Kirchen

Missbrauch: Göring-Eckardt fordert Reform der Kirchenstruktur




Katrin Göring-Eckardt
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Die Vielzahl der Landeskirchen gehe "nicht zuletzt auch zulasten der Betroffenen sexualisierter Gewalt", sagt die ehemalige EKD-Synodenpräses: "Wir müssen unsere kirchlichen Strukturen verschlanken."

Berlin (epd). Als Reaktion auf die Ergebnisse der Studie über sexualisierte Gewalt und den Umgang damit in der evangelischen Kirche fordert die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt Strukturreformen bei den Protestanten. Es sei für die Betroffenen „nichts anderes als brutal“, dass es durch die vielen Landeskirchen keine Einheitlichkeit etwa bei der Aufarbeitung gebe, sagt Göring-Eckardt, die der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angehört, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie fordert: „Wir müssen unsere kirchlichen Strukturen verschlanken.“

epd: Nach der Veröffentlichung der Studie über Ausmaß und Risikofaktoren sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche (ForuM) ist viel die Rede davon, das Bild der mutmaßlich „besseren Kirche“ sei erschüttert. Sie gehören der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an. Gilt das auch für Sie?

Göring-Eckardt: Ja, klar. Wir sind nicht „besser“ als die katholische Kirche. Auch nicht sicherer als andere Gesellschaftsbereiche. Die Studie hatte auch die Ehrenamtlichen einbezogen. Herausgekommen ist allerdings eindeutig: Es waren fast ausschließlich Männer Täter. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kirche ein sicherer Ort ist. Im Pfarrhaus, in der Kirche und erst recht in der ehrenamtlichen Jugendarbeit.

epd: Die Diskussion nach der Vorstellung der Studie drehte sich zunächst mehr um die Kritik der Forscher an mangelnden Informationen und „schleppender Zuarbeit“ der Landeskirchen. Sind Sie darüber verärgert?

Göring-Eckardt: Ja, zugleich habe ich inzwischen mit einigen sprechen können, die gesagt haben, sie hätten es durchaus geschafft, auch alle Personalakten und nicht nur die Disziplinarakten anzuschauen oder das auch getan haben. Weil es einige nicht schaffen konnten, wurde die Untersuchung aber auf Disziplinarakten beschränkt. Die Kritik daran ist natürlich für diejenigen frustrierend, die sehr viel Arbeit reingesteckt haben, um es zu schaffen. Das zeigt aber nur nochmal eines: Unsere Strukturen sind nicht gut dafür, es fehlt uns ein einheitliches Vorgehen.

epd: Das heißt?

Göring-Eckardt: Wir diskutieren seit Jahren darüber, dass wir mehr zentrale Strukturen brauchen, gerade in Verwaltungs- und Gesetzesfragen. Wir haben auch darüber geredet, ob man weitere Landeskirchen zusammenlegen muss. Da sind viele dann schnell mit Ausreden zur Stelle, und die wirklich großen Reformen bleiben aus. In diesem Fall ist es für die Betroffenen von sexualisierter Gewalt nichts anderes als brutal, dass es keine Einheitlichkeit gibt. Ich bin froh, dass es jetzt die gemeinsame Verabredung zwischen der unabhängigen Missbrauchsbeauftragten mit der EKD und den Landeskirchen zu Standards der Aufarbeitung gibt. Trotzdem sind es dann immer noch neun verschiedene Gruppen, die sich damit beschäftigen.

epd: Sie meinen die regionalen Verbünde, zu denen sich die Landeskirchen und diakonischen Verbände laut der Vereinbarung zusammenschließen wollen, um über weitere Aufarbeitung, aber auch einheitliche Entschädigungsverfahren zu beraten. Denken Sie, das ist zum Scheitern verurteilt?

Göring-Eckardt: Nein, das ist das Maß an Vereinheitlichung, das jetzt möglich ist. Ich finde nur, wir sollten dabei nicht stehen bleiben. Die größeren Reformen dürfen nicht liegen bleiben. Bisher haben wir immer gedacht, die Vielzahl der Landeskirchen ist nur eine Frage unserer innerkirchlichen Verfassung. Aber jetzt stellt die ForuM-Studie fest: Das geht nicht zuletzt auch zulasten der Betroffenen sexualisierter Gewalt, weil die Verantwortung in unseren vielen Gremien diffundiert. Also: Wir müssen unsere kirchlichen Strukturen verschlanken. Das legt im Übrigen ja auch die jüngste Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung nahe.

epd: Welche Anzahl von Landeskirchen hielten Sie für angemessen?

Göring-Eckardt: Es gab ja schon einmal den Vorschlag, die Zahl der Landeskirchen an den Bundesländern zu orientieren. Mir geht es aber gar nicht so sehr um die Anzahl der Landeskirchen, sondern vielmehr um Strukturen in einer Größe, sodass sie wirklich funktionieren. Zudem schafft Verbindlichkeit an zentraler Stelle mehr Freiheit auf anderen Ebenen, beispielsweise in den Kirchenkreisen und Gemeinden. Ich weiß nicht, wie viel Prozent der Arbeit Pfarrerinnen und Pfarrer in Gremienarbeit stecken. Zu viel ist es definitiv. Wir müssen Gemeinden und kirchliche Orte sehr viel stärker entlasten, damit sie Luft haben, gute Arbeit im Sinne der Menschen zu machen. Trost und Zuversicht werden schließlich mehr denn je gebraucht, auch über unsere Mitgliedschaft hinaus.

epd: Was konkret hilft es aber den Betroffenen von Missbrauch, wenn die evangelische Kirche jetzt anfängt, über ihre Struktur zu debattieren?

Göring-Eckardt: Perspektivisch sehr viel. Die Studie hat gezeigt, dass die Betroffenen nicht nur durch konkrete Personen, sondern auch durch Strukturen gelitten haben. Und zwar doppelt. Die Strukturen haben Gewalt begünstigt und die Aufarbeitung schwer gemacht. Mit einer zentralen Struktur ist beispielsweise die Kommunikation für die Betroffenen einfacher. Sie müssen wissen: Wen können wir ansprechen? Wie ist diese Stelle erreichbar? Das ist zentral sehr viel einfacher.

epd: Die Betroffenen dringen vor allem auch auf einheitliche kirchliche Zahlungen, die sogenannten Anerkennungsleistungen. Das kann für die evangelische Kirche in Zeiten sinkender Mittel eine große finanzielle Herausforderung werden. Wie schwierig wird diese Debatte?

Göring-Eckardt: Es geht jetzt doch ganz grundsätzlich darum, ob wir wieder glaubwürdig sind. Also, trotz aller notwendigen und schwierigen Debatten: Die Betroffenen haben Priorität. Natürlich werden wir jetzt eine harte Debatte haben, weil wir eigene Verfehlungen aufarbeiten. Und weil wir andere Dinge nicht machen können. Aber da müssen wir durch und dürfen uns nicht wegducken.

epd: Noch eine Frage zum Handeln des Staates beim Thema Missbrauch: Die Ampel-Koalition wollte unter anderem die Missbrauchsbeauftragte durch eine gesetzliche Grundlage stärken. Passiert das noch?

Göring-Eckardt: Das Gesetz befindet sich in der Ressortabstimmung. Die Veröffentlichung der ForuM-Studie hat noch einmal klargemacht, dies zu priorisieren. Ich gehe davon aus, dass wir das in dieser Legislaturperiode gut hinbekommen. Aber nochmal ganz unmissverständlich: Das entbindet die Kirchen nicht, die eigenen Strukturen aufzuarbeiten. Die Kirchen müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und der Staat seine.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Kirchen-Chefjuristin fordert mehr Prävention gegen Missbrauch




Viola Vogel
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Der Missbrauch Minderjähriger in den eigenen Reihen wühlt die evangelische Kirche auf. Konsistorialpräsidentin Viola Vogel ruft Betroffene auf, sich zu melden: Jedem Hinweis werde nachgegangen.

Berlin (epd). Der Missbrauch Minderjähriger in den eigenen Reihen wühlt die evangelische Kirche auf. Konsistorialpräsidentin Viola Vogel ruft Betroffene auf, sich zu melden. Jedem Hinweis werde nachgegangen, sagte die Chefjuristin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: In der Ende Januar vorgestellten Studie zum Missbrauch Minderjähriger in der evangelischen Kirche zwischen 1946 und 2020 wird davon ausgegangen, dass die ermittelten Zahlen nur die „Spitze der Spitze des Eisbergs“ sind. Was hat die Landeskirche bisher unternommen, um einen vollständigen Überblick zu bekommen?

Viola Vogel: Wir sind erst einmal sehr froh, dass es die ForuM-Studie jetzt gibt, die die Betroffenen in den Mittelpunkt stellt und auf deren Grundlage wir die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in unserer Kirche weiter voranbringen können. Wir haben für die Studie das zugeliefert, was das Forschungsdesign gefordert hat. Dort standen Pfarrpersonen im Vordergrund. Wir haben dazu alle Disziplinarakten und die dazu gehörenden Personalakten ausgewertet und sämtliche Beschwerdeakten zu Pfarrpersonen geprüft. Wir haben insgesamt 40.000 Akten zu Pfarrpersonen, Kirchenbeamten und sonstigen Beschäftigen in unseren Archiven, etwa 22.000 Personalakten betreffen Pfarrer und Pfarrerinnen. Die Akten betreffen also ganz verschiedene Berufsgruppen, die nicht alle im Fokus der Studie standen. Das wäre das Gesamtspektrum, wenn man alles auswerten will.

epd: Was haben Sie jetzt mit diesen 40.000 Akten vor?

Vogel: Wir sind derzeit in der absoluten Erstauswertung der Studie, zu der wir 41 Beschuldigte und 116 Betroffene sexualisierter Gewalt ermittelt haben. In unserem Bereich ist das das Hellfeld. Wir wollen natürlich auch das Dunkelfeld so hell wie möglich machen. Die Wahrheit muss auf den Tisch, und wir müssen es schaffen, dass wir dort auch weiterkommen. Allerdings sind uns die Hände in gewissem Sinne auch gebunden.

epd: Inwiefern?

Vogel: Zum Beispiel sind nicht alle Akten vollständig, weil etwa Passagen in manchen Fällen wieder entfernt werden können. Bei einer Aufarbeitung von so vielen Jahrzehnten sind natürlich auch viele Betroffene und Täter schon verstorben. Eine Aufarbeitung unter Einbeziehung Betroffener ist deshalb nur für einen gewissen Zeitraum möglich. Und da muss bedacht werden, dass sich Betroffene mitunter 20, 30 Jahre nicht zu ihrem Missbrauch äußern können, weil sie es nicht verkraften. Wir hoffen, dass sich Betroffene, die noch leben, bei uns melden.

epd: Was für neue Erkenntnisse erwarten Sie im Fall einer umfassenden Auswertung der Aktenbestände?

Vogel: Was die Erwartung eines vollständigen Überblicks betrifft, da wäre ich sehr vorsichtig. Mein Eindruck aus der Aktenkenntnis ist, dass sexualisierte Gewalt in strafrechtlich relevantem Ausmaß nicht unbedingt jeden Fall betrifft und dass auch nicht immer alles genau vermerkt wurde. Natürlich gibt es Hinweise auch in diesen Akten, aber kaum detailliert. Vollständigkeit ist also, obwohl sie zu wünschen wäre, nicht möglich.

epd: Wie könnten die Akten bei der Aufklärung weiterhelfen?

Vogel: Jeder Betroffene, der sich bei uns meldet, muss gehört werden. Und dann werden wir alles tun, um die dazu vorliegenden Akten zu finden. Das ist aus meiner Sicht die wichtige Botschaft. Die Erwartungen an eine vollständige Personalaktenüberprüfung, die man sicherlich machen kann, sind im Moment etwas überhöht. Auch wenn wir das machen würden und dafür Mittel zur Verfügung stellen, würden wir nicht die Erkenntnisse daraus gewinnen können, die man sich zum jetzigen Zeitpunkt davon erhofft. Ich würde vorsichtig wagen zu sagen, dass wir mit den 41 Beschuldigten und 116 Betroffenen die schlimmsten Fälle sexualisierter Gewalt der vergangenen 100 Jahre auch wirklich identifiziert haben. Ich schließe natürlich nicht aus, dass auch noch der 43. oder 45. Fall aufgedeckt wird, der bisher noch nicht bekannt war. Wir tun alles, dass noch mehr aufgeklärt werden kann. Wir sind jedem dankbar, der Kenntnis von einem Fall von sexualisierter Gewalt hat und sich meldet.

epd: Sind nach 2020 weitere Missbrauchsfälle in der Landeskirche bekannt geworden?

Vogel: Ja, das liegt im unteren einstelligen Bereich. Ich erwarte aber, dass das nicht die abschließende Zahl ist. Hoffentlich führen die Studie und die Diskussion darüber dazu, dass sich weitere Betroffene melden.

epd: Wie können Betroffene Unterstützung bekommen?

Vogel: Für uns gilt „hören, hinsehen, handeln“, es geht um Aufarbeitung, Hilfe und Prävention. Wir haben seit 2019 eine klare Struktur dafür. Es gibt eine Anerkennungskommission, die Unterstützungsleistungen bis zu 50.000 Euro vergeben kann. Dort wurden seit 2019 rund 220.000 Euro an 20 Menschen gezahlt. Da geht es auch um psychologische Beratung und Hilfen im Umgang mit Traumata. Wir haben die Landeskirchliche Beauftragte für den Umgang mit sexualisierter Gewalt. Und es gibt eine unabhängige Ansprechperson, bei der anonym Meldungen eingehen. Informationen werden nur an uns weitergeleitet, wenn Betroffene das wünschen.

epd: Was für Konsequenzen werden jetzt aus der Studie gezogen?

Vogel: Es wird eine unabhängige regionale Aufarbeitungskommission gemeinsam mit der Nordkirche und den beiden Diakonischen Werken geben, die wird in diesem Jahr gebildet. Dort wird auch Prävention zum Thema gemacht. Wir hoffen sehr, dass sich Betroffene beteiligen und laden deswegen zu Betroffenenforen ein. Wie die Beteiligung aussehen soll, steht aber noch nicht fest. Ich denke, erste Leitlinien könnten Anfang März festgelegt werden.

epd: Was halten Sie noch für erforderlich?

Vogel: In der evangelischen Kirche verjähren derzeit Delikte mit Blick auf Disziplinarmaßnahmen in der Regel innerhalb von vier Jahren. Das ist schwierig, weil Betroffene oft erst nach Jahren die Kraft finden, über den erlittenen Missbrauch zu sprechen. Das ist eine der Stellschrauben, es könnten längere Fristen für Disziplinarverfahren eingeführt werden. Darüber müssen wir reden. Die innerkirchlichen Sanktionen reichen vom Verweis über Geldbußen, Versetzungen in den Wartestand oder Ruhestand, Kürzungen der Bezüge bis hin zu Entlassungen, je nach Schwere des Delikts. Einige Fälle, die wir haben, sind so furchtbar, dass ich jedem und jeder Betroffenen am liebsten sofort ermöglichen würde, zu klagen, egal wie lange es her ist.

Es ist absolut wichtig, dass das Thema oberste Priorität behält und nicht zu einem Thema unter vielen wird. Die Prävention muss ausgebaut werden. In der Landeskirche sollten dafür mehr finanzielle Ressourcen bereitgestellt werden. Die Beauftragte sollte statt einer halben eine volle Stelle bekommen, auch die Geschäftsstellen der Beauftragten und der Anerkennungskommission sollten gestärkt werden. Hier sind wir als Konsistorium mit der Kirchenleitung und der Synode im Gespräch.

epd: Was für Entschädigungszahlungen für Betroffene halten Sie für angemessen?

Vogel: Die Entschädigung in Geld ist nur eine Form der Anerkennung. Aber ich würde vorsichtig sein, vorschnell mit Geld die Schuld zuschütten zu wollen. Das kann nur ein Strang sein, in welcher Höhe auch immer. Ich würde auch nicht sagen, ab 100.000 Euro ist es dann wirklich gesühnt. Das sind schwierige Diskussionen. Ich finde es wichtig, dass die Betroffenen die Kirche als lernende Institution erleben, die nicht erneut verletzt, indem sie weghört und abwiegelt. Hier müssen wir uns als Kirche grundlegend verändern. Die Studie und ihre Ergebnisse werden jetzt intensiv besprochen. Wir werden daraus Maßnahmen entwickeln, die sicherstellen sollen, dass Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt minimiert und Betroffene in unserer Kirche in größerem Maße als bisher gehört und unterstützt werden.

epd-Gespräch: Yvonne Jennerjahn


EKD und Diakonie beraten über Folgen aus der Missbrauchstudie



Die evangelische Kirche berät im Beteiligungsforum über Konsequenzen aus der Missbrauchsstudie. Betroffene fordern, das Thema müsse bis in alle Gemeinden hineingetragen werden. Eine Sondersynode soll es indes nicht geben.

Frankfurt a.M. (epd). Die evangelische Kirche und die Diakonie beraten über Konsequenzen und Empfehlungen aus der Ende Januar veröffentlichten unabhängigen Missbrauchsstudie. Am 18. Februar kam das zuständige Gremium, das Beteiligungsforum sexualisierte Gewalt, in Hannover zusammen. Das Gremium soll die Ergebnisse der Studie zentral auswerten und übergreifende Handlungsvorschläge für die 20 evangelischen Landeskirchen und Diakonie-Landesverbände unterbreiten.

Der Sprecher der Betroffenen in der evangelischen Kirche, Detlev Zander, erklärte vor dem Treffen, das Thema Missbrauch sei nach seinem Eindruck ziemlich schnell öffentlich von der Bildfläche verschwunden. „Mir fehlt der Aufschrei“, sagte Zander dem Evangelischen Pressedienst (epd) gut drei Wochen nach Vorstellung der sogenannten ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie.

Reform des Disziplinarrechts

Das Thema Missbrauch sollte seiner Ansicht nach in alle evangelischen Kirchengemeinden hineingetragen werden. Der Sprecher der Betroffenen im Beteiligungsforum betonte, es gehe um berechtigte Anliegen von Betroffenen bezüglich Aufarbeitung und etwa der Zahlung von Anerkennungsleistungen. Das Beteiligungsforum berät derzeit unter anderem über eine Reform des Disziplinarrechts von Pfarrern und kirchlichen Angestellten und über die Neuordnung der Anerkennungsleistungen. Bis zum 19. Februar tagen die 17 ständigen Mitglieder des Gremiums in Hannover.

Am 25. Januar hatte der unabhängige Forschungsverbund ForuM im Auftrag der EKD und der Diakonie eine Studie über Risikofaktoren und Ausmaß sexualisierter Gewalt vorgestellt. Die Forschung fand Hinweise auf mindestens 2.225 Betroffene und mindestens 1.259 mutmaßliche Täter, die tatsächliche Zahl der Betroffenen dürfte der Einschätzung zufolge deutlich höher liegen. Zudem attestierten die Forschenden eine „Verantwortungsdiffusion“, ein problematisches Amtsverständnis bei Pfarrern und die Diskreditierung von Betroffenen, die die Gewalt gegen sie öffentlich machten.

Heinrich: Synoden-Sondertagung nicht sinnvoll

Die Präses der EKD-Synode, Anna-Nicole Heinrich, hält indes eine Sondertagung der EKD-Synode nicht für sinnvoll. Zunächst müssten im Beteiligungsforum so schnell wie möglich und so sorgfältig wie nötig Maßnahmen aus der Studie und ihren Empfehlungen abgeleitet werden, sagte sie der „Welt am Sonntag“. Diese würden dann der Synode, die regulär im November tagt, vorgelegt. Das Beteiligungsforum sei der „zentrale Ort für die Weiterarbeit mit der ForuM-Studie“, sagte Heinrich, die als Präses ebenfalls dem Beteiligungsforum angehört. Dies entspreche dem verabredeten Verfahren.

Die bayerische Diakonie-Präsidentin Sabine Weingärtner räumte ein, dass die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt auch in der Diakonie viele Jahre nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erhalten habe. Bei ihrem Amtsantritt vor eineinhalb Jahren habe sie das Thema sexualisierte Gewalt in ihren Zuständigkeitsbereich geholt. Sie warnte aber davor, „in Hyperaktivität zu verfallen“. „Es geht nicht darum, möglichst viel zu tun, sondern das richtige“, sagte sie dem epd. Es brauche vielmehr einen Bewusstseins- und Haltungswandel. „Die Übergriffe sind für die Betroffenen furchtbar. Oftmals noch schlimmer war für viele aber, dass ihnen nicht geglaubt wurde“, sagte Weingärtner.



Fehrs: Nawalny steht stellvertretend für Regime-Opfer in Russland



Hannover (epd). Die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, hat sich entsetzt über die Nachricht vom Tod des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny geäußert. „Er steht stellvertretend für all jene, die sich in Russland für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben und dafür Repression, Gefängnis und sogar den Tod erleiden“, sagte die Hamburger Bischöfin laut Mitteilung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am 16. Februar in Hannover.

Kein Mensch dürfe inhaftiert werden, weil er sich für Demokratie und Menschenrechte einsetze, erklärte Fehrs weiter. „In meinen Gebeten bin ich bei Nawalnys Familie und Angehörigen und denke an die vielen weiteren Opfer des russischen Regimes“, sagte sie.

Einsatz für politische Gefangene in Russland

Nawalny war nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS in der Strafkolonie im Norden Russlands, in der er inhaftiert war, zusammengebrochen und gestorben. Der 47-Jährige war seit Langem ein Opponent des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Er saß seit 2021 in Russland in Lagerhaft. 2020 überlebte er einen Giftanschlag. Nach seiner erfolgreichen Behandlung in Deutschland war er nach Russland zurückgekehrt.

Die EKD und die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde setzen sich gemeinsam mit der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial für die Freilassung der politischen Gefangenen in Russland ein. Unter www.gefangen-in-russland.de sind die Schicksale der derzeit 575 politischen Gefangenen in Russland veröffentlicht.



Katholische Laien kritisieren Vatikan-Intervention bei Reformdialog



Ab Montag beraten die katholischen Bischöfe in Augsburg. Auf der Tagesordnung stand auch eine Abstimmung über den Fortgang des Reformprojekts Synodaler Weg. Der Vatikan forderte eine Vertagung der Abstimmung, daran gibt es Kritik der Kirchenbasis.

München/Berlin (epd). Katholische Laien in Deutschland haben die erneute Kritik des Vatikans am Reformdialog Synodaler Weg zurückgewiesen. Die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ kritisierte die „irrlichternden Botschaften des Vatikans gegen den Synodalen Weg in Deutschland“. Mit der Aufforderung „Bischöfe, lasst euch nicht ins Bockshorn jagen!“ reagierte die Bewegung auf die am 17. Februar bekannt gewordene Anweisung des Vatikans an die Deutsche Bischofskonferenz, die Tagesordnung der Frühjahrsvollversammlung in Augsburg zu ändern.

Wie der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 18. Februar bestätigte, haben die Bischöfe am Vorabend einen Brief aus dem Vatikan erhalten. „In diesem Brief wird gebeten, dass die Vollversammlung - auch aufgrund von anstehenden Gesprächen zwischen Vertretern der Römischen Kurie und Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz - nicht über die Satzung des Synodalen Ausschusses abstimmt“, sagte Kopp. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, habe daher den Mitgliedern der Bischofskonferenz ebenfalls am Samstagabend mitgeteilt, den Punkt zunächst von der Tagesordnung zu nehmen. Alles Weitere werde sich während der Vollversammlung in Augsburg zeigen, sagte Kopp. Die 64 Mitglieder der Bischofskonferenz beraten vom 19. bis 22. Februar in Augsburg bei ihrer Frühjahrsvollversammlung.

ZdK irritiert über Intervention aus Rom

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, reagierte irritiert auf die römische Intervention. Rom habe die Deutsche Bischofskonferenz „quasi per Eilpost“ gebeten, bei ihrer Frühjahrsvollversammlung nicht über die Satzung des Synodalen Ausschusses abzustimmen und zunächst Gespräche in Rom abzuwarten. Dass der Tagesordnungspunkt abgesetzt sei, bedeute eine weitere Verzögerung der dringend notwendigen Reformen in der Kirche, bemängelte Stetter-Karp. Sie ist wie der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, im Präsidium des Synodalen Wegs.

Der Reformprozess Synodaler Weg wurde 2019 von katholischen Bischöfen und Laien als Reaktion auf die Missbrauchskrise ins Leben gerufen. Bis vergangenen März lief die erste Phase des Reformprozesses, bei der mehr als ein Dutzend Reformvorschläge erarbeitet wurden - unter anderem für mehr Gewaltenteilung, mehr Rechte für Frauen und queere Menschen in der Kirche.

Bis 2026 sollen nun weitere Reformanliegen in dem sogenannten Synodalen Ausschuss beraten werden, der auch die Aufgabe hat, eine Satzung und eine Geschäftsordnung für ein mögliches dauerhaftes synodales Gremium zu erarbeiten, in dem Bischöfe und Laien ab 2026 gemeinsam über die Zukunft der Kirche entscheiden. Der Vatikan hatte von Beginn an immer wieder interveniert und zuletzt die Gründung eines solchen dauerhaften Gremiums untersagt. Dennoch hatte der Synodale Ausschuss im November erstmals getagt und sich selbst eine Satzung gegeben, der aber ZdK und Bischofskonferenz noch zustimmen müssen.



Liebig: Anzahl der Kirchenmitglieder nicht entscheidend




Joachim Liebig
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Nach rund 15 Jahren im Amt bleibt der scheidende Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, mit Blick auf die Zukunft trotz sinkender Mitgliederzahlen optimistisch. Am 1. März geht Liebig in den Ruhestand.

Dessau-Roßlau (epd). Nach rund 15 Jahren im Amt bleibt der scheidende Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, mit Blick auf die Zukunft trotz sinkender Mitgliederzahlen optimistisch. Liebig geht am 1. März in den Ruhestand. Er trug maßgeblich zur Einführung eines Verbundsystems bei, dass die Gemeinden weiterhin personell ausreichend ausgestattet sind. Deshalb sieht er auch für die kleinste deutsche Landeskirche weiterhin eine Zukunft.

epd: Herr Kirchenpräsident, bislang sind die Versuche gescheitert, eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Sie zu wählen. Wären Sie in dieser Situation gerne noch länger im Amt geblieben?

Liebig: Nein. Ich hatte schon vor einem Jahr angekündigt, dass ich zu meinem 66. Geburtstag in den Ruhestand gehen werde, wie es dem Pfarrdienstrecht entspricht. Als ich zum letzten Mal gewählt wurde, habe ich gesagt: Es gibt eine Einschränkung, und das ist meine Gesundheit. Ich bin nicht wirklich krank, aber ich merke doch deutlich, dass ich in die Jahre gekommen bin. Mit 66 ist man nicht mehr so fit wie mit 40, auch wenn Udo Jürgens das seinerzeit anders gesehen hat. Und ich glaube, dass alles, was ich zu unserer schönen Landeskirche beitragen konnte, in den vergangenen Jahren auch passiert ist. Zudem ist die Landeskirche nicht führungslos, die verfassungsmäßigen Gremien arbeiten.

epd: Die Neuwahl eines Kirchenpräsidenten ist im September gescheitert, vor kurzem wurde sie nochmals verschoben. Ist diese Situation für die anhaltische Kirche existenzgefährdend?

Liebig: Im Moment noch nicht. Funktionalität ist ein zentrales Stichwort. Ich habe immer gesagt, unsere Landeskirche hat dann eine Zukunft, wenn die Aufgaben, die in den Gemeinden zu lösen sind, auch gelöst werden können. Im Moment ist der Landeskirchenrat durch mein Ausscheiden nur mit zwei Personen und damit nicht vollständig besetzt. Das war er mehrfach nicht, auch in meiner Dienstzeit. Das ist misslich, aber derzeit sehe ich noch keine existenzielle Bedrohung. Allerdings: Sollte diese Dysfunktionalität zu lange andauern, dann würden sich Grundsatzfragen stellen.

epd: Die Landeskirche hat noch knapp 26.000 Mitglieder, Tendenz vermutlich weiter sinkend. Ab 2025 kündigt sich laut einem Gutachten ein Haushaltsdefizit an, auch der Finanzausgleich der EKD steht infrage. Stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob diese Landeskirche in ihrer jetzigen Form weiter bestehen kann?

Liebig: Natürlich, und wir überlegen ja auch. Die Fragen sind nicht neu. Ob es zu dem prognostizierten Defizit kommt, wollen wir zunächst mal abwarten. Ich habe in 40 Dienstjahren viele Erfahrungen mit solchen Gutachten gemacht. Schon jetzt hat sich die Situation verändert, sodass ich davon ausgehe, dieses Defizit wird - wenn es denn eintritt - erträglich bleiben. Was die Zahl der Gemeindeglieder angeht: Wir hatten gerade Gemeindekirchenratswahlen, und es wird immer schwerer, Menschen für diese zentrale Aufgabe zu gewinnen. Es wird zunehmend so sein, dass sich die Verantwortlichkeit auf Gemeindeverbünde verschiebt, ohne dass die Gemeinden ihre Selbstständigkeit aufgeben. Wie es mit dem Finanzausgleich der EKD weitergeht, ist eine alte Frage. Deutlich ist: Der Dachverband der evangelischen Kirchen in Deutschland setzt uns - sicherlich angetrieben durch einzelne Geberkirchen - unter Druck und stellt unsere Existenz infrage.

epd: Wenn man auf den Mitgliederschwund der Kirchen und ihren Bedeutungsverlust in der Gesellschaft schaut, wäre es dann nicht das Gebot der Stunde zu sagen, wir bilden eine große mitteldeutsche Kirche oder eine Ostkirche?

Liebig: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Größe zentral für die Relevanz ist. Ich habe andere Erfahrungen gemacht. Die Größe einer Kirche hat nur bedingt etwas mit ihrer Relevanz zu tun. Es ist ein Irrtum deutscher Kirchen, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann, zu glauben, dass Kirche gesellschaftspolitisch bedeutsam sei, weil sie eine große Zahl von Mitgliedern habe. Mir ist nicht im Geringsten aufgefallen, dass wir hier im Osten oder in Mitteldeutschland eine mindere Relevanz haben, weil wir eine Minderheitskirche sind. Das, was Kirche ist, steht im Neuen Testament: Wir sind immer Sauerteig, sind immer Salz der Erde, nie eine Mehrheit.

epd: Ist das anhaltische Verbundsystem Ihr größter Erfolg?

Liebig: Ich würde es nicht als meinen Erfolg bezeichnen. Das war von Anfang an eine kollektive Veränderung. Wir haben mit den Gremien, vor allem mit den Kreisoberpfarrerinnen und -pfarrern, daran gearbeitet. Was ich mir als einen Erfolg zurechnen würde, ist, dass wir vielleicht die erste Kirche waren, die das umgesetzt hat. Das spricht für die Agilität einer kleinen Kirche. Wenn ich zu den Kolleginnen und Kollegen im Westen blicke, dann sind die auch auf diesem Weg, aber viel verzögerter. Denn der Grundgedanke ist ja häufig, wenn es Veränderungen gibt, dürfen sie höchstens moderat sein. Das ist bei uns anders. Die Landeskirche Anhalts von 2024 ist eine andere, als sie 2010 war.

epd: Die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung und jetzt die ForuM-Studie zum sexuellen Missbrauch brachten Hiobsbotschaften für die Kirche. Geht die Ära des Christentums in Europa zu Ende?

Liebig: Nein, das glaube ich nicht. Glaube an sich - geprägt durch die Aufklärung - hat es schwer in einer Zeit der Individualisierung und Säkularisierung. Es geht eher um eine Reduktion der Kirche auf die Menschen, die tatsächlich glaubende Christen sind. Dieser Kernbereich von Christenmenschen wird Bestand haben. Deutlich bedrohlicher ist die Missbrauchsstudie. Das berührt Kirche und ihre Botschaft im Kern. Hier geht es um Vertrauen und um das, was Mitmenschlichkeit ganz grundsätzlich bedeutet. Es ist unerträglich und ekelhaft, wie kirchliche Mitarbeiter zuweilen auch ihre Position missbraucht haben, um Kinder zu missbrauchen. Die Täter müssen mit aller Härte bestraft werden und haben bei nachgewiesenen Vergehen keinen Platz mehr in der Kirche.

epd: Wir leben in herausfordernden Zeiten: Es gibt große Unzufriedenheit mit der Bundesregierung, politisch extreme Kräfte erstarken. Das ist doch eigentlich eine Zeit, in der Kirche der Gesellschaft viel zu sagen hätte...

Liebig: Das sehe ich auch so, und das ist nochmals eine Frage der Relevanz. Wir wirken nicht dadurch, dass wir in großer Zahl Demonstranten auf die Straße bringen. Wir haben auch keine Trecker zur Verfügung, sondern wir müssen durch unseren Dienst in der Gesellschaft versuchen, diese zusammenzuhalten. Wir sind eine Art Kitt der Gesellschaft. Das war in früheren Zeiten nicht immer so. Die Kirchen bieten Räume für Gespräche an und haben Kontakt zu allen gesellschaftlichen Gruppen, auch zu den Rändern - obwohl das schwierig ist. Diese Rolle wird künftig noch viel mehr auf uns zukommen, eine ausgleichende und verbindende Aufgabe zu übernehmen.

epd: Wie geht es weiter mit Ihnen? Was planen Sie?

