, in dem wir in Kassel leben, etwas aufbauen", sagte er. Philippe Pirotte, Mitglied der achtköpfigen Findungskommission, erklärte, dieses Konzept, an dem alle teilhaben könnten, habe letztlich überzeugt. Ruangrupa sei in der Lage, verschiedene Gruppen anzusprechen, sei unkompliziert und humorvoll. "Ihre Grundidee heißt Zusammenarbeit", sagte er.

Der Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, der Kasseler Oberbürgermeister Christian Geselle (SPD), kündigte an, dass die Findungskommission die documenta 15 auch nach der Nominierung der künstlerischen Leitung als eine Art Beirat weiterhin begleiten werde. Dies sei ebenfalls ein Novum in der Geschichte der Kunstausstellung.

Da der Etat erhöht wurde, sei die documenta 15 "sehr auskömmlich" ausgestattet, sagte Geselle. Eine konkrete Summe nannte er nicht. Der Etat der documenta 14 lag bei 34 Millionen Euro. Vor allem bedingt durch den zweiten Standort Athen hatte die documenta 14 ein Defizit von 7,6 Millionen Euro verursacht.



Neue App will Berichte von Zeitzeugen lebendig halten


Tom Buhrow
epd-bild/Guido Schiefer

Mit einer neuen Smartphone-App will der WDR die Geschichten von Zeitzeugen der NS-Zeit für die junge Generation lebendig machen. "Wir wollen die Geschichte und die Geschichten von Zeitzeugen auf eine neue Art erzählen", sagte Maik Bialk, Leiter der WDR-Redaktion "Doku & Digital", bei der Vorstellung der App "1933-1945" am 18. Fenruar im Genoveva-Gymnasium in Köln. In der Augmented-Reality-App werden die drei bis vier Minuten langen Videos auf dem Bildschirm in die reale Umgebung integriert. Die Geschichten der Zeitzeugen werden dabei durch Animationen und Sounddesign unterstützt.

Die kostenlose App richtet sich nach WDR-Angaben gezielt an die junge Generation und soll auch im Schulunterricht genutzt werden können. WDR-Intendant Tom Buhrow erklärte, damit übersetze der WDR seinen Bildungsauftrag in die neue Zeit. Es sei Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Senders, die Berichte der letzten noch lebenden Zeitzeugen zu sichern. Zurzeit ist die App nur auf iPhones oder iPads ab dem Betriebssystem iOS11 nutzbar. In Kürze soll auch eine Version für neuere Android-Geräte folgen.

Geschichte auf zeitgemäße Art

Zu den Zeitzeugen in der App gehört die 88-jährige Anne Priller-Rauschenberg, die als Kind die Bombenangriffe auf Köln im Zweiten Weltkrieg erlebte. Daneben erzählen in der App zwei Frauen aus London und Leningrad ihre Geschichte, unterstützt von Animationen und Sounddesign: Funken sprühen, Flammen schlagen hoch, Trümmer versinken im Rauch, Bomber fliegen durch den Raum. In Vorbereitung ist zudem ein Video über Anne Frank sowie eines über ehemalige Soldaten, die als Schüler in den letzten Kriegstagen eingezogen wurden.

Redakteur Bialk erklärte, die Redaktion habe in der Vergangenheit verschiedene Webdokus gedreht. "Die waren alle toll, sind aber trotzdem an den Nutzern vorbeigegangen, weil sie auf Smartphones nicht so gut funktionieren." Um die Geschichte auf eine zeitgemäße Art zu präsentieren, hat der WDR mit Programmierern des Fachbereichs Medien der Hochschule Düsseldorf sowie mit den Spezialisten für visuelle Effekte der Düsseldorfer Firma LVAlabs zusammengearbeitet. Die Anschubfinanzierung in Höhe von 250.000 Euro stammt aus einem Sondertopf des WDR-Intendanten.

Mit einem weiteren, vom Studio Wuppertal angeschobenen Projekt will der WDR noch deutlich mehr Stimmen von Zeitzeugen sichern, die einen Krieg erlebt haben. Dabei schildern nicht nur Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs, sondern etwa auch Flüchtlinge aus Syrien ihre Erlebnisse. Bis Mai sollen die ersten 50 Interviews auf einer eigenen Online-Plattform veröffentlicht werden, im September folgen weitere 70. Nutzer sollen die Möglichkeit haben, eigene Videos zu drehen und hochzuladen.



