Kirchen

Berliner Theologe wird erster Antisemitismusbeauftragter der EKD


Christian Staffa
epd-bild/Christian Ditsch
Das Amt eines Antisemitismusbeauftragten für die evangelische Kirche ist schon länger in der Diskussion. Zuletzt hat der mittlerweile pensionierte Kasseler Bischof Martin Hein einen Vorstoß gemacht. Der Rat der EKD hat nun einen Beauftragten ernannt.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bekommt einen Antisemitismusbeauftragten. Der Berliner Theologe Christian Staffa, Studienleiter an der Evangelischen Akademie zu Berlin, soll der erste "Beauftragte für den Kampf gegen Antisemitismus" der EKD werden. Das hat der EKD-Rat am 18. Oktober in Hannover beschlossen, wie die EKD mitteilte. "Nicht erst der zutiefst beschämende Anschlag von Halle hat das bedrohliche Ausmaß antisemitischer Gewaltbereitschaft gezeigt", sagte der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm.

Das neue Amt bringe zum Ausdruck, dass die evangelische Kirche unverrückbar an der Seite ihrer jüdischen Schwestern und Brüder stehe. Sie mache aber auch deutlich, dass die evangelische Kirche nicht zuletzt aus der Verantwortung für eigenes jahrhundertelanges Versagen jeder Form von Judenfeindschaft und Verachtung wachsam gegenübertreten werde. "Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schließen einander aus", sagte Bedford-Strohm.

Staffa solle das Amt zunächst für die Dauer der Ratsperiode wahrnehmen, teilte die EKD mit - also bis 2021. Zu seinen Aufgaben gehöre die Unterstützung der Kirchenleitungen der 20 EKD-Gliedkirchen bei ihren Anstrengungen im Kampf gegen Antisemitismus. Der Antisemitismusbeauftragte ist wie andere Beauftragungen des Rates ein Nebenamt. Staffa soll das Amt ab sofort ausüben.

"Überzeugende Entscheidung"

Christian Staffa wurde 1959 in Essen geboren und studierte in Berlin, Tübingen und Prag evangelische Theologie. Seit 1999 war er Geschäftsführer von Aktion Sühnezeichen, die internationale Freiwilligendienste für junge Menschen vermittelt. Der promovierte Theologe engagiert sich für den jüdisch-christlichen Dialog und hat sich mehrfach beruflich mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandergesetzt. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu Antisemitismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Die Einsetzung eines EKD-Antisemitismusbeauftragten geht wesentlich auf den ehemaligen Kasseler Bischof Martin Hein zurück, der erstmals im August vergangenen Jahres dieses Amt in der evangelischen Kirche gefordert und in den zurückliegenden Monaten verstärkt darauf gedrungen hatte. Er freue sich, dass der Rat der EKD seinem Vorstoß nun gefolgt sei, sagte Hein dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Hein nannte die Berufung Staffas eine "überzeugende Entscheidung". Wichtig sei es nun, dass sich der EKD-Beauftragte mit den Antisemitismusbeauftragten auf Ebene der Bundesländer, des Bundes und der Europäischen Union vernetze und zugleich die evangelische Kirche selbst in den Blick nehme. "Da tut sich negativ mehr, als wir glauben", sagte Hein, der im September als kurhessischer Bischof in den Ruhestand verabschiedet worden war.



EKD-Beauftragter: Kirchliche Tradition nicht antijüdisch

Der erste Antisemitismusbeauftragte der evangelischen Kirche, Christian Staffa, sieht für sein Amt eine spezielle Verantwortung für die Bekämpfung von Judenhass unter Christen. Zu Recht werde auf das Versagen der Kirchen bei dem Thema hingewiesen, sagte Staffa in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Statt Judenhass zu bekämpfen, hätten die Kirchen ihn "oft genug bis hin zum Mörderischen gestärkt". Die kirchliche Tradition habe sich zu unrecht antijüdisch positioniert, sagte Staffa unter anderem mit dem Verweis auf den Juden Jesus Christus.

Nach biblisch theologischer Botschaft müssten alle Christen "Antisemitismusbeauftragte" sein, sagte Staffa und ergänzte: "Denn Antisemitismus ist Unglaube". Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte Staffa am 18. Oktober zum ersten Antisemitismusbeauftragten berufen. Der Studienleiter an der Evangelischen Akademie zu Berlin soll das Amt zunächst bis 2021 ausüben. Das Amt soll für die Solidarität der Kirche mit der jüdischen Gemeinschaft stehen und zugleich Verantwortung für die eigene Geschichte deutlich machen, hieß es zur Begründung.

"Nährboden ist das christliche Selbstbild"

Was den Antisemitismus für Christen so attraktiv gemacht hat, sei weitestgehend unverstanden, sagte Staffa. Der Theologe sprach von einem möglichen Mechanismus: "Die eigenen Glaubensdefizite einerseits und Abgründe andererseits werden auf 'den Juden' projiziert und an ihm bekämpft." Der eigene Unglaube finde so ein Ventil. "Der Nährboden ist das christliche Selbstbild, das mit den eigenen Defiziten und Schuldgefühlen nicht umzugehen weiß. Darüber muss viel mehr gesprochen werden", sagte Staffa.

Der neue Beauftragte plädierte dafür, deutlich zu machen, wie sehr christliche und jüdische Traditionen zusammenhingen. "In der Berliner Landeskirche haben wir eine Broschüre produziert, in der wir anhand der gottesdienstlichen Liturgie jüdische Elemente aufzeigen und Möglichkeiten der Bewusstmachung dieser Verwobenheit mit der jüdischen Tradition und Gegenwart im gottesdienstlichen Handeln anbieten", sagte er.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Schwer zu versöhnen


Carsten Rentzing
epd-bild / Norbert Neetz
Carsten Rentzing hat die sächsische Landeskirche einen wollen. Zumindest hat er das immer wieder betont. Jetzt stellte er sein Amt zur Verfügung. Die Kirche steht vor einer Zerreißprobe.

Der von Carsten Rentzing angekündigte Rücktritt trifft die ohnehin zerrissene evangelische Landeskirche ins Mark - überraschend und schonungslos. Seit Jahren gibt es äußerst kontrovers geführte Diskussionen zwischen unterschiedlichen Glaubensströmungen, die auch regional festzumachen sind - auf der einen Seite die konservativen, bibel- und bekenntnisorientierten Christen im Erzgebirge und im Vogtland und im Gegensatz dazu die Liberalen in und um Leipzig und in weiteren großen Städten.

Gebraucht werden dort Führungspersönlichkeiten, die kontroverse Positionen moderieren und zusammenbringen. Rentzing wollte das, so erklärte er es jedenfalls. Bei seinem Amtsantritt sagte er, er wolle der Bischof aller Gemeindemitglieder sein. Auch in seiner Erklärung zum Rücktritt betonte er: Sein oberstes Ziel sei die Einheit der Kirche. Er habe die verschiedenen Positionen innerhalb der Landeskirche wieder einander näher bringen wollen. Am Ende räumte er sein Scheitern dabei ein: "Ich muss mit großem Bedauern feststellen, dass die aktuelle Diskussion um meine Person diesem Ziel schadet."

Der Rückzug des Bischofs vom Amt verschärft die Situation und könnte zugleich eine Chance für die Kirche sein. Denn falls die Kirchenleitung am 21. Oktober dem Rücktritt Rentzings zustimmt - womit gerechnet wurde - beginnt die Suche nach einem Nachfolger. Die Landeskirche muss dann zeigen, welche Konsequenzen sie aus dem Fall zieht.

Anonym verfasste Petition

Der Weltanschauungsbeauftragte der sächsischen Landeskirche, Harald Lamprecht, schlägt vor, dass künftige Bischofsbewerber ihre Vereinsmitgliedschaften offenlegen. Von denjenigen, die sich für ein hohes Amt bewerben, sollten zumindest dem Wahlausschuss bestehende Engagements und eingegangene Verpflichtungen bekannt sein, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Rentzing hatte seine als Student eingegangene Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung bei seiner Wahl 2015 verschwiegen. Nach vier Jahren im Amt wurde kürzlich zudem öffentlich, dass er zwischen 1989 und 1992 Texte für die rechtskonservative Zeitschrift "Fragmente" verfasst hat.

Nachdem sich die sächsische Kirchenleitung von Rentzing aufgrund der von ihr als "elitär, in Teilen nationalistisch und demokratiefeindlich" eingestuften Texte distanziert hatte, wurde die Spaltung der Kirche in Sachsen offensichtlich. Im Internet tauchte eine anonym verfasste Petition auf, die sich für den Verbleib des Bischofs im Amt einsetzt und von einer "Schmutzkampagne" gegen ihn spricht. Eingestellt ist der Text auf einer in Spanien gegründeten umstrittenen Plattform.

Lamprecht bezeichnete die Petition als "ein Manöver der Neuen Rechten", die vorhandene persönliche Sympathien für Bischof Rentzing und seine konservative Grundhaltung missbrauche. Dabei betonte er: Grund des angekündigten Rücktritts sei nicht, das der Bischof ein Konservativer ist, sondern dass er die Kirche über seine Biografie getäuscht habe. Das führe auch zu der Frage, inwieweit diese Details wirklich Vergangenheit für Rentzing seien.

Was die verschiedenen Positionen der Kirchenmitglieder angeht, unterscheide sich Sachsen nicht grundsätzlich von anderen Landeskirchen, sagte Lamprecht. Dieselbe Bandbreite an Meinungen sei auch an anderen Orten zu finden, etwa in Baden-Württemberg. Dort gebe es schon länger "fest organisierte Parteien innerhalb der Landeskirche, sogenannte Gesprächskreise".

"Vielfalt der Wirklichkeit"

Auch in Sachsen zeichne sich zunehmend eine solche Parteienbildung ab. Die Gründung der "Sächsischen Bekenntnis-Initiative" habe diese Entwicklung forciert. Solche Initiativen verstellten aber "den Blick auf die Vielfalt der Wirklichkeit und der möglichen Positionen", sagte Lamprecht.

Mit dem erwarteten Rücktritt besteht jetzt - wie schon während der jahrelangen Diskussion um die Homo-Ehe - die Gefahr, dass sich eine größere Zahl von konservativen Christen von der Landeskirche abwendet. Wer die Bibel ernst nimmt, "wird sich nicht leichtfertig von der Gemeinschaft der Christen lösen, sondern gemeinsam um die angemessene Gestalt der Kirche ringen", appellierte der Weltanschauungsbeauftragte. Dies brauche die Bereitschaft, aufeinander zu hören.

Für die Landeskirche stellen sich nun existenzielle Fragen: Wie weiter? Falls Rentzing entbunden wird, welche Nachfolgerin oder welcher Nachfolger hilft der Kirche weiter? Was muss möglicherweise auch die Landessynode als gewähltes Organ leisten? Darüber wird nicht zuletzt auf der bevorstehenden Synodentagung im November in Dresden zu beraten sein.

Von Katharina Rögner (epd)


Sächsische Altbischöfe sorgen sich um Einheit der Kirche

Nach dem angekündigten Rücktritt des sächsischen Bischofs Carsten Rentzing haben seine beiden Amtsvorgänger zur Einheit der Kirche aufgerufen. Ohne den nötigen inhaltlichen Auseinandersetzungen auszuweichen, müsse das Bemühen um Frieden und Versöhnung leitend sein, betonten die beiden früheren Landesbischöfe Volker Kreß und Jochen Bohl am 20. Oktober in Dresden in einer gemeinsamen Erklärung.

"Die Ereignisse in der Landeskirche haben in den letzten Tagen viele Menschen erschreckt, gar verstört", heißt es in dem Aufruf. Es schmerze, dass die Polarisierung der Gesellschaft auch in der Kirche angekommen sei. Christen seien in einer solchen Situation gefordert, "besonnen zu bleiben, trotz unterschiedlicher Erfahrungen und Überzeugungen einander zuzuhören" und sich um Verständnis zu bemühen. Denn das Christsein bewähre sich darin, "gerade im Streit um den richtigen Weg Nächstenliebe zu praktizieren", erklärten die beiden Altbischöfe.