Liebig: Zunächst einmal bin ich Privatmann. Was ich auf gar keinen Fall tun werde: Ich werde nicht gewissermaßen aus dem hinteren Bereich des Theaters etwas auf die Bühne rufen - und ich werde auch nicht den Verein „Mit uns wär‘ das nicht passiert e.V.“ gründen. Meine Töchter haben von mir eingefordert, dass ich die Abendgeschichten zu Papier bringe, die ich mir für sie ausgedacht habe, als sie Kinder waren. Es gibt einzelne Figuren, die ich damals erfunden habe, und ich habe nahezu jeden Abend daraus eine Geschichte gemacht. Das werde ich jetzt als Erstes machen, um zu schauen, ob ich Lust dazu habe, weiter am Schreibtisch zu sitzen. Wenn das der Fall ist, könnte ich mir vorstellen, dass ich auch andere Dinge zu Papier bringe - aber eher im Raum der Prosa.

epd-Gespräch: Oliver Gierens


Ökumene-Treffen zu Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung



Berlin (epd). Evangelische und katholische Kirchenvertreter haben am 17. Februar in Berlin über den Umgang mit abnehmender Religiosität beraten. Bei dem jährlichen Ökumene-Treffen sei gefordert worden, die abnehmende Kirchenbindung auch als Chance wahrzunehmen, sagte die Diözesanratsvorsitzende des Erzbistums Berlin, Karlies Abmeier, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bei den Gesprächen ging es um das Ergebnis der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung, die die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im November vorgestellt hatte.

Dabei sei Bedauern über das Dilemma zwischen dem kirchlichen Anspruch geäußert worden, mit spirituellen Inhalten auf die Gesellschaft einzuwirken, und der vorherrschenden Erwartung, dass die Kirchen sich vor allem sozial engagieren. Kirchlich gebundene Menschen seien stark ehrenamtlich engagiert, sagte Abmeier. In diesem Zusammenhang sei positiv bewertet worden, dass die Kirchen vielfache Gelegenheiten für soziales Engagement böten. Bei dem Treffen habe Einigkeit darüber bestanden, dass Kirchen auch in der Minderheitenposition die „Gottesfrage aufrechterhalten“ müssen.

Im Zusammenhang mit der Diskussion über das Christentum jenseits konfessioneller Grenzen betonte der Vorsitzende des Ökumenischen Rates Berlin-Brandenburg, Hansjörg Günther, in seiner Predigt, dass Christen von außen ohnehin als Einheit gesehen würden. Der Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung zufolge werden die Konfessionslosen in Deutschland voraussichtlich Ende der 2020er Jahre die 50-Prozent-Marke überschreiten und damit auch die absolute Bevölkerungsmehrheit stellen.



Dresdner Frauenkirche schreibt Organistenstelle aus



Dresden (epd). Die Stiftung Frauenkirche Dresden sucht einen neuen Organisten oder eine Organistin. Eine entsprechende Stelle sei seit Mitte Januar ausgeschrieben, teilte die Stiftung am 15. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Dresden mit. Noch bis Ende Februar könnten sich Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker bewerben.

Die Ausschreibung war notwendig geworden, weil die Stiftung dem bisherigen Organisten Samuel Kummer gekündigt hatte. Der Musiker hatte allerdings gegen die Kündigung geklagt. Der Rechtsstreit geht voraussichtlich im Mai vor dem sächsischen Landesarbeitsgericht in Chemnitz in die zweite Instanz. Das Arbeitsgericht in Dresden hatte die Klage in erster Instanz abgewiesen (AZ: 1 Ca 126/22).

Die Stiftung hatte Kummer Unzuverlässigkeit vorgeworfen und ihm zum 30. September 2022 nach 17 Jahren gekündigt. Zuvor soll es mehrere Abmahnungen gegen den Musiker gegeben haben.

Die jetzt ausgeschriebene Stelle soll „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ besetzt werden und sei zunächst auf fünf Jahre befristet, hieß es. Eine Verlängerung werde bei erfolgreicher Zusammenarbeit angestrebt. Schwerpunkt der Tätigkeit sei „der liturgisch-gottesdienstliche und künstlerische Orgeldienst sowie die strategische Weiterentwicklung der Orgelmusik an der Citykirche“.

Die 2005 geweihte Dresdner Frauenkirche versteht sich nach eigenen Angaben „als eine offene Kirche, die durch die Unterstützung von Menschen aus aller Welt für Menschen aus aller Welt wiedererrichtet wurde“. Die Orgel wurde von 2005 von der Orgelbaufirma Daniel Kern aus Straßburg erbaut.



Kirchgemeinden in Sachsen und Tschechien tauschen sich aus



Dresden (epd). Evangelische Kirchgemeinden in Dresden und im tschechischen Decin wollen künftig stärker zusammenarbeiten. Geplant seien gegenseitige Besuche und grenzüberschreitende Veranstaltungen, teilte der Kirchenbezirk Dresden-Mitte am 16. Februar mit. Im Rahmen der „Nacht der Kirchen“ in Tschechien am 7. Juni singt in Decin der sächsische Bergsteigerchor „Kurt Schlosser“. Am 14. September werden Schülerinnen und Schüler der Evangelischen Musizierschule Dresden in Tetschen-Bodenbach auftreten.

Seit etwa 20 Jahren besuchen regelmäßig Kinder- und Jugendgruppen aus Dresden die nordböhmische Stadt Decin. Im Rahmen der Deutsch-Tschechischen Kulturtage fanden dort Lesungen oder Konzerte statt. Zuletzt informierten sich die Mitarbeitenden des Kirchenbezirks Dresden-Mitte vor Ort zur Gemeindearbeit in der böhmischen Diaspora.

Die kleine evangelische Gemeinde in Decin unterstütze den Austausch mit eigenen Angeboten, hieß es. Ziel sei es, gemeinsame thematische Schnittstellen zu finden und voneinander zu lernen.

Der Kirchenbezirk Dresden-Mitte unterhalte zudem eine Partnerschaft zur Propstei Moskau der Evangelisch-Lutherischen Kirche im europäischen Russland. Der Kirchenbezirk Dresden-Nord pflegt seit Jahrzehnten eine Partnerschaft zur Diözese Stockholm.



Beten im Schatten des Krieges



Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 musste sich der Weltgebetstag neu sortieren. Die Liturgie kommt dieses Jahr von palästinensischen Frauen. Damit will man am 1. März ein Zeichen der Hoffnung gegen Hass und Gewalt setzen.

Nürnberg (epd). Selten war der Weltgebetstag der Frauen aktueller als in diesem Jahr: Am ersten Freitag im März wollen Christinnen weltweit mit den Frauen des palästinensischen Komitees für einen gerechten Frieden in der Region beten. In mehr als 120 Ländern wird das Ökumene-Event gefeiert. Der Weltgebetstag (WGT) ist nach Ansicht der Theologin Brunhilde Raiser „in diesem Jahr so wichtig wie noch nie“. Er sei so „wichtig, weil der Nahe Osten jede kleine Hoffnung auf Frieden oder auf einen den Frieden vorbereitende Begegnungen dringend braucht“, sagte die evangelische WGT-Vorstandsvorsitzende dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Dabei war das diesjährige Weltgebetstags-Thema Palästina Ende vergangenen Jahres - vor allem nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober - umstritten. Der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit forderte die Organisatorinnen des Weltgebetstags auf, die Texte zu überarbeiten. Das bekannt gewordene Material enthalte „falsche und tendenziös politische Aussagen, die im Zusammenhang als antisemitisch zu klassifizieren sind“, hieß es Ende Oktober.

Gottesdienstordnung aktualisiert

Angesichts der Eskalation des Nahost-Konflikts erarbeiteten Weltgebetstags-Vorstand und Komitee eine aktualisierte Version der Gottesdienstordnung. Sie hat eine Auflage von 550.000 und dient bundesweit als Grundlage für Tausende von ökumenischen Gottesdiensten am ersten Freitag im März. Auch das Plakat, Postkarten und Flyer mit dem Motiv einer palästinensischen Künstlerin wurden geändert, da der Vorwurf, sie sei Hamas-freundlich, nicht ausgeräumt werden konnte.

Raiser erläuterte die neue Gottesdienstordnung, die Anfang Januar vorgestellt wurde. Es sei da geändert worden, wo es zum Verständnis hilfreich ist, damit es im deutschen Kontext nicht fälschlicherweise antiisraelisch oder antisemitisch oder antijüdisch verstanden werden könne. Entsprechende Vorwürfe einiger Theologen hätten sich aus ihrer Sicht jedoch „nicht bewahrheitet“.

Mit der Aktualisierung des Materials zu Palästina will das Komitee des Weltgebetstags der Frauen einer polarisierten Diskussion zum Nahost-Konflikt in Deutschland Rechnung tragen. Der Terror der Hamas vom 7. Oktober und der Krieg in Gaza hätten die Bereitschaft vieler Menschen in Deutschland weiter verringert, palästinensische Erfahrungen wahrzunehmen und gelten zu lassen. Die neuen Erläuterungen sollen jetzt dazu beitragen, die Worte der palästinensischen Christinnen trotz aller Spannungen hörbar zu machen.

Fürbitte für Opfer des Nahost-Konflikts

Die Gottesdienstliturgie wird jeweils mit mehrjährigem Vorlauf verfasst, betonte der deutsche Weltgebetstags-Vorstand Anfang Januar. Die neue Liturgie sei zudem mit „einem klaren Blick auf Israel“ ausgeweitet worden, sagte Raiser dem epd. Es gebe nun eine eigene Fürbitte für die Opfer des Nahost-Konflikts, auch auf jüdischer Seite. Es sei zudem eine Fürbitte für jüdische Menschen in Deutschland aufgenommen worden. Die Sicht der Palästinenserinnen und ihre Erfahrungen seien allerdings nicht zugunsten Israels aufgelöst worden.

Das palästinensische Weltgebetstags-Komitee hatte die Änderungen Mitte Januar kritisiert. Die Bearbeitungen seien von ihnen nicht „autorisiert, gebilligt oder freigegeben“ worden, heißt es in einem Brief an die deutschen Kolleginnen. Diese wiederum äußerten ihr Bedauern darüber, dass es „zu einem solchen Dissens gekommen ist“. Die Ergänzungen seien als „ergänzende Information für unseren speziellen Kontext gedacht - weder als Affront oder Verfälschung der ersten Fassung, noch als Infragestellung palästinensischer Lebenswirklichkeit“.

„Fühlen sich im Stich gelassen“

Raiser warb um Verständnis für die Situation der Christen in Palästina. Sie lebten in einer ihre Existenz bedrohenden Situation. Sie erlebten seit Jahren, dass sie nicht wahrgenommen werden. Die Situation sei schon vor dem Angriff der Hamas auf Israel aufgeheizt gewesen. Die palästinensischen christlichen Kirchen „fühlen sich von unseren Kirchen im Stich gelassen“.

1927 wurde erstmals international ein Weltgebetstag von christlichen Frauen unterschiedlicher Konfessionen gefeiert. Ein erster ökumenischer Weltgebetstag in Deutschland fand 1947 im Berlin der Nachkriegszeit statt. Seit Anfang der 1960er Jahre engagieren sich auch römisch-katholische Frauen vermehrt beim Weltgebetstag. Bereits 1994 stand das Thema Palästina im Mittelpunkt. Der Gottesdienst für den Weltgebetstag 2025 kommt von den Cookinseln im Südpazifik.

Von Stephan Cezanne (epd)


Kirchliche Fastenaktionen mit Fernsehgottesdiensten eröffnet




Andrea Kruckemeyer und Ralf Meister
epd-bild/Detlef Heese
In der Fastenzeit überdenken viele Christen ihren Lebensstil, manche verzichten auf Fleisch oder Alkohol. Die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche ruft zu sieben Wochen ohne Alleingänge auf. Misereor lenkt den Blick nach Kolumbien.

Osnabrück (epd). Die diesjährigen kirchlichen Fastenaktionen sind jeweils mit einem Fernsehgottesdienst am 18. Februar eröffnet worden. Die evangelische Kirche stellt in ihrer Fastenaktion „Sieben Wochen Ohne“ das zwischenmenschliche Miteinander und den gesellschaftlichen Zusammenhalt ins Zentrum. Das katholische Hilfswerk Misereor sammelt bei seiner Aktion unter dem Motto „Interessiert mich die Bohne“ bis zum 17. März Spenden für kolumbianische Kleinbäuerinnen und - bauern.

In der Fasten- oder Passionszeit erinnern Christen an das Leiden und Sterben Jesu Christi und bereiten sich auf Ostern vor, auf die Botschaft von der Auferstehung. Die evangelische Fastenaktion steht in diesem Jahr unter dem Titel „Komm rüber! Sieben Wochen ohne Alleingänge“. „Der Karneval ist vorbei und die Fastenzeit hat begonnen“, sagte der hannoversche Landesbischof Ralf Meister am Sonntag in der Kirche St. Marien in Osnabrück. „Sieben Wochen bis Ostern. Sieben Wochen, in denen Menschen ihre Zeit anders gestalten wollen. Sie fasten. Sie verzichten oder sie wollen bewusst sich selbst und anderen etwas gönnen und geben.“ Der Gottesdienst wurde im ZDF übertragen. Die Aktion „Sieben Wochen Ohne“ wurde 1983 gegründet. Sie soll helfen, die Fastenzeit bewusst zu erleben und zu gestalten.

„Komm rüber!“

„Komm rüber!“ Das sei mehr als ein Satz, nach dem Einsame sich sehnten und von dem Überlastete genervt seien, sagte Meister in seiner Predigt. Es sei ein Satz, der Menschen zusammenbringe. Meister, der zugleich Botschafter der Fastenaktion ist, betonte, in diesen Wochen und Monaten hörten viele Menschen ein „Kommt!“. Hunderttausende fühlten sich derzeit auf die Straße gerufen. Ein Ruf, dem viele Gehör schenkten. „'Komm!' Es ist dringend! Unsere Demokratie, unsere Freiheit, unsere Mitmenschen brauchen dich.“

Doch „Komm rüber!“ sei nicht immer ein Ruf, der ins Gute führe, mahnte Meister. „'Komm rüber!' kann auch eine dunkle Seite haben. Vertrauen wird gebrochen. Das gelte besonders für sexualisierte Gewalt in der Kirche. “Es ist zutiefst beschämend, wie sehr Beschuldigte und Verdächtige ihr Amt und das in sie gesetzte Vertrauen missbrauchten„, sagte Meister und nahm damit Bezug auf die Ende Januar veröffentlichte Missbrauchsstudie für die evangelische Kirche und die Diakonie. Bewusst seien Grenzen von Kindern und Erwachsenen überschritten und ihnen Gewalt angetan worden. “Und wir haben viel zu lange Augen und Ohren verschlossen. Wir haben die Rufe der Betroffenen nicht gehört."

„Erschreckende Gleichgültigkeit“

Der Gottesdienst zur Eröffnung der Fastenaktion des katholischen Hilfswerks Misereor in Ludwigshafen wurde in der ARD übertragen. Der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann rief in der Kirche St. Ludwig zur Solidarität mit Menschen im globalen Süden auf, die benachteiligt und ausgebeutet würden.

Wiesemann kritisierte im Gottesdienst die „erschreckende Gleichgültigkeit vieler Menschen, die sich keinen Deut darum scheren, wie es den Bauern in Kolumbien und allen Ländern des globalen Südens geht“. Kaffee, Bananen und Orangen würden unter teilweise unmenschlichen Bedingungen angebaut, die Bauern seien Opfer von globalen wirtschaftlichen und politischen Mechanismen. Der Bischof appellierte, wachsam zu sein in Bezug auf Bestrebungen, die Demokratie, Vielfalt und Solidarität verächtlich machen wollten.



Umwelt-Bischöfin ruft zum Klimafasten auf




Kristina Kühnbaum-Schmidt
epd-bild/Jens Schulze

Schwerin (epd). Die evangelische Umwelt-Bischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt ruft dazu auf, den Klimaschutz in den Mittelpunkt der an diesem Aschermittwoch beginnenden Fastenzeit zu stellen. „Klimafasten soll bewusst machen, was wir wirklich brauchen und was nicht, und den Blick auf die Mitgeschöpflichkeit des Menschen richten“, erklärte die Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Schöpfungsverantwortung am 13. Februar in Schwerin.

Nach Worten der Nordkirchen-Landesbischöfin, die die Schirmherrschaft über die Fastenaktion übernommen hat, sollen die nächsten sieben Wochen genutzt werden, sich für Gottes Schöpfung und für das Klima einzusetzen. Das Klimafasten vom 14. Februar bis 30. März ist eine kirchliche Initiative von 24 evangelischen und katholischen Partnern. Ziel ist es, achtsam mit Gottes Schöpfung umzugehen und einen verantwortungsvollen, klimagerechten Lebensstil zu entdecken und fortzuführen. Unter dem Motto „So viel Du brauchst…“ steht in jeder der sieben Fastenwochen ein anderes Thema im Mittelpunkt.



Bischof Stäblein würdigt politische Bedeutung der Berlinale



Berlin (epd). Der Berliner evangelische Bischof Christian Stäblein hat die Berlinale als ein politisches Filmfest gewürdigt. Das Festival zeige seit jeher Kino mit gesellschaftlichem Anspruch, sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz am 17. Februar in seinem „Wort des Bischofs“ im RBB-Hörfunk. Die am Donnerstagabend gestartete Berlinale sei so etwas wie ein sicherer Ort, gerade auch für viele verfolgte und diskriminierte Künstlerinnen und Künstler.

Er erwarte viel von der Berlinale, die am 25. Februar, einen Tag nach dem zweiten Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine, enden werde, betonte Stäblein. Er fügte hinzu: „Wir dürfen nicht aufhören hinzusehen: in die Ukraine, nach Israel und Gaza und die anderen Orte des Leids.“ Filme könnten auch ein Antikriegsmanifest sein. Nötig seien aber auch Bilder der Hoffnung.

Stäblein erinnerte in diesem Zusammenhang an den Preis der ökumenischen Jury, mit dem die evangelische und die katholische Kirche jedes Jahr Filme auszeichnen, die „dem Publikum in herausragender Art für spirituelle, menschliche und soziale Werte die Augen öffnen“.

Insgesamt präsentieren die Filmfestspiele rund 200 Streifen. 20 Produktionen mit 30 beteiligten Ländern laufen im Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären. Im Rennen um die begehrten Auszeichnungen sind auch zwei deutsche Beiträge, die neuen Filme von Andres Dresen und Matthias Glasner.



Domstift Brandenburg startet umfangreiches Sanierungsprojekt



Brandenburg/Havel (epd). Am Dom zu Brandenburg an der Havel soll in diesem Jahr eines der letzten großen Bauprojekte starten. Die rund 8,3 Millionen Euro teure Sanierung der sogenannten Spiegelburg an der Ostklausur soll im Frühjahr beginnen und 2027 abgeschlossen werden, sagte der kaufmännische Vorstand des evangelischen Domstifts, Detlef Boos, am 14. Februar in Brandenburg an der Havel. Zunächst solle Anfang April mit der Einrichtung der Baustelle begonnen werden. Am 25. Mai sei ein Fest zur Baustelleneröffnung geplant. Die Spiegelburg soll neuer Standort des Domstiftsarchivs werden.

Von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien kämen rund vier Millionen Euro Fördermittel für das Sanierungsprojekt, sagte Boos. Weitere rund drei Millionen Euro steuere das Land Brandenburg bei. Rund 500.000 Euro kämen von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, zu der Dom und Domstift gehören. Gut 760.000 Euro finanziere das Domstift. Für die anschließend geplante Sanierung der Ostklausur des früheren Prämonstratenserklosters am Dom würden nach derzeitigem Stand weitere zehn bis zwölf Millionen Euro benötigt, hieß es. Sie soll neuer Standort des Dommuseums werden.

Mit dem Bau des heute evangelischen Doms wurde im zwölften Jahrhundert begonnen. Umfangreiche Sanierungen gab es bereits unter dem preußischen Baumeister Karl Friedrich Schinkel (1781-1841), in der DDR und nach 1989. Der Dom am historischen Gründungsort Brandenburgs gilt als „Mutterkirche der Mark“. Die Spiegelburg ist das zweitälteste Bauwerk auf der Dominsel und war im Mittelalter vermutlich der Sitz des Bischofs.



Domstift Brandenburg widmet Jahresthema Frauen am Dom




Dom zu Brandenburg
epd-bild/Gordon Welters
Stifterinnen, Reformerinnen, Kunsthandwerkerinnen: Das Domstift Brandenburg rückt die Frauen in der Geschichte der Region in den Blick. In der Jahresausstellung soll gezeigt werden, wie "Fürstinnen, Königinnen und andere hohe Damen" aktiv waren.

Brandenburg/Havel (epd). Am evangelischen Dom zu Brandenburg an der Havel stehen Frauen im Mittelpunkt des Jahresprogramms. Unter dem Titel „Frauen am Dom“ seien zahlreiche Veranstaltungen geplant, hieß es am 14. Februar bei der Vorstellung des Programms. Die Jahresausstellung 2024 des Dommuseums präsentiere vor dem Hintergrund der weitgehend männlich dominierten Geschichte des Domstifts Zeugnisse weiblicher Aktivitäten und Netzwerke zwischen Mittelalter und Moderne. Die Ausstellung „Keine Frau. Nirgends“ wird vom 1. Mai bis zum 31. Oktober gezeigt.

Die Dominsel Brandenburg sei von 948 bis 1929 eine eigene Welt gewesen, hieß es. Über die geschichtlichen Verschiebungen hinweg hätten dort und im Domstift auf den ersten Blick ausschließlich Männer gelebt und gewirkt. An substanzieller Stelle sei über die Jahrhunderte keine Frau sichtbar gewesen. Dieser Eindruck ändere sich jedoch bei genauerem Hinsehen. Es zeigten sich Hinweise auf weit überregionale, auch internationale weibliche Beziehungsgeflechte sowie Beispiele für einen lebendigen, von Frauen inszenierten Kultur- und Kunsttransfer von und nach Brandenburg.

Die Kultur- und Bildungsvorständin des Domstifts, Marianne Schröter, sagte, die Geschichte der Frauen am Dom sei bisher kaum bearbeitet worden. Bei einer ersten Durchsicht der Bestände von Archiv und Museum zum Thema seien jedoch allein 50 Objekte dazu ermittelt worden. Dazu gehöre die historische Abschrift der Gründungsurkunde einer Mädchenschule durch Gertrud von Saldern (1518-1595) im Domarchiv.

Schröter sagte, aus dem Domschatz werde unter anderem eine Altardecke gezeigt, die nach einem Entwurf des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel (1781-1841) von mehreren Prinzessinnen bestickt worden sei. Das Domstift hoffe als Ergänzung dazu auf ein Exponat der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, ein Nähkästchen mit Monogrammen der königlichen Stickerinnen. Ziel der Ausstellung sei, Brandenburgerinnen im Kontext ihres Wirkens zu zeigen.

Der reiche Schatz des Domstiftsarchivs umfasse Urkunden und Akten zu ganz verschiedenen Themen und aus allen Jahrhunderten seines Bestehens, hieß es. Im Zusammenhang mit Amtsbestellungen, politisch wichtigen Eheschließungen, Erbangelegenheiten und Stiftungen sei auch das Wirken von Frauen schriftlich dokumentiert und habe so Eingang in die Bestände gefunden. Diese Dokumente und Zeugnisse aus dem Domschatz stünden im Zentrum der Ausstellung. Dort seien Frauen als Stifterinnen, Kunsthandwerkerinnen, Mäzeninnen und Sozialreformerinnen präsent.

Im Jahresprogramm sind auch zwei Sonderausstellungen angekündigt. Vom 30. April bis zum 31. Oktober soll die Wanderausstellung „Manchmal male ich ein Haus für uns“ mit Fotografien von Flüchtlingskindern gezeigt werden. Vom 1. August bis zum 31. Oktober ist die Ausstellung „Ich sitze hier am Mittelmeer und habe keine Mittel mehr“ über die von Brandenburg ausgegangene Hachschara-Bewegung der jüdischen Emigration nach Palästina zu sehen. Im Mittelpunkt stehe dort der Lebensweg der Keramikerin Ulla Weiler, die unter dem Namen Ilana Michaeli in Palästina gelebt habe, hieß es.



Schmelzendes Eis und singendes Licht




Eispyramide in der evangelischen Kirche Unser Lieben Frauen in Bremen
epd-bild/Dieter Sell
Zeit, Ewigkeit, Veränderung und Vergänglichkeit: Darum geht es bei einer Installation, die in einer Bremer Kirche bestaunt werden kann. Im Zentrum: Eine glasklare Pyramide aus Eis, die in luftiger Höhe schwebt. Und schmilzt.

Bremen (epd). Es tropft, unaufhörlich. Unter dem zentralen Gewölbe der gotischen Liebfrauenkirche in der Bremer Innenstadt hängt eine Pyramide aus Eis, mit der Spitze nach unten, so klar wie ein Bergkristall. 330 Kilogramm, die sich langsam auflösen. Doch nichts geht verloren: Ein paar Meter weiter unten steht eine große Metallschale, die jeden Tropfen auffängt. „Eternity“ heißt die Kunstaktion, Ewigkeit. Ausgedacht hat sie sich die Münchner Künstlerin Birthe Blauth, die 2022 auch auf der Documenta in Kassel vertreten war.

Eine Möglichkeit der Interpretation: Die Künstlerin konfrontiert auf direkte Weise mit den Folgen des Klimawandels. Sichtbar und hörbar ist das Schmelzen des Eises zu erleben. Grundsätzlich geht es um Verwandlung, um die Mystik vom Werden und Vergehen. Wobei Birthe Blauth den Besuchenden in der Kirche nichts vorgeben will. „Die Bedeutung ist immer sehr vielschichtig. Jeder kann seine Deutung herauslesen und weitere entdecken“, bekräftigt sie.

„Nachts ist es magisch“

Rund um die Wasserschale stehen Kirchenbänke und laden ein, das von mehreren Scheinwerfern angestrahlte Schauspiel in Ruhe zu verfolgen. Decken liegen bereit, um sich zu wärmen, denn in der Kirche ist derzeit die Heizung ausgeschaltet, um das Schmelzen nicht noch zusätzlich anzutreiben. Mit dem Aschermittwoch, in diesem Jahr gleichzeitig Valentinstag, hat die Kunstaktion begonnen. Solange das Eis schmilzt, kann sie rund um die Uhr besucht werden. „Nachts ist es magisch“, verspricht Blauth.

Wie lange es dauert, bis das Eis geschmolzen ist? Blauth weiß es nicht. Auch die Eisdesigner aus Ismaning bei München, die das Objekt in einer Metallform hergestellt haben, wissen keine Antwort. Liebfrauen-Pastor Stephan Kreutz findet, dass das zu der Arbeit passt: „Weil wir von so vielen Dingen nicht wissen, wie lange es sie noch gibt.“ Die Pyramide schmilzt jedenfalls schneller als gedacht: Am 16. Februar war nur noch ein Drittel der ursprünglich 330 Kilogramm schweren Installation übrig.

Damit die Installation überhaupt umgesetzt werden konnte, waren umfangreiche Vorbereitungen nötig, die mehrere Monate in Anspruch genommen haben. So musste das Eis destilliert und beim Frosten ständig bewegt werden, damit es glasklar wird. „Die Temperatur durfte auch nicht unter minus acht Grad Celsius absinken“, ergänzt Blauth.

Im Dialog mit Kirchenfenstern von Manessier

Und dann: Wie hängt man die Pyramide auf? Stahlseile waren keine Option, weil sie wärmeleitend sind und möglicherweise schnell dazu geführt hätten, dass die Pyramide zu Boden stürzt. So kam Blauth auf ein Netz und Seilen aus Dyneema, einer hochfesten synthetischen Faser, dabei leicht und flexibel.

So befestigt wird die Pyramide angehoben, über vier Seilwinden, die auf dem Dachboden der Kirche stehen. Langsam und synchron, damit das Objekt nicht ins unkontrollierte Schaukeln gerät und womöglich sogar abstürzt. Exakt ausgerichtet auf die umstehenden Pfeiler hängt sie schließlich im Kirchenraum, fast wie ein gewaltiger Diamant, der in den Dialog tritt mit den umliegenden berühmten Kirchenfenstern des französischen Glaskünstlers Alfred Manessier.

Singendes Licht

Wenn die Sonne durch die Fenster scheint, entstehen überall bunte Tupfen in allen Regenbogenfarben, die auf rotem Backstein leuchten, manchmal, durch die Glasbrechung, auch tanzen. „Licht, das singt“, sagen Freunde der Kirche. Pastor Kreutz freut sich auf das Zusammenspiel von Pyramide und Manessier-Fenstern: „Für mich sind die schillernden Lichtreflexe auf dem Eis ein Hoffnungszeichen wie der biblische Regenbogen. Ein Symbol dafür, dass ein Leben in Frieden mit der Schöpfung und in gerechten und demokratischen Strukturen für alle Menschen möglich ist.“

„Die Pyramide wird sich ständig verändern, da das Eis beim Schmelzprozess das Licht immer anders durchlassen oder farbig reflektieren wird“, schaut Blauth voraus. Hinzu komme der Klang der fallenden Wassertropfen, die aufgrund der hervorragenden Akustik in der Kirche weithin zu hören seien. „Das Eis wird weniger, der Klang mehr. Am Ende ist alles noch da, nur dann als Wasser in der Schale.“ Das kann schnell gehen. Die Künstlerin rät: „Rechtzeitig kommen.“

Von Dieter Sell (epd)


"Ein Bein im Dorf, ein Bein in der Welt"




Karl-Hinrich Manzke
epd-bild/Heike Lyding
Öffentlicher Protestantismus ist sein Programm: Landesbischof Karl-Hinrich Manzke aus Schaumburg-Lippe hat für die evangelische Kirche viele Fäden zur katholischen Kirche und zur Bundespolizei geknüpft. Jetzt wird er in den Ruhestand verabschiedet.

Bückeburg (epd). Wenn Bischof Karl-Hinrich Manzke als Vertreter der deutschen Lutheraner von einer Veranstaltung mit dem Papst in Rom zurückkehrte, dann wartete zu Hause in Bückeburg manchmal schon eine Kinderspielgruppe auf seinen Besuch. Und wenn er zu einem Termin ins Präsidium der Bundespolizei nach Potsdam aufbrach, war vorher zuweilen noch rasch eine Sache mit dem örtlichen Friedhof zu regeln. Als Bischof der evangelischen Landeskirche Schaumburg-Lippe ist Manzke zwischen zwei Lebenswelten gependelt: den deutschlandweiten Aufgaben eines Bischofs und dem Dienst an der Kirchenbasis. Oder wie er es selbst ausdrückt: „Ein Bein im Dorf, ein Bein in der Welt.“ Am 24. Februar wird Manzke nun mit einem festlichen Gottesdienst in der Bückeburger Stadtkirche nach 14 Amtsjahren in den Ruhestand verabschiedet.

Seit 2009 stand er an der Spitze der kleinen Landeskirche an der Grenze Niedersachsens zu Nordrhein-Westfalen, zu der 22 Gemeinden mit rund 44.000 Mitgliedern gehören. Zudem war er in überregionalem Auftrag unterwegs: als Catholica-Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und als Beauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die Seelsorge an der Bundespolizei. „Für mich war diese Kombination ein Glücksfall“, sagt der promovierte Theologe. Er sei mit Leib und Seele Pfarrer, doch die Kirche auch bundesweit mitgestalten zu können, sei für ihn ein „Riesen-Geschenk und ein enormer Vertrauensbeweis“ gewesen.

Das Luxemburg der EKD

Schaumburg-Lippe ist bei den Protestanten so etwas wie das Luxemburg der EKD: eine traditionsbewusste Landeskirche auf kleiner Fläche, hervorgegangen aus einem früheren Fürstentum. Durch alle geschichtlichen Wirren hindurch hat sie sich ihre Selbstständigkeit bewahrt. Selbstbewusst mischt sie mit im Konzert der 20 evangelischen Landeskirchen, die meist um ein Vielfaches größer sind als sie selbst: „Wir sind wie ein Kirchenkreis, doch gleichzeitig sind wir auch national und international gefordert“, sagt Manzke, der vorher elf Jahre lang als Superintendent den Kirchenkreis Aurich in Ostfriesland geleitet hat.

Sein Programm bezeichnet er als „öffentlichen Protestantismus“: Danach muss die Kirche die Zusammenarbeit mit der Gesellschaft suchen und darf sich nicht hinter alte Mauern zurückziehen. „Weil es die einzige Chance ist, durch eine starke gesellschaftliche Verankerung die Bindung der Menschen an die Kirche zu wecken.“ Deshalb ging Manzke vor Ort auf die Feuerwehr und das Handwerk zu, auf Sportvereine und Sozialverbände, Unternehmer, Landwirte und Schulen - am besten gemeinsam mit der katholischen Kirche. „Die dienende Kirche ist für mich die Zukunft.“ Und unter anderem deshalb wird Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zu seinem Abschied ein Grußwort sprechen.

