Kirchen

EKD plant Studien zur Aufklärung von Missbrauch


Eröffnungsgottesdienst der EKD-Synode in St. Stephan
epd-bild/Norbert Neetz
Die evangelische Kirche beschäftigt sich in Würzburg mit ihrem Stand bei der Jugend. Zum Auftakt der Beratungen dominiert aber ein Thema, bei dem mehr Aufklärung erwartet wird: sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche.

Die evangelische Kirche hat mehr Anstrengungen bei der Aufarbeitung von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in ihren Einrichtungen angekündigt. Nach der katholischen Kirche will auch sie Studien in Auftrag geben, die Aufklärung über die Situation bundesweit erbringen sollen. Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, sagte am 11. November in Würzburg, das Thema sei für die evangelische Kirche so wichtig, dass es intensiv behandelt werden müsse. Der Anspruch sei, möglichst vollständige Aufklärung zu leisten. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm bat Betroffene von Missbrauch um Vergebung und forderte eine "Null-Toleranz gegenüber Tätern und Mitwissern".

Nach der Vorstellung der von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie über Missbrauch durch Priester, Diakone und Ordensangehörige waren Rufe nach einer umfassenderen Aufklärung auch in der evangelischen Kirche lauter geworden. Unter anderem forderte die von der Bundesregierung eingesetzte unabhängige Aufarbeitungskommission eine ähnliche Studie.

Giffey fordert Konsequenzen

Schwaetzer erklärte, eine der von der evangelischen Kirche geplanten Studien solle Erkenntnisse über das Dunkelfeld beim Thema Missbrauch bringen. Eine andere soll Risikofaktoren für Missbrauch in der Kirche aufzeigen, um daraus Konsequenzen ziehen zu können. Weitere Details sollten am 13. November besprochen werden. Dann steht das Thema bei der Synode auf der Tagesordnung.

Die Beauftragung der Studien wurde Schwaetzer zufolge am 10. November von der Kirchenkonferenz beschlossen, dem Zusammenschluss der evangelischen Landeskirchen. Der Stand der Aufarbeitung dort ist sehr unterschiedlich. In zehn Landeskirchen gibt es unabhängige Kommissionen. Dort wurden einem der Synode vorliegenden Bericht zufolge bislang 479 Missbrauchsfälle erfasst.

In einem Grußwort vor der Synode forderte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) die evangelische Kirche dazu auf, in Fällen sexuellen Missbrauchs disziplinarrechtliche Konsequenzen zu ziehen und eine Strafverfolgung zu unterstützen. "Menschen, die Kinder missbrauchen und sie damit für ihr Leben schädigen, haben in keinem Amt der Kirche mehr etwas zu suchen", sagte die SPD-Politikerin.

"Institutionelles Versagen"

Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt, forderte von der evangelischen Kirche schonungslose Aufklärung. Als Institution müsse sie dafür sorgen, dass Missbrauchsfälle nicht nur als Einzelfälle, sondern als institutionelles Versagen betrachtet werden, sagte die Politikerin, die der Synode angehört.

Schwerpunktthema der bis zum 14. November tagenden Synode ist der Glaube junger Menschen, die die Kirche immer weniger erreicht. Alle Altersgruppen gemeinsam müssten Kirche gestalten, sagte der Ratsvorsitzende Bedford-Strohm im Eröffnungsgottesdienst. In seiner Predigt warb er für eine Öffnung der Kirche für junge Menschen und deren Ideen. Weder die "normative Kraft der Grauhaarigen" noch ein "bemühter Jugendkult" dürften in der Kirche vorherrschen. Neue Ideen vor allem junger Menschen bräuchten Platz und Vertrauen. Die 120 Synodalen wollen sich auch mit dem digitalen Wandel und dessen Konsequenzen für die Kirche beschäftigen.

Synodenpräses Schwaetzer forderte zudem, beim Thema Flüchtlinge nicht nachzulassen, das die evangelische Kirche besonders in den vergangenen Jahren immer wieder beschäftigt hat. Was den Umgang mit Geflüchteten angehe, habe sich die politische Situation in den vergangenen Jahren immer wieder geändert. "Die politischen Diskussionen, die immer wieder um Abgrenzung, Ausgrenzung und Abschreckung kreisen, haben auch uns leiser werden lassen", sagte Schwaetzer in ihrem Bericht vor der Synode.

Der Synode der EKD gehören 120 gewählte und berufene Mitglieder aus Kirche, Politik und Gesellschaft an. Sie beschließt Kirchengesetze und den Haushalt der EKD.



Kommission: Evangelische Kirche braucht Missbrauchs-Studie

Die evangelische Kirche wird bei ihrer Tagung in Würzburg beraten, was sie zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs in ihren Einrichtungen unternehmen will. Die Aufarbeitungskommission in Berlin dringt auf konkrete Schritte.

Die Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat von der evangelischen Kirche eine umfassende und unabhängige Aufarbeitung sexueller Gewalt an Kindern und Jugendlichen gefordert. Fälle von Missbrauch in einzelnen Institutionen in ihrer Trägerschaft und durch ihre Amtsträger ließen auf strukturelle Ursachen in der Kirche schließen, sagte die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen am 7. November in Berlin. Kurz vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte die Kommission eine Stellungnahme mit konkreten Empfehlungen an die evangelische Kirche. Das Thema sexueller Missbrauch steht auf der Tagesordnung der EKD-Synode, die vom 11. bis 14. November in Würzburg zusammenkommt.

Ruf nach Studie

Die Aufarbeitungskommission empfiehlt, eine eigene wissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, vergleichbar mit der Untersuchung, die von der katholischen Deutschen Bischofskonferenz vorgelegt wurde. Ob sich auch die evangelische Kirche zu solch einer Studie entschließt, ist noch offen. Wiederholt wird in den Empfehlungen die Forderung nach Kooperation mit dem Staat bei der Aufarbeitung. In den Empfehlungen findet sich zudem die Forderung, auf Täter "mit allen Mitteln des Strafrechts zu reagieren" und auch interne Disziplinarverfahren extern überprüfen zu lassen.

"Ich erwarte und verlange von meiner Kirche, dass sie sich nun einer unabhängigen Aufarbeitung stellt und die Archive öffnet", sagte die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) dem Portal "evangelisch.de". Bergmann ist Mitglied in der Aufarbeitungskommission und engagiert in der evangelischen Kirche. Zuletzt wirkte sie am Grundlagentext zum Familienbild der Kirche mit. Die evangelische Kirche sollte ihre Haltung gegenüber Missbrauch in den eigenen Institutionen ändern, sagte Bergmann. "Es ist eine Offenheit nötig, hinsehen, hinhören und glauben zu wollen", sagte sie.

Die EKD begrüße die Initiative der Kommission, sagte ein Sprecher der EKD. Der neue Beauftragtenrat der EKD, der sich mit dem sexuellen Missbrauch befasst, wollte sich in seiner Sitzung am Mittwoch mit den Vorschlägen der Kommission befassen. Man wolle die enge Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig, fortsetzen. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm habe Rörig zu der Ratssitzung im Dezember eingeladen, teilte der Sprecher mit.

Einblick in Akten und Archive

Die Kommission fordert in ihrer Stellungnahme, für die Aufarbeitung Einblick in Akten und Archive zu gewähren und einen gezielten Aufruf an Betroffene zu starten, um Geschehenes zu dokumentieren. Neben einer zentralen Anlaufstelle für Opfer von Missbrauch empfiehlt die Aufarbeitungskommission, eine konkrete Person als Ansprechpartner für betroffene Gemeinden und Einrichtungen einzusetzen: Die EKD bräuchte das Amt eines oder einer offiziellen Beauftragten "möglichst im Bischofsrang". Die Landeskirchen sollen zudem von sich aus Aufarbeitungsprozesse nach verbindlichen Kriterien vorantreiben. Die Situation in den 20 Gliedkirchen ist derzeit sehr unterschiedlich.

Betroffene von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen hatte die Kommission im Juni zu einem Hearing in Berlin eingeladen. 22 Betroffene hatten sich bis dahin bei der unabhängigen Stelle gemeldet. Nach einer aktuellen Anfrage sind es inzwischen 31. Die EKD hat anlässlich der Synode bei den Landeskirchen abgefragt, wie viele Fälle dort bekannt sind. Nach Angaben der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs sind es aktuell rund 480 Betroffene.

Die Aufarbeitungskommission wurde 2016 vom unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung berufen. Ihre Aufgabe ist es, Missbrauch in Institutionen und Familien zu untersuchen, Art und Ausmaß aufzuzeigen und für das Thema zu sensibilisieren.



Evangelische Kirche will mehr auf junge Leute hören


Talkrunde mit jungen Menschen zum Schwerpunktthema der EKD-Synodentagung, "Glaube junger Menschen", am 11. November. Rechts YouTuberin Jana Highholder.
epd-bild/Norbert Neetz
Junge Menschen und digitaler Wandel - für beides will sich die evangelische Kirche mehr engagieren. Die Synode in Würzburg beschäftigt sich mit diesen wegweisenden Themen und diskutiert darüber, wie die Kirche lebendiger werden kann.

Wenn die jungen Menschen nicht in den Gottesdienst kommen, muss der Gottesdienst zu den jungen Menschen gebracht werden. Wie das gehen soll, ist für die Youtuberin Jana Highholder klar: Junge Menschen trifft man am besten in den sozialen Netzwerken. Über ihre Erfahrungen als Gesicht des Videokanals der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sprach die 20-Jährige am 11. November im Eröffnungsgottesdienst der diesjährigen EKD-Synode, die bis zum 14. November in Würzburg tagt.

Ihr gegenüber in der ersten Reihe der Kirchenbänke saß der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und hörte zu. Auch ihm ist daran gelegen, dass seine Kirche attraktiver wird für die U-30-Jährigen. In der Kirche dürfe nicht die "normative Kraft der Grauhaarigen" vorherrschen, sagte Bedford-Strohm in seiner Predigt - und das, obgleich der Ratsvorsitzende selbst mit 58 Jahren bereits komplett weiße Haare hat. Für die Gottesdienstbesucher in der Stephanskirche bot das den Anlass für verhaltende Lacher.

Hierarchien und Regeln

Junge Menschen und Digitalisierung - beide Themen gehören zusammen, und beide Themen könnten darüber entscheiden, wie die Kirche in Zukunft gesellschaftlich wirken kann. Das machte die Präses der Synode, Irmgard Schwaetzer, deutlich. Mit Kirche verbinden viele junge Menschen starre Hierarchien, Regeln und selten Spaß. Doch das höchste Parlament der verfassten Kirche will jungen Leuten gerade in den Gremien mehr Platz und Raum bieten. Sie sollen besser beteiligt werden und mitentscheiden dürfen. Wie das gelingen kann, darüber diskutieren die Synodalen. Eine Jugendkonferenz, die unmittelbar vor der Jahrestagung der evangelischen Kirche zusammentritt, ist nur eine Idee. Eine Quote für Menschen unter 30 bei Synoden, auch auf Kreis- und Landesebene, eine zweite. "Die Kirche soll lebendiger werden und mehr Kraft haben", sagte Bedford-Strohm am 11. November vor Journalisten in Würzburg. Zuvor hatte er den Delegierten über seine Arbeit als Ratsvorsitzender berichtet.

Dabei stellte er die Chancen und Probleme heraus, die in beiden Themen liegen. Die Kirche könne nicht für jeden Lebensstil und jede Lebenssituation ein Angebot machen. Um dieser Erwartung dennoch stärker gerecht zu werden, sei ein erster Schritt, dass die Kirche sich besser vernetzen müsse. "Die modernen Kommunikationstechnologien geben viele Möglichkeiten, die Angebote so zu vernetzen, dass Menschen das finden, was ihren Glauben stärkt", sagte Bedford-Strohm.

"Mit Füßen getreten"

Auch die Verfehlungen der Kirche im Umgang mit Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen fanden einen deutlichen Niederschlag im Bericht des Ratsvorsitzenden. Wenn die Kirche in diesen Tagen darüber spricht, wie sie attraktiver werden will für die nachfolgende Generation, muss sie auch über ihren Umgang mit sexualisierter Gewalt sprechen. "Wir sind als Kirche eine Institution, die für radikale Liebe steht. Wenn im Rahmen dieser Institution Handlungen passieren, die das Leben von Menschen zerstören, dann wird mit Füßen getreten, wofür wir stehen", sagte Bedford-Strohm und bat im Namen des Rats um Vergebung bei den Betroffenen sexueller Gewalt. Am 13. November wird die Synode über den Umgang mit sexuellem Missbrauch sprechen. Die EKD will zwei unabhängige Studien in Auftrag geben, die die Missbrauchsfälle aufarbeitet und gleichzeitig Handlungsempfehlungen gibt. Im September hatte die katholische Deutschen Bischofskonferenz eine Missbrauchsstudie vorgelegt.

Im Ratsbericht wurde der bayerische Landesbischof, der an der EKD-Spitze die rund 21,5 Millionen deutschen Protestanten repräsentiert, auch politisch. Er bezog sich auf die Gedenkveranstaltungen zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht und zum Ersten Weltkrieg (1914-1918), der am 11. November vor 100 Jahren endete. "Wir werden nie und nimmer zulassen, dass die Erinnerung daran verächtlich gemacht wird", sagte er zum Völkermord an den Juden. Man werde nicht zulassen, das Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" oder die Verbrechen der Nationalsozialisten als "Vogelschiss der Geschichte" zu bezeichnen, sagte Bedford-Strohm vor den 120 Synodalen, die ihm dafür großen Applaus spendeten. Nur einer klatschte nicht mit - der als Gast gekommene kirchenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Volker Münz.

Franziska Hein (epd)


Forscher: Kirche macht zu wenig Angebote an Jugend

Die Kirche macht Religionsforschern zufolge jungen Erwachsenen zu wenig Angebote. "Das junge Erwachsenenalter ist eine Leerstelle in der kirchlichen Jugendarbeit", sagten die Professoren Tobias Faix und Tobias Künkler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Kirchliche Jugendarbeit höre oft nach dem Konfirmationsunterricht auf. Zu diesem Schluss kommen die beiden Leiter des Forschungsinstituts "empirica für Jugend, Kultur und Religion" in ihrer "Empirica-Jugendstudie 2018".

Konfessionelle Unterschiede von geringer Bedeutung

Die Studie sollte am 12. November am Rande der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Würzburg vorgestellt werden, deren Schwerpunktthema "Glaube junger Menschen" ist. "Junge Erwachsene wollen sich in den Gemeinden engagieren, sind zugleich aber sehr mobil in dieser Lebensphase. Hier ist es sinnvoll, stärker projektbezogene Angebote zu machen", sagten die beiden Forscher. "Außerdem suchen diese jungen Menschen nach Gemeinschaftserfahrungen." Individuell und authentisch müssten die Angebote daher sein. "Junge Menschen gehen dorthin, wo sie sich wohlfühlen, und achten dabei immer weniger auf konfessionelle Unterschiede."

Die Forscher arbeiten für die christliche CVJM-Hochschule in Kassel. Die Studie "Generation Lobpreis" beschäftigt sich hauptsächlich mit sogenannten hochreligiösen evangelischen Jugendlichen. Als "hochreligiös" gilt, wer dem Glauben auch in seinem Alltag einen hohen Stellenwert beimisst, wer regelmäßig betet oder in der Bibel liest oder einen Gottesdienst besucht.

20 Prozent der jungen Menschen sind hochreligiös

Nach aktuellen Studien gelten 20 Prozent der Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren als hochreligiös. Doch ist ihre Anbindung an die kirchlichen Institutionen oft nicht gegeben. "Die Generation 'Lobpreis' lebt einen sehr emotionalen und individualistischen Glauben", sagten Faix und Künkler. Sie seien eine sehr wichtige Gruppe, denn 88 Prozent der befragten Jugendlichen engagieren sich ehrenamtlich. "Wir haben eine sehr engagierte Generation vor uns, die nicht rebelliert und nicht revolutionär ist. In dem Bestehenden wollen sie aber einen Raum, wo sie gehört werden und den sie mitgestalten dürfen."

Der Lobpreis - also die Anbetung Gottes durch Worte, Gesten und Musik - sei Ausdruck und oft auch Lebenshaltung ihres Glaubens. "Man kann Lobpreis wie eine eigene Liturgie betrachten, in der es um die körperliche und geistliche Erfahrung von Gottes Anwesenheit geht." Für viele sei die traditionelle Gottesdienstliturgie nicht mehr selbsterklärend. Gemeinden müssten auch darüber nachdenken, mehr Formate mit alternativen Liturgien anzubieten, erklärten die Wissenschaftler.



EKD-Synode wählt Andreas Lange zum Vizepräses


Andreas Lange
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Die Spitze der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist wieder komplett. Das Kirchenparlament wählte am 11. November in Würzburg mit 77 von 116 abgegebenen Stimmen den lutherischen Superintendenten der Lippischen Landeskirche, Andreas Lange, zum Vizepräses. Die Wahl war nötig geworden, nachdem im vergangenen Jahr Vizepräses Klaus Eberl aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus der Leitungsebene der Evangelischen Kirche im Rheinland ausgeschieden war und damit auch das Ehrenamt in der EKD-Synode niedergelegt hatte.

Lange gehörte bereits dem sieben Mitglieder umfassenden Präsidium der EKD-Synode an. Der Theologe betonte in seiner Vorstellungsrede, er lege Wert auf eine Sprache, die nicht "churchy", also alltagstauglicher, ist. Im Präsidium will er sich nach eigener Aussage für eine gute Zusammenarbeit der konfessionellen Strömungen innerhalb des Protestantismus einsetzen.

Als lutherischer Superintendent ist Lange der leitende Geistliche der zehn lutherischen Gemeinden in der Lippischen Landeskirche. An der Spitze der drittkleinsten evangelischen Landeskirche steht Landessuperintendent Dietmar Arends, dem auch die geistliche Leitung der 58 reformierten Gemeinden obliegt.



Lutheraner wählen Meister zum neuen Leitenden Bischof


Ralf Meister (l.) nimmt nach der Wahl die Glückwünsche seines Vorgängers Gerhard Ulrich entgegen.
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Bei den lutherischen Kirchen in Deutschland gibt es einen Wechsel an der Spitze: Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister löst den scheidenden Nordkirchen-Bischof Gerhard Ulrich ab.

Die evangelisch-lutherischen Landeskirchen in Deutschland haben einen neuen leitenden Geistlichen gewählt. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister ist der neue Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD). Der 56-jährige Theologe war der einzige Kandidat, der am 9. November bei der VELKD-Generalsynode in Würzburg zur Wahl stand. Er erhielt 38 von 45 Stimmen. Meister kündigte an, er wolle "die lutherische Stimme pointiert erheben.

Meister wurde am Abend in einem Gottesdienst in sein neues Amt eingeführt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, gratulierte Meister zur Wahl. Dieser sei ein leidenschaftlicher Prediger, der die öffentliche Verantwortung genauso ernst nehme wie den seelsorgerlichen Auftrag der Kirche und dem die Ökumene und der Dialog mit dem Judentum wichtig sei, sagte Bedford-Strohm in Würzburg.

"Nicht zu klein von uns denken"

Meister ist der Nachfolger von Gerhard Ulrich. Ulrich stand der VELKD seit 2011 vor, er wurde erst im vergangenen Jahr für drei Jahre im Amt bestätigt. Da der 67-Jährige im März 2019 als Bischof der evangelischen Nordkirche in den Ruhestand tritt, legte er das Amt als Leitender Bischof der VELKD vorzeitig nieder. Meisters Amtszeit beträgt ebenfalls drei Jahre. Zum stellvertretenden Leitenden Bischof wählten die Delegierten den sächsischen Landesbischof Carsten Rentzing. Er übernimmt das Amt von der Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann.

Ulrich bekräftigte am 9. November, wie wichtig es sei, das Profil der lutherischen Kirchen zu stärken - auch in einer Zeit, in der die konfessionelle Bindung immer unwichtiger werde. "Wir sollten nicht zu klein von uns denken", sagte Ulrich. Es sei zwar wichtig, Rechenschaft über den Bedeutungsverlust abzulegen. Aber Bedeutung hänge nicht allein an Zahlen. Auch sein Nachfolger Meister nannte das Bekenntnis eine "Haltung gegen die Gnadenlosigkeit der Welt". Ob der vielen Gemeinsamkeiten zu seinem Nachfolger in Haltung und Position sprach Ulrich von "einem beruhigenden Abschied".

Jugendsynode

Meister wurde 2010 als Bischof der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers zum Nachfolger von Margot Käßmann gewählt und 2011 ins Amt eingeführt. Zuvor war er in Berlin Generalsuperintendent. Seine Laufbahn als Pfarrer begann er 1992. Studiert hat er neben Theologie auch Judaistik, ein Jahr lebte er während des Studiums in Jerusalem. Er ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von drei Kindern.

Bis zum 10. November beschäftigte sich die Generalsynode mit der Zukunft der VELKD und der Frage, wie die Kirche junge Erwachsene stärker einbinden kann. Meister forderte eine Jugendsynode, die parallel zur Generalsynode tagt. Eine solche Jugendsynode aller lutherischen Landeskirchen könne wichtige Impulse setzen, wie sich die Kirche verändern müsse.

Seit dem 9. November tagte in Würzburg auch die Vollkonferenz der UEK. Die Delegierten beschäftigen sich ebenfalls mit dem Thema "Jugend und Glaube". Der Vorsitzende der Vollkonferenz, der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad, betonte in seinem Bericht ähnlich wie Meister und Ulrich die konfessionelle Pluralität der Landeskirchen. "Unterschiede zwischen den evangelischen Konfessionen dürfen und sollen bestehen bleiben", sagte Schad.



Protestanten beraten in Würzburg über Ökumene


Christian Schad (l.) und Karl-Hinrich Manzke
epd-bild / Norbert Neetz

Bei den gemeinsamen Beratungen der protestantischen Kirchen in Deutschland stand am 10. November die Ökumene im Zentrum. Die Vollkonferenz der Union Evangelischer Kirchen (UEK) und die Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) nahmen in Würzburg gemeinsam die Berichte über die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche entgegen.

Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad, der evangelische Vorsitzende des Kontaktgesprächskreises der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), würdigte in seinem Bericht die "neue Gangart" des Vatikans mit Blick auf den anstehenden ersten offiziellen Dialog zwischen dem Vatikan und dem Gesamtprotestantismus. Bilaterale Gespräche zwischen einzelnen evangelischen Kirchen und Rom hätten eine lange Tradition, aber in dem Dialog zwischen dem Vatikan und der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) liege eine neue Chance, sagte Schad.

Am 16. September hatten Vertreter des Vatikans und der GEKE eine Erklärung unterzeichnet, einen Dialog über das Verständnis von Kirche und Kirchengemeinschaft aufzunehmen. Für das Jahr 2030 sei eine gemeinsame Erklärung zu Kirche, Eucharistie und Amt geplant. Diese soll mit der katholischen, den lutherischen, reformierten, unierten und methodistischen Kirchen abgestimmt werden. Noch in diesem Jahr solle festgelegt werden, wie der Dialog organisiert wird, teilte Schad mit.

"Entscheidender Schritt"

Der lutherische Catholica-Beauftragte, Landesbischof Karl-Hinrich Manzke, würdigte die katholische Orientierungshilfe zur Eucharistie für gemischtkonfessionelle Paare. "Sie wird Wege und Möglichkeiten eröffnen, wie Ehepartner gemeinsam zum Tisch des Herrn treten können", sagte der Theologe. Insofern sei sie als "entscheidender Schritt" zu bezeichnen, sagte Manzke in seinem Bericht vor der Generalsynode und der Vollkonferenz.

Manzke bezeichnete die Frage des gemeinsamen Abendmahls als entscheidend für Fortschritte in der Ökumene. "Diese Debatte steht ganz offensichtlich exemplarisch für die Möglichkeiten und Grenzen der Entwicklung in der Ökumene", sagte der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Schaumburg-Lippe. Die Frage der Öffnung der Eucharistie für Protestanten habe in der katholischen Kirche einen Richtungsstreit ausgelöst.

Ende Juni hatte die Deutsche Bischofskonferenz eine Orientierungshilfe für die Bischöfe herausgegeben, die Stellung nimmt zu der Frage der Eucharistie für gemischtkonfessionelle Paare. Seither liegt es in der Entscheidung der einzelnen Bischöfe, die Eucharistie auch protestantischen Ehepartnern zu öffnen. Eine verbindliche Regelung für alle Diözesen in Deutschland blieb damit aus. Das geplante Dokument der Bischofskonferenz war zunächst vom Vatikan zurückgehalten worden.

"Langer Atem"

Auch wenn die Veröffentlichung als Orientierungshilfe ein Kompromiss sei, sei sie nun in der Welt, sagte Manzke. Rund ein Drittel der 27 katholischen Bistümer hätten seither angekündigt, die Vorschläge der Orientierungshilfe umzusetzen. Darunter seien die Bistümer Paderborn, Osnabrück, Speyer und Magdeburg, teilte er mit.

Aus protestantischer Perspektive enttäuschend sei jedoch, dass die katholische Kirche weiterhin ablehne, dass katholische Ehepartner das gemeinsame Abendmahl in evangelischen Kirchen empfangen. "Wer sich für die Ökumene einsetzt, muss einen langen Atem mitbringen", sagte Manzke. Immerhin sei überhaupt ein Text veröffentlicht worden, auf den sich die Protestanten beziehen könnten.



Westfälische Synode diskutiert über "Kirche und Migration"


Annette Kurschus
epd-bild/Oliver Krato

Die Anforderungen der Migrationsgesellschaft sind Thema der diesjährigen Landessynode der Evangelischen Kirche von Westfalen, die vom 18. bis 21. November in Bielefeld-Bethel tagt. Dabei geht es insbesondere um die Rolle der Kirche, wie das Bielefelder Landeskirchenamt am 7. November erklärte. Dem Kirchenparlament der rund 2,2 Millionen westfälischen Protestanten wird ein entsprechendes Arbeitspapier vorgelegt. Es soll anschließend ein Jahr lang in den knapp 500 Kirchengemeinden und 28 Kirchenkreisen unter dem biblischen Motto "Ich bin fremd gewesen, und ihr habt mich aufgenommen" diskutiert werden. Auf der Landessynode im kommenden Jahr soll das Thema "Kirche und Migration" dann im Mittelpunkt stehen, wie es hieß.

Zur Eröffnung der Landessynode werde die westfälische Präses Annette Kurschus in ihrem Bericht eine aktuelle Zeitansage machen, kündigte die Landeskirche an. In ihrem Vorwort zum Arbeitspapier über Migration betonte die Präses, dass Geflüchtete und Migranten mündige Menschen mit eigener Geschichte seien, die nicht ständig als Objekte von Mitleid oder Skepsis wahrgenommen werden wollen.

Ministerpräsident Laschet zu Gast

Prominenter Gast ist in diesem Jahr der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der vor den Landessynodalen ein Grußwort halten wird. Kirchentagspräsident Hans Leyendecker informiert den Angaben nach über das Programm des bevorstehenden Deutschen Evangelischen Kirchentages vom 19. bis 23. Juni 2019 in Dortmund. Außerdem wird der Haushaltsplan für 2019 festgelegt.

Die westfälische Landeskirche ist die viertgrößte der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Oberstes Organ ist die Landessynode, der Vertreter aller 28 Kirchenkreise angehören. Die Landessynode kommt in der Regel einmal im Jahr für knapp eine Woche im Assapheum im Bielefelder Stadtteil Gadderbaum zusammen, um über wichtige Belange der gesamten Landeskirche zu entscheiden.



Europäische Kirchenvertreter feiern "Frieden in Europa"


Gedenkgottesdienst im Berliner Dom zum Ende des Ersten Weltkriegs
epd-bild/Frank Senftleben
Lehren aus der Geschichte und Appelle zum Einsatz für den Frieden standen am11. November im Zentrum des ökumenischen Gedenkens zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkriegs.

Kirchenvertreter aus mehreren europäischen Ländern haben am 11. November zum 100. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkrieges gemeinsam einen ökumenischen Gottesdienst im Berliner Dom gefeiert. Der evangelische Berliner Bischof Markus Dröge hob in seiner Predigt das Zusammenwachsen der Kirchen in Europa als eine Konsequenz aus den Erfahrungen zweier Weltkriege hervor. Mit dem Waffenstillstand am 11. November 1918 endeten vor 100 Jahren die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs.

Dröge verwies auf die 2001 von der Konferenz Europäischer Kirchen in Europa (KEK) und dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen verabschiedete "Charta Oecumenica". Protestanten, Katholiken und Orthodoxe hatten sich darin auf Leitlinien für eine wachsende Zusammenarbeit verständigt. "Wenn wir heute beobachten, wie anders die Worte vieler Herrscher klingen, vieler Demagogen, vieler Nationalisten und Populisten, dann erscheint die 'Charta Oecumenica' wie eine Friedensvision, deren Realität noch nicht in unsere Welt passt", sagte der Berliner Bischof.