Unterschriftenaktionen

Sachsens evangelischer Landesbischof Carsten Rentzing hatte am 11. Oktober überraschend seinen Rücktritt erklärt. Er war zuvor in die Kritik geraten, seine als Student eingegangene Mitgliedschaft in einer schlagenden Verbindung lange verschwiegen zu haben. Nach vier Jahren im Amt wurde zudem öffentlich, dass er zwischen 1989 und 1992 Texte für die rechtskonservative Zeitschrift "Fragmente" verfasste. Unterdessen sind Unterschriftenaktionen gestartet, die den Verbleib des Bischofs im Amt fordern. Die Kirchenleitung wollte am 21. Oktober darüber entscheiden, ob sie Rentzing vom Bischofsamt entbindet.

Volker Kreß war von 1994 bis 2004 Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, Jochen Bohl von 2004 bis 2015.



Präses Rekowski: Syrische Christen stehen vor existenziellen Ängsten

Syrische Christen haben nach Aussage von Manfred Rekowski "existenzielle Ängste" vor einem militärischen und politischen Sieg islamistischer und fundamentalistischer Kräfte. Mit den Angriffen der türkischen Armee auf die Kurdengebiete in Nordsyrien schwinde nun auch die Hoffnung auf ein baldiges Ende des seit 2011 andauernden Krieges in Syrien, sagte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 16. Oktober. Weitere Eskalationen seien zu befürchten, wie das Bündnis zwischen kurdischen und syrischen Streitkräften zeige.

Der Vorsitzende der Kammer für Migration und Integration der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sagte: "Notwendig sind diplomatische Bemühungen um ein rasches Ende der Kampfhandlungen." Die Kirchen seien allerdings auch in diesem Konflikt keine politischen Akteure: "Christen beten zu Gott um Einsicht der Mächtigen, um ein Ende der Gewalt und um Schonung der Zivilbevölkerung", sagte Rekowski. Der Theologe reiste im August nach Syrien und in den Libanon.

Seit vergangenem Mittwoch führt die Türkei eine Offensive gegen die Kurden im Nordosten Syriens. Nach Angaben des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha) sind seit dem türkischen Einmarsch mindestens 160.000 Menschen vor der Gewalt geflohen.



Katholische Kirche will sich nicht an Rettungsschiff beteiligen

Die katholische Kirche will sich anders als die evangelische nicht an einem eigenen Schiff zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer beteiligen. Er sehe im Moment nicht, "dass wir das auch noch tun sollten", sagte der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, am 16. Oktober in Berlin. "Die Deutsche Bischofskonferenz wird da jetzt nicht ein eigenes Schiff auf den Weg bringen. Das ist nicht unsere Aufgabe", sagte Marx.

Der Kardinal sagte, die europäische Grenze dürfe keine Grenze des Todes sein. Jede zivile Aktion könne er verstehen und unterstützen. Dennoch blieb er bei seiner Zurückhaltung gegenüber den Plänen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Nach einer Resolution des Kirchentags hatte sie entschieden, gemeinsam mit anderen Organisationen einen Verein zu gründen, der ein eigenes Rettungsschiff ins Mittelmeer entsenden will. Als Kirche müsse man auch zugeben, dass man kein politischer Akteur sei, sagte Marx.



Favoritinnen-Sieg nach intensiver Selbstbefragung


Margot Käßmann nach ihrer Wahl zur EKD-Ratsvorsitzenden 2009
epd-bild / Norbert Neetz
Vor zehn Jahren wurde Margot Käßmann als erste Frau zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt. Sie blieb es nur vier Monate lang. Zu den prominentesten Protestanten mit öffentlicher Strahlkraft zählt sie bis heute.

Als die Wahl gelaufen war, gab Margot Käßmann einen Einblick in ihr Gefühlsleben. Sie zitierte am Vormittag des 28. Oktober 2009 vor der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Ulm ihre Großmutter. "Wem der liebe Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch die Kraft es auszufüllen", habe die Oma ihr nach der Ordination zur Pfarrerin mit auf den Weg gegeben. "Auf diese Kraft hoffe ich", sagte Käßmann wenige Minuten nach ihrer Wahl zur EKD-Ratsvorsitzenden - als erste Frau in dieses Amt.

Während es rückblickend nahezu vorgezeichnet schien, dass die damals 51 Jahre alte prominente Theologin zur obersten Repräsentantin der deutschen Protestanten aufsteigt, war das für Käßmann vor zehn Jahren keineswegs klar: "Dass die Synode sich für mich entscheidet, als geschiedene Frau, war alles andere als vorhersehbar."

Zwei Wochen vor der EKD-Tagung habe sie noch einmal mit engen Freunden beraten. "Die Anforderungen vor allem in Bezug auf die mediale Präsenz waren enorm gestiegen", erinnert sich Käßmann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Wolfgang Huber hatte Maßstäbe gesetzt: Das waren große Schuhe, in die ich treten würde."

Weibliche Doppelspitze

Von der intensiven Selbstbefragung ist nach Beginn der Synodenberatungen Ende Oktober in Ulm wenig zu erahnen. Bei ihrer souveränen Vorstellungsrede am Sonntagabend zeigt die damalige hannoversche Landesbischöfin einmal mehr ihre Gabe, zugleich als versierte Theologin, fromme Christin und Frau mitten im Leben aufzutreten.

Bei der Wahl in den Rat am folgenden Dienstag bekommt sie das mit Abstand beste Ergebnis der 13 Gewählten: 103 von 145 abgegebenen Stimmen im ersten Wahlgang. "Da wusste ich: Die evangelische Kirche will mich als Ratsvorsitzende", erinnert sich Käßmann. In den nächsten Tag mit der Wahl zur Vorsitzenden sei sie entsprechend gelassen gegangen, 132 Ja-Stimmen von 142 abgegebenen Voten entfallen auf Käßmann.

Damit hatte sich die EKD für eine weibliche Doppelspitze entschieden, nachdem die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt im Mai als Präses an die Spitze der Synode gewählt worden war. Nach dem Votum für Käßmann sagte Göring-Eckardt, die Doppelspitze zweier Frauen sei "wunderbar normal evangelisch".

Zehn Jahre lang steht Käßmann bei der Ratswahl 2009 bereits an der Spitze der hannoverschen Landeskirche, ist neben dem Ratsvorsitzenden Huber das mit Abstand prominenteste Gesicht der evangelischen Kirche. Im Gegensatz zum Amtsvorgänger wirkt die zierliche Frau mit den kurzen schwarzen Haaren nahbarer, auch weil die Mutter von vier Töchtern sehr offen mit persönlichen Schicksalsschlägen wie dem Scheitern ihrer Ehe und ihrer Brustkrebserkrankung umgeht.

Schnell zeigt sich in den nächsten Wochen, wie das Ehrenamt als Ratsvorsitzende die hannoversche Bischöfin parallel zur Leitung der größten Landeskirche fordert. Käßmanns beherztes Eintreten gegen eine Militarisierung der deutschen Außenpolitik sorgt für Schlagzeilen. Nachdem sie in einer Predigt den Satz "Nichts ist gut in Afghanistan" ausgesprochen hat, setzt eine intensive Debatte über den Bundeswehreinsatz ein. Schließlich kommt es zu einem Treffen Käßmanns mit Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) und einer Einladung des Verteidigungsministers, sich doch selbst in Afghanistan ein Bild zu machen.

Auch im Ruhestand öffentlich präsent

Zu der Reise kommt es nicht mehr. Nach nicht einmal vier Monaten im Amt tritt Käßmann am 24. Februar 2010 von allen kirchlichen Leitungsämtern zurück und zieht damit die Konsequenz aus einer Autofahrt unter Alkoholeinfluss. 2012 wird Käßmann Botschafterin des EKD-Rates für das 500. Reformationsjubiläum im Jahr 2017. Im vergangenen Jahr geht sie mit 60 Jahren in den Ruhestand. Auch wenn heute die Familie mit inzwischen sechs Enkelkindern mehr Raum im Leben der Ruheständlerin einnimmt, bleibt die prominente Protestantin als Autorin, Gastpredigerin und Vortragsreisende öffentlich präsent.

Dass ihr als erste Frau an der EKD-Spitze mit Nikolaus Schneider und Heinrich Bedford-Strohm wiederum zwei Männer gefolgt sind, betrachtet Käßmann gelassen. Seit ihrer Wahl vor zehn Jahren sei klar, dass Frauen in der evangelischen Kirche alle Leitungsämter offenstehen. Dass es bis heute deutlich weniger Bischöfinnen als Bischöfe gibt, könne auch daran liegen, dass Frauen nicht so stark nach Ämtern streben. "Sie fragen sich häufiger, was das Leben eigentlich ausmacht, und kommen dabei oft zu anderen Antworten als Männer."

Von Karsten Frerichs (epd)


Geistlich mit Stil


Claudia Häfner, Pfarrerin der Hochschulgemeinde an der TU München, trägt Kleidung von "Casual Priest".
epd-bild/Matthias Balk
Im Gottesdienst tragen Pfarrerinnen und Pfarrer einen Talar. Manchmal möchten sie aber auch außerhalb der Kirche als Geistliche erkennbar sein - und dabei gut aussehen. Die Schwedin Maria Sjödin designt dafür passende Kleidung, vor allem für Frauen.

Lachend stehen Claudia Häfner und ihre Freundin Katarina Freisleder vor dem Gebäude der Technischen Universität München. Zur Amtsübergabe des neuen Präsidenten tragen beide ein figurbetontes, knielanges schwarzes Kleid mit weißem, ringförmigem Stehkragen, einem Kollar. Die zwei Frauen sind Pfarrerinnen der Evangelischen Hochschulgemeinde an der TU und Fans der Kleidung von "Casual Priest".

Hinter "Casual Priest" steht die schwedische Modedesignerin Maria Sjödin. Die Idee kam ihr vor etwa 17 Jahren: Eine befreundete Pfarrerin bat sie darum, ihr ein Oberteil zu entwerfen. Sie war nicht glücklich mit der herkömmlichen Kleidung für Geistliche, die offensichtlich für Männer entworfen wurde.

Sjödin entdeckte eine Marktnische. "Maßgeschneidert, modern, selbstbewusst und stylish", so beschreibt sie ihre Kollektion für Pfarrerinnen. Genug potenzielle Kundinnen sind da: 40 Prozent der Geistlichen in der evangelisch-lutherischen Kirche in Schweden sind weiblich. Auch in Deutschland studieren mehr Frauen als Männer Theologie. Und auch in der Bundesrepublik gibt es außer der klassischen Talarschneiderei keine Boutique, die geistliche Mode speziell für Frauen anbietet.

"Selbstbewusstsein ausstrahlen"

"Ich will, dass sich Frauen im kirchlichen Dienst wohlfühlen und Selbstbewusstsein ausstrahlen", sagt Sjödin. Beim Design orientiert sich die Schwedin am klassischen Kollarhemd mit breitem weißem Stehkragen, einem Erkennungszeichen für Geistliche. Sjödin benutzt aber moderne Stoffe und Schnitte. Die Kleider, T-Shirts und Langarmhemden sind im Online-Shop neben Schwarz auch in Blau, Khaki, Grau und gemustert erhältlich. Die meisten Käuferinnen erreicht die Modemacherin über die sozialen Netzwerke. Auf dem Berliner Kirchentag 2017 stellte sie ihre Kollektion in einem Pop-up-Store aus.

Unter den Hashtags "#casualpriest" und "#casualprieststories" posten Pfarrerinnen aus aller Welt Fotos mit Kleidungsstücken der Designerin. Neben Deutschland, den USA, Österreich und Norwegen kommen die meisten der inzwischen rund tausend Beiträge aus Schweden. Hier tragen einige Frauen das Kollarhemd in Kombination mit einer bunten Blumen-Bluse oder auffälligem Schmuck.