WDR trauert um "Rockpalast"-Erfinder

Der Erfinder der WDR-Musiksendung "Rockpalast", Peter Rüchel, ist tot. Er starb am 20. Februar in seiner Wahlheimat Leverkusen im Alter von 81 Jahren, wie der Sender in Köln mitteilte. Intendant Tom Buhrow würdigte den Musikjournalisten für seine Engagement rund um den Rock, um altbekannte Musikgrößen und Nachwuchsmusiker. "Der Tod von Peter Rüchel erfüllt uns mit Trauer. Mit dem Rockpalast haben er und Regisseur Christian Wagner vor mehr als 40 Jahren etwas Neues, Aufregendes und Einzigartiges geschaffen", erklärte Buhrow.

Buhrow: Peter Rüchels Werk "weiterrocken"

Jeder, der sich für Rock-Musik interessiere, kenne den Rockpalast, erklärte der WDR-Intendant. Viele seien mit ihm aufgewachsen und schauten ihn auch heute noch. "Dass sein Werk weiterleben, um nicht zu sagen weiterrocken und seine Gültigkeit behalten wird, ist ein tröstlicher Gedanke."

Geboren wurde Peter Rüchel am 9. März 1937 in Berlin. Nach Stationen beim Sender Freies Berlin und beim ZDF kam er 1974 zum WDR und wurde Leiter des WDR-Jugendprogramms. Anfang 1976 startete der WDR ein wöchentliches, halbstündiges Jugendprogramm, in dem es einmal im Monat unter dem Namen "Rockpalast" auch Live-Musik gab.

Sprungbrett für U2

Die erste reguläre Rocknacht, unter anderem mit Rory Gallagher und Little Feat, fand in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1977 statt und wurde als sechsstündige Eurovision live übertragen. Für viele Künstler brachten die Auftritte in den folgenden Sendungen den Durchbruch in Europa, wie der Sender erklärte. Zu den großen Verdiensten Rüchels habe es gehört, nicht nur etablierten Größen, sondern auch unbekannten Talenten und späteren Weltstars ein Forum gegeben zu haben, so etwa U2 im Jahr 1981 und R.E.M. vier Jahre später. Rüchel sei dem Rockpalast auch nach seinem Ruhestand 2003 als Berater und Editor der Rockpalast-DVD-Reihe verbunden geblieben.



Fontane-Jahr lädt zu mehr als 450 Veranstaltungen in Brandenburg ein

Von Neuruppin über den Spreewald bis zum Branitzer Schloss in Cottbus: Das Jubiläumsjahr zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane lädt zu rund 450 Veranstaltungen in Brandenburg ein. Ende Mai soll erstmals ein neuer Literaturpreis verliehen werden.

Ausstellungen, Kunstprojekte, Festivals, Computerspiele: Das Jubiläumsjahr 2019 zum 200. Geburtstag von Theodor Fontane (1819-1898) nimmt den märkischen Schriftsteller mit einem umfangreichen Veranstaltungsprogramm in den Blick. Das Land Brandenburg und Fontanes Geburtsstadt Neuruppin schreiben zum Jubiläum einen neuen Fontane-Literaturpreis aus, wie die brandenburgische Kulturministerin Martina Münch (SPD) am 20. Februar bei der Präsentation des Jubiläumsprogramms in Berlin ankündigte. Mit der mit 40.000 Euro dotierten Auszeichnung sollten begabte zeitgenössische Autoren gefördert werden, die bereits erste Erfolge vorweisen können.

Der Literaturpreis soll zur Eröffnung der Neuruppiner Fontane-Festspiele am 31. Mai erstmals verliehen werden. Das Jubiläumsjahr wird am 30. März in der Kulturkirche von Neuruppin eröffnet. Zu der Feier wird auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet. Fontane, der unter anderem durch Werke wie "Effi Briest", "Der Stechlin" und die "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" bekanntgeworden ist, wurde am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren und starb am 20. September 1898 in Berlin.

Bis zum 200. Geburtstag Fontanes am Jahresende stehen mehr als 450 Veranstaltungen in verschiedenen Orten in Brandenburg auf dem Programm, sagte Projektleiterin Brigitte Faber-Schmidt von der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte. Dort würden neben bekannten Werken des Schriftstellers auch weniger bekannte Schaffensbereiche beleuchtet wie Fontanes Reise- und Kriegsberichte sowie seine Theaterkritiken, betonte Münch. Bereits vor dem offiziellen Start des Jubiläumsjahres zeichne sich eine "überwältigende Resonanz" ab.

"Vielschreiber"

Fontane sei ein "ausgesprochener Vielschreiber" gewesen, dessen Werke bis heute weltbekannt seien, sagte Münch. Der Schriftsteller habe "eindrucksvolle und sehr hintergründige" Werke über die preußische Gesellschaft geschaffen, die bis heute "brandaktuell" seien.