"Europäisches Projekt gefährdet"

An dem Gottesdienst nahmen neben dem KEK-Präsidenten und Präsidenten der Reformierten Kirche von Elsass und Lothringen, Christian Krieger, auch der katholische polnische Erzbischof Henryk Muszynski, Erzbischof Dietrich Brauer von der Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Russland, der anglikanische Bischof Jonathan Gibbs aus dem englischen Huddersfield und der Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz, Metropolit Augoustinos von Deutschland, teil. Der katholische Berliner Erzbischof Heiner Koch hielt ein Totengedenken.

"Heute ist das Europäische Projekt gefährdet", warnte KEK-Präsident Krieger in einem Grußwort. "Obwohl wir in einer immer globaleren Welt leben, mit globalen Herausforderungen, suchen viele Lösungen in der Ausgrenzung oder Abschottung", betonte der französische Theologe. Ängste und Unmut würden unverantwortlich politisch ausgenutzt. Es sei Aufgabe der Kirchen und der Christen, mit diesen Ängsten umzugehen, versuchen zu verstehen, aber auch ihre Grenzen aufzuweisen, betonte Krieger.

Auch der polnische Erzbischof Muszynski mahnte, dass heute "die wahren europäischen und christliche Grundwerte, von Kurzsichtigkeit, sozialem Egoismus und Mangel an Solidarität ernsthaft bedroht" seien. Er rief insbesondere Christen in Polen und Deutschland auf, gemeinsam für Versöhnung und Frieden einzutreten. Erzbischof Brauer aus Moskau betonte, die Welt habe dringend den Zusammenschluss der "Kinder Gottes im Gebet" nötig. Der britische Bischof Gibbs mahnte ebenfalls die gemeinsame Verantwortung für Europa an.

Bischof Meister bei Gottesdienst in Nordengland

Musikalisch gestaltet wurde der Gottesdienst unter dem Leitthema "Frieden in Europa" von Jugendchören aus Frankreich, Großbritannien und Russland. Nach dem Gottesdienst wollte der frühere Vizepräsident der Europäischen Kommission, Günter Verheugen (SPD), einen Vortrag zum Thema "Das ganze Europa soll es sein" halten.

Bei einem Gedenkgottesdienst in der Kathedrale von Ripon in Nordengland erinnerte der hannoversche Landesbischof Ralf Meister an die Schrecken des Ersten Weltkriegs. Der Krieg, in dem mehr als neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilisten ihr Leben verloren, habe Europa zerrissen. "Dieser Krieg mahnt bis heute ganz Europa zum Frieden", sagte der evangelische Theologe, der auch deutscher Vorsitzender der Meißen-Kommission ist, in der sich die Kirche von England und die deutschen Protestanten 1991 zur Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft verpflichtet haben.

Unter Historikern gilt der Erste Weltkrieg mit mehr als 15 Millionen Toten als erster globaler Krieg der Geschichte - und als erster totaler. Am 11. November 1918 unterzeichneten Vertreter des Deutschen Reiches und der Alliierten ein Waffenstillstandsabkommen in einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne nordöstlich von Paris.



Glockenläuten weltweit erinnert an Ende des Ersten Weltkrieges

Mit weltweitem Glockenläuten ist am 11. November an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert worden. Unter anderem in Frankreich, Großbritannien und Deutschland erklangen um 13.30 Uhr mitteleuropäischer Zeit kirchliche und nichtkirchliche Glocken, um an die Millionen Opfer des Ersten Weltkriegs zu erinnern. Zugleich sollte damit ein Zeichen für Frieden und Versöhnung gesetzt werden. In Deutschland beteiligten sich unter anderem die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche und der Berliner Dom an der Initiative.

Zuvor hatten im Berliner Dom führende Vertreter der Kirchen Europas mit einem ökumenischen Gottesdienst gemeinsam das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gefeiert. Bischöfe aus Frankreich, Russland, Polen, Großbritannien und Deutschland mahnten dabei den Zusammenhalt Europas an. Auch die Kirchen und Christen sollten dazu aktiv beitragen, hieß es.

Freude über Kriegsende

Die Idee für das weltweite Glockenläuten kommt nach Angaben des Auswärtigen Amtes aus Großbritannien, wo jährlich traditionell mit einer Parade in London an das Kriegsende von 1918 erinnert wird. Nach der Verkündung des Waffenstillstands am 11. November 1918 wurden in vielen Ländern aus Freude über diese Nachricht spontan die Glocken geläutet.

Unter Historikern gilt der Erste Weltkrieg als erster globaler Krieg der Geschichte - und als erster totaler. Über neun Millionen Soldaten und mehr als sechs Millionen Zivilisten wurden innerhalb von vier Jahren getötet. Am 11. November 1918 unterzeichneten Vertreter des Deutschen Reiches und der Alliierten ein Waffenstillstandsabkommen in einem Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne nordöstlich von Paris.



Aachener Delegation nimmt an Weltkriegsgedenkfeier teil

Eine deutsche Delegation aus Aachen hat am 11. November im nordenglischen Halifax an den Gedenkfeierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren teilgenommen. Vertreter der Stadt Aachen, des evangelischen Kirchenkreises Aachen und der Bundeswehr reisten zum "Remembrance Day" in die englische Partnerstadt, wie der Kirchenkreis mitteilte.

Die deutschen Soldaten zogen mit den Soldaten des Yorkshire-Regiments durch die Stadt zum Ehrenmal. Dort ertönten sowohl die britische als auch die deutsche Nationalhymne. An der Parade und an der Gedenkfeier nahmen den Angaben zufolge rund 5.000 Menschen teil.

"Remembrance Day"

Beim anschließenden Gottesdienst im Halifax Minster erinnerte Pfarrer Jens-Peter Bentzin aus Monschau an den "unermesslichen Schmerz und Kummer", den die Deutschen im Krieg verursacht hätten. "Wir erinnern uns an die Opfer und verneigen uns vor ihnen", sagte er in seiner Predigt vor rund 1.000 Gottesdienstbesuchern. "Wir trauern gemeinsam um den tragischen Verlust junger und hoffnungsvoller Leben auf beiden Seiten der Schützengräben."

Zu der Delegation gehörten Bezirksbürgermeisterin Marianne Conradt (CDU), eine vierköpfige Abordnung der Lützow-Kaserne sowie Pfarrer und Mitglieder des Kirchenkreis-Leitungsgremiums. Bereits am Samstag hatten die Gäste aus der Region Aachen an einem Empfang des Bürgermeisters teilgenommen, gemeinsam mit dem hannoverschen Landesbischof Ralf Meister und Nicholas Baines, dem Bischof von Leeds.

Eröffnungsgottesdienst zur Kreissynode zweisprachig

Am kommenden Wochenende statten die Partner aus Halifax einen Gegenbesuch in Aachen ab. Reverend Canon Hilary Barber vom Halifax Minster wird mit Pfarrer Bentzin am 16. November den Eröffnungsgottesdienst der Kreissynode zweisprachig gestalten. Zudem steht ein Workshop zum Jahresthema "Frieden" unter dem Titel "Schuld eingestehen: Erfahrungen von der gemeinsamen Feier des Remembrance Day in Halifax, 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs" auf der Tagesordnung der Synode.

Die Partner aus Halifax werden außerdem vom Aachener Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) empfangen und nehmen an einer Gedenkstunde in der Aula Carolina teil. Am Volkstrauertag legen sie einen Kranz auf dem "Ehrenfriedhof" auf dem Aachener Waldfriedhof nieder.

Bereits vor vier Jahren war eine deutsche Delegation aus Aachen zum Gedenken an den Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren nach Halifax gereist. Aachen und Halifax sind seit mehr als 60 Jahren durch eine Städtepartnerschaft verbunden. Der Kirchenkreis Aachen pflegt Kontakte zum anglikanischen Halifax Minster.



Kurschus und Arends rufen zu Einsatz gegen Judenfeindschaft auf

Die westfälische Präses Annette Kurschus und der lippische Landessuperintendent Dietmar Arends haben zum konsequenten Einsatz gegen alle Formen der Judenfeindschaft, gegen Antijudaismus und Antisemitismus aufgerufen. In einer gemeinsamen Erklärung erinnerten die leitenden Geistlichen an den 80. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, wie beide Landeskirchen am 5. November in Bielefeld und Detmold mitteilten. Dieser Tag markiere den "Aufbruch zu einer bis dahin unvorstellbaren Katastrophe", erklärten Arends und Kurschus, denn der Pogromnacht sei der Völkermord an etwa sechs Millionen Juden gefolgt.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten Nationalsozialisten in ganz Deutschland Synagogen und jüdische Gemeindehäuser niedergebrannt, Tausende Juden wurden verhaftet, mehrere Hundert ermordet. Auch viele Christen beider Landeskirchen hätten sich an diesen abscheulichen Verbrechen beteilt oder sie hingenommen, beklagten die beiden Theologen. Kurschus und Arends bekundeten ihre "Scham über das, was geschehen ist, und über das Versagen vieler Christinnen und Christen".

Beide Kirchen sehen sich der Erklärung zufolge "dem Andenken der Opfer verpflichtet". Es bleibe ihre Aufgabe, "den Mechanismus der Intoleranz zu durchbrechen und Respekt vor dem anderen einzufordern", betonten Kurschus und Arends. Wer sich gegen Juden wende, greife auch die Grundlage des christlichen Glaubens an. Dass Juden heute in Deutschland unbehelligt leben könnten, gehöre zur christlichen Identität.



EKD: Christen in Syrien unterstützen

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ruft zur Unterstützung der Christen in Syrien auf. "Wir ermutigen unsere Mitgliedskirchen, die Arbeit unserer Geschwister in Syrien durch Gebet, humanitäre Hilfe und die Förderung von Wiederaufbauprojekten zu unterstützen", erklärte am 7. November der Vorsitzende der Evangelischen Mittelost-Kommission der EKD, der Berliner Bischof Markus Dröge.

Gleichzeitig ermutigt die Kommission die Partner in Syrien, politische Verhältnisse zu fördern, in denen demokratische Grundsätze sowie Religionsfreiheit gewährleistet werden. Man sei sich allerdings bewusst, dass "die Spielräume hierfür in der derzeitigen Situation eng sind".

Wurzeln des Christentums

Das Papier weist zudem auf das vielfältige Engagement der christlichen Gemeinden vor Ort hin. Diese gehörten zu den ältesten Kirchen überhaupt und damit zu den "lebendigen geistlichen und kulturellen Wurzeln des Christentums". Die Arbeit der kirchlichen Partner vor Ort sei ein wesentlicher Beitrag dazu, dass Menschen die Zukunft in ihrer Heimat planen können und nicht genötigt werden zu fliehen, heißt es in dem Papier.

Die Evangelische Mittelost-Kommission der EKD vereint 30 Kirchen, Missionswerke, Hilfswerke und christliche Organisationen, die Beziehungen zum Mittleren Osten pflegen. Einige ihrer Mitglieder sind durch langjährige Partnerschaften mit Kirchen und Gemeinden in Syrien verbunden.



Kirche in Lippe diskutiert Auslandseinsätze der Bundeswehr

Im Rahmen eines neuen Diskussionsprozesses zum Thema Frieden debattiert die Lippische Landeskirche am 13. und 20. November über die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Mit Augustdorf liege ein in diesem Zusammenhang wichtiger Bundeswehr-Standort auf dem Gebiet der Landeskirche, teilte eine Kirchensprecherin am 5. November in Detmold mit. Der Lippischen Landessynode solle für ihre Tagung im Juni 2019 dazu ein Beschlussentwurf vorgelegt werden.

Am 13. November steht den Angaben zufolge in Lemgo ein Vortrag unter der Überschrift "Militärische Gewalt überwinden - Auslandseinsätze und der christliche Glaube" auf dem Programm. Referent ist Ulrich Frey von der Arbeitsgemeinschaft Dienst für den Frieden. Eine Woche später geht es in Detmold um die Frage "Was hat der Afghanistan-Einsatz gebracht?". Diskutieren werden Vertreter der Augustdorfer Panzerbrigade 21, des Versöhnungsbundes und des Ärztevereins für afghanische Flüchtlinge.



Kreissynode Simmern-Trarbach verabschiedet Erklärung zu Kirchenasyl

Die Synode des evangelischen Kirchenkreises Simmern-Trarbach hat eine Erklärung zum Kirchenasyl verabschiedet. Darin dankt sie den Haupt- und Ehrenamtlichen für ihr Engagement und kritisiert das Ausnutzen der menschlichen Not für politische Zwecke sowie die Kriminalisierung von Pfarrerinnen und Pfarrer, wie der Kirchenkreis mitteilte. Anlass war die Diskussion um das Kirchenasyl in den vergangenen Wochen im Hunsrück.

Im konkreten Fall waren mehrere Sudanesen, die im Sommer nach Italien abgeschoben werden sollten, von Kirchengemeinden ins Kirchenasyl genommen worden. Erste Abschiebeversuche im Sommer waren an einer Anweisung des Mainzer Integrationsministeriums gescheitert, das Polizeieinsätze in Kirchenasylen vermeiden wollte. Der zuständige Landrat Marlon Bröhr (CDU) hatte in der Folge Strafanzeige gegen vier Pfarrer und eine Pfarrerin erstattet, die Staatsanwaltschaft ermittelt seither wegen des Verdachts der Beihilfe zum illegalen Aufenthalt.

Zwei der ursprünglich neun ins Kirchenasyl aufgenommene Menschen kehrten zwischenzeitig freiwillig in die Obhut des Kreises zurück, tauchten dann aber unter. Mitte Oktober hatte das Verwaltungsgericht Trier den Eilanträgen der übrigen Sudanesen stattgegeben, die sich gegen ihre Abschiebung nach Italien gewehrt hatten. Mit der Entscheidung endete vorerst eine nervenzehrende Auseinandersetzung um das Schicksal der Flüchtlinge.

Landrat Bröhr, der als Gast an der Synode teilnahm, betonte, dass nicht der Kreis über ein Asyl entscheide sondern geltendes Recht ausführen müsse. Für die vielfältige Arbeit des Kirchenkreises in der Jugendarbeit, aber auch in der Flüchtlingshilfe habe er "tief empfundenen Respekt", doch er habe sich an geltendes Recht zu halten.

Der Superintendent des Kirchenkreises, Hans-Joachim Hermes, kritisierte das Vorgehen des Landrats. "Die Anzeige gegen fünf Pfarrerinnen und Pfarrer, stellvertretend für viele Haupt- und Ehrenamtlich aus unseren Gemeinden, ist unsäglich und in keinster Weise nachzuvollziehen", sagte er. Gewissensnot, die sich in Nächstenliebe äußere, werde vor Gericht gestellt. Mittlerweile gehe es offensichtlich nur noch darum, Recht zu behalten, politische Pflöcke einzuschlagen und nicht mehr aufeinander zu hören oder miteinander zu reden, kritisierte Hermes.



Superintendent mahnt zum Einsatz gegen Rassismus

Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Trier, Jörg Weber, hat dazu aufgerufen, sich "gegen alle Formen von Rassismus, Gewalt und Ausgrenzung" zu stellen. "Wir stehen auf gegen Rassismus, Antisemitismus, Hassreden und menschenverachtende Kommunikation. Nicht mit uns", sagte der Theologe am 10. November in seinem Bericht vor der Kreissynode in Schweich. Vielmehr gelte es einzutreten für die Freiheit und Würde jedes Menschen, für die Religionsfreiheit sowie für die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Menschen.

Neues Planstellenkonzept

Die Kreissynode beschloss auf ihrer Tagung anschließend mit großer Mehrheit ein neues Planstellenkonzept, wie der Kirchenkreis mitteilte. Danach werden die jetzigen Personalplanstellen bis 2025 gehalten. Dahinter steht nach Webers Worten "die Überzeugung, dass wir uns nicht aus der Fläche zurückziehen wollen". Dabei biete das Planstellenkonzept "die Flexibilität, für die Zukunft gerüstet zu sein und im Zweifel zumindest teilweise Pfarrdienst durch andere hauptamtliche Dienste zu ersetzen".

Ebenfalls beschlossen wurde der Haushalt für 2019 mit einem Volumen von rund 1,86 Millionen Euro für kreiskirchliche Arbeitsgebiete, rund 1,27 Millionen Euro für Verwaltungsaufgaben sowie rund 1,85 Millionen für Gemeindepfarrstellen. Zum Kirchenkreis Trier gehören 20 protestantische Kirchengemeinden in den Regionen Mosel/Saar, Eifel und Hunsrück mit 55.300 evangelischen Christen. Der rund 5.000 Quadratkilometer große Kirchenkreis ist der flächengrößte in der Evangelischen Kirche im Rheinland.



Kreissynode Solingen setzt sich mit Friedenswort auseinander

Das Thema Frieden stand im Mittelpunkt der Herbstsynode des evangelischen Kirchenkreises Solingen. "Wir glauben, dass der oft gebrauchte Satz: 'Wer den Frieden will, muss sich auf den Krieg vorbereiten' falsch ist", erklärte Superintendentin Ilka Werner zum Abschluss der Tagung am 10. November. "Stattdessen gilt: Wenn du den Frieden willst, bereite ihn vor!"

Eingeführt in das Thema hatte der Vorsitzende des Ausschusses für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche im Rheinland, der Jülicher Superintendent Jens Sannig, wie der Kirchenkreis mitteilte. Er erläuterte das Friedenswort der rheinischen Kirche "Auf dem Weg zum gerechten Frieden". Dieser Weg sei ein mühsamer Prozess, bei dem es gelte, Schritt für Schritt Krieg und kriegerische Mittel als Möglichkeiten der Konfliktlösung zu überwinden. Es gehe nicht nur darum, passiv friedfertig zu leben, sondern nach dem Vorbild Jesu Christi aktiv Frieden zu stiften, betonte Sannig. Dabei gehörten der Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung untrennbar zusammen.

Im Anschluss konnten die rund 70 Synodalen sich dann mit Vertretern verschiedener Solinger Institutionen in sieben Workshops über konkrete Friedensarbeit informieren. Außerdem verabschiedete die Synode den Haushalt für 2019. Dieser sieht für die Arbeitsgebiete des Kirchenkreises und seines Diakonischen Werks Ausgaben in Höhe von 5,58 Millionen Euro vor. Dagegen stehen Einnahmen in Höhe von lediglich 5,41 Millionen Euro. Das erwartete Defizit in Höhe von knapp 177.000 Euro soll den Angaben zufolge aus Rücklagen ausgeglichen werden.



Essener Superintendentin: Politik muss mehr gegen Armut tun

Die Essener Superintendentin Marion Greve hat an Politik und Verwaltung der Ruhrgebietsstadt appelliert, mehr gegen die wachsende Armut zu tun. "Im Ruhrgebiet leben viel zu viele Menschen mit Armutsrisiko", sagte die Theologin nach Angaben des evangelischen Kirchenkreises Essen am 10. November auf der Kreissynode. Ende 2017 bezogen nach ihren Worten 18 Prozent der Essener existenzsichernde Leistungen, bei Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren waren es sogar 35,5 Prozent.

Gerade bei der Kinderarmut gebe es einen fatalen Kreislauf, beklagte Greve: "Die Folgen des Transferbezugs oder niedriger Löhne der Eltern, Bildungsbenachteiligung, gesellschaftliche Desintegration und mangelnde Teilhabe, gesundheitliche Beeinträchtigungen und eine Unterversorgung bei der Erziehung und Betreuung verstärken sich wechselseitig." Wer in einem Essener Stadtteil mit räumlicher Armutsverdichtung aufwachse, sei von vornherein im Hinblick auf die Schullaufbahn benachteiligt, was sich fast immer problematisch auf den weiteren Lebensweg auswirke.

Hier müssten Politik und Stadtverwaltung zeitnah entschieden gegensteuern und daran arbeiten, dass sich das soziale Nord-Süd-Gefälle nicht weiter vertiefe, mahnte die Superintendentin. Als gutes Beispiel für einen Schritt in die richtige Richtung wurde das Programm "Kinderarmut bekämpfen - Teilhabe ermöglichen" der Stadt Essen genannt, das eine Zusatzförderung von Kindertagesstätten in Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf ermöglicht.



Superintendent von Saar-Ost wirbt für gesellschaftlichen Einsatz

Der Superintendent des Kirchenkreises Saar-Ost, Markus Karsch, hat für den Einsatz von Christen in der Gesellschaft geworben. "Wir leben in Zeiten, in denen Lüge, Hass, Intoleranz, Verachtung und Ausgrenzung anerkannte und erfolgreiche Mittel der Politik sind", sagte er bei der Kreissynode in Neunkirchen-Wellesweiler. Es seien Zeiten, in denen Populismus und rechtes Gedankengut nicht nur wieder salonfähig, sondern sogar wahlfähig und mehrheitsfähig werde. Christen müssten mit ihren Werten der Nächstenliebe und der Akzeptanz der Menschen "Salz und Licht" in der Gesellschaft sein.



Kirchenkreis An der Ruhr will Zusammenarbeit ausbauen

Der evangelische Kirchenkreis An der Ruhr will stärker auf seine Nachbarn zugehen, sowohl über Konfessions- wie auch über Stadtgrenzen hinweg. Mit den Kirchenkreisen Essen und Oberhausen gebe es derzeit Gespräche über mögliche neue Formen der Zusammenarbeit, erklärte Superintendent Gerald Hillebrand in seinem Bericht vor der Kreissynode am Wochenende in Mülheim a.d. Ruhr.

Die ökumenische Kooperation könne ebenfalls ausgebaut werden. "Wir könnten vielleicht miteinander schaffen, was jeder für sich so künftig nicht mehr schaffen kann", sagte der Theologe. Das gelte für die gemeinsame Nutzung von Gebäuden bis hin zur gemeinsamen Verantwortung von Arbeitsbereichen. "Wir dienen weder unserer eigenen Sache noch dem Evangelium von Jesus Christus, wenn jeder nur sein eigenes Ding macht."

Auch innerhalb des Kirchenkreises rief Hillebrand zu mehr Miteinander auf. Die übergemeindliche Perspektive müsse stärker in den Blick genommen werden. "Die 'Basisversorgung' mit den grundlegenden Angeboten muss weiter vor Ort geschehen", erläuterte der Superintendent. "Doch muss dort nicht alles vorgehalten werden, was Menschen interessiert und was sie gern tun möchten. Das kann auch an zentralen Punkten für alle angeboten werden." Hillebrand regte an, über gemeinsame Schwerpunkte nachzudenken, etwa bei Kirchenmusik, Jugendarbeit oder in der Vorbereitung besonderer Gottesdienste.



Kirchenkreise legen Verwaltung zusammen

Die Verwaltungsämter der evangelischen Kirchenkreise Düsseldorf-Mettmann und Niederberg sollen schrittweise zusammengelegt werden. Das habe die Kreissynode Düsseldorf-Mettmann auf ihrer Tagung am Wochenende beschlossen, teilte der Kirchenkreis mit. "Dies ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung des kirchlichen Zusammenhaltes in der Bergischen Region und in der seit vielen Jahren guten Nachbarschaft mit dem Kirchenkreis Niederberg", erklärte Superintendent Frank Weber.

Ziel der Zusammenlegung ist es den Angaben zufolge, den wachsenden Anforderungen an die Kirchengemeinden gerecht zu werden, attraktive Arbeitsplätze zu erhalten und die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten zu erweitern sowie mittelfristig die Verwaltungskosten zu senken. Die Kreissynode Niederberg hatte der Zusammenlegung bereits zugestimmt. Mit dem Beschluss der Kreissynode Düsseldorf-Mettmann könne nun ab 2019 mit der schrittweisen Umsetzung begonnen werden, hieß es.



Letzte Finanzsynoden der Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar

Die evangelischen Kirchenkreise Braunfels und Wetzlar haben bei ihren letzten Finanzsynoden jeweils getrennt den Haushalt des neuen Kirchenkreises an Lahn und Dill für das Jahr 2019 beschlossen. Erträgen von 7,35 Millionen Euro stehen Aufwendungen von 7,62 Millionen Euro gegenüber, wie die Kirchenkreise mitteilten. Die bisher unterschiedlichen Finanzausgleichsysteme seien hauptverantwortlich für den Fehlbetrag, der aus Rücklagen gedeckt werden könne. Zum 1. Januar 2019 wird aus den beiden Kirchenkreisen der neue Kirchenkreis.

Die 114 Delegierten aus den 18 Gemeinden des Kirchenkreises Wetzlar und aus den 32 Gemeinden des Kirchenkreises Braunfels beschlossen zudem den Angaben zufolge den Haushalt des "Evangelischen Kirchenamtes an Lahn und Dill". Dieser hat demnach für 2019 ein Volumen von 2,1 Millionen Euro. Ab 2020 könne mit einer von der Landeskirche neu eingeführten Software ein einziger gemeinsamer Haushalt für Kirchenkreis und Kirchenamt erstellt werden, hieß es.

Das erwartet Kirchensteueraufkommen für 2019 beläuft sich den Kirchenkreisen zufolge wie im Vorjahr auf 18 Millionen Euro. Zudem erwarteten die bisherigen Kirchenkreise aus dem übersynodalen Finanzausgleich der Landeskirche 3,6 Millionen Euro. Davon seien Umlagen, Pfarrbesoldungs- und die staatlichen Verwaltungskosten sowie eigene Aufgaben der Kirchengemeinden für Gebäude, Personal und Verwaltung zu finanzieren.



Themen für Ökumenischen Kirchentag 2021 gesucht

Die beiden Gastgeber des Ökumenischen Kirchentags 2021 in Frankfurt am Main haben dazu aufgerufen, Themen für das Großereignis zu benennen. Ab sofort können Interessierte auf dem Online-Portal www.meinthemafürdenökt.de Vorschläge und Ideen einbringen, wie die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und das katholische Bistum Limburg am 6. November mitteilten. Zu dem Christentreffen werden vom 12. bis 16. Mai 2021 mehr als 150.000 Besucher in Frankfurt erwartet.

Die Vorschläge und Ideen können bis zum 15. Januar 2019 eingereicht werden. Anschließend werden sie von einem Fachgremium gesichtet und den leitenden Gremien des Ökumenischen Kirchentags vorgelegt. Die Kirchentagsbeauftragte der EKHN, Miriam Küllmer-Vogt, sagte, es gebe "so einiges, über das gesprochen werden sollte. Damit sich etwas bewegt. Zum Guten hin." Der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt habe das Potenzial, die Gesellschaft zu verändern.



Neues Perikopenbuch kann bestellt werden

Im Bielefelder Luther-Verlag ist das neue sogenannte Perikopenbuch als gebundene Ausgabe erschienen. Es enthält auf rund 1.000 Seiten ausgewählte Bibeltexte und Lieder für die Gottesdienste in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), wie der Verlag mitteilte. Dazu gestellt sind knappe Einführungen zu jedem Sonn- und Feiertag des Kirchenjahres, die den Angaben zufolge den jeweiligen Text-, Klang- und Farbraum eines Propriums charakterisieren.

Mit dem Perikopenbuch bereiten sich Liturgen und Kirchenmusiker auf den Gottesdienst vor, es bietet die biblischen Texte im selben Seiten- und Zeilenspiegel wie das Lektionar, wie es hieß. Nach 40 Jahren wird ein neues Lektionar - das gottesdienstliche Vorlesebuch - zum ersten Advent, am 2. Dezember, in der EKD eingeführt.

Die noch geltende Perikopenordnung wurde von der Liturgischen Konferenz der EKD erarbeitet und 1978 eingeführt. Sie enthält eine Ordnung der Predigttexte und Leseabschnitte für Gottesdienste. Diese Texte werden teils als Empfehlungen, teils als verbindliche Vorgaben für evangelische Gottesdienste an den jeweiligen Sonn- und Feiertagen angesehen. Es liegt im Rahmen des Kanzelrechts weithin in der Hand der verantwortlichen Pfarrerinnen und Pfarrer, wie sie eingesetzt werden.

Buchhinweis: Liturgische Konferenz (Hg.), Perikopenbuch, 1.000 Seiten, gebunden in Leinen mit drei Lesebändchen, Luther-Verlag (ISBN 978-3-7858-0741-5), Subskriptionspreis bei Vorbestellungen bis 31. Dezember 30 Euro, danach 40 Euro.



Humboldt-Uni und Kirche erinnern an erste Theologie-Studentinnen

Mit einem Festakt an der Berliner Humboldt Universität ist am 7. November an die Zulassung von Frauen zum Studium vor 110 Jahren und an die erste Ordination von Frauen ins Pfarramt vor 75 Jahren erinnert worden. Dabei wurde die Theologin Aliyah El Mansy mit dem Hanna-Jursch-Preis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ausgezeichnet. Die Marburger Wissenschaftlerin erhielt den mit 5.000 Euro dotierten Preis für ihre Doktorarbeit zum Umgang christlicher Gemeinden mit gemischt-religiösen Ehen, wie die EKD mitteilte.