„Wir brauchen neue Formate“

Öffentlicher Protestantismus sei anspruchsvoll für die Pastorinnen und Pastoren, sagt Manzke: „Wir brauchen neue Formate: vom Stadionsingen bis zum Einschreibegottesdienst für Lehrlinge und Schulprojekttagen mit allen Schultypen.“ Punkten kann Schaumburg-Lippe dabei mit einem besonders günstigen Personalschlüssel: 1.900 Gemeindemitglieder kommen hier auf eine Pastorenstelle. Damit kann die Landeskirche zahlreiche Bewerberinnen und Bewerber aus ganz Deutschland anlocken.

Privat geht der verheiratete Vater zweier erwachsener Kinder gern schwimmen - möglichst jeden Morgen um 6.15 Uhr. „Die Bückeburger haben mich in ihre Schwimmgemeinschaft aufgenommen.“ Gelegentlich greift er auch zum Tennisschläger, spielt die Violine in einem Orchester und singt Tenor in einem Chor. „Musik und Sport sind neben der Familie meine Leidenschaften“, sagt Manzke. „Und da freue ich mich, im Ruhestand für alles mehr Zeit zu haben.“

Von Michael Grau (epd)



Soziales

Klimmzüge statt Knast




Daniel Magel (li) beim Sparring mit Ayman Piers
epd-bild/Dieter Sell
Schwitzen statt Schlagen, dazu Regeln und Respekt: Mit diesem Ziel tritt ein Bremer Jugendhilfeprojekt an, das es mittlerweile auch in Berlin und München gibt. Zum Erfolgsgeheimnis gehört ein Sport, der Gemeinschaft und Lifestyle verbindet.

Bremen (epd). Wenn Ayman Piers im Training boxt, dann fühlt er sich frei. „Ich liebe das, die Leute hier sind cool“, sagt der 25-Jährige, der sich noch sehr gut daran erinnert, wie es sich anfühlt, unfrei zu sein. Denn schon mit 15 Jahren saß er im Jugendknast: ein Jahr und zehn Monate hinter Gittern. Hunderte Einbrüche, Drogendeals und Diebstähle - er war ein Intensivtäter. Das Bremer Hood Training hat ihm geholfen, die Kurve zu kriegen.

Zehn Jahre nach seiner Verurteilung steht Ayman Piers mit beiden Beinen im Leben, hat Abitur und einen Job. Doch das sah zunächst ganz anders aus: Er wächst in Bremerhaven auf, in einem Umfeld von Armut und Kriminalität. Aber er will dazugehören, mit Statussymbolen wie einem teuren Handy und Markenklamotten, finanziert durch Brüche und Drogendeals. Eine Zeit lang glaubt er, dass es gut für ihn läuft. Zumindest schwimmt er im Geld, führt ein Leben wie im Rap-Video.

„Ich dachte immer: Mir passiert nie was“

Dann der Absturz: Die Polizei, die ihn lange schon im Auge hat, versteckt einen Peilsender am Fluchtauto, kann ihm so mehr als 40 Tatorte nachweisen. „Der Fahrer hat komplett ausgepackt: Die Zeiten passten, das Auto war da, die Aussagen waren da“, erinnert sich Ayman Piers. „Da ist für mich der Boden weggebrochen. Ich dachte immer: Mir passiert nie was.“

Im Knast lernt er Daniel Magel kennen, den Gründer des Hood Trainings. „Hood“ ist die Abkürzung von Neighbourhood und steht für die Nachbarschaft, den Kiez, in dem Jugendliche wie Ayman Piers aufwachsen. Als Zwölfjähriger war Magel mit seinen Eltern aus Kasachstan nach Deutschland gekommen und in Bremen in einem Quartier gelandet, in dem Drogen, Gewalt und Kriminalität zum Alltag gehörten - auch für ihn. Mit Sport gelang ihm die Wende. „Das hat mir den Arsch gerettet“, sagt Magel heute.

Er und seine Clique gründeten vor mehr als zehn Jahren das Hood Training, eine Initiative, die Jugendlichen neben Box- auch ein trendiges Kraftsporttraining bietet: Calisthenics. Bei Klimmzügen, Liegestütz, Handstand, Aufschwüngen und Barrenstütz ist das eigene Körpergewicht der Gegner. Sport statt Mist bauen, das ist die Devise von Magel, der schließlich Sonderpädagogik studiert hat. „Ich habe viele dumme Sachen gemacht“, blickt er zurück. „Aber wir wollten, dass die Kids so etwas nicht machen.“

„Lass Sport machen“

Immer kostenlos, niedrigschwellig und bewusst offen für alle, Jungs und Mädchen, lautet das Konzept. Daraus ist ein mehrfach ausgezeichnetes Vorzeigeprojekt geworden, zu dem derzeit mehr als 20 Outdoor-Sportparks mit Reckstangen und anderen Trainingsgeräten allein in Bremen gehören. Auch für Geflüchtete bietet Magel sein Training an - und im Gefängnis, für Jugendliche wie Ayman Piers.

Ergänzt werden die Parks durch Sportstudios - Gyms - und mobile Fitnessanlagen. Dazu gibt es Lifestyle-Angebote: Graffitisessions, Hip-Hop, die eigene Produktion von Musikvideos. Finanziert wird das alles über Sponsoren, Spenden und öffentliche Gelder, ein gerade gegründeter Förderverein hilft bei der Akquise. So zieht das Hood Training in Deutschland Kreise, wird als soziales Franchise-Konzept auch in München und Berlin angeboten. Frankfurt, Hamburg und Hannover sollen folgen.

Gerade in strukturell benachteiligen Quartieren sind Magel und sein Team präsent, verbinden in ihren Sportparks genauso wie in Schulen und Freizeitzentren urbane Jugend- und Sportkultur mit einem pädagogischen Konzept. Daniel Magel ist überzeugt: „Die Jungs, die da aufwachsen, wenn die nix zu tun haben, wenn die auch keinen haben, der sagt: Lass Sport machen, lass irgendwas Geiles machen, lass Mucke machen, lass checken, wer die meisten Klimmzüge schafft - also, wenn es da keinen gibt, der das macht, dann gehen die unter, dann landen die im Knast.“

Respekt und Regeln

Beim Training geht es immer um Respekt, um Regeln, Disziplin, Achtsamkeit, betont der heute 41-jährige Familienvater, der noch immer in seiner Hood von damals wohnt. „Wenn ich Sparring mache, wenn ich mit meinem Partner trainiere“, verdeutlicht der Pädagoge, „pass ich auf dich auf. Und ich erwarte, dass du auf mich aufpasst.“

Magel ist für viele ein Vorbild. Er macht im Training alles mit, schwitzt, schreit, geht an die Grenzen. Das überzeugt auch Ayman Piers. „Seine Pädagogik ist anders, alle fühlen diesen Schmerz beim Training, auch Daniel“, sagt er. „Das schleift irgendwo auch deinen Charakter. Du wirst ehrgeiziger, du wirst disziplinierter, das ist echt positiv.“

Mit dem Training findet Ayman Piers hinter Gittern ein Ventil für seine Energie und seine Aggressionen. Er lernt, seine emotionalen Grenzen zu erkennen und sie auch zu respektieren. Noch im Knast holt er seinen mittleren Schulabschluss nach, macht später das Fachabi, arbeitet mittlerweile im Vertrieb von Bauelementen und Photovoltaik-Anlagen. Er erzählt seine Geschichte so oft es geht, um andere zu inspirieren und auch zu warnen. Das sei hart, was er damals getan habe, sagt er: „Ich bereu' das bis heute.“

Von Dieter Sell (epd)


Sachsen-Anhalt beschließt Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen



Magdeburg (epd). In Sachsen-Anhalt soll Gewalt gegen Frauen stärker bekämpft werden. Die Landesregierung hat am 13. Februar einen Aktionsplan mit dem Titel „Progress“ (dt.: Fortschritt) beschlossen, teilte das Gleichstellungsministerium in Magdeburg mit. Er soll für die Umsetzung der sogenannten Istanbul-Konvention sorgen, ein völkerrechtliches Abkommen des Europarates gegen Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt. Laut Gleichstellungsministerin Petra Grimm-Benne (SPD) soll der Aktionsplan insbesondere Gewaltschutzangebote im ländlichen Raum voranbringen.

„Um betroffenen Frauen den Weg in ein gewaltfreies und selbstbestimmtes Leben aufzuzeigen, setzen wir auf ein gestärktes und gut vernetztes Hilfesystem“, sagte Grimm-Benne. Demnach stehen in diesem Jahr für den Kernbereich des Hilfesystems rund 7,5 Millionen Euro zur Verfügung. Das seien 3,5 Millionen Euro mehr als 2021, hieß es.

Der Aktionsplan soll den Angaben zufolge insbesondere das Hilfesystem für betroffene Frauen stärker vernetzen. Geplant ist demnach eine bessere Zusammenarbeit zwischen Polizei, Schulen, Behörden, Justiz oder Einrichtungen im Gesundheitssystem. So sollen etwa Ärzte und Krankenhäuser in das Netzwerk aktiv eingebunden werden, hieß es.

In Sachsen-Anhalt gibt es den Angaben zufolge derzeit 19 Frauenhäuser mit 117 Plätzen für Frauen und 142 Plätzen für ihre Kinder. Seit 2023 existieren zudem zehn ambulante Beratungsstellen. Vier Fachberatungsstellen für Betroffene sexualisierter Gewalt, vier Interventionsstellen, die Fachstelle „Vera“ und die Täterberatung durch „ProMann“ ergänzen demnach das Beratungsangebot.



Wanderausstellung über Gewalt gegen Frauen



Magdeburg (epd). Eine Wanderausstellung des Landes Sachsen-Anhalt soll Frauen Mut machen, die von Gewalt betroffen sind. In der am 14. Februar im Magdeburger Gesellschaftshaus eröffneten Schau werden Porträts von acht Frauen aus Sachsen-Anhalt gezeigt, denen der Weg aus der Gewalt gelang, wie das Sozialministerium in Magdeburg mittteilte. Die Schautafeln werden vom 15. Februar an für einen Monat im Börde Park Magdeburg zu sehen sein. Anschließend werden sie an weiteren Orten präsentiert.

Sozialstaatssekretärin Susi Möbbeck (SPD) sagte bei der Eröffnung der Schau im Magdeburger Gesellschaftshaus, alle vier Minuten erfahre eine Frau Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. „Der Schritt, Hilfsangebote zu nutzen, erfordert großen Mut“, fügte sie hinzu. Die Ausstellung trägt den Titel „Mutmacherinnen - Wege aus der Gewalt“.

Die Wanderausstellung soll den Angaben zufolge gewaltbetroffene Frauen bestärken, den Schritt in ein selbstbestimmtes Leben zu gehen. Sie wurde anlässlich des weltweiten Aktionstags „One Billion Rising“ eröffnet. Dazu gehen jährlich am 14. Februar Frauen und Männer auf die Straße, um gegen Gewalt an Frauen zu protestieren.

Möbbeck verwies aus diesem Anlass auf Hilfsangebote für Frauen. Laut Ministerium gibt es landesweit 19 Frauenhäuser mit derzeit 117 Plätzen für Frauen und 142 Plätzen für ihre Kinder. Seit 2023 bieten darüber hinaus zehn ambulante Anlaufstellen Schutz und Beratung. Die Landesregierung beschloss zudem am Dienstag den Aktionsplan „Progress“ (deutsch: Fortschritt) gegen Gewalt an Frauen, mit dem Hilfsangebote weiter gestärkt werden sollen.



Studie: Pflegearbeit noch immer Frauensache



Berlin (epd). In Deutschland leisten Frauen im Vergleich zu Männern deutlich mehr häusliche Altenpflege als in anderen europäischen Staaten. Das geht aus einer am 14. Februar veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) hervor. Die Ungleichheit der Pflegearbeit zwischen den Geschlechtern ist demnach in den Ländern kleiner, in denen mehr Geld für die professionelle Pflege bereitgestellt wird.

Täglich und wöchentlich pflegen Frauen in Deutschland demnach Angehörige und andere pflegebedürftige Menschen doppelt so häufig wie Männer. Damit befinde sich Deutschland beim Gender Care Gap, also dem Unterschied in der Pflege zwischen den Geschlechtern, im Mittelfeld der europäischen Länder. „Der Gender Care Gap ist in den Ländern kleiner, in denen mehr Geld für das formelle Pflegesystem ausgegeben wird“, sagte DIW-Forscher Peter Haan.

Für die Studie „Ausbau der Pflegeversicherung könnte Gender Care Gap in Deutschland verringern“ verglichen die Forscher 17 europäische Länder. In einigen dieser Staaten seien die privaten Pflegeleistungen zwischen den Geschlechtern weniger ungleich verteilt, heißt es in der Studie. Dazu gehörten etwa Portugal, Schweden, die Schweiz, Italien, Polen und Frankreich.

Ursache Rolle der Frauen auf dem Arbeitsmarkt

Als einen der Gründe für die ungleiche Aufteilung der Pflegearbeit zwischen den Geschlechtern sehen die Forscher den Arbeitsmarkt: In Deutschland gingen Frauen seltener einer Erwerbsarbeit nach und verdienten weniger, weshalb sie öfter als Männer für die Pflege von Angehörigen ihre Arbeitszeit reduzierten oder die Erwerbstätigkeit ganz aufgäben. Eine Reform des Ehegattensplittings und die Verbesserung der Betreuung von Kindern, die eine Vollzeiterwerbstätigkeit von beiden Eltern ermöglichen würde, könnte nach Ansicht der Experten dazu beitragen, die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu reduzieren.

Nach Auffassung der Autoren kann Deutschland von den Ländern mit geringem Gender Care Gap wie Schweden oder Schweiz lernen und mehr in formelle Pflege investieren, um Angebot und Qualität zu erhöhen und um den Aufwand der Angehörigen für die Pflege zu reduzieren. „In einer klugen Mischung könnten die höheren Ausgaben für die formelle Pflege aus Steuern oder höheren Beiträgen zur Pflegeversicherung finanziert werden. Zudem könnte die Pflegeversicherung zu einer Bürgerversicherung ausgeweitet werden“, schrieben die Berliner Forscher.



Im Bann der Online-Sportwetten




Online-Sportwettenanbieter auf einem Smartphone
epd-bild/Christian Ditsch
1,3 Millionen Menschen bundesweit sind süchtig nach Glücksspielen. Die Folgen können fatal sein. Betroffene verlieren weitaus mehr als nur Geld. Ein ehemaliger Spielsüchtiger berichtet, wie er in den Bann der Online-Sportwetten geraten ist.

Berlin, Bremen (epd). Mathias Kupper ist bereits als Kind mit Glücksspielen in Berührung gekommen. „Meine Eltern haben zu Hause häufig Poker gespielt. Anfangs waren es kleine Beträge und es ging nur um den Spaß“, erinnert sich der heute 40-Jährige. Auch er selbst habe früh angefangen zu spielen. Zunächst Lotto, dann kamen Sportwetten hinzu. „Die Einsätze wurden immer größer“, sagt der gelernte Maschineneinrichter.

Im Herbst 2014 stieß der Berliner auf Werbeangebote, bei denen neue Spieler mit 100 Euro Startgeld geworben wurden. „Das ist jedoch ein Trick. Man musste das Doppelte einsetzen, um überhaupt einsteigen zu können“, weiß Kupper heute. Spielhallen hätten ihn nie gereizt. Seine Sucht spielte sich online ab. „Das Problem hierbei ist die Geschwindigkeit und dass man nicht extra irgendwo hinfahren muss.“ So integrierte sich die Sucht in seinen Alltag. „Ich spielte beim Gassigehen mit dem Hund, auf der Arbeit am Schreibtisch, nachts im Bett. Es ging wahnsinnig schnell.“

Rückfall durch Rubbellos

Über zwei Prozent der Bevölkerung in Deutschland im Alter von 18 bis 70 Jahren weisen eine „Störung durch Glücksspiele“ auf. Das geht aus Zahlen des Glücksspiel-Surveys 2021 des Hamburger Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) hervor. Das sind etwa 1,3 Millionen Menschen bundesweit. Männer sind häufiger betroffen als Frauen.

Nach einem halben Jahr Spielsucht schaffte Kupper zunächst den Absprung. Doch nach eineinhalb Jahren Pause wurde er rückfällig. Der Rückfall wurde ausgelöst durch ein Rubbellos. „Ich war gerade einkaufen und bin an einem kleinen Kiosk vorbeigelaufen, wo Rubbellose verkauft wurden“, erinnert sich Kupper. „Ich dachte mir, zwei Euro könne ich problemlos investieren.“ Da er zehn Euro gewann, war er überzeugt davon, einen Glückstag zu haben.

Daraufhin sei er nach Hause gegangen und habe sein altes Tipico-Konto entsperren lassen. „Das ging sehr schnell und problemlos. Ich bin zurückgefallen in alte Muster. Die Spirale hat sich dann wieder gedreht.“ In seinem Freundes- und Bekanntenkreis habe niemand etwas von seiner Sucht bemerkt. „Ich habe es gut geheim gehalten“, sagt Kupper.

„Spieler werden gute Schauspieler“

Für Glücksspielforscher Tobias Hayer von der Universität Bremen ist das keine Überraschung. „Spieler werden mit der Zeit zu guten Schauspielern. Sie bauen sich ein Lügengerüst auf und führen teilweise über Jahre ein Doppelleben“, sagt der Psychologe. Auch was das Leihen von Geld betrifft, seien Glücksspielsüchtige oftmals sehr erfinderisch und überzeugend. „Wird das Geld zum Zocken dennoch knapp, sinken moralische Hemmschwellen. Zunächst muss das Sparschwein der Kinder daran glauben, am Ende einer Spielerkarriere stehen nicht selten diverse Akte der Beschaffungskriminalität. Es sind Einzelfälle bekannt, bei denen Beschäftigte Kundengelder veruntreut haben, um damit zu zocken.“

Die Geldprobleme sorgen bei Betroffenen für Scham. In der Folge ziehen sie sich immer weiter zurück, wodurch sie noch mehr Zeit für ihre Sucht haben. Finanzielle und psychische Probleme verstärken sich gegenseitig, was häufig in einer Abwärtsspirale endet. „Es liegt auf der Hand, dass die Glücksspielsucht eine extrem teure Suchterkrankung darstellt“, sagte Hayer dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Zudem gibt es, im Gegensatz zu anderen Suchterkrankungen, keine von außen sichtbaren Krankheitsanzeichen, wie Nadeleinstiche im Falle einer Drogenabhängigkeit oder ein torkelnder Gang bei einer alkoholbezogenen Störung.“

Angst vor Rückfall ständiger Begleiter

Betroffenen falle es daher relativ leicht, ihre Erkrankung vor dem sozialen Umfeld geheim zu halten. Was dazu führt, dass sie sich häufig zu spät Hilfe suchen - oder gar nicht. „Nur etwa zehn bis 15 Prozent nehmen entsprechende Beratungs- und Behandlungsangebote wahr“, sagt der Glücksspielforscher.

Seit knapp sieben Jahren geht Kupper einmal im Monat zu einer Selbsthilfegruppe. Die Angst, rückfällig zu werden, sei sein ständiger Begleiter. „Was mich zurückhält, ist das Wissen, was ich zu verlieren habe.“

Von Stefanie Unbehauen (epd)


Mehr Gewalttaten gegen Obdachlose



Berlin (epd). Die Zahl der Gewalttaten gegen Obdachlose in Berlin ist in den vergangenen fünf Jahren gestiegen. Im vergangenen Jahr seien 445 Fälle registriert worden, teilte die Senatsinnenverwaltung in ihrer am 14. Februar veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus mit. Im Jahr 2019 hatte die Zahl noch bei 417 Fällen gelegen. Die häufigsten Delikte stellten im vergangenen Jahr Körperverletzungen (212 Fälle), gefährliche und schwere Körperverletzungen (98 Fälle) sowie Raub (39 Fälle) dar.

Mit 29 Fällen wurde 2023 erstmals die Zahl der Opfer registriert, die weder männlichen noch weiblichen Geschlechts waren. Zwischen 2019 und 2023 stieg der die Zahl der betroffenen Frauen den Angaben zufolge von 67 auf 101. Die der Männer sank im gleichen Zeitraum von 350 auf 315.

Die Polizei bemüht sich demnach im Rahmen von Gesprächen unter anderem in Einrichtungen der Berliner Stadtmission und im Rahmen von Aktionen wie „Weihnachten mit Frank Zander“, Obdachlose für das Thema zu sensibilisieren und das Vertrauen in Ordnungskräfte zu stärken. Dabei würden überdies Informationen über Möglichkeiten der Opferentschädigung und Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen gegeben. Ein weiteres Ziel sei die Sensibilisierung der Mitarbeitenden der Polizei, im Besonderen in der Aus- und Fortbildung, hieß es.



Jesuiten-Flüchtlingsdienst: Bezahlkarte ist schäbig




SocialCard für Asylsuchende
epd-bild/LHH/Rheinlaender

Berlin (epd). Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst (JRS) lehnt die von den meisten Bundesländern beschlossene Bezahlkarte für Asylbewerber ab. „Es ist nicht erkennbar, welches reale Problem durch sie gelöst werden soll“, sagte der stellvertretende Direktor Stefan Keßler im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vor allem wegen des erwartbar hohen technischen Aufwandes erscheine die Einführung wenig sinnvoll, kritisierte der Referent für Politik und Recht, Sozial- und Verfahrensberatung. Es sei „schlicht und einfach schäbig, die Karte aus migrationspolitischen Erwägungen heraus besonders abschreckend zu gestalten“.

Die Bundesländer erhoffen sich von der Karte, die primär zum Einkaufen dienen soll, eine einfachere Auszahlung der Asylbewerberleistungen. Elektronisch bezahlt werden kann nur, wenn auf der Karte ein Guthaben vorhanden ist. „Wir können nicht nachvollziehen, inwieweit mit der Bezahlkarte die Verwaltungsabläufe wesentlich vereinfacht werden sollen“, sagte Keßler. Nur wenn mit der Bezahlkarte auch Bargeld abgehoben werden könne, was nicht vorgesehen sei, könne die parallel erfolgende Auszahlung von Bargeld in den Kommunen wegfallen. „Aber es wäre einfacher, den Menschen den Zugang zu regulären Bankkonten zu ermöglichen und die Hilfeleistungen darauf zu überweisen“, erklärte der Experte.

„Sozialleistungen sind keine Pull-Faktoren“

Die Restriktionen, die die Karte mit sich bringe, seien grundsätzlich der falsche Weg in der Integrationspolitik. „Sozialleistungen sind keine Pull-Faktoren. Wir erleben in unserer Arbeit eher, dass uns die Flüchtlinge sagen: Ich will arbeiten und selbstständig sein, nicht von staatlicher Hilfe leben müssen.“ Die Bezahlkarte sei zudem verfassungsrechtlich bedenklich, denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung müssten Sozialleistungen so gestaltet sein, dass sie den realen Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen. „Migrationspolitische Gesichtspunkte, so das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich, dürfen dabei keine Rolle spielen“, betonte Keßler.

„Mit der Bezahlkarte werden eher neue Probleme in der Verwaltung und bei der Beratung auftauchen, aber keine bestehenden Probleme gelöst“, sagte Keßler. Zu dem Plan der Länder, mittels Bezahlkarte Geldtransfers in die Heimatländer der Geflüchteten zu unterbinden, erklärte er, die Behauptung massenhafter Überweisungen werde „zwar immer wieder aufgestellt, ist aber bislang nie empirisch belegt worden“. Von den geringen Beträgen, die Asylsuchende an staatlicher Hilfe erhalten, ließen sich große Geldtransfers kaum finanzieren.

epd-Gespräch: Dirk Baas


Migrationsexpertin: Bezahlkarte kann Verwaltungsaufwand senken



Chemnitz (epd). Die Migrationsforscherin Birgit Glorius hält die Einführung einer Bezahlkarte für Geflüchtete für sinnvoll. Der Verwaltungsaufwand der Kommunen bei der Ausgabe von Asylbewerberleistungen könne dadurch sinken, sagte die Professorin der TU Chemnitz im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Einen zusätzlichen Nutzen sehe ich in der Möglichkeit, dass Geflüchtete auch bargeldlos einkaufen können, was mehr den heutigen Alltagsnormen entspricht als das Hantieren mit Bargeld.“ Durch die Bezahlkarten könne so auch ein Gleichstellungseffekt mit der übrigen Bevölkerung verbunden sein, sagte Glorius.

Sie verwies zur Begründung auf den bisherigen Aufwand bei der Versorgung von Asylbewerbern. Sie haben per Gesetz Anspruch auf die Deckung von Grundbedürfnissen, wie Wohnen, Bekleidung und Lebensmittel. Zudem steht ihnen ein Taschengeld zu. Zumindest in Kommunen, wo bisher mit Sachleistungen gearbeitet wird, brauche man eine Lagerhaltung, einen zentralen Einkauf und Personal für die Ausgabe: „Das ist ein erheblicher Aufwand.“ Dagegen müsse die Bezahlkarte nur einmal ausgehändigt werden, alles andere erfolge auf digitalem Wege.

„Sicherlich benötigt die Auszahlung des Taschengeldes als Bargeldleistung weiterhin eine parallele Verwaltungsstruktur, aber die Kombination Bezahlkarte und Taschengeld ist in der Summe weniger aufwendig als die Kombination Sachleistungen und Taschengeld“, betonte die Expertin.

Zugleich stellte die Professorin klar, dass Sozialleistungen für Geflüchtete, „gleich in welcher Zahlart, kein entscheidender Pull-Faktor sind“. Migration und Flucht folgen nach ihren Worten ganz anderen Logiken. „Ich würde Politikerinnen und Politikern aus dem demokratischen Parteienspektrum raten, sich mit entsprechenden öffentlichen Äußerungen ein wenig zurückzuhalten.“ Denn die Erwartungshaltung, dass die Bezahlkarte eine abschreckende Wirkung auf die Migrationsentscheidung von Asylsuchenden haben könnte, suggeriere, „dass sie nicht aus asylrelevanten Gründen nach Deutschland kommen, sondern um sich hier ohne eigenes Zutun ein schönes Leben zu machen“.

Glorius kritisierte die öffentlich geäußerten Erwartungen der Politik, dass die Bezahlkarte auch dazu beitrage, die Zahl neuer Geflüchteter zu senken. Damit legitimierten Politiker „die pauschale negative Stereotypisierung von Asylsuchenden und normalisieren zugleich die Ansichten von anti-demokratischen Kräften in diesem Land“.

epd-Gespräch: Dirk Baas


Der Leichnam als Humus?



Ein Berliner Unternehmen bietet eine neue Bestattungsform an: Bei der "Reerdigung" zerfällt der Leichnam in einem Kokon zu Erde und wird dann beigesetzt. Die Stadt Aschersleben in Sachsen-Anhalt findet die Idee gut - stößt aber auf Bedenken.

Aschersleben (epd). In Aschersleben in Sachsen-Anhalt ist eigentlich alles vorbereitet: Ein Teil des städtischen Friedhofs ist bereits reserviert für eine neuartige Form der Bestattung, und die Friedhofssatzung hat der Stadtrat auch schon entsprechend geändert. Allein: Was Oberbürgermeister Steffen Amme (Wählerinitiative Widab) und die Ratsvertreter planen, ist in Sachsen-Anhalt noch gar nicht erlaubt: die sogenannte „Reerdigung“, eine Art Kompostierung des Leichnams. Sie soll eine Alternative zur bisherigen Erd- oder Feuerbestattung bilden.

Die Idee: Ein Leichnam wird in einen Kokon eingeschlossen. Nur auf Heu und Stroh gebettet, soll er innerhalb von 40 Tagen weitgehend verwesen. Die hohe Temperatur in dem Behälter und die eigenen Mikroorganismen des toten Körpers sollen dafür sorgen, dass die Leiche in dieser kurzen Zeit zu Erde zerfällt. Wie bei der Feuerbestattung sollen dabei nur Knochen übrigbleiben, die zermahlen und wieder beigemischt werden. Dann kann der zu Humus zerfallene Leichnam ohne Sarg beerdigt werden.

Entwickelt hat die Methode das Berliner Startup-Unternehmen „Meine Erde“. Für Gründer und Geschäftsführer Pablo Metz sprechen vor allem zwei Gründe für diese neuartige Bestattungsform: So sei die Feuerbestattung wenig nachhaltig, vor allem wegen des hohen Erdgasverbrauchs bei der Einäscherung. Zudem hätten immer mehr Menschen den Wunsch, dass ihre äußere Hülle im Kreislauf der Natur erhalten bleiben könne.

Obwohl ein Gutachten der Universität Leipzig - allerdings nur auf Basis der Untersuchung von zwei „reerdigten“ Verstorbenen - die Unbedenklichkeit der Methode bestätigt hat, stößt die neue Bestattungsform noch auf breite Skepsis. Lediglich Schleswig-Holstein ist Ende Januar vorgeprescht: Der Kieler Landtag hat eine Experimentierklausel ins Bestattungsrecht aufgenommen und die Methode landesweit befristet zugelassen.

Davon ist man in Sachsen-Anhalt noch weit entfernt. Bereits seit einem Jahr debattiert das Land über eine Reform des Bestattungsgesetzes. Im Gesetzentwurf der zuständigen Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) ist die „Reerdigung“ nicht enthalten, allerdings wurde bei einer Anhörung des Landtags-Sozialausschusses im September 2023 die neue Methode breit diskutiert. Der Koalitionspartner CDU ist indes zurückhaltend, sieht noch Beratungsbedarf.

Auch der Ascherslebener Oberbürgermeister Amme war bei der Anhörung mit dabei, um für die „Reerdigung“ zu werben. Neben dem Gedanken der Nachhaltigkeit wolle man auch auf veränderte gesellschaftliche Bedürfnisse reagieren, sagte Amme dem epd. Deshalb plant die Stadt am Fuße des Harzes ein „Reerdigungs-Zentrum“, auch um ganz bewusst die Thematik der Nachhaltigkeit aufzugreifen, wie Amme betont. Der Plan kam durch den dortigen Friedhofsverwalter André Könnecke zustande, der zugleich Geschäftsführer des Verbands der Friedhofsverwalter Deutschlands ist. Beide wünschen sich eine Experimentierklausel wie im hohen Norden auch für Sachsen-Anhalt.

Die Kirchen im Land äußern sich allerdings zurückhaltend. Die zuständige Referatsleiterin im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Sabine Schulze, sieht zwar keine grundsätzlichen theologischen Bedenken. „Wir beobachten das ganz interessiert und sind überhaupt nicht ablehnend“, sagte Schulze. Die EKM sehe es aber nicht als ihren Auftrag an, diese neue Bestattungsform aktiv zu befördern. Schulze sieht vor allem rechtliche Aspekte ungeklärt: Ist der Humus wie ein Leichnam oder wie Asche zu betrachten? Das habe Auswirkungen beispielsweise auf die Nutzungsrechte oder die Bestattungstiefe.

Einwände anderer Art äußert der Leiter des Katholischen Büros in Sachsen-Anhalt, Stephan Rether. So werde mit der „Reerdigung“ der Eindruck erweckt, es gehe bei der Bestattung nur um einen Naturkreislauf menschlichen Lebens. „Wir sagen, die Ruhe des verstorbenen Menschen auf dem Friedhof ist getragen von der Hoffnung der Auferstehung“, betont Rether. Für eine Zulassung der „Reerdigung“ sind also noch viele Fragen offen.

Von Oliver Gierens (epd)


Sachsen fördert Begegnungsorte in Gemeinden



Dresden (epd). Das sächsische Sozialministerium will mit der finanziellen Förderung von Begegnungsorten in Gemeinden das soziale Engagement vor Ort unterstützen. Seit 2021 seien so mehr als 50 Projekte und Ideen als „Soziale Orte“ gefördert worden, erklärte Sozialministerin Petra Köpping (SPD) am 14. Februar in Dresden. Dafür stünden vier Millionen Euro im Jahr zur Verfügung. Mittlerweile hätten insgesamt 57 Projektträger durch die Sächsische Aufbaubank eine finanzielle Förderung ihrer „Sozialen Orte“ erhalten.

Köpping betonte, ein sozialer Treffpunkt mit Raum für Begegnung, Austausch und Miteinander stärke den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Gemeinde - „ganz ohne Vereinsmitgliedschaft, niedrigschwellig, für alle Generationen“. „Ob im ehemaligen Kino oder im Einkaufszentrum: Gemeinsam mit den Engagierten in den Regionen schaffen wir Orte des Gemeinwesens“, sagte die Ministerin.

Die Förderung lege einen Schwerpunkt auf den ländlichen Raum und auf benachteiligte Stadtteile. Gefördert werden demnach Projekte in Gemeinden mit weniger als 40.000 Einwohnern oder mit einem konkreten, bedarfsorientierten Stadtteilbezug. In Ausnahmefällen würden auch die Weiterführung oder die Erneuerung von „Sozialen Orten“ mit Personal- und Sachkosten sowie bauliche Investitionen kofinanziert.



Fördermittel für Tafeln in Brandenburg



Herzberg/Hamburg (epd). Für Tafel-Angebote zugunsten Bedürftiger in 14 brandenburgischen Städten stellt die Fernsehlotterie mehr als 800.000 Euro Fördermittel bereit. Die symbolische Scheckübergabe an den Arbeitslosenverband als Träger der Einrichtungen sei am 21. Februar in Herzberg geplant, teilte die Deutsche Fernsehlotterie am 15. Februar in Hamburg mit.