Claudia Häfner mag es lieber dezent. Mit dem Talar fühle sie sich bei beruflichen Terminen außerhalb der Kirche oft verkleidet, erzählt sie. "Und unpraktisch ist er auch", ergänzt sie und lacht. Treppenlaufen, Taufe im See, alles wird zur Herausforderung mit dem langen Gewand.

"Möchte erkannt werden"

Ihr schlichtes, schwarzes "Casual Priest"-Kleid trägt sie bei akademischen Veranstaltungen oder auch einem Laternenumzug. "Ich bin total überzeugte Christin und möchte, dass ich erkannt werde und Leute sich trauen, mich anzusprechen", sagt Häfner.

Bisher habe sie fast nur positive Reaktionen auf ihr Outfit bekommen, erzählt die vierfache Mutter. Vor allem junge Leute seien angetan. Auch ihre Kinder fänden ihre neue Berufskleidung cool. Bald möchte sich die Theologin ein weiteres Kleid kaufen. "Da warte ich noch auf einen Anlass", sagt Häfner. Schließlich sind die Kleidungsstücke mit 200 bis 300 Dollar nicht günstig.

Josephine Teske hat sich trotzdem gleich vier Teile bestellt. Die 33-jährige Pastorin der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Büdelsdorf in Schleswig-Holstein ist noch relativ frisch im Amt. Schnell habe sie festgestellt, dass Menschen sie nach dem Gottesdienst ohne Talar nicht mehr erkennen. Oft sei sie als junge, blonde Frau nicht ernst genommen worden, erinnert sie sich zurück.

"Casual priest" hat sie im Internet gefunden. Seitdem ist die Pfarrerin etwa bei Empfängen mit der Kollarmode gekleidet. Und seitdem, so berichtet die zweifache Mutter, komme sie plötzlich auch etwa mit Politikern ins Gespräch.

Für Männer hat Designerin Sjödin ebenfalls einige Modelle im Sortiment. Die hat Steve Kennedy Henkel vor einigen Jahren für sich entdeckt. Der 31-jährige Pfarrer an der Erlöserkirche München trägt entweder sein schwarzes T-Shirt oder sein marineblaues Langarmshirt aus der "Casual Priest"-Serie unter dem Talar. Bei außerkirchlichen Terminen wie zum Beispiel Konfirmandenelternbesuchen kombiniert er die Teile mit Jeans und Chucks. Mit dem Kollarshirt fühle er sich trotzdem seriös, sagt der junge Geistliche, der sich in der bayrischen Landeskirche um den Pfarrer-Nachwuchs kümmert.

Ältere skeptisch

Auch er höre überwiegend Komplimente für seinen Look. Viele wollten wissen, wo er Hemd und Shirt gekauft hat. Nur einige ältere Kollegen seien skeptisch. Sie würden das Kollar immer noch mit "katholisch" assoziieren, erzählt der Münchner. "Ich will, dass Kirche sichtbar und sexy in der Öffentlichkeit auftritt", betont er. Auf seinem Instagram-Profil lädt der modebegeisterte Pfarrer regelmäßig Selfies mit seinen Kollarshirts hoch.

Auch Josephine Teske postet Bilder in Casual-Priest-Kleidung auf Instagram. "Ich möchte anderen Frauen zeigen: Guckt! So was gibt's für uns", sagt die junge Theologin und betont: "Ich verstecke meinen Körper nicht, nur weil ich ein Amt innehabe."

Von Carina Dobra (epd)


Seenotrettung: Flüchtlingsexperte kritisiert Symbolpolitik

In der Debatte um die Verteilung geretteter Bootsflüchtlinge ist die Europäische Union nach Einschätzung des westfälischen Flüchtlingsexperten Helge Hohmann von einer grundsätzlichen Lösung weit entfernt. Dass sich der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) jetzt dafür starkmache, einen Verteilerschlüssel festzulegen, bezeichnete der Beauftragte für Zuwanderungsarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen in einem Interview im Domradio Köln als bloße Symbolpolitik. "Ich glaube, es geht darum, ein Symbol-Thema abzuräumen", sagte Helge Hohmann. Das Thema betreffe wenige Menschen, aber mit großem Effekt. Mit einer grundsätzlichen Lösung und einer grundsätzlichen Haltungsänderung der Europäischen Union habe das nichts zu tun. "Denn eigentlich müsste es ja darum gehen, von der Abschottungspolitik abzurücken. Solange man dazu nicht bereit ist, wird es immer diese Probleme geben", sagte Hohmann.

Als "Skandal" bezeichnete er zudem, was in Flüchtlingslagern in der Ägäis vor Griechenland passiere. "Hier lässt man Menschen vor sich hin vegetieren, anstatt wirklich einen Zugang zum Asylsystem zu geben und anstatt ihnen eine menschenwürdige Unterbringung angedeihen zu lassen", sagte Hohmann. Die Menschen müssten dringend aufs Festland und zur Entlastung von Griechenland auch in der Europäischen Union verteilt werden. Auch Spanien und Zypern seien Ankunftsstaaten und müssen entlastet werden, sagte Hohmann weiter. "Das heißt, man muss Abrücken von diesem Prinzip der Dublin-III-Verordnung, das nur die Staaten, wo die Flüchtlinge ankommen, auch zuständig sind", erklärte der Beauftragte für Zuwanderungsarbeit im Interview.



Kirchenkreis Münster trauert um Superintendent Ulf Schlien

Der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Münster, Ulf Schlien, ist in der Nacht auf den 14. Oktober plötzlich verstorben. Der 57-Jährige erlitt einen Herzstillstand, wie der Kirchenkreis Münster am am 14. Oktober mitteilte. Noch am Sonntag habe der 57-Jährige einen Gottesdienst gehalten und den neuen Kreiskantor in sein Amt eingeführt.

Der in Recklinghausen geborene Ulf Schlien leitete seit 2018 den Kirchenkreis Münster. Zuvor war er von 1995 bis 2018 Gemeindepfarrer in der Kirchengemeinde Nordwalde-Altenberge. Seit 2009 war er zudem als Assessor des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken. Ulf Schlien war verheiratet und Vater von zwei Kindern.



Rheinische Kirche lädt zur NRW-Premiere von "Zwingli"

Der Spielfilm "Zwingli - Der Reformator" feiert am 22. Oktober in Essen seine Premiere in Nordrhein-Westfalen. Die Evangelische Kirche im Rheinland lädt gemeinsam mit der Filmproduktionsfirma Eikon Media und dem Filmverleih W-film Distribution in die Lichtburg ein, wie das Landeskirchenamt am 14. Oktober in Düsseldorf ankündigte. Nach der Filmvorführung ist ein Podiumsgespräch mit dem rheinischen Präses Manfred Rekowski, dem Ruhr-Bischof Franz-Josef Overbeck sowie dem Filmteam geplant. Es beteiligen sich unter anderen Regisseur Stefan Haupt, Produzent Mario Krebs sowie die Schauspieler Max Simonischek und Sarah Sophia Meyer.

Ulrich Zwingli (1484-1531) ist neben Martin Luther einer der wichtigsten Reformatoren der Kirche. Er führte vor 500 Jahren die Reformation in Zürich ein und legte zusammen mit Johannes Calvin die Grundlage für die reformierte Kirche. Die Schweiz feiert 2019 das "Zwingli-Jahr". In Deutschland startet "Zwingli - Der Reformator" am 31. Oktober in den Kinos. Das Historiendrama widmet sich seinem Kampf um eine neue Weltordnung und seine Ideen einer sozial gerechten Gesellschaft.

Präses Rekowski würdigte Zwingli als Mann der Tat. Er habe die Christen dazu aufgefordert, auch alltägliche Aufgaben mit Tatkraft anzugehen, erklärte der leitende Theologe. Das sei auch heute von Zwingli zu lernen: tapfer mit Gottvertrauen das zu tun, was notwendig sei.



Bischof Overbeck solidarisiert sich mit jüdischen Gemeinden

Der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck hat nach dem Anschlag in Halle den jüdischen Gemeinden im Ruhrbistum seine Verbundenheit zugesichert. "Es ist unfassbar, dass in Deutschland jüdische Gemeinden Angst haben müssen, Opfer von Gewalt und Terror zu werden", schrieb der Ruhr-Bischof laut Mitteilung vom 15. Oktober in einem Brief an die jüdischen Gemeinden. Die Tat erfülle ihn mit großer Bestürzung und tiefer Trauer. In diesen schweren Zeiten stehe das Bistum Essen solidarisch an der Seite der jüdischen Gemeinden, um sich dem "antisemitischen und rechtsextremistischen Ungeist in unserer Gesellschaft entgegen zu stellen".

Auch weitere Spitzenvertreter von Politik, Kirchen, Judentum und Islam in Nordrhein-Westfalen hatten nach dem Anschlag zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus aufgerufen. Der rheinische Präses Manfred Rekowski, die Evangelische Kirche von Westfalen und der lippische Landessuperintendent Dietmar Arends solidarisierten sich mit den jüdischen Gemeinden und forderten ein entschiedenes Aufstehen gegen Rechtsterrorismus. Auch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Nordrhein-Westfalen (ACK) und der Koordinationsrat der Muslime, in dem sechs Dachverbände zusammengeschlossen sind, bekundeten ihre Solidarität mit den jüdischen Gemeinden.

Bei dem Anschlag in Halle am 9. Oktober wurden eine 40-jährige Frau und ein 20-jähriger Mann erschossen. Auf der Flucht schoss der Täter auf eine weitere 40-Jährige und einen 41-Jährigen, die schwer verletzt wurden. Der schwer bewaffnete Mann hatte zuvor versucht, in die Synagoge einzudringen, was misslang. Zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hatten sich dort zu diesem Zeitpunkt insgesamt 51 Gläubige versammelt. Der 27-Jährige handelte nach eigener Aussage aus antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven.



Evangelischer Friedensverband und Missio beklagen Kämpfe in Syrien

Die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF) und das katholische Hilfswerk Missio Aachen haben mehr gesellschaftliches und politisches Engagement gegen die Kampfhandlungen im Norden Syriens gefordert. Der evangelische Friedensverband erklärte am 14. Oktober in Bonn, die Türkei habe das Völkerrecht gebrochen und eine längere kriegerische Auseinandersetzung mit ungewissen Folgen begonnen. Zugleich forderte die Aktionsgemeinschaft einen gesellschaftlichen Aufschrei gegen Ungerechtigkeit und Krieg, um weiteres Leid zu verhindern. Das katholische Missionswerk Missio rief die Bundesregierung zu intensiven diplomatischen Bemühungen gegenüber der Türkei auf.

Die Kampfhandlungen müssten sofort eingestellt werden, sagte Missio-Präsident Dirk Bingener am Montag in Aachen. "Die Lage in Nordsyrien ist sehr kompliziert, es sind sehr viele Parteien mit unterschiedlichsten Interessen beteiligt, deshalb braucht es eine aktuelle diplomatische Initiative der Bundesregierung, die zu vermitteln sucht", betonte Bingener. In der nordsyrischen Grenzregion zur Türkei siedelten sunnitische und jesidische Kurden, sunnitische Araber sowie christliche Assyrer, Syro-Aramäer und Armenier.

Seit Mittwoch vergangener Woche führt die Türkei eine Offensive gegen die Kurden im Nordosten Syriens. Zuvor hatten die USA den Abzug ihrer Truppen aus der Region angekündigt. US-Streitkräfte und kurdische Einheiten hatten dort in den vergangenen Jahren gemeinsam gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" gekämpft. Die Türkei betrachtet die kurdischen Kräfte im Nordosten Syriens als Terroristen.



Katholische Arbeitnehmer: Ausbeutung in Fleischindustrie stoppen

Nach Bekanntwerden der Ergebnisse von Schlachthof-Kontrollen in Nordrhein-Westfalen hat die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) ein Ende der Ausbeutung in der Fleischindustrie gefordert. "Arbeitsmigranten und -migrantinnen werden in Deutschland systematisch ausgebeutet und die Politik schaute jahrelang dem illegalen Treiben zu", sagte der KAB-Bundesvorsitzende Andreas Luttmer-Bensmann am 17. Oktober in Hildesheim.