Die alle zwei Jahre vergebene Auszeichnung erinnert an die Jenaer Kirchenhistorikerin Hanna Jursch (1902-1972), die sich 1934 als erste Frau an einer deutschen Theologischen Fakultät habilitierte. Der Preis zeichnet herausragende wissenschaftlich-theologische Arbeiten aus Gender-Perspektive aus.

1908 eingeschrieben

Universitätspräsidentin Sabine Kunst erinnerte in ihrem Grußwort unter anderem an die erste Frau, die sich 1908 an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität als Studentin einschrieb. Agnes Harnack studierte Germanistik, Philosophie und Anglistik und schloss 1912 mit einer Promotion ab. Im Gegensatz zu früher seien Studentinnen inzwischen an der Hochschule in der Mehrzahl, sagte Kunst. Dies gelte allerdings noch nicht für die Frauenquote bei den Professuren.

Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge würdigte den Mut und die Beharrlichkeit der Theologinnen, die im vergangenen Jahrhundert Widerstände überwunden und sich auf den "langen Weg zur Zulassung von Frauen zum vollen Pfarramt" gemacht haben. "Unsere Kirche hat es sich zum Ziel gesetzt, Frauen auf allen Ebenen zu fördern, damit Männer und Frauen gleichberechtigt und gleichermaßen unsere Kirche repräsentieren und gestalten", sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz laut Redemanuskript.

Nach der Zulassung von Frauen zum Universitätsstudium in Preußen 1908 dauerte es laut Dröge weitere zwölf Jahre, bis Theologinnen einen regulären Studienabschluss machen durften. Bis 1919 war demnach nur die Promotion möglich. 1920 legte Ilse Kersten als erste Theologin ein Fakultätsexamen ab, betonte Dröge. Danach habe es - bis auf wenige Ausnahmen im Zweiten Weltkrieg - weitere Jahrzehnte gedauert, bis Frauen ins volle Pfarramt ordiniert wurden. "Die volle Gleichstellung von Männern und Frauen beschloss unsere Kirche erst 1974", sagte der Berliner Bischof weiter.

"Klassisches Narrativ"

Der Dekan der Theologischen Fakultät an der Humboldt Universität, Christoph Markschies, bemängelte mit Blick auf die Gleichstellung von Frauen gegenüber Männern selbstkritisch, sein Fachbereich habe bei der "Aufarbeitung seiner Geschichte im schwierigen 20. Jahrhundert" Nachholbedarf. Zu den Frauen, die in Berlin studiert, das Examen abgelegt und promoviert haben, gebe es im Vergleich etwa zu den Hochschulen in Göttingen und Marburg "kaum eine Zeile aus der Feder von Mitgliedern dieser Fakultät". Stattdessen gebe es an der Berliner Fakultät "nur das klassische Gedächtnis der Männer, Heldengeschichten von Schleiermacher bis Bonhoeffer" und einige "Worte über dunkle Flecken vor und nach 1945. Die Geschichtsschreibung seiner Fakultät, sagte Markschies, sei bislang dem klassischen Narrativ gefolgt, das der "nicht unumstrittene" Historiker Heinrich von Treitschke (1834-1896) mit den Worten "Männer machen Geschichte" umschrieben habe.

Neben der Auszeichnung für El Mansy vergab die EKD zwei Hanna-Jursch-Nachwuchspreise an Friederike Luise Arnold und Dorothee Charlotte Heise für Seminararbeiten aus dem Bereich Bibelexegese aus der Sicht von Frauen.




Gesellschaft

Studie: Flüchtlinge nicht Ursache für Rechtsruck in Europa


Deutschunterricht für geflüchtete Lehrer an der Uni Potsdam
epd-bild/Rolf Schulten
In weiten Teilen Europas verzeichnen rechtspopulistische Parteien seit einigen Jahren Wahlerfolge. Als Grund wird häufig der Zuzug von Flüchtlingen genannt. Eine Studie von Forschern der TU Dresden kommt zu einem anderen Ergebnis.

Der Flüchtlingszuzug ist einer Studie zufolge nicht die Ursache für den wachsenden Erfolg rechtspopulistischer Bewegungen in Europa. Vielmehr wirke Migration nur als Auslöser, heißt es in einer am 6. November in Berlin vorgestellten Untersuchung des "Mercator Forums Migration und Demokratie" an der Technischen Universität Dresden.

"Die 'Flüchtlingskrise' hat latente Konfliktlinien in und zwischen den europäischen Gesellschaften offengelegt oder verschärft", sagte Hans Vorländer, der Direktor des interdisziplinären Mercator Forschungszentrums. Die Konfliktlagen in Europa seien vielfältig und könnten nicht auf eine einzige Ursache reduziert werden. Einige Konflikte seien vor allem kultureller, andere eher sozioökonomischer oder politischer Natur, sagte der Politologe.

Neben Deutschland untersuchte das 14-köpfige Forscherteam acht weitere Staaten, darunter Italien, Großbritannien, Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien und die Niederlande. In Schweden ist nach Ansicht der Studie unter anderem ein "Wohlstandschauvinismus" ursächlich für den Erfolg der Rechtspopulisten. Grundlage der Studie waren unter anderem bereits veröffentlichte Untersuchungen zu einzelnen Aspekten.

Vorbehalte gegenüber dem Islam

Oftmals seien es "eher kulturelle Konflikte wie unterschiedliche Vorstellungen von Identität, Zugehörigkeit und Fremdheit", die Rechtspopulisten begünstigen, sagte Vorländer. Dabei spielten auch Vorbehalte gegenüber dem Islam eine Rolle. Die kulturelle Konfliktlinie zwischen ethnozentrisch-nationalen und liberal-kosmopolitischen Werten werde aber in einigen Ländern West- und Nordeuropas durch ökonomische Abstiegs- und Verlustängste überlagert.

"Viele der heute aufbrechenden Konflikte waren schon da, fanden aber noch keine Artikulation", unterstrich Vorländer. Die Studie zeige auch, dass der starke Anstieg der Zahl ein- und durchreisender Flüchtlinge und Migranten nur anfänglich entscheidend für die Mobilisierung einer rechtspopulistischen Anhängerschaft gewesen ist. Heute profitierten rechtspopulistische Parteien vor allem von der nach wie vor großen Bedeutung des Themas Migration in der Öffentlichkeit. Diese stehe nicht mehr in direktem Zusammenhang zu der Zahl der ankommenden Asylsuchenden, sondern werde "durch starke Medialisierung und gezielte Politisierung beeinflusst", sagte Vorländer: "Die Frage der Migration ist wichtig, aber nicht Mutter aller Probleme."

Negative Darstellung von Asylsuchenden

Generell sei die Einstellung gegenüber Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten in vielen EU-Länder auch im Zuge der "Flüchtlingskrise" nicht negativer geworden, sagte Vorländer. Eine Ausnahme bildeten Länder Mittel- und Osteuropas. Für rechtspopulistische Parteien sei die öffentliche Bedeutung des Themas Migration zentrale Voraussetzung für die Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft. Dabei hätten Rechtspopulisten maßgeblich zu einer Verschiebung der Debatte hin zu einer vornehmlich negativen Darstellung von Asylsuchenden beigetragen.

Als Empfehlungen geben die Forscher der Politik unter anderem auf den Weg, im öffentlichen Diskurs wieder die Deutungshoheit zu erlangen. "Populismus beutet Ängste und Besorgnisse aus, die aus dem tatsächlichen oder vermeintlichen Verlust der Kontrolle und Steuerung von Migrationsbewegungen erwachsen", heißt es. Das bedeute: "Parteien sollten nicht den Skandalisierungsstrategien von Populisten aufsitzen, sondern das Thema Migration unaufgeregt und sachlich adressieren."



Jeder dritte Deutsche vertritt ausländerfeindliche Positionen


Protest gegen Rechtsextremismus
epd-bild/Christian Ditsch
Muslime überfremden Deutschland, Sinti und Roma sind kriminell, Juden "passen nicht zu uns": Eine neue Autoritarismus-Studie der Universität Leipzig zeigt erschreckende Weltbilder der Deutschen.

Ausländerfeindlichkeit hat einer Studie der Universität Leipzig zufolge in Deutschland erneut zugenommen. Etwa jeder dritte Deutsche vertrete mittlerweile ausländerfeindliche Positionen, heißt es in der am 7. November in Berlin vorgestellten Langzeitstudie zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen. Besonders deutlich sei der Zuwachs in Ostdeutschland.

Im Vergleich zur vorherigen Erhebung 2016 sei die geschlossene manifeste Ausländerfeindlichkeit bundesweit um knapp vier Prozentpunkte auf 24,1 Prozent angestiegen, in Ostdeutschland sogar um acht Prozentpunkte auf knapp 31 Prozent. Extremer war die Ablehnung von Ausländern, Migranten und Minderheiten speziell im Osten zuletzt 2012, als das Land mit den Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu kämpfen hatte.

Abwertung von Muslimen

Insgesamt 36 Prozent der Deutschen stimmten der Aussage zu, dass Ausländer nur hierherkommen, um den Sozialstaat auszunutzen, im Osten war es sogar knapp die Hälfte. Mehr als ein Viertel würden Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken, wenn in Deutschland die Arbeitsplätze knapp werden (Ost: 32 Prozent, West: 25 Prozent). Rund 36 Prozent halten die Bundesrepublik durch Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet (Ost: 44,6 Prozent, West: 33,3 Prozent).

Für die Leipziger Autoritarismus-Studie wurden im Frühjahr 2018 knapp 2.000 Menschen in West und knapp 500 Menschen in Ost persönlich befragt. Die Untersuchung wird seit 2002 alle zwei Jahre durchgeführt und hieß bis 2016 "Mitte-Studie". Die Abwertung von Gruppen, die als "fremd" oder "abweichend" wahrgenommen werden wie Sinti und Roma, Asylbewerber und Muslime, steige besonders an, sagte Studienleiter Oliver Decker.

Erschreckend hoch sei dabei die Abwertung von Muslimen. 56 Prozent stimmen der Aussage zu, sie fühlten sich durch die vielen Muslime als Fremde im eigenen Land (2014: 43 Prozent). 44 Prozent würden Muslimen eine Zuwanderung nach Deutschland untersagen (2014: 36,5 Prozent).

Autoritäre Aggressionsbereitschaft

Ähnliches zeigt sich beim Antiziganismus. 56 Prozent der Deutschen geben zu, Probleme damit zu haben, wenn sich Roma und Sinti in ihrer Gegend aufhalten, 50 Prozent wollen sie aus den Innenstädten verbannen, 60 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Sinti und Roma zur Kriminalität neigen. Bei den Ostdeutschen sind es sogar 70 Prozent. Studienleiter Decker sprach von einer hohen autoritären Aggressionsbereitschaft gegenüber der Minderheit. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sagte am 6. November, er sehe sich darin bestätigt, dass die jahrhundertealten Klischees des Antiziganismus in der Mitte der Gesellschaft präsent seien.

Auch Antisemitismus ist der Studie zufolge weit verbreitet. Jeder Zehnte findet ausdrücklich, dass "Juden etwas Besonderes an sich haben und nicht so recht zu uns passen", weitere 20 Prozent stimmen dieser Aussage latent zu. Zwar gingen in Westdeutschland antisemitische Ansichten von fünf Prozent 2016 auf heute 4,2 Prozent zurück. Dafür stiegen die Werte im Osten von 4,1 Prozent 2016 auf 5,2 Prozent an. Wenn bis zu einem Drittel der Befragten antisemitischen Aussagen zumindest teilweise zustimmten, bewege sich das nach wie vor in gefährlichen Größenordnungen, sagte Decker.

Eine der Hauptursachen für rechtsextreme Einstellungen ist laut Co-Studienleiter Elmar Brähler Autoritarismus als Persönlichkeitseigenschaft. Menschen mit autoritärem Charakter neigten zu rigiden Ideologien, sagte der Professor für Medizinsoziologie und -psychologie. Unter den Deutschen zeigten rund 40 Prozent autoritäre Merkmale, nur 30 Prozent seien ausdrücklich demokratisch orientiert. So sympathisieren 44 Prozent manifest oder latent mit einer rechtsautoritären Diktatur, unter den Ostdeutschen sogar mehr als die Hälfte. Autoritäre Aggressionen seien bei 65 Prozent der Deutschen tiefgreifend ausgeprägt.



Brandanschlag auf ausgestelltes Flüchtlingsboot in Wittenberg


Das Flüchtlingsboot im Juli 2017 auf der Weltausstellung Reformation in Wittenberg.
epd-bild/Jens Schlüter

In der Lutherstadt Wittenberg ist ein ausgestelltes Flüchtlingsboot nach Polizeiangaben Ziel eines Brandanschlags geworden. Unbekannte Täter hätten das Boot am frühen Morgen des 10. November angezündet, teilte die Polizei mit. Das Flüchtlingsboot sei vollständig zerstört worden. Der Wittenberger Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) verurteilte den Anschlag. Er sprach von einem "Tiefpunkt für Wittenberg". Die Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Ilse Junkermann, reagierte bestürzt auf den Angriff.

Das Flüchtlingsboot war im Rahmen der Weltausstellung zum Reformationsjubiläum 2017 in der Lutherstadt ausgestellt worden. Es hatte im Jahr 2013 insgesamt 244 Frauen, Männer und Kinder unversehrt von Libyen nach Sizilien gebracht. In Wittenberg sollte es eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht anregen. Das 23 Tonnen schwere Boot trug den Namen al-bahja (Fröhlichkeit, Freude).

Staatsschutz ermittelt

Weil ein politisch motivierter Hintergrund nicht auszuschließen sei, habe der polizeiliche Staatsschutz die Ermittlungen übernommen, bestätigte ein Polizeisprecher am 11. November dem Evangelischen Pressedienst (epd). Spürhunde hätten am Tatort Brandmittelbeschleuniger aufgespürt. Derzeit würden weiter Zeugen für die Tat gesucht.

Unterdessen berichtete die "Mitteldeutsche Zeitung" (online), dass an einer Seite des verbrannten Bootes eine Runeninschrift entdeckt wurde, die das Logo der "Reconquista Germanica" zeige. Dabei handele es sich um ein Netzwerk von Rechtsextremisten, das gezielte Attacken auf politische Gegner, Medien und Institutionen koordiniere. Das Netzwerk unterstütze zudem die AfD. Deren Stadtratsabgeordneter Dirk Hoffmann habe in der Vergangenheit mehrfach gefordert, das Boot entsorgen zu lassen, berichtete die Zeitung. Einem Leserhinweis zufolge soll das Zeichen bereits seit Ende Juni an dem Boot zu sehen gewesen sein.

Wittenbergs Oberbürgermeister Zugehör bezeichnete das Boot als "Denkmal der Menschlichkeit, Konsequenz und Rechtsstaatlichkeit". Umso schwerer wiege die Tat einer möglichen Brandstiftung, erklärte der Politiker.

Bischöfin Junkermann bestürzt

"Ich bin bestürzt über diese gezielt eingesetzte Gewalt gegen ein Mahnmal für Mitmenschlichkeit, gegen ein Erinnerungsmal für Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe - genau an dem Tag, der mahnend erinnert an vor 80 Jahren gezielt gesetzte und organisierte Gewalt gegen Mitmenschen, gegen ihr Hab und Gut und ihre Gotteshäuser", sagte die evangelische Landesbischöfin Junkermann. Sie rief die Bürger auf, sich klar von solchen Gewaltakten zu distanzieren.

Die Grünen in Sachsen-Anhalt verurteilten den Brandanschlag ebenfalls. Die Landesvorsitzende Susan Sziborra-Seidlitz sieht die Verantwortung für die Attacke "nicht nur bei den offensichtlich rechtsextrem motivierten Brandstiftern, sondern auch bei jenen Spaltern, die das gesellschaftliche Klima des Hasses herbeizureden versuchen". Auch sie verwies auf den Antrag eines AfD-Stadtrates, der zuvor eine Entsorgung des Flüchtlingsbootes "als Schrott" gefordert habe.



Feuertod in JVA-Kleve: Justizminister schließt Mordversuch aus

Im Fall des Todes eines unschuldig in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Kleve inhaftierten syrischen Flüchtlings hat NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) einen Mordversuch ausgeschlossen. Damit seien auch entsprechende Vorwürfe gegen JVA-Bedienstete nach den vorliegenden Erkenntnissen vom Tisch, erklärte Biesenbach am 5. November in Düsseldorf bei der Vorstellung eines 63-seitigen Berichts zu dem Todesfall. "Das Motiv für die Legung des Brandes ist immer noch ein Rätsel", sagte der Minister.

Der 26-jährige Syrer war Ende September in einem Krankenhaus an den Folgen eines in seiner Zelle ausgebrochenen Feuers gestorben. Der Syrer hatte wochenlang unschuldig in der JVA Kleve eingesessen, weil er Opfer einer Namensverwechslung der Ermittler geworden war.

Brandgutachten

Laut einem Brandgutachter, der die Zelle besichtigt und untersucht hatte, gibt es "keine vernünftigen Rechtszweifel" daran, dass der Mann das Feuer selbst gelegt hat. "Vermutlich mit suizidaler Absicht", heißt es in dem Dokument des Ministeriums, mit dem sich am 7. November der Rechtsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags befassen wird. Der Gutachter habe zudem keine Anhaltspunkte für den Einsatz eines Brandbeschleunigers gefunden.

Das Feuer wurde nach der Bewertung des Sachverständigen wenige Minuten nach 19 Uhr entzündet. Der syrische Häftling meldete sich um 19.19 Uhr per Gegensprechanlage bei einem JVA-Beamten, der Aufsicht hatte. Nach Biesenbachs Worten hatte der Mann 15 Minuten Zeit, den Kontaktknopf zu drücken. Das habe er aber nicht getan. Zum Zeitpunkt der Betätigung der Gegensprechanlage muss er Biesenbach zufolge bereits "erheblich verletzt" gewesen sein. 20 Sekunden später soll dann der Beamte reagiert haben.

Ob der Häftling oder der Beamte an der Gegensprechanlage während ihres neunsekündigen Kontaktes etwas gesagt haben, ist bislang noch unklar. Das werden laut Minister erst die Befragungen der Beamten und der Häftlinge ergeben. Ebenso müsse auch die Technikauswertung noch abgewartet werden. Ungeklärt ist nach wie vor auch noch die Identität des Häftlings, der als "Amed A." in die JVA eingeliefert worden war.

"Nach wie vor ein Rätsel ist zudem die Frage, ob er psychisch krank war und wenn ja, wie schwer diese Erkrankung war", sagte der NRW-Justizminister. Zu den auch rund sieben Wochen nach dem Zellenbrand ungeklärten Fragen zählt laut Biesenbach auch, warum sich der 26-Jährige nicht gegen die Haft gewehrt hat. Der Mann habe auch keinen Kontakt zu einem Anwalt gehabt.



Gericht urteilt unterschiedlich über Flüchtlingsbürgschaften

Das Verwaltungsgericht Gießen hat am 7. November erneut über Klagen von Flüchtlingsbürgen entschieden, die Verpflichtungserklärungen für Kriegsflüchtlinge unterschrieben haben. Dabei urteilte das Gericht wie bereits in vorherigen Fällen unterschiedlich.

Im Falle einer Klägerin, die 2013 eine Erklärung für ihre eritreische Schwiegermutter bei der Ausländerbehörde der Stadt Gießen unterschrieb, wies das Gericht die Klage zurück: Die Schwiegermutter reiste mit einem Besuchsvisum ein, erst dann erfolgte ein Asylantrag, wie der Vorsitzende Richter erklärte. Es liege ein Wechsel des Aufenthaltszwecks vor, weshalb die Klägerin zur Zahlung von Leistungen verpflichtet sei. Die Klägerin hatte zudem gerügt, dass hohe Kosten entstanden seien, weil das Asylverfahren so lange dauerte: Hieraus könne sie jedoch keine Ansprüche gegenüber dem beklagten Landkreis Gießen ableiten.

In weiteren Entscheidungen war unter anderem der genaue Wortlaut der Verpflichtungserklärungen ausschlaggebend. Mit diesen Erklärungen hatten sich die Bürgen verpflichtet, für den Lebensunterhalt der eingereisten Flüchtlinge aufzukommen. Beklagte waren die Landkreise Gießen und Marburg-Biedenkopf als Sozialleistungsträger.

Überwiegend erfolgreich

Dabei waren die Klagen gegen den Landkreis Gießen überwiegend erfolgreich, wie eine Gerichtssprecherin am Abend dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Kosten, die nach Asylantragstellung entstanden, durften aufgrund dieser Verpflichtungserklärungen nicht angefordert werden. Nur bis zum Zeitpunkt der Asylantragstellung können Kosten rückverlangt werden.

In einem Fall hat ein Paar Bürgschaften für Eltern und Bruder übernommen, in einem weiteren Fall ging es um Rückforderungen in Höhe von fast 22.000 Euro aufgrund einer Verpflichtungserklärung für eine vierköpfige Familie. Die hohen Kosten seien vor allem durch Wohnbedarf entstanden, erläuterte das Gericht.

Des Weiteren befasste sich das Gericht mit einer Verpflichtungserklärung, die in Hagen in Nordrhein-Westfalen unterschrieben wurde. Hier habe schon das Oberverwaltungsgericht Münster entsprechend entschieden, erklärte das Gericht. Die Klage sei nur bezüglich einer Mietkaution erfolgreich.



Migrationspakt: Heftige Kritik an Informationspolitik des Bundes

Der UN-Migrationspakt wird auch im Bundestag kontrovers diskutiert. Die AfD wird fraktionsübergreifend attackiert, aber auch gegen die Bundesregierung werden massive Vorwürfe erhoben.

Die Bundesregierung trägt nach Ansicht von Oppositionspolitikern eine Mitschuld am Erfolg populistischer Propaganda gegen den UN-Migrationspakt. Bei einer einstündigen Debatte im Bundestag kritisierten Parlamentarier von FDP, Linken und Grünen am 8. November mangelnde Aufklärung über das Abkommen, das in einem Monat von Staats- und Regierungschefs unterzeichnet werden soll. AfD-Fraktionschef Alexander Gauland sagte, "linke Träumer und globalistische Eliten" wollten Deutschland klammheimlich von "einem Nationalstaat in ein Siedlungsgebiet verwandeln".

Der "Vertrag für sichere, geordnete und geregelte Migration" soll eine internationale Grundlage für den staatlichen Umgang mit Migration schaffen. Bislang gebe es nur für Flüchtlinge einen international festgeschriebenen Schutz, heißt es darin. Der Pakt ist völkerrechtlich nicht bindend.

Genau das zweifelten allerdings die AfD-Abgeordneten an. So äußerte Gauland die Befürchtung, dass aus den unverbindlichen Verpflichtungen ein Völkergewohnheitsrecht werden und der Inhalt des Vertrags in Gerichtsurteile einfließen könnte. "Millionen von Menschen aus Krisenregionen werden angestiftet, sich auf den Weg zu machen", warnte er.

"Schäbig"

Von anderen Abgeordneten wurden diese Äußerungen fraktionsübergreifend zurückgewiesen. "Sie verunsichern mit falschen Informationen die Bevölkerung", sagte NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP), der als Mitglied des Bundesrates im Bundestag sprach. "Das ist schäbig", sagte der FDP-Poltiker. Dann wandte er sich der Regierung zu und kritisierte: "Sie haben zu lange geschwiegen." Damit sei erst die Möglichkeit geschaffen worden, dass Populisten in sozialen Medien einen Propagandafeldzug gegen die Vereinbarung starten.

Ähnlich äußerte sich die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat. Die Bundesregierung habe es versäumt, eigene, leicht verständliche Informationen zu dem Migrationspakt frühzeitig anzubieten. Die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen betonte, so habe die große Koalition den Boden bereitet für eine "schäbige Angstkampagne" gegen das Abkommen.

SPD-Politiker Christoph Matschie sprach sich für einen "offenen und ehrlichen Umgang" mit dem Thema aus, das nur international zu lösen sei. Auch der CDU-Parlamentarier Frank Steffel mahnte an, "offensiver" darüber zu reden. Der CDU-Abgeordnete Thorsten Frei kritisierte derweil die Grünen. Er wies auf das Vorhaben der großen Koalition hin, Algerien, Marokko, Tunesien und Georgien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, was eine Abschiebung abgelehnter Asylbewerber erleichtern würde. Der Gesetzentwurf wurde am Donnerstag noch einmal neu in den Bundestag eingebracht, nachdem er am Widerstand der Grünen im Bundesrat gescheitert war. Frei betonte, die Grünen sorgten mit dieser Haltung dafür, dass in Deutschland ein Problem nicht gelöst werde, das gelöst werden könne.

Mehr Rechte und Grenzsicherung

Der Migrationspakt der Vereinten Nationen hat 23 Ziele, die mehr Rechte für Migranten beinhalten, aber auch Maßnahmen zur Grenzsicherung und gegen Schlepper. Familienzusammenführungen sollen erleichtert werden, aber auch Rückführungen von Migranten. Ab 2022 soll alle vier Jahre die internationale Umsetzung der Vorgaben überprüft werden.

Die AfD fordert in ihrem Antrag, den Pakt nicht zu unterzeichnen. Die Grünen sprechen sich für die Unterzeichnung aus, während die FDP fordert, dass die Bundesregierung ein Einwanderungsgesetz vorlegt. Das Thema wird in den Ausschüssen weiterberaten.

Vor einer Woche hatte es selbst in der Unionsfraktion Kritik am Migrationspakt gegeben. Innenpolitiker Marian Wendt bemängelte in der Zeitung "Die Welt", dass das Dokument noch zu viele Fragen offenlasse. Zuvor hatte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sich in der "Welt am Sonntag" für eine genaue Prüfung ausgesprochen. Bei der Debatte im Bundestag wiederum unterstützten die CDU-Redner den Vertrag. Deutschland will das Abkommen im Dezember annehmen. Länder wie Ungarn, Österreich und die USA stehen dem Vertrag ablehnend gegenüber.



Steinmeier wünscht sich "aufgeklärten Patriotismus"


Zentrale Gedenveranstaltung zum 80. Jahrestag der "Reichsprogromnacht" in der Berliner Synagoge Rykestraße
epd-bild/Christian Ditsch
Widersprüche in der deutschen Geschichte werden mit Blick auf den 9. November besonders deutlich. Präsident Steinmeier und Kanzlerin Merkel stellen das heraus. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Schuster, warnt vor "geistigen Brandstiftern".

Appelle zur Verteidigung der Demokratie, den Schutz der Menschenwürde und zum Kampf gegen Antisemitismus haben das Gedenken an die historischen Ereignisse geprägt, die mit dem Datum des 9. November verbunden sind. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellte die Ausrufung der ersten deutschen Republik vor 100 Jahren in den Mittelpunkt einer Rede im Bundestag und warb für einen "aufgeklärten Patriotismus". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Erinnerung an die Novemberpogrome vor 80 Jahren als beständige Aufgabe, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung für die jüdischen Opfer des 9. November 1938 kritisierte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, "geistige Brandstifter" im Bundestag, ohne die AfD namentlich zu nennen.

Schuster sagte am Vormittag in der Berliner Synagoge Rykestraße: "Vor nichts haben sie Respekt. Sie instrumentalisieren die mutigen Widerstandkämpfer der Weißen Rose für ihre Zwecke. Sie verhöhnen die Opfer und Überlebenden der Schoah, indem sie die NS-Verbrechen relativieren. Sie betreiben Geschichtsklitterung und wollen unsere Gedenkkultur zerstören."

An der Gedenkveranstaltung nahmen Vertreter des Judentums, von Bundesregierung, Bundestag, Kirchen und Gesellschaft teil, darunter Bundespräsident Steinmeier und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Ausdrücklich nicht eingeladen hatte der Zentralrat der Juden als Hausherr Vertreter der AfD.

"Für Licht und für Schatten"

Zuvor hatte Steinmeier in einer Gedenkstunde des Bundestages betont, der 9. November 1918 markiere "den Durchbruch der parlamentarischen Demokratie". Er verdiene einen herausragenden Platz in der deutschen Erinnerungskultur. Zugleich sei der 9. November ein ambivalenter Tag, er stehe "für Licht und für Schatten". Die Novemberpogrome von 1938 markierten "den unvergleichlichen Bruch der Zivilisation", sie stünden "für den Absturz Deutschlands in die Barbarei". Die Verantwortung dafür kenne keinen Schlussstrich.