Insgesamt sollen 823.500 Euro an Tafeln in Forst, Großräschen, Luckenwalde, Neuruppin, Königs Wusterhausen, Oranienburg, Senftenberg, Stausberg, Zehdenick, Zossen, Potsdam, Bad Belzig, Bad Liebenwerda und Erkner gehen, hieß es. Die Tafeln würden mit der Förderung unter anderem bei der Neuanschaffung von Transportern mit Kühltechnik, bei nachhaltigen Investitionen für Kühl- und Lagerungstechnik, Personal- und Energiekostenzuschuss unterstützt.

Mehr als 13 Millionen Menschen in Deutschland seien von Armut betroffen oder unmittelbar von ihr bedroht, hieß es. Etwa zwei Millionen von ihnen nutzten das Hilfsangebot der Tafeln. Vor dem Hintergrund von Pandemie, Ukrainekrieg, Inflation und gestiegenen Energiekosten unterstützten diese aktuell so viele Menschen wie noch nie zuvor.

Viele Tafeln im gesamten Bundesgebiet seien an ihrer personellen und strukturellen Belastungsgrenze angekommen und bräuchten Unterstützung, hieß es weiter. Die Fernsehlotterie fördere deshalb bundesweit Tafel-Angebote mit insgesamt 30 Millionen Euro.



Auszeichnung für jugendliche Tüftler



Bensheim/Erfurt (epd). Die beiden Thüringer Tino Krosch (17) aus Saalfeld und Aeneas Neumann (14) aus Altenburg haben Bundespreise der Christoffel-Blindenmission (CBM) für „Innovationen für Menschen mit Behinderungen“ gewonnen. Prämiert worden sei etwa die Entwicklung eines Rollators für unwegsames Terrain. Ausgezeichnet wurde auch die Verbesserung des Tragekomforts von Beatmungsschläuchen, wie der Verein am 15. Februar im hessischen Bensheim mitteilte. Beide Ehrungen sind mit jeweils 300 Euro dotiert.

Tino Krosch erweiterte den Angaben zufolge das Standardmodell eines Rollators um einen Antrieb mit Sensoren und eine automatische Bremse. Damit könnten Hilfsbedürftige steile Rampen und Wegstrecken besser bewältigen. Zusätzlich habe er die Gehhilfe mit einer Hebemechanik versehen, um Bordsteinkanten ohne Kraftaufwand zu überwinden.

Aeneas Neumann aus Altenburg habe die Auszeichnung für umfangreiche Umbauten am Beatmungsschlauch seines erkrankten Großvaters erhalten. Bislang habe der Versorgungsschlauch bei seinem Opa schmerzhafte Druckstellen verursacht. Zudem habe die Länge des Schlauchs die Bewegungsfreiheit des Seniors eingeschränkt. Mittels einer am Schlauch befestigten Rückholfeder wurde etwa der Aktionsradius des Patienten erweitert.

Die CBM zeichnet mit ihrem Sonderpreis „Innovationen für Menschen mit Behinderungen“ kreative Studien und Projekte im Rahmen des Wettbewerbs Jugend forscht aus. Der Sonderpreis geht an Arbeiten, die behinderten Menschen den Alltag erleichtern, Chancengleichheit fördern oder sich mit dem Zusammenhang von Krankheit und Behinderung befassen.



Mehr männliche Erzieher in sächsischen Kitas



Dresden (epd). Der Anteil männlicher Erzieher in Sachsen ist deutlich gestiegen. In den Kindertageseinrichtungen arbeiteten derzeit 4.237 Erzieher, teilte das Kultusministerium am 16. Februar in Dresden mit. Damit nahm der männliche Anteil seit 2006 von 1,5 auf 10,6 Prozent zu.

Sachsen liege weiter über dem Bundesdurchschnitt von 7,9 Prozent, hieß es. Auch die Zahl der männlichen Fachkräfte im Bereich der Kita-Leitung sei gestiegen: 294 Kindertagesstätten in Sachsen werden von einem Mann geleitet. 2008 waren lediglich 28 Männer in dieser Position tätig. Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU) erklärte: „Wir sind auf einem guten Weg hin zu gemischten Kita-Teams.“

Das sei gut so, denn Kinder brauchten Frauen und Männer als Bezugspersonen. In den Großstädten liege der Anteil der beschäftigten Männer in den Kindertageseinrichtungen sogar deutlich über dem Landesdurchschnitt: In Dresden betrage er 15,5 Prozent, in Leipzig 17,2 Prozent.




Gesellschaft

"Wir haben es selbst in der Hand"




Menschenkette am Dresdner Gedenktag
epd-bild/Matthias Schumann
Dresden erinnert jeweils am 13. Februar an die Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Mindestens 25.000 Menschen starben damals. Der Gedenktag war in diesem Jahr vom Appell für Demokratie und Menschenwürde geprägt.

Dresden (epd). Zahlreiche Dresdnerinnen und Dresdner haben anlässlich des Jahrestages der Zerstörung der Stadt vor 79 Jahren am 13. Februar gegen Rechtsextremismus und Rassismus demonstriert. An einer Menschenkette beteiligten sich am Abend nach Angaben der Stadtverwaltung 13.000 Menschen.

Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) rief bei der Kundgebung dazu auf, sich vehement für Demokratie und die Menschenwürde einzusetzen. „Das Fundament unserer politischen Ordnung sind die Menschen- und Bürgerrechte“, sagte Hilbert. Angesichts der Zunahme von Rassismus und menschenverachtenden Weltbildern in der Gesellschaft mahnte er: „Die Zukunft unserer Demokratie entscheidet sich an der Wahlurne. Wir haben es selbst in der Hand, wer Macht erhält und wer sie entzogen bekommt.“

Die nationalsozialistische Terrorherrschaft sei „kein Zufallsprodukt“ gewesen. Der Nationalsozialismus sei „bei freien und demokratischen Wahlen von einem großen Teil der Bevölkerung eingeladen“ worden, „zur stärksten politischen Kraft zu werden“, sagte Hilbert. Die Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges dürfe nicht von Nationalisten umgedeutet und instrumentalisiert werden.

Der Gedenktag hatte am Vormittag mit einer Kranzniederlegung auf dem Nordfriedhof begonnen. Weitere Gedenkveranstaltungen fanden auf dem Neuen Katholischen Friedhof und auf dem Heidefriedhof statt. Jeweils am 13. Februar erinnert Dresden an die Luftangriffe der Alliierten von 1945 auf die Stadt. Damals starben laut Schätzungen rund 25.000 Menschen, die Altstadt wurde nahezu vollständig zerstört.

Mehrere Veranstaltungen sollten am 79. Jahrestag der Zerstörung Dresdens ein deutliches Zeichen gegen Rechts und für Demokratie setzen. Die Dresdner Philharmonie lud zu einem Bürgersingen am Kulturpalast ein. Am Abend war ein Gedenkkonzert geplant. Die Frauenkirche hatte außer dem traditionellen stillen Gedenken auf dem Neumarkt auch eine „Nacht der Stimmen“ mit Redebeiträgen zur Demokratie auf dem Programm.

Frauenkirchenpfarrer Markus Engelhardt betonte: „Einfach nur kontemplatives Innehalten und Erinnern wie in den Jahren und Jahrzehnten zuvor reicht in der heutigen gewandelten Situation nicht mehr aus.“ An der Frauenkirche hängt zudem seit einigen Tagen ein Banner mit dem Slogan „Wir haben die Wahl - Für Demokratie gegen Rechtspopulismus“.

Das Bündnis Weltoffenes Dresden hatte zudem eine Kunstaktion veranstaltet. Noch bis zum 18. Februar sind Installationen und Banner an zentralen Orten der Stadt zu sehen. Daran sind 18 Kulturinstitutionen beteiligt, darunter das Deutsche Hygiene-Museum, die Dresdner Musikfestspiele, die Semperoper und die Staatliche Kunstsammlungen Dresden.

Zum Abschluss des Gedenktages war ein ökumenischer Friedensgottesdienst in der Dresdner Kreuzkirche vorgesehen. Im Anschluss daran sollten die Kirchenglocken der Stadt um 21.45 Uhr läuten, dem Zeitpunkt des ersten Bombenangriffs am 13. Februar 1945.

Bereits am 11. Februar hatten Rechtsextremisten versucht, den Gedenktag für ihre Zwecke zu missbrauchen. Rund 5.000 Menschen demonstrierten dagegen.



Demonstration gegen Rechtsextremismus in Magdeburg



An einem Protest gegen rechtsextreme Kräfte hat sich in Magdeburg auch der Chef der Landesregierung beteiligt. Haseloff rief dazu auf, entschlossen für die Demokratie einzutreten. Bei der Kundgebung ergriffen auch zwei Bischöfe das Wort.

Magdeburg (epd). Zahlreiche Menschen haben am 17. Februar in Magdeburg gegen Rechtsextremismus protestiert. An der Demonstration nahmen laut Polizei 3.000 Menschen teil. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach als Anmelder der Versammlung von 6.000 Teilnehmern. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) forderte bei der Abschlusskundgebung auf dem Domplatz laut Redemanuskript dazu auf, entschlossen für Überzeugungen und demokratische Institutionen einzutreten: „Wir haben Verantwortung vor der Geschichte und für die Gestaltung der Zukunft.“

Ein Bündnis aus Kirchen, Verbänden, Parteien und Gewerkschaften hatte zu dem Protest aufgerufen. Haseloff betonte dabei mit Blick auf bundesweite Demonstrationen gegen Rechtsextremismus, der beste Weg, Meinungs-, Versammlungs-, Presse- und Glaubensfreiheit zu schützen, sei, diese Rechte selbstbewusst in Anspruch zu nehmen.

„Wehret den Anfängen“, mahnte der Ministerpräsident mit Blick auf die Weimarer Republik. Die Frage, ob die Gefahr für die Demokratie auch heute wieder existenzbedrohend werden könne, sollte laut Haseloff nicht voreilig verneint werden

Der Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, sagte Rassismus, Judenhass, Nationalismus und Hetze seien unvereinbar mit dem christlichen Glauben. Kramer verwies auf die Namensgeber des Magdeburger Doms, Mauritius und Katharina, die der Überlieferung nach beide aus Ägypten stammen. Der Dom als Wahrzeichen der Stadt stehe für Vielfalt, betonte Kramer. „Lasst uns zusammenstehen für eine Gesellschaft, in der Menschen, egal woher sie kommen und wie sie aussehen, friedlich und respektvoll miteinander leben“, forderte der Bischof.

Der katholische Bischof von Magdeburg, Gerhard Feige, warnte, manche, die gewählt würden, seien keine Demokraten, sondern entpuppten sich als „Rattenfänger“ und „Brandstifter“. Demokratie sei „anspruchsvoll und anstrengend, aber immer wieder wert, schöpferisch gestaltet und - wenn notwendig - gemeinsam verteidigt zu werden“. Keine andere Staatsform habe sich als menschenfreundlicher erwiesen.

Es sei nicht die spezifische Aufgabe der Kirchen, Tages- oder Parteipolitik zu machen. Wenn es aber um die grundlegenden Werte des Zusammenlebens gehe, „lasse ich mir den Mund nicht verbieten“, sagte der Bischof über seine Teilnahme an der Demonstration. Der christliche Glaube dränge dazu, tatkräftig für eine bessere Welt einzutreten. Feige rief zu Wachsamkeit gegenüber Feindbildern, Verschwörungsmythen, Lügen, der Verkehrung von Tatsachen und dem Gift vermeintlich einfacher Lösungen auf.

In dem Aufruf zur Demonstration hieß es: „Wir sind entsetzt über die Deportations- und Vertreibungspläne der extremen Rechten und weisen diese energisch zurück.“ Das Bündnis wolle zeigen, dass die Mehrheit und Mitte der Gesellschaft sich weiterhin für die demokratischen Errungenschaften stark mache. Zu den Unterzeichnern gehörten auch die Arbeiterwohlfahrt (Awo), die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM), die Diakonie Mitteldeutschland, der Caritasverband für das Bistum Magdeburg sowie „Fridays for Future“.



Steinmeier beeindruckt von Demos gegen Rechtsextremismus



Berlin (epd). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Teilnehmer der Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und die AfD für ihr Engagement für die Demokratie gelobt. „Liebe Landsleute, ich bin beeindruckt“, sagte er in einer am 17. Februar veröffentlichten Videobotschaft. Ob in Rostock, München, Apolda oder Zweibrücken, in großen Städten und kleinen Gemeinden sei die demokratische Mitte der Gesellschaft hellwach. „Unsere Demokratie ist lebendig“, sagte das Staatsoberhaupt.

Die große Mehrheit im Land stehe vereint gegen Menschenhass, Gewalt und Extremismus. „Und was wichtig ist: Diese große Mehrheit zeigt sich, sie ist sichtbar“, sagte Steinmeier. Auch am Wochenende demonstrieren zahlreiche Bürgerinnen und Bürger gegen den Rechtsruck.

Seit einem Bericht des Recherchenetzwerks „Correctiv“ über ein Treffen von AfD-Vertretern mit Neonazis und Unternehmern Ende November gibt es bundesweit Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Laut der im Januar veröffentlichten Recherche wurde bei dem Treffen über die massenhafte Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen.



Demonstration gegen "Institut für Staatspolitik"



Schnellroda (epd). Zahlreiche Menschen haben am 18. Februar gegen das als rechtsextrem eingestufte „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda (Saalekreis) demonstriert. Daran nahmen nach Polizeiangaben 230 Personen teil. Die Linken-Abgeordnete im sachsen-anhaltischen Landtag, Henriette Quade (Linke), sprach im Internetdienst X, vormals Twitter, von rund 250 Demonstranten.

Hintergrund war laut Demonstrationsaufruf des Bündnisses „IfS dichtmachen“ die „Winterakademie“ des Instituts, die von Freitag bis Sonntag in Schnellroda stattfinden sollte. Dort seien in der Vergangenheit immer wieder Vertreter der Neuen Rechten aufgetreten, darunter auch prominente AfD-Politiker wie der Thüringer Fraktionschef Björn Höcke. Auch Personen, die im November bei dem Treffen Rechtsextremer in Potsdam dabei gewesen sein sollen, gehören laut Aufruf regelmäßig zu den Gästen des Instituts.

Das im Jahr 2000 unter anderem von dem Verleger und Publizisten Götz Kubitschek gegründete „Institut für Staatspolitik“ gilt als Denkfabrik der Neuen Rechten. Es wurde 2023 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Dessen Positionen seien nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, hieß es zur Begründung.

Im Verfassungsschutzbericht 2022 des Landes Sachsen-Anhalt heißt es unter anderem, die vom Institut herausgegebenen Schriften und Äußerungen seiner führenden Vertreter zeichneten sich - wenn auch in geringerem Ausmaß als bei anderen rechtsextremistischen Bestrebungen - durch rassistische und biologistische Sichtweisen aus.



Brandbrief-Lehrer fordert mehr Demokratie-Engagement



Potsdam (epd). Der durch den Brandbrief gegen Rechtsextremismus in Burg bekannt gewordene Lehrer Max Teske hat mehr Alltagsengagement für die Demokratie gefordert. Dazu gehöre auch, keine Vertreter rechtsextremer Parteien und Organisationen in Gremien wie Kita-Beiräte zu wählen, sagte Teske der in Potsdam erscheinenden „Märkischen Allgemeinen Zeitung“ (12. Februar). Als Beispiel nannte er einen Kita-Beirat in Brandenburg, dessen Vorsitz ein Funktionär der als gesichert rechtsextrem eingestuften Jugendorganisation der AfD innehabe.

Eltern und Kitas müssten Haltung zeigen und den AfD-Vertreter abwählen, sagte Teske. Es sei inakzeptabel, dass dieser als Beiratsvorsitzender Entscheidungen für Kinder treffe. Dass er sich dort für die Belange aller Kinder einsetzt, sei wegen seines Weltbilds unrealistisch, sagte Teske: „Da muss die demokratische Menschheit aufstehen, laut werden und klarmachen: So jemanden wollen wir in einer solchen Position nicht haben.“

Dass er 2023 gemeinsam mit einer Kollegin rechtsextreme Vorfälle an der Schule in Burg öffentlich gemacht hat, bereue er nicht, sagte Teske. Beide hätten zwar nach Anfeindungen die Schule verlassen. Für die Gesellschaft sei es jedoch wichtig zu wissen, was an Schulen vor sich gehe. Missstände könnten nur bekämpft werden, wenn sie bekannt sind. Der Brandbrief habe positive Folgen gehabt. Die Schulpolitik in Brandenburg habe sich durch den Brief und die anschließenden Debatten geändert.

An seiner neuen Schule sei die Schülerschaft „bunt durchmischt“, sagte Teske: „Die Schüler sind in ihrer Weltanschauung offener als die Schüler in Burg.“



Prozess gegen Verantwortliche des Verlags "Der Schelm"



Dresden (epd). Der Prozess gegen drei Verantwortliche des rechtsextremen Verlags „Der Schelm“ soll am 14. März vor dem Oberlandesgericht Dresden beginnen. Der Generalbundesanwalt lege Enrico B., Matthias B. und Annemarie K. die Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor, wie das Gericht am 14. Februar in Dresden mitteilte. (AZ: 4 St 1/23)

Die Angeklagten hätten sich mit dem gesondert verfolgten A.P. zusammengeschlossen, um unter dem Dach des Verlags „Der Schelm“ eine nationalsozialistische und antisemitische Ideologie durch den Verkauf entsprechender Bücher zu verbreiten. Die Schriften enthielten laut Bundesanwaltschaft überwiegend nationalsozialistische und antisemitische Inhalte, die unter anderem zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufstachelten und den Holocaust leugneten.

Der Umsatz habe sich zwischen 2018 und 2020 auf mehr als 800.000 Euro belaufen. Bei einer Durchsuchung am 17. Dezember 2020 seien weitere Druckerzeugnisse mit überwiegend volksverhetzendem Inhalt mit einem Verkaufswert von mehr als 900.000 Euro aufgefunden und sichergestellt worden.

Die Angeklagten seien für Vertrieb und Lagertätigkeit verantwortlich gewesen, hieß es weiter. Vertrieben worden seien Druckerzeugnisse wie etwa „Mein Kampf“ von Adolf Hitler, „Der Aufstieg der Juden“ von Ferdinand Fried oder „Die jüdische Weltpest - Judendämmerung auf dem Erdball“ von Hermann Esser. Die Angeklagten hätten damit eine Vereinigung gegründet oder sich daran beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten wie Volksverhetzung gerichtet gewesen sei.



Rektorenpräsident: Möglichkeit des Diskurses muss gegeben sein




Walter Rosenthal
epd-bild/David Ausserhofer
Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Walter Rosenthal, hat die Universitäten dazu aufgerufen, sich beim Thema Antisemitismus klar zu positionieren: Bei antisemitischen Straftaten müssten Hochschulmitglieder angezeigt werden.

Berlin (epd). Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Walter Rosenthal, hat die Universitäten dazu aufgerufen, sich beim Thema Antisemitismus klar zu positionieren. Bei antisemitischen Straftaten müssten Hochschulmitglieder angezeigt werden, sagte Rosenthal in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zugleich warnte er vor überschnellen Reaktionen. Jenseits strafbarer Handlungen müssten Hochschulen sicherstellen, dass die Möglichkeit des Diskurses von allen Seiten eingeräumt wird.

epd: Der Nahost-Konflikt hat nach dem 7. Oktober auch an deutschen Hochschulen zu hitzigen bis handgreiflichen Debatten geführt. Dazu gehören Hörsaalbesetzungen, Störungen von Veranstaltungen und Demonstrationen. Was kann, was muss eine Hochschule aushalten, und wo sind die Grenzen des Diskurses?

Rosenthal: Hochschulleitungen finden sich in der schwierigen Position, in manchmal unübersichtlichen Lagen rechtliche und hochschulpolitische Fragen ausloten zu müssen. Klar ist: Straftaten zu verfolgen, ist Aufgabe der Behörden. Störungen der internen Abläufe können Hochschulen mit dem Hausrecht entgegentreten. Antisemitische Aktionen, bei denen jede Diskussion verweigert und niedergebrüllt wird, setzen sich bewusst außerhalb des von der Wissenschaftsfreiheit geschützten Diskurses und stellen gerade deshalb in Frage, was Hochschulen im Kern ausmacht.

epd: In Berlin ist ein jüdischer Student der FU mutmaßlich von einem propalästinensischen Mitstudenten krankenhausreif geschlagen worden. Wie sollte Ihres Erachtens die Hochschulleitung darauf reagieren?

Rosenthal: Ich gebe Mitgliedshochschulen öffentlich keine Ratschläge. Generell ist es ein erster Schritt, wie geschehen, dass sich Hochschulen klar positionieren. Sie müssen auch konkret handeln, also antisemitische Straftaten von Hochschulmitgliedern anzeigen und - wo nötig - Sicherheitsvorkehrungen auf dem Campus erhöhen; Hausverbote aussprechen und durchsetzen, wenn der Studien- und Forschungsbetrieb durch Hochschulangehörige oder Dritte gestört wird, Anlaufstellen für Antidiskriminierung beziehungsweise Antisemitismus einrichten und stärken. Mittelbar sollten auch Forschung und Lehre zum Judentum, zu jüdischer Geschichte und zu jüdischem Denken, die Vermittlung der Geschichte des Staates Israel wie auch Angebote der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Antisemitismus ausgeweitet werden.

epd: Auf politischer Ebene wird jetzt gefordert, dass das Berliner Hochschulgesetz geändert wird, damit Gewalttäter leichter von der Uni verwiesen, das heißt exmatrikuliert werden können. In anderen Bundesländern ist das schon heute möglich. Befürworten Sie einen solchen Schritt oder sehen Sie Gefahren?

Rosenthal: Bei allem Verständnis für den Ruf nach schnellen Sanktionen bin ich skeptisch, wenn rechtsstaatlichen Verfahren damit vorgegriffen werden soll. Für die Verfolgung und Sanktionierung strafbarer Handlungen sind Polizei und Justiz zuständig. Es ist daher richtig, weitere Maßnahmen wie die zwangsweise Exmatrikulation an strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Das gebietet nicht nur der starke Grundrechtsschutz, der heute schon etwa im Falle eines Hausverbots Anhörungen und Befristungen verlangt. Es liegt auch im Wesen der Hochschulen und ihrer Autonomie, sich nicht in erster Linie als ordnungspolitisches Instrument zu verstehen. Hochschulen müssen zwar auch Grenzen ziehen können, sind in ihrem Kern aber Orte der dialogbasierten, offenen Zivilgesellschaft, und sie wollen, ja sie müssen dies auch bleiben.

epd: Der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz hat kürzlich in einem Interview unter anderem den Hochschulen vorgeworfen, aus „Angst, das Falsche zu tun“ in „Schreckstarre“ zu verfallen, „wenn nur das Wort Antisemitismus am Horizont als Vorwurf erscheint“. Droht mit Blick auf den Nahost-Konflikt eine „Cancel-Culture“ im akademischen Raum, weil zu schnell der Antisemitismusvorwurf erhoben wird?

Rosenthal: Ich bin nicht der Ansicht, dass Hochschulen generell bestimmte Maßnahmen oder Sichtweisen ausschließen, aus Sorge, sich Antisemitismus vorwerfen lassen zu müssen. Jenseits strafbarer Handlungen und Äußerungen müssen Hochschulen aber sicherstellen, dass die Möglichkeit des Diskurses von allen Seiten eingeräumt wird. Insofern stimme ich Wolfgang Benz zu: Argumente: ja, Auseinandersetzung und Streit: selbstverständlich, aber Aggression und Niederbrüllen: Nein.

epd-Gespräch: Lukas Philippi


FU-Professoren warnen vor Hetze und Polarisierung



Seit einem Angriff auf einen jüdischen Studenten kommt die Freie Universität Berlin nicht zur Ruhe. Jetzt haben sich auch Professoren zu Wort gemeldet und fordern klare Haltung.

Berlin (epd). Zahlreiche Professoren und andere Mitglieder der Freien Universität Berlin (FU) haben von den Angehörigen der Hochschule eine klare Haltung gegen Antisemitismus und Intoleranz eingefordert. In einer am 16. Februar auf der FU-Internetseite veröffentlichten Stellungnahme heißt es unter anderem: „Wir erklären uns solidarisch mit den Opfern von Hassrede, Hetze und Ausgrenzung, insbesondere mit den Opfern antisemitischer Attacken.“ Eine Universität müsse für Juden wie für alle Menschen ein sicherer Ort sein.

Der Romanistik-Professor Bernhard Huß erklärte als einer der Initiatoren gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd), die Stellungnahme sei als Appell an die „breite Universitätsöffentlichkeit“ gedacht. Zuerst hatte die „Berliner Morgenpost“ (Freitag) darüber berichtet.

Bis Donnerstagnachmittag hatten laut FU-Internetseite mehr als 160 Menschen die Stellungnahme unterzeichnet. Initiatoren waren neben Huß nach dessen Angaben Johanna Fabricius (Klassische Archäologie), Karin Gludovatz (Kunstgeschichte), Andrew James Johnston (Englische Philologie) und Doris Kolesch (Theaterwissenschaft).

Bereits am Mittwoch hatte der Akademische Senat der FU das Präsidium der Hochschule aufgefordert, „in klaren Worten“ gegen antisemitische Gewalt und Hass Position zu beziehen. Hintergrund ist ein tätlicher Angriff auf einen jüdischen Studenten der FU von Anfang Februar.

Als Tatverdächtiger gilt ein Mitstudent, der zuvor unter anderem an einer propalästinensischen Hörsaalbesetzung beteiligt gewesen war. Die FU hat gegen den Tatverdächtigen am 9. Februar ein Hausverbot ausgesprochen. Der Akademische Senat rief alle Hochschulangehörigen auf, sich für ein friedliches Miteinander einzusetzen.

Die FU-Angehörigen schreiben in ihrem Appell, „der terroristische Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat in Israel und den palästinensischen Gebieten zu einer verheerenden Lage geführt“. „Sowohl das Massaker der Hamas an israelischen Zivilisten als auch die harte Reaktion der israelischen Regierung und des israelischen Militärs“ zögen vielerlei Kritik auf sich. Die Debatte darüber „bedarf angesichts des Leids in Israel und im Gazastreifen sowie angesichts der Komplexität der Situation einer umsichtigen und an objektiven Sachverhalten orientierten Argumentation“. Historisch unangemessene Vergleiche verhinderten dabei einen dringend nötigen Dialog.

Der Anspruch der FU, ein Raum der demokratischen und von gegenseitigem Respekt geprägten Diskussion zu sein, verpflichte dazu, die notwendige Differenzierung einzufordern. „Der jüngsten, dramatischen Tendenz zur Polarisierung treten wir entschieden entgegen“, schreiben die Professoren und Mitarbeiter der Hochschule. Die Polarisierung zeige sich insbesondere an einer „inakzeptablen und gefährlichen Verschiebung von sachlich geführter Kritik an der Politik der israelischen Regierung hin zu hasserfülltem, gewaltbereitem Antisemitismus sowie an einer problematischen Gleichsetzung aller jüdischen Menschen mit der Politik der israelischen Regierung“. Das schändlichste Beispiel hierfür sei der brutale Überfall auf den jüdischen Studenten gewesen.



Mehr rechtsextreme Vorfälle an sächsischen Schulen



Dresden (epd). Die Zahl rechtsmotivierter Straftaten an sächsischen Schulen hat im vergangenen Jahr mit bislang 122 Fällen einen neuen Höchstwert erreicht. Dies sei ein Anstieg um 67 Prozent gegenüber 2022 (73 Vorfälle), erklärte die Linken-Politikerin Kerstin Köditz am 14. Februar in Dresden unter Berufung auf die Antwort des sächsischen Kultusministeriums auf eine parlamentarische Anfrage. Allerdings seien die Zahlen für das vergangene Jahr noch vorläufig, Nachmeldungen der Polizei seien möglich.

Dabei handele es sich überwiegend um Fälle des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Typischerweise gehe es um Schmierereien an Schulgebäuden. Darunter waren 16 Grundschulen betroffen.

Kultusminister Christian Piwarz (CDU) verwies in seiner Antwort zudem auf 149 „Vorfälle mit rechtsextremem Hintergrund“, die im vergangenen Jahr den Schulaufsichtsbehörden gemeldet wurden. In dem Zusammenhang habe es 39 Beratungsanfragen bei dem Verein Courage-Werkstatt für demokratische Bildungsarbeit gegeben, einem vom Ministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt geförderten Beratungsträger.

Köditz bezeichnete die im vergangenen Jahr von den Schulbehörden registrierten Vorfälle als „außergewöhnlich hoch“. 2022 seien es 48 Fälle gewesen, ein Jahr davor 91. Zuletzt sei es unter anderem um rassistische und antisemitische Beleidigungen, Hitlergrüße im Unterricht, NS-Verherrlichung in Klassen-Chats und rechte Propaganda auf dem Schulgelände gegangen. Auch tätliche Übergriffe gegen Schulkinder sowie Drohungen gegen Lehrkräfte habe es gegeben.



Ermittlungen nach Brand in ehemaliger KZ-Außenstelle



Dresden (epd). Die Polizeidirektion Dresden ermittelt nach einem Brand in einer ehemaligen Industriehalle, in der sich während der NS-Zeit ein Außenlager für KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter befand. Bei den Ermittlungen gehe es um die Brandursache, sagte ein Polizeisprecher am 18. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zunächst müsse geklärt werden, ob das Gebäude stabil genug sei, um von den Brandermittlern betreten werden zu können. Aufgrund des Feuers hatte es in der Nacht auf Sonntag einen Großeinsatz der Feuerwehr mit 62 Einsatzkräften gegeben. Wenige Stunden vor dem Brand hatte eine Dresdner Wählervereinigung den Erhalt der Halle als Gedenkort gefordert.

Die „Wahlplattform Dissident:innen Dresden“ hatte ihre Forderung im Internetdienst X, vormals Twitter, damit begründet, dass in dem Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg bis zu 1.000 Menschen inhaftiert gewesen seien, die in der Rüstungsindustrie in der Stadt und ihrer Umgebung Zwangsarbeit verrichtet hätten. Wie viele von ihnen überlebt hätten, sei nicht bekannt. Die Wählervereinigung tritt zur Kommunalwahl am 9. Juni an.

Tina Petzold von der Wahlplattform äußerte sich im MDR „extrem betroffen“ über den Brand. Es sei merkwürdig, dass „nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung unserer Forderung die Halle abbrennt“, sagte sie dem Sender. Das KZ-Außenlager existierte demnach von Oktober 1944 bis April 1945. Vor Ort gibt es bislang lediglich einen Gedenkstein.



Immer mehr "Reichsbürger" in Sachsen



Dresden (epd). In Sachsen wächst die Szene der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ weiter an. Das sächsische Innenministerium schätzt deren Mitgliederzahl auf 3.000. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Landtagsfraktion hervor. „Das ist ein neuer Höchststand, seitdem dieses Spektrum Ende 2016 unter Beobachtung gestellt wurde“, erklärte die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linke) am 18. Februar in Dresden. Ende 2022 war das Landesamt für Verfassungsschutz noch von 2.500 Personen ausgegangen.

Die Zahl der Ermittlungsverfahren, bei denen sächsische Staatsanwaltschaften einen Reichsbürger-Bezug feststellten, sank indes zwischen 2022 und 2023 von 589 auf 514. Das geht aus der Antwort des sächsischen Justizministeriums auf eine weitere Kleine Anfrage der Linken-Landtagsfraktion hervor. Eine Häufung gab es demnach bei den Staatsanwaltschaften Dresden (127 Fälle) und Leipzig (126 Fälle).

Köditz beklagte, die Zahl der Ermittlungsverfahren mit Reichsbürger-Bezug liege im langjährigen Vergleich auf hohem Niveau. Die Verfahren wurden im vergangenen Jahr wegen rund 80 unterschiedlicher Straftatbestände geführt, darunter Amtsanmaßung, Zuwiderhandlung gegen ein Vereinsgebot, Bestechung, Betrug, Erpressung und Körperverletzung. Das zeige die hohe kriminelle Energie der „Reichsbürger“-Szene, fügte die Landtagsabgeordnete hinzu.



Nach Störaktion im Museum ermittelt die Polizei



Eigentlich sollte es um die Entstehung des Nationalsozialismus aus Sicht der jüdischen Philosophin Hannah Arendt gehen. Aber die Performance in einem Berliner Museum wurde von propalästinensischen Aktivisten gekapert. Nun ist die Empörung groß.

Berlin (epd). Nach propalästinensischen Störaktionen am 10. Februar im Berliner Museum Hamburger Bahnhof ermittelt die Polizei. Zunächst sollen Zeugen vernommen werden, sagte eine Polizeisprecherin am 12. Februar in Berlin auf Anfrage. Die Museumsleitung hatte am 11. Februar per Internet eine Anzeige wegen Beleidigung an die Polizei übermittelt. Erst nach Befragung der Zeugen und nach Sichtung von Videoaufnahmen könne gesagt werden, ob die Beleidigungen einen rassistischen, israelfeindlichen oder antisemitischen Hintergrund hatten, hieß es weiter.