Nordrhein-Westfalens Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hatte zwischen Juli und September 30 der 34 großen Schlachthöfe mit insgesamt etwa 17.000 Mitarbeitenden kontrollieren lassen. In 26 Betrieben - die meisten davon beschäftigen Sub-Unternehmen - gab es gravierende Arbeitsschutzmängel. Insgesamt wurden mehr als 3.000 Arbeitszeitverstöße festgestellt. In 900 Fällen fehlte die gesetzlich vorgeschriebene arbeitsmedizinische Vorsorge. Nur in zwei Betrieben gab es keine Beanstandungen.

"Wir brauchen nicht nur eine Ampel fürs Tierwohl, sondern endlich auch eine Rote Karte für die Fleischindustrie, die mit Sub-Unternehmen systematisch Ausbeutung von Menschen betreibt", erklärte Luttmer-Bensmann. Die KAB verlange bundesweite und regelmäßige Kontrollen von Schlachthöfen, den verstärkten Ausbau von Anlaufstellen für Arbeitsmigranten und deutlich höhere Strafen für Vergehen. Bisher müssten Betriebe bis zu 15.000 Euro Strafe zahlen, wenn Verstöße wiederholt festgestellt würden. "Da Kontrollen nicht systematisch erfolgen, sind die Strafen für die Unternehmen Peanuts", sagte Luttmer-Bensmann.




Gesellschaft

Mahner für mehr als eine Generation


Erhard Eppler 2007 beim evangelischen Kirchentag in Köln.
epd-bild / Bertold Fernkorn
Er setzte Maßstäbe in der Entwicklungspolitik, engagierte sich für Frieden und Umwelt. Als wertebewusster Analytiker hatte der SPD-Politiker auch großen Einfluss auf des Programm seiner Partei. Im Alter von 92 Jahren ist Erhard Eppler nun gestorben.

Wenn Erhard Eppler sprach, ruhig und eindringlich, spürte man trotz seines hohen Alters stets seine Vitalität, die Kraft seiner Worte und einen wachen Geist. Der SPD-Politiker und Pionier der Entwicklungspolitik mischte sich auch hochbetagt weiter ein: Er hielt Reden und Vorträge, gab Interviews und veröffentlichte Artikel in Zeitungen. Am 19. Oktober ist Eppler im Alter von 92 Jahren in seiner Wahlheimat Schwäbisch Hall gestorben.

Eppler bediente sich traditioneller Methoden: "Wenn ich schreibe, ist mir die Schreibmaschine und das Handschriftliche lieber als der Computer", bekannte er auf seiner Homepage. Mit dem Medium Internet habe er nur "am Rande" zu tun. Dafür äußerte er sich in dort abgelegten Texten noch bis 2016 zu aktuellen Themen.

Eppler blickte auf ein langes, politisches Leben und großen Erfahrungsschatz zurück: Schon als Elfjähriger sei er politisch "erwacht", schrieb er in seiner Biografie "Links leben - Erinnerungen eines Wertkonservativen". Damals hatte er, gab er später zu, die Bewunderung für Hitler geteilt, "die damals üblich war". Der erklärte nach dem Münchner Abkommen und dem Einmarsch der Wehrmacht im Sudetenland, das Deutsche Reich habe keine territorialen Ansprüche mehr - und ließ später seine Truppen in Prag einmarschieren. "Da hat er gelogen", war dem Jungen damals sofort klar.

Entwicklungspolitische Pionierarbeit

Nach dem Krieg engagierte sich Eppler zunächst mit Gustav Heinemann in der Gesamtdeutschen Volkspartei und trat 1956 in die SPD ein. Er arbeitete als Gymnasiallehrer, bevor er 1961 als Abgeordneter für die Sozialdemokraten in den Deutschen Bundestag einzog. 1968 berief ihn Kanzler Willy Brandt, den er sehr bewunderte, zum Entwicklungsminister - ein Politikfeld, das für Eppler neu war, in dem er aber rasch Maßstäbe setzte. Schon damals warnte er, dass Europa in wenigen Jahrzehnten einem hohen Einwanderungsdruck ausgesetzt sein würde, wenn nicht mehr für die Entwicklung Afrikas getan werde.

Seine entwicklungspolitische Pionierarbeit wird heute gelobt, doch damals ließ Bundeskanzler Helmut Schmidt seinen Etat kürzen. Eppler gab sein Amt 1974 entnervt auf. Die beiden blieben Gegenspieler: Eppler engagierte sich in den 1970ern für Umweltschutz; "Ende oder Wende" war der Titel eines Buches, in dem er eine ökologische Politik und Grenzen des Wachstums beschrieb. Schmidt hielt davon nichts. Und während der Kanzler für die Nachrüstung mit Atomraketen warb, engagierte sich Eppler in der Friedensbewegung.

Auch ohne ein weiteres Amt in der Regierung hatte Eppler großen Einfluss auf das Programm der SPD, deren Grundwertekommission er von 1973 bis 1992 leitete. Im Bundesvorstand der Partei war er von 1970 bis 1991. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass die SPD 1986 den Atomausstieg beschloss.

Präsident des Kirchentags

Als überzeugter Christ engagierte sich der scharfe Analytiker immer auch in der Kirche. Von 1968 bis 1984 gehörte er der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an, 1981 bis 1983 und 1989 bis 1991 war er Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages.

Über sein Privatleben verriet Eppler auf seiner Homepage nichts. Dabei war er ein Familienmensch. Mit seiner Frau lebte er auf dem Friedensberg in Schwäbisch Hall. In einem Radiointerview erklärter er einst, dass er sie bereits in jungen Jahren geküsst habe. "Das war, als ich acht war und sie sechs. Da haben wir als Kinder Hochzeit gespielt."

Seine Lieblingsbeschäftigung im Alter war das Gärtnern: Eppler pflanzte Kartoffeln, Tomaten, Äpfel und Salat an. Glück bedeutete für ihn, "wenn eines meiner sechs Urenkel auf mich zu krabbelt". Als Christ, offenbarte Eppler in einem Interview mit der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt", glaube er, "dass es geistige Kräfte gibt, zu denen wir keinen direkten Zugang haben". Aber wie das aussehe, wisse er nicht. Eppler: "Vom Himmel habe ich keine Vision. Ich bin neugierig."

Von Michael Ruffert (epd)


Halle gedenkt der Opfer des Anschlags


Gedenkgottesdienst in Halle mit dem Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer.
epd-bild/Steffen Schellhorn
Fünf Tage nach dem antisemitischen Anschlag in Halle haben Hunderte Menschen in der Marktkirche der Opfer gedacht. Auf dem Markplatz verfolgten 1.000 Menschen die Übertragung des Gedenkgottesdienstes.

In einem bewegenden Gottesdienst ist am 14. Oktober in der Marktkirche in Halle der Opfer des rechtsextremen Anschlags in der Saalestadt gedacht worden. Rund 800 Menschen nahmen an dem Gedenkgottesdienst in dem bis auf den letzten Platz voll besetzten Gotteshaus teil, darunter auch Angehörige und Freunde der Opfer. Diejenigen, die nicht mehr in der Kirche Platz fanden, konnten auf dem Marktplatz die Übertragung des Gottesdienstes verfolgen. Dort hatten sich etwa 1.000 Menschen um ein Meer aus Blumen und Kerzen versammelt.

Der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, hielt die Predigt. Er sagte, die Tür zur Synagoge habe gehalten, das sei das Wunder von Halle, aber zwei Menschen seien ermordet worden, dass sei die Wunde von Halle, die nicht so schnell verheilen werde. Zwei Menschen seien mitten in der Stadt ermordet worden, es hätte jeden treffen können.

"Asoziale Abwege"

Mit deutlichen Worten verurteilte Kramer Rechtsextremismus und Antisemitismus: "Da zieht einer los, um Juden abzuschlachten, und tötet zwei Menschen, als sei es ein Computerspiel." Kramer sprach von "asozialen Abwegen". Er fügte hinzu, auch die Kirchen hätten einst die Türen für den Judenhass geöffnet, das habe viele Hirne und Herzen vergiftet. Aber die Kirchen hätten dann auch angefangen aufzuräumen und die Judenfeindschaft vor die Tür gesetzt. Die Gesellschaft müsse "den Antisemitismus vor die Tür setzen", sagte Kramer.

Der Bischof erklärte weiter: "Ein Angriff auf eine Synagoge ist auch ein Angriff auf die Kirchen." Und es gebe nichts feigeres als Menschen im Gebet anzugreifen. "Menschen im Gebet sind wehrlos. Sie haben keine Waffen, sie öffnen ihre Hände vor Gott", sagte Kramer.

An dem Gottesdienst nahmen auch der katholische Bischof Gerhard Feige vom Bistum Magdeburg und Kirchenpräsident Joachim Liebig von der Evangelischen Landeskirche Anhalts teil. Zudem waren Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), Wissenschaftsminister Armin Willingmann (SPD), Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD), Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) und Bildungsminister Marco Tullner (CDU) gekommen.

Rückzugsort

Die Kollekte des Gedenkgottesdienstes war für die Hilfsorganisation Weißer Ring bestimmt, die Opfer von Gewalt unterstützt. Die Marktkirche soll auch in den kommenden Tagen offen bleiben und für Gebete und als Rückzugsort zur Verfügung zu stehen.

Bei dem Anschlag am 9. Oktober in Halle wurden eine 40-jährige Frau und ein 20-jähriger Mann erschossen. Auf der Flucht schoss der Täter auf eine weitere 40-Jährige und einen 41-Jährigen, die dabei schwer verletzt wurden. Der schwer bewaffnete Mann hatte zuvor versucht, in die Synagoge einzudringen, was misslang. Zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hatten sich dort zu diesem Zeitpunkt insgesamt 51 Gläubige versammelt. Der 27-Jährige handelte nach eigener Aussage aus antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven.



Wolfsskulpturen vor Synagoge in Halle


Bronze-Wölfe als Mahnung nahe der Synagoge in Halle
epd-bild/Steffen Schellhorn
Schon oft war Rainer Opolka in Deutschland mit seinen Wolfsskulpturen unterwegs. Jetzt wollte er mit einer provokanten Aktion in Halle ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen und stellte seine "Wölfe" nahe der Synagoge in der Humboldtstraße auf.

Der Brandenburger Aktionskünstler Rainer Opolka hat am 15. Oktober vier seiner großen Bronzewölfe gegenüber der Synagoge in Halle aufgestellt. Gemeinsam mit der Vorsitzenden des Fördervereins "Denkmal für die ermordeten Juden Europas", Lea Rosh, will Opolka mit der Aktion vor dem jüdischen Gotteshaus, das am 9. Oktober ins Visier eines Attentäters geraten war, auf die Zunahme rechtsradikaler Gewalt aufmerksam machen. Bei dem Anschlag wurden zwei Menschen getötet.

Zwei der Wölfe trugen Pistolen. Ursprünglich wollte das Ordnungsamt der Stadt Halle nach Angaben von Opolka ihre Aufstellung nicht genehmigen, weil sie mit den Pistolen auf die Synagoge zielen sollten. Genehmigt wurde die Aktion schließlich doch, wenn die Pistolen in andere Richtungen zeigen. Zudem wurden am Dienstag auch mehrere Plakate aufgehängt. Die Skulpturen sollten am Dienstagnachmittag wieder abtransportiert werden. Der Künstler denkt nach eigenen Angaben über eine größere Aktion auf dem Marktplatz von Halle nach.

"Jüdisches Leben in Gefahr"

Opolka und Rosh warnten, es gebe im Land Tausende gewaltbereite Neonazis und eine AfD, die sich nach rechts radikalisiere: "Wo Polizei abgebaut, Nationalsozialismus-Verharmloser in Talkshows eingeladen und Hassveranstaltungen auf Marktplätzen und im Netz toleriert werden, darf man sich nicht wundern, wenn sich der Hass in Blutorgien wie in Halle entlädt", erklärten beide.