Zum Programm des Jubiläumsjahres gehören unter anderen zwei große Ausstellungen in Neuruppin und Potsdam. In der Neuruppiner Leitausstellung, die vom 30. März bis zum 30. Dezember läuft, werde Fontane als kreativer Schreiber vorgestellt, sagte Kurt Winkler vom Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte. Dabei werde auch ins Bewusstsein gerückt, dass der gelernte Apotheker erst spät als Schriftsteller bekanntgeworden sei und seinen ersten Roman erst mit 57 Jahren verfasst habe. Die Potsdamer Ausstellung, die vom 7. Juni bis zum 30. Dezember gezeigt wird und sich anhand der "Wanderungen" mit Fontanes Reisen befasst, lade dazu ein, "in seinen Texten spazieren zu gehen", sagte Winkler.

Zu den zahlreichen weiteren Veranstaltungen im Fontane-Jahr gehören unter anderen eine Ausstellung über "Fontanes Männlichkeiten" im Filmmuseum Potsdam, ein "fließendes Atelier" des Künstlers Jim Avignon im Spreewald und das bundesweite Computerspiel-Projekt "Dem Wort auf der Spur". Weitere Ausstellungen sind unter anderen in Rheinsberg, Neuruppin, Cottbus, Lübben, Bad Freienwalde und anderen Orten geplant.

Das Land stelle für das Fontane-Jahr knapp 1,9 Millionen Euro zur Verfügung, sagte Münch. Die Kulturstiftung des Bundes steuere mehr als eine Million Euro bei. Weitere Mittel kämen unter anderen von der Kulturstiftung der Länder, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung und den Kommunen.



Literaturpreis Ruhr macht 2019 Pause

Der seit 1986 vergebene Literaturpreis Ruhr wird in diesem Jahr erstmals nicht verliehen und soll konzeptionell weiterentwickelt werden. Ab dem Herbst 2020 soll die Auszeichnung dann wieder im jährlichen Turnus vergeben werden, wie der Regionalverband Ruhr (RVR) am 21. Februar in Essen mitteilte. Einem entsprechenden Vorschlag des RVR und des Literaturbüros Ruhr folgte der RVR-Kulturausschuss. Hintergrund für diesen Schritt sei die Tatsache, dass das Literaturbüro Ruhr im vergangenen Jahr eine neue Leitung erhalten und sich zudem ein neues Literaturnetzwerk im Ruhrgebiet gegründet hatte, das man bei der Preisvergabe miteinbeziehen wolle, sagte RVR-Sprecher Jens Hapke.

Neues Konzept wird gesucht

"Die Literaturszene im Ruhrgebiet ist in Bewegung. Diese spannende Phase der Veränderungen wollen wir nutzen, um den renommierten Literaturpreis Ruhr weiterzuentwickeln", sagte die Vorsitzende des Kultur- und Sportausschusses beim RVR, Monika Simshäuser. Zudem solle der Preis "stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden und Autorinnen und Autoren wirksamer von der Auszeichnung profitieren. Auch der literarische Nachwuchs soll stärker eingebunden werden."

RVR-Regionaldirektorin Karola Geiß-Netthöfel erklärte, dass das Literaturbüro Ruhr, das Literaturnetzwerk und der RVR gemeinsam mit der Jury eine weiterentwickelte Konzeption für den Literaturpreis erarbeiten. Das neue Konzept soll dem RVR-Kulturausschuss in einer der nächsten Sitzungen vorgelegt werden. Noch in diesem Jahr soll der Literaturpreis Ruhr ausgeschrieben und dann 2020 wieder verliehen werden. Zu den bisherigen Preisträgern zählen unter anderem Max von der Grün, Ralf Rothmann, Marion Poschmann, Frank Goosen und Fritz Eckenga.




Entwicklung

Die heilige Stadt Touba: Senegals Mekka


Große Moschee in Touba, Senegal
epd-bild / Friedrich Stark
Touba ist das heimliche Herz Senegals und die Hochburg der islamischen Bruderschaft der Muriden. Hier begann auch Staatschef Macky Sall seinen Wahlkampf für die Präsidentenwahl.

Touba, gefühlte Temperatur am Mittag: 36 Grad. Vom großen Minarett tönt der Ruf des Muezzins "Allahu Akbar". Die Menschen strömen über den riesigen Vorhof aus Marmor in die Moschee. Vor dem Tor ziehen sie ihre Schlappen aus, nehmen sie in die Hände oder stecken sie in die Tasche. Frauen tragen bunte Schleier, Männer lange farbige Kaftane.

