Sie kann weder lesen noch schreiben und stammt aus so armen Verhältnissen, dass ihr genaues Alter unklar ist. Wenn die Pakistanerin Asia Bibi vor fast zehn Jahren an einem heißen Junitag nicht aus dem falschen Glas getrunken hätte, hätte vermutlich niemand je von der mittellosen Christin gehört. Doch nun machen Islamisten gegen die etwa 50 Jahre alte Feldarbeiterin mobil und wollen sie lynchen, obwohl die Mutter von fünf Kindern freigesprochen wurde.

Das Oberste Gericht hob am 31. Oktober das Blasphemie-Todesurteil gegen Bibi auf. Sie war 2009 nach einem Dorfstreit um ein Glas Wasser wegen Gotteslästerung angezeigt und 2010 zum Tode verurteilt worden. Doch ihre Freilassung nach fast zehn Jahren Haft steht in den Sternen. Pakistans Regierung beugte sich dem Druck islamistischer Demonstranten, die tagelang randaliert hatten. Gegen Bibi sollte eine Ausreisesperre verhängt werden.

Federführend bei den Protesten ist Khadim Hussain Rizvi. Der Mullah, der im Rollstuhl sitzt, hat 2015 eine Partei gegründet, die nichts anderes zum Ziel hat, als Gotteslästerer an den Galgen zu bringen. Nach Bibis Freispruch zogen Tausende seiner Anhänger durch die Straßen, randalierten und plünderten. Sie riefen dazu auf, die verantwortlichen Richter und die Christin zu lynchen und die Regierung von Ministerpräsident Imran Khan zu stürzen.

Regierung unter Druck

Khan, der erst im August neu gewählt wurde, ist ohnehin unter Druck: Er muss auch die Zahlungsunfähigkeit des Landes abwenden, das in einer schweren Wirtschaftskrise steckt. Pakistans mächtiges Militär gibt sich bewusst neutral und liefert die Regierung so ans Messer der religiösen Fanatiker. Denn ohne Rückhalt des Armeechefs hat Khan kaum Möglichkeiten, seinerseits Druck zu machen.

Die Armee wiederum hat wenig Interesse, die Islamisten zum Schweigen zu bringen. Sie führen einen Stellvertreterkampf, ohne dass sich die Generäle die Hände schmutzig machen müssen: ob gegen den Erzfeind Indien oder zugunsten der radikalen Kräfte in Afghanistan, die Islamisten sind vielfältig einsetzbar - auch innenpolitisch. Für das pakistanische Militär ist nur eine schwache Regierung eine gute Regierung.

Diese unheilige Allianz zwischen Militär und den religiösen Extremisten geht einher mit einer Radikalisierung des Landes. Die Islamisierung einer einstmals liberalen Gesellschaft und das wachsende Netz islamischer Aufständischer erzeugen ein Klima der Angst und Verfolgung. Zielscheibe sind religiöse Minderheiten, wie Schiiten und Christen, aber auch Menschen mit liberalen Ansichten, die den Zorn der Islamisten auf sich ziehen.

Ein Beispiel für diese Entwicklung sind die Blasphemie-Gesetze. Ursprünglich in britischer Kolonialzeit zum Schutz des Christentums vor Beleidigungen erlassen, wurden sie nach der Unabhängigkeit der islamischen Republik Pakistan 1947 zum Werkzeug, um religiöse Minderheiten, liberale Geister und unbequeme Denker zu verfolgen.

Mit der ersten Radikalisierungswelle in den 80er Jahren begann ein Anstieg der Verurteilungen wegen Blasphemie: Bis 1986 wurden in Pakistan nur 14 Blasphemie-Urteile gefällt, seither sind um die 1.300 Menschen wegen Gotteslästerung verurteilt worden. Überdurchschnittlich häufig gehörten sie religiösen Minderheiten an.

Facebook durchkämmt

Die Gesetze sind nicht nur harsch, sondern auch vage: Immer wieder stellt der Nachweis von Blasphemie ein Problem dar, da schon eine Erörterung, ob ein Akt oder Ausspruch Gotteslästerung ist oder nicht, wegen der Gefahr der Gotteslästerung nicht statthaft ist. Im Jahr 2015 musste sich sogar ein Gericht mit der Frage befassen, ob Kritik an den Blasphemie-Gesetzen bereits Blasphemie darstellt. Die Regierung durchkämmt inzwischen auch Facebook nach möglichen Verstößen.

Bereits der Vorwurf der Gotteslästerung bedeutet Lebensgefahr. Immer wieder kommt es in solchen Fällen zu Lynchjustiz und Rachemorden. Im April 2017 wurde der Student Mashal Khan von Kommilitonen auf dem Universitätscampus in der Stadt Mardan gelyncht, weil er angeblich liberale Ansichten vertrat und nicht zum traditionellen Freitagsgebet ging.

Auf Bibi sind im Gefängnis zwei Anschläge vereitelt worden. Alle Versuche, die Blasphemie-Gesetze zu ändern, scheiterten stets am Widerstand religiöser Hardliner, denen das Gesetz als Mittel dient, ihre Anhänger zu mobilisieren. Bibi ist ein Opfer dieser Politik. Auf Druck des Dorfgeistlichen hatten sich prompt "Zeugen" gefunden, die gehört haben wollen, dass Bibi schlecht über den Propheten Mohammed gesprochen haben soll. Bibi wurde daraufhin verprügelt und angezeigt. Auch nach ihrem Freispruch wird sie von islamistischen Hass-Predigern bedroht.