Eine Gruppe von etwa 20 propalästinensischen Aktivisten hatte am 10. Februar im Hamburger Bahnhof eine Lesung von Texten der jüdischen Philosophin Hannah Arendt (1906-1975) über die Ursprünge des Totalitarismus und Nationalsozialismus lautstark gestört. Die Performance der kubanischen Künstlerin Tania Bruguera war auf 100 Stunden angesetzt. Nach den Vorfällen entschied die Künstlerin am 11. Februar, die Lesung nicht fortzusetzen.

Medienberichten zufolge soll es bei den Störaktionen unter anderem zu Hasstiraden gegenüber einer Vorleserin und einem der Museumsdirektoren gekommen sein. In Videos, die auf Instagram verbreitet wurden, skandieren die Aktivisten unter anderem: „Viva, viva Palestina“ („deutsch: Es lebe Palästina“), „Israel is a zionist state“ (deutsch: „Israel ist ein zionistischer Staat“) und „No more silence, no more fear, genocide is cristal clear“. Zudem hieß es: „Deutschland finanziert, Israel bombadiert“, „Israel is a terror state“ („deutsch: Israel ist ein Terrorstaat“) und „Germany is a facist state“ (deutsch: „Deutschland ist ein faschistischer Staat“).

Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), Hermann Parzinger, betonte, es sei unerträglich, zu welchen antisemitischen Provokationen, rassistischen Beleidigungen und persönlichen Angriffen es gekommen sei. „Das Ausmaß ist ungeheuerlich“, erklärte er am Montag auf Anfrage. Parzinger sprach von einer „Demonstration puren Hasses“. „Es war richtig, die Veranstaltung abzubrechen. Dennoch lassen wir uns nicht einschüchtern.“ Museen seien offene Orte der Toleranz und stellten sich gegen jede Form von Hass, Rassismus und Antisemitismus. Der „Hamburger Bahnhof“ ist als „Nationalgalerie der Gegenwart“ Teil der Staatlichen Museen zu Berlin und damit der SPK.

Eine Sprecherin der Stiftung ergänzte: „Wir haben Strafanzeige gestellt und tragen alles dazu bei, den Vorgang möglichst lückenlos aufzuklären.“ Das Sicherheitskonzept werde überprüft und gegebenfalls angepasst. Diese wie andere Störaktionen hätten mittlerweile eine neue Qualität erreicht. Als offener Ort der Toleranz werde die Stiftung in ihren Häusern gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus und Hass vorgehen.



"Den ersten Aufkleber habe ich mit dem Schlüssel abgekratzt"




Irmela Mensah-Schramm
epd-bild/Hans Scherhaufer
Strafanzeigen spornen die Aktivistin an, die rechtsextreme Propaganda von Wänden und Laternenpfählen kratzt. Seit fast 40 Jahren geht Irmela Mensah-Schramm nie ohne Schaber aus dem Haus. Für das Entfernen von Parolen wird sie geehrt und angefeindet.

Berlin (epd). Zum ersten Mal hat sie es 1986 getan: Als Irmela Mensah-Schramm eines Morgens ihre Wohnung in einem beschaulichen Berliner Stadtviertel verließ, fiel ihr an der Bushaltestelle ein Aufkleber auf, der Freiheit für Rudolf Heß (1894-1987) forderte. Der ehemalige Hitler-Stellvertreter saß damals im Berliner Ortsteil Spandau eine lebenslange Haftstrafe ab. Als sie am Abend wiederkam, sei der Aufkleber noch immer an Ort und Stelle gewesen, erzählt Irmela Mensah-Schramm. Daraufhin habe sie beschlossen, selbst Hand anzulegen: „Den ersten Aufkleber habe ich mit dem Schlüssel abgekratzt.“

Das sei im wahrsten Sinn des Wortes ein Schlüsselerlebnis gewesen, „weil ich dann die anderen Aufkleber wahrgenommen habe, die ich vorher nicht gesehen habe“, sagt die heute 78-Jährige. Rassistische und ausländerfeindliche Parolen verfremdet sie oder übersprüht sie mit roten Herzen.

Mensah-Schramm verlässt ihre Wohnung nie ohne Schaber und Nagellackentferner. Damals sei sie von ihren Aktionen oft erst kurz vor Mitternacht nach Hause gekommen, um morgens um fünf Uhr wieder aufzustehen, sagt die Polit-Aktivistin. Die gebürtige Stuttgarterin unterrichtete damals in einer Sonderschule. Auch mit Schülerinnen und Schülern habe sie mitunter am Nachmittag Schmierereien entfernt.

Wenn die seit 1969 in Berlin lebende Frau Behörden auf die Schmierereien aufmerksam machte, erklärte sich nach ihren Angaben niemand für zuständig. „Deshalb bin ich dazu übergegangen, selbst zu übersprayen.“

Für ihren Einsatz erntete sie nicht nur Anerkennung, sondern auch Anfeindungen und Strafverfahren. Aus einem Graffiti „Merkel muss weg“ in Berlin-Zehlendorf machte sie 2016 „Merke! Hass weg!“. Ein deswegen eingeleitetes Strafverfahren wegen Sachbeschädigung wurde später eingestellt.

Auch heute noch macht sich die 78-Jährige auf den Weg, um Nazi-Propaganda zu entfernen. Sie entschuldigt sich für liegen gebliebene Akten in ihrer Dachwohnung, zu der sie über ein Treppenhaus ohne Aufzug gelangt. Zwei junge weiße Katzen kommen Besuchern neugierig entgegen.

Seit 2007 zählt Mensah-Schramm die entfernten Aufkleber. Mitte Februar waren es knapp 94.670. Stolz zeigt sie dicke Aktenordner mit Fotos, die dokumentieren, wo sich die Aufkleber, Symbole und Slogans vor ihrer Intervention befanden. In Workshops im gesamten Bundesgebiet zeigt sie Schülerinnen und Schülern, wie sie rassistische oder antisemitische Slogans so verfremden können, dass sie zu positiven Botschaften werden.

Zuletzt wurde im vergangenen Jahr Anzeige wegen Sachbeschädigung gegen die Rentnerin erstattet, nachdem sie im brandenburgischen Calau im Landkreis Oberspreewald-Lausitz einen antisemitischen Spruch hinter dem Bahnhof mit grüner Farbe übermalt hatte. „Ich habe eine politische Sachbeschädigung beschädigt“, sagt die Rentnerin dazu: „Ich warte sehnsüchtig auf den Strafbefehl.“ Die Idee scheint sie nicht zu bremsen, sondern eher zu beflügeln.

Aufhören aufgrund von Anfeindungen oder Strafverfolgung kommt für Mensah-Schramm nicht infrage. „Ich resigniere nicht, das lasse ich mir nicht nehmen“, betont sie. Im Berliner Ortsteil Rudow stieß sie etwa auf ein Konterfei von sich mit dem Slogan „Wenn Schramm abkratzt, kratzt uns das nicht wirklich“.

Als sie einmal einen jungen Mann ansprach, der im Begriff war, einen Aufkleber anzubringen, habe er nicht reagiert und sei einfach weggegangen. „Ich habe den Verdacht, dass sie Angst haben, mir etwas anzutun“, vermutet sie. Ein junger Neonazi habe sich indes für ihre Beharrlichkeit bedankt, denn diese habe ihn zu einem Sinneswandel bewegt.

Für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus wurde Mensah-Schramm vielfach ausgezeichnet. Die Bundesverdienstmedaille gab sie indes aus Protest gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ein ehemaliges SS-Mitglied zurück.

Von Bettina Gabbe (epd)


Warten auf die Anerkennung




Juliia Suhak, Andrei Nebywailov, Oleana Helman und Iana Kalynovska im "Haus der Diakonie" in Germersheim
epd-bild/Alexander Lang
Zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges wollen viele Flüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland einen Neuanfang wagen. Doch die Hürden für einen Job oder eine Wohnung sind hoch. Vier Geflüchtete, die in Germersheim leben, berichten.

Germersheim (epd). Iana Kalynovska will Busfahrerin werden - und endlich ankommen. „Ich mache einen Quereinstieg über das Jobcenter und bewerbe mich bei der Deutschen Bahn“, sagt die 53-jährige Ukrainerin in gutem Deutsch. Vor zwei Jahren flüchtete die studierte Tierärztin nach Deutschland, als die russischen Angreifer ihre Heimatstadt Kiew beschossen. „Ich hatte Angst“, sagt sie. Ihr Mann kämpft an der Front, ihr Sohn ist Militärarzt. Kalynovska lebt in Germersheim, besucht Sprachkurse und will nicht länger Bürgergeld beziehen. „Ich möchte Geld verdienen für mein Leben.“

Doch viele bürokratische Hürden machen es ukrainischen Kriegsflüchtlingen noch immer nicht leicht, in ihrer neuen Heimat Fuß zu fassen, kritisiert Olga Prigorko. Die russische Sozialarbeiterin kümmert sich im „Haus der Diakonie“ in der pfälzischen Kleinstadt am Rhein um Iana Kalynovska und andere Geflüchtete aus der Ukraine. Unter ihnen sind viele Frauen mit Kindern. Rund 1,1 Millionen Ukraine-Flüchtlinge leben derzeit in Deutschland, nach letzten offiziellen Zahlen waren es in Rheinland-Pfalz rund 48.000.

„Mindestens fünf Anfragen pro Tag“

Diakonie-Mitarbeiterin Prigorko hilft bei der Suche nach einer Wohnung, Kita oder einem Sprachkurs. Sie dolmetscht und berät bei der Jobsuche. „Es kommen mindestens fünf Anfragen pro Tag.“ Am meisten fehle den Neuangekommenen die Anerkennung, wie die Sozialarbeiterin sagt - dass ihre Zeugnisse und Ausbildungsabschlüsse auch in Deutschland gelten. Viele Ukrainer seien seit dem Kriegsbeginn in ihre Heimat zurückgekehrt, sagt Prigorko. Aber viele wollten auch im Land bleiben.

Die Lehrerin und Sozialarbeiterin Olena Helman hat bereits einen Minijob bei der Lebenshilfe. Gerne würde sie als Erzieherin arbeiten. Doch „langsam, langsam“ drehten sich die Mühlen der Behörden, erzählt die Frau aus Cherson. Die erforderlichen Genehmigungen stünden noch aus. Ihr Partner Andrei Nebywailov ist Busfahrer - aber noch sind seine Deutschkenntnisse zu schlecht, als dass er hierzulande einen Bus lenken dürfte.

Der Krieg hat auch das Leben von Juliia Suhak auf den Kopf gestellt. Die alleinerziehende Mutter will Sozialarbeit studieren, doch die Anerkennung ihrer Dokumente hängt seit zwei Jahren in der Warteschleife. Suhak hilft anderen ukrainischen Flüchtlingen in einem Netzwerk. Sie begleitet sie zu Behörden, hat eine Telegram-Gruppe zum Informationsaustausch eingerichtet, dolmetscht für die kirchliche Flüchtlingshilfe. „Man ist nicht allein, wenn man Hilfe braucht, kann man sie bekommen“, sagt Suhak.

Ärger über „Stimmungsmache“

Sozialarbeiterin Prigorko ärgert sich über „eine Stimmungsmache in Politik und Bevölkerung gegen 'faule' ukrainische Flüchtlinge“, die den Staat ausnutzten. Vieles müsse schneller gehen, damit die häufig gut ausgebildeten Fachkräfte eine Arbeit aufnehmen könnten, appelliert sie. Dabei sollten deren Kenntnisse genutzt werden - nicht alle Ukrainer könnten oder wollten etwa in der Pflege arbeiten.

Nur ungern sprechen die vier ukrainischen Flüchtlinge aus Germersheim über den Krieg, es schmerzt zu sehr. Ob die Ukraine dem immer stärkeren militärischen Druck Russlands standhalten könne? Zu dieser Frage wollen sie sich nicht äußern. „Es muss am Ende das Gute gewinnen“, sagt Busfahrer Nebywailov vorsichtig.

Der Krieg wird noch lange dauern, glaubt Juliia Suhak. Friedensverhandlungen mit dem russischen Machthaber Wladimir Putin, der die Ukraine auslöschen wolle, seien derzeit sinnlos. „Ich möchte hier bleiben, für meine Tochter und mich ein neues Leben aufbauen“, sagt Suhak. Iana Kalynovska nickt traurig. „Ich hätte gerne, dass mein Mann und mein Sohn hierherkommen, aber das ist momentan nicht möglich.“

Von Alexander Lang (epd)


"Ich mag Deutschland, aber ich liebe meine Heimat"




Ilona Yefimova
epd-bild/Harald Koch
Vor zwei Jahren hat Russland die Ukraine überfallen. Ilona Yefimova ist vor dem Krieg geflüchtet. Sie versucht, in Deutschland Fuß zu fassen. Wie für die 36-Jährige ist für viele Flüchtlinge aus der Ukraine nichts mehr wie es war.

Neustadt am Rübenberge (epd). Ilona Yefimova macht sich Notizen auf einem Arbeitsblatt. Gemeinsam mit weiteren Frauen und einem Mann aus der Ukraine und dem Irak übt sie Vokabeln. Im Deutschkurs des Migrationszentrums „Hope“ der Diakonie in Neustadt am Rübenberge geht es an diesem Tag um Themen rund um die Gesundheit. Konzentriert, fast ernst, sind alle bei der Sache. Dann wieder lachen sie gemeinsam mit Sprachlehrerin Heike Przewalla. Ilona Yefimova hofft, dass der Sprachkurs ihr hilft, in Deutschland Fuß zu fassen.

Die 36-Jährige hat ihre Heimatstadt Dnipro zwei Monate nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine vor knapp zwei Jahren verlassen und ist nach Deutschland geflohen. Sie ist eine von rund 1.140.000 ukrainischen Geflüchteten, die nach Angaben des Bundesamtes für Migration seit Kriegsbeginn nach Deutschland gekommen sind. „Meine Wohnung ist kaputt“, erzählt die Frau mit den braunen Haaren. Eine Rakete habe das Dach des zwölfstöckigen Wohnhauses in der viertgrößten Stadt in der Ukraine zerstört.

„Hier sind wir ein Niemand“

Seit Mai lebt Ilona Yefimova mit ihrem Mann in Neustadt am Rübenberge. Sie vermisst ihre Familie und Freundinnen. Manche seien noch in der Ukraine, ihre beste Freundin lebe inzwischen auch in Deutschland. In ihrer Heimatstadt war die 36-Jährige Personalmanagerin. „Wir haben hart gearbeitet und lange studiert. Wir hatten eine gute Profession. Hier sind wir ein Niemand“, sagt sie auf Englisch mit deutschen Einsprengseln. „Wir hatten viele Pläne, eine gute Wohnung. Zweimal im Jahr haben wir die Welt bereist“, fügt sie mit Tränen in den Augen an. „Hier starten wir bei null.“

Wie viele ihrer Landsleute hat sie gehofft, dass der Krieg schnell vorübergeht. Deshalb hat sie erst noch gewartet, bevor sie den Deutschkurs belegt hat. Jetzt kommt sie gleich dreimal in der Woche, zusätzlich besucht sie einen Kurs an der Volkshochschule. „Ich mag Deutschland“, sagt sie. „Aber ich liebe meine Heimat.“

Die ukrainische Psychologin Olena Gorodyska berät in Neustadt die Geflüchteten aus ihrer Heimat. Der andauernde Krieg löse Gefühle der Machtlosigkeit aus, sagt sie. Manche hätten damit gehadert, ob sie nicht in der Ukraine hätten bleiben und dort hilfreich sein sollen. „Am Anfang dachten wir alle, dass es nur eine Frage von Monaten sei.“ Jetzt zeige sich die Realität. Gleichzeitig beobachte sie, dass sich viele aus dem Gefühl der Starre befreien und die Zeit in Deutschland nutzen wollen.

„So schnell wie möglich Deutsch lernen“

Auch Ilona Yefimova fragt sich mittlerweile, wie ihr Leben in Deutschland aussehen kann. Im Migrationszentrum „Hope“ lässt sich die 36-Jährige beim Ausfüllen von Formularen helfen. Dort unterstütze sie Migrationsfachberater Joseph Sebuh, damit ihr Diplom in Deutschland anerkannt wird, erzählt sie. „Ich möchte so schnell wie möglich die Sprache lernen und anfangen zu arbeiten“, sagt Yefimova. Im Kurs fragt Lehrerin Heike Przewalla: „Bei was hilft Salbei?“ Yefimova antwortet als Erste: „Das ist für den Hals.“

Viele der Menschen, die in den Treffpunkt kommen, treiben nach den Erfahrungen von Olena Gorodyska dieselben Fragen um. Kann ich in diesem Land bleiben oder nicht? Kann ich mich gut integrieren oder nicht? Ist meine Ausbildung ausreichend, um in Deutschland anerkannt zu werden? „Wenn du in neues Land kommst, fühlst du dich allein, du fühlst dich unsicher, du fühlst dich verloren“, erläutert sie. „Es ist eine große Herausforderung.“

Zugleich bleibe die Sehnsucht nach der Heimat groß, erzählt Gorodyska. Ihr selbst gehe es auch so. Sie ist vor knapp zwei Jahren aus Kiew nach Deutschland geflohen. „Ein Teil meines Lebens endete am 24. Februar 2022, jetzt ist es ein anderes Leben“, sagt sie. „In einer Sekunde, um 5 Uhr 30 am Morgen, haben wir alles verloren“, beschreibt sie, wie sie den Moment erlebt hat, in dem Russland die Ukraine angegriffen hat. „Selbst wenn ich zurück in der Ukraine bin, wird mein Leben nicht dasselbe sein“, sagt die Psychologin. Sie hofft, eines Tages wieder nach Hause zu können. Auch Yefimova möchte zurück in die Ukraine. „Wenn der Krieg vorbei ist“, sagt sie.

Von Sonja Scheller (epd)


Psychologin: Ukrainische Geflüchtete schauen vorwärts




Olena Gorodyska
epd-bild/Harald Koch

Neustadt am Rübenberge (epd). Der seit zwei Jahren andauernde Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine löst nach Ansicht der Psychologin Olena Gorodyska bei vielen Geflüchteten Gefühle der Machtlosigkeit aus. Zugleich beobachtet die Psychologin eine positive Veränderung der mentalen Gesundheit, wie sie dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. „Fast jeder meiner Klienten hat mehr Gleichgewicht gefunden. Sie sind entspannter und schauen vorwärts.“

Gorodyska ist selbst vor knapp zwei Jahren aus Kiew nach Deutschland geflohen. Heute berät die studierte Psychologin andere Geflüchtete in den Migrationszentren „Hope“ der Diakonie in Neustadt, Burgdorf und Hemmingen bei Hannover. „Wir versuchen den Flüchtlingen zu vermitteln, dass sie im Hier und Jetzt leben sollten“, sagte Gorodyska auf Englisch. Sie empfehle ihnen, die Zeit in Deutschland zu nutzen, indem sie die Sprache lernen, arbeiten oder sich ehrenamtlich engagieren.

„Wie blockiert“

Für die Geflüchteten sei der Krieg am Anfang das bestimmende Thema gewesen. Manche hätten damit gehadert, dass sie ihr Land verlassen haben, sagte Gorodyska. „Manche dachten: Ich hätte bleiben, helfen und nützlich sein können. Ich bin nicht stark genug gewesen, um zu bleiben, ich bin weggelaufen.“ Auch hätten manche der Dagebliebenen den Geflohenen Vorwürfe gemacht.

In dieser Situation seien viele Ukrainer, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, zunächst in eine Starre verfallen. „Sie blieben zu Hause und haben gar nichts gemacht. Sie waren wie blockiert“, erläuterte Gorodyska. In einer solchen Situation kreisten die Gedanken immer wieder um den Krieg. Doch die Zeit helfe, die neuen Lebensumstände zu akzeptieren. „Die Probleme sind noch da, aber sie sind zurückgetreten.“

„Dann zeigte sich die Realität“

Mittlerweile hätten viele Geflüchtete ihre Perspektive gewechselt. „Sie denken mehr darüber nach, was sie hier in Deutschland machen können. Wie kann ich helfen, wie und wo kann ich arbeiten? Sie haben angefangen zu leben und das ist das beste Ergebnis.“ In ihrer Beratung versuche sie, die Menschen dabei zu ermutigen, sagte sie. Sie sollten nicht das Gefühl haben, die Zeit in Deutschland sei eine verlorene Zeit.

Wie ihre Landsleute habe auch sie gehofft, dass der Krieg schnell zu Ende geht, sagte die Psychologin. „Am Anfang dachten wir alle, dass es nur eine Frage von Monaten sei. Dann zeigte sich die Realität.“ Viele Ukrainerinnen seien allein mit ihren Kindern geflüchtet, während ihre Ehemänner nach wie vor in der Armee seien, sagte Gorodyska. „Das ist die häufigste und dramatischste Situation.“ Über die Distanz sei es schwierig, den Kontakt aufrechtzuerhalten.

epd-Gespräch: Sonja Scheller


Protest vor russischer Botschaft



Berlin (epd). Nach dem Tod des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny haben mehrere Hundert Menschen am 18. Februar in Berlin gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und den Krieg in der Ukraine protestiert. Vor der russischen Botschaft hätten sich dazu 450 Menschen versammelt, teilte die Polizei auf Anfrage mit. Demonstranten trugen dabei Schilder mit den Worten „Stop Putin“ und „Putin kills his own people“ (deutsch: Putin tötet seine eigenen Leute). Die Initiative „Free Navalny Deutschland“ hatte für Sonntag ferner zu Demonstrationen in Frankfurt/Main, Köln, Leipzig und Nürnberg zu Protesten gegen Putin aufgerufen.

Auch Anhänger der russischen Band Pussy Riot beteiligten sich an dem Protest in Berlin. Nach Angaben der Polizei versammelten sich elf Personen mit rosa Hauben vor der russischen Botschaft. Sie hielten Transparente mit dem Wort „Mörder“ auf Russisch und Englisch in die Höhe.

Nawalny war nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS am Freitag in der Strafkolonie im Norden Russlands, in der er inhaftiert war, zusammengebrochen und gestorben. Der 47-Jährige war seit Langem ein Opponent des russischen Präsidenten Putin. Er saß seit 2021 in Russland in Lagerhaft. 2020 überlebte er einen Giftanschlag. Nach erfolgreicher Behandlung in Deutschland war er nach Russland zurückgekehrt.



Scherbakowa: Nawalnys Tod großer Verlust für die Opposition



Berlin (epd). Die Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa hat den Tod des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny als großen Verlust für die Opposition in dem Land bezeichnet. „Es gibt absolut keinen Ersatz, was Charisma betrifft und Stärke“, sagte sie am 17. Februar im RBB-Inforadio. Figuren wie er seien ohnehin selten in der Politik. Der Verlust treffe auch die Menschen, die für ein freies Russland ohne Präsident Wladimir Putin kämpfen und dort leben wollten.

Für die Mitgründerin der von den russischen Behörden verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial ist der Tod des Regimekritikers die „stärkste politische Geste, die man machen konnte.“ Jetzt sei Nawalny ein Sinnbild für einen Menschen, der „für seine Sache auch bereit ist zu sterben“. Dennoch habe er sich nie als Märtyrer inszeniert, sondern vielmehr Witze gemacht. Selbst bei seiner Verhaftung oder im Gericht sei er nicht mit ernsthafter, tragischer Miene aufgetreten, sondern mit Humor.

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sagte die Historikerin: „Das muss man immer Kopf haben. Wenn man Friedensverhandlungen beschwört, mit wem man das verhandelt: eigentlich mit einem mörderischen Regime.“

Nawalny war nach Angaben der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS am Freitag in der Strafkolonie im Norden Russlands, in der er inhaftiert war, zusammengebrochen und gestorben. Der 47-Jährige war seit Langem ein Opponent des russischen Präsidenten Putin. Er saß seit 2021 in Russland in Lagerhaft. 2020 überlebte er einen Giftanschlag. Nach erfolgreicher Behandlung in Deutschland war er nach Russland zurückgekehrt.



Architekt: Einheitsdenkmal kann trotz Insolvenz fertig werden




Modell des Berliner Einheitsdenkmals
epd-bild/Architektenbüro Milla & Partner
Im 35. Jahr nach dem Mauerfall entscheidet sich vermutlich, wann das große Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin errichtet wird. Seit Jahren gibt es Probleme: Zuerst waren es Lieferengpässe, jetzt geht es um zusätzliches Geld.

Berlin (epd). Die Fertigstellung des Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmals ist weiter offen. Am 10. und 11. Februar sorgten Berichte über eine mögliche Insolvenz des Stahlbauers, der die riesige begehbare und bewegliche Schale, die sogenannte „Einheitswippe“, bauen soll, für neue Verunsicherung. Eine Sprecherin von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sagte am 12. Februar dem Evangelischen Pressedienst (epd), alle Beteiligten befänden sich in intensiven Abstimmungen. Es gehe darum, eine rasche und kosteneffiziente Fertigstellung zu gewährleisten. Die Auswirkungen des vorläufigen Insolvenzverfahrens würden derzeit geprüft.

Ein genaues Fertigstellungsdatum könne aber nur der Generalübernehmer nennen. Damit ist die durch das Architekturbüro Milla & Partner vertretene Arbeitsgemeinschaft gemeint.

Der Kreativdirektor des Stuttgarter Architekturbüros, Sebastian Letz, sagte dem epd, die Insolvenz des Stahlbauers gefährde das Projekt nicht grundsätzlich. „Wir haben einen anderen Stahlbauer, der die Arbeiten planmäßig fortsetzen kann.“ Die Stahlschale sei bereits zu 85 Prozent fertig. „Auch die Vorarbeiten am Sockel vor dem Berliner Humboldt Forum sind abgeschlossen.“ Er sei „auch durch die gute Zusammenarbeit mit dem Bund optimistisch, dass das Projekt noch in diesem Jahr abgeschlossen werden kann“. Dabei verwies Letz auf das 35. Jubiläum des Mauerfalls in diesem Jahr.

Im Hintergrund steht allerdings die Forderung der Architekten vom vergangenen Jahr an den Bund nach einer zusätzlichen Finanzspritze von 2,5 Millionen Euro. Grund sind die gestiegenen Baupreise. Davon hängt wohl letztlich das Fertigstellungsdatum ab.

Baustart für die sogenannte soziale Skulptur mit dem Titel „Bürger in Bewegung“ war im Mai 2020. Veranschlagt sind Kosten von rund 17 Millionen Euro. Ursprünglich sollte das Einheitsdenkmal bereits zum 30. Jahrestag des Mauerfalls 2019 eingeweiht werden. Einen ersten Bundestagsbeschluss für den Bau gab es 2007.

Von Lukas Philippi (epd)


"Dokumente der Entrechtung"



Vom Kunstwerk bis zur letzten Waschschüssel: Vor der Deportation und Ermordung haben die Nazis auch Besitz und Vermögen Verfolgter eingezogen. Umfangreiche Akten dazu sind jetzt online zugänglich.

Potsdam (epd). Das Brandenburgische Landeshauptarchiv hat mehr als 40.000 Akten der NS-Vermögensverwertungsstelle für Berlin und Brandenburg online veröffentlicht. Damit werde der weltweiten Forschung ein bedeutender Aktenbestand über die Verfolgung vor allem von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus zur Verfügung gestellt, sagte Archivdirektor Mario Glauert zum Onlinestart am 13. Februar in Potsdam. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), deren Haus das Projekt mit mehr als 4,4 Millionen Euro gefördert hat, erklärte, die Akten belegten die systematische Entrechtung, Enteignung und Verfolgung.

Glauert sagte, die Unterlagen auf rund 2,5 Millionen gescannten Seiten enthielten Informationen zu zehntausenden Menschen, die vom NS-Staat als jüdisch oder „reichsfeindlich“ verfolgt und ausgeplündert wurden. Sie dokumentierten, wie die NS-Finanzverwaltung ab 1942 das Vermögen der Verfolgten vor deren Deportation erfasst und dann zugunsten des NS-Staats verwertet und zu Geld gemacht hat.

Reichsweit wurden den Angaben zufolge von 1942 bis 1945 von der NS-Finanzverwaltung rund 1,5 Milliarden Reichsmark von Verfolgten eingezogen. Allein in der Region Berlin-Brandenburg seien es rund 600 Millionen Reichsmark gewesen, hieß es. Dies entspreche heute allein in dieser Region einem Betrag von rund vier Milliarden Euro.

Die Unterlagen seien „Dokumente der Entrechtung“, betonte das Archiv. Glauert sagte, die Akten zum Vermögensentzug seien oftmals die letzten Zeugnisse, die über die verfolgten und ermordeten Menschen und ihre Schicksale erhalten seien. „Jeder kann selbst nachlesen, was damals geschah“, sagte der Archivdirektor.

In den Dokumenten finden sich den Angaben zufolge auch Daten zu zahlreichen Berliner Persönlichkeiten wie Martha Liebermann (1857-1943), der Fotografin Yva (1900-1942) und dem früheren Mannschaftsarzt des Fußballvereins Hertha BSC, Hermann Horwitz (1885-1943). Die Witwe des Künstlers Max Liebermann (1847-1935) nahm sich vor der Deportation das Leben. Yva, die mit bürgerlichem Namen Else Ernestine Neuländer-Simon hieß, wurde vermutlich im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Horwitz wurde im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.

Projektleiterin Julia Moldenhawer sagte, die Dokumente zeigten, dass die Finanzverwaltung zu den wichtigen Bereichen des NS-Staats gehört habe und wie der Beamtenapparat an den Staatsverbrechen beteiligt gewesen sei. Alltägliche Verwaltungsarbeit habe mit professioneller Gründlichkeit den NS-Staat am Laufen gehalten. Der wissenschaftliche Archivar Dominic Strieder, Mitarbeiter des Projekts, betonte, die Akten zeigten, wie sich die NS-Gesellschaft bereichert habe. „Hinter den Aktendeckeln verbirgt sich die Barbarei“, sagte er.

Die Digitalisierung und Bereitstellung der Unterlagen ist Teil eines Projekts zur Forschung nach NS-Raubgut. Ziel ist den Angaben zufolge, anhand der digitalisierten Unterlagen systematisch nach dem Verbleib von im Zuge der NS-Verfolgung entzogenen Kunstgegenständen zu suchen. Das im November 2020 begonnene Projekt zur Provenienzforschung läuft nach Archivangaben bis Ende 2026.



Frauenklinik wird Flüchtlingsunterkunft des Landes



Jena/Erfurt (epd). Die frühere Jenaer Frauenklinik wird vorübergehend zur Flüchtlingsunterkunft des Landes. Damit sollen die Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl und die Flüchtlingsunterkunft in Hermsdorf vorübergehend entlastet werden, teilte Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) am 13. Februar in Erfurt mit. Für die Monate April und Mai sollen demnach bis zu 150 Geflüchtete aus den überlasteten Landesunterkünften in die Saalestadt umziehen.

Maier sprach von einer vorübergehenden Lösung. Er fügte hinzu: „Aber wir müssen gerade alles tun, um die inakzeptable Situation in Suhl und vor allem in der ehemaligen Industriehalle Hermsdorf zu verbessern, und da helfen auch schon zwei Monate sehr.“

Die frühere Frauenklinik war schon zuvor von der Stadt Jena als kommunale Flüchtlingsunterkunft genutzt worden. Erst waren dort ukrainische Geflüchtete und anschließend Asylsuchende untergebracht.

Die Friedrich-Schiller-Universität will als Eigentümerin der Immobilie auf dem Gelände ein Zentrum für Pharmazie errichten. Mitte des Jahres sollen erste Arbeiten beginnen. Bis dahin sei die Zwischennutzung durch das Land möglich, hieß es.



Anhörung vor Wahl von Antisemitismusbeauftragtem



Potsdam (epd). Für das neue Amt des Antisemitismusbeauftragten in Brandenburg haben sich mehrere Bewerberinnen und Bewerber vorgestellt. Nach ihrer nicht-öffentlichen Anhörung am 14. Februar in Potsdam werde sich der Hauptausschuss des Landtags am 13. März erneut mit der Besetzung der Stelle befassen, sagte eine Landtagssprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Potsdam. Gegebenenfalls werde es dann eine Verständigung auf einen Vorschlag für die Wahl durch den Landtag geben.

Für das Amt waren 39 Bewerbungen eingegangen. Die jüdischen Gruppen und die fünf Landtagsfraktionen sowie die Freie-Wähler-Gruppe ohne Fraktionsstatus konnten daraus je einen Vorschlag für die Anhörung im Hauptausschuss unterbreiten. Eingeladen waren dem Vernehmen nach die Geschäftsführerin der F.C.Flick-Stiftung, Susanne Krause-Hinrichs, der Verfassungsschutzreferatsleiter Heiko Homburg, der Linken-Landtagsabgeordnete Andreas Büttner, die Dozentin Sandra Anusiewicz-Baer von der Universität Potsdam, die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Barnim, Diana Sandler, und Wolfgang Meyer zu Uptrup, Politikwissenschaftler im Landesdienst.

Zu den Aufgaben des Antisemitismusbeauftragten gehört unter anderem, Ansprechpartner bei mutmaßlich antisemitischen Vorfällen zu sein, der Austausch mit den jüdischen Gemeinden und die Sensibilisierung der Gesellschaft für Formen des Antisemitismus. Der Landtag hatte das Antisemitismusbeauftragten-Gesetz am 23. November 2023 mit großer Mehrheit beschlossen. Der Gesetzentwurf war von allen vertretenen Parteien außer der AfD eingebracht worden.