Vor 100 Jahren hatte der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Berliner Reichstagsgebäude aus die erste deutsche Republik ausgerufen. Am 9. November 1938 inszenierten die Nationalsozialisten die reichsweiten Pogrome gegen die Juden. Die gewaltsame Verfolgung und spätere Vernichtung der jüdischen Bevölkerung nahmen damit ihren Anfang. Mit der DDR-Grenzöffnung am 9. November 1989 wiederum wurde der friedlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten der Weg geebnet.

Ohne die AfD-Abgeordneten im Bundestag direkt anzusprechen, wandte sich Steinmeier gegen Nationalismus und die Herabsetzung demokratischer Spielregeln. Die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold reklamierte er für die demokratischen Traditionen Deutschlands und betonte: "Wer heute Menschenrechte und Demokratie verächtlich macht, wer alten nationalistischen Hass wieder anfacht, der hat gewiss kein historisches Recht auf Schwarz-Rot-Gold." Dieser Satz wurde vom Großteil der Parlamentarier mit langanhaltendem Applaus bedacht, unter den AfD-Abgeordneten spendeten nur wenige Beifall.

Steinmeier warb für einen "aufgeklärten Patriotismus" anstelle eines "aggressiven Nationalismus". Diesem Patriotismus gehe es weder um Lorbeerkränze noch um Dornenkronen. "Er ist niemals laut und auftrumpfend - er ist ein Patriotismus mit leisen Tönen und mit gemischten Gefühlen."

"Unerwartetes Geschenk"

Merkel sagte in der Synagoge Rykestraße, als "unerwartetes Geschenk nach der Schoah" mit sechs Millionen ermordeten Juden gebe es heute wieder blühendes jüdisches Leben in Deutschland. Zugleich sei ein besorgniserregender Antisemitismus festzustellen, der sich zunehmend offen entlade: "Leider haben wir uns beinahe schon daran gewöhnt, dass jede jüdische Einrichtung von der Polizei besonders geschützt werden muss."

Bei einer Podiumsdiskussion am Donnerstagabend in Würzburg hatte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, gesagt, es "eine der großen Stärken unseres Landes", sich der dunklen Seiten der Geschichte zu stellen. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sagte, Rechtsstaat und Demokratie seien keine Errungenschaften, die einmal erworben wurden und dann selbstverständlich sind. Die rechtsstaatliche Demokratie "war und ist eine gefährdete Staatsform", sagte der Münchner Erzbischof.



NRW-Landtag erinnert an Pogromnacht vor 80 Jahren

Mit einer Gedenkfeier haben der Landtag und die Stadt Düsseldorf am 9. November an die Pogromnacht vor 80 Jahren in Deutschland erinnert. Die Pogrome vom 9. November 1938 seien "End- und Ausgangspunkt schrecklicher Entwicklungen" gewesen, sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Vorausgegangen sei eine Verrohung der Sprache, mit der die Nationalsozialisten ihren Hass gegen die Juden verbreitet hätten. Zudem sei die Nacht ein "Wendepunkt" im Umgang des NS-Regimes mit den Juden und Voraussetzung für die "systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in ganz Europa" gewesen.

"Nacht des Schreckens" Beginn für Gewalt und Willkür

In der Nacht starben durch die Pogrome allein in NRW 127 Menschen, betonte Laschet. Im Deutschen Reich wurden mehr als 1.000 Synagogen und Geschäfte angezündet, 30.000 Juden in Konzentrationslager verschleppt. Die Pogromnacht vom 9. November 1938 sei eine "Nacht des Schreckens, der Gewalt und Willkür" gewesen, erklärte Laschet. Nach den Vorkommnissen habe öffentlich niemand mehr sagen können, sie hätten von nichts gewusst.

Vor dem Hintergrund dieser historischen Erfahrung müsse man dafür sorgen, dass Antisemitismus sowie Diskriminierung und Hetze gegen Minderheiten "nie wieder einen Platz bekommen". Zugleich würdigte Laschet die Tatsache, dass mittlerweile wieder etwa 27.000 Menschen jüdischen Glaubens in NRW lebten. Das sei die größte jüdische Gemeinschaft in Deutschland.

Die Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, Hanna Sperling, warnte vor wachsenden Antisemitismus in Deutschland und anderen Ländern. Der öffentliche Judenhass trete sei einigen Jahren in einem "zunehmend aggressiven und bedrohlichen Ausmaß" auf. Dadurch seien nicht nur jüdische Bürger, sondern auch demokratische Gesellschaften in ihrem Bestand gefährdet.

Kuper: "Angriff auf unsere Zivilisation"

Antisemitismus sei ein "Seismograph für den Zustand einer Gesellschaft" und eine "Bedrohung für unsere demokratischen Werte". Jüdisches Leben in Deutschland sei noch nicht bedroht. "Lassen Sie uns gemeinsam dafür Sorge tragen, dass dies so bleibt", sagte Sperling. Zugleich warnte sie vor "Hass und Hetze" gegen Israel und plädierte für "mehr Empathie für die Sicherheit des jüdischen Staates".

Der Landtagspräsident André Kuper (CDU) bezeichnete die Reichspogromnacht als "Angriff auf unsere Kultur" und als "Angriff auf unsere Zivilisation". Die Übergriffe auf die jüdischen Mitbürger seien der Auftakt für die weiteren Verfolgungen und den Massenmord an den Juden durch den Nationalsozialismus gewesen. Zugleich müsse man sich weiterhin gegen jede Form des Antisemitismus zur Wehr setzen. "Wir werden wachsam sein und wehrhaft", betonte Kuper.



Leutheusser-Schnarrenberger und Rixecker werden Antisemitismusbeauftragte


Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Archivbild)
epd-bild / Andreas Schoelzel

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wird Antisemitismusbeauftragte in Nordrhein-Westfalen. Die 67 Jahre alte FDP-Politikerin besitze eine enorme Expertise in Fragen von Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz und stehe für den Schutz des Rechtsstaats und das Engagement gegen Antisemitismus, sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am 6. November in Düsseldorf.

Mit der Ernennung Leutheusser-Schnarrenbergers setzt die Landesregierung einen fraktionsübergreifenden Beschluss des Landtags zur Einrichtung eines solchen Amts um. Die Antisemitismusbeauftragte soll präventive Maßnahmen der Antisemitismusbekämpfung initiieren und koordinieren und als Ansprechpartnerin für Opfer judenfeindlicher Übergriffe fungieren.

Die Juristin Leutheusser-Schnarrenberger betonte, sie halte es für eine wichtige Aufgabe in der Demokratie, jeder Religionsfeindlichkeit energisch entgegenzutreten und alles zu tun, damit Menschen jüdischen Glaubens ihre Religion in Deutschland ohne Angst leben können. Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte soll dem Landtag künftig jährlich einen Bericht über ihre Arbeit vorlegen und darin Maßnahmen zur Bekämpfung von Judenhass empfehlen. Das Amt ist dem Geschäftsbereich des Ministerpräsidenten zugeordnet.

Verfassungsrichter berufen

Der Präsident des saarländischen Verfassungsgerichtshofs, Roland Rixecker, soll erster Antisemitismusbeauftragter im Saarland werden. "Er hat die Aufgabe, unabhängig beratend tätig zu werden mit dem Ziel, antisemitische Haltungen und Äußerungen zu bekämpfen und antisemitische Vorfälle und Straftaten einzudämmen", teilten der SPD-Fraktionsvorsitzende Stefan Pauluhn und der CDU-Fraktionsvorsitzende Alexander Funk am 5. November in Saarbrücken mit. Für die Einsetzung des Antisemitismusbeauftragten sei zunächst eine Gesetzesänderung nötig. Einen entsprechenden Antrag wollen die beiden Fraktion am kommenden Mittwoch im Landtag einbringen.

In den vergangenen Monaten haben mehrere Bundesländer Beauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus berufen. Als erster Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung hat Felix Klein am 1. Mai sein Amt angetreten.

epd-West



Violinen von Opfern des Holocaust erklingen in Dortmund

Geigen, deren Besitzer von den Nationalsozialisten in Konzentrationslagern ermordet wurden oder vor dem Holocaust fliehen konnten, sind bis zum 16. November in Dortmund zu sehen und zu hören. Unter dem Titel "Violinen der Hoffnung" erklingen die Instrumente bei Konzerten, Gottesdiensten und Vorträgen, wie die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund ankündigte. 16 Exemplare werden seit 12. November in einer Ausstellung im Konzerthaus Dortmund gezeigt.

Insgesamt 70 Geigen wurden den Angaben zufolge von den israelischen Geigenbauern Amnon und Avshalom Weinstein gesammelt und restauriert. Die ehemals in den Konzentrationslagern Auschwitz, Buchenwald und Dachau gespielten Instrumente stünden für die leidvolle Geschichte ihrer Besitzer und setzten durch die Musik ein Zeichen der Hoffnung, hieß es. Vater und Sohn Weinstein schicken sie von ihrer Werkstatt in Tel Aviv aus seit 20 Jahren zu Konzerten auf der ganzen Welt, unter anderem nach Paris, New York und Cleveland. In Deutschland waren die "Violinen der Hoffnung" erstmals 2015 während eines Konzerts der Berliner Philharmoniker zu hören.

Am 10. November und 11. November wurden in Dortmund die Geigen in Gottesdiensten in der katholischen Propsteikirche und der evangelischen St.-Reinoldi-Kirche gespielt. Konzertlesungen mit Vorträgen von Amnon und Avshalom Weinstein werden während der Veranstaltungswoche in der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund, der Technischen Universität Dortmund und im Orchesterzentrum NRW angeboten. Die Dortmunder Philharmoniker bringen die Violinen bei Konzerten am 13. und 14. November zu Gehör. Außerdem wird es ein mehrtägiges Programm für Schulen geben.



Rund 6.000 Bielefelder protestierten gegen Neonazi-Demonstration

Weitgehend friedlich sind die verschiedenen Kundgebungen am 10. November gegen eine Demonstration der Partei "Die Rechte" in Bielefeld abgelaufen. Nach Mitteilung der Polizei hatten an der Demonstration der Rechtsextremen zum 90. Geburtstag der verurteilten Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck 400 Männer und Frauen teilgenommen. Deren Veranstalter hatten mit 500 Teilnehmern gerechnet. Zu den Gegendemonstrationen hatten sich nach Angaben der Polizei rund 6.000 Menschen versammelt. Nach Angaben der Veranstalter, des Bielefelder Bündnisses gegen Rechts, waren es 10.000 Teilnehmer. Sie zählten bei der Demonstration der Partei "Die Rechte" 300 Teilnehmer.

Schlaghandschule und Pfefferspray bei den "Rechten"

Vor Beginn der Demonstration der Partei "Die Rechte", mussten sich deren Teilnehmer von der Polizei durchsuchen lassen. Dabei stellte sie Schlaghandschule und Pfeffersprays sicher. In einer Zwischenbilanz äußerte sich die Polizei zufrieden. Es habe sechs Platzverweise gegeben. Zwei Personen seien in Gewahrsam genommen worden und neun Strafanzeigen angefertigt worden. Zudem löste die Polizei eine Sitzblockade auf.

Die Rechtsextremen waren vom Bielefelder Hauptbahnhof durch die Innenstand bis zum Bielefelder Landgericht gezogen. An der Route hatten sich an vielen Stellen Gegendemonstranten versammelt, die lautstark ihren Protest gegen die Rechtsextremen äußerten. Zu ihrer Schlusskundgebung in Höhe des Bunker Ulmenwalls wurden sie mit anti-faschistischen Liedern von Hannes Wader und der Band "Die Ärzte" beschallt, was die Polizei unterband.

Mahnwachen

Auf dem Bahnhofsvorplatz stellten sich Antifa und die Friedensinitiative der Altstädter Nicolaikirche vor das dortige Holocaust-Denkmal. Am Rathaus hatten sich die Teilnehmer der Demonstrationen von "Wir sind mehr" und "Bündnis gegen Rechts" versammelt. Am Jahnplatz, dem zentralen Verkehrsknotenpunkt der Stadt, demonstrierte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Es gab Mahnwachen der Deutsch-Israelischen Gesellschaft vor der ehemaligen Synagoge, des Welthauses, der Gewerkschaft Ver.di an den Stadtwerken Bielefeld, auf dem Siegfriedplatz und der SPD auf dem Emil-Groß-Platz.

Haverbeck war im Mai in ihrem Wohnort im ostwestfälischen Vlotho festgenommen worden. Seitdem verbüßt sie in Bielefeld-Brackwede eine zweijährige Haftstrafe wegen Volksverhetzung, die vom Landgericht Verden verhängt wurde. Eine weitere Freiheitsstrafe durch das Detmolder Landgericht über 14 Monate wurde inzwischen rechtskräftig. Haverbeck hatte unter anderem bestritten, dass das Konzentrationslager Auschwitz ein Vernichtungslager war. Für die rechtsextreme Partei "Die Rechte" sollte sie als Spitzenkandidatin für die Europawahl 2019 kandieren.

In der Vergangenheit hatte Haverbeck zusammen mit ihrem inzwischen gestorbenen Mann Werner Georg Haverbeck das "Collegium Humanum" in Vlotho als Treffpunkt für Holocaust-Leugner und Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet geleitet. Die in den 60er Jahren gegründete rechtsextreme Vereinigung wurde 2008 verboten.



Zahl rechtsextremer Demonstranten deutlich gestiegen

In Deutschland ist die Zahl rechtsextremer Demonstranten wieder deutlich gestiegen. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Von Juli bis September 2018 nahmen demnach 7.614 Neonazis an 23 rechtsextremen Demonstrationen und Kundgebungen teil. Im Vorjahreszeitraum waren es 3.040 Teilnehmer. Zuerst hatten die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (9. November) über die Zahlen berichtet.

Von Januar bis Ende September dieses Jahres organisierten Rechtesextremisten Demonstrationen mit rund 15.290 Teilnehmern, wie sich aus der Addition der Zahlen aus mehreren Regierungs-Antworten ergibt. Im Gesamtjahr 2017 hatten insgesamt rund 11.285 Neonazis auf deutschen Straßen und Plätzen demonstriert. Deutlich höher als im laufenden Jahr lag die Zahl auf dem Höhepunkt des Flüchtlingsandrangs: 2015 nahmen etwa 59.000 Rechtsextremisten an Protesten teil, 2016 rund 29.000.

In die aktuellen Zahlen rechnet die Bundesregierung nicht die Demonstrationen der Gruppe "Pro Chemnitz" ein. Dabei war es im Spätsommer 2018 zu Gewalttaten und mehreren Dutzend weiteren Straftaten durch Rechtsextremisten gekommen. Aus der Antwort geht allerdings hervor, dass im August und September bei sieben Protestmärschen in der sächsischen Stadt insgesamt rund 19.700 Menschen teilnahmen. Dabei seien "bis zu 30 Prozent der Teilnehmer aus dem rechtsextremistischen Spektrum" gekommen. Anlass der Proteste war der Tod eines 35-Jährigen in Chemnitz. Tatverdächtig sind zwei Flüchtlinge.



Das Frauenwahlrecht brauchte viele Stimmen


Ausstellung in Frankfurt zu 100 Jahren Frauenwahlrecht
epd-bild/Thomas Rohnke
In Zeiten, in denen Deutschland von einer Bundeskanzlerin regiert wird, ist das Frauenwahlrecht eine Selbstverständlichkeit. Doch es war ein langer, steiniger Weg, bis Frauen erstmals ihre Stimme abgeben durften.

Die Herren amüsierten sich köstlich: Als die SPD-Abgeordnete Marie Juchacz am 19. Februar 1919 die Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung mit "Meine Herren und Damen" ansprach, löste das Heiterkeit aus. So richtig ernst nahmen die Politiker die erste Frau, die als Abgeordnete vor einem deutschen Parlament sprach, offenbar nicht. Juchacz ließ sich jedoch nicht beirren: "Die Frauen besitzen heute das ihnen zustehende Recht der Staatsbürgerinnen", stellte sie fest.

Dafür hatten Frauen jahrzehntelang gekämpft. Am 12. November 1918 verkündete der Rat der Volksbeauftragten - die Revolutionsregierung von SPD und USPD - was fortan für das neue Deutschland zu gelten habe. Dazu gehörte: das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Männer und Frauen.

Die Revolution zum Ende des Ersten Weltkrieges hatte möglich gemacht, was lange Zeit kaum noch eine Frau zu hoffen wagte: "Etwas ganz Neues, etwas Unbegreifliches, etwas wie ein Wunder", schrieb die Frauenrechtlerin Marie Stritt (1855-1928).

Schon im Zuge der bürgerlichen Revolution 1848 hatten Frauen in Deutschland begonnen, ihre staatsbürgerliche Gleichberechtigung einzufordern. Politische Frauenvereine und Frauenzeitschriften wurden gegründet. "Wo sie das Volk meinen, zählen Frauen nicht mit", klagte Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters (1819-1895), Gründerin der einflussreichen "Frauen-Zeitung".

Vorkämpferin Hedwig Dohm

Doch die Frauen fanden kein Gehör. Im Gegenteil: Nach der Revolution wurden Gesetze verhängt, die die politische Beteiligung von Frauen sogar noch erschwerten. Sie durften sich weder publizistisch noch in irgendeiner Form politisch betätigen.

In den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts waren es dann Frauen wie die Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Hedwig Dohm (1831-1919), die sich über den politischen Maulkorb für Frauen hinwegsetzten. Neben Romanen, Novellen und Theaterstücken verfasste Dohm scharfzüngige politische Essays. Ihr 1876 verfasstes Werk "Der Frauen Natur und Recht" sei "ein Fanal für das Frauenwahlrecht" gewesen, urteilt Kerstin Wolff, Leiterin der Forschungsabteilung im Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel.

Allerdings: "Man kommt sich auf dem Gebiete der Frauenfrage immer wie ein Wiederkäuer vor", auch dieser Ausspruch wird Dohm zugeschrieben. Es dauerte.

Schlagkräftige organisatorische Strukturen erhielt die Frauenrechtsbewegung erst ab 1890. In diesem Jahr wurden die Sozialistengesetze aufgehoben, was auch Raum für andere reformatorische Gesellschaftsbewegungen schaffte. 1894 gründete sich der Bund deutscher Frauenvereine (BDF), der zur einflussreichen Kraft im Kampf um Frauenrechte werden sollte. In den Vorkriegsjahren wuchs der Dachverband der bürgerlichen Frauenbewegung auf 2.200 Vereine an.

Im liberalen Hamburg aber konnte Anita Augspurg (1857-1943) - eine der Vorreiterinnen der radikalen bürgerlichen Frauenrechtsbewegung - mit ihrer Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann 1902 den ersten Verein für Frauenwahlrecht gründen. Der "Deutsche Verein für Frauenstimmrecht" entwickelte sich zum Sprachrohr der Frauenbewegung.

Augspurg hatte in Zürich Jura studiert, war die erste deutsche promovierte Juristin. Nachdruck verlieh sie den Forderungen ihrer Bewegung ab 1907 durch die "Zeitschrift für Frauenstimmrecht".

Politisch zerstritten

Allerdings war die Frauenrechtsbewegung nicht einig. So lehnten die sozialistischen Frauen einen Beitritt zum bürgerlichen BDF ab. Sie sahen in der Revolution den einzigen Weg zur Gleichberechtigung der Frauen. Zudem schien der Beginn des Ersten Weltkriegs die Frauenrechtlerinnen weiter auseinanderzudividieren. Der BDF auf der einen Seite organisierte den sogenannten Kriegsdienst an der Heimatfront. Hingegen stellten sich die sozialistischen Frauen um Clara Zetkin und Rosa Luxemburg und auch Anita Augspurg entschieden gegen den Krieg.

Gegen Kriegsende aber hätten Frauen in vielen Städten an der Neuorganisation der alten und neuen Parteien teilgenommen, erklärt die Historikerin Dorothee Linnemann, Kuratorin der Ausstellung "Damenwahl" im Historischen Museum Frankfurt. Es sei aber nur 50 Frauen gelungen, Mitglied in den Arbeiter- und Soldatenräten zu werden, die sich in 28 deutschen Städten im Zuge der Revolution gründeten. "Das lag vor allem daran, dass Frauen aus dem nach wie vor männlich dominierten Politikbetrieb ausgegrenzt wurden."

Angesichts der Skepsis der männlich dominierten Politik werden viele Frauen die Einführung des Frauenwahlrechts am 12. November 1918 wohl ähnlich empfunden haben wie Marie Stritt: als Wunder.

Claudia Rometsch (epd)


Palermos Bürgermeister erhält im Dezember Heine-Preis

Die Stadt Düsseldorf ehrt den italienischen Juristen und Bürgermeister der sizilianischen Stadt Palermo, Leoluca Orlando, am 1. Dezember mit dem diesjährigen Heine-Preis. "Orlandos Einsatz bei der Aufnahme von Flüchtlingen an der Schnittstelle zwischen Afrika und Europa ist vorbildlich, ganz im Sinne der Grundrechte des Menschen und der Statuten des Heine-Preises", begründete die Stadt ihre Wahl des Preisträgers. Mutig und konsequent habe er zudem den Kampf gegen die Mafia geführt und damit seiner Heimatstadt das demokratische Selbstbewusstsein zurückgegeben.

Laudatio hält Filmregisseur Wim Wenders

Orlando wird die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung im Düsseldorfer Rathaus entgegennehmen. Die Laudatio hält der Regisseur Wim Wenders, wie die Stadt am 7. November mitteilte. Sein Film "Palermo Shooting", der 2008 in die Kinos gekommen war, war hauptsächlich in Palermo und Düsseldorf gedreht worden.

Orlando wurde am 1. August 1947 in Palermo geboren. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete er als Anwalt und war als Berater in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und für den zeitweiligen Regierungschef von Sizilien, Piersanti Mattarella, tätig, der von der Mafia getötet wurde. Orlando war bereits mehrfach Bürgermeister von Palermo, das erste Mal ab 1985. Aufgrund seines Kampfes gegen die Mafia musste er mit seiner Frau 1992 an einen bewachten Ort fliehen. 1993 wurde er erneut zum Bürgermeister gewählt, 1997 im Amt bestätigt. Von 1994 bis 1999 saß Orlando auch im Europaparlament.

Nach zwei Amtszeiten in Folge musste Orlando als Bürgermeister pausieren und wurde 2006 ins italienische Parlament gewählt. 2012 wurde er erneut zum Bürgermeister gewählt und bekleidet seither das Amt. In der Charta von Palermo fordert er unter anderem von der EU die Einrichtung eines humanitären Korridors für Flüchtlinge von Libyen nach Europa. In einer von ihm entwickelten App und in zahlreichen Publikationen setzt der Politiker sich zudem mit der Mafia und Korruption auseinander. Zudem schrieb er Chansons, Drehbücher, Erzählungen und trat auch selbst als Schauspieler auf.

Der Düsseldorfer Heine-Preis wird seit 1972 an Persönlichkeiten verliehen, "die durch ihr geistiges Schaffen im Sinne der Grundrechte des Menschen, für die sich Heinrich Heine eingesetzt hat, den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten". Frühere Heine-Preisträger waren unter anderem Walter Jens, Max Frisch, Elfriede Jelinek, Amos Oz und Simone Veil.



Ehrendoktorwürde für EU-Ratspräsident Tusk

Die Technische Universität Dortmund verleiht dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, die Ehrendoktorwürde. Damit würdige die Hochschule Tusks europapolitischen Verdienste sowie seinen Beitrag zur europäischen Wertedebatte, erklärte die TU am 7. November. Die akademische Auszeichnung erfolgt auf Initiative der Fakultät Humanwissenschaften und Theologie im Bereich Politikwissenschaft. Der Festakt, auf dem auch die Gründung der TU vor 50 Jahren gewürdigt wird, findet am 16. Dezember statt. Laudatorin ist die ehemalige Bundestagspräsidentin und frühere TU-Professorin Rita Süssmuth.

Tusk wurde 1957 in Gdansk, Polen, geboren, wo er ab 1976 Geschichte studierte. Er war in den 1980er Jahren in der Solidaritätsbewegung Polens aktiv, zunächst als Gründer eines Studentenverbands, später im Untergrund. In dieser Zeit war er unter anderem Herausgeber einer illegalen Monatszeitschrift, die die liberale Demokratie und den Wirtschaftsliberalismus propagierte. 2007 wurde er Ministerpräsident Polens, 2011 gelang ihm als erster Amtsinhaber die Wiederwahl. Drei Jahre später trat er die Präsidentschaft des Europäischen Rates an.

Für sein politisches Engagement, die europäische Wertegemeinschaft zu stärken, wurde Tusk bereits mehrfach geehrt, unter anderem mit dem Internationalen Karlspreis zu Aachen (2010) und der Ehrendoktorwürde von Ungarns ältester Universität Pécs (2017).



Jüdische Gemeinde eröffnet eigenen Friedhof in Duisburg

Die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen eröffnet am 18. November ihren neuen Friedhof in Duisburg. Die Einweihung und Heiligung des Friedhofs sei "ein großer Meilenstein für die Gemeinde," heißt es in der Einladung zu der Eröffnung. Der bisher genutzte Friedhof der Gemeinde in Mülheim a.d. Ruhr sei langsam an seine Grenzen gestoßen. Mit Unterstützung der Stadt Duisburg habe die Gemeinde eine geeignete Fläche auf dem Waldfriedhof in Duisburg gefunden.

Die Jüdische Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen hat nach eigenen Angaben rund 2.500 Mitglieder und gehört zum Landesverband der jüdischen Gemeinden von Nordrhein.



NRW-Landtag lädt zu Gedenkveranstaltung zum Ersten Weltkrieg ein

Zu einer Festveranstaltung anlässlich des Endes des Ersten Weltkriegs (1914-1918) und der deutsch-französischen Freundschaft lädt der nordrhein-westfälische Landtag am 13. November ein. Reden halten die französische Botschafterin Anne-Marie Descôtes und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), wie der Landtag am 8. November in Düsseldorf mitteilte. Die Veranstaltung trägt den Titel "100 Jahre Ende des Ersten Weltkriegs - Versöhnung über den Gräbern - 55 Jahre deutsch-französische Freundschaft im Geiste des Élysée-Vertrags Europa für den Frieden sichern".

Danach wird den Angaben zufolge die Ausstellung "14/18 Mitten in Europa" des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in der Bürgerhalle des Landtags eröffnet. Die Schau setze sich bis 29. November mit der politischen Vorgeschichte des Kriegs, wesentlichen militärischen Ereignissen, dem Schicksal der Soldaten sowie dem Leben der Bevölkerung während des Kriegs auseinander. Dabei präsentiere die Ausstellung eine gesamteuropäische Sicht inklusive der Ereignisse im Nahen Osten, hieß es.




Umwelt

Altbischöfin für theologische Reaktion auf Klimakrise


Rheinhafen in Rheinberg-Orsoy
epd-bild / Udo Gottschalk
Die ehemalige Lübecker Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter hat angesichts der Klimakrise eine Reaktion der christlichen Theologie gefordert.

Ein großer Teil der Theologie weigere sich, über eine Sicht der Erde als "lebendiger Großorganismus" nachzudenken, in dem alles voneinander abhänge, sagte Wartenberg-Potter am 10. November in Minden. Dort berieten ökumenische Initiativen aus ganz Deutschland unter dem Motto "Grüne Reformation und Ökologische Theologie" über Fragen von Umweltschutz und Nachhaltigkeit.

Wartenberg-Potter: Lebensstil überdenken

Der "Zerstörung der geschöpflichen Mitwelt" und damit des menschlichen Lebensraumes müsse eine theologische Argumentation entgegengesetzt werden, verlangte die ehemalige Bischöfin der Nordkirche. Aus dem biblischen Satz "Macht euch die Erde untertan" werde jedoch noch immer die Herrschaft über die Schöpfung als Grundbestimmung des Menschen abgeleitet. Menschen beriefen sich darauf, obwohl zahlreiche Tierarten ausgerottet würden, die Permafrostböden auftauten und lebenswichtige ökologische Räume immer mehr zerstört würden.

Zwar sei die Zahl der Menschen, die über Alternativen nachdächten, "erstaunlich und erfreulich groß", sagte die Theologin. Jedoch nähmen viele zwar die Bedrohung des Planeten wahr, seien aber nicht zu einer Änderung ihres Lebensstils bereit. Dabei könne jeder ab heute anders essen, anders reisen, nachhaltiger leben und weniger Energie verbrauchen, betonte Wartenberg-Potter.

Manfred Kock kritisiert USA-Kurs

Zuvor hatte der frühere EKD-Ratsvorsitzende Manfred Kock die Abkehr der USA von internationalen Klimavereinbarungen kritisiert. US-Präsident Donald Trump wolle den Abbau von Kohle und Ölschiefer "trotz höchster Risiken für Land und Wasser" ungehemmt fortsetzen. Auch in Deutschland gebe es Kontroversen um die Zukunft der Energieversorgung, stellte Kock fest. Das Interesse an der Erhaltung traditioneller Arbeitsplätze und die Zukunftsverantwortung gerieten "immer wieder in heftige Auseinandersetzung".