"Jüdisches Leben in Deutschland ist in Gefahr", warnte Opolka. Er reflektiere die Situation mit seinen künstlerischen Mitteln. Alle Menschen müssten sich gegen Antisemitismus und vor jüdische Menschen stellen, sagte er.

Opolka hat den Angaben zufolge vor vier Jahren insgesamt 80 Wölfe in Bronze gegossen. Er stelle sie dort auf, "wo Menschenrechte und Demokratie gefährdet sind", erklärte der Künstler. Bislang war er an 16 Orten mit den Wölfen präsent, unter anderem in Berlin, Potsdam, Dresden, München und in Chemnitz. Zuletzt standen einige der Wölfe unter anderem in Kassel nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.



16.000 Menschen bei Konzert nach Anschlag in Halle

Mehrere Tausend Menschen haben am 19. Oktober bei einem Gedenkkonzert Solidarität mit den Opfern des Anschlags in Halle bekundet. Wie ein Polizeisprecher am 20. Oktober auf Anfrage sagte, waren zeitweise rund 16.000 Gäste auf dem Marktplatz in Halle versammelt. Das Programm startete am frühen Nachmittag mit rund 5.000 Besuchern. Die Veranstaltung mit Musikern wie Alice Merton, Max Giesinger, Joris sowie Mitgliedern des MDR-Rundfunkchores und der Oper Halle ging bis in den späten Abend.

Veranstalter waren der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), die Sender Radio Brocken, 89.0 RTL, Radio SAW, Rockland und die in Halle erscheinende "Mitteldeutsche Zeitung" gemeinsam mit der Stadt Halle. Das Konzert stand unter der Überschrift "#HalleZusammen - Schulterschluss für ein tolerantes und friedliches Miteinander".

Neben den Auftritten der Ensembles und Künstler waren auch Gespräche geplant. Die Veranstalter wollten nach eigenen Angaben "ein starkes Signal für ein offenes und friedliches Miteinander und eine Botschaft gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rechtsradikalismus setzen".

Bei dem antisemitisch und rechtsextremistisch motivierten Anschlag am 9. Oktober in Halle wurden eine 40-jährige Frau und ein 20-jähriger Mann erschossen. Auf der Flucht schoss der Täter auf eine weitere 40-Jährige und einen 41-Jährigen, die dabei schwer verletzt wurden. Der schwer bewaffnete Mann hatte zuvor versucht, in die Synagoge einzudringen, was misslang. Zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hatten sich dort zu diesem Zeitpunkt insgesamt 51 Gläubige versammelt.



AfD-Politiker Brandner zu Halle-Tweet: Es tut mir leid

Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner hat sich für einen Tweet zu den Trauerfeiern nach dem rechtsextremistischen Attentat in Halle entschuldigt. "Es tut mir leid", sagte er am 17. Oktober im Bundestag. Er habe einen Beitrag retweetet, den er "inhaltlich nie geteilt" habe. Ein Gespräch mit dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble (CDU) habe ihm nun aber vor Augen geführt, "welche Probleme auch in der Außenwirkung dieser Retweet" verursacht habe. Er entschuldige sich, wenn Leute sich dadurch angegriffen oder schlecht gefühlt hätten.

Der AfD-Politiker hatte nach dem Anschlag mit zwei Toten in Halle einen Tweet geteilt, in dem zwischen "deutschen" Opfern und denen in Moscheen und Synagogen unterschieden wurde. Mitglieder von Union, SPD, Linken, Grünen und FDP hatten sich mit einer gemeinsamen Erklärung von Brandner, der auch Vorsitzender des Rechtausschusses ist, distanziert und seinen Rücktritt gefordert.



Innenminister beschließen besseren Schutz von Synagogen

Nach dem Anschlag von Halle wollen die Innenminister von Bund und Ländern rasch mit einem Maßnahmenpaket auf die rechtsextremistische Bedrohung reagieren. Bei einem Sondertreffen in Berlin verständigten sich die Ressortchefs der Bundesländer mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) am 18. Oktober auf insgesamt zehn Punkte, darunter einen besseren Schutz von Synagogen, eine Verschärfung des Waffenrechts, strengere Regeln für Internetanbieter und mehr Ressourcen für die Behörden. Die Maßnahmen sollen schnell umgesetzt, möglichst schon am 23. Oktober im Bundeskabinett besprochen werden, sagte Seehofer nach dem Treffen.

Synagogen und jüdische Einrichtungen sollen - nach Absprache vor Ort - dem Papier zufolge künftig besser durch die Polizei geschützt werden. Seehofer zufolge soll der Bund zudem Mittel bereitstellen, wenn ein baulicher Schutz sinnvoll ist. Der Mann, der in er vergangenen Woche in Halle zwei Menschen erschoss, wollte eigentlich in die dortige Synagoge eindringen. Er scheiterte an der gesicherten Eingangstür.

Seehofer unterstrich zudem die Notwendigkeit von Verschärfungen im Waffenrecht. Die rechtsextremistische Szene sei außerordentlich gewaltbereit und waffenaffin. "Daraus muss die Politik eine Konsequenz ziehen", sagte er. Per Regelabfrage soll künftig vermieden werden, dass Extremisten Waffen erwerben dürfen. Auch bestehende Erlaubnisse könnten den Angaben zufolge mit einer Änderung zurückgezogen werden.

Vereinsverbote und Prävention

Das "Maßnahmenbündel", wie der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Innenminister Hans-Joachim Grote (CDU), das Paket nannte, sieht zudem unter anderem konsequente Vereinverbote und mehr Prävention vor. Die Innenminister stellen sich zudem hinter die Forderung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), die Anbieter von Internetplattformen verpflichten will, strafrechtlich relevante Inhalte von Nutzern zu melden. Bislang sind sie nur verpflichtet, diese Inhalte binnen einer Frist zu löschen.

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) betonte, dass die Innenminister auch für einen besseren Schutz von Kommunalpolitikern vor Hass und Bedrohungen plädieren. Lambrecht hatte vorgeschlagen, den Paragrafen, der üble Nachrede gegen Politiker ahndet, so abzuändern, dass er anders als jetzt auch auf Kommunalpolitiker Anwendung findet. Zudem soll das Bundesinnenministerium prüfen, wie extremistische Umtriebe von Beamten disziplinarrechtlich verfolgt werden können. Dabei gehe es um Einzelfälle, nicht um die bloße Mitgliedschaft in Vereinigungen, sagte Pistorius: "Niemand von uns will einen Radikalenerlass."

Bei dem Anschlag von Halle am 9. Oktober hatte ein schwer bewaffneter Mann zwei Menschen erschossen und auf der Flucht zwei weitere schwer verletzt. Der Täter hatte zuvor versucht, in die Synagoge einzudringen, was misslang. Der 27-Jährige handelte nach eigener Aussage aus antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven. Nach Einschätzung der Behörden wollte er in der Synagoge ein Blutbad anrichten.



10.000 Demonstranten protestieren in Köln gegen Einmarsch in Syrien


Großdemonstration in Köln
epd-bild/Guido Schiefer
Der Protest gegen die türkische Militäraktion in Nordsyrien hat bundesweit Tausende Menschen auf die Straßen gebracht. Die größte Demonstration fand in Köln statt. Befürchtete gewalttätige Auseinandersetzungen blieben dort aus.

Rund 10.000 Menschen haben nach Polizeiangaben am 19. Oktober in Köln überwiegend friedlich gegen den Einmarsch des türkischen Militärs in Nordsyrien protestiert. Die Demonstration stand unter dem Motto "Gegen den türkischen Angriffskrieg in Nordsyrien - Solidarität mit Rojava". Die Kölner Demonstration war die größte der Protestaktionen am Wochenende. Weitere Demonstrationen fanden am Samstag unter anderem Hamburg, Frankfurt, Berlin, Magdeburg, Nürnberg, Leipzig und Hannover statt.

Nach Angaben der Kölner Polizei wurden im mehrstündigen Demonstrationsverlauf durch die Kölner City mehrere Nebeltöpfe und bengalische Fackeln gezündet. Auch einige verbotene Symbole der auch in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK wurden gezeigt, die von den Beamten sichergestellt wurden. Die Übertretungen gegen die versammlungsrechtlich auferlegten Verbote blieben laut Polizeibericht wegen des kooperativen Austauschs der Demonstranten und der Polizei insgesamt "überschaubar".

Gewaltsame Auseinandersetzungen blieben aus

Die im Vorfeld von der Polizei befürchteten gewalttätigen Auseinandersetzungen pro-kurdischer Demonstranten mit türkisch-nationalistischen Versammlungsteilnehmern blieben aus. Erst am Abend musste die Polizei einschreiten, als kurdische Demonstrationsteilnehmer von heimkehrenden Essener Fußball-Randalierern attackiert wurden. Die Polizei war mit starken Kräften in Köln vertreten.

Demonstranten forderten auf Transparenten und Plakaten "Stopp des Angriffskriegs der Türkei" und ein "Ende der militärischen Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Türkei". Die Teilnehmer der Protestdemonstration forderten auch eine friedliche Lösung des Krieges in Syrien mit Beteiligung der kurdischen Akteure sowie eine Autonomie Nordsyriens.

Manderla: Feuerpause muss zum Waffenstillstand werden

Sprecher der Kurden erklärten bei der Abschlusskundgebung auf dem Hohenzollernring in Köln, sie würden der am Donnerstagabend ausgehandelten Feuerpause in Nordsyrien nicht trauen. Die Kölner Bundestagsabgeordnete Gisela Manderla (CDU) forderte auf der Kundgebung: "Aus der Feuerpause muss so schnell wie möglich ein dauerhafter Waffenstillstand werden."

Aufgerufen zu der Demonstration hatten mehrere linke Gruppen sowie zahlreiche Einzelpersonen. Angemeldet wurde die Kölner Demonstration vom Aktionsbündnis gegen Rechts und der Interventionistischen Linken. Unter den Tausenden Teilnehmern waren nicht nur Kurden, sondern auch Deutsche und nicht kurdische Türken.

Die Veranstalter hatten für Köln ursprünglich mit fast doppelt so vielen Teilnehmern gerechnet. Mit rund 10.000 Teilnehmern war der Kölner Protestzug bundesweit immer noch der größte. In Frankfurt protestierten rund 4.500 Demonstranten, in Hannover waren es 3.000. In Berlin wurden rund 2.000 und in Hamburg 800 Teilnehmer gezählt. Schon im Januar vergangenen Jahres hatten in Köln rund 20.000 Kurden friedlich gegen eine türkische Offensive in Nordsyrien demonstriert.



Shell-Studie: Jugendliche wollen mitreden und mitentscheiden


Jugendliche bei einer "Fridays for Future"-Demonstration in Berlin. (Archivbild)
epd-bild / Christian Ditsch
Die aktuelle Shell-Jugendstudie zeigt, dass die Ängste der jungen Generation groß sind, sie aber nicht lähmen. Das politische Engagement nimmt zu, die Empfänglichkeit für populistische Parolen wächst aber auch. Zuflucht bleiben Familie und Freunde.

Eine Generation meldet sich zu Wort und will Taten sehen. Die größte Angst haben die 12- bis 25-Jährigen heute vor der Umweltzerstörung, wie aus der 18. Shell-Jugendstudie hervorgeht, die am 14. Oktober in Berlin vorgestellt wurde. Die Studie bestätigt Trends der vergangenen Jahre, findet aber auch neue Entwicklungen. Mindestens ein Drittel der Jugendlichen ist inzwischen empfänglich für populistische Positionen. Neun Prozent stimmen rechtspopulistischen Positionen insgesamt zu.

Ein anderes Drittel verstärkt das politische Engagement. Es sind diejenigen, die sich ohnehin für Politik interessieren. Sie sind gut gebildet, zunehmend weiblich, insgesamt aber eine Minderheit. Die "Fridays for Future"-Bewegung zum Klimaschutz ist die bekannteste Form dieses Engagements weitab von der klassischen Politik. Mehr als zwei Drittel aller Jugendlichen (71 Prozent) sagen, die Politiker kümmerten sich nicht um ihre Anliegen.