2,4 Millionen Euro für Bürgerzentrum in Beilrode



Dresden (epd). Die nordsächsische Gemeinde Beilrode erhält rund 2,4 Millionen Euro für Maßnahmen des Strukturwandels. Mit dem Geld werde der frühere Bahnhof des Ortes im Landkreis Nordsachsen zu einem neuen Bürger- und Begegnungszentrum umgebaut, teilte das sächsische Regionalentwicklungsministerium am 16. Februar in Dresden mit. Die Übergabe des Förderbescheides erfolgt am 21. Februar in Beilrode. Die Mittel für die Infrastruktur stammen aus dem Investitionsgesetz Kohleregionen.

Damit unterstützt der Bund die vom Kohleausstieg betroffenen Regionen bei der Bewältigung des Strukturwandels. Dies betrifft sowohl Braunkohleregionen als auch Standorte von Steinkohlekraftwerken. Für den Strukturwandel im Lausitzer Revier in Brandenburg und Sachsen stehen laut dem Dresdner Regionalentwicklungsministerium insgesamt bis zu 17,2 Milliarden Euro zur Verfügung, welche in zwei Schritten ausgereicht werden.



Potsdamer Gedenkstätte thematisiert NS-Zwangsarbeit



Gefängnis vor 1933, in der NS-Zeit und danach: Die Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße vermittelt vor allem Erfahrungen der Verfolgung im NS-Staat und in der DDR. Ein Programmschwerpunkt wird in diesem Jahr die NS-Zwangsarbeit.

Potsdam (epd). Die Gedenkstätte im früheren Potsdamer Gefängnis in der Lindenstraße macht die NS-Zwangsarbeit zum Thema. Die Sonderausstellung „Disziplinieren durch Strafen“ dokumentiere die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte im damaligen Arbeitsamtsbezirk Potsdam und ihre Bestrafung bei Vergehen, sagte Kurator Johannes Leicht bei der Präsentation des Jahresprogramms der Gedenkstätte am 15. Februar in Potsdam. Die Ausstellung soll von September 2024 bis Mai 2025 gezeigt werden und das in Weimar geplante Museum zur Zwangsarbeit im Nationalsozialismus durch einen regionalen Blick ergänzen.

Leicht sagte, Zwangsarbeit sei in der NS-Zeit in Potsdam überall sichtbar gewesen. Im gesamten Stadtgebiet habe es mehr als 70 Zwangsarbeiterlager gegeben, teils mit mehr als 1.000 Menschen wie im Fall der Arado-Werke oder bei dem Unternehmen Orenstein & Koppel. „Ganz Europa findet sich Potsdam“, sagte Leicht. Insgesamt seien im damaligen Reichsgebiet zwischen 1939 und 1945 rund 8,4 Millionen Zwangsarbeiter ausgebeutet worden, die zuvor teils angeworben, teils verschleppt worden seien. In Potsdam sei 1944, vor 80 Jahren, mit mehr als 18.000 Betroffenen eine Höchstzahl verzeichnet worden.

Der Kurator sagte, bei Konflikten mit dem NS-Staat, Gesetzen oder Vorschriften seien oft harte Strafen verhängt worden, auch um andere abzuschrecken. Das Gefängnis in der Potsdamer Lindenstraße habe dabei eine wichtige Rolle gespielt. Dort seien während des Zweiten Weltkriegs in diesem Zusammenhang rund 300 Frauen und Männer aus mehr als 20 Ländern Europas inhaftiert gewesen. In der Ausstellung solle anhand von Biografien inhaftierter Zwangsarbeiter auch die Rolle der regionalen NS-Justiz dargestellt werden. Für die Betroffenen sei die Haft in Potsdam oft zum „Eingangstor“ in die Mühlen des NS-Regimes geworden, sagte Leicht: „Viele überlebten das nicht.“

In einer Plakatausstellung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur solle zudem bereits im Frühjahr das demokratische Engagement in Ostdeutschland gegen die Errichtung einer Diktatur nach 1945 thematisiert werden, hieß es. Die Gedenkstätte kündigte zugleich an, ihr Angebot inklusiver Führungen für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu erweitern. Neben Tastführungen und Führungen in Leichter Sprache sei nun auch ein Angebot für gehörlose Menschen geplant. Dazu werde aktuell ein Gedenkstättenguide in deutscher Gebärdensprache entwickelt.

Gedenkstättenleiterin Maria Schultz sagte, mit fast 20.000 Besucherinnen und Besuchern sei im vergangenen Jahr ein Rekord verzeichnet worden. Bildungsangebote würden ständig weiterentwickelt, um den Interessen gerecht zu werden.

Die Gedenkstätte ist in einem ehemaligen Gerichts- und Gefängnisgebäude in der Potsdamer Innenstadt untergebracht, das in der NS-Zeit Sitz eines „Erbgesundheitsgerichts“ und Gerichtsgefängnis für politisch und „rassisch“ Verfolgte des NS-Regimes war. Von 1945 bis 1952 war der Gebäudekomplex ein Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes. Danach war dort bis 1989 das Stasi-Untersuchungsgefängnis für den DDR-Bezirk Potsdam untergebracht. 1990 wurde daraus ein „Haus der Demokratie“. Seit 1995 ist das Gebäude eine Gedenkstätte.



Narren nehmen Kanzler Scholz, Putin, Trump und AfD aufs Korn




Wagen beim Rosenmontagszug in Düsseldorf
epd-bild /Hans-Jürgen Bauer
Im Düsseldorfer Rosenmontagszug gibt es neben Persiflagen der Bundesregierung auch Kritik an der palästinensischen Terrororganisation Hamas. Im Kölner "Zoch" läuft erstmals NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst mit.

Düsseldorf, Köln (epd). Der Bundeskanzler als „Hohlaf Scholz“ mit einem Riesenloch anstelle des Gehirns im Kopf, Putins andauernder Angriffskrieg in der Ukraine, Ex-US-Präsident Donald Trump, der die amerikanische Flagge in die Form des Hakenkreuzes geschnippelt hat, und die in Teilen rechtsextreme AfD als brauner Piranha, der von einem riesigen, friedlich-bunten Fisch mit dem Satz „Wir sind mehr“ verschluckt wird. Das sind vier der bissigsten und politisch aktuellen Wagen beim diesjährigen Rosenmontagszug in Düsseldorf, die von den Narren am Straßenrand vielfach mit Applaus begrüßt wurden.

Die politischen Wagen im Düsseldorfer Rosenmontagszug stammen von dem bekannten Wagenbauer Jacques Tilly. Die AfD taucht auch auf einem zweiten Wagen auf. Ein kostümierter Narr reißt ihr da eine Maske vom Gesicht, hinter der eine tiefbraune Fratze sichtbar wird, die an NS-Diktator Adolf Hitler erinnert. Auf dem Wagen „From Russia with Love“ ist ein russisch-orthodoxer Kirchenmann zu sehen, der seinen Mund gegen den Schritt einer Putin-Figur in Militäruniform presst.

Klimawandel über Kriege vergessen

Tilly hat auch den seit fast vier Monaten andauernden Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas im Gaza-Streifen nicht außen vor gelassen: Ein schwer bewaffneter Hamas-Kämpfer schiebt breit grinsend einen alten palästinensischen Mann und eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern vor einen israelischen Panzer. Auch Medienkritik ist Teil des Zugs: So wird auf einem Wagen ein Medienvertreter mit Kamera gezeigt, der sein Augenmerk auf die Kriege in der Welt richtet und darüber den brennenden Klimawandel und seine Ursachen übersieht. Dieser klopft ihm von hinten auf die Schulter. Außerdem ist erstmals seit 2020 wieder ein „Toleranzwagen“ von Muslimen, Juden und Christen Teil des Zugs.

In Köln ziehen gut 11.500 Teilnehmende im jecken „Zoch“ durch die Innenstadt. Mit dabei in der 8,5 Kilometer langen Zugstrecke ist auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Mit NRW-Hut und Narrenmontur läuft er bei der KG Rocholomäus mit und wirft Kamelle und „Strüßjer“ (Blumensträuße) ins Publikum. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist nicht live dabei, dafür zieht er auf einem Wagen wegen seiner oft zu zögerlichen Politik als vor sich hin dämmerndes Faultier auf dem Ast eines Baumes mit. Kreml-Chef Putin ist in Köln mit einer Atombombe in den Händen und Brett vorm Kopf dabei, hinter ihm stehen die Repräsentanten Chinas und des Iran und vervollständigen das Despoten-Trio.

„Trauerspiel Woelki“

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) dagegen zertrümmert als Elefant mit ihrer „wertorientierten Außenpolitik“ im Porzellanladen einige Vasen. Der Kölner Kardinal und Erzbischof Rainer Maria Woelki wird unter dem Titel „Trauerspiel“ mit verdeckten Augen bei der Studie von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche gezeigt. Und auch die AfD wird auf die Schippe genommen. Aus einem riesigen braunen Sumpf unterhalb eines nackten Hinterns strecken mehrere Rechtsextreme ihre Arme zum verbotenen Hitlergruß. Das berühmte Zitat von Goethes „Götz von Berlichingen“ ist daneben zu lesen: „...Sag ihm, er könne mich am Arsche lecken.“

Die Stimmung unter den Hunderttausenden bunt kostümierten kleinen und großen Karnevalsfans in Düsseldorf und Köln ist ausgelassen. Neben reichlich Kamelle - alleine in Köln werden rund 300 Tonnen Süßigkeiten geworfen - kleinen Blumensträußen und vielen weiteren Präsenten, waren dafür auch die Temperaturen angenehm. Auch die Polizei, die alleine in Köln den Rosenmontagszug mit rund 2.000 Beamtinnen und Beamten sicherte, zeigte sich am Mittag „sehr zufrieden“ mit dem bisherigen Verlauf des karnevalistischen Höhepunktes.

Von Andreas Rehnolt (epd)


Kriegsgedenken in Cottbus



Cottbus (epd). Mit mehreren Veranstaltungen ist in Cottbus der Opfer des Nationalsozialismus und des alliierten Luftangriffs vom 15. Februar 1945 gedacht worden. Oberbürgermeister Tobias Schick (SPD) erinnerte anlässlich des Gedenkens am 15. Februar an Leid und Zerstörung in weiten Teilen der Stadt. Zugleich betonte er, dass aus dem von Nazi-Deutschland angezettelten Zweiten Weltkrieg auch die Verantwortung für heutige Generationen erwachse, deutlich zu machen, „wie wir den Frieden verteidigungsbereit halten sowie Demokratie und Freiheit schützen“.

Es dürfe nicht vergessen werden, „warum es diesen Angriff gab, und dass mit ihm und weiteren der Krieg dahin zurückkehrte, wo er begonnen wurde“, betonte der Oberbürgermeister. Ziel des Bombenangriffs mit nahezu 1.000 Toten war nach Angaben der Stadt vor allem der Bahnhof. Es seien jedoch auch das Klinikum, weite Teile der Spremberger Vorstadt einschließlich der evangelischen Lutherkirche und weitere Teile der Stadt getroffen worden.

Schick nahm nach Angaben der Stadtverwaltung am 15. Februar an einem Gedenkgottesdienst in der Lutherkirche teil und wurde auch zu weiteren Gedenkveranstaltungen am Nachmittag und Abend erwartet.



Wittenberge wird Standort von Kleinstadtakademie



Wittenberge (epd). Die brandenburgische Stadt Wittenberge soll Standort der ersten Kleinstadtakademie Deutschlands werden. Dafür seien im Bundeshaushalt im laufenden Jahr rund zwei Millionen Euro vorgesehen, teilte das Bundesbauministerium am 15. Februar in Berlin mit. Mehr als 2.100 Kleinstädte seien im Mai 2023 zu Bewerbungen aufgerufen gewesen. Insgesamt 44 Bewerbungen seien eingegangen. In die engere Auswahl seien die fünf Städte Herzberg/Elster, Schlüchtern, Münnerstadt, Zwönitz und Wittenberge gekommen. Die Jury habe Wittenberge empfohlen, Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) habe sich dem angeschlossen.

Die neue Akademie solle die erste bundesweite Vernetzungs- und Wissensplattform für Kleinstädte in Deutschland werden, hieß es. Damit solle den Kleinstädten eine zusätzliche Stimme gegeben werden, um ihren Belangen und Ideen stärker Gehör zu verschaffen. Geywitz betonte, Wittenberge sei eine sehr kompetente und engagierte Kommune, die bereits gut vernetzt sei und über vielfältige Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit anderen Städten verfüge.

Vom deutschen Städte- und Gemeindebund hieß es, die Politik in Deutschland konzentriere sich häufig stark auf die Ballungszentren. Die Bedarfe und Probleme der Kleinstädte ließen sich jedoch nicht mit einer „bloßen Adaption von Großstadtrezepten“ lösen. Stattdessen müssten passende Konzepte entwickelt werden. Hier setze die Kleinstadtakademie an. Der Bürgermeister von Wittenberge, Oliver Hermann (parteilos), betonte, die Kleinstadtakademie biete ein großes Potenzial, strukturschwache und ländliche Räume zu stärken.



Honecker-Vergleich: Lemke wirft Söder Grenzüberschreitung vor



Berlin (epd). Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) wegen des Vergleichs von ihr mit der früheren DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker scharf kritisiert. „Diese Entgleisung von Markus Söder ist ebenso geschichtsvergessen wie grenzüberschreitend“, erklärte ein Sprecher Lemkes am 14. Februar in Berlin. Lemke sei 1989 zusammen mit hunderttausenden Menschen auf die Straße gegangen, um für Freiheit, Demokratie und gegen das DDR-Regime zu demonstrieren, ergänzte der Ministeriumssprecher.

Söder hatte in seiner Rede beim Politischen Aschermittwoch der CSU am 14. Februar in Passau Lemke als „grüne Margot Honecker“ bezeichnet. Lemke sei ein „Musterbeispiel“ für immer neue Auflagen gegen Bauern, sagte er in dem Zusammenhang und forderte „Freiheit für die Fleißigen“.

Margot Honecker (1927-2016), die Frau des früheren SED-Generalsekretärs und Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker (1912-1994), war 26 Jahre lang Ministerin für Volksbildung im SED-Regime. Ihr unterstand damit unter anderem das System der Spezialheime und Jugendwerkhöfe. Insbesondere im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau wurden Kinder und Jugendliche auch aus politischen Gründen festgehalten, gedemütigt und misshandelt. Die in Dessau (Sachsen-Anhalt) geborene Lemke war im Jahr des Mauerfalls Gründungsmitglied der Grünen Partei in der DDR, die aus in Opposition zum SED-Regime stehenden Umweltgruppen hervorging.




Entwicklung & Umwelt

Ostafrika: Wo der Radsport boomt




Start des Grand Nairobi Bike Race im November 2023
epd-bild/Birte Mensing
Die Rennradszene in Ostafrika wächst mit jedem Jahr - und auch die Mittelschicht entdeckt das Radeln als Hobby für sich. Am Sonntag beginnt die Tour durch Ruanda, das afrikanische Radsport-Highlight des Jahres.

Nairobi (epd). Wenn in Ruandas Hauptstadt Kigali der Startschuss für die „Tour du Rwanda“ fällt, zischen Hunderte Rennradfahrer los - und Tausende Menschen in Ostafrika und aus dem Rest der Welt schauen zu. Die Tour ist das älteste, größte und wichtigste Radrennen auf dem afrikanischen Kontinent.

Seit 1988 rasen jedes Jahr hunderte Rennradfahrer durch das endlose Grün des kleinen Binnenlandes in Ostafrika, auch „Land der Tausend Hügel“ genannt: 740 Kilometer in acht Tagen, bei 13.724 Höhenmetern.

Seit 2009 zählen die Platzierungen bei der „Tour du Rwanda“ für die Rangliste des internationalen Radsport-Verbands UCI. In den vergangenen Jahren gewannen oft Sportler aus Eritrea, aber auch schon aus Spanien, den USA, Südafrika - und natürlich Ruanda.

Mittelschicht-Hobby

Events wie das Rennen durch die Berge Ruandas zeigen: Der Radsport in Ostafrika wird immer wichtiger. Auch wenn in großen Teilen der Gesellschaft Radfahren mit Armut verbunden ist, entdecken immer mehr Menschen aus der wachsenden Mittelschicht das Radeln als Hobby für sich.

Ciarán Fitzpatrick leitet die Entwicklungsabteilung beim kenianischen Profi-Team „Kenyan Riders“. Der Ire lebt seit vielen Jahren in Iten, dem Sportstandort in Kenia schlechthin, 2.400 Meter über dem Meeresspiegel. Das ganze Jahr über trainieren hier Profi-Sportler aus aller Welt im Höhenlager. Die guten Bedingungen seien eine gute Grundlage für den Sport, sagt Fitzpatrick.

Die „Kenyan Riders“ waren zum bisher letzten Mal 2017 bei der Tour du Rwanda dabei. Je höher das Rennen in der internationalen Qualifikation angesiedelt wird, desto schwieriger ist die Teilnahme. Aktuell können nur Nationalteams oder interkontinentale Teams ihre Radler ins Rennen schicken. Doch die Ergebnisse aus Ruanda werden dadurch für das weltweite Ranking relevanter.

Giro-Etappe gewonnen

Seine gute Platzierung bei der „Tour du Rwanda“ half auch dem eritreischen Radfahrer Biniam Girmay. Der 23-Jährige gewann 2022 als erste schwarzer Afrikaner eine Etappe des legendären italienischen Radrennens Giro d'Italia. In Eritrea ist das Radfahren Volkssport, erste Rennen gab es schon während der italienischen Kolonialbesatzung.

Dass nicht mehr afrikanische Radfahrer an Rennen in Europa teilnehmen, liege an strukturellen Barrieren, erklärt Fitzpatrick. Die Reisen und das Equipment seien für die Fahrer schwer zu finanzieren, wenn sie nicht Teil eines Profi-Teams seien. Auch die Beschaffung von Visa für Rennen in Europa könne zum Problem werden.

In Kenias Hauptstadt Nairobi gibt es mittlerweile ein jährliches Rennen, das „Grand Nairobi Bike Race“, bei dem nicht nur Profis, sondern auch Kinder und Familien starten. Außerdem mit dabei: die „Black Mambas“. So werden die Räder ohne Gangschaltung genannt, die oft Menschen fahren, die kein Geld für andere Verkehrsmittel haben. Benannt sind sie nach der Schwarzen Mamba, eine der gefährlichsten Giftschlangen der Welt.

Infrastruktur auf Autos ausgerichtet

Auch Salome Kanini ist in der Kategorie angetreten, obwohl in ihrem Fuhrpark noch ganz andere Räder stehen. Die 36-jährige Kenianerin hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen im Radsport zu fördern. Gerade ist sie bei einem Rennen auf der tansanischen Insel Sansibar mitgefahren.

Mit ihrer Initiative „Dada Rides“ - Dada heißt „Schwester“ auf Suaheli - organisiert sie Rennen für ambitionierte Fahrerinnen, aber auch Trainings für Anfängerinnen. Sie engagiert sich zudem für bessere Bedingungen für Radfahrende im Straßenverkehr - denn bisher ist die Infrastruktur in Nairobi vor allem auf Autos ausgerichtet. Dabei besitzt nur ein Bruchteil der mehr als vier Millionen Menschen dort ein eigenes Auto.

Fitzpatrick von den „Kenyan Riders“ sagt, Rennen wie in Ruanda oder Kenia machten den Sport bekannter. Durch den Hype und die Presse, die solche Großveranstaltungen erzeugen, würden Leute angesteckt, die vorher nichts mit Radfahren am Hut gehabt hätten. Zudem machten sie es für Firmen interessanter, Teams oder einzelne Sportlerinnen zu sponsern.

Dass immer mehr Menschen in Kenia radeln, sieht Fitzpatrick als Grundlage für eine vielversprechende Zukunft des Radsports in Ostafrika. „Wenn in zehn bis zwanzig Jahren die Kinder dieser Leute alle anfangen, Rad zu fahren, dann wird es leichter, Talente zu finden und dann auch zu fördern“, sagt er. Der Radsport in Ostafrika boomt - und das ist erst der Anfang.

Von Birte Mensing (epd)


Demonstranten im Senegal fordern Termin für verschobene Wahl



Nairobi/Dakar (epd). Tausende Menschen haben am Wochenende im Senegal bei Demonstrationen die Bekanntgabe eines baldigen Wahltermins gefordert. Der Präsident Macky Sall hatte die für den 25. Februar geplante Wahl Anfang des Monats abgesagt. Nachdem der Verfassungsrat des Landes die Wahl-Verlegung am Donnerstag für unrechtmäßig erklärt hatte, versprach Sall am 16. Februar, die Entscheidung des Rats in vollem Umfang umzusetzen. Ein neues Datum steht noch aus. Doch laut dem Verfassungsrat soll die Wahl stattfinden, bevor am 2. April Macky Salls Mandat ausläuft.

Der Vorsitzende der Afrikanischen Union, Moussa Faki, äußerte sich am 17. Februar besorgt über die weiterhin angespannte Lage im Senegal und äußerte seine Hoffnung auf freie und transparente Wahlen, mit so wenig Verzögerung wie möglich. Auch in Paris gingen am Samstag Hunderte in Solidarität mit den Protestierenden im Senegal auf die Straße. Das Auswärtige Amt erklärte am Freitagabend in Berlin, man begrüße Salls Entscheidung, die Wahlen nun doch abzuhalten.

Festnahmen bei Protesten

Seit Staatschef Sall am 3. Februar die Wahl abgesagt hatte, gab es keine Wahlkampfveranstaltungen mehr. Mehrere Oppositionskandidaten und -politiker wurden bei Protesten verhaftet. Am Donnerstag waren mehrere von ihnen wieder freigelassen worden. Amnesty International kritisierte eine unverhältnismäßige Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden. Mindestens drei Menschen seien bei Protesten vergangene Woche getötet worden.

Der Senegal befindet sich in einer schweren politischen Krise, die schon vor Salls Entscheidung zur Verschiebung der Wahl begonnen hat. Nur 20 der insgesamt 79 Präsidentschaftskandidaten und -kandidatinnen, die ihre Unterlagen eingereicht hatten, wurden zur Wahl zugelassen, dagegen gab es bereits Proteste. Bereits seit Jahren drangsaliert die Regierung die Opposition im Land, hunderte Aktivisten und Oppositionspolitiker sind inhaftiert.



Zehntausende Menschen demonstrieren in Mexiko für Demokratie



Mexiko-Stadt (epd). Zehntausende Menschen haben am 18. Februar in Mexiko für faire Wahlen und die Achtung der demokratischen Institutionen demonstriert. Die Behörden in Mexiko-Stadt zählten 90.000 Menschen auf dem zentralen Platz der Hauptstadt, nach Angaben der Organisatoren waren es 700.000 Demonstrierende.

Aufgerufen zu den Protesten hatten Organisationen und Parteien der Opposition. Sie werfen dem scheidenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador ein Aushöhlen der Demokratie vor. Er bevorzuge seine Morena-Partei vor den Wahlen am 2. Juni. Offizielle Präsidentschaftskandidatin von Morena ist seit Sonntag die ehemalige Bürgermeisterin von Mexiko-Stadt, Claudia Sheinbaum. Sie liegt in Umfragen rund 30 Prozentpunkte vor der Oppositionskandidatin Xóchitl Gálvez.

Fast 100 Millionen Wahlberechtigte

Einer der Hauptredner bei den Protesten am Sonntag war Lorenzo Córdova, der ehemalige Präsident des mexikanischen Wahlinstituts, dessen Budget unter der aktuellen Regierung stark gekürzt wurde. Er rief dazu auf, „die Demokratie durch eine massive Beteiligung an den Wahlen vom 2. Juni zu verteidigen“.

Sheinbaum wandte sich am Wochenende an die rechten Kräfte innerhalb der Opposition. Sie bezeichnete es als Heuchelei, dass dieselben Kreise heute für die Demokratie marschierten, während sie früher „Wahlbetrug praktizierten, den Stimmenkauf ignorierten, die indigenen Völker missachteten und somit Diskriminierung und Klassenunterschiede förderten“.

Am 2. Juni werden bei der größten Abstimmung in der bisherigen Geschichte des Landes 97 Millionen wahlberechtigte Mexikaner über die Präsidentschaft sowie mehr als 20.000 Bundes- und Kommunalämter entscheiden, darunter auch die Gouverneursämter in 9 von insgesamt 32 Bundesstaaten.



"Fridays for Future" sieht Sparkurs als Gefahr für die Demokratie




Luisa Neubauer (Archivbild)
epd-bild/Guido Schiefer
Seit Wochen gehen Menschen gegen ein Erstarken des Rechtsextremismus auf die Straße. Aufgerufen hat dazu auch die Klimabewegung. Jetzt hat "Fridays for Future" weitere Pläne bekannt gegeben.

Berlin (epd). Die Klimabewegung „Fridays for Future“ will bundesweit junge Menschen zu den anstehenden Wahlen mobilisieren. Ziel sei eine hohe Wahlbeteiligung unter jungen Menschen, sagte Klimaaktivistin Luisa Neubauer am 15. Februar in Berlin. Zugleich müssten die demokratischen Parteien aber auch ein „wählbares Angebot“ für diese Zielgruppe machen. Im Juni stehen die Wahl zum Europaparlament und im September die Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg an.

Bereits zum 1. März ruft die Klimabewegung gemeinsam mit der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zum nächsten Klimastreik auf. Der Druck für eine radikale Verkehrswende und bessere Arbeitsbedingungen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) müsse verstärkt werden, sagten Sprecher von „Fridays for Future“. Zugleich will die Bewegung sich weiter an den Protesten gegen den wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland beteiligen.

Als Kernforderung an die Politik bezeichnete die Sprecherin von „Fridays for Future Deutschland“, Pauline Brünger, „ein Ende des sogenannten Sparkurses der Regierung“. Dieser gefährde nicht nur den Schutz des Klimas, sondern auch den Zusammenhalt im Land. Stattdessen seien „großflächige Investitionen in die sozial gerechte Transformation“ nötig. Ein erster Schritt dazu sei ein 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen unter anderem zum Ausbau des ÖPNV, Investitionen in eine ökologische Agrarwende und die Einführung des Klimageldes für Bürger. Die eskalierende Klimakrise sei eine Gefahr für die Demokratie. Zunehmende Naturkatastrophen seien ein Nährboden für Extremisten, sagte Brünger.

Der Potsdamer Klimaforscher und Ozeanograph Stefan Rahmstorf betonte, „wir haben uns vom stabilen Klima verabschiedet“. „Wir befinden uns jetzt in einem Wettlauf gegen die Zeit, um die Klimakatastrophe zu verhindern.“ 2023 sei das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen gewesen. Rahmstorf unterstrich mit Blick auf aktuelle Studien zu einem möglichen Zusammenbruch der atlantischen Umwälzzirkulation die Notwendigkeit, Emissionen schnellstmöglich und radikal zu senken.

Neubauer kündigte mit Blick auf die wachsende Popularität „der rechtsradikalen und klimaleugnenden AfD“ unter jungen Menschen eine im Frühjahr startende Kampagne zur Europawahl an. Diese werde von europaweiten Protesten unmittelbar vor den Wahlen begleitet. Es gehe darum, deutlich zu machen, warum Repräsentation in den Parlamenten wichtig ist, sagte Neubauer. Eine Wahlempfehlung werde „Fridays for Future“ aber nicht abgegeben.

Der Sprecher von „Fridays for Future Deutschland“ aus Halle, Ole Horn, sagte, viele junge Menschen fühlten sich von den Parteien nicht ernst genommen. „Wir wollen jungen Menschen eine demokratische Stimme geben.“ Dabei verwies er unter anderem auf das Bündnis der Klimabewegung mit Ver.di. „Wir können es uns nicht länger leisten, Klima- und soziale Maßnahmen gegeneinander auszuspielen“, unterstrich Horn. Die Kooperation mit Ver.di sei bislang einzigartig und sei über zwei Jahre lang dezentral aufgebaut worden.



Stacheliger Stadtbewohner




Igel-Junges
epd-bild/Evelyn Sander
Nachtaktiver Wanderer, Einzelgänger und Winterschläfer: Der Braunbrustigel ist das Wildtier des Jahres 2024. Aber er ist gefährdet - und im Zweifel helfen ihm auch seine bis zu 7.000 Stacheln nicht.

Stuttgart/Hamburg (epd). Wild wirkt er nun wirklich nicht, der gemeine Igel. Und doch wurde der Braunbrustigel (Erinaceus europaeus) zum „Wildtier des Jahres 2024“ gekürt. „Der Igel ist genauso ein Wildtier wie Fuchs, Hase oder Reh“, stellt Lea-Carina Mendel von der Deutschen Wildtier Stiftung in Hamburg klar. Drei Tiere hatte die Stiftung ihren Spendern zur Wahl gestellt. Der kleine Stachelritter setzte sich klar gegen die Mitbewerber Eichhörnchen und Rotfuchs durch.

Den Igel kennt wohl jedes Kind - zumindest aus Märchen und Parabeln. Das zwischen 20 und 30 Zentimeter große und 800 bis 1.700 Gramm leichte Tier in freier Wildbahn zu entdecken, wird allerdings zunehmend schwieriger. Denn der Igel - der zu den ältesten Säugetieren überhaupt gehört, und dessen Vorfahren es schon gab, bevor die Dinosaurier ausstarben - ist bedroht. „Auf dem Land haben aufgeräumte Agrarlandschaften die früher üblichen Hecken, Gehölze und artenreichen Magerwiesen verdrängt“, erklärt Lea-Carina Mendel. Auch deshalb gebe es inzwischen Schätzungen zufolge in Städten bis zu neunmal so viele Igel wie auf dem Land. „Gärten und Grünanlagen in Siedlungsgebieten bieten einfach mehr Schutz“, sagt Mendel.

Versiegelte Vorgärten und tödliche Mähroboter

Aber auch in den Städten hat es der Igel zunehmend schwer. Versiegelte Flächen und Schottervorgärten entzögen ihm die Lebensgrundlage, weiß Mendel. Die bei Haus- und Gartenbesitzern beliebten Mähroboter stellten eine zusätzliche Gefahr für die stacheligen Mitbewohner dar. Optimal seien Hecken oder naturbelassene Ecken in Gärten. Dort könne er sich verstecken, im Sommer seinen Nachwuchs zur Welt bringen und ab November seinen Winterschlaf halten. Außerdem finde er dort seine Nahrung: Insekten, Spinnen und Regenwürmer.

In den Tierheimen und Auffangstationen in Baden-Württemberg ist der Igel ein bekannter Gast. Allein das Stuttgarter Tierheim hat gerade 40 der kleinen Stacheltiere in seiner Obhut. „Wenn sie wieder gesund sind, werden sie ausgewildert“, erklärt Tierschutzlehrerin Petra Veiel. Findern rät sie, immer zuerst ein Tierheim anzurufen, um abzuklären, ob das Tier wirklich Hilfe benötigt. Auf keinen Fall sollten die kleinen Stacheltiere in der kalten Jahreszeit ins Warme geholt werden, denn das bringe deren Winterruhe durcheinander und stresse die Tiere.

„Keine hilfreiche Strategie gegen Autos“

Auf der Suche nach Futter legt ein Igel Nacht für Nacht mit seinen kurzen Beinen mehrere Kilometer zurück. Wittert er Gefahr, rollt er sich zu einer stacheligen Kugel zusammen. Dazu stellt er seine Stacheln auf - zwischen 5.000 und 7.000 sind das bei einem ausgewachsenen Igel. „Was gegen einen hungrigen Fuchs oder einen Uhu mit seinen scharfen Krallen helfen mag, ist aber keine hilfreiche Strategie gegen Autos“, sagt Lea-Carina Mendel. Unzählige Igel würden jedes Jahr überfahren.

Wie viele Igel es in Deutschland gibt, ist nicht bekannt. Wildtierexperten sehen aber mit Sorge, dass der Bestand offenbar schleichend abnimmt. Der Igel wird auf der Roten Liste der Säugetiere Deutschlands in der Kategorie „Vorwarnliste“ geführt. Setzt sich die Entwicklung fort, ist laut Experten zu erwarten, dass die Art in naher Zukunft in die Kategorie „Gefährdet“ hochgestuft werden muss.

Von Matthias Pankau (epd)


Brandenburgs Umweltminister wirbt für Naturschutzpreis



Potsdam (epd). Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) hat die Bedeutung des Engagements von Ehrenamtlichen für den Naturschutz betont. „Sie setzen sich für den Schutz bedrohter Arten ein, geben ihr Wissen weiter, sind Vorbilder und begeistern auch ihr Umfeld“, erklärte er am 17. Februar in Potsdam. Ohne die vielen Engagierten wären zahlreiche Naturschutzprojekte undenkbar. Vogel warb für eine Beteiligung am Brandenburger Naturschutzpreis.

Die Stiftung NaturSchutzFonds Brandenburg ehre damit jedes Jahr richtungsweisende Leistungen im Bereich des aktiven, praktischen Naturschutzes, hieß es. Darüber hinaus würden wissenschaftliche, planerische und wirtschaftliche Leistungen prämiert. Im vergangenen Jahr war der Preis mit 3.000 dotiert.