Es ist die größte Moschee Schwarzafrikas, umgeben von Mausoleen. Die fünf Minarette und die blauen und pistaziengrünen Kuppeln sind schon von weitem sichtbar, Keramikmosaike zieren die Wände. Hier starb 1927 der Begründer der Muriden-Bruderschaft, Scheich Amadou Bamba.

Die Muriden gehören einer mystischen Richtung des Islam an, dem Sufismus. Die Bruderschaft ist bekannt für ihr Arbeitsethos und hat eine bedeutende wirtschaftliche Macht. Senegal ist zu 94 Prozent muslimisch, die Gläubigen sind Mitglieder in unterschiedlichen Bruderschaften. Die Muriden-Bruderschaft ist mit geschätzten drei bis vier Millionen die zweitgrößte. Mehr als ein Drittel der Senegalesen sind Muriden, darunter Staatschef Macky Sall und der vorige Präsident Abdoulaye Wade.

China finanziert Autobahn

Touba ist das heimliche Herz Senegals. Für die Muriden ist die zweitgrößte Stadt des westafrikanischen Landes "die Glückliche", ein "blühender Baum im Garten des Paradieses". Andere hingegen kritisieren einen "Staat im Staate". Der erste Gang jedes neu gewählten Präsidenten führt nach Touba. Macky Sall begann seinen Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl am 24. Februar in der heiligen Stadt.

Mit dem Segen des "Grand Khalif" und nach Begegnungen mit den bedeutendsten Marabouts hofft Sall, die Stimmen für ein zweites Mandat zu erhalten. "2012 habe ich meine Kampagne in Touba begonnen", erklärte Sall zum Wahlkampfauftakt am 3. Februar, "das ist wichtig wegen der Bedeutung der Muriden, aber ich habe auch eine persönliche Beziehung zur Familie in Touba."

Während seiner Amtszeit entstand die Autobahn nach Touba, sie verbindet die Stadt mit der 160 Kilometer entfernten Hauptstadt Dakar - finanziert und gebaut wurde sie von China. Im Falle einer Wiederwahl verspricht Sall der Stadt einen Flughafen und eine Industriezone.

Anders als früher gibt der Kalif als oberster Führer der Muriden aber keine Wahlempfehlungen mehr, ruft nur dazu auf, dass die Wahl friedlich verlaufen möge. Der General-Kalif der Muriden gilt als einflussreichste Persönlichkeit des Landes, heißt es in einer Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2017.

Im Inneren des Mausoleums von Scheich Amadou Bamba knien Frauen vor dem Grabmal, Männer rezitieren Koransuren. Viele singen inbrünstig, fast in Trance. Auch für Touristen gelten strenge Bekleidungsregeln. Für Frauen sind Kaftan und Schal auf dem Kopf Pflicht, Hosen sind nicht erlaubt. Tabak und Alkoholgenuss sind in der ganzen Stadt streng verboten.

Immer wieder ertönen Gesänge. Amadou Bamba hat Tausende von Gedichten geschrieben, seine Bücher befinden sich in der Bibliothek der Moschee. Die Gläubigen kennen viele auswendig, singen die typischen Muridengesänge.

Zwei Millionen Pilger

Bamba, 1853 im Senegal geboren, gründete die Bruderschaft 1883. Zweimal wurde er von den französischen Kolonialherren verbannt, weil diese seine Macht fürchteten. 1907 kehrte er aus dem Exil in Gabun in sein Heimatland zurück, 20 Jahre später starb er. An der Stelle wurde die Moschee errichtet.

Jedes Jahr pilgern 40 Tage nach dem islamischen Neujahr mindestens zwei Millionen Menschen nach Touba zum "Magal", dem "Großen Treffen" zu Ehren von Amadou Bamba. Tagelanges Beten und Singen versetzt die frommen Volksmassen in Verzückung.

Auch Künstler singen Lobgesänge auf die Stadt Touba und ihre spirituellen Führer, darunter der senegalesische Superstar Youssou N'Dour. Er wurde von Präsident Sall zum Berater mit Ministerstatus ernannt, begleitet ihn auf Wahlkampfmeetings und legte seinen Song "Touba" neu auf: Der Videoclip zeigt die neue Autobahn "Ila Touba".

Der in Senegal bekannte Sänger Cheik Lo gehört auch zur Bruderschaft. Der 63-Jährige ist eine außergewöhnliche Erscheinung: Er trägt bunte oder auch schwarz-weißes Gewänder, die von einem schwarzen breiten Gürtel gehalten werden. Seine Dreadlocks stecken unter einer Wollmütze mit langen Zipfeln. Es ist die Tracht der Muridensekte Bayefall, bei deren Zeremonien die Musik eine wichtige Rolle spielt.