Es gebe in der Kirche viel persönliches Engagement von Menschen für die Bewahrung der Schöpfung durch einen veränderten Lebensstil, betonte der Theologe. Auch Kirchengemeinden zeigten Verantwortung, in dem sie etwa Ländereien unter der Auflage verpachteten, dass diese ökologisch bewirtschaftet werden, sagte der frühere rheinische Präses.

Bei dem zweitägigen "Ökumenischen Ratschlag" in Minden ging es nach Angaben der Veranstalter unter anderem darum, wie die Initiativen "angesichts der sich verschärfenden planetarischen Krisen" ihre Kräfte bündeln können. Ebenso wurde über Aktivitäten aus den Kirchen sowie die Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Bewegungen diskutiert. Veranstalter waren das Ökumenische Netz in Deutschland und die Stiftung Ökumene.



Diesel-Fahrverbote für Köln und Bonn

Die Deutsche Umwelthilfe hat ihre Klagewelle gegen zu hohe Stickoxid-Belastung in deutschen Städten erfolgreich fortgesetzt. Nun drohen 2019 auch Diesel-Fahrverbote in Köln und Bonn. Die NRW-Landesregierung kündigt juristischen Widerstand an.

Auch in Köln und Bonn drohen ab dem kommenden Jahr Fahrverbote für Dieselfahrzeuge: Das Verwaltungsgericht Köln hat entsprechende Verbote in den beiden rheinischen Städten am 8. November als "notwendig" bezeichnet. Beide Städte hätten es nicht geschafft, Maßnahmen zu ergreifen, um den Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter einzuhalten, erklärte das Gericht in zwei Urteilen (13 K 6684/15, 13 K 6682/15).

ADAC und Land kritisieren Urteile

Die NRW-Landesregierung und der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) kritisierten die Entscheidung, der Städtetag NRW forderte von den Autobauern eine flächendeckende Nachrüstung von Dieselfahrzeugen. Gegen die Urteile kann Berufung eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster entscheiden würde.

Die Fahrverbote in Köln und Bonn sollen laut Entscheidung der Richter ab April 2019 gelten. Das Fahrverbot in Köln soll im Bereich der grünen Umweltzone zunächst für Dieselfahrzeuge mit Euro-4-Motoren und älter sowie Benzinern der Klassen 1 und 2 in Kraft treten. Ab September 2019 soll das Verbot auch Dieselfahrzeuge der Klasse Euro 5 erfassen. In Bonn sind zwei Straßen betroffen: Dort dürfen Dieselfahrzeuge mit Euro-4-Motoren beziehungsweise Euro-5-Motoren und älter nicht fahren, zudem sind auch dort ältere Benzinfahrzeuge untersagt (Euro 1 bis 3).

Hintergrund des Verfahrens ist eine Reihe von Klagen, mit denen die Deutsche Umwelthilfe (DUH) derzeit Kommunen in ganz Deutschland zur Durchsetzung von Fahrverboten vor allem gegen Dieselfahrzeuge zwingen will. Die Organisation fordert die Änderung der Luftreinhaltepläne in Köln und Bonn, um die Einhaltung des Grenzwertes für Stickstoffdioxid zu erreichen. Die DUH ist der Auffassung, der Grenzwert könne nur durch eine rasche Umsetzung kurzfristiger Maßnahmen wie etwa Fahrverbote eingehalten werden. Die Luftverschmutzung durch Stickoxide könnte demnach dazu führen, dass etwa Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Menschen ausgelöst oder verschlimmert würden.

Das Gericht wies das beklagte Land NRW und die Kommunen an, die Luftreinhaltepläne zu ergänzen und ausreichende Maßnahmen zur Verbesserung der Luftsituation zu ergreifen. In beiden Städten seien in diesem Zusammenhang auch Fahrverbote "notwendig".

DUH wertet Entscheidung als "schallende Ohrfeige"

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch bezeichnete die Entscheidung des Verwaltungsgerichts als "schallende Ohrfeige in Sachen Luftreinhaltepolitik". Nach Angaben des Verbandes habe man nun zehn Klageverfahren "in Reihe gewonnen". Bund und Land sollten "endlich den Weg für eine saubere Luft in den Städten freimachen", erklärte der Rechtsanwalt der DUH, Remo Klinger.

Kritik an dem Urteil kam unter anderem von NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). Das Diesel-Fahrverbot für Köln habe "ganz erhebliche Auswirkungen für Anwohner, Pendler und den gesamten Wirtschaftsstandort der Stadt", erklärte sie. Das Gericht habe die "Frage der Verhältnismäßigkeit" bei der Urteilsfindung nicht darlegt. Deshalb werde man "selbstverständlich in Berufung gehen". Für die Aufstellung und Fortschreibung der Luftreinhaltepläne sind in NRW die Bezirksregierungen zuständig.

Der ADAC Nordrhein bezeichnete die Urteile als "schweren Schlag für alle Dieselbesitzer". "Fahrverbote können aber nur das letzte Mittel sein, wenn alle anderen Maßnahmen, die Luft sauberer zu machen, in ihrer Wirksamkeit berechnet wurden und umgesetzt sind", erklärte der ADAC-Mobilitätsexperte Roman Suthold. Gefragt seien nun Hardware-Nachrüstungen bei Dieselfahrzeugen bis Euro 5.

Für eine Nachrüstung von Diesel-Pkw sprach sich auch der Geschäftsführer der Städtetages NRW, Helmut Dedy, aus. "Die Autoindustrie hat dieses Problem verursacht und muss deshalb jetzt umgehend handeln", sagte er. Die Hardware-Nachrüstung sowie die Umstiegsprämien für Euro-4- und Euro-5-Diesel müssten "flächendeckend in ganz NRW angeboten werden", betonte der Vertreter des kommunalen Spitzenverbandes.



Atommüllkonferenz fordert zügige Langfrist-Lösung

Atomkraft-Kritiker haben bei der Politik mehr Einsatz für eine Lösung zur längerfristigen Lagerung von hoch radioaktiven Abfällen angemahnt. Angedachte Lager tief unter der Erde seien trotz absehbar auslaufender Genehmigungen für bestehende Zwischenlager immer noch nicht in Sicht, kritisierte die Atommüllkonferenz, ein Zusammenschluss von rund 70 Anti-Atomkraft-Initiativen, in einem am 6. November in Düsseldorf vorgestellten Positionspapier.

Bund soll Konzept für Lagerung radioaktiver Abfälle vorlegen

"Das bisher in Deutschland verfolgte Konzept der Zwischenlagerung hoch radioaktiven Mülls, das für 40 Jahre vorgesehen war, ist gescheitert", kritisierte Sprecher Henning Garbers. Auch mit dem ambitioniertesten Zeitplan könne eine längerfristige Lagerung nun nicht mehr beginnen. Die Genehmigungen für die bestehenden Zwischenlager laufen 2034 (Gorleben, Niedersachsen), 2036 (Ahaus, NRW) und 2039 (Lubmin, Mecklenburg-Vorpommern) aus. Auch die Genehmigung jedes einzelnen Lagerbehälters ist auf 40 Jahre begrenzt.

Die Atommüllkonferenz versteht sich als Forum für Betroffene und Akteure von Standorten, an denen Atommüll bereits liegt oder wo dessen Lagerung geplant ist. Nach ihren Angaben lagern aktuell mehr als 1.000 Castor-Behälter in den bestehenden zentralen Zwischenlagern sowie im Zwischenlager des Kernforschungszentrums Jülich und an zwölf Kernkraftwerks-Standorten. Bis zum von der Bundesregierung beschlossenen Atomausstieg 2022 kämen noch etwa 900 Behälter dazu.

Angesichts der unklaren Lage bei der längerfristigen Lagerung fordert die Atommüllkonferenz daher einen Sofortstopp aller Atomanlagen, um die Produktion weiteren radioaktiven Abfalls zu vermeiden. Darüber hinaus müsse die Bundesregierung nun "zeitnah" ein tragfähiges Konzept für eine sichere, längerfristige Zwischenlagerung vorlegen. An der Entwicklung eines solchen Konzepts müsse die Öffentlichkeit frühzeitig beteiligt werden. Ein einziges zentrales Zwischenlager sei aber abzulehnen, da Atomtransporte nicht zuletzt angesichts der Terrorgefahren ein großes Sicherheitsrisiko darstellten.



Doppel-Demo für Klimaschutz in Köln und Berlin geplant

Drei Wochen vor der Weltklimakonferenz in Polen wollen Umweltschützer am 1. Dezember in Köln und Berlin für einen schnellen Kohleausstieg auf die Straße gehen. Unter dem Motto "Kohle stoppen - Klimaschutz jetzt!" ruft ein breites Bündnis aus Umwelt- und Entwicklungsorganisationen zum Protest auf, wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) NRW am 11. November in Düsseldorf mitteilte. "Wir müssen die Erderhitzung stoppen und den sozialverträglichen Kohleausstieg schnell und kraftvoll beginnen", heißt es im Aufruf.

In Berlin wollen sich die Demonstranten um 12 Uhr vor dem Kanzleramt versammeln, in Köln startet die Demonstration an der Deutzer Werft und führt von dort zum Dom und zurück. Zentrale Forderungen der Organisatoren sind die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens, eine faire Unterstützung für die am stärksten von der Klimakrise betroffenen Länder und ein gesetzlicher Fahrplan für einen schnellen Kohleausstieg. Zum Trägerkreis gehören neben den Umweltverbänden BUND, WWF, NABU und NaturFreunde Deutschlands auch die Klima-Allianz Deutschland, die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor, Greenpeace, Germanwatch und Campact.



Tierschützer fordern Erhalt der Verbandsklage in NRW

Tierschützer dringen auf eine Verlängerung des Tierschutz-Verbandklage-Gesetztes in Nordrhein-Westfalen. Das Ende des Gesetzes wäre ein herber Rückschlag für den Tierschutz, erklärte die Pressesprecherin von Animals Rights Watch (Ariwa), Sandra Franz, am 6. November in Düsseldorf. Mit der Abschaffung würde die einzige Möglichkeit ausgelöscht, das geltende Tierschutzrecht konsequent umzusetzen. Ohne Verlängerung läuft das Gesetz zur Tierschutz-Verbandklage Ende dieses Jahres aus.

Auch die ehemalige NRW-Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking (CDU) ist von einer solchen Klage betroffen. Ariwa fordert über eine Verbandsklage gegen den Kreis Steinfurt eine Stilllegung des Schweinemastbetriebes der Familie Schulze Föcking wegen tierschutzrechtlicher Verstöße. Ihr und ihrem Mann drohe ein mögliches Berufsverbot, sollte die Klage erfolgreich sein, erklärte die Tierschutzorganisation.

"Eine erfolgreiche Verbandsklage auf Akteneinsicht könnte auch erhellende Einsichten in die Kontroll- und Vertuschungspraktiken einiger Veterinärbehörden bringen", erklärte Franz. Mangelhafte oder fehlende Kontrollen führten dazu, dass Rechtsverstöße jahrelang nicht aufgedeckt würden.

Seit Einführung der Verbandsklage im Juni 2013 brachte Ariwa vier solcher Klagen auf den Weg und wirkt den Angaben zufolge damit unter anderem auf ein Verbot der Kastenstandhaltung für Zuchtsauen hin. Weitere Verfahren beschäftigten sich mit dem Verkauf lebender Hummer sowie der Tötungsmethode, die Tiere lebendig in siedendem Wasser zu kochen. Ob die Klagen auch weitergeführt werden können, wenn das Gesetz außer Kraft treten sollte, ist laut Ariwa ungewiss.



Zahl der Kraftfahrzeuge in NRW steigt leicht an

Die Zahl der in Nordrhein-Westfalen gemeldeten Kraftfahrzeuge ist zwischen 2006 und 2018 leicht angestiegen. In dem Zeitraum wuchs der Bestand an Fahrzeugen in NRW von etwa 11,45 Millionen auf über 11,72 Millionen, wie das Statistische Landesamt in Düsseldorf am 8. November mit Verweis auf die Veröffentlichungen des Arbeitskreises "Umweltökonomische Gesamtrechnungen der Länder" mitteilte. Damit waren in dem bevölkerungsreichsten Bundesland die mit Abstand meisten Fahrzeuge registriert. Auf den weiteren Spitzenplätzen folgten Bayern (9,97 Millionen Fahrzeuge) und Baden-Württemberg (7,97 Millionen Fahrzeuge).




Soziales

Studie: Gesünderes Schulessen kostet kaum mehr


Mahlzeit! Gutes Essen in der Schule ist einer Studie zufolge erschwinglich.
epd-bild / Norbert Neetz
Jeden Tag Getreide und Gemüse, höchstens zweimal pro Woche Fleisch: Das empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung für das Mittagessen in der Schule. Einer neuen Studie zufolge wäre das mit etwas höheren Ausgaben leicht zu erreichen.

Für nur vier Cent pro Mahlzeit könnten Kinder nach Angaben von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) ein gesünderes Schulessen bekommen. Mit dieser Mehrausgabe könne in den Schulmensen eine Mittagsverpflegung angeboten werden, die den Qualitätsstandards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) entspreche, sagte Klöckner am 6. November in Berlin bei der Vorstellung einer DGE-Studie. Der Untersuchung zufolge fördern die Kommunen das Schulessen mit bis zu 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Die Verpflegung ist damit zur Hälfte subventioniert. Eltern zahlen im Durchschnitt 3,50 Euro pro Mahlzeit.

Klöckner betonte, Schulessen müsse nicht teuer sein. "Wenn nur ein einstelliger Cent-Betrag den Unterschied macht, dann darf es keine Ausreden mehr geben für die flächendeckende Anwendung des DGE-Standards", sagte sie. "Denn es geht hier um eine Investition in die Gesundheit unserer Kinder. Das zahlt sich aus - für uns alle." Gemeinsam mit Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) warb Klöckner dafür, die DGE-Qualitätsstandards für Schulessen flächendeckend in allen Schulen zu verankern.

Einmal wöchentlich Fisch

Die Standards sehen unter anderem ein tägliches Angebot von Getreide, Getreideprodukten, Kartoffeln, Gemüse und Salat vor. Mindestens einmal pro Woche soll es Seefisch geben und höchstens zweimal wöchentlich Fleisch oder Wurst.

Für die Studie, über die am Dienstag zuerst die Funke Mediengruppe berichtet hatte, ermittelten die DGE-Forscher Speisepläne, Lebensmittelpreise, Lieferkosten, Personalkosten und sonstige Betriebskosten im gesamten Bundesgebiet. Dazu wurden den Angaben zufolge 1.072 Essenanbieter sowie 488 Schulträger aus allen 16 Bundesländern kontaktiert.

Dabei zeigte sich, dass es große Preisunterschiede bei den Mahlzeiten gibt: Essen weniger als 100 Kinder in der Schulkantine, sind laut Studie vor allem die Personalkosten vergleichsweise hoch. Eine Mahlzeit koste dort ohne staatlichen Zuschuss im Schnitt bis zu 7,46 Euro. Je mehr Kinder versorgt würden, desto geringer werde der Preis pro Mahlzeit. Er liege bei ganz großen Kantinen mit mehr als 600 Schülern zum Teil nur noch bei 3,57 Euro.

Mehr Geld vom Bund

Klöckner kündigte eine weitere Unterstützung des Bundes für gesundes Schulessen an. Vom kommenden Jahr an würden die Mittel für Projekte der sogenannten Vernetzungsstellen Schulverpflegung der Länder auf zwei Millionen Euro pro Jahr verdoppelt, sagte die Ministerin.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sprach sich unterdessen für die Einführung eines Schulfachs Ernährung aus. "Die steigende Zahl übergewichtiger Kinder ist ein Alarmzeichen. Neben den Eltern sollte auch der Staat mehr für eine gute Ernährung tun", sagte der stellvertretende NGG-Vorsitzende Guido Zeitler in Berlin. Wichtige Grundsteine für eine bessere Ernährung könnten in der Schule gelegt werden. "Mit einem eigenen Fach würden Kinder und Jugendlich das 'Einmaleins des Essens' lernen", sagte Zeitler. "Dabei geht es nicht nur darum, was in den Lebensmitteln steckt, sondern auch, wie die Tiefkühlpizza oder der Joghurt produziert werden."



Eltern und Lehrer wünschen sich Wertevermittlung an Schulen

Die große Mehrheit der Eltern und Lehrer in Nordrhein-Westfalen misst einer neuen Studie zufolge der Werteerziehung an Schulen große Bedeutung zu. Gleichzeitig sehen sowohl Eltern als auch Lehrkräfte klare Defizite bei der Umsetzung dieser Ziele, wie der Verband Bildung und Erziehung (VBE) bei der Vorstellung einer bundesweiten Umfrage der Universität Tübingen und des Instituts forsa mitteilte. "Kein Ziel kann entsprechend der Erwartungshaltung umgesetzt werden", erklärte der nordrhein-westfälische Landesvorsitzender des VBE, Stefan Behlau, am 9. November in Dortmund und forderte von der Politik mehr Unterstützung.

Menschenrechte statt Heimat-Debatte

Mehr als 90 Prozent der Eltern in Nordrhein-Westfalen bewerten der Studie zufolge acht von 16 abgefragten Erziehungszielen wie "eigenverantwortliches Handeln", "Achtung der Menschenrechte" oder "Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern" als wichtig oder sehr wichtig. Unter den Lehrkräften gaben mehr als 90 Prozent an, dass ihnen 13 der 16 Bildungsziele wichtig oder sehr wichtig seien. Am wenigsten wichtig erachteten beide Gruppen das Ziel "Förderung der Heimatverbundenheit" mit 35 Prozent (Eltern) beziehungsweise 20 Prozent (Lehrer). Die Einstellungen der Eltern und Lehrer in NRW unterschieden sich den Angaben nach nur geringfügig von denen in ganz Deutschland.

Oft würden die Ziele aber aus Sicht der Befragten im Lehrplan unzureichend berücksichtigt, hieß es. Der VBE forderte darum, das Angebot von Veranstaltungen zur Werteerziehung in der Lehrerausbildung zu intensivieren und zu standardisieren.

Als wichtige Akteure bei der Wertevermittlung wurden Elternhaus, Schule, Partner, Freundeskreis und Medien genannt. Jeweils ein Drittel der Lehrkräfte (39 Prozent) und Eltern (35 Prozent) bezeichnete die Kirche und die Religionsgemeinschaft als wichtigen oder sehr wichtigen Akteur.

Bildungsgerechtigkeit angemahnt

"Aktuell beobachten wir, dass gerade nach extremistischen und antidemokratischen Handlungen der Ruf nach Wertevermittlung in der Schule immer wieder laut wird", sagte Behlau. Doch allein Forderungen zu stellen sei nicht zielführend. Der VBE-Chef sprach sich für Bildungsgerechtigkeit aus. Alle Schüler müssten gleichermaßen eine reflektierte Wertehaltung entwickeln können. "Gelingt dies weiterhin nicht, hat das verheerende Auswirkungen auf deren weitere Biografie und auf die Gesellschaft", warnte er.

Für die Umfrage wurden bundesweit 1.111 Eltern schulpflichtiger Kinder sowie 1.185 Lehrerinnen und Lehrer an allgemeinbildenden Schulen befragt. In Nordrhein-Westfalen nahmen 209 Eltern sowie 235 Lehrkräfte an der Umfrage teil. Abgefragt wurde unter anderem, welche wertebezogenen Bildungs- und Erziehungsziele an Schulen vermittelt werden sollten und inwieweit das gelinge.



Staatssekretär: Schule darf keine "digitalen Analphabeten" erziehen


Eine Schülerin arbeitet an ihrem Tablet mit einer Lern-App.
epd-bild/Anke Bingel
Wer glaubt, man könne Digitalisierung aus der Schule heraushalten, "stellt sich letztlich gegen das Leben im 21. Jahrhundert", sagt Bildungsstaatssekretär Rachel.

Der Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, Thomas Rachel (CDU), hat die Schulen zu einer Öffnung für digitale Lehrmethoden aufgefordert. Die Diskussion, ob digitale Technik Klassenzimmer bestimmen oder dort völlig herausgehalten werden solle, gehe angesichts der Herausforderung durch Digitalisierung am Thema vorbei, sagte Rachel am 6. November bei einer Veranstaltung von evangelischer Kirche und Diakonie in Berlin. Wer glaubt, man könne es aus der Schule heraushalten, "stellt sich letztlich gegen das Leben im 21. Jahrhundert", sagte Rachel. Dies würde "digitale Analphabeten" produzieren.

"Bildung ist Beziehungsarbeit"

Der CDU-Politiker sprach sich dafür aus, Kindern und Jugendlichen einen kritischen Umgang mit digitaler Technik und digitalen Inhalten nahezubringen. Quellen einschätzen und bewerten zu können sei eine Grundfertigkeit. Das bedeute nicht, dass das sogenannte digitale Klassenzimmer ohne Lehrer auskomme. "Bildung ist Beziehungsarbeit", sagte Rachel, der dem Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört. Das bleibe auch im 21. Jahrhundert so.

FDP-Generalsekretärin Nicola Beer sagte, hinter der Digitalisierung in der Schule stehe auch die Hoffnung, dass Bildung individueller am einzelnen Schüler ausgerichtet werden könne. Es biete die Chance für eine "Eins-zu-eins-Pädagogik". Zugleich kritisierte sie, Deutschland hinke bei dieser Entwicklung im internationalen Vergleich hinterher.

Der Berliner Bildungsstaatssekretär Mark Rackles (SPD), der Mitglied der Lenkungsgruppe "Bildung in der digitalen Welt" der Kultusministerkonferenz ist, glaubt trotz individueller Chancen aber nicht an ein Ende des klassischen Klassenzimmers. Bildung sei ein Beziehungsprozess. Er glaube daher nicht, dass sich die Schule als Ort gemeinsamen Lernens auflöse.

Veranstaltungsreihe "Die digitale Revolution"

Die Diskussion war Teil der Veranstaltungsreihe "Die digitale Revolution" von EKD, Diakonie und Evangelischer Akademie zu Berlin. In insgesamt vier Veranstaltungen soll ausgelotet werden, wie Arbeitsmarkt, Bildungswesen und andere Lebensbereiche vor dem Hintergrund des digitalen Wandels gestaltet werden können.



Theologe: Kirchliche Arbeitgeber haben Klärungsbedarf

Der Theologe Thorsten Moos sieht die evangelische Kirche und ihre Diakonie in ihrer Einstellungspraxis unter Legitimationsdruck. Sie müssten präziser als bisher erklären, wann und warum sie von ihren Mitarbeitern eine Kirchenzugehörigkeit verlangen, schreibt Moos im Fachdienst "epd sozial". Es werde nicht mehr als selbstverständlich betrachtet, dass der evangelischen Wohlfahrt das verfassungsmäßig garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zustehe.

"Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, nach dem der Bundesverband der Diakonie einer erfolglosen Stellenbewerberin eine Entschädigung wegen religiöser Diskriminierung zahlen muss, ist Ausdruck einer tiefgreifenden Verschiebung von Plausibilitäten", schreibt Moos, der an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel Diakoniewissenschaft und Systematische Theologie lehrt.

Nach Ansicht des Theologen teilen immer weniger Menschen die Auffassung, dass "die Kirchen und ihre karitativen Einrichtungen im Gefüge des Rechts- und Sozialstaates eine herausgehobene Rolle einnehmen, gesellschaftliche Dienste leisten und dabei ein eigenes, christliches Gepräge ihrer Organisationen haben". Daher erscheine ihnen die Anforderung konfessioneller Arbeitgeber, dass Angestellte Mitglieder der Kirche sein sollen, viel weniger legitim als die Rechtsnormen der Berufsfreiheit und des Diskriminierungsverbots. Dies komme auch in der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts gegen die Diakonie zum Ausdruck.

Kirche und Diakonie müssten mehr denn je "hinreichend plausibel darüber Auskunft geben, welche Einstellungsvoraussetzungen für sie wesentlich sind", schreibt Moos. Die diakonischen Sozialunternehmen müssten überzeugend beantworten, inwieweit sie bei ihren Mitarbeitern Kirchenbindung und religiöse Ansprechbarkeit brauchen.

Konfessionelle Arbeitgeber müssten auch nach innen klären, welche Kirchenbindung, welche religiöse Ansprechbarkeit, welche theologischen Kompetenzen die Diakonie tatsächlich bei ihren Mitarbeitern braucht. Nach Überzeugung von Moos ist es "eine große Chance für Kirche und Diakonie, ihre theologische Selbstbeschreibung und Selbstklärung fruchtbar und gegenwartstauglich weiterzuentwickeln".



Mehr qualifizierte Zuwanderer aus Westbalkan-Ländern

Anstelle von Asylbewerbern kommen aus den Ländern des Westbalkans in den vergangenen drei Jahren einer neuen Studie zufolge zunehmend Fachkräfte nach Deutschland. Stellten 2015 noch mehr als 140.000 Menschen aus dem Westbalkan meist chancenlose Asylanträge in Deutschland, waren es 2017 nur noch 20.000, wie die am 5. November veröffentlichte Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln ergab. Dagegen sei die Zahl der Menschen mit Aufenthaltstiteln zur Erwerbstätigkeit im gleichen Zeitraum um 30.000 auf 42.000 Menschen gestiegen.

Die IW-Forscher haben für die Studie unter anderem Daten des Ausländerzentralregisters und der Bundesagentur für Arbeit ausgewertet. Demnach hat die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Migranten aus Albanien, Bosnien und Herzegowina, dem Kosovo, Mazedonien und Serbien in Deutschland stark zugenommen: von 183.000 im März 2015 auf 268.000 im März dieses Jahres. 162.000 dieser Migranten übten eine Tätigkeit aus, die eine mindestens zwei- bis dreijährige Berufsausbildung erfordere, hieß es. Die Quote der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stieg von 35,2 Prozent im Juni 2015 auf 48,9 Prozent im Juni 2018.

Die Arbeitslosenquote von Migranten aus dem Westbalkan liegt den Angaben zufolge bei 11,5 Prozent und ist rückläufig. Mehr als 82 Prozent dieser Arbeitslosen hätten keinen berufsqualifizierenden Abschluss. Das zeige, dass es trotz der positiven Entwicklung der Beschäftigungssituation eine große Gruppe von Menschen gebe, die größeren Unterstützungsbedarf bei der Integration in den Arbeitsmarkt haben, schreiben die Forscher.

Den Rückgang der Asylbewerberzahlen und die zunehmende Zuwanderung von Menschen mit Berufsqualifizierung führen die Studienautoren auf eine Verschärfung des Asylrechts und die sogenannte Westbalkanregelung zurück. So wurden nach der massenhaften Zuwanderung von chancenlosen Asylbewerbern die Westbalkanstaaten 2014 und 2015 als sichere Herkunftsländer eingestuft. Im Gegenzug wurde der Zugang für Einwanderer aus diesen Ländern zum deutschen Arbeitsmarkt gelockert. Seitdem können Migranten für jede Beschäftigung in Deutschland außer Leiharbeit einen Aufenthaltstitel erhalten.

Ob die Westbalkanregelung auf andere Asylherkunftsländer übertragen werden kann, bewerten die Forscher indes kritisch. Die Westbalkanländer verfügten im internationalen Vergleich über ein relativ hohes Qualifikationsniveau, hieß es. So hätten etwa in Serbien zwei Drittel der Bevölkerung ein mittleres Qualifikationsniveau, also mindestens einen mit dem Abitur vergleichbaren Abschluss, und ein Fünftel ein hohes Qualifikationsniveau, also in der Regel einen Hochschulabschluss.



Einkommen in Deutschland: Verfestigung an den Rändern

Die Einkommen in Deutschland haben sich einer Studie zufolge an den Rändern verfestigt. Der Anteil der Haushalte unter der Armutsgrenze nahm deutlich zu, wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung am 5. November in Berlin mitteilte. Die Zahl der Haushalte, die über der statistischen Reichtumsgrenze liegen, habe leicht zugenommen. Um eine weitere Öffnung der Einkommensschere zu vermeiden, empfehlen die Autoren der Studie, "die sozialen Hürden beim Bildungszugang abzubauen".

Unterschied zwischen Ost und West

Der Studie zufolge zeigen sich große Unterschiede nach Geschlecht und Region: "Dauerhafte Armut kommt in Ostdeutschland etwa sechs Mal so häufig vor wie in den alten Bundesländern." Auf der anderen Seite der Skala gilt: "Etwa zwei Drittel der Wohlhabenden sind männlich, insgesamt leben 95 Prozent der Einkommensreichen in den alten Bundesländern."