Dennoch ist die Zufriedenheit mit der Demokratie gestiegen, besonders im Osten Deutschlands, von 54 Prozent im Jahr 2015 auf 66 Prozent laut der aktuellen Shell-Jugendstudie 2019. Die Politikverdrossenheit ist eine Politiker- und Parteienverdrossenheit. Die Demokratie mit ihren Institutionen und Garantien wird von der Mehrheit nicht infrage gestellt. Zudem gleichen sich 30 Jahre nach der Maueröffnung die Haltungen in West und Ost weiter an.

Tolerant, werteorientiert, pragmatisch und leistungsbereit

Fragen nach ihren Ängsten beantwortet die junge Generation ebenso eindeutig wie Fragen nach ihren Werten. Umweltzerstörung (71 Prozent) und der Klimawandel (65 Prozent) stehen an der Spitze der Befürchtungen. Die Jugendlichen beobachten aber auch eine wachsende Feinseligkeit im öffentlichen Leben, ein neuer Aspekt, nach dem die Forscher erstmals fragten.

Die Angst vor einer wachsenden Ausländerfeindlichkeit übersteigt mit 52 Prozent klar die Angst vor weiterer Zuwanderung (33 Prozent). Dafür mag auch eine Rolle spielen, dass knapp ein Drittel der jungen Generation inzwischen entweder selbst einen Migrationshintergrund hat oder nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Die junge Generation ist der Studie zufolge insgesamt tolerant, werteorientiert, pragmatisch und leistungsbereit. Das hat sich seit den frühen 2000er Jahren noch verstärkt. Familienleben, eine gute Beziehung zu den Eltern, Freunde und die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben stehen weiter hoch im Kurs. Viele junge Menschen können sich aber nicht vorstellen, wie sie das alles unter einen Hut bringen sollen. Das zeigte sich bei der Frage, wie sie leben wollen, wenn sie 30 Jahre alt sind und ein zweijähriges Kind haben. Die Mehrheit der jungen Frauen und Männer findet, dass die Frau dann beruflich kürzer treten muss. Mehr als zwei Drittel wollen einmal Kinder haben.

Giffey forderte Senkung des Wahlalters

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) findet es überraschend, dass junge Leute bei traditionellen Rollenbildern Zuflucht suchen und betonte, dies sei im Westen stärker ausgeprägt als im Osten Deutschlands. Ihr Ziel sei es, die Vereinbarkeit von Familienleben und Beruf weiter zu verbessern, sagte sie. Dass sich mehr als zwei Drittel der jungen Menschen von Politikerinnen und Politikern nicht vertreten fühlen, nahm Giffey zum Anlass, erneut eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre zu fordern. Die Initiative dazu brauche aber eine breite politische Mehrheit, sagte sie.

Die Shell-Jugendstudie wurde von einem Forscherteam um den Bielefelder Politikwissenschaftler Mathias Albert erarbeitet, zu dem auch der frühere Leiter der Studie, Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School of Governance, gehört. Die repräsentative Umfrage lieferte das Münchner Meinungsforschungsinstitut Kantar Public. Von Januar bis März dieses Jahres wurden 2.572 Jugendliche im Alter von zwölf bis 25 Jahren befragt.

Der Shell-Konzern beauftragt seit 1953 unabhängige Wissenschaftler mit der Erstellung von Jugendstudien. 2015 standen die auffällige Werte-Orientierung der jungen Menschen und ihr wachsendes politisches Interesse im Mittelpunkt. Die Shell-Jugendstudie von 2010 zeigte besonders, wie stark die soziale Herkunft die Zukunftserwartungen von Jugendlichen bestimmt. Daran hat sich der aktuellen Erhebung zufolge wenig geändert. Zwar blickt eine Mehrheit zuversichtlich in die Zukunft (58 Prozent), Jugendliche aus den unteren Schichten sind aber weniger optimistisch.

Von Bettina Markmeyer (epd)


Steuermaßnahmen zum Klimapaket verabschiedet

Die Regierung dreht an der Steuerschraube und will die Menschen in Deutschland so zu klimafreundlicherem Handeln bewegen. Es gibt scharfe Kritik - unter anderem von Grünen und Sozialverbänden.

Knapp einen Monat nach Vorstellung des Klimapakets hat das Bundeskabinett einige der dazugehörigen Steuermaßnahmen auf den Weg gebracht. Die Ministerrunde beschloss am 16. Oktober in Berlin unter anderem Gesetzentwürfe, die Bundesbürger zu einem klimafreundlicheren Leben bewegen sollen. Demnach werden Bahnfahrten billiger und Flüge teurer. Mehr kosten wird künftig auch das Heizen und das Tanken. An anderer Stelle wird wiederum entlastet: So ist eine höhere Pendlerpauschale vorgesehen, eine "Mobilitätsprämie" für Geringverdiener sowie die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung.

In der vergangenen Woche hat das Kabinett bereits ein Klimaschutzgesetz beschlossen, das sicherstellen soll, dass die deutschen Klimaziele für 2030 verbindlich erreicht werden. Die einzelnen Ministerien werden dafür in die Pflicht genommen. Deutschland will mit dem Maßnahmenpaket bis 2030 die Treibhausgas-Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 senken und bis 2050 treibhausgasneutral sein.

"Klein-Klein"

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter, bewertete die nun beschlossenen Maßnahmen als "Klein-Klein im Klimaschutz". Einzelne sinnvolle Schritte wie günstigere Bahntickets könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Koalition beim Abbau umweltschädlicher Subventionen, beim Ausbau der Erneuerbaren oder der CO2-Bepreisung der Mut zum wirksamen Handeln fehle. Der vielfach beschworene nationale Klimakonsens entpuppe sich zudem "als reines PR-Manöver", kritisierte Hofreiter. Gespräche etwa mit den Grünen habe es bislang nicht gegeben.

Konkret soll ab 1. Januar 2020 das Bahnfahren auf Fernstrecken um zehn Prozent günstiger werden, indem die Mehrwertsteuer für Fernverkehrstickets von 19 auf sieben Prozent gesenkt wird. Flugtickets sollen wiederum über die Luftverkehrssteuer ab 1. April 2020 teurer werden. Dabei steigt der Steuersatz für kürzere Flüge stärker, um Reisende dazu zu bringen, vom Flugzeug auf die Bahn umzusteigen. So werde er bei einer Flugdistanz bis zu 2.500 Kilometern um 74 Prozent auf 13,03 Euro erhöht, bei Flügen zwischen 2.500 Kilometern und 6.000 Kilometern um 41 Prozent auf 33,01 Euro und bei einer Distanz von über 6.000 Kilometern um ebenfalls 41 Prozent auf 59,43 Euro.

Beschlossen wurden auch Eckpunkte zur CO2-Bepreisung für fossile Brennstoffe wie Öl und Gas: Wer Treibhausgase in die Umwelt bläst, braucht dafür ab 2021 also Verschmutzungszertifikate, die immer teurer werden. Der nationale CO2-Preis soll die Bereiche Verkehr, Gebäude und Teile der Industrie umfassen, die nicht durch den bestehenden europäischen Emissionshandel abgedeckt sind. Die Kohle soll aus organisatorischen Gründen erst in einem zweiten Schritt mit einbezogen werden.

Die Pendlerpauschale wird 2021 befristet bis Ende 2026 ab dem 21. Kilometer um fünf Cent auf 35 Cent pro Kilometer erhöht, um diejenigen nicht zu benachteiligen, die weiter auf das Auto angewiesen sind. Die neue "Mobilitätsprämie" soll mehr als 200.000 Menschen zugutekommen, die zu wenig verdienen, um von der Pendlerpauschale zu profitieren.

"Sozial ungerecht"

Sozialverbände kritisierten das Klimapaket als sozial ungerecht. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands erklärte: "Was hier im Bereich der Mobilität verabschiedet wurde, nimmt nicht alle mit." Auch bei der vorgesehenen Absenkung der Fernverkehrspreise, würden sich viele kein Ticket leisten können. Von den Maßnahmen profitiere insbesondere der Personenkreis von der Mittelschicht aufwärts. Der Schwerpunkt müsse dagegen auf der Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und leistbarer Mobilität für alle liegen.

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland, sagte, Rentner und chronisch Kranke dürften nicht aus dem Blick geraten. "Sie müssen häufig weite Strecken zu Ärzten fahren", betonte sie. "Man kann sie nicht dafür bestrafen, dafür das Auto zu benutzen, wenn es keine Alternativen gibt."



Ehemaliger SS-Wachmann bestreitet Mitschuld am Massenmord


Der ehemalige SS-Wachmann Bruno D. vor Gericht
epd-bild/dpa-Pool/Daniel Bockwoldt
Vor dem Landgericht Hamburg hat der Prozess gegen den 93-jährigen Bruno D. begonnen. Zu Beginn ließ er über seinen Verteidiger erklären, er stehe zu seiner Zeit als SS-Wachmann im KZ Stutthof. In den kommenden Prozesstagen will er auch aussagen.

Mit der Verlesung der Anklageschrift hat am 17. Oktober der Prozess gegen den ehemaligen SS-Wachmann Bruno D. vor dem Hamburger Landgericht begonnen. Der Angeklagte erschien im Rollstuhl und in Begleitung seiner Tochter und seines Verteidigers vor Gericht, machte zunächst jedoch keine persönliche Aussage. Sein Verteidiger kündigte an, dass D. in der kommenden Woche Fragen der Staatsanwaltschaft beantworten werde.

Bruno D. hatte während der Ermittlungen in Befragungen durch Polizei und Staatanwaltschaft seine Tätigkeit als SS-Wachmann zugegeben. Sein Mandant stehe zu all diesen Angaben, sagte sein Verteidiger Stefan Waterkamp. Jedoch sehe er keine Schuld bei sich, weil er aktiv niemanden umgebracht habe, sagte der Anwalt in einer zu Beginn der Hauptverhandlung verlesenen Erklärung.

Beihilfe zum Mord in mehr als 5.230 Fällen

Die Staatsanwaltschaft wirft dem heute 93-Jährigen Beihilfe zum Mord in mehr als 5.230 Fällen vor. Bruno D. soll zwischen August 1944 und April 1945 im Konzentrationslager Stutthof (bei Danzig) die Tötung jüdischer Häftlinge "durch bewusste Herbeiführung und Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen wie Nahrungsentzug und Verweigerung medizinischer Versorgung" unterstützt haben. In dem Verfahren vertreten 14 Verteidiger insgesamt 28 Nebenkläger, darunter Nachfahren von ehemaligen Insassen des KZ Stutthof.

Zu den Aufgaben des zur Tatzeit 17- und 18-jährigen Angeschuldigten gehörte es laut Staatsanwaltschaft im Rahmen des Wachdienstes, die Flucht, Revolte und Befreiung von Häftlingen zu verhindern. In Stutthof wurden schätzungsweise 65.000 Menschen umgebracht. Zu den Tötungsmethoden gehörten gezielter Genickschuss, Vergasung mit dem Gift "Zyklon B" und die Aufrechterhaltung lebensfeindlicher Bedingungen. Über all dies sei der Angeklagte ohne Zweifel informiert gewesen, heißt es in der Anklage.

D.s Verteidiger Waterkamp warf der Justiz eine "Verfahrensverzögerung von mindestens 60 Jahren" vor. Sein Mandant habe bereits 1975 in einem Sammelverfahren und 1982 in einer Vernehmung als Zeuge umfangreiche Aussagen zu seiner Tätigkeit im KZ Stutthof gemacht. Zu einem Ermittlungsverfahren sei es nicht gekommen.

Einziger Grund, dass D. nun vor Gericht stehe, sei eine Änderung der Rechtssprechung. Erst seit der Verurteilung des KZ-Helfers John Demjanjuk 2011 gerieten auch KZ-Helfer ins Visier der Justiz, denen keine individuellen Verbrechen nachgewiesen werden konnten. In Deutschland laufen nach Recherchen des "Norddeutschen Rundfunks" noch 29 Strafverfahren gegen mutmaßliche NS-Verbrecher.