"Die Philosophie des Meisters war: Bete zu Gott, als ob du morgen stirbst. Und arbeite, als ob du nie sterben wirst", so erklärte Cheik Lo einmal das Denken der Muriden. Die ausgeprägte Arbeitsethik hat die Muriden zur wichtigsten wirtschaftlichen Macht im Land gemacht. Der lukrative Erdnusshandel wird vorwiegend von ihnen kontrolliert.

Keiner zahlt Steuern

Unzählige Busse und Taxis, Handwerksbetriebe, Telecenter, Lebensmittelgeschäfte und große Teile des informellen Sektors arbeiten im Namen von Amadou Bamba. Der Stadt sieht man den Reichtum an. Die breiten Straßen sind geteert, es gibt richtige Gehwege und sogar Mülleimer.

Tatsächlich endet die Herrschaft der senegalesischen Regierung faktisch vor den Toren Toubas. Es gibt keine Polizei, niemand zahlt Steuern. Selbst die vielen bettelnden Straßenkinder im Land werden teilweise von Touba aus geleitet: Die sogenannten "Talibé" sind Schüler der Marabouts. Die Marabouts werden als eine Art Heilige betrachtet, die Gläubigen bringen ihnen Gaben, Nahrung, Geld, Geschenke.

Trotz vieler Versuche, die Jungen zu ihren Eltern oder wenigstens in die Koranschulen zurückzubringen, traut sich kaum ein Politiker, sich öffentlich den Marabouts zu widersetzen. Kein Politiker in Dakar hat eine Chance, länger an der Macht zu bleiben, wenn ihm diese Segen und Anerkennung verweigern: Der Umweltminister blieb nicht im Amt, nachdem er die Sonder-Erlaubnis zum Holzschneiden wegen des "Magal" nicht sofort erteilt hatte.

Martina Zimmermann (epd)


"Kein Tribunal über deutsche Rüstungspolitik"

Im Prozess gegen die schwäbische Rüstungsfirma Heckler & Koch am Stuttgarter Landgericht stellt sich die Frage, ob Waffenlieferungen überhaupt lückenlos kontrolliert werden können.

Es sind wenige Minuten bis zur Urteilsverkündung. Vor dem Stuttgarter Landgericht stehen am 21. Februar rund 20 Friedensaktivisten. Eine Frau mit Gitarre singt Friedenslieder. "Andere retten Leben. Wir helfen töten", ist auf Bannern zu lesen und: "Geschäft mit dem Tod". Unter den Menschen ist auch der Rüstungsgegner Jürgen Grässlin, der mit seiner Strafanzeige vor neun Jahren den Prozess ins Rollen gebracht hat.

Insgesamt 29 Prozesstage mussten sich fünf ehemalige Angestellte des Rüstungsunternehmens Heckler & Koch wegen illegaler Waffenlieferungen verantworten. Zwei Angeklagte wurden zu Bewährungsstrafen verurteilt, sie müssen zudem eine Geldstrafe zahlen beziehungsweise gemeinnützige Arbeit leisten. Drei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. (AZ: 13 KLs 143 Js 38100/10)

Die Mitarbeiter waren von 2006 bis 2009 an dem Verkauf von insgesamt etwa 4.700 Sturmgewehren und Zubehörteilen in mexikanische Unruheprovinzen beteiligt. Dorthin waren Waffenexporte nicht erlaubt. Auf den sogenannten Endverbleibserklärungen waren stattdessen mexikanische Bundesstaaten angegeben, in die die Lieferung von Waffen als unproblematisch galt.

3,7 Millionen Euro Strafe

Die schwäbische Rüstungsfirma Heckler & Koch wurde zu einer Zahlung von rund 3,7 Millionen Euro verurteilt - das entspricht laut Gericht dem Wert der Waffen, die in die bedenklichen Bundesstaaten gelangten. Das Unternehmen teilte nach dem Urteil mit, dass man nicht nachvollziehen könne, dass das Gericht den gesamten Kaufpreis aus dem Mexiko-Geschäft einziehen will - und nicht nur den erwirtschafteten Gewinn, den ein Anwalt auf rund 200.000 Euro bezifferte. Schließlich habe sich kein Mitglied der Geschäftsleitung strafbar gemacht und das Unternehmen von Anfang an aktiv zur Aufklärung der Vorfälle beigetragen.