Als arm gilt ein Haushalt, der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. 2015 lag die Armutsgrenze bei einem Netto-Jahreseinkommen von weniger als 12.192 Euro für einen Singlehaushalt. Als reich werden Haushalte bezeichnet, die mindestens das Doppelte des mittleren Einkommens erzielen. Das galt etwa für einen Alleinstehenden, der im Jahr mindestens über 40.639 Euro netto verfügt.

Seit den 90er Jahren zeige sich "vor allem bei der Armut ein markanter, weitgehend kontinuierlicher Anstieg", heißt es in der Analyse. Seien in den 90er Jahren rund elf Prozent der Menschen in Deutschland einkommensarm gewesen, sei die Quote auf knapp 16,8 Prozent im Jahr 2015 gestiegen. Der Anteil der Bevölkerung in einkommensreichen Haushalten sei von 5,6 Prozent Anfang der 90er Jahre auf knapp 7,5 Prozent im Jahr 2015 gestiegen.

Um die Diskrepanzen beim Einkommen zu reduzieren, empfiehlt die Autorin der Studie, Dorothee Spannagel, die Lohnungleichheiten zwischen Ost- und Westdeutschland zu verringern. Außerdem "müssten von frühester Kindheit an Kinder aus benachteiligten Familien gezielt gefördert werden". Schließlich gelte es, die Langzeitarbeitslosigkeit abzubauen. Lebten in einem Haushalt mehr als ein Verdiener, sinke das Risiko, dass dieser Haushalt dauerhaft von Armut betroffen sei. Daher empfiehlt Spannagel einen weiteren Ausbau und einen kostenlosen Zugang zu Kinderbetreuungsangeboten.



Diakonie fordert Ausbau der Hilfe für wohnungslose Frauen

Mehr als 30.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen haben keine Wohnung. Knapp ein Drittel von ihnen sind Frauen. Für diese Zielgruppe gibt es aber noch zu wenig Unterstützungsangebote, findet die Diakonie.

Die Zahl der Wohnungslosen steigt, dabei sind auch immer mehr Frauen betroffen. Frauen seien in der Wohnungslosenhilfe "nicht mehr länger ein Randthema", sagte Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL), am 8. November in Düsseldorf. Notwendig seien deshalb mehr spezielle Hilfsangebote: "Wir brauchen dringend mehr Notübernachtungsstellen, Wohnhilfen und Beratungsangebote an Rhein und Ruhr, die sich gezielt an Frauen richten."

2017 waren nach Angaben des Statistischen Landesamtes 32.286 Menschen in Nordrhein-Westfalen als wohnungslos gemeldet, 28,9 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Drittel davon (9.524) waren weiblich. "Jede Frau in NRW sollte im Umkreis von 25 Kilometern ihres Lebensumfeldes ein auf sie zugeschnittenes Hilfsangebot finden", forderte Heine-Göttelmann. "Hilfe nach Kassenlage" dürfe es nicht länger geben. "Wir können die Frauen, die in Not sind, nicht einfach sich selbst überlassen", so der Diakonie-Experte weiter.

Dunkelziffer

In der Vergangenheit seien Frauen in der Wohnungslosenhilfe eher selten aufgetaucht, sagte Roland Meier vom Fachverband Wohnungslosenhilfe bei der Diakonie RWL. Häufig seien Frauen, die ihre Wohnung verlieren, als "Gäste" bei Freundinnen, Freunden, Partnern oder Bekannten eingezogen - "oft gegen sexuelle, pflegerische oder hauswirtschaftliche Gegenleistungen". Angesichts der dramatischen Situation auf dem Wohnungsmarkt fragten in den letzten Jahren Frauen aber vermehrt nach Hilfe in institutionellen Unterkünften.

In den männerdominierten Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und gemischtgeschlechtlichen Beratungsstellen fühlten sich Frauen aber häufig unwohl, erklärte Stefanie Volkenandt, die in Düsseldorf die Diakonie-Einrichtung "Icklack - Wohnen für Frauen" leitet. Das zeige auch eine aktuelle Studie der Hochschule Düsseldorf, für die in den rund 260 Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe der Diakonie RWL erstmals wohnungslose Frauen und Mitarbeiterinnen befragt worden waren.

Oft Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch

Danach haben etwa 42 Prozent der wohnungslosen Frauen Gewalt und sexuellen Missbrauch erfahren und möchten aus diesem Grund nicht zusammen mit Männern untergebracht werden. Die Frauen wünschten sich eine entsprechende Privat- und Intimsphäre in den Einrichtungen, die auch die Belange der körperlichen Hygiene, eine medizinische Versorgung und Waschmöglichkeiten für Kleidung berücksichtigt. Die befragten Mitarbeiterinnen beklagten, dass vor allem im ländlichen Raum und in kleineren Städten Notübernachtungsstellen für Frauen sowie auch frauenspezifische Wohnangebote und Beratungsstellen fehlten.

Die Diakonie forderte deshalb am 8. November den flächendeckenden Ausbau dieser Angebote. Hier seien die Kommunen, aber auch das Land NRW in der Pflicht, betonte Heine-Göttelmann. Die schwarz-gelbe Landesregierung müsse die Städte und Gemeinden dabei unterstützen, "einheitliche Standards in der Notfallhilfe zu schaffen und für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen", so dass von Wohnungslosigkeit betroffene Frauen schneller eine geeignete Wohnung finden.

Meier versicherte, auch die Diakonie werde alles tun, "damit sich die Situation für von Wohnungslosigkeit betroffene Frauen bessert". Auch die eigenen Hilfen würden überprüft "und so gestaltet, dass Frauen bei uns den Schutz finden, den sie brauchen". Die Diakonie RWL unterhält 41 stationäre Einrichtungen für Wohnungslose, davon fünf für Frauen. Zudem gibt es noch 31 Notschlafstätten der Diakonie, von denen sechs ausschließlich Frauen vorbehalten sind.



Begleitung für die letzten Stunden



epd-bild / Winfried Rothermel
Fast jeder Deutsche macht einen Erste-Hilfe-Kurs. Letzte-Hilfe-Kurse, bei denen die Teilnehmer lernen, einen Sterbenden zu begleiten, sind hingegen noch die Ausnahme. Seit drei Jahren werden die Kurse in Deutschland angeboten.

Als Johanna Weigelts Großmutter im Sterben lag, schmückte die Familie das Zimmer mit Blumen. Rosenöl tauchte die Sterbende in eine Duftwolke und der Raum war erfüllt von ihrer geliebten Geigenmusik. "Ich habe den Tod meiner Großmutter als bereichernd erlebt", sagt die Enkelin. "Wenn es gelingt, sich in einem schönen familiären Rahmen auf den Sterbenden einzulassen, kann das eine positive Erfahrung sein."

So wie Johanna Weigelt erleben jedoch die wenigsten Menschen das Sterben eines Angehörigen. "Die allermeisten Menschen wünschen sich, zu Hause zu sterben", sagt der Palliativmediziner Georg Bollig. "Aber die Angehörigen haben oft Angst, etwas falsch zu machen." Aus diesem Grund verbringen oft auch solche Menschen ihre letzten Stunden im Krankenhaus, die bei guter Betreuung friedlich zu Hause sterben könnten.

Letzte-Hilfe-Kurse mittlerweile bundesweit angeboten

"Nur wenn Menschen da sind, die sich kümmern, hat man die Chance, zu Hause zu sterben", sagt Bollig. "Letzte Hilfe sollte so wie Erste Hilfe zur Allgemeinbildung gehören," fordert der Arzt. Vor drei Jahren bot Bollig deshalb in Schleswig den bundesweit ersten Letzte-Hilfe-Kurs nach einem von ihm entwickelten Konzept an. Was zunächst ungewöhnlich schien, macht inzwischen Schule. Mittlerweile hat Bollig 750 Kursleiter ausgebildet, die bundesweit insgesamt rund 7.000 Menschen in Letzter Hilfe schulten.

Die Kurse werden meist von Hospizvereinen angeboten, aber auch von Krankenhäusern oder Wohlfahrtsverbänden. Geleitet werden sie von je zwei nach Bolligs Konzept geschulten Kursleitern, die Erfahrung in der Palliativversorgung haben. "Das Revolutionäre an den Letzte-Hilfe-Kursen ist ihre Kürze", sagt Bollig. Die Kurse finden an einem Tag statt und dauern rund vier Stunden. Dafür habe er viel Kritik einstecken müssen, sagt Bollig. Allerdings habe er die Erfahrung gemacht, dass man mit kurzen Kursen sehr viel mehr Leute zur Teilnahme motiviert.

Mut machen

Die Kurse vermitteln Wissen und Tipps. Das Wichtigste sei jedoch, dass die Teilnehmer überhaupt dazu ermutigt würden, Angehörige zu Hause beim Sterben zu begleiten, sagt Kursleiterin Christiane Bock vom Hospizverein Lebenskreis in Hennef. "Wir wollen, dass die Menschen hier rausgehen mit dem Wissen: Ich kann das."

Eigentlich könne man gar nicht viel falsch machen, sagt Kursleiterin Dorothee Marquardt von der Ökumenischen Hospizgruppe Kaiserswerth in Düsseldorf. "Jeder, der sich damit auseinandersetzt, kann das." Die meisten Menschen hätten nur die natürliche Intuition verloren, beobachtet Marquardt. "Die versuchen wir zu vermitteln."

"Was zählt, sind die Wünsche des Sterbenden", sagt Christiane Bock. Das könne für den einen etwa sein, ein letztes Mal im Rollstuhl in die Natur gefahren zu werden, ein anderer Patient wünsche sich vielleicht einfach noch einmal sein Lieblingseis. Ein sehr häufiges Problem ist jedoch, dass Menschen am Lebensende nicht mehr schlucken können. Dass sie dann nichts mehr essen oder trinken wollten, sei für viele Angehörige nur schwer zu ertragen, weiß Bollig. Allerdings gehöre das zum Sterben. Erzwungene Nahrungsaufnahme sei dann für den Sterbenden eher eine Qual.

In den Kursen erfahren die Teilnehmer, dass es andere Möglichkeiten gibt, dem Sterbenden noch etwas Gutes zu tun. Wichtig sei etwa die Mundpflege, sagt Bollig. Denn wenn Menschen nicht mehr trinken und schlucken können, leiden sie unter einem trockenen Mund. Das können die Angehörigen zum Beispiel lindern, indem sie die Lippen eincremen und den Mund wiederholt mit einem feuchten Wattestäbchen auspinseln. Es gehe darum, zu schauen, was dem Sterbenden angenehm sei. Das könne etwa auch eine Hand- oder Fußmassage sein.

Leiden und Angst des Sterbenden lindern

In den Kursen lernen die Teilnehmer aber nicht nur, wie sie Leiden und Angst des Sterbenden lindern können. Es geht auch darum, was Menschen am Lebensende und ihre Angehörigen tun können, um gut auf den Tod vorbereitet zu sein. Dazu gehört zum Beispiel, rechtzeitig eine Patientenverfügung und eine Vorsorgevollmacht zu erteilen. Außerdem sei es für viele Teilnehmer neu, dass sie sich bei der Begleitung des Sterbenden zu Hause auch Hilfe holen könnten, sagt Bock. Das könne neben dem Hausarzt auch eine spezielle ambulante Palliativversorgung sein. Zudem kann ein Pflegedienst unterstützen und nicht zuletzt gibt es Hospizvereine, die Angehörigen helfen, den Sterbenden bestmöglich zu betreuen.

Johanna Weigelt machte den Letzte-Hilfe-Kurs erst, nachdem ihre Großmutter gestorben war. Zu ihrer Erleichterung stellte sie fest: "Wir haben schon viel richtig gemacht." Dazu gelernt habe sie trotzdem noch, sagt die Düsseldorferin. Neu seien für sie vor allem die Informationen über die körperlichen Vorgänge beim Sterben gewesen. Vor allem die rasselnde Atmung der Großmutter kurz vor dem Tod sei für die anwesenden Familienmitglieder belastend gewesen, weil sie das als Todeskampf deuteten. Hätte sie damals schon gewusst, dass das einfach ein Symptom des Sterbens ist, wäre es leichter zu ertragen gewesen, meint Weigelt.

Claudia Rometsch (epd)


Studie: Pflegende Angehörige an der Grenze der Belastbarkeit


Pflegende Angehörige
epd-bild / Klaus G. Kohn
Dem Pflegenotstand in Deutschland droht nicht nur durch den Fachkräftemangel eine dramatische Verschärfung. Auch viele pflegende Angehörige stehen kurz davor, ihr Engagement aufzugeben.

Pflegende Angehörige fühlen sich einer Studie zufolge überlastet. Fast 200.000 sogenannte Hauptpflegepersonen stehen kurz davor aufzugeben, wie aus dem am 8. November in Berlin vorgestellten "Pflegereport 2018" der Barmer Krankenkasse hervorgeht. "Ohne pflegende Angehörige geht es nicht", sagte der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub. "Es ist höchste Zeit, dass sie schon frühzeitig besser unterstützt, umfassend beraten und von überflüssiger Bürokratie entlastet werden." Der Patientenschützer Eugen Brysch forderte in einer Reaktion auf die Barmer-Studie eine staatlich finanzierte Lohnersatzleistung ähnlich dem Elterngeld. Dies könne zur Entlastung von pflegenden Angehörigen beitragen.

Rund 2,5 Millionen Menschen pflegen Angehörige zu Hause, darunter rund 1,65 Millionen Frauen. Die Barmer befragte nach eigenen Angaben mehr als 1.900 pflegende Angehörige. Demnach sagten fast 60 Prozent an, sie wünschten sich weniger Bürokratie bei der Beantragung von Leistungen.

Grenze der Belastbarkeit

Ein Drittel der Pflegenden geht der Studie zufolge einer Erwerbsarbeit nach, jeder Vierte hat seine Arbeit aufgrund der Pflege reduziert oder ganz aufgegeben. 85 Prozent der Befragten sagten, die Pflege bestimme ihren Alltag. Die Hälfte von ihnen kümmert sich sogar mehr als zwölf Stunden täglich um den Pflegebedürftigen.

"Viele pflegende Angehörige sind an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Fast 40 Prozent von ihnen fehlt Schlaf, 30 Prozent fühlen sich in ihrer Rolle als Pflegende gefangen, und jedem Fünften ist die Pflege eigentlich zu anstrengend", sagte der Autor des Pflegereports, Heinz Rothgang von der Universität Bremen. Allerdings finde mehr als die Hälfte der Hauptpflegepersonen niemanden, der sie für längere Zeit vertreten würde.

Wie aus dem Report weiter hervorgeht, geben knapp 440.000 Pflegende ihren pflegebedürftigen Angehörigen nicht in Kurzzeitpflege; je knapp 380.000 Personen nehmen Tagespflege und Betreuungs- und Haushaltshilfen nicht in Anspruch. Dies begründen sie neben einem fehlenden Angebot hauptsächlich mit Zweifeln an der Qualität und den Kosten der vorhandenen Angebote.

Häufiger krank

Pflegende Familienangehörige sind nach den Angaben der Barmer relativ häufig krank. So leiden 54,9 Prozent von ihnen unter Rückenbeschwerden und 48,7 Prozent unter psychischen Störungen. Bei Personen, die niemanden pflegen, trifft dies nur auf 51,3 Prozent beziehungsweise 42,5 Prozent zu.

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte in Dortmund, das Problem sei hausgemacht. "Der größte Pflegedienst Deutschlands geht am Stock. Immer weniger Angehörige können ein Familienmitglied pflegen." Die bestehenden Angebote zur Entlastung von Angehörigen würden der Lebenswelt nicht gerecht. "Pflegezeiten, Pflegeunterstützungsgeld, Kurzzeit- und Verhinderungspflege sind bei weitem nicht ausreichend und laufen oft ins Leere", sagte Brysch.

Beruf und Pflege ließen sich nur vereinbaren, wenn es für pflegende Angehörige eine staatlich finanzierte Lohnersatzleistung ähnlich dem Elterngeld gibt, fügte Brysch hinzu. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müsse "endlich handeln und ein solches Pflegezeitgeld auf den Weg bringen".



Dachverband: Ausbildungszahlen in Pflege nur schwer zu erhöhen


Christian Heine-Göttelmann
Diakonie RWL/Hans-Jürgen Bauer

Nach Ansicht der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen lässt sich aktuell kaum mehr Pflegenachwuchs ausbilden. Die Kapazitäten in der Altenpflegeausbildung seien seit 2012 um 85 Prozent gestiegen, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft, Christian Heine-Göttelmann, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Heute gibt es fast 19.000 Auszubildende in der Altenpflege. In der Gesundheits- und Krankenpflege plus Kinderkrankenpflege ist die Zahl annähernd gleich hoch."

Zugleich sieht er aber auch die Notwendigkeit, weitere Schulen zu eröffnen. Denn der prognostizierte Fachkräftemangel in der Pflege werde im Jahr 2040 bei 70.000 Pflegekräften liegen, sagte der Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Um mehr Ausbildungsstätten zu schaffen, "müssen die Schulen allerdings auch Anreize bekommen und nicht noch selbst Geld mitbringen, um auszubilden".

Es sei bereits einiges getan worden, um die Ausbildung zu erleichtern, sagte Göttelmann. In der Gesundheits- und Krankenpflege seien die Rahmenbedingungen entbürokratisiert worden. Doch die Auswirkungen dieser Reformen ließen sich noch nicht endgültig abschätzen, "weil exakte Zahlen erst ab 2019 zur Verfügung stehen werden".

Zudem würden sich die Refinanzierungsbedingungen für die Altenpflegeausbildung durch das Pflegeberufereformgesetz verbessern: "Das wird sich qualitativ niederschlagen. Das Land und die Sozialleistungsträger, also Krankenkassen und Pflegekassen, finanzieren das."

Schließlich verwies Heine-Göttelmann auch auf die neue generalistische Pflegeausbildung. Sie werde insgesamt die Attraktivität des Pflegeberufes erhöhen, zum Beispiel durch mehr Wechselmöglichkeiten und eine ausgeglichenere Bezahlung. Dass dadurch automatisch mehr Interessenten für die Ausbildung gefunden werden, glaubt er indes nicht: "Die Generalistik stellt hohe Anforderungen an die Bewerber der Zukunft."

Gebraucht werde auch eine gute Pflegehelferausbildung mit entsprechenden Aufstiegsmöglichkeiten. Der Diakonie-Vorstand nahm auch andere Zielgruppen für die Nachwuchsgewinnung in den Blick, nämlich Jugendliche mit Ausbildungshemmnissen oder ohne Schulabschluss, Wiedereinsteigerinnen, die eine Kinderbetreuung brauchen, oder auch Flüchtlinge. "Es gibt da nicht die eine Maßnahme, die Erfolg verspricht, sondern für diese Potenzialerweiterung müssen mit vielen Initiativen niedrigschwellige Einstiege und gute Perspektiven geschaffen werden", sagte der Experte.

epd-Gespräch: Dirk Baas


Bethel berät behinderte Menschen bei Partnerschaft und Sexualität

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel wollen Menschen mit Behinderungen darin unterstützen, Partnerschaft, Liebe und Sexualität selbstbestimmt zu leben. Von Beziehungsproblemen und Liebeskummer bis hin zum Thema Heiraten und Kinderwunsch reichten die Anliegen, mit denen Menschen in die Beratung kämen, sagte Bethel-Mitarbeiterin Martina Kretschmer dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bielefeld. Das von der Aktion Mensch geförderte Beratungsangebot "Lebenslust" sei gut angelaufen. In einem geschützten Rahmen könnten Ratsuchende offen über Gefühle und Sehnsüchte sprechen, betonte sie.

Gefühle und Sehnsüchte offen ansprechen

Zweimal pro Monat gebe es eine offene Sprechstunde im integrativen Freizeit- und Kulturzentrum "Neue Schmiede" in Bielefeld-Bethel, hinzu kämen Einzelberatungen, erklärte Kretschmer, die das Projekt mit zwei weiteren Kollegen betreut. In Zusammenarbeit mit der Stadt Bielefeld und Pro Familia entstanden zudem Broschüren in leichter Sprache, darunter eine Kondom-Anleitung und ein Heft zum Thema Heiraten.

Dass Menschen mit Behinderungen als Paar zusammenlebten und heirateten, sei in Bethel-Einrichtungen längst normal, hieß es. Dennoch gebe es rund um die Themen Liebe und Sexualität immer noch Unsicherheiten, auch bei den Beschäftigten der v. Bodelschwinghschen Stiftungen. "Viele Mitarbeitende sind sehr offen und ermöglichen viel", sagte Kretschmer. Doch fürchteten sie gleichzeitig, Menschen mit Behinderungen vor Grenzverletzungen oder Missbrauch nicht schützen zu können.

Sexual-Aufklärung und Kontaktschmiede

Kretschmer und ihr Team gehen deshalb in Einrichtungen und Werkstätten, informieren dort Mitarbeitende, sprechen mit Angehörigen und bieten Sexual-Aufklärung an. Geplant sind den Angaben zufolge zudem Workshops zu Themen wie Sexualbegleitung. Dabei handelt es sich um eine erotische Dienstleistung für Menschen mit Behinderung. "Für einige von ihnen stellt das oft die einzige Möglichkeit dar, Zärtlichkeit und Sexualität zu erleben", sagte Kretschmer.

Es gehe darum, Wünsche der Behinderten ernst zu nehmen, betonte sie. "Der Wunsch, nicht alleine zu sein, ist groß." Die "Neue Schmiede" lädt deshalb wieder zur Kontaktschmiede "Aloha" ein. Das Prinzip ähnelt den Angaben nach einer herkömmlichen Partner-Vermittlung: Interessierte füllten einen Steckbrief über sich aus, das "Lebenslust"-Team vermittele den Kontakt, auf Wunsch seien die Mitarbeiter auch beim ersten Date mit dabei. An die 70 Gesuche seien aktuell in der Kartei, erklärte Kretschmer. "Einige merken beim ersten Mal, das wird nichts. Andere finden sich sympathisch und verabreden sich erneut." Es laufe eben wie bei anderen Partner-Vermittlungen auch, betonte sie.



Infomaterial über sexuelle Selbstbestimmung behinderter Menschen

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung will mit neuen Informationsmaterialien die sexuelle Selbstbestimmung von behinderten Menschen in Wohnheimen fördern. Der Schutz der Intim- und Privatsphäre müsse bundesweit ein verpflichtendes Qualitätsmerkmal für Träger von Wohneinrichtungen werden, erklärte der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, anlässlich einer Fachtagung zu dem Thema am 7. November in Essen. "Auch Menschen mit Behinderungen haben selbstverständlich ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung."

Auf der Tagung stellte die in Köln ansässige Bundeszentrale Infomaterial über die Verwirklichung der sexuellen Rechte von Menschen mit Behinderungen vor. Die Materialien liegen den Angaben zufolge auch in leichter Sprache vor und richten sich an Mitarbeiter sowie Bewohner von Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Unter anderem enthielten sie Fragebögen, um die aktuelle Lebens- und Arbeitssituation zu beleuchten und Ansätze für Veränderungen zu finden, hieß es. Zudem gebe es Fortbildungsmaterialien, um Mitarbeiter und Bewohner zu dem Thema zu qualifizieren.

Das Material wurde den Angaben zufolge im Rahmen des 2014 gestarteten Forschungsprojekts "Reflexion, Wissen, Können - Qualifizierung von Mitarbeitenden und Bewohnerinnen und Bewohnern zur Erweiterung der sexuellen Selbstbestimmung für erwachsene Menschen mit Behinderung in Wohneinrichtungen" entwickelt. Daran waren Forscher der Katholischen Hochschule NRW, der Universität Koblenz Landau, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Evangelischen Hochschule Bochum beteiligt. Die Fachtagung am 7. November und 8. November in Essen stellt den Abschluss des Projekts dar.



Urteil: Resturlaub von Verstorbenem muss Erben vergütet werden

Wenn ein Arbeitnehmer stirbt und zum Zeitpunkt des Todes noch Anspruch auf Urlaub hatte, können die Erben dafür eine finanzielle Vergütung einfordern. Das entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 6. November in Luxemburg zu zwei Fällen aus Deutschland. (AZ: C-569/16 und C-570/16)

Konkret ging es um zwei Frauen, deren verstorbene Männer bei der Stadt Wuppertal beziehungsweise einem Unternehmer beschäftigt gewesen waren. Mit ihrem Ansinnen, die noch offenen Tage des bezahlten Jahresurlaubs vergütet zu bekommen, wurden sie zunächst abgewiesen. Das Bundesarbeitsgericht verwies die Fälle an den EuGH.

"Vermögensrechtlicher Natur"

Dieser erkannte nun zunächst an, "dass der Tod des Arbeitnehmers unvermeidlich zur Folge hat, dass er die Entspannungs- und Erholungszeiten nicht mehr wahrnehmen kann", die mit dem Urlaubsanspruch verbunden waren, wie es in einer Mitteilung hieß. Allerdings trete daneben die finanzielle Komponente. Die Vergütung für nicht angetretenen Urlaub sei "rein vermögensrechtlicher Natur" und deshalb bestimmt, in das Vermögen des Arbeitnehmers überzugehen. Sie dürfe folglich auch dem Vermögen etwaiger Erben nicht entzogen werden, argumentierten die Richter.

Nach deutschem Recht werde eine finanzielle Vergütung des Urlaubs zwar nicht Teil der Erbmasse, erklärte der EuGH weiter. Wenn diese nationale Regelung aber der Anwendung des nun gefällten Urteils entgegenstehe, müsse sie unangewendet bleiben, und zwar egal, ob es sich um einen staatlichen oder privaten Arbeitgeber handele, entschieden die Richter. Die beiden Fälle gehen nun zurück an das Bundesarbeitsgericht, das sie im Einklang mit dem europäischen Urteil konkret entscheiden muss.




Medien & Kultur

Heldenkampf oder Barbarei


Denkmal für "unbekannten Deserteur" aus Bremen neben einer "Ehrentafel" für gefallene Soldaten des Ersten Weltkrieges
Ruhr Museum
Am 11. November jährte sich das Ende des Ersten Weltkrieges zum 100. Mal. Anlass für das Ruhr Museum Essen, mit einer Sonderausstellung einen etwas anderen Blick auf das Phänomen Krieg zu werfen.

Kriege gelten als verabscheuungswürdig und sinnlos. Dennoch war das 20. Jahrhundert ein Zeitalter der Kriege, Vertreibungen und Genozide, in denen nach Schätzungen mehr als 100 Millionen Menschen ums Leben kamen. "Wie kann es sein, dass es nach den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und der Forderung 'Nie wieder Krieg' trotzdem zum Zweiten Weltkrieg kam und sich weitere Kriege anschlossen?", sagt Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museums in Essen. "Für wen macht Krieg Sinn?" Dieser Frage will das Museum mit der am 11. November eröffneten Sonderausstellung "Krieg. Macht. Sinn" nachspüren.

"Krieg. Macht. Sinn"

Die Schau will anhand von Exponaten und Texten die unterschiedlichen Interessen, Motivationen und Sinndeutungen der Beteiligten an Kriegen, Vertreibungen und Genoziden in all ihrer Widersprüchlichkeit darstellen. "Wir wollen eine Vielstimmigkeit bieten", ergänzt Wulf Kansteiner, Professor für Erinnerungskultur und Geschichtstheorie an der Universität Aarhus in Dänemark und Ko-Kurator der Schau.

Anlass der von der EU geförderten Ausstellung ist das Gedenken an das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Bis zum 30. April präsentiert das Museum 220 Exponate von rund 50 Leihgebern. Zu sehen sind unter anderem Helme und Uniformteile, Waffen, Fotografien, Plakate und Filme sowie Original-Dokumente wie etwa der Friedensvertrag von Brest-Litowsk. Originalseiten aus dem Manuskript des Romans "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque und aus den Kriegstagebüchern von Ernst Jünger illustrieren die gegensätzliche Wahrnehmung der beiden Kriegsteilnehmer des Geschehens als Kampf von Kameraden oder unvorstellbares Grauen.

Von 1918 zum Syrienkonflikt

Die Besucher der Schau werden in vier Abteilungen zu den Themen "Krieg", "Bombenkrieg", "Völkermord" sowie "Flucht und Vertreibung" mit unterschiedlichen Blickwinkeln konfrontiert. Ausgehend vom Ersten und Zweiten Weltkrieg nimmt die Ausstellung dabei auch weitere Kriege des 20. Jahrhunderts wie die Konflikte im früheren Jugoslawien, die westliche Intervention in Afghanistan und den gegenwärtigen Krieg in Syrien in den Blick.

"Ehrentafeln", Gedächtnisblätter oder Kriegerdenkmäler stehen ebenso für die Verklärung von Soldaten und Kämpfern als Helden wie das Video eines Selbstmordattentäters der Terrororganisation "Islamischer Staat". Dem steht ein Mahnmal für den "unbekannten Deserteur" gegenüber, das diese Idealisierung infrage stellt.