"Eine Frage der Gerechtigkeit"

"Helfer wie D. sorgten dafür, dass keiner aus der Hölle von Stutthof entkommen konnte", sagte Nebenkläger-Vertreter Cornelius Nestler. Seine Mandantin hoffe, dass D. zu einem Dialog über Verantwortung bereit sei. "Es ist eine Frage der Gerechtigkeit." Im Namen seiner Mandantin Judy Meisel beschrieb er, wie diese als Jugendliche ihrer Mutter zum letzten Mal vor der Gaskammer des KZ begegnete, bevor die Mutter hineingeführt wurde. Meisel überlebte Stutthof und lebt heute in den USA. Die 94-Jährige ist zu schwach, um zum Prozess anzureisen.

Im Gerichtssaal anwesend waren neben den Prozessbeteiligten nur akkreditierte Personen, darunter mehrere Journalisten. Da D. zur Tatzeit zwischen 17 und 18 Jahren alt war, findet das Verfahren vor einer Jugendstrafkammer des Landgerichts statt. Daher gelten auch besondere Prozessbedingungen.

Bis Weihnachten sind elf Verhandlungstermine angesetzt. Im Falle einer Verurteilung D.s müsste zunächst geprüft werden, ob er die Haft antreten kann.



Deutsch lernen für einen guten Job


Ausländische Teilnehmer eines Integrationskurses
epd-bild / Gustavo Alàbiso
Sprachkenntnisse sind fundamental wichtig für Zuwanderer. Nur etwa die Hälfte der Absolventen von Integrationskursen erreicht das höchste Kursziel.

Georgios Antonellis (21) sorgt in seiner Klasse gern für Lacher. "Wodka und Wein", antwortet der Grieche mit einem Augenzwinkern auf die Frage seiner Sitznachbarin, welche Getränke sie für die gemeinsame Tour einkaufen sollten. Das Motto ihres Dialogs lautet "Ein Ausflug mit dem Rad". Die Teilnehmer des Integrationskurses für Zugewanderte der Volkshochschule Osnabrücker Land sollen das freie Sprechen üben. Ende November steht die Prüfung an. Antonellis und die Rumänin Timona Ursu (23) meistern die Aufgabe ohne Probleme. "Das ist ein starker Kurs", lobt Lehrerin Marta Szmuk (62).

Dennoch werden wahrscheinlich nicht alle zwölf Teilnehmer die Prüfung bestehen. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), haben 2018 bundesweit nur etwas mehr als die Hälfte der Absolventen das höchste Kursziel B1 erreicht, ein Drittel das niedrigere Level A2.

Unverständliche Inhalte

Das Integrationskurssystem in Deutschland wird vom Bamf koordiniert. Es vermittelt EU-Bürger ebenso wie Flüchtlinge oder andere Zuwanderer. Der Anteil der B1-Absolventen ist seit 2015 kontinuierlich gesunken. Dafür macht das Amt vor allem die gestiegene Zahl der Analphabeten verantwortlich, die spezielle Kurse besuchen und kaum das B1-Niveau erreichen.

Experten sehen aber auch Mängel im System. Andrea Daase, Sprachwissenschaftlerin an den Universitäten Bielefeld und Bremen, kritisiert, die Niveaustufen seien zu starr und die Tests zu standardisiert. Sie stammten aus der Fremdsprachenpädagogik und würden den individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen der Zuwanderer nicht gerecht. Viele Inhalte hätten mit der Lebenswirklichkeit der Menschen nichts zu tun und seien für sie unverständlich.

Lernmotivation

Viele Zuwanderer täten sich schwer mit dem Unterrichts- und Prüfungssystem, berichtet auch Abteilungsleiterin Tanja Pöhler von der VHS Osnabrücker Land. Zahlreiche Flüchtlinge müssten sich überhaupt erst an selbstständiges Lernen mit Büchern gewöhnen. Der Prüfungsdruck führe mitunter zu bizarren Ergebnissen: "Teilnehmer lernen Beispieltests aus dem Internet auswendig und geben sie eins zu eins wieder."

Das Bamf erklärt auf seiner Homepage, dass die Kursangebote kontinuierlich an die unterschiedlichen Bedürfnisse der Teilnehmer angepasst würden, unter anderem mit Kursen für unterschiedliche Zielgruppen, Qualifizierung der Lehrenden für den Umgang mit Traumata und der Förderung von Lern- und Sozialbegleitung.

Kursleiterin Szmuk übt in diesen Wochen im Unterricht mit ihren Schülerinnen und Schülern für die Prüfung. Der Test sei auch Lernmotivation, sagt sie. Immerhin ist das B1-Zertifikat Voraussetzung für die Teilnahme an weiteren Sprachkursen für Beruf oder Studium. So möchte Albashayer Alkhuder (21) aus Syrien ihr Pharmazie-Studium fortführen, das sie mit der Flucht vor dem Krieg abbrechen musste. Niramon Niemeyer (33) aus Thailand hofft auf eine Ausbildung zur Altenpflegerin. Liliana Kurea (50) aus Rumänien bringt ihre Motivation so auf den Punkt: "Wer nicht gut Deutsch spricht, landet bei einer Zeitarbeitsfirma."

Kritik an Vermittlungsverfahren

Tanja Pöhler von der VHS hält die Kursdauer von 600 Stunden für zu kurz. Ursprünglich seien die 2005 erstmals angebotenen Integrationskurse mit 1.000 Stunden gestartet, sagt sie.

Katja Bielefeld, Leiterin des Migrationszentrums im Landkreis Osnabrück, sieht bei der Vermittlung in die Kurse durch das Bamf mit Hilfe von Einstuftungstests Mängel. "Die Behördenmitarbeiter kennen weder die Personen noch die Gegebenheit vor Ort." Erreichbarkeit mit dem Bus, Kinderbetreuung in Randstunden, Schichtarbeit, chronische Erkrankungen, psychische Probleme - all das bleibe unberücksichtigt. Die Folge: Kursteilnehmer springen ab.

Der Landkreis steuere mit einem eigenen Projekt gegen, das auch von anderen Kommunen schon angefragt worden sei, sagt Bielefeld: Im "Kooperativen Integrationsmanagement für Migranten" achten Experten vor Ort darauf, dass die Bedürfnisse der Zuwanderer bei der Kurszuweisung berücksichtigt werden.

Im Kurs von Marta Szmuk haben bislang alle durchgehalten - auch Merwan Kanjo (37), der schon vor 19 Jahren aus Syrien kam und sich ein Deutsch mit vielen Fehlern angeeignet hat. Oder Sergio Karakas (34) aus Moldawien, der nach dem Unterricht jede Nacht als Lkw-Fahrer arbeitet. Die Kursleiterin ist zuversichtlich: "Sehr viele werden die B1-Prüfung schaffen."

Von Martina Schwager (epd)


Wenn Eltern ihre Kinder tracken


GPS-Tracker-Anhänger an einem Schulranzen
epd-bild/Maike Glöckner
Mit GPS-Trackern können Eltern den Standort ihrer Kinder orten. Die Hersteller versprechen weniger Sorgen für die Eltern. GPS-Geräte für Kinder schaffen eine falsche Sicherheit, sagen jedoch Kritiker.

Seit Elijah laufen kann, ist er immer wieder davongerannt. Elijah ist Autist und nimmt Dinge anders wahr als Nicht-Autisten. "Wenn andere Kinder Mama oder Papa nicht mehr sehen, dann rufen sie - aber Elijah war das völlig egal", erzählt seine Mutter Leonie Richter (Name geändert). Zwei "extreme Situationen", bei denen Elijah als kleiner Junge zeitweise verschwunden sei, hätten sie traumatisiert, sagt Richter.

"Im Notfall achschauen"

Neben der Furcht, dass Elijah alleine nicht zurückfindet, sei auch immer die Angst dagewesen, dass "böse Menschen" seine schutzlose Situation ausnützen könnten. Vor anderthalb Jahren beschlossen die Richters deshalb, einen GPS-Tracker für Elijah zu kaufen, um ihren mittlerweile neunjährigen Sohn im Notfall jederzeit wiederfinden zu können. "Das GPS gibt uns jetzt einfach Sicherheit", sagt Richter. "Im Notfall kann ich nachschauen, wo er ist."

Ein GPS-Tracker überträgt die Position des Gerätes in Echtzeit. Eltern können so am Smartphone nachverfolgen, wo ihr Kind sich im Augenblick aufhält. Neben Smartphones, die grundsätzlich eine GPS-Funktion besitzen, gibt es spezielle GPS-Tracker für Kinder. Zu kaufen sind sie etwa als bunte Uhren, Anhänger für den Schulranzen oder als Einlagen für die Schuhe. Hersteller werben: Eltern wissen durch die GPS-Geräte immer, wo sich ihr Kind aufhält.

Dass Kinder verschwinden oder entführt werden könnten, gehört wohl zu den größten Ängsten von Eltern. Die intensive Berichterstattung der Medien bei Einzelfällen suggeriert laut Bundeskriminalamt ein hohes Gefährdungspotenzial für alle Kinder. Die Statistik zeigt jedoch, dass der Anteil der Kinder, deren Verbleib auch nach längerer Zeit nicht geklärt ist, sehr gering ist.

"Behindert Selbstständigwerden"

Bei Kindern im Autismus-Spektrum wie bei Elijah kann es der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, noch nachvollziehen, dass Eltern sich ein GPS-Gerät anschaffen: "Ich würde aber immer in den Vordergrund stellen - auch bei solchen Kindern - die Geräte nur zeitweise einzusetzen."

Ansonsten ist Beckmann strikt gegen GPS-Tracker. Er sieht in den Geräten eine Gefahr für die Entwicklung der Kinder: "Man behindert dadurch das Selbstständigwerden." Wichtiger sei, Kinder frühzeitig über Gefahren aufzuklären, das Verhalten gegenüber Fremden abzusprechen und klare Regeln zu vereinbaren. Zudem wendet Beckmann ein, dass Kinder durch Ortungsgeräte nicht besser geschützt seien. "Vorfälle können auch durch das Tracking nicht verhindert werden", sagt er. "Sie schaffen eher eine trügerische Sicherheit."

Obwohl die Mehrheit der Eltern ihre Kinder nicht per GPS ortet, kann sich das doch nahezu die Hälfte der Mütter und Väter vorstellen, wie eine Befragung der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im Dezember 2017 ergab. Die andere Hälfte, die sich gegen eine Nutzung von GPS-Geräten aussprach, sah in einer Überwachung ein zu starkes Eindringen in die Privatsphäre des Kindes. Außerdem fanden viele Eltern, dass man seinem Kind auch vertrauen können müsse. Rund ein Drittel der Befragten sorgte sich zudem um den Datenschutz: Sie fürchteten den Zugriff Dritter auf die Daten.

Die Kritikpunkte der befragten Eltern teilt auch Marc Urlen vom Deutschen Jugendinstitut. "Kinder von klein auf zu überwachen, ist nicht okay", findet er. Zudem kritisiert Urlen erhebliche Sicherheitsmängel bei GPS-Trackern für Kinder: "Teilweise lassen sie sich leicht von Dritten anpeilen." Ein Vergleichstest aus dem Jahr 2017 stützt Urlens Kritik: Das AV-Test Institut prüfte sechs Kinderuhren mit GPS-Funktion, und bei allen stellten die Tester "erschreckende Sicherheitslücken" fest.

Mangelder Datenschutz

Die meisten Anbieter der getesteten GPS-Kinderuhren gewährleisteten den Datenschutz nicht ausreichend. Sie sammelten neben den Standortinformationen weitere sensible Daten wie etwa Rufnummern und Vitaldaten des Kindes. Im Test zeigten sich alle Kinderuhren darüber hinaus anfällig für sogenanntes Call ID Spoofing: Dabei ist es möglich, die wahre Identität des Absenders zu verschleiern. Zeigt die Uhr dem Kind an, dass Anrufe oder Textnachrichten von Mutter, Vater oder Oma stammen, muss das nicht zwingend der Fall sein.