Für den Brandenburger Naturschutzpreis können einzelne Personen, Verbände, Vereine, Unternehmen, Schulklassen, Kindergruppen oder Arbeitsgemeinschaften vorgeschlagen werden beziehungsweise sich selbst bewerben. Der Preis richtet sich auch an Menschen, die nicht in Brandenburg leben, sich jedoch in besonderem Maße um den Schutz von Natur und Landschaft zwischen Elbe und Oder verdient machen. Bis zum 30. April können Vorschläge oder Bewerbungen bei der Stiftung eingereicht werden.

Im vergangenen Jahr wurde den Angaben zufolge mit dem Projekt „Lebensader Temnitz“ das herausragende Engagement einer Gemeinschaft ausgezeichnet. Das Amt Temnitz setze sich seit 15 Jahren gemeinsam mit zahlreichen Partnerinnen und Partnern im Naturpark Stechlin-Ruppiner Land für die nachhaltige Sicherung und Entwicklung der Natur- und Kulturlandschaft ein, hieß es.



Thüringen sucht Biberberater



Erfurt (epd). Thüringen sucht ehrenamtliche Biberberater für nahezu alle Regionen des Freistaats. Im Hinblick auf die stetige und schnelle Ausbreitung der Art sei mehr Unterstützung wünschenswert, sagte Umweltminister Bernhard Stengele (Grüne) am 12. Februar in Erfurt. Die Berater könnten dazu beitragen, jeweils vor Ort einen Ausgleich zwischen den Belangen des Naturschutzes und den Interessen etwa der Landwirtschaft zu finden.

In dem seit fünf Jahren laufenden Programm haben laut Stengele 37 Frauen und Männer eine Ausbildung als Biberberater oder -beraterin in Thüringen absolviert. Davon arbeiteten aktuell 18 Personen ehrenamtlich mit einer unteren Naturschutzbehörde zusammen.

Thüringen bezahle heute bereits in Einzelfällen Ausgleichsgelder, wenn landwirtschaftliche Flächen durch Anstauungen von Bibern beeinträchtigt werden. Eine entsprechende landesweite Regelung sei zudem in Vorbereitung. Grundsätzlich aber sei es notwendig, den Flusssystemen wieder mehr Raum zu geben und die fortschreitende Versiegelung von ufernahen Bereichen zu stoppen.

Nach Angaben des Thüringer Kompetenzzentrums „Wolf, Biber, Luchs“ gibt es inzwischen rund 650 Tiere der streng geschützten Art im Freistaat. Allein fünf Reviere finden sich in der Stadt Erfurt und deren Vororten. Mit Ausnahme der Region um Altenburg seien die Großnager landesweit anzutreffen.

Erst seit 2007 ist der Biber wieder dauerhaft zurück im Freistaat und breitet sich stetig aus. Zuvor war er über 400 Jahre in der Region verschwunden, nachdem die Großnager vor allem wegen ihres Pelzes und Fleisches intensiv bejagt worden waren.



Thüringen schafft landesweites Radwegenetz



Erfurt (epd). Thüringen will bis zum Ende des Jahrzehnts alle zentralen Orte des Bundeslandes über Radwege miteinander verbinden. Das geplante Streckennetz solle insgesamt 4.165 Kilometer umfassen, teilte das Landesverkehrsministerium am 14. Februar in Erfurt mit. Dazu zählten 177 Kilometer Varianten und 44 Kilometer Netzlücken. In großen Teilen bestehe das Netz aus Abschnitten, die bereits heute im Alltagsverkehr befahrbar seien.

Weitere Abschnitte müssten noch gebaut oder ertüchtigt werden. Der Anteil der Netzabschnitte mit potenziellem Handlungsbedarf liege bei rund 22 Prozent für Strecken außerorts und 13 Prozent der Streckenkilometer innerorts. Kommunen und Verbände hätten sich an der Ausarbeitung des Konzepts beteiligt.

Im Zuge dessen seien rund 1.300 Meldungen zu Änderungs- und Ergänzungswünschen eingegangen. Thüringens Infrastrukturministerin Susanna Karawanskij (Linke) begrüßte das starke Interesse. „Kommunen und Land haben nun den Auftrag, das Konzept umzusetzen und die Qualität des Radverkehrsnetzes zu verbessern“, sagte sie.

Bereits zwischen 2019 und 2022 habe Thüringen rund 49,5 Millionen Euro an Bundes- und Landesmitteln für die Finanzierung und Förderung des Baus von Radwegen bereitgestellt. Über das Sonderprogramm „Stadt und Land“ stelle der Bund zwischen 2021 und 2028 zusätzliche Gelder in Höhe von insgesamt 55 Millionen Euro zur Verfügung, die Thüringen in die flächendeckende Radverkehrsinfrastruktur investiere. Ein Förderschwerpunkt liege dabei in diesem Jahr auf der Verbesserung der Verknüpfungsangebote von Rad und öffentlichem Personennahverkehr.



Studie: Mehr erneuerbare und wasserstoffbasierte Energie nötig



Potsdam (epd). Auf dem Weg zur Klimaneutralität ist einer neuen Studie zufolge ein deutlicher Ausbau erneuerbarer und wasserstoffbasierter Energien notwendig. Ein entscheidender Schritt zur Klimaneutralität in der EU sei ein schneller Umstieg von fossilen Brennstoffen auf elektrische Technologien, die mit Strom aus erneuerbaren Energien betrieben werden, erklärte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung am 16. Februar unter Verweis auf die Forschungsergebnisse.

Für die EU-Transformation im Energiebereich sei bis 2050 eine Steigerung des Stromanteils am Energieverbrauch von derzeit 20 auf 42 bis 60 Prozent nötig, hieß es. Zugleich werde aus Strom erzeugter Wasserstoff in schwer zu elektrifizierenden Bereichen wie der Luftfahrt, der Schifffahrt und der Chemie unverzichtbar sein. Bis 2050 seien Elektrifizierung und Wasserstoff die Schlüsselstrategien, um Klimaneutralität zu erreichen. Der Anteil wasserstoffbasierter Energie am Gesamtenergieverbrauch müsse dann bei 9 bis 26 Prozent liegen.

Frühere Studien hätten gezeigt, dass das Energiesystem kostengünstig und umweltschonend auf erneuerbare Quellen wie Wind und Sonne umgestellt werden könne, hieß es. Die neue Analyse zeige, dass die Nutzung von Strom unter anderem durch Elektroautos und Wärmepumpen für viele Sektoren entscheidend sei, während die Umwandlung von Strom in Wasserstoff nur für wenige Anwendungen wichtig sei. Die Stromnachfrage in der EU werde bis 2050 voraussichtlich um 80 bis 160 Prozent steigen. Bis dahin müsse deshalb etwa doppelt so viel Strom erzeugt werden wie heute.




Medien & Kultur

Paus: Hass im Netz bedroht Demokratie




Lisa Paus (Archivbild)
epd-bild/Christian Ditsch
Eine Studie über Hass im Internet lässt die Alarmglocken schrillen: Zwei Drittel der jungen Befragten berichten über ihre Erfahrungen mit dem Phänomen. Nötig seien mehr Schutz für die Betroffenen und finanzielle Konsequenzen für die Plattformen.

Berlin (epd). Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat vor zunehmendem Hass im Internet gewarnt. „Ob toxische Kommentare, Drohungen, beängstigende Kampagnen: Hass im Netz ist allgegenwärtig“, sagte sie am 13. Februar in Berlin bei der Vorstellung einer Studie über Hass im digitalen Raum. Demnach fühlen sich allein 30 Prozent der befragten Internetnutzerinnen und -nutzer im Alter zwischen 16 und 24 Jahren von Hass im Internet betroffen. Paus warnte, viele zögen sich daraufhin zurück. Das gebe jenen Raum, die laut und aggressiv seien, und bedrohe die Demokratie.

Das Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz forderte anlässlich der Vorstellung der Studie „Lauter Hass - leiser Rückzug“, Betroffene besser zu schützen, Plattformen finanziell zur Verantwortung zu ziehen und Medienkompetenz zu fördern. Knapp die Hälfte der Befragten (45 Prozent) gaben der von dem Netzwerk herausgegebenen Studie zufolge an, bereits Hass im Internet gesehen zu haben. Am häufigsten würden aggressive oder abwertende Aussagen gegen Politiker, Geflüchtete und Aktivisten wahrgenommen. Der Studie zufolge gaben 15 Prozent der Befragten an, selbst bereits von Hass im Netz betroffen gewesen zu sein.

Besonders häufig betroffen seien Personen, die als Migranten wahrgenommen werden, Frauen und Homosexuelle. Knapp jede zweite Studienteilnehmerin im Alter von 16 bis 24 Jahren (42 Prozent) erhielt demnach bereits ungefragt ein Nacktfoto.

Für die Studie wurden im vergangenen Jahr zwischen Oktober und November bundesweit rund 3.000 Internetnutzerinnen und -nutzer im Alter ab 16 Jahren befragt. Die Umfrage wurde vom „Kompetenznetzwerk gegen Hass im Netz“ herausgegeben. Ihm gehören mehrere Organisationen an, darunter HateAid und die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur.

Die Geschäftsführerin der Organisation „Das Nettz“, die ebenfalls dem Netzwerk angehört, Hanna Gleiß, wies darauf hin, dass zwei Drittel der 16- bis 24-Jährigen in der Studie angegeben hätten, Hass im Netz gesehen zu haben. Die Studie zeige damit, dass Hass im Internet mittlerweile von vielen als „Normalität“ begriffen werde.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kritisierte anlässlich eines Treffens mit Vertretern aus Internetunternehmen, Zivilgesellschaft und zuständigen Behörden, „antisemitischer, rassistischer und demokratiefeindlicher Hass wird vor allem im Netz befeuert“. Ihr Ministerium setze auf Prävention, die konsequente Löschung von Hetze und die strafrechtliche Verfolgung der Täter.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Renate Künast forderte mehr Engagement von Gesellschaft und Politik gegen Hass im Internet. „Die Zukunft wird im Netz entschieden“, sagte die ehemalige Verbraucherschutzministerin im RBB-Inforadio anlässlich der Veröffentlichung der Studie. Das Netz werde für Kampagnen genutzt, die schnell Emotionen erzeugten. Das bringe Menschen zu „Überzeugungen, die nicht faktenbasiert sind“. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hatte vor wenigen Wochen den Facebook-Konzern Meta dazu verpflichtet, nicht nur einen rechtsverletzenden Post gegen die Grünen-Politikerin, sondern auch sinngleiche Äußerungen zu löschen.



Radio-Korrespondentin Lindner erhält Preis der Bundespressekonferenz



Berlin (epd). Die Radiojournalistin Nadine Lindner erhält in diesem Jahr den Preis der Bundespressekonferenz. Mit ihrer Berichterstattung für den Deutschlandfunk über die ostdeutschen Bundesländer und das Erstarken der AfD habe die 43-Jährige zu Recht besondere Aufmerksamkeit erfahren, erklärte der Verein der Hauptstadtjournalisten am 16. Februar zur Begründung. Lindners Berichte zeichneten sich durch eine große Sachlichkeit und Analyse aus. Ihre unaufgeregte Berichterstattung passe im besonderen Maß zur Bundespressekonferenz.

Die Preisverleihung findet während der Eröffnungsveranstaltung des Bundespresseballs am 12. April im Berliner Hotel Adlon Kempinski statt. Den Angaben zufolge befasst sich Lindner in ihrer journalistischen Arbeit schon seit Längerem mit Transformationsprozessen in den ostdeutschen Bundesländern. Nach einem Studium in Leipzig und einem kurzen Stopp in Köln sei sie bewusst in das Studio Dresden des Deutschlandfunks gewechselt. Inzwischen arbeitet sie als Hauptstadtstudio-Korrespondentin für die drei Deutschlandradio-Programme.

Der Preis der Bundespressekonferenz wird seit 2014 vergeben und ehrt herausragende Leistungen im Sinne gelebter Pressefreiheit. Im vergangenen Jahr wurde Thomas Wiegold für seinen Blog „Augen geradeaus!“ über Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ausgezeichnet.



Zuwächse bei Bezahlinhalten beflügeln Optimismus



Berlin (epd). Mehr als zwei Drittel der Digitalpublisher und Zeitungsverleger blicken laut einer Umfrage optimistisch auf das laufende Jahr. Das geht aus der Studie „Trends der Zeitungsbranche“ hervor, die der Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) am 13. Februar in Berlin vorstellte. Zwar rechnet die Branche bei Print mit einem weiteren Rückgang der Abo-Zahlen sowie der Vertriebs- und Werbeerlöse. Dafür werden deutliche Zuwächse bei E-Paper und vor allem Bezahlinhalten erwartet.

Bei den Abonnements überwiegt heute noch Print mit einem Anteil von rund 70 Prozent. Dieser wird sich nach Einschätzung der BDVZ-Mitglieder jedoch bis 2030 etwa halbieren. Dagegen werden sich E-Paper- und Plus-Abos verdoppeln. Bei Print erwarten die Befragten zudem, dass die Preise weiter steigen, die Zustellung in unwirtschaftlichen Bereichen eingestellt wird und die Zeitung in gedruckter Form mittelfristig nicht mehr jeden Tag erscheint.

Die Studie identifiziert zudem Top-Trends. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wird dabei zu einer Effizienzsteigerung durch Automatisierung führen. Die durch KI geschaffenen Freiräume in der Redaktion sollen vor allem für die Qualitätssteigerung der journalistischen Inhalte genutzt werden. Ein weiterer Trend ist nach Auffassung der Unternehmen die präzise Ansprache von Zielgruppen.

Die Umfrage führte der BDZV mit der Unternehmensberatung Highberg (vormals Schickler) zwischen Dezember 2023 und Januar 2024 durch. 265 Personen nahmen teil, vornehmlich aus Chefredaktionen, aber auch aus Werbemarkt, Geschäftsführung, Lesermarkt oder Logistik.



Senatssprecherin künftig im ZDF-Fernsehrat



Berlin (epd). Die Sprecherin des Berliner Senats, Christine Richter, wird das Land künftig im ZDF-Fernsehrat vertreten. Sie folgt mit der Neukonstituierung des Aufsichtsgremiums am 5. Juli auf den ehemaligen Chef der Senatskanzlei und jetzigen Wirtschaftsstaatssekretär Severin Fischer (SPD), wie die Senatskanzlei in Berlin mitteilte. Dies habe der Senat auf seiner Sitzung am 13. Februar beschlossen. Die Neuentsendung beachte insbesondere die staatsvertragliche Vorgabe zur paritätischen Besetzung des Gremiums. Danach muss bei der Entsendung eines neuen Mitglieds jeweils eine Person des anderen Geschlechts nachfolgen.

Die Amtsperiode im ZDF-Fernsehrat dauert vier Jahre. Er setzt sich den Angaben zufolge aus 60 Mitgliedern gesellschaftlicher Gruppen zusammen, die die Interessen der Allgemeinheit vertreten sollen. Zentrale Aufgabe sei es, die Programme und Online-Angebote des ZDF zu beaufsichtigen und den Intendanten in Programmfragen zu beraten. Dabei verstehe sich der ZDF-Fernsehrat auch als Anwalt des Publikums. Dieses könne sich beispielsweise mit Programmbeschwerden direkt an den ZDF-Fernsehrat wenden.



Programmreform: RBBKultur heißt künftig Radio3



Berlin (epd). Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) benennt sein Hörfunkprogramm RBBKultur in Radio3 um. Dieser Schritt werde am 2. April vollzogen, teilte der RBB am 14. Februar auf Anfrage in Berlin mit und bestätigte damit entsprechende Informationen des Evangelisches Pressedienstes (epd). Ab diesem Zeitpunkt gebe es auch programmliche Änderungen. Der Sender wolle „die journalistische, vertiefende Befassung mit Kultur“ erweitern, im Sinne eines „Feuilletons für Berlin und Brandenburg“.

Ziel sei es, „wieder mehr Menschen für unser Kulturradio und damit auch für Kultur zu interessieren, als das zuletzt der Fall gewesen ist“, erklärte der RBB. Neu hinzukommen soll eine etwas jüngere Hörerschaft ab 50 Jahren. Das werde „nicht zulasten von Komplexität oder Tiefgang gehen“, betonte der Sender. Leiterin des Kulturradios und auch des RBB-Programms Radioeins ist seit November 2023 Dorothee Hackenberg.

Ab dem 2. April sollen bei Radio3 vor allem Änderungen in der Sendung „Der Morgen“ sichtbar sein. Sie wird weiter von 6 Uhr bis 10 Uhr ausgestrahlt, der RBB will darin aber „das gesprochene Wort deutlich stärker in den Vordergrund“ rücken. Moderieren werden im Wechsel Anja Herzog, Frank Meyer, Katja Weber und Jörg Thadeusz.

Die Moderatoren sollen „mit Studiogästen aus Wissenschaft, Bildung, Kultur, Politik und Gesellschaft auf die großen kulturellen und kulturpolitischen Themen“ blicken. Vorgesehen sind außerdem Berichte und Rezensionen etwa von Konzerten, Ausstellungen und Inszenierungen aus Berlin und Brandenburg. Mehr Wort soll es auch in der Sendung „Der Tag“ von 16 Uhr bis 20 Uhr geben.



Medienaufsicht prüft Beschwerden gegen Nachrichtenportal "Nius"



Berlin (epd). Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) prüft mehrere Beschwerden gegen das rechtspopulistische Nachrichtenportal „Nius“. Insgesamt seien seit September 2023 sieben Beschwerden zu dem Angebot eingegangen, teilte eine MABB-Sprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf Nachfrage mit und bestätigte damit einen Bericht des Portals „t-online“. Presserechtlich verantwortlich für „Nius“ ist der frühere „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt.

Zu Inhalten der Beschwerden oder dem Stand eines etwaigen Verfahrens bezüglich „Nius“ könne die Medienanstalt derzeit keine Auskünfte geben, erklärte die Sprecherin. Neben einem bloßen Hinweisschreiben könnte „Nius“ die Einleitung eines formellen Aufsichtsverfahrens drohen, das unter anderem eine Beanstandungs- oder sogar Untersagungsverfügung zur Folge haben kann.

Nach Paragraf 19 des Medienstaatsvertrags entscheidet bei Anhaltspunkten für Verstöße gegen die journalistischen Sorgfaltspflichten die zuständige Medienanstalt - im Falle von „Nius“ die MABB - über mögliche weitere Verfahrensschritte. Sollte sie ein förmliches Aufsichtsverfahren einleiten, erhält der Anbieter in einem ersten Schritt zunächst die Möglichkeit zur Stellungnahme.

Bei bundesweiten Sachverhalten beschließt die Kommission für Zulassung und Aufsicht der Landesmedienanstalten (ZAK) Maßnahmen gegen den Anbieter, welche die zuständige Landesmedienanstalt anschließend umsetzt. „Dies kann innerhalb weniger Wochen erfolgen oder auch zwei bis drei Monate in Anspruch nehmen“, teilte die MABB mit.



Medienrechtler Cole: EU prescht mit neuem Digital-Gesetz weit vor



Frankfurt a.M./Marl (epd). Der Rechts- und Medienwissenschaftler Mark Cole sieht im Digital Services Act (DSA) der EU eine wichtige Wegmarke im Kampf gegen Hassrede und Desinformation auf Online-Plattformen. „Wir preschen damit im globalen Vergleich in der Europäischen Union sehr viel weiter vor als alle anderen, die auch darüber diskutieren“, sagte der Professor der Universität Luxemburg in der am 13. Februar veröffentlichten Ausgabe des Medien-Podcasts „Läuft“. Der DSA gilt ab dem 17. Februar vollständig in allen EU-Staaten.

Auch wenn das Funktionieren in der Praxis abgewartet werden müsse, sei es erstaunlich, dass sich die EU auf eine Art „digitales Plattformgrundgesetz“ habe einigen können, sagte Cole. Mit dem 2022 verabschiedeten Digital Services Act werde Anbietern wie Facebook und X „eine Art redaktionelle Verantwortung auferlegt“. Sie müssten Inhalte - etwa User-Kommentare - nun nach bestimmten Regeln moderieren, die mit den Grundrechten vereinbar sein müssen.

Diese internen Richtlinien seien in den Geschäftsbedingungen genau zu erklären, sagte Cole, der auch Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Europäisches Medienrecht in Saarbrücken ist. Für die Nutzerinnen und Nutzer müsse zudem ein einfach zugängliches Beschwerdeverfahren vorgehalten werden. Cole verwies auch auf neue Vorschriften zur Transparenz von Online-Werbung, die mit dem DSA in Kraft treten.

Föderales System erschwert Aufsicht

Als „schwerste Nuss zum Knacken“ bezeichnete Cole die Anpassungen der deutschen Rechtslage an die EU-Verordnung. Deutschland müsse als Föderalstaat mit einem „Auseinanderfallen der Aufsicht“ über Teilfragen klarkommen. Während die Bundesnetzagentur als koordinierende Stelle fungieren und Deutschland in einem europäischen Gremium vertreten solle, lägen Teilzuständigkeiten etwa für den Jugendmedienschutz bei den Landesmedienanstalten. Diese Konstruktion sei kompliziert, zwinge aber die unterschiedlichen Akteure, „in Zukunft viel enger zusammenzuarbeiten“.

Der Fünfte Medienänderungsstaatsvertrag der Bundesländer, der mit Blick auf den Digital Services Act Änderungen vornimmt, wird voraussichtlich erst im Oktober in Kraft treten. Das neue Digitale-Dienste-Gesetz des Bundes soll im Laufe des Frühjahrs gültig werden. Das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) tritt dadurch weitestgehend außer Kraft.

Der Podcast „Läuft“ ist eine Koproduktion das Fachdienstes epd medien und des Grimme-Instituts in Marl. Er befasst sich mit aktuellen Themen aus der Medienbranche, nimmt aber auch Fernseh-, Radio- und Streaming-Produktionen sowie Podcasts und besondere Webangebote in den Blick.

Podcast „Läuft“



Bund will Filmförderung neu aufstellen




Claudia Roth (Archivbild)
epd-bild/Rolf Zöllner
Bislang sind öffentliche Filmfördertöpfe begrenzt und irgendwann leer. Der Bund will mit neuen Anreizen die Filmbranche im Land halten. Dazu gehören Steuererleichterungen, aber auch Investitionsverpflichtungen.

Berlin (epd). Kurz vor dem Start der Berlinale hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) ihre Reformpläne für die Filmförderung vorgestellt. Ziel sei, die Standortbedingungen für Filmproduktionen in Deutschland zu verbessern, sagte Roth am 13. Februar in Berlin. Neben Steueranreizen und einer Investitionsverpflichtung soll die Filmförderungsanstalt (FFA) zur zentralen Einrichtung für Förderungen ausgebaut werden.

Ein entsprechender Referentenentwurf für eine Novelle des Filmförderungsgesetzes (FFG) liege vor. Das Gesetz läuft Ende des Jahres aus. Anfang 2025 soll die Novelle in Kraft treten, sagte Roth. Die Verhandlungen mit den Ländern, von denen einige wichtige Produktionsstandorte sind, laufen.

Die Kulturstaatsministerin betonte, die Reform biete „die Chance für einen großen Wurf“. Ziel sei eine Verbesserung der Rahmenbedingungen und eine Stärkung des deutschen Films. Die Branche müsse sich angesichts der zunehmenden Bedeutung von Streamingdiensten und Mediatheken sowie einer verschärften internationalen Konkurrenz der Filmstandorte neu aufstellen.

Hintergrund ist eine trübe Stimmung in der Branche. Die deutschen Film- und Fernsehproduzenten rechnen in diesem Jahr mit einem Rückgang der Auftragsproduktionen von rund zehn Prozent. Der Hauptgeschäftsführer der Allianz Deutscher Produzenten - Film & Fernsehen, Björn Böhning, kritisierte am Montag eine Kürzung bei der Filmförderung im Bundeshaushalt um rund 15 Millionen Euro. Im internationalen Vergleich liege das deutsche Förderniveau ohnehin um 10 bis 15 Prozent niedriger. Zugleich seien die Produktionskosten um etwa 18 Prozent gestiegen.

Mit der Bündelung der Filmförderung des Bundes unter dem Dach der FFA will Roth eine „Förderung aus einer Hand“ schaffen. Wesentliche Neuerung sei die Konzentration auf die Förderbereiche Produktion, Verleih und Kino sowie „eine weitgehende Automatisierung der Förderinstrumente“.

Als besonderen Anreiz für Hersteller und Produktionsdienstleister bezeichnete sie die geplante „Einführung eines Steueranreizmodells“. Es soll die bisherigen Standortförderinstrumente - den Deutschen Filmförderfonds (DFFF) und den German Motion Picture Fund (GMPF) - ersetzen. Film- und Serienproduktionen sowie Dienstleister sollen demnach bis zu 30 Prozent der anerkannten deutschen Herstellungskosten als Filmförderzulage zurückerhalten, finanziert aus dem Aufkommen der Körperschaft- und Einkommenssteuer. Dies schaffe im Gegensatz zu der gedeckelten Zuschussförderung Planungssicherheit, insbesondere für internationale Großproduktionen. In den Förderfonds DFFF und GMPF standen im vergangenen Jahr rund 166 Millionen Euro zur Verfügung.

Besonders auf ausländische Streamingdienste und Mediatheken mit deutschsprachigem Angebot zielt die dritte Säule des Roth'schen Reformvorhabens: die Einführung einer Investitionsverpflichtung. Geplant ist eine Investitionsquote von 20 Prozent auf den Vorjahresnettoumsatz. Viele deutsche Anbieter erfüllten diese Quote ohnehin. Für sie habe diese Verpflichtung faktisch keine Auswirkung, sagte Roth. In zahlreichen anderen Staaten gebe es ähnliche Verpflichtungen.



"Hass steht nicht auf unserer Gästeliste"




Berlinale-Palast am Potsdamer Platz in Berlin
epd-bild/Hans Scherhaufer
Die 74. Berlinale startet vor dem Hintergrund multipler Krisen in der Welt mit betont politischer Note und einem Film, der dazu aufruft, nicht länger wegzuschauen.

Berlin (epd). Den Ruf, das politischste unter den großen Filmfestivals zu sein, beansprucht die Berlinale seit langem für sich. Ursprünglich war es eine Defensivstrategie, um sich gegen die glamouröseren Filmfestivals in Cannes und Venedig abzusetzen, die so viel mehr Stars auf ihren roten Teppichen begrüßen. Die Menschenkette, die am 15. Februar unter dem Motto „Defend Democracy“ zum Auftakt in diesem Jahr ein Zeichen gegen Rechtsextremisten und die Feinde der Demokratie setzen sollte, war deshalb keine Störung des Ablaufs. Sie war im Gegenteil organischer Bestandteil eines Eröffnungsabends, an dem die Filme hinter den politischen Verlautbarungen fast ins Hintertreffen zu geraten drohten.

Wer befürchtet hatte, dass die Sperrzone rund um den Berlinale-Palast auch für die umstrittenen und belastenden Themen der Zeit gilt, sah sich getäuscht. Statt den angebotenen Eskapismus der Kinowelt zu nutzen, und die Debatten über AfD, Ukraine-Krieg und den Hamas-Terrorangriff auf Israel und das Leiden im Gaza-Streifen einmal außen vor zu lassen, nahmen sämtliche Reden darauf Bezug, seien es die von Berlinale-Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek, Kulturstaatsminsiterin Claudia Roth (Grüne) und des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU).

Und selbst die Moderatoren der Eröffnungsgala, Hadnet Tesfai und Jo Schück, scheuten sich nicht, obwohl auf launiges Geplauder verpflichtet, immer wieder ernste Worte einzustreuen. Das Ergebnis war ein Berlinale-Eröffnungsabend nahezu ohne einen falschen Ton, an dem Sätze wie Mariette Rissenbeeks programmatischer „Hass steht nicht auf unserer Gästeliste“ nicht nur beklatscht wurden, sondern tatsächlich nachhallten.

Dass die Eröffnung dieser 74. Filmfestspiele von Berlin inmitten angespannter Multikrisen als gelungen gelten kann, dazu trugen auch diverse Glücksfälle bei. Dass als Auftaktfilm ein Werk gewählt wurde, in dem Oscar-Kandidat Cillian Murphy (nominiert für seine Darstellung der Titelrolle in „Oppenheimer“) die Hauptrolle spielt, ist einer davon. Dass zu den Produzenten dieses Films, dem irisch-belgischen Drama „Small Things Like These“, der Hollywood-Star Matt Damon gehört, der andere. Und dass mit Christian Friedel und Wim Wenders gleichsam zwei weitere Filme mit Oscar-Nominierungsstatus vertreten sind, verleiht der diesjährigen Berlinale genau das, was sonst immer als zu wenig empfunden wird: Hollywood-Glamour.

„Die Filmemacher schauen nicht weg“, so hatte Bürgermeister Kai Wegner die Aufgabe des Kinos in diesen Tagen umschrieben. Da fügte es sich besonders gut, dass der Eröffnungsfilm „Small Things Like These“ genau davon handelt. Ein von Cillian Murphy verkörperter Kohlehändler in der irischen Provinz der 80er Jahre kann nicht länger an dem vorbeischauen, was seine Mitbürger alle wissen und geschehen lassen: Dass nämlich im von Nonnen geführten Magdalenen-Heim der Stadt die unverheiratet schwanger gewordenen Mädchen misshandelt werden. Der Film von Tim Mielants ist ein so ernstes wie direkt moralisches Plädoyer, entgegen stillschweigender Vereinbarungen der schweigenden Mehrheit aktiv zu werden. In diesem Sinn kann man auch darauf gespannt sein, zu welchen offenen Protesten es während dieser Berlinale noch kommen wird.

Von Barbara Schweizerhof (epd)


74. Berlinale gestartet



Berlin (epd). Mit der Eröffnungsgala im Berlinale-Palast am Potsdamer Platz haben am 15. Februar die 74. Internationalen Filmfestspiele Berlin begonnen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sprach von einem bunten, lauten und vielfältigen Filmfest, das die Auseinandersetzung suche und sich vor nichts und niemandem fürchte. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) nannte das Filmfest vorab „eine Hommage an die Kreativität, die Vielfalt und die Magie des Films“. Die 74. Berlinale geht bis zum 25. Februar, am vorletzten Tag werden die begehrten Bären-Trophäen verliehen.

Bei der Eröffnungsgala am 15. Februar wurde auch die Internationale Jury vorgestellt. Präsidentin ist die kenianisch-mexikanische Schauspielerin und Filmemacherin Lupita Nyong'o, die 2014 für ihre Nebenrolle in „12 Years a Slave“ einen Oscar bekam. Filmisch eröffnet wurde die Berlinale mit dem irisch-belgischen Wettbewerbsdrama „Small Things Like These“ von Tim Mielants.

Insgesamt präsentieren die Filmfestspiele rund 200 Streifen. 20 Produktionen mit 30 beteiligten Ländern laufen im Wettbewerb um den Goldenen und die Silbernen Bären. Im Rennen um die begehrten Auszeichnungen sind auch zwei deutsche Beiträge, die neuen Filme von Andres Dresen und Matthias Glasner.

Den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk erhält am 20. Februar der US- Regisseur und Produzent Martin Scorsese („Killers oft the Flower Moon“). Die 74. Berlinale ist das letzte Filmfest des Leitungsduos Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian. Im April übernimmt die US-Amerikanerin und frühere Chefin des London Film Festivals, Tricia Tuttle.



Ökumenische Berlinale-Jury vorgestellt



Berlin (epd). Anlässlich der Berlinale haben Kirchenvertreter am 18. Februar die Mitglieder der Ökumenischen Jury der Berlinale vorgestellt. Präsidentin des Gremiums ist die tschechische Benediktinerin Francesca Simuniová. Ihr zur Seite stehen die Filmemacherin Karin Becker, (München), die Filmexpertin Anita Nemes (Budapest, Ungarn), der französische Filmkritiker Jacques Champeaux, der US-amerikanische Religionswissenschaftler Brent Rodriguez Plate und die lettische Produzentin Marta Romanova-Jekabsone.

Die Ökumenische Jury ehrt Filmschaffende, die in ihren Werken menschliches Verhalten zum Ausdruck bringen, das mit dem Evangelium in Einklang steht oder das Publikum für spirituelle und soziale Werte sensibilisiert. Die Beiträge kommen aus den Sektionen Wettbewerb, Panorama und Forum. Die Preise der Ökumenischen Jury werden am kommenden Samstag verliehen. Der Hauptpreis ist undotiert, die beiden anderen Auszeichnungen sind mit je 2.500 Euro dotiert.

Beim ökumenischen Empfang waren in Berlin ferner Diskussionen unter anderem über die Relevanz des Kinos für gesellschaftliche Debatten geplant. Dazu wurden der katholische Münchner Erzbischof Reinhard Marx und der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen erwartet.

Der Berliner evangelische Bischof Christian Stäblein würdigte die Berlinale als ein politisches Filmfest. Sie zeige seit jeher Kino mit gesellschaftlichem Anspruch, sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz am Vortag in seinem „Wort des Bischofs“ im RBB-Hörfunk.



"Goldene Lola" für Drehbuch "Als Bestie bin ich aufgewacht"



Berlin (epd). Anlässlich der Berlinale ist die 1986 geborene Regisseurin Sandra Schröder für ihr Drehbuch „Als Bestie bin ich aufgewacht“ mit der „Goldenen Lola“ ausgezeichnet worden. Sie erhielt den mit 10.000 Euro dotierten Preis am 16. Februar für das beste unverfilmte Drehbuch, wie Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) mitteilte. Die Ehrung wird alljährlich beim Empfang des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren verliehen, der während der Internationalen Filmfestspiele Berlin stattfindet. Die „Goldene Lola“ gilt als wichtigste nationale Auszeichnung in diesem Bereich.

