Appelle zur Verteidigung der Demokratie, den Schutz der Menschenwürde und zum Kampf gegen Antisemitismus haben das Gedenken an die historischen Ereignisse geprägt, die mit dem Datum des 9. November verbunden sind. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stellte die Ausrufung der ersten deutschen Republik vor 100 Jahren in den Mittelpunkt einer Rede im Bundestag und warb für einen "aufgeklärten Patriotismus". Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bezeichnete die Erinnerung an die Novemberpogrome vor 80 Jahren als beständige Aufgabe, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Bei der zentralen Gedenkveranstaltung für die jüdischen Opfer des 9. November 1938 kritisierte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, "geistige Brandstifter" im Bundestag, ohne die AfD namentlich zu nennen.

Schuster sagte am Vormittag in der Berliner Synagoge Rykestraße: "Vor nichts haben sie Respekt. Sie instrumentalisieren die mutigen Widerstandkämpfer der Weißen Rose für ihre Zwecke. Sie verhöhnen die Opfer und Überlebenden der Schoah, indem sie die NS-Verbrechen relativieren. Sie betreiben Geschichtsklitterung und wollen unsere Gedenkkultur zerstören."

An der Gedenkveranstaltung nahmen Vertreter des Judentums, von Bundesregierung, Bundestag, Kirchen und Gesellschaft teil, darunter Bundespräsident Steinmeier und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU). Ausdrücklich nicht eingeladen hatte der Zentralrat der Juden als Hausherr Vertreter der AfD.

"Für Licht und für Schatten"

Zuvor hatte Steinmeier in einer Gedenkstunde des Bundestages betont, der 9. November 1918 markiere "den Durchbruch der parlamentarischen Demokratie". Er verdiene einen herausragenden Platz in der deutschen Erinnerungskultur. Zugleich sei der 9. November ein ambivalenter Tag, er stehe "für Licht und für Schatten". Die Novemberpogrome von 1938 markierten "den unvergleichlichen Bruch der Zivilisation", sie stünden "für den Absturz Deutschlands in die Barbarei". Die Verantwortung dafür kenne keinen Schlussstrich.

Vor 100 Jahren hatte der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Berliner Reichstagsgebäude aus die erste deutsche Republik ausgerufen. Am 9. November 1938 inszenierten die Nationalsozialisten die reichsweiten Pogrome gegen die Juden. Die gewaltsame Verfolgung und spätere Vernichtung der jüdischen Bevölkerung nahmen damit ihren Anfang. Mit der DDR-Grenzöffnung am 9. November 1989 wiederum wurde der friedlichen Vereinigung der beiden deutschen Staaten der Weg geebnet.

Ohne die AfD-Abgeordneten im Bundestag direkt anzusprechen, wandte sich Steinmeier gegen Nationalismus und die Herabsetzung demokratischer Spielregeln. Die Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold reklamierte er für die demokratischen Traditionen Deutschlands und betonte: "Wer heute Menschenrechte und Demokratie verächtlich macht, wer alten nationalistischen Hass wieder anfacht, der hat gewiss kein historisches Recht auf Schwarz-Rot-Gold." Dieser Satz wurde vom Großteil der Parlamentarier mit langanhaltendem Applaus bedacht, unter den AfD-Abgeordneten spendeten nur wenige Beifall.

Steinmeier warb für einen "aufgeklärten Patriotismus" anstelle eines "aggressiven Nationalismus". Diesem Patriotismus gehe es weder um Lorbeerkränze noch um Dornenkronen. "Er ist niemals laut und auftrumpfend - er ist ein Patriotismus mit leisen Tönen und mit gemischten Gefühlen."

"Unerwartetes Geschenk"

Merkel sagte in der Synagoge Rykestraße, als "unerwartetes Geschenk nach der Schoah" mit sechs Millionen ermordeten Juden gebe es heute wieder blühendes jüdisches Leben in Deutschland. Zugleich sei ein besorgniserregender Antisemitismus festzustellen, der sich zunehmend offen entlade: "Leider haben wir uns beinahe schon daran gewöhnt, dass jede jüdische Einrichtung von der Polizei besonders geschützt werden muss."

Bei einer Podiumsdiskussion am Donnerstagabend in Würzburg hatte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, gesagt, es "eine der großen Stärken unseres Landes", sich der dunklen Seiten der Geschichte zu stellen. Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sagte, Rechtsstaat und Demokratie seien keine Errungenschaften, die einmal erworben wurden und dann selbstverständlich sind. Die rechtsstaatliche Demokratie "war und ist eine gefährdete Staatsform", sagte der Münchner Erzbischof.