Die Waffen sollen auch im September 2014 im Fall der Verschleppung von 43 Studenten im Bundesstaat Guerrero zum Einsatz gekommen sein. Der Bundesstaat galt im März 2007 wegen eines "ambitiösen Waffenprogramms" für Heckler & Koch als wichtiger Geschäftspartner, dem Mitarbeiter des Unternehmens die Waffen präsentierten - trotz Kritik an der schlechten Menschenrechtslage, die mit den Machenschaften dortiger krimineller Drogenbanden zu tun hat.

Er wisse, dass der illegale Export von Sturmgewehren besondere Emotionen hervorrufe, sagte der Vorsitzende Richter Frank Maurer in seiner Urteilsbegründung. Aber der Prozess sei "kein Tribunal über deutsche Rüstungspolitik", das die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Waffen kläre. Gegenstand des Strafverfahrens sei nur der illegale Waffenexport, nicht der Einsatz dieser Waffen in Mexiko. Ein Raunen ist im Gerichtssaal zu hören.

Das Gericht urteilte, dass Endverbleibserklärungen nicht Bestandteil der Genehmigung für Waffenexporte sind. Damit seien die illegalen Waffenlieferungen in die vier verbotenen Bundesstaaten Mexikos nicht nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz strafbar, sondern nur nach dem Außenwirtschaftsgesetz.

"Etikettenschwindel"

Laut dem Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer, der den Rüstungsgegner Grässlin juristisch vertritt, ist das System der Endverbleibserklärungen ein "Etikettenschwindel". Kein Mensch könne sicherstellen, dass die Waffen in Mexiko tatsächlich nur in den genehmigten Staaten verwendet werden. Von der Politik forderte er ein Rüstungsexportkontrollgesetz, um den Verbleib von Waffen aus deutscher Produktion stärker zu kontrollieren.

Für Grässlin ist der Prozess einmalig, da durch dieses Urteil ein illegaler Waffenhandel zum ersten Mal juristisch belegt sei. Zwar habe Heckler & Koch seit 2010 den Waffenexport ins gesamte Mexiko verboten. Aber die ehemaligen Mitarbeiter der Firma hätten durch ihr Verhalten dazu beigetragen, dass es zu zahlreichen Morden in Mexiko gekommen sei.

Mit diesem Verfahren ist die Frage nach der Kontrolle über den Verbleib von Waffen "Made in Germany" aber noch nicht abschließend geklärt: Am 26. Februar beginnt vor dem Kieler Landgericht der Prozess gegen drei Manager des Waffenherstellers Sig Sauer. Mehr als 38.000 Pistolen aus Eckernförde sollen über die USA illegal in das Bürgerkriegsland Kolumbien gelangt sein. Strafanzeige hat ebenfalls Jürgen Grässlin als Sprecher der "Aktion Aufschrei" gestellt.

Judith Kubitscheck (epd)


Deutsche Politiker fordern weitere Sanktionen gegen Maduro

Nach den jüngsten Zusammenstößen in Venezuela fordern deutsche Politiker weitere EU-Sanktionen gegen das Regime von Präsident Nicolas Maduro. "Die Weltgemeinschaft darf nicht zuschauen, wie die Situation in Venezuela immer weiter eskaliert", sagte der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Europawahlen, Manfred Weber (CSU), der "Bild"-Zeitung (25. Februar). Die EU müsse sich weitere Reaktionen, bis hin zu Sanktionen, offenhalten.

Der FDP-Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff betonte: "Wir können nicht tatenlos dabei zusehen, wie Maduro Hilfsgüter verbrennen und sein Volk weiter verhungern lässt." Deutschland solle zusammen mit den EU-Partnern über weitere Sanktionen beraten, die Maduro treffen können, sagte er der Zeitung. Der Grünen-Außenpolitiker Cem Özdemir erklärte, sollte sich das Regime weiter weigern, humanitäre Hilfe ins Land zu lassen, müsse die EU den Druck erhöhen.

Tote bei Zusammenstößen

Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern des selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó und Sicherheitskräften waren am Samstag mindestens vier Menschen getötet worden, Hunderte wurden verletzt. Venezuelas Präsident Nicolás Maduro ließ Hilfslieferungen für die hungernde Bevölkerung mit Gewalt stoppen und fachte damit den Konflikt mit der Opposition weiter an.

Gegen Venezuela sind bereits mehrere EU-Strafmaßnahmen wirksam. So gilt seit November 2017 ein Waffenembargo. Zudem wurden Einreiseverbote und Vermögenssperren für mehrere Regierungsfunktionäre erlassen.

In New York äußerte sich UN-Generalsekretär António Guterres schockiert über die jüngsten Entwicklungen in Venezuela. Eine weitere Eskalation der Staatskrise müsse vermieden werden, forderte er am 24. Februar. Die Konfliktparteien sollten sich für eine Beruhigung der Lage einsetzen, erklärte er. Bei der am 25. Februar in Genf beginnenden Sitzung wollte sich der UN-Menschenrechtsrat mit der Lage in Venezuela befassen.