Rüstungsindustrie verdient

Für wen macht Krieg Sinn? Dass die Rüstungsindustrie zu allen Zeiten an Kriegen gut verdient hat, daran erinnern in der Ausstellung unter anderem ein Fotoalbum vom Bau und der Lieferung von Torpedokreuzern der Firma Krupp an die Türkei 1907 oder das Modell eines Kampfpanzers Leopold 2.

Der Einsatz von Bomben hat die Kriegführung verändert, weg vom Schlachtfeld der Soldaten hin zur Zerstörung ganzer Städte. Immer mehr war die Zivilbevölkerung betroffen. Davon zeugen in der Ausstellung verkohlte Reste in einem Einmachglas, Spreng- und Brandbomben und Fotos der zerstörten Stadt Essen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Kontroverse Erinnerungskultur

Wie kontrovers die Erinnerungskultur an einschneidende Kriegsereignisse sein kann, zeigt die Schau am Beispiel der Bombardierung Dresdens 1945 durch Briten und US-Amerikaner, bei der nach jüngeren historischen Forschungsergebnissen 25.000 Menschen ums Leben kamen. Auf einer Gedenkplatte von 1982 aus der DDR-Zeit ist von "imperialistischer Barbarei" die Rede, Rechtsextremisten bezeichnen den Angriff als "Bombenholocaust", von anderer Seite wird er dagegen als Reaktion auf die deutschen NS-Kriegsverbrechen gewertet.

Auch moderne Bombenkriege mit vermeintlich präzisen Luftschlägen werden unterschiedlich interpretiert. Das zeigen nicht nur Filmaufnahmen von der Bombardierung des Tanklastzuges im afghanischen Kundus, sondern auch im Internet verbreitete Propaganda aus den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien, in denen alle Seiten unschuldige Opfer von Bombenangriffen präsentierten.

Als Klammer umspannt eine Leiste mit Zitaten zum Thema Krieg die kleine, aber thematisch breitgefächerte Galerieausstellung auf der 21-Meter-Ebene des Museums. Sie reicht von Heinrich Bölls "Ich hasse den Krieg" bis zu Joschka Fischers Satz "Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz", mit dem der damalige Außenminister die deutsche Beteiligung am Nato-Einsatz im Kosovo-Konflikt als humanitäre Intervention rechtfertigte.

Esther Soth (epd)


Experimente in Licht und Bewegung


Richard Anuszkiewicz: Temple to Albers
epd-bild/Friedrich Stark
Das LWL-Museum in Münster spürt dem Einfluss des Bauhauses auf die Avantgarde in den USA nach. Viele der Bauhaus-Künstler emigrierten nach 1933 in die USA und entwickelten ihre innovativen Ansätze dort weiter.

Ein kurioses Werk begrüßt den Besucher am Eingang zur Ausstellung "Bauhaus und Amerika. Experimente in Licht und Bewegung": Die Skulptur "Merry go round" des Kanadiers Marcel Dzamas von 2011 entpuppt sich als eine Art Kinderkarussell mit bunten Blechfiguren, die ein bisschen an die "Star Wars"-Filme, aber auch an erzgebirgische Volkskunst erinnern. Das LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster zeigt seit dem 9. November in der Sonderschau zum bevorstehenden 100-jährigen Gründungsjubiläum des Bauhauses, wie die legendäre Kunstakademie nachfolgende Generationen an Künstlerinnen und Künstler in Nordamerika und Europa bis heute beeinflusst hat. Im Mittelpunkt steht Kunst zu Licht und Bewegung.

Das Bauhaus wurde 1919 von Walter Gropius als Kunstschule in Weimar gegründet, zog 1925 nach Dessau und 1932 nach Berlin. "Das Bauhaus hatte den Anspruch, die Welt neu zu denken, und von Anfang an eine große Lust am Experimentieren", sagt Matthias Löb, Direktor des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL). Der Ansatz war von Anfang an ein interdisziplinärer. Ziel war es, die damals noch strikten Grenzen zwischen bildender, darstellender und angewandter Kunst aufzubrechen.

Innovative Kraft

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde die Schmiede der damaligen Avantgarde geschlossen. Viele der Bauhaus-Künstler emigrierten damals in die USA. Als Professoren an wegweisenden Kunstinstitutionen wie dem Black Mountain College in North Carolina oder dem New Bauhaus in Chicago entwickelten sie die innovativen Ansätze weiter. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkten diese Ideen wieder auf Europa zurück, so dass sich hier bis in die Gegenwartskunst hinein Positionen des Bauhauses finden.

In der Ausstellung werden bis zum 10. März rund 150 Arbeiten aus den Bereichen Malerei, Skulptur, Fotografie und Film gezeigt, die Einblick in das Schaffen von 50 Künstlern geben sollen. Zu den Exponaten zählen Leihgaben aus bedeutenden internationalen Museen wie dem J. Paul Getty Museum in Los Angeles, dem Centre Pompidou in Paris oder der Londoner Tate Gallery. "Wir wollen die wechselseitigen Interaktionen aufzuzeigen, mit denen das Bauhaus auf die Entwicklung von Film, Fotografie, Op-Art, Tanz und Performance eingewirkt hat", umreißt Kuratorin Tanja Pirig-Marshall das Ausstellungskonzept.

Ein Beispiel für die innovative Kraft ist die Bauhausbühne, die als Werkstatt für Improvisationen diente. Neben Bühnenentwürfen von Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer und Andor Weininger zeigt die Ausstellung den 1930 entstandenen "Licht-Raum-Modulator" von László Moholy-Nagy (1895-1946).

Das auch unter dem Titel "Lichtrequisit für eine elektrische Bühne" bekannte Objekt gilt als die erste großformatige Lichtskulptur. Sie besteht aus flächigen Elementen unterschiedlicher Form und Struktur, die auf einer elektrisch angetriebenen Platte montiert sind. Durch die Drehbewegung entsteht auf der Wand ein immaterielles Spiel aus Licht und Schatten, das mit der Materialität der bewegten Elemente korrespondiert. Zu sehen ist ein Nachbau von 2006, der jeden Tag um 11 und 16 Uhr jeweils für 15 Minuten in Aktion tritt.

Von Oskar Schlemmer zu John Cage

Ein weiterer Schwerpunkt der Bauhauskünstler waren Tanz und Bewegung. So untersuchte der Maler, Bildhauer und Bühnenbildner Oskar Schlemmer (1888-1943) das Verhältnis des Körpers zu Raum und Zeit. Amerikanische Choreografen und Tänzer wie Merce Cunningham und John Cage nahmen diesen Ansatz auf und bauten ihn zu einer am Prozess orientierten Performance-Kunst aus. Diese Entwicklung macht die Ausstellung anhandvon Bewegungsstudien in Filmen und Bildern deutlich.

Zudem wird an acht Terminen im Foyer die Tanzperformance "Mesh" aufgeführt, die von Matthias Markstein und Isaac Spencer eigens für die Präsentation im LWL-Museum entwickelt wurde.

Ebenfalls ein geeignetes Experimentierfeld, um Licht und Bewegung in reinster Form zum Ausdruck zu bringen, war in den 1920er Jahren der noch junge Film. In ihren Lichtexperimenten brachten die Bauhauskünstler Farben und Formen zum Tanzen, machten Klänge und Töne visuell erlebbar und das Licht zum eigentlichen Star auf der Leinwand. In Münster erinnern bedeutende Werke des Absoluten Films von Viking Eggeling, Hans Richter und Oskar Fischinger an die kreative Aufbruchsstimmung nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Deutschland. Ergänzt werden sie durch illusorische Lichtkunst der aus Kalifornien stammenden Künstler Robert Irwin und James Turell.

Helmut Jasny (epd)


Künstler solidarisieren sich gegen Rechtsruck

Eine goldene, knisternde Rettungsdecke. Darauf in grellem Pink: "Die Vielen". Unter diesem Motto machen sich Künstler und Kulturinstitutionen stark gegen Rechtspopulismus. Über 50 Kulturhäuser unterzeichneten eine "Erklärung der Vielen" in NRW.

Mehr als 50 nordrhein-westfälische Kulturinstitutionen haben am 9. November in Düsseldorf ein Zeichen für die Kunstfreiheit gesetzt. Sie unterzeichneten eine "Erklärung der Vielen" von Kulturschaffenden gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft. "Kunst und Kultur stehen immer an der Seite der Opfer, der Verfolgten", sagte der Generalintendant des Schauspielhauses Düsseldorf, Wilfried Schulz, bei der Vorstellung der Erklärung, mit der Kulturschaffende für mehr Solidarität plädieren. Ähnliche Auftaktveranstaltungen fanden den Angaben zufolge in Berlin, Dresden und Hamburg statt. Bundesweit unterzeichneten 300 Kulturinstitutionen die Erklärung.

NRW-Kulturschaffende unterzeichnen "Erklärung der Vielen"

Theater trainierten Empathie und forderten Besucher auf, sich dazu zu verhalten und zu positionieren, erklärte Schulz. Theater laden nach seinen Worten "zu hoher emotionaler Beteiligung ein und stellen Modelle vor, wie wir leben und wie wir leben wollen".

"Kunst schafft einen Raum zur Veränderung der Welt", heißt es in der mehrseitigen und mehrsprachigen Erklärung der NRW-Kultureinrichtungen. Die Direktorin des Duisburger Lehmbruck-Museums, Söke Dinkla, sagte: "Kunst ist Leben. Beides ist nicht ohne einander denkbar. Und, Kunst ist auch Handeln." Dinkla räumte ein, viele Kunst- und Kultureinrichtungen hätten aber "eine gewisse Selbstzufriedenheit."

Am 80. Jahrestag der NS-Pogromnacht von 1938 sagte die Museumschefin, sie fühle sich durch die zunehmende Intoleranz, Ausgrenzungen und Aggressivität von rechts an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert. "Gerade deshalb müssen wir als Kulturschaffende unsere Stimme lauter werden lassen und mit dafür sorgen, dass sich Geschichte nicht wiederholt." Dazu müssten Kunst und Kultur neue Wege gehen, "für eine Gesellschaft, die nicht immer einfach ist", erklärte Dinkla.

Aufklärung über rechte Strategien

Die Unterzeichner der "NRW-Erklärung der Vielen" betonten, es gehe um "Solidarität statt Privilegien! Es geht um Alle. Kunst bleibt frei". Der rechte Populismus greife die Kultureinrichtungen als Akteure dieser gesellschaftlichen Vision an und stehe "der Kunst der Vielen feindselig gegenüber." Dagegen gelte es in Nordrhein-Westfalen und bundesweit "Haltung für Toleranz, Vielfalt und Respekt" zu zeigen. Versuche der Rechtsnationalen, Kulturveranstaltungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, müssten abgewehrt werden.

Zudem müsse in Theatern, Opernhäusern, Konzertsälen, im Museen und Galerien, Bibliotheken und Ausstellungshäusern der offene, aufklärende, kritische Dialog über rechte Strategien geführt werden. Weiterhin verbinde man sich "solidarisch mit den Menschen, die durch eine rechtsextreme Politik immer weiter an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden," erklärten die Unterzeichner.

Die Intendantin des Tanzhauses NRW, Bettina Masuch, sagte, in ihrer Einrichtung gehöre "das internationale Arbeiten zur künstlerischen DNA und hat Geschichte." Im Tanzhaus in Düsseldorf gebe es 90 Dozenten aus rund 40 Ländern. Die Einrichtungen im Kulturbereich müssten wegen der zunehmenden rassistischen Angriffe "nicht nur in der Kunstproduktion Stellung beziehen". Kunst könne und müsse zeigen, "das unvoreingenommenes Aufeinander zugehen ein großer Wert" sei.



Mit Sorgfaltspflicht gegen Fake News

Angesichts einer wachsenden Zahl von Fake News ruft der Leiter des Online-Portals "faktenfinder" von tagesschau.de, Patrick Gensing, die etablierten Medien zu noch mehr Sorgfaltspflicht auf. Der wachsende Schnelligkeitsdruck in der Branche mache den Journalismus generell für Manipulationen anfällig, warnte Gensing auf dem Tag der Medienkompetenz am 5. November im Düsseldorfer Landtag.

Tag der Medienkompetenz im Düsseldorfer Landtag

Die traditionellen Medien versuchten zunehmend, mit dem Tempo der Sozialen Medien Schritt zu halten. Damit bestehe die "große Gefahr", dass Fake News auch über etablierte Nachrichtenkanäle verbreitet würden. "Auch handwerkliche Fehler führen zu falschen Nachrichten", sagte Gensing. Den Nährboden für die Akzeptanz von Fake News sieht er in der Fragmentarisierung der Gesellschaft. Entstanden seien Gruppierungen mit eigenen Filterblasen, die offen für Falschmeldungen seien, die in die jeweilige Sicht der Dinge passten.

Das Onlineportal "faktenfinder" der ARD ging im 2017 an den Start. Es will nach eigenen Angaben zur Aufklärung und Eindämmung von Fake News beitragen, in dem Phänomene wie politische Propaganda, Gerüchte, Lügen und Halbwahrheiten im Internet gesammelt und richtiggestellt werden. Die Redaktion um Projektleiter Gensing checkt dazu unter anderem auch auffällige Websites, Blogs und Foren.

Es sei jedoch schwer zu beeinflussen, wenn die Leute etwas glauben wollten, auch wenn die Faktenlage dagegen spreche, merkte die Erfinderin des Negativpreises "Goldener Aluhut", Giulia Silberberger, an. Dies zeige auch das Phänomen des "Multischwurbels", bei dem alle möglichen Verschwörungstheorien für irrwitzige Argumentationen miteinander verkettet würden. Helfen könne möglicherweise nur die Erkenntnis, dass ein in Gut und Böse getrenntes Weltbild zu simpel für die Herausforderungen der heutigen Zeit sei. Die von Silberberger gegründete Berliner Initiative vergibt ihre Auszeichnung für besonders abstruse Pseudo-Wissenschaft und Verschwörungstheorien.

Der jährlich im Landtag stattfindende Tag der Medienkompetenz ist eine von der NRW-Landesregierung und dem Landtag gemeinsam ausgerichtete öffentliche Veranstaltung, die vom Grimme-Institut organisiert wird. In diesem Jahr stand unter dem Motto "Was steckt dahinter?" die Medienbildung in Zeiten von Fake News, Verschwörungstheorien und Algorithmen im Mittelpunkt.



Wie Medien sich auf Sprachassistenten einstellen

Mit Elektrogeräten sprechen? Vor fünf Jahren wurde man dafür noch für verrückt erklärt. Mittlerweile irritiert das kaum noch. Die Sprachassistenten verändern auch die Medienwelt und werden zum Türöffner für Internetangebote.

"Was kannst du eigentlich so?", fragt das kleine Mädchen im blau gestreiften T-Shirt. "Ich spiele Musik, beantworte Fragen, sage Nachrichten und Wetterberichte an, erstelle To-Do-Listen und noch mehr", sagt die Stimme aus der schwarzen Box. Kleine, mit dem Internet verbundene Lautsprecher wie Amazon Echo, Google Home oder Apple Home Pod zeigen in Werbespots, wie sie den Alltag zu Hause verändern können. Und auch Medienhäuser entdecken mittlerweile die Verbreitung von Inhalten zum Hören über die Smart Speaker.

Laut dem "Internet Trends Report" des US-Investors Kleiner Perkins wird Sprachsteuerung langsam das Tippen ersetzten. Und der BBC-Redakteur Trushar Barot bezeichnet Kinder, die mit der Technologie aufwachsen, schon als "Voice Generation". Er forschte am Nieman Institut für Journalismus der Harvard-Universität zu künstlicher Intelligenz im Nachrichten-Geschäft.

Damit die intelligenten Boxen bestimmte Funktionen erfüllen können, müssen Anwenderprogramme installiert werden: Was auf dem iPhone die Apps sind, sind bei Amazons Echo die "Skills" oder bei Google Home die "Actions". Bei der Frage "Alexa, was sind die Nachrichten?" oder "Alexa, was ist meine tägliche Zusammenfassung?" werden dann Meldungen von zuvor ausgewählten Anbietern vorgelesen.

Individualisierung von Medienangeboten

Je nach Interessen lassen sich beispielsweise Sportnachrichten über den "Sportschau"-Skill oder regionale und lokale Meldungen in die eigene Nachrichtenzusammenstellung einbauen. Der Trend zur Individualisierung von Medienangeboten setzt sich damit weiter durch.

Für Amazons "Echo" gibt es spezielle Angebote von "Tagesschau" und Radiosendern wie Deutschlandfunk, NDR1, Antenne Bayern, Radio Köln und Radio Hamburg. Über den "Radio Player", der rund 1.400 deutsche Radiowellen bündelt, ist darüber hinaus ein Großteil der deutschen Programme auf dem Echo empfangbar.

Von den Skills verschiedener Regionalzeitungen wie den "Kieler Nachrichten" oder der "Münsterländischen Volkszeitung" kann man sich ebenso die Nachrichten vorlesen lassen wie vom "Handelsblatt", der "Bild", "Spiegel Online" oder der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Mit Audio-Inhalten können wir die Nutzer auch erreichen, wenn sie keine Bildschirme bedienen können: im Auto oder beim Kochen zum Beispiel", sagte Sebastian Matthes, Digital-Chef beim "Handelsblatt", dem Deutschen Journalisten-Verband in Nordrhein-Westfalen.

Machen andere Medienhäuser dem Radio als klassischem Nebenbei-Medium nun also ihre Stellung streitig? Erst mal wohl nicht. Denn Radiomacher sind gegenüber Zeitungshäusern oder Onlineportalen klar im Vorteil: Sie kennen sich im Audio-Bereich aus, können ihre normalen Inhalte schnell passend für die Sprachassistenten aufbereiten und produzieren in der Regel schon Formate, die auf den Lautsprechern nutzbar sind.

Personalisierte Gutenachtgeschichten

Antenne Bayern hat etwa mit dem "Schlaubayer" ein Radio-Quiz für den Ausspielweg angepasst und mit dem Amazon-Skill "Affenbeste Freunde" personalisierte Gutenachtgeschichten für Kinder entwickelt. Man experimentiere aktuell mit verschiedenen Formaten, sagt Sven Rühlicke, Geschäftsleiter im Digitalbereich des Privatradios. Er sieht in den Smart Speakern mehr als nur einen neuen Verbreitungsweg: Es gebe die Chance, überregional Hörer dazuzugewinnen und neue Zielgruppen zu erschließen.

Welche Angebote auf den Sprachassistenten besonders gut funktionieren, ist noch nicht ganz klar. Einer Studie der Initiative "Next Media Hamburg" zufolge sind besonders Service- und Newsangebote wie Wetter- und Verkehrsmeldungen beliebt. Sie würden von 70 Prozent der Befragten genutzt. 58 Prozent gaben an, mit den kleinen Lautsprechern Musik zu hören. Nach Amazon-Angaben gehört der Nachrichten-Skill der "Tagesschau in 100 Sekunden" zu den beliebtesten Angeboten.

Nicht immer muss die Welt neu erfunden werden: Antenne Bayern hat die Erfahrung gemacht, dass auch der lineare Radio-Skill, also das Programm, wie es auch über UKW und Digitalradio zu hören ist, besonders gut auf dem Echo-Assistenten läuft.

Nach Angaben der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) gibt es mittlerweile rund 70 Skills von UKW-Programmen des privaten und öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hinzu kommen die Angebote von anderen Onlinemedien und TV-Sendern.

Allerdings funktioniert die Verwertung der Inhalte noch nicht überall optimal. Häufig scheinen die sowieso produzierten Meldungen lediglich ins System geschoben zu werden. Bei den Skills einiger Onlinemedien werden nur die Teaser der ursprünglich zum Selbstlesen geschriebenen Texte vorgelesen.

"Ich finde die Nachrichtenstücke teilweise nicht relevant und schwierig konsumierbar", schreibt ein User in den Bewertungen der "Spiegel Online"-Skills bei Amazon. Zu den "Bild"-Skills beschwert sich jemand: "Die Nachrichten hören mittendrin auf."

Experimentierfeld

Solchen Anlaufschwierigkeiten zum Trotz: Für die Bezahlung von Medieninhalten kann der Ausspielweg Smart Speaker zum Experimentierfeld werden. Denn möglicherweise ist die Zahlungsbereitschaft für Audioangebote höher als für Texte im Internet. Für Audio-Entertainment-Dienste wie Spotify oder Deezer geben laut einer Befragung des Digitalverbandes Bitkom rund 20 Prozent der Nutzer Geld aus.

Den Nutzern stellen sich aber noch ganz andere Fragen: Wenn Sprachassistenten alltäglicher werden, werden auch ihre Suchmechanismen immer mehr an Bedeutung gewinnen. Laut dem "Internet Trends Report" von Kleiner Perkins sind 2016 bereits 20 Prozent der Suchanfragen in den USA per Stimme gestellt worden.

Während es bei der klassischen Websuche noch reicht, bei Google möglichst auf Seite eins zu landen, um wahrgenommen zu werden, geben die Sprachassistenten auf Fragen nur eine Antwort, nicht zehn. Die Suchmaschinenoptimierung journalistischer Inhalte wird damit künftig weiter zunehmen, Internetkonzerne wie Google und Amazon werden noch stärker zu Gatekeepern journalistischer Inhalte.

Was die genauen Auswahlmechanismen und die Algorithmen der smarten Boxen angeht, sind keine genauen Details bekannt. Mit dem Audio-Boom muss deshalb auch eine neue Sensibilität für die Auswahl von Nachrichten entstehen - unter Journalisten, aber auch unter Nutzern.

Nora Frerichmann (epd)


Fernsehsender zeigen oft Alkoholkonsum


Schlechte Vorbilder im TV-Programm?
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Im deutschen Fernsehen wird oft getrunken und geraucht. In sechs von zehn Fernsehsendungen ist Alkohol zu sehen, fanden Würzburger Wissenschaftler heraus. Dabei gehe die bunte TV-Welt oft an der gesellschaftlichen Wirklichkeit vorbei.

Die Präsenz legaler Drogen im deutschen Fernsehen ist laut einer Studie der Universität Würzburg enorm - eingeordnet wird deren Konsum aber kaum. Wirtschaftsjournalismus-Professor Kim Otto und seine Mitarbeiter haben die Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums und der Bundesdrogenbeauftragten Marlene Mortler (CSU) erstellt. "Wir waren sehr überrascht, vor allem was den Alkoholkonsum angeht", sagte Otto dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 7. November. Zuerst hatten die Zeitungen der Funke Mediengruppe über die Ergebnisse berichtet.

In fast jedem Spielfilm wird getrunken

Laut der Untersuchung ist in sechs von zehn TV-Sendungen Alkohol zu sehen, in vier von zehn Sendungen wird er zudem konsumiert. Deutlich höher ist dieser Anteil bei fiktionalen Formaten: Mit 95,8 Prozent wurde in fast jedem Spielfilm, der untersucht wurde, Alkohol getrunken. Bei Serien lag der Anteil bei 61,2 Prozent, bei Seifenopern bei 45,8 Prozent. Die Präsenz von Tabak und Nikotin ist zwar geringer als die von Alkohol - jedoch treten auch diese legalen Drogen laut der Studie in fast jeder vierte TV-Sendung auf.

Vor allem in Sendungen im Privatfernsehen wird häufig zur Flasche gegriffen: Mit sechs von zehn Sendungen, in denen Alkohol konsumiert wurde, führt ProSieben die Liste an, gefolgt von RTL II mit fünf von zehn; gezeigt wird Alkohol bei ProSieben sogar in acht von zehn Sendungen, bei RTL II sind es sieben von zehn.

Keine Beweggründe ersichtlich

Aber auch der ARD-Sender Das Erste und das ZDF zeigen in jeder zweiten Sendung alkoholische Getränke, der angedeutete Konsum alkoholischer Getränke liegt beim Ersten mit 33 Prozent etwas niedriger als beim ZDF mit knapp 40 Prozent.

Bewertet wurde der Konsum legaler Drogen dabei nur selten: in 10,5 Prozent der Fälle bei Alkohol sowie in 2,9 Prozent der Fälle bei Tabak. Dabei hielten sich die positiven und die negativen Bewertungen beim Alkohol- und Tabakkonsum die Waage. Beweggründe für den Konsum legaler Drogen wurden in den Sendungen kaum benannt.

Eine Woche ausgewertet

Für die Studie hatten Forscher das Programm einer "natürlichen Woche" ausgewertet, das an sieben aufeinanderfolgenden Tagen zwischen 13 und 22 Uhr von ProSieben, Sat.1, RTL, RTL Nitro, RTL II, ZDF sowie vom Ersten der ARD gezeigt wurde. Die Dritten Fernsehprogramme der ARD waren nicht Gegenstand der Untersuchung.

Otto sagte dem epd, einerseits müssten Medien "natürlich die Realität abbilden", es sei aber andererseits die Frage, ob den Fernsehmachern dies angesichts dieser Zahlen gelinge. "Wenn etwa bei ProSieben in 60 Prozent der untersuchten Sendungen Alkohol getrunken wird, muss die Frage erlaubt sein, ob das die gesellschaftliche Realität auch abbildet." Die TV-Sender weigerten sich Otto zufolge bisher, eine Selbstverpflichtungserklärung abzugeben, um weniger Konsum legaler Drogen zu zeigen. Darüber sollte man noch mal nachdenken, sagte Otto.

Appelle an Medienbranche

Mit Verboten oder stärkeren Reglementierungen wie in der Werbung kann sich Otto, der selbst unter anderem für das ARD-Politikmagazin "Monitor" arbeitet, aber nicht anfreunden: "Ich setze darauf, dass die Fernsehmacher mehr ihr eigenes Handeln reflektieren." Es sei "sicher keine böse Absicht", dass der Konsum legaler Drogen derart häufig und ohne Einordnung gezeigt werde. "Aber wenn in einem neuen Tatort der ARD im Büro geraucht wird, ist das unnötig - das gibt es in der Realität einfach nicht mehr", sagte der Wirtschaftsjournalismus-Professor.

Die Drogenbeauftragte Mortler sagte den Funke-Zeitungen, die Studie zeige, welche Präsenz Alkohol gerade im privaten Fernsehen habe. Die Medienbranche müsse sich bewusst sein, dass nicht alle Zuschauer über die notwendige Medienkompetenz verfügen, um diesen Konsum auch einzuordnen: "Die Wissenschaft zeigt heute deutlich, dass derjenige, der im Fernsehen dauernd mit Alkohol konsumierenden Protagonisten konfrontiert wird, auch im realen Leben leichter zur Flasche greift."



Kinderhörspielpreis für "Eine Hand voll Sterne"

Der Deutsche Kinderhörspielpreis geht in diesem Jahr an das Hörspiel "Eine Hand voll Sterne" über Syrien vor und während des Bürgerkriegs. Gudrun Hartmann habe das gleichnamige Buch von Rafik Schami als Hörspiel für den Hessischen Rundfunk in Kooperation mit dem WDR realisiert, teilte die Film- und Medienstiftung NRW am 7. November in Düsseldorf mit. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wurde am 10. November bei den ARD-Hörspieltagen in Karlsruhe verliehen.

"Eine Hand voll Sterne" erzählt die Geschichte der zehnjährigen Salima, die mit ihren Großeltern während des syrischen Bürgerkriegs in einem Schutzkeller in Damaskus sitzt. Um sie von dem Schrecken abzulenken, liest ihr Opa aus seinem alten Tagebuch vor. Es erzählt vom Damaskus seiner Kindheit, in dem verschiedene Nationalitäten und Religionen friedlich miteinander lebten, und seinem Versuch, seinen Traum zu verwirklichen, Journalist zu werden.

Die Jury lobte die feinfühlige Übertragung des Romans ins akustische Medium. "Stimmen, Geräusche und Musik lassen die Welt von Damaskus vor dem Krieg wieder auferstehen, eine Welt, deren Reichtum an Geschichten dieses Hörspiel zu einem Fest des Zuhörens macht", hieß es. Zugleich blende das Hörspiel den aktuellen Krieg in Syrien nicht aus und mache auf mutige Weise Gewalt und Zerstörung zum Gegenstand der Handlung in einem Kinderhörspiel.

Aus insgesamt 30 eingereichten Produktionen wählte die Jury neben dem Gewinnerhörspiel vier weitere Produktionen für eine "Top 5"-Liste aus: "Ab nach Paris" von Bernd Gieseking (hr), "Flummi Bruder" von Judith Ruyters (Deutschlandfunk Kultur), "Milas Welt" von Thilo Reffert (Deutschlandfunk Kultur) und "They called him bubble - wie ein kleines grünes Kaugummi an die Nasenspitze der Freiheitsstatue gelangte" von Silke Wolfrum (BR). Träger des Kinderhörspielpreises sind die Film- und Medienstiftung und die Landesrundfunkanstalten der ARD.