„Als Bestie bin ich aufgewacht“ erzählt die Geschichte einer Jugendlichen, die nach dem Tod der Mutter zu ihrem Vater zieht, der seinen Lebensunterhalt mit illegalen Hundekämpfen bestreitet. Die Jury würdigte das Drehbuch als „beeindruckende Erzählung über die Überlebens- und Anpassungsfähigkeit des Menschen in feindlicher Umgebung“.

Nominiert waren außerdem die Drehbücher „Das Herz keine Mördergrube“ von Petra Lüschow sowie „Mama!“ von Uli Klingenschmitt. Sie erhielten mit ihrer Nominierung jeweils 5.000 Euro.

Kulturstaatsministerin Roth betonte anlässlich der Preisverleihung, mit dem Drehbuchschreiben beginne „jede filmkünstlerische Vision“. Der Bund würdige Autorinnen und Autoren jedes Jahr mit der Auszeichnung für ihre mutigen, phantasievollen Stoffe. Die anstehende Reform der Filmförderung werde auch im Bereich der Stoffentwicklung zu Neuerungen führen, um noch bessere Rahmenbedingungen sie zu schaffen. Der Deutsche Drehbuchpreis wird seit 1988 verliehen.



Knastgewalt in matten Bildern




Eingang der Berlinale im Berlinale Palast am Potsdamer Platz in Berlin
epd-bild/Hans Scherhaufer
Andreas Dresen zeigt im Berlinale-Wettbewerb "In Liebe, eure Hilde" über die NS-Widerstandsgruppe "Rote Kapelle". Julia von Heinz erzählt in "Treasure" mit internationaler Starbesetzung von einer historischen Spurensuche in Polen.

Berlin (epd). Oda Schottmüller, Liane Berkowitz - die Namen werden aufgerufen wie beim Zahnarzt. Die gemeinten Frauen stehen an einem trüben Morgen im August 1943 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee für ihre Hinrichtung an. Eine bricht zusammen, die meisten wirken erstarrt und erschöpft. So auch Hilde Coppi (Liv Lisa Fries). Gerade hat sie einem mitfühlenden Pastor einen letzten Brief diktiert: „In Liebe, eure Hilde“. So heißt der Film von Andreas Dresen, der erste deutsche Beitrag im Wettbewerb der Berlinale. Das Filmfestival findet noch bis zum 25. Februar in Berlin statt.

Hilde Coppi und ihr Mann Hans wurden 1942 wegen Vaterlandsverrats, Spionage und Feindbegünstigung verhaftet. Sie waren Mitglieder der NS-Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“, verstanden sich als Kommunisten, hatten „Radio Moskau“ abgehört und Angehörige deutscher Kriegsgefangener informiert, dass ihre Männer am Leben waren. Im Gefängnis brachte Hilde Coppi ein Kind zur Welt, im Bewusstsein, dass sie es nicht würde behalten können.

Regisseur Andreas Dresen, scheint auf das Zeitgeschehen zu reagieren und ist „politischer“ geworden - zuletzt lief im Berlinale-Wettbewerb sein Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ über die rechtswidrige Inhaftierung von Murat Kurnaz im US-Gefangenenlager Guantánamo. Nun haben der Regisseur und seine Autorin Laila Stieler sich eines Widerstandskapitels angenommen, das im Vergleich mit dem Stauffenberg-Attentat eher unpopulär ist: In den siebziger Jahren gab es zwar je ein aufwändiges BRD- und DDR-Projekt zur „Roten Kapelle“, erst im vergangenen Jahr hat eine Fernseh-Dokufiktion das Thema aber wieder aufgegriffen.

Im Lichte der aktuellen politischen Verhältnisse fokussiert der Film nicht zu sehr auf das Verhältnis zu Moskau und der Sowjet-Union. Vielmehr stellt er die allgemeinere Frage, wie man sich unter unmenschlichen Umständen seine Menschlichkeit bewahren kann.

Die Rahmenhandlung, die von der Tortur der Schwangeren im Frauengefängnis erzählt, löst sich immer wieder in Rückblenden auf, die Hippie-Vibes verströmen: die Coppis beim Campen, Feiern, Sex, selbst das Morse-Training und die Herstellung von Aufklärungsmaterial haben etwas Abenteuerliches. Hilde Coppis Geschichte hätte leicht ins Formelhafte abdriften können, zumal die oft mattfarbenen Bilder von Anfang an ins Historische weisen. Aber Andreas Dresen hat seine Spielart des „humanistischen Realismus“ zur Perfektion getrieben; je weiter der Film fortschreitet, je heftiger die Knastgewalt und die sommerlich-entspannten Szenen sich aneinander reiben, desto einleuchtender wirkt die Konstruktion: Die Nazis führten auch einen Kampf gegen die Freiheit des Körpers - besonders den der Frau.

Dass es nicht genug Filme über das deutsche Menschheitsverbrechen und gegen faschistische Tendenzen geben kann, weiß auch Julia von Heinz, die zweite prominente Deutsche im Berlinale-Line-up. Nach dem Antifa-Film „Und morgen die ganze Welt“ wendet sie sich in der außer Konkurrenz laufenden Produktion „Treasure“ dem Gedenken an die Schoah zu. Erzählt wird von einer New Yorker Musikjournalistin, die mit ihrem Vater, einem Auschwitz-Überlebenden, Anfang der Neunziger auf Spurensuche nach Polen reist.

Während die nachgeborene Tochter mit einem Koffer voller Literatur ausgestattet nach Plan verfährt, interessiert sich der Vater vor allem für die Annehmlichkeiten der Gegenwart. Tatsächlich ist seine Abwehrhaltung das Symptom des Traumas. Der Film entfaltet sich als Mischung aus Familienkomödie und melancholischer Aufarbeitung; interessant ist, dass er die Frage nach der Restitution jüdischen Besitzes noch einmal aufwirft. Getragen wird „Treasure“ aber vor allem von der Chemie zwischen den Stars: der mit der Serie „Girls“ bekannt gewordenen Lena Dunham und dem Briten Stephen Fry.

Von Sabine Horst (epd)


Mit sicherem Gespür für die Dinge des Lebens



Es sind melancholische, lebenskluge Blicke auf die Welt: Claude Sautet hat nur 15 Filme gedreht. Aber mit ihnen hat er das französische Kino geprägt und Romy Schneider in Frankreich zu einer Ikone gemacht.

Frankfurt a.M. (epd). Seine Filme durchzieht eine Melancholie, die auch heute noch bewegt. „Die Dinge passieren nie, wie wir es erwarten. Das ist das Thema aller meiner Filme“, sagte Claude Sautet (1924-2000) einmal. Er wolle von Gefühlen erzählen, die man ausdrücken, aber nicht erklären könne. Die Werke des französischen Regisseurs haben etwas Zeitloses. Ob „Das Mädchen und der Kommissar“ (1971), „Eine einfache Geschichte“ (1978) oder „Nelly und Monsieur Arnaud“ (1995). Am 23. Februar jährt sich sein Geburtstag zum hundertsten Mal.

Als Regisseur hat er nur 15 Filme gedreht, mit diesen aber das französische Kino geprägt. Mit Sympathie und dem Blick für winzige Details nahm er die Bourgeoisie ins Visier, widmete sich ihren kleinen und großen Dramen. Nie führte er seine Helden und Heldinnen bissig oder sarkastisch vor. In Sautets poetischer Sichtweise konnten sich die Zuschauer gefühlsmäßig wiederfinden. Der deutsche Filmemacher Dominik Graf nannte ihn einen der letzten großen lebensklugen Erfolgsregisseure des französischen Kinos. Für François Truffaut war Claude Sautet der „französischste aller Regisseure“.

Bach und Bildhauerei

Claude Marie Sautet kam am 23. Februar 1924 in dem Provinznest Montrouge südlich von Paris zur Welt, als drittes von vier Kindern einer Mittelschichtfamilie. Zwei Dinge interessierten ihn früh: die Musik von Bach und Bildhauerei. Als Kind sei er sehr zerstreut und schlecht in der Schule gewesen, erklärte Sautet einmal in einem Interview der „tageszeitung“, aber seine Mutter Marguerite habe ihm dies als Ausdruck seiner künstlerischen Natur erklärt.

Er versuchte sich als Bildhauer, kümmerte sich um Kinder von Straffälligen, erfand für sie Geschichten. Und entdeckte schließlich die Sprache des Kinos als sein Medium. An der Pariser Filmhochschule „Idhec“ bekam er einen Studienplatz und merkte, er hatte seine Bestimmung gefunden.

Oft unterschätzt

Sautet begann als Regieassistent, beim Dreh von „Die tolle Residenz“ (1955). Als Regisseur Robert Dhéry zwei Tage vor Drehbeginn ausfiel, übernahm Sautet. 1960 drehte er dann „Der Panther wird gehetzt“ mit Lino Ventura und Jean-Paul Belmondo, eine Gangstergeschichte über Ehre und Freundschaft unter Dieben. Sie wurde ein internationaler Erfolg.

1953 heiratete er die Schauspielerin Graziella Escojido, der gemeinsame Sohn Yves kam 1955 zur Welt. Sautet, schüchtern und uneitel, war das Gegenteil einer Rampensau. Er konnte und mochte sich nicht so gut präsentieren wie etwa François Truffaut oder Jean-Luc Godard und wurde oft unterschätzt.

„Sautet hat mich die Dinge des Lebens gelehrt, er hat mir etwas über mich selbst beigebracht.“ So äußerte sich Romy Schneider über Sautet - den Regisseur, der sie in Frankreich zum Star machte. „Das Mädchen und der Kommissar“ (1971) mit ihr und Michel Piccoli erzählt eine bittere Geschichte um Liebe, Trug und Träume. Ein Jahr zuvor standen beide bereits in Sautets Beziehungstragödie „Die Dinge des Lebens“ (1970) vor der Kamera: Romy Schneider beeindruckt als Hélène Hastig, die Geliebte des erfolgreichen Architekten Bérard (Piccoli). Der will sich trennen, verunglückt mit dem Auto und durchlebt die letzten Stunden seines Lebens mit Erinnerungen, banalen wie bedeutsamen Momenten. Der Film war ein Riesenerfolg im Kino.

Macho Montand

1972 wurde Sautets „César et Rosalie“ als bester französischer Film des Jahres ausgezeichnet. Es ist eine berührende Dreiecksgeschichte, mit Romy Schneider als Rosalie und Yves Montand als César. „Montand und sie, das war Krieg“, erinnerte sich Sautet 1998 an die Arbeit. „Montand war Macho und das hat sich trotzdem sehr reizvoll auf die Dreharbeiten ausgewirkt, weil sie ihn gezähmt hat, wie ein Hündchen.“ Von seiner urkomischen Seite zeigt sich Yves Montand dann 1983 in Sautets „Garçon! Kollege kommt gleich“.

Schon bald galt Claude Sautet als versierter Regiespezialist und wurde von prominenten Kollegen, etwa Louis Malle, bei Drehbuchproblemen um Rat gefragt. Sie schätzten ihn als „Skript-Doktor“. Sautet schrieb auch gern selbst Drehbücher, etwa für Georges Franjus Horrorthriller „Augen ohne Gesicht“ (1960) oder Jacques Derays Gangsterfilm „Borsalino“ (1970) mit Jean-Paul Belmondo und Alain Delon.

In Sautets Filmen geht es immer wieder um Lern- und Reifeprozesse, Glücksmomente wechseln sich ab mit kleinen Tragödien. In der melancholischen Dreiecksgeschichte „Ein Herz im Winter“ (1983) empfängt ein verliebter schüchterner Geiger (Daniel Auteuil) deutliche Blicke von seiner Angebeteten (Emmanuelle Beart). Aber er kann sie nicht erwidern, kann seine Liebe nicht zeigen. „Die Dinge passieren nie, wie wir es erwarten“, Sautets Credo hat sich in seinen Werken bestätigt. Am 22. Juli 2000 erlag er einer Krebserkrankung. Er wurde auf dem Friedhof Montparnasse beigesetzt.

Von Bettina Thienhaus (epd)


Leipziger Buchmesse veranstaltet "Forum Offene Gesellschaft"



Leipzig (epd). Die Leipziger Buchmesse gibt auch in diesem Jahr gesellschaftlichen Debatten eine extra Bühne. Im Fokus des „Forums Offene Gesellschaft“ sollen Demokratie und Rechtsruck, Krisen und Kriege, Meinungsfreiheit und Menschenrechte stehen, wie die Messe am 13. Februar in Leipzig mitteilte. Diskutieren werden Autorinnen und Autoren sowie Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kultur, Wissenschaft, Aktivismus und Medien. Die Buchmesse findet vom 21. bis 24. März statt.

Themen sind unter anderem die Europawahlen und die Landtagswahlen 2024 sowie die Sprache der extremen Rechten. Am Programm seien unter anderem die Bundeszentrale für politische Bildung, der Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller sowie das Aktionsbündnis Verlage gegen Rechts beteiligt. Auch das Recherchekollektiv „Correctiv“ sowie das Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm sind mit dabei.

Die ARD-Moderatorin Jessy Wellmer wird mit dem ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Maiziére (CDU) diskutieren. Im Februar erschien ihr Buch „Die neue Entfremdung. Warum Ost- und Westdeutschland auseinanderdriften und was wir dagegen tun können“.

Die Leipziger Buchmesse gilt als bedeutender Frühjahrstreff der Buch- und Medienbranche und versteht sich auch als Publikumsmesse. Den Gastlandauftritt gestalten 2024 die Niederlande und Flandern. Mit „Leipzig liest“ ist auch wieder ein Lesefest geplant. Im vergangenen Jahr waren mehr als 2.000 Ausstellerinnen und Aussteller aus 40 Ländern auf der Leipziger Buchmesse. Rund 274.000 Besucherinnen und Besucher wurden gezählt.



Fotoausstellung "Leipzig im Umbruch" öffnet



Leipzig (epd). Das Stadtgeschichtliche Museum in Leipzig präsentiert seit 14. Februar Fotografien von Ralf Schuhmann aus den Jahren 1991 bis 2004. Die Ausstellung „Leipzig im Umbruch“ zeige den rasanten baulichen Wandel der Stadt nach 1990, teilte das Museum in Leipzig mit. Zwischen „marodem Charme und unrettbarem Zerfall“ trete die für Leipzig charakteristische Gründerzeitbebauung in scharfen Kontrast zu großen Um- und Neubauprojekten. Zu sehen sind in der Ausstellung 54 Aufnahmen des Leipziger Künstlers.

Schuhmanns Bilder von Baustellen und in der Stadt emporwachsenden Baukränen ließen deutlich werden, dass „der Um- hin zum Aufbruch und völlig Neuem ein langwieriger und wechselvoller Prozess war“, hieß es. Die viel zitierte „Boomtown Leipzig“ habe aber auch ihre Schattenseiten: Gerade zu Beginn des städtischen Umbruchs seien Gebäude nicht immer behutsam saniert und erhalten worden.

Die Studioausstellung ist im Haus Böttchergäßchen bis zum 12. Mai zu sehen. Das Stadtgeschichtliche Museum Leipzig legt nach eigenen Angaben in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf die Transformationsepoche der 1990er Jahre.

Ralf Schuhmann wurde 1962 in Leipzig geboren, ließ sich dort zum Fotografen ausbilden und studierte an der Hochschule der Künste in Berlin. Anschließend folgte eine Ausbildung zum Mediendesigner. Der Künstler lebt als freiberuflicher Fotograf in der Region Köln-Bonn und hatte bisher Ausstellungen in Deutschland, Italien, Großbritannien und China.



Ausstellung mit Gemälden aus Odessa



Berlin (epd). Anlässlich des zweiten Jahrestags des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar ist am 12. Februar in der Berliner Gemäldegalerie eine Ausstellung mit Gemälden aus Odessa eröffnet worden. Im vergangenen September seien 74 Hauptwerke des Odessa Museums für westliche und östliche Kunst nach Berlin gebracht worden, teilten die Staatlichen Museen zu Berlin mit. Davon seien bis zum 28. April zwölf Werke aus den wichtigsten Sammlungsbereichen im Vorgriff auf eine für 2025 geplante große Ausstellung zu sehen.

Bei den Exponaten handelt es sich den Angaben zufolge unter anderem um Werke der italienischen und niederländischen Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts. Die Porträts, Landschaften, Stillleben und Historiengemälde umrissen die Bandbreite der Sammlung aus Odessa und verdeutlichten ihren europäischen Charakter, hieß es. In der Sonderpräsentation „Von Odessa nach Berlin. Europäische Malerei des 16. bis 19. Jahrhunderts“ sind Werke von Künstlern wie dem Niederländer Cornelis de Heem (1631-1695) zu sehen, die auch in der Sammlung der Gemäldegalerie vertreten sind.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) beklagte anlässlich der Ausstellungseröffnung, der Krieg richte sich vor allem gegen die Ukrainerinnen und Ukrainer, aber auch systematisch gegen die ukrainische Kultur und Identität. „Das zeigt sich überall dort, wo gezielt Museen, Theater, Konzerthäuser, oder Bibliotheken bombardiert, schwer beschädigt und zerstört werden.“ Mit der Ausstellung solle ein Zeichen der Solidarität mit dem täglich von Russland attackierten ukrainischen Kulturleben gesetzt werden.



Vereinbarung für neuen Museumsstandort



Frankfurt/Oder (epd). Das historische erste Kino von Frankfurt an der Oder soll bis 2030 zum Museum für moderne Kunst umgebaut werden. Ein Grundsatzvertrag zu dem rund 23 Millionen Euro teuren Bauvorhaben wurde am 16. Februar unterzeichnet. Er regele Rechte und Pflichten der Stadt, des brandenburgischen Kulturministeriums und des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst (BLMK) während der Projektumsetzung, teilten Ministerium und Stadtverwaltung mit.

Für die Planungsleistungen zum Bauvorhaben Lichtspieltheater stelle das Kulturministerium rund 2,2 Millionen Euro zur Verfügung, hieß es. Den Förderbescheid habe die Stadt bereits im Dezember erhalten. Der Umbau wird den Angaben zufolge vom Bund und vom Land mit jeweils 11,5 Millionen Euro finanziert. Kulturministerin Manja Schüle (SPD) betonte, Ziel sei, das Bauwerk zu einem bundesweit bedeutsamen Kunstmuseum und einem Ort der Kultur und Begegnung zu machen.

Das „Lichtspieltheater der Jugend“ wurde den Angaben zufolge Anfang des 20. Jahrhunderts als erstes Kino der Stadt Frankfurt an der Oder gebaut. Nach starken Kriegszerstörungen wurde es in der DDR 1954 wieder aufgebaut und später auch für Konzerte, Kulturveranstaltungen und Jugendweihen genutzt. 1998 wurde das Kino geschlossen. 2019 übernahm die Stadt das unter Denkmalschutz stehende Gebäude, das künftig vom BLMK genutzt werden soll.

Das BLMK wurde 2017 durch die Fusion der Museen Dieselkraftwerk in Cottbus und Museum Junge Kunst in Frankfurt an der Oder gegründet. Es wird auch künftig Standorte in beiden Städten haben. Zu den Sammlungen gehören mehr als 42.000 Kunstwerke



"Eisvogel"-Filmpreis für Nachhaltigkeit verliehen



Berlin/Wustermark (epd). Die beiden Filme „Die Schule der magischen Tiere 3“ und „C'est le monde à l'envers!“ (deutsch: Die Welt steht kopf) sind mit dem „Eisvogel-Preis“ 2024 für nachhaltige Filmproduktionen ausgezeichnet worden. Sie erhielten am 15. Februar gemeinsam den mit 20.000 Euro dotierten Preis in der Hauptkategorie, wie die Heinz Sielmann Stiftung im brandenburgischen Wustermark bei Nauen mitteilte. Der mit 5.000 Euro dotierte Nachwuchspreis für Abschlussarbeiten deutscher Filmhochschulen sei bei der Verleihung in Berlin an „Moddergat“ gegangen.

Der Kinderfilm „Die Schule der magischen Tiere 3“ von Sven Unterwaldt ist eine deutsche Produktion. In der französischen Tragikomödie „C'est le monde à l'envers!“ von Nicolas Vanier und in „Moddergat“ von Job Antoni geht es um Folgen des Klimawandels.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte bei der Preisverleihung, die ausgezeichneten Produktionen zeigten, dass „Filme zugleich großartig unterhalten und die Umwelt schützen können“. Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) betonte, angesichts der gravierenden Auswirkungen der Klimakrise gehöre die Zukunft ganz klar dem Klimaschutz: „Wir alle müssen einen Beitrag dazu leisten.“

Der Preis wurde von der Heinz Sielmann Stiftung gespendet und vom Bundesumweltministerium und der Stiftung in Kooperation mit der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien vergeben. Prämiert wurden Filmproduktionen, bei denen versucht werde, Umweltbelastungen zu reduzieren. Gefragt waren den Angaben zufolge zudem realisierte Innovationen zum Einsparen von Energie und Ressourcen.



Kommunen geben mehr Geld für Denkmalschutz aus



Halle (epd). Die Städte und Gemeinden in Sachsen-Anhalt haben 2022 eine Rekordsumme für Denkmalschutz und -pflege ausgegeben. Wie das Statistische Landesamt am 15. Februar in Halle mitteilte, stellten die Kommunen zusammen rund 16,5 Millionen Euro bereit - rund 14 Prozent mehr als im Vorjahr und die höchste Summe seit 2014.

Pro Person zahlten die Kommunen demnach acht Euro unter anderem für Maßnahmen zur Erhaltung und Unterhaltung von Denkmälern, für wissenschaftliche Forschung, Katalogisierung und andere Zwecke. 37 Prozent der Gelder - mehr als sechs Millionen Euro - seien in Investitionen geflossen. Zweitgrößter Posten waren demnach Ausgaben für Personal mit rund 5,5 Millionen Euro.

Die höchsten Auszahlungen für Denkmalschutz und -pflege erfolgten laut Statistik mit mehr als sechs Millionen Euro im Landkreis Harz. Allein auf die Stadt Blankenburg (Harz), die Gemeinde Selke-Aue sowie die Welterbestadt Quedlinburg und die Stadt Wernigerode entfielen den Angaben zufolge zusammen 30 Prozent aller Denkmalschutz-Ausgaben in Sachsen-Anhalt.

Je Einwohner wurden laut Statistik im Landkreis Harz 29 Euro für den Denkmalschutz aufgewendet, deutlich mehr als im zweitplatzierten Burgenlandkreis. Hier wurden insgesamt rund 2,3 Millionen Euro für die Denkmalpflege ausgegeben, das waren umgerechnet gut 13 Euro pro Einwohner.



Kulturstiftung unterstützt fünf neue Projekte in Sachsen



Halle (epd). Die Kulturstiftung des Bundes fördert in Sachsen fünf neue Projekte mit insgesamt 746.100 Euro. Die zum Jahresende im Deutschen Hygiene-Museum geplante Ausstellung „The Air We Share“ erhalte 249.000 Euro, teilte die Kulturstiftung am 15. Februar in Halle mit. Sie untersuche Luft als Sozialraum und lebenserhaltendes Gemeingut.

In der interaktiven Präsentation kommen Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Akteure der Dresdner Zivilgesellschaft zu Wort. Die Ausstellung zur Ressource Luft ist vom 9. November bis 10. August 2025 in Dresden zu sehen.

Ferner fördert die Kulturstiftung das Forschungs- und Ausstellungsprojekt „Robotron & Co.“ zur Geschichte der Tech-Industrie in Ost- und Westdeutschland (248.000 Euro), das Symposium „Black Box White Cube XR“ am Festspielhaus Hellerau (100.000 Euro) sowie die Festivalausgabe „Willkommen Anderswo VI.“ des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters Bautzen (77.100 Euro).

Das international besetzte Symposium in Dresden-Hellerau beschäftigt sich mit Raumkonzepten für Musik und darstellende Künste. Es wird vom 25. bis 27. Oktober vom Europäischen Zentrum der Künste veranstaltet. Beim Festival vom 25. bis 29. September in Bautzen wird diskutiert, wie Theater ein gutes Ankommen von Geflüchteten und das Verständnis zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft fördern kann.

Unterstützt wird außerdem das Leipziger Projekt „Metahaven: The Feeling Sonnets“, das sich mit der Rolle zeitgenössischer Literatur in Zeiten von technisch hochentwickelten Sprachmodellen beschäftigt (72.000 Euro).



Deutsches Historisches Museum erwirbt Straußenei



Berlin (epd). Das Deutsche Historische Museum in Berlin hat ein Straußenei mit eingravierten Szenen aus dem frühen 17. Jahrhundert erworben. Darauf seien drei Darstellungen von Handelsgütern eingeritzt, teilte das Museum am 13. Februar mit. Gravierte Straußeneier der frühen Neuzeit seien äußerst selten. Weltweit hätten sich nur wenige Stücke erhalten.

Auf dem Straußenei seien eine Dattelpalme mit Fruchtstauden, ein Inselbewohner, der eine Kokospalme erklimmt, um die Früchte zu ernten, sowie eine hockende Tabakpflanzerin eingraviert. Straußeneier seien in der Antike begehrte Handelsprodukte und Importware gewesen, hieß es. Ihre weiteste Verbreitung im deutschsprachigen Raum hätten sie im 15. und 16. Jahrhundert gefunden. Sowohl unbehandelt als auch in Form aufwendig in Silber gefasster Luxusobjekte seien sie Teil fürstlicher Kunst- und Naturaliensammlungen sowie kirchlicher Schatzkammern gewesen.

Die figürlichen Darstellungen gehen auf eine 1596 in Amsterdam erschienene illustrierte Reisebeschreibung des niederländischen Seereisenden Jan Huygen van Linschoten (1563-1611) zurück. Das Deutsche Historische Museum erwarb ebenfalls eine 1599 erschienene lateinische Fassung der Schrift für seine Sammlung. Van Linschotens Publikationen regten die erste holländische Ostindien-Expedition an, die 1602 zur Gründung der "Niederländischen Ostindien Kompanie” führen sollte.

Das Kunst- und Wunderkammerobjekt wird vom 18. Oktober an in der geplanten Wechselausstellung „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert“ präsentiert.



Evangelischer Buchpreis für Milena Michiko Flasar



Göttingen (epd). Die japanisch-österreichische Schriftstellerin Milena Michiko Flasar bekommt den Evangelischen Buchpreis 2024. Sie erhält die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung für ihr Buch „Oben Erde, unten Himmel“, wie der Vorsitzende des Evangelischen Literaturportals, der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, am 13. Februar bekanntgab. Der Preis soll am 15. Mai im Haus der Kirche in Kassel verliehen werden.

In dem Roman erzählt Flasar von einer Reinigungskraft, die Leichenfundorte säubert. „Neben dem Sterben vereinsamter Menschen gibt es weitere Themen, die in diesem Roman verwoben sind“, begründete die Preisjury ihre Wahl: Die Würde des Menschen, soziale Isolation in Großstädten, Familienleben und Erwartungshaltungen, Alleinsein und Einsamkeit, Mitgefühl und Empathie, Achtsamkeit und Hoffnung.

Trockener Humor

„Mit frischer, dabei sensibler und unterhaltsamer Sprache hat Milena Michiko Flasar diese wichtigen Themen so erzählt, dass sie anrührend und tiefgehend, optimistisch und würdevoll zugleich vermittelt werden“, hieß es weiter. „Das Ganze ist mit leicht schwarzem und trockenem Humor gewürzt. Mit feiner, umsichtiger Lebensphilosophie wird die Geschichte leicht zugänglich, aber auf prägnantem Niveau erzählt.“

Milena Michiko Flasar, geboren 1980 in St. Pölten, studierte in Wien und Berlin Germanistik und Romanistik. Sie ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Wien.

Der Evangelische Buchpreis wird seit 1979 vom in Göttingen ansässigen Evangelischen Literaturportal, dem Dachverband evangelischer öffentlicher Büchereien, verliehen. Titel werden nicht von den Verlagen oder Autoren, sondern von Lesenden vorgeschlagen. Gesucht und ausgezeichnet werden laut Literaturportale Bücher, „die anregen über uns selbst, unser Miteinander und unser Leben mit Gott neu nachzudenken“.



Filme der Woche



Spuk unterm Riesenrad

Im Leben der 13-jährigen Tammi (Elisabeth Bellé) gibt es nichts Wichtigeres als ihr Smartphone und Likes - zumindest solange, bis ihr Großvater, dem ein Rummelplatz gehört, unerwartet das Zeitliche segnet und drei hölzerne Figuren aus der Geisterbahn durch ein wildgewordenes Stromkabel zum Leben erweckt werden. Denn die drei halten Tammi für ihre „Mutter“ und treiben so manchen Schabernack, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen. Während die Neuverfilmung des gleichnamigen DDR-Kinderfilmklassikers der erste Kinderfilm von Regisseur Thomas Stuber ist, sind die beiden Autor:innen Anja Kömmerling und Thomas Brinx bereits erfahren auf diesem Gebiet. Daher funktioniert die Fantasy-Komödie mit Slapstick- und Gesangseinlagen und regt gleichzeitig zum Nachdenken über Verantwortung an.

Spuk unterm Riesenrad (Deutschland 2023). Regie: Thomas Stuber. Buch: Die Köbris. Mit: Peter Kurth, Anna Schudt, Moritz Führmann, David Bennent, Lina Wendel, Katja Preuß, Sophie Lutz, Elisabeth Bellé, Lale Andrä, Noèl Gabriel Kipp. Länge: 94 Minuten FSK: ab 6, ff. FBW: wertvoll. (epd)

Lisa Frankenstein

Seit dem gewaltsamen Tod ihrer Mutter verbringt die Außenseiterin Lisa (Kathryn Newton) ihre Tage auf einem einsamen Friedhof und verliebt sich dort in die Skulptur eines verstorbenen Jünglings (Cole Sprouse). Als der eines Nachts durch einen Blitzeinschlag wieder zum Leben erweckt wird und dabei wichtige Körperteile vermissen lässt, macht sich Lisa kurzerhand daran, das Fehlende zu beschaffen und nach bekannter Frankenstein-Manier dem jungen Mann anzugliedern. Das Langfilmdebüt von Regisseurin Zelda Williams (Tochter von Robin) besticht durch bunte Kostüme und erinnert bisweilen an Tim Burtons „Edward Scissorhands“, ohne allerdings dessen Klasse zu erreichen. Die durchaus wichtigen thematisierten Probleme von Heranwachsenden gehen in der Gruselkomödie bedauerlicherweise zwischen hysterisch überdrehten Abstrusitäten unter.

Lisa Frankenstein (USA 2024). Regie: Zelda Williams. Buch: Diablo Cody. Mit: Kathryn Newton, Cole Sprouse, Liza Sobrano, Jenna Davis, Trina LaFargue, Paola Andino, Joey Harris, Henry Eikenberry. Länge: 101 Minuten FSK: ab 16, ff. FBW: ohne Angabe. (epd)

And the King said, what a fantastic machine!

Der schwedische Produzent Axel Danielson und der Franzose Maximilien van Aertryck versuchen in ihrem Dokumentarfilmdebüt, den großen Sprung zwischen der ersten Fotografie 1826 und der heutigen Flut an veröffentlichtem Bildmaterial fassbar zu machen. Dabei kümmern sie sich weniger um ästhetische Aspekte der Bildproduktion, sondern richten ihren Fokus mehr auf die seit dem Aufkommen des Fernsehens ausdifferenzierte Werbeindustrie. Der gut recherchierte Dokumentarfilm gleicht einem Kaleidoskop der Motive, durch das die beiden Regisseure zeigen, wie die Wahrnehmung der Wirklichkeit durch unzählige Youtube-Videos, TV-Aufnahmen, Archiv-Filme und Amateur-Videos beeinflusst wird. Dieser, durch einen Off-Kommentar miteinander verknüpfte, Bilderreigen entwickelt sich zu einer scharfsinnigen Beobachtung der digitalen Gegenwart.

And the King said, what a fantastic machine! (Schweden/Dänemark 2023). Regie und Buch: Alex Danielson, Maximilien Van Aertryck. Länge: 85 Minuten FSK: ab 12, ff. FBW: ohne Angabe. (epd)

Good Boy

Über Tinder lernt Sigrid (Katrine Lovise Øpstad Fredriksen) den attraktiven, zurückhaltenden Christian (Gard Løkke) kennen und es funkt sofort. Doch als Sigrid zu Christian nachhause kommt, muss sie feststellen, dass sein „Hund“ ein erwachsener Mann im Hundekostüm ist, der im Haushalt wie ein echter Vierbeiner lebt. Nach anfänglichem Schock wirft Sigrid ihre Bedenken zunächst fort. Doch mit der Zeit werden die Ereignisse immer beängstigender. Der Horrorfilm entwirft seine Szenerie kostengünstig, schlicht, aber höchst effektiv.

Good Boy (Norwegen 2022). Regie und Buch: Viljar Bøe. Mit: Gard Løkke, Katrine Lovise Øpstad Fredriksen, Amalie Willoch Njaastad, Nicolai Narvesen Lied. Länge: 76 Minuten FSK: ab 16, ff. FBW: keine Angabe (epd)

www.epd-film.de