Papst hebt Sanktionen gegen Ernesto Cardenal auf


Ernesto Cardenal
epd-bild/Dieter Sell

Papst Franziskus hat die Sanktionen gegen den nicaraguanischen Dichter und Pfarrer Ernesto Cardenal aufgehoben. Der heilige Vater habe den Theologen von allen kirchenrechtlichen Rügen freigesprochen, teilte der Vertreter des Vatikans in Nicaragua, Stanislaw Waldemar Sommertag, am 18. Februar in Managua mit.

Cardenal war 1984 von Johannes Paul II. seiner priesterlichen Ämter enthoben worden, weil er an der Regierung der linken Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) beteiligt war. Er durfte keine Messen mehr halten und keine Sakramente erteilen. Cardenal habe die Strafe immer akzeptiert, sei nie mehr als Priester tätig gewesen und seit vielen Jahren nicht mehr politisch aktiv, erklärte Sommertag die Entscheidung des Papstes.

Der heute 94-jährige Ernesto Cardenal kooperierte während der nicaraguanischen Revolution mit der Guerilla und wurde später Kulturminister der FSLN-Regierung. Zudem zählt er zu den wichtigsten zeitgenössischen Dichtern Lateinamerikas. Seit mehr als zwei Wochen befindet er sich wegen einer Niereninfektion im Krankenhaus. Sein Zustand ist kritisch.




Ausland

16 Bundesstaaten verklagen Trump


Ein Grenzzaun trennt bereits seit Jahren die USA von Mexiko.
epd-bild/Wolf-Dieter Vogel
16 der 50 US-Bundesstaaten verklagen Präsident Donald Trump wegen dessen Notstandserklärung zur Durchsetzung eines Mauerbaus an der Grenze zu Mexiko.

Die am 18. Februar bei einem Bundesgericht in San Francisco in Kalifornien eingereichte Klage wirft Trump vor, er verstoße gegen die US-Verfassung. Der Kongress muss laut Verfassung alle Regierungsausgaben bewilligen. Mit der Notstandserklärung wolle Trump den Willen des Kongresses umgehen, machten die Kläger geltend.

Präsident Trump hatte einen nationalen Notstand erklärt. Dieser Schritt werde Geld frei machen für den Bau einer Mauer, sagte er. Mit der Mauer an der Südgrenze müssten die USA die "Invasion" von Drogen und Gangs stoppen. Der Kongress hatte sich zuvor geweigert, die vom Präsidenten verlangten Mittel zu bewilligen. Nach Darstellung der Kläger hat Trump eine Krise an der Grenze erfunden, um seine langjährigen Mauerpläne umzusetzen.

Der Präsident hatte bereits am 15. Februar gesagt, er erwarte Klagen, hoffe jedoch, dass das Oberste US-Gericht ihm m Ende recht geben werde. Trump stützt seine Notstandserklärung formell auf ein Notstandsgesetz aus den 70er Jahren, das dem Präsidenten weitreichende Befugnis gibt.

15 der klagenden Staaten, darunter Kalifornien, New York, Illinois und Colorado, werden von demokratischen Politikern regiert. Nur ein Staat, Maryland, hat einen republikanischen Gouverneur. Der Republikaner Larry Hogan hat sich schon mehrmals von Trumps Einwanderungspolitik distanziert.



US-Regierung erlässt restriktive Familienplanungsrichtlinien

Das US-Gesundheitsministerium hat am 22. Februar (Ortszeit) restriktive Richtlinien zur Familienplanung vorgestellt. Diese schreiben vor, dass staatliche Gelder für Familienplanung künftig nicht ausgegeben werden dürfen, um "Abtreibung als Familienplanungsmethode" zu unterstützen oder zu fördern. Damit dürfen Kliniken Patientinnen nicht die Namen von Ärzten nennen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, wenn sie staatliche Zuwendungen erhalten wollen.

Nach Angaben des Gesundheitsministeriums nutzen jährlich rund vier Millionen Frauen und Männer das mit 286 Millionen Dollar ausgestattete staatliche Familienplanungshilfsprogramm für einkommensschwache Familien. Die neuen Vorschriften würden im Grunde genommen Familienplanungsprogramme zerstören, sagte die Präsidentin des Familienplanungsverbandes "Planned Parenthood", Leana Wen, der "Washington Post".