Deutscher Kleinkunstpreis an Christian Ehring


Im Mainzer "unterhaus"
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Der Moderator der NDR-Satiresendung "extra 3", Christian Ehring, das österreichische Künstler-Duo "BlöZinger" und die Berliner Sängerin Dota erhalten den Deutschen Kleinkunstpreis 2019. Der 46-jährige Ehring, der auch durch regelmäßige Auftritte in der ZDF-"heute-show" bekannt ist, sei ein grandioser Geschichtenerzähler, würdigte die vom Mainzer "unterhaus"-Theater berufene Jury den Preisträger der Sparte Kabarett. Er verstehe es, "das Leben im Großen wie im Kleinen zu einem beeindruckenden Gesellschaftsbild zusammenzufügen".

Robert Blöchl und Roland Penzinger werden in der Sparte Kleinkunst ausgezeichnet. Das Duo "BlöZinger" schaffe es, mit schauspielerischer Raffinesse, schwarzem Humor und einem Minimum an Requisiten "großes Kino zu projizieren". Für ihre "unverwechselbare Synthese von Pop, Politik und Poesie" erhält die Berliner Liedermacherin Dorothea Kehr (Dota) den Preis in der Sparte Chanson/Lied/Musik. Die Preisjury würdigte, wie die Sängerin kleine persönliche Glücksmomente und gesellschaftlich relevante Fragen miteinander verbinde: "Weltveränderung und Weltverzauberung tanzen Bossa Nova."

Sarkastische Slammerin

Wie in den vergangenen Jahren wird es zwei weitere Preisträger geben: Der Förderpreis der Stadt Mainz geht 2019 an die Schweizer Autorin Lara Stoll. Damit zeichnet die Jury eine Slammerin aus, die der Welt mit Sarkasmus begegne und trotzdem hochempfindlich sei, hieß es zur Begründung. Den Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz erhält der österreichische Sänger Willi Restarits.

Der Deutsche Kleinkunstpreis gilt als bedeutendste Auszeichnung der verschiedenen Kleinkunst-Genres in der Bundesrepublik und ist mit jeweils 5.000 Euro dotiert. Er wurde 1972 vom Mainzer "unterhaus"-Theater gestiftet. Die offizielle Preisverleihung findet am 10. März 2019 statt, eine Aufzeichnung wird am 17. März 2019 im Programm von 3sat gesendet.



Greser und Lenz gewinnen Deutschen Karikaturenpreis 2018

Das Karikaturisten-Duo Heribert Greser und Achim Lenz ist mit dem Deutschen Karikaturenpreis 2018 ausgezeichnet worden. Die beiden Zeichner erhielten am 11. November in Bremen den mit 5.000 Euro dotierten "Geflügelten Bleistift in Gold" für den besten Einzelbeitrag, wie die Initiatoren mitteilten. Prämiert wurde ihre Zeichnung "Hasenzüchter". Weitere Preise gingen an den Cartoonisten Til Mette, das Duo Elias Hauck und Dominik Bauer sowie die Zeichnerin Sabine Winterwerber.

Der Deutsche Karikaturenpreis wurde im Jahr 2000 von der "Sächsischen Zeitung" ins Leben gerufen und wird seit 2016 jährlich gemeinsam mit dem Bremer "Weser-Kurier" verliehen. Die Auszeichnung wird abwechselnd in Dresden und Bremen überreicht. Die Preise waren mit insgesamt 10.000 Euro dotiert. Unter dem Motto "Vorsicht Heimat!" hatten sich 227 Zeichner aus Deutschland, Österreich und der Schweiz mit 1.045 Arbeiten um die Preise beworben.

"Explosiv und preiswürdig"

Die prämierte Zeichnung von Greser und Lenz zeigt die Vereinsmeisterschaft der Hasenzüchter in einem deutschen Dorf, bei der ein Fremder den zweiten Platz gewinnt. Doch der erste Platz bleibe in deutscher Hand, und die Sieger könnten ihre Schadenfreude gerade noch so verbergen, heißt es in der Begründung der Jury. Die Szene spiegele den Zeitgeist wider, sei explosiv und deshalb preiswürdig. Greser und Lenz zeichnen regelmäßig für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", den "Stern" und das Satiremagazin "Titanic".

Der "Geflügelte Bleistift für die beste Gesamtleistung" mit 2.500 Euro ging an Til Mette. Dessen Witzfiguren befänden sich oft in aussichtslosen Situationen und neigten zu alltäglicher Peinlichkeit, die Mette kurz vor dem Tiefpunkt stoppe, urteilte die Jury. Diese Gag-Methode mache großen Spaß. Mette publiziert unter anderem im "Stern".

Elias Hauck und Dominik Bauer gewannen den "Geflügelten Bleistift für eine besondere Leistung" mit 1.500 Euro. Ihr reduzierter Strich konzentriere sich auf das Wesentliche und wirke dadurch dynamisch, spontan und lebhaft, hieß es. Besonders würdigte die Jury ihre Zeichnung "Fremdenfeindlichkeit". Den mit 1.000 Euro dotierten "Geflügelten Bleistift" für die beste Newcomerin bekam Sabine Winterwerber für ihre Zeichnung "Dorfgespräche", bei der die Frauen reden und die Männer schweigen.



Siegerlandmuseum entdeckt Rembrandt-Radierung

Das Siegerlandmuseum im Oberen Schloss in Siegen hat eine originale Radierung des niederländischen Großmeisters Rembrandt van Rijn (1606-1669) in seinem Depot gefunden. Dabei handelt es sich um ein Porträt des Amsterdamer Autors Willemsz van Coppenol (1598-1667), wie Museumsleiterin Ursula Blanchebarbe am 6. November dem epd sagte. Das entdeckte Bild "Der große Coppenol" ist den Angaben nach das größte radierte Porträt von Rembrandt. Es sei in sehr gutem Zustand und ab sofort in der kleinen Galerie der Museums-Burganlage zu sehen.

"Das war ein Zufallsfund"

Das wertvolle Bild wurde demnach bei der Vorbereitung für die Sonderschau "Anthonis van Dyck - Grafische Arbeiten" im kommenden Frühjahr entdeckt. "Das war ein Zufallsfund", erzählte die Museumsleiterin. Bei der Durchsicht von Kupferstichen und Radierungen im Museumsbestand seien ihr und einem Kollegen ein Werk mit dem Kartei-Vermerk "Anonym (kein Stecher bekannt)" aufgefallen. "Rein optisch, von der Technik und stilistisch, passte es nicht zu van Dyck", erklärte Blanchebarbe.

Bei der Recherche fand sie schließlich heraus, dass das Bild von Rembrandt stammt. "Es muss etwa von 1658 sein", schätzte die Kunstexpertin. Eine Ölskizze Rembrandts aus der Zeit, die ebenfalls Willemsz van Coppenol zeigt, hängt im Metropolitan Museum of Art in New York, das eine der bedeutendsten kunsthistorischen Sammlungen der Welt besitzt. Die Werke Rembrandts ("Die Nachtwache") erzielen bei Auktionen Höchstpreise. Museumsleiterin Ursula Blanchebarbe wollte sich aber nicht festlegen, wie viel der Siegener "Rembrandt" wert ist.

Das Siegener Museum widmet ab dem 24. März 2019 dem barocken Meister Anthonis van Dyck (1599-1641) eine Ausstellung. Präsentiert werden Werke aus der eigenen Sammlung. Neben Gemälden, darunter "Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" oder "Porträt Johann VIII. von Nassau-Siegen", besitzt das Siegerlandmuseum fast 200 grafische Motive des Künstlers. Dazu gehören großformatige Blätter mit religiösen und mythologischen Motiven sowie die meisten Porträts der von van Dyck edierten Serie "Ikonographie". Das Siegerland-Museum besitzt zudem etliche Originale des Malers Peter Paul Rubens, der in Siegen geboren wurde.



Künstler Hermann-Josef Kuhna gestorben

Der in Düsseldorf lebende und arbeitende Künstler Hermann-Josef Kuhna ist tot. Er starb nach Angaben der Düsseldorfer Galerie Fils bereits in der Nacht zum 7. November in einem Düsseldorfer Krankenhaus. Der 1944 in Thüringen geborene Maler hatte von 1964 bis 1969 an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert. 1979 übernahm er eine Professur an der Kunstakademie Münster. Seit vielen Jahren engagierte sich der Künstler auch in der Obdachlosenhilfe. Am 31. Dezember wäre er 74 Jahre alt geworden.

Kuhna zählte zu den Künstlerpersönlichkeiten, die sich ausschließlich mit der Wirkung der Farbe auseinandersetzten. Seine Malerei besteht aus kleinteiligen Flecken, aus einem Gewirr einzelner Farbkleckse. In Düsseldorf ist seit vielen Jahren sein 320 Quadratmeter großes, monumentales Wandgemälde "Rivertime" am Altstadt-Rheinufer zu sehen. Im vergangenen Jahr wurde das im Laufe der Zeit durch Graffiti-Beschmierungen und die Sonneneinstrahlung stark beschädigte Werk für insgesamt 260.000 Euro saniert.

In jüngster Zeit setzte sich der schwer kranke Maler mit den Opern von Georg Friedrich Händel auseinander und hielt seine Impressionen davon in Bildern fest. Nach Angaben des Galeristen Alexander Fils galt das große Interesse des Künstlers dem weltberühmten Maler Vincent van Gogh. Zudem habe Kuhna sich auch für Fossilien begeistert.




Entwicklung

Pakistan im Griff einer unheiligen Allianz


Straßenszene am Stadtrand von Islamabad (Archivbild)
epd-bild/Friedrich Stark
Asia Bibi ist ein Opfer der Radikalisierung und der Machtpolitik in Pakistan. Obwohl ihr Todesurteil wegen Blasphemie aufgehoben ist, wird die Christin mit dem Tod bedroht. Ohne Rückhalt des Militärs kommt die Regierung nicht gegen die Islamisten an.

Sie kann weder lesen noch schreiben und stammt aus so armen Verhältnissen, dass ihr genaues Alter unklar ist. Wenn die Pakistanerin Asia Bibi vor fast zehn Jahren an einem heißen Junitag nicht aus dem falschen Glas getrunken hätte, hätte vermutlich niemand je von der mittellosen Christin gehört. Doch nun machen Islamisten gegen die etwa 50 Jahre alte Feldarbeiterin mobil und wollen sie lynchen, obwohl die Mutter von fünf Kindern freigesprochen wurde.

Das Oberste Gericht hob am 31. Oktober das Blasphemie-Todesurteil gegen Bibi auf. Sie war 2009 nach einem Dorfstreit um ein Glas Wasser wegen Gotteslästerung angezeigt und 2010 zum Tode verurteilt worden. Doch ihre Freilassung nach fast zehn Jahren Haft steht in den Sternen. Pakistans Regierung beugte sich dem Druck islamistischer Demonstranten, die tagelang randaliert hatten. Gegen Bibi sollte eine Ausreisesperre verhängt werden.

Federführend bei den Protesten ist Khadim Hussain Rizvi. Der Mullah, der im Rollstuhl sitzt, hat 2015 eine Partei gegründet, die nichts anderes zum Ziel hat, als Gotteslästerer an den Galgen zu bringen. Nach Bibis Freispruch zogen Tausende seiner Anhänger durch die Straßen, randalierten und plünderten. Sie riefen dazu auf, die verantwortlichen Richter und die Christin zu lynchen und die Regierung von Ministerpräsident Imran Khan zu stürzen.

Regierung unter Druck

Khan, der erst im August neu gewählt wurde, ist ohnehin unter Druck: Er muss auch die Zahlungsunfähigkeit des Landes abwenden, das in einer schweren Wirtschaftskrise steckt. Pakistans mächtiges Militär gibt sich bewusst neutral und liefert die Regierung so ans Messer der religiösen Fanatiker. Denn ohne Rückhalt des Armeechefs hat Khan kaum Möglichkeiten, seinerseits Druck zu machen.

Die Armee wiederum hat wenig Interesse, die Islamisten zum Schweigen zu bringen. Sie führen einen Stellvertreterkampf, ohne dass sich die Generäle die Hände schmutzig machen müssen: ob gegen den Erzfeind Indien oder zugunsten der radikalen Kräfte in Afghanistan, die Islamisten sind vielfältig einsetzbar - auch innenpolitisch. Für das pakistanische Militär ist nur eine schwache Regierung eine gute Regierung.

Diese unheilige Allianz zwischen Militär und den religiösen Extremisten geht einher mit einer Radikalisierung des Landes. Die Islamisierung einer einstmals liberalen Gesellschaft und das wachsende Netz islamischer Aufständischer erzeugen ein Klima der Angst und Verfolgung. Zielscheibe sind religiöse Minderheiten, wie Schiiten und Christen, aber auch Menschen mit liberalen Ansichten, die den Zorn der Islamisten auf sich ziehen.

Ein Beispiel für diese Entwicklung sind die Blasphemie-Gesetze. Ursprünglich in britischer Kolonialzeit zum Schutz des Christentums vor Beleidigungen erlassen, wurden sie nach der Unabhängigkeit der islamischen Republik Pakistan 1947 zum Werkzeug, um religiöse Minderheiten, liberale Geister und unbequeme Denker zu verfolgen.

Mit der ersten Radikalisierungswelle in den 80er Jahren begann ein Anstieg der Verurteilungen wegen Blasphemie: Bis 1986 wurden in Pakistan nur 14 Blasphemie-Urteile gefällt, seither sind um die 1.300 Menschen wegen Gotteslästerung verurteilt worden. Überdurchschnittlich häufig gehörten sie religiösen Minderheiten an.

Facebook durchkämmt

Die Gesetze sind nicht nur harsch, sondern auch vage: Immer wieder stellt der Nachweis von Blasphemie ein Problem dar, da schon eine Erörterung, ob ein Akt oder Ausspruch Gotteslästerung ist oder nicht, wegen der Gefahr der Gotteslästerung nicht statthaft ist. Im Jahr 2015 musste sich sogar ein Gericht mit der Frage befassen, ob Kritik an den Blasphemie-Gesetzen bereits Blasphemie darstellt. Die Regierung durchkämmt inzwischen auch Facebook nach möglichen Verstößen.

Bereits der Vorwurf der Gotteslästerung bedeutet Lebensgefahr. Immer wieder kommt es in solchen Fällen zu Lynchjustiz und Rachemorden. Im April 2017 wurde der Student Mashal Khan von Kommilitonen auf dem Universitätscampus in der Stadt Mardan gelyncht, weil er angeblich liberale Ansichten vertrat und nicht zum traditionellen Freitagsgebet ging.

Auf Bibi sind im Gefängnis zwei Anschläge vereitelt worden. Alle Versuche, die Blasphemie-Gesetze zu ändern, scheiterten stets am Widerstand religiöser Hardliner, denen das Gesetz als Mittel dient, ihre Anhänger zu mobilisieren. Bibi ist ein Opfer dieser Politik. Auf Druck des Dorfgeistlichen hatten sich prompt "Zeugen" gefunden, die gehört haben wollen, dass Bibi schlecht über den Propheten Mohammed gesprochen haben soll. Bibi wurde daraufhin verprügelt und angezeigt. Auch nach ihrem Freispruch wird sie von islamistischen Hass-Predigern bedroht.

Agnes Tandler (epd)


FDP-Politikerin: Asia Bibi nach Deutschland holen

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), hat die Bundesregierung aufgefordert, die pakistanische Christin Asia Bibi nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis nach Deutschland zu holen. Bibis Leben hänge "am seidenen Faden", sagte Jensen dem Berliner "Tagesspiegel" (12. November). Die Bundesregierung müsse alle diplomatischen Hebel in Bewegung setzen, ihr Leben zu schützen.

Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es dazu: "Wir sind mit der pakistanischen Regierung und unseren Partnern im Gespräch. Für uns steht der Schutz von Asia Bibi und ihrer Familie im Vordergrund." Eine Reihe von europäischen Ländern wären gegenüber einer Aufnahme von Asia Bibi aufgeschlossen, sollte sie Pakistan verlassen können und wollen. Dazu gehöre selbstverständlich auch Deutschland, hieß es weiter.

Streit um ein Glas Wasser

Die 2010 in Pakistan wegen Blasphemie zum Tode verurteilte Katholikin war vom Obersten Gericht am 31. Oktober überraschend freigesprochen worden. Gegen ihren Freispruch gab es gewaltsame Proteste im Land. Bibi wurde nach Angaben der Regierung an einem nicht genannten Ort "sicher" untergebracht. Ihr Anwalt Saif-ul-Malook sagte der "Bild am Sonntag": "Meine Mandantin wäre glücklich, wenn sie mit ihrer Familie nach Deutschland ausreisen könnte."

Die fünffache Mutter war 2009 nach einem Dorfstreit um ein Glas Wasser wegen Gotteslästerung angezeigt worden. Ein Gericht verurteilte sie 2010 zum Tode. In dem islamischen Land mit 200 Millionen Einwohnern machen Christen knapp zwei Prozent der Bevölkerung aus.



Menschenrechtler fordern höhere Löhne in Textilindustrie in Asien


Ruine des Rana-Plaza-Gebäudes im Juni 2013
epd-bild / Gordon Welters / Medico International

Menschenrechtler fordern existenzsichernde Löhne in der Textilindustrie in Asien. "In Myanmar, Kambodscha, Indonesien und Bangladesch sind freie Gewerkschaften starker Repression ausgesetzt", sagte Berndt Hinzmann vom Inkota-Netzwerk dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 6. November in Berlin. Unternehmen wie H&M oder Tchibo, die sich im Textilbündnis auf bessere Arbeitsbedingungen verpflichtet haben, müssten sich für Gewerkschaften und Tarifverträge einsetzen. Die Konzerne müssten ihre Einkaufsmacht nutzen, um bei ihren Lieferanten in Asien Bedingungen zu stellen.

Hinzmann verwies auf Kambodscha, wo umgerechnet 200 Euro Monatslohn nötig seien, um über die Runden zu kommen. Bezahlt würden häufig aber weniger als 100 Euro. Hinzmann forderte ehrliche Tarifverhandlungen mit dem Ziel, Flächentarifverträge abzuschließen. Die Unternehmen hätten zwar Zusagen gemacht, aber nicht in die Praxis umgesetzt. Nach Angaben von Inkota werden Gewerkschafterinnen häufig unter Druck gesetzt und entlassen.

Fabrikeinsturz in Bangladesch

Das Bündnis für nachhaltige Textilien entstand 2014 auf Initiative von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) in Reaktion auf den Einsturz der Rana-Plaza-Fabrik im April 2013 in Bangladesch, bei dem mehr als 1.000 Näherinnen und andere Arbeiter starben. Ziel ist, soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen in der gesamten Lieferkette zu erreichen. Unter den rund 130 Mitgliedern im Textilbündnis sind neben Unternehmen und Branchenverbänden auch 19 Hilfswerke und Menschenrechtsorganisationen.



Mosambik: Afrikas längste Hängebrücke eröffnet


Maputo-Katembe-Brücke in Mosambik
epd-bild/Stefan Ehlert

In Mosambiks Hauptstadt Maputo hat Staatschef Filipe Nyusi am 10. November die längste Hängebrücke Afrikas eröffnet, die "Ponte Maputo-Katembe". Er nannte sie bei einem Festakt mit 3.000 geladenen Gästen "einen Korridor der Entwicklung" und "ein Zeichen für den sozialen und ökonomischen Fortschritt" des Landes. Ihre Einweihung sei "ein historischer Moment in der Geschichte Mosambiks".

Die spektakuläre Hängekonstruktion überbrückt die Bucht vor Maputo, sie soll den Fährverkehr nach Katembe ablösen und die Reisezeit nach Südafrika und Swasiland um mehrere Stunden verkürzen. Das in 60 Metern Höhe frei hängende Mittelstück der vierspurigen Brücke ist 680 Meter lang, die tragenden Pfeiler sind 100 Meter tief im Boden verankert und überragen den Hafen um 140 Meter. Das insgesamt drei Kilometer lange Bauwerk gilt schon heute als neues Wahrzeichen Maputos.

Chinesische Unternehmen

Die Eröffnung nach mehr als vier Jahren Bauzeit wurde mit Gebeten und Sprechchören, mit Tänzen und Reden begangen. Minister, Honoratioren der Stadt und Diplomaten zählten zu den Teilnehmern. Inklusive Rampen und weiterführenden Straßen hat der Bau rund 660 Millionen Euro gekostet. Gebaut wurde die Brücke von chinesischen Unternehmen auf der Basis von Krediten.

Kritiker bemängeln, dass Mosambik als eines der ärmsten Länder der Welt sich solche Prestigebauten nicht leisten könne und dass die Brücke von der Mehrheit der Verkehrsteilnehmer, den Fußgängern, nicht benutzt werden dürfe. Investitionen in den Bereichen Gesundheit, Bildung oder Trinkwasser seien vorrangig. Zu Unterhalt und Refinanzierung der Brücke sollen Mautgebühren zwischen umgerechnet 1,87 und 20 Euro je Passage beitragen. Busse und Sammeltaxen zahlen weniger.



Friedensnobelpreisträger startet Kampagne gegen Kinderarbeit


Start der Kampagne "100 Million" gegen Kinderarbeit
epd-bild / Christian Ditsch

Mit Unterstützung zahlreicher Politiker und Hilfsorganisationen startet Friedensnobelpreisträger Kailash Satyarthi eine weltweite Kampagne gegen Kinderarbeit. In Berlin stellten am 7. November Jugendliche, das Hilfswerk Brot für die Welt und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) die Initiative "100 Million" Bundestagsabgeordneten vor. Die Kampagne will sich als internationale Bewegung dafür einsetzen, dass alle jungen Menschen auf der Welt in Freiheit und Sicherheit leben und von Bildung profitieren können. Schätzungen zufolge leiden deutlich mehr als 100 Millionen Kinder und Jugendliche unter ausbeuterischer Kinderarbeit.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sprach sich für einen gemeinsamen Antrag mehrerer Parteien im Bundestag zu dem Thema aus. Dies wäre ein parteiübergreifendes Signal, sagte er mit Blick auf die Vertreter verschiedener Fraktionen, die ebenfalls an der Veranstaltung zum Start der Kampagne teilnahmen. Neben Müller waren unter anderen die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), vertreten sowie Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (Grüne), die Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, Gyde Jensen (FDP), und Stefan Liebich (Die Linke), Obmann im Auswärtigen Ausschuss. Jensen schlug eine Aktuelle Stunde zu Kinderarbeit Ende November im Parlament vor.

In der Tradition Ghandis

In der Kampagne sind aber die Jugendlichen federführend tätig, die ab Mitte November in Aktionsgruppen Forderungen ausarbeiten, mit denen sie weltweit Entscheidungsträger konfrontieren. In Deutschland wollen Jugendgruppen und Schulklassen gemeinsam mit Bundestagsabgeordneten ihrer Wahlkreise Veranstaltungen organisieren, um ein öffentliches Bewusstsein für Kinderausbeutung zu erzeugen. Sie fordern ein UN-Abkommen, dass die Verantwortung von Konzernen festhält und sehen auch Parlament und Bundesregierung in der Pflicht.

Satyarthi kämpft seit Jahren mit Fußmärschen und friedlichen Demonstrationen in der Tradition des Freiheitshelden Mahatma Gandhi gegen Kinderarbeit. Der Elektroingenieur rettete Tausende Kinder aus Schuldknechtschaft, die unter grausamen Bedingungen in Fabriken und Steinbrüchen in Zwangsarbeit ausgebeutet wurden. Für sein Engagement wurde er 2014 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.



Bundestag plant Hilfen für Opfer der Colonia Dignidad

Sie mussten Zwangsarbeit, Folter und Missbrauch erdulden - jetzt soll den Opfern der ehemaligen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile mit Geld aus Deutschland geholfen werden.

Der Bundestag will Opfern der von einem Deutschen gegründeten ehemaligen Sektensiedlung Colonia Dignidad in Chile mit Geldzahlungen helfen. Der Haushaltsausschuss des Bundestags beschloss in der Nacht zum 9. November, dafür im Etat 2019 eine Million Euro vorzusehen. Der Betrag sei mit einem Sperrvermerk versehen, bis ein Hilfskonzept erarbeitet sei, teilte der menschenrechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Michael Brand (CDU), dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit. Zuvor hatte das Nachrichtenmagazin "Spiegel" über das Bereitstellen der Summe berichtet.

"Das war ein harter Kampf. Ich bin froh, dass dieses so wichtige Ziel jetzt erreicht werden konnte", sagte Brand dem epd. "Die Opfer von Zwangsarbeit, Folter und Missbrauch brauchen konkrete Unterstützung." Nach Brands Angaben hatte das Auswärtige Amt bisher direkte Zahlungen abgelehnt. Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales, Matthias Bartke (SPD), sagte: "Die schrecklichen Verbrechen in der Colonia Dignidad konnten nur geschehen, weil die deutsche Botschaft in Chile seinerzeit trotz vieler Hilferufe nicht eingeschritten ist." Daraus resultiere eine deutsche Verantwortung.

Folterlager unter der Pinochet-Diktatur

Eine Kommission aus Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen und Vertretern der Bundesregierung arbeitet seit Anfang Oktober an einem Hilfskonzept für die Opfer der Colonia Dignidad. Bis zum Sommer 2019 soll das Konzept vorliegen, wie Brand und Bartke betonten. Anfang Oktober hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der chilenische Präsident Sebastián Piñera dafür ausgesprochen, die Aufarbeitung der Verbrechen in der Colonia Dignidad fortzusetzen. Im Gespräch sind ein Dokumentationszentrum und eine Gedenkstätte. Die Bundesregierung schlug auch einen Hilfsfonds vor, etwa für psychosoziale Betreuung.

Die von dem Deutschen Paul Schäfer 1961 gegründete Colonia Dignidad diente unter der Pinochet-Diktatur (1973-1990) als Folterlager. Aber auch die rund 300 Bewohner erlitten Misshandlungen, mussten Zwangsarbeit leisten, wurden geschlagen und mit Medikamenten ruhiggestellt. Kinder wurden sexuell missbraucht. In Chile wurde die Führungsriege inzwischen zu Haftstrafen verurteilt. Heute heißt die Siedlung Villa Baviera und hat rund 100 Bewohner.

In Deutschland wurde noch kein Täter zur Rechenschaft gezogen. Der in Chile wegen Beihilfe zu Vergewaltigung verurteilte Sekten-Arzt Hartmut Hopp, der sich nach Deutschland abgesetzt hat, muss nicht ins Gefängnis. Das Oberlandesgericht Düsseldorf befand Ende September, dass das chilenische Urteil nicht ausreiche, um in Deutschland eine Strafbarkeit zu begründen.




Ausland

USA: Weiße Evangelikale bleiben Republikanern treu

Bei den US-Kongresswahlen haben die Glaubensgruppen sehr unterschiedlich abgestimmt. Laut Nachwahlbefragungen zu der Abstimmung vom 6. November wählten weiße evangelikale Christen erneut überwiegend republikanische Kandidaten.

Wie der Fernsehsender CNN berichtete, hätten drei Viertel der weißen evangelikalen Wähler republikanisch abgestimmt.

Rund die Hälfte der katholischen Wähler hätten Demokraten gewählt. Protestanten hätten zu 38 Prozent demokratisch und zu 61 Prozent republikanisch abgestimmt, jüdische Wähler zu 79 Prozent demokratisch und zu 17 Prozent republikanisch, Menschen ohne Religionszugehörigkeit zu 70 Prozent demokratisch und zu 28 Prozent republikanisch.

Hohe Wahlbeteiligung bei Evangelikalen

Die Befragung enthält keine Daten über das Wahlverhalten afro-amerikanischer Christen. Insgesamt hätten jedoch 90 Prozent der schwarzen Wähler bei Demokraten ihre Kreuze gemacht. Weiße hätten zu 54 Prozent republikanisch gewählt, weiße Männer zu 60 Prozent.

Nach Darstellung des Direktors vom "Public Religion Research Institute", Robert Jones, sind weiße Evangelikale offenbar sehr stark politisch engagiert. Sie stellten 26 Prozent der Wähler, obwohl sich nur 15 Prozent der US-Amerikaner als weiße evangelikale Protestanten identifizierten, sagte Jones.

2016 hatten bei der Präsidentenwahl rund 80 Prozent der weißen evangelikalen Wähler für Donald Trump gestimmt. Der konservative Verband "Faith and Freedom Coalition" erklärte am 7. November, die "Rekord-Wahlbeteiligung" bei Evangelikalen und gläubigen Menschen sei entscheidend gewesen für republikanische Erfolge am Wahltag.