Konservative Verbände und republikanische Politiker zeigten sich erfreut. Die Richtlinien seien ein monumentaler Erfolg "im Kampf, Leben zu schützen", erklärte der Abgeordnete Ron Estes aus Kansas. Die Regierung von Präsident Donald Trump sei die lebensschutzfreundlichste in der Geschichte der USA, lobte der Verband "Koalition für Glauben und Freiheit". Der Rundfunksender NPR zitierte den Vizepräsidenten des Verbandes "Marsch für Leben", Tom McClusky, mit den Worten, Abtreibung sei überhaupt keine Familienplanung.

Zivilklagen angekündigt

Generalstaatsanwälte in mehreren Bundesstaaten stellten unterdessen Zivilklagen in Aussicht. Für viele Menschen sei staatiche Finanzhilfe für Familienplanung von großer Bedeutung, erklärte die Generalstaatsanwältin von New York, Letitia James. US-Präsident Ronald Reagan hatte in seinem letzten Amtsjahr 1988 ähnliche Restriktionen einführen wollen. Das Vorhaben wurde durch Zivilklagen mehrere Jahre lang blockiert. Der demokratische Präsident Bill Clinton hob die Richtlinien 1993 auf.

Die Vorschriften ähneln Richtlinien der US-Regierung gegen die Vergabe von Hilfsmitteln an Kliniken und Organisationen im Ausland, die Abtreibungen vornehmen oder Frauen in dieser Frage beraten. Abtreibung ist in den USA seit 1973 legal.



EU-Wahl: Politikberater klagt über "nationale Filterblasen"

Mit Blick auf die Europawahlen Ende Mai hat der Politikberater Johannes Hillje das Fehlen einer europäischen Öffentlichkeit beklagt. Über die EU werde zwar immer mehr berichtet, doch dominiere dabei die nationale Perspektive, sagte Hillje dem Evangelischen Pressedienst (epd). "In deutschen Medien hören wir Angela Merkel, deutsche Europaabgeordnete und womöglich den deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger, aber kaum Vertreter anderer Mitgliedsländer", sagte Hillje unter anderem mit Blick auf Berichte zur EU-Asylpolitik.

Ein grenzüberschreitendes Zusammengehörigkeitsgefühl werde durch die "nationalen Filterblasen" blockiert, erklärte der in Berlin und Brüssel wirkende Politikberater und Kommunikationsexperte: "Das Kollektiv 'wir Deutsche' gibt es, das Kollektiv 'wir Europäer' kaum." Den Bürgern entgehen laut Hillje damit auch konkrete Argumente und Erfahrungen, die Politiker aus den jeweils anderen Mitgliedstaaten zum Beispiel in die Debatte über eine europäische Arbeitslosenversicherung einbrächten.

Einseitige Berichterstattung?

Die Medien berichteten nicht zuletzt deshalb einseitig, weil sie in Brüssel verglichen mit Berlin deutlich weniger Mitarbeiter einsetzten, erklärte Hillje. Die nationalen Politiker beförderten die Einseitigkeit: "Brüssel" werde immer wieder für Dinge kritisiert - etwa für das angebliche "Bürokratiemonster" Datenschutzgrundverordnung - die Vertreter der Mitgliedstaaten in den EU-Institutionen selbst mit beschlossen hätten, sagte der 33-Jährige, der im Europawahlkampf 2014 für die Grünen arbeitete.

Als Ausweg schlägt Hillje eine digitale "Plattform Europa" vor. Sie solle von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der EU etabliert werden. Dabei müssten ARD und ZDF zusammen mit Frankreichs öffentlich-rechtlichem Rundfunk eine Vorreiterrolle einnehmen, forderte Hillje. Auf der Plattform würde unabhängiger Journalismus über die EU mit einer Vielzahl von Stimmen entstehen, etwa Talkshows mit EU-Kommissaren und direkter Bürgerbeteiligung aus allen Ländern. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz könnten die Sendungen in alle EU-Sprachen übersetzt werden, sagte Hillje.

Das Zusammengehörigkeitsgefühl solle die Plattform durch Unterhaltung und Kultur fördern, beispielsweise "eine Reality-Show über eine Interrail-Reise oder ein 'House of Cards' aus Brüssel", sagte Hillje mit Verweis auf die erfolgreiche US-Serie über Politik in Washington. Politische Mitwirkung solle das Internetangebot stärken, indem es bereits vorhandene Möglichkeiten wie die Europäische Bürgerinitiative besser zugänglich mache. Ferner könnte die Plattform Apps enthalten, die den Mehrwert Europas alltagstauglich aufbereiten, etwa durch ein Portal für Ferienjobs in der ganzen EU.

epd-Gespräch: Phillipp Saure