"Das Sicherheitsbedürfnis der Eltern wird ausgenutzt", ist sich Urlen vom Deutschen Jugendinstitut sicher. "Sehr bedenkliche Geräte werden auf den Markt geworfen, weil es eine Nachfrage gibt."

Auch an Schulen sind GPS-Tracker mittlerweile ein Thema. "Bei uns ist das Problem nach den vergangenen Weihnachtsferien aufgekommen", erzählt Anke Schneider, Schulleiterin einer Grundschule in Hessen. Nachdem immer mehr Kinder GPS-Uhren trugen, entschloss sich die Schulleitung dazu, die Ortungsgeräte erst einmal zu verbieten. "Wir sehen einfach keine Notwendigkeit, dass Kinder solche Uhren tragen", sagt Schneider.

Leonie Richter erzählt, dass es ihr nie in den Sinn gekommen sei, Elijah das GPS-Gerät mit in den Kindergarten oder in die Schule zu geben. Er trage das Ortungsgerät meist nur in den Ferien oder in einer fremden Stadt. "Im Dorf lassen wir ihm die Freiheit", sagt die Mutter von zwei Kindern. Für ihre Tochter, die keine Autistin ist, würde sie auch nie ein GPS-Gerät kaufen, betont Richter. "Klar habe ich bei beiden Kindern Angst, dass sie verloren gehen. Aber ich muss auch lernen loszulassen."

Von Johanna Greuter (epd)


NRW reduziert Unterbringungskapazitäten für Flüchtlinge

Nordrhein-Westfalen reagiert auf sinkende Flüchtlingszahlen mit einer Reduzierung von Unterbringungsplätzen. Abgebaut werden die aktiv betriebenen Plätze in den landeseigenen Zentralen Unterbringungseinrichtungen (ZUE) von rund 25.000 auf knapp 20.000, wie das Düsseldorfer Flüchtlings- und Integrationsministerium am 16. Oktober mitteilte. Das Bundesland verfüge auch weiterhin über ausreichende Kapazitäten und Reserven, um auf wieder ansteigende Flüchtlingszahlen vorbereitet zu sein. Künftig verfüge NRW neben der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Bochum weiter über fünf Erstaufnahmeeinrichtungen (EAE) und 30 Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE).

Im laufenden Jahr kamen den Angaben nach 19.346 Flüchtlinge nach Nordrhein-Westfalen (Stand: 30. September). Dieser Wert liege deutlich unter dem der vorherigen Jahre, hieß es. Im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres waren es 23.243, bis Dezember 30.203. Im Jahr 2015 waren insgesamt 231.878 Flüchtlinge nach NRW gekommen.

Das Integrations- und Flüchtlingsministerium hat den Angaben nach entschieden, insgesamt acht aktiv betriebene Unterbringungs- sowie sogenannte "Stand-by"-Einrichtungen mit Reserveplätzen in allen fünf Regierungsbezirken des Landes zu schließen. Im Regierungsbezirk Arnsberg sind dies die ZUE Rüthen sowie die Stand-by-Einrichtungen in Bochum und Bad Laasphe. Im Regierungsbezirk Detmold ist die ZUE Oerlinghausen von der Schließung betroffen, im Regierungsbezirk Düsseldorf sind dies die ZUEs Niederkrüchten und Wuppertal IV. Im Regierungsbezirk Köln wird die ZUE Kall in der Eifel geschlossen, im Regierungsbezirk Münster die Stand-by-Einrichtung in Bottrop.

Die zuletzt im Dezember 2017 festgelegten Kapazitäten seien im Verlauf des Jahres überprüft und nun angepasst worden, erklärte das Ministerium. Dies habe keine Auswirkungen auf den im Vorjahr verabschiedeten Asylstufenplan. An dem Ziel der Entlastung der Kommunen werde weiter festgehalten, indem ihnen möglichst nur anerkannte Flüchtlinge oder solche mit guter Bleibeperspektive zugewiesen werden sollen.

Das Ministerium verwies darauf, dass mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vereinbart wurde, Asylverfahren zu beschleunigen und die Aufenthaltszeiten von Flüchtlingen in den Landeseinrichtungen zu verlängern. Bei einem abgelehntem Asylverfahren werde verstärkt aus den Landeseinrichtungen abgeschoben. Das Ministerium kündigte zudem an, mehr Menschen, die als sogenannte Dublin-Fälle für ihre Asylverfahren in andere EU-Länder zurückkehren müssen, direkt aus den Landeseinrichtungen heraus zurückzuführen.



Luisa Neubauer: "Keine Zeit mehr für schlechte Klimapakete"

Die Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer hat die Bundesregierung erneut für deren Klimapolitik kritisiert. "Wir haben keine Zeit mehr, um weiter mit schlechten Klimapaketen zu hantieren", sagte sie am 19. Oktober bei einer Diskussionsveranstaltung mit dem Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, Armin Laschet (CDU), auf der Frankfurter Buchmesse.

Die Wissenschaft sei sich einig, dass die Maßnahmen des im Oktober beschlossenen Klimapakets nicht ausreichen, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, sagte die Studentin und Mit-Initiatorin von "Fridays for Future". "Wir vernarren uns in kleine Fragen und vergessen, dass es um Leben und Tod geht." Statt den Ausbau regenerativer Energien zu fördern, steige Deutschland aus der Windbranche aus, kritisierte Neubauer.

Laschet nahm die Bundesregierung in Schutz: Zwar müsse auch in Deutschland mehr getan werden, aber dass überhaupt Ziele in den Bereichen Wohnung und Verkehr verabschiedet wurden, sei bereits eine Leistung. Um die in Paris beschlossenen Vereinbarungen zu erreichen, müssten andere Länder nachziehen, betonte Laschet. Dafür brauche es eine "Klimaaußenpolitik".

Besonders scharf kritisierte die "Fridays for Future"-Aktivistin Laschet für die Räumung des Hambacher Forstes im September 2018. "Sie haben Hand in Hand mit RWE Konzernpolitik betrieben", sagte Neubauer. Die Studentin forderte, dass die Räumung in einem Untersuchungssauschuss im nordrheinwestfälischen Landtag aufgearbeitet wird.

Der NRW-Ministerpräsident verteidigte die umstrittene Räumung des etwa 200 Hektar großen Areals: Der Rodungsbeschluss sei vor seinem Amtsantritt im Jahr 2017 gefällt worden. "Als Ministerpräsident bin ich an geltendes Recht gebunden", sagte Laschet. Er sei in den Konflikt "hineingeraten". Zu einem Untersuchungsausschuss sagte er: "Von mir aus können sie alles untersuchen."



Umfrage: Mehrheit sieht wachsenden Antisemitismus in Deutschland

Nach dem rechtsextremen Anschlag auf eine Synagoge in Halle in der vergangenen Woche sehen deutlich mehr Bürger einen wachsenden Antisemitismus in Deutschland als noch vor einem Jahr. Nach einer aktuellen Umfrage des ARD-Morgenmagazins sind 59 Prozent der Bundesbürger der Meinung, dass sich Antisemitismus in Deutschland ausbreitet, wie der WDR am 18. Oktober mitteilte. Das sind fast 20 Prozentpunkte (19 Punkte) mehr als noch vor einem Jahr. Der Anteil der Menschen, die keine steigende Judenfeindlichkeit sehen, sank um 16 Punkte auf 35 Prozent.

Von den Anhängern von Union, FDP, SPD, Linke und Grünen sehen den Angaben zufolge mindestens zwei Drittel eine Zunahme des Antisemitismus. Bei Anhängern der AfD ist die Meinung geteilt mit 47 zu 48 Prozent.

Bei dem Anschlag von Halle am 9. Oktober hatte ein schwer bewaffneter Mann zwei Menschen erschossen und auf der Flucht zwei weitere schwer verletzt. Der Täter hatte zuvor versucht, in die Synagoge einzudringen, was misslang. Der 27-Jährige handelte nach eigener Aussage aus antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven.

Für die Umfrage "DeutschlandTrend" befragte Infratest dimap im Auftrag des "ARD-Morgenmagazins" vom 14. bis 16. Oktober mehr 1.060 wahlberechtigte Bundesbürger.



Gregor Gysi übernimmt Gastprofessur an Uni Duisburg-Essen

Der Linken-Politiker Gregor Gysi ist in diesem Wintersemester Gastprofessor der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen. In einem Seminar des Masterstudiengangs Politikmanagement werde der 71-Jährige etwa mit den Studierenden Antworten auf die dringlichsten gesellschaftlichen und demokratischen Herausforderungen erörtern, teilte die Universität am 14. Oktober mit. "Ich freue mich auf spannende Diskussionen und gegenseitigen Erkenntnisgewinn darüber, wie wir Demokratie und Politik entwickeln müssen, um in einer sich polarisierenden Gesellschaft Grundwerte und Grundrechte lebendig zu halten", sagte Gysi.

Die NRW School of Governance wird seit 2006 von der Essener Stiftung Mercator unterstützt. Gefördert werden die Gastprofessur, Promotionsstipendien, Förderpreise sowie ein internationaler Wissenschaftleraustausch. Gastprofessoren waren unter anderen der frühere Bundespräsident Christian Wulff, die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) sowie die ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Peer Steinbrück (beide SPD).



Staatsrechtler: Versammlungsfreiheit nicht unantastbar

Nach Einschätzung des Staatsrechtlers Christian Pestalozza ist es juristisch denkbar, die Versammlungsfreiheit in bestimmten Fällen einzuschränken. Bei regelmäßigen Neo-Nazi-Demos müsse wachsam beobachtet werden, ob sie das Klima in der Öffentlichkeit veränderten, sagte der Professor von der FU Berliner am 15. Oktober dem WDR mit Blick auf die montäglichen Neonazi-Versammlungen in Dortmund. Es sei "an der Zeit, dass wir uns darauf besinnen, dass das Grundgesetz nicht ganz so neutral ist, wie es im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit oft dargestellt wird".

Am Montag hatten sich nach Polizeiangaben rund 80 Rechtsextremisten zu einer Demonstration versammelt. Dabei seien unter anderem zwei Anzeigen wegen Zeigen des Hitlergrußes und eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Volksverhetzung gestellt worden. Zum "bunten und friedlichen Gegenprotest" waren laut Polizei etwa 1.600 Menschen zusammengekommen. Nach dem rechtsextremistischen Anschlag in Halle (Saale) auf die jüdische Synagoge forderten verschiedene Dortmunder Bündnisse ein Verbot der Neonazi-Kundgebungen.

Bei dem Anschlag am vergangenen Mittwoch in Halle an der Saale erschoss ein Bewaffneter zwei Menschen. Auf der Flucht schoss der Mann auf zwei weitere Menschen und verletzte sie schwer. Der schwer bewaffnete Mann hatte zuvor versucht, in die Synagoge einzudringen, was misslang. Zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur hatten sich dort zu diesem Zeitpunkt insgesamt 51 Gläubige versammelt. Der 27-Jährige handelte nach eigener Aussage aus antisemitischen und rechtsextremistischen Motiven.

Pestalozza sagte, die Versammlungsfreiheit sei ein "hohes Gut". Gerichte seien gegenüber der Meinungs- und Versammlungsfreiheit relativ großzügig "und das ist auch in Ordnung", sagte der Staatsrechtler. Allerdings fordere das Grundgesetz auch, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen. Wenn man diese Grundordnung, Rechtsstaat und Menschenwürde durch rechte Aufmärsche bedroht sehe, müsse überlegt werden, ob das nicht ein Grund wäre, die Möglichkeiten für solche Versammlungen einzuengen. So könne etwa versucht werden, den wöchentlichen Rhythmus der Demos in Dortmund zu unterbrechen, "damit sich das nicht wie eine Institution einbürgert und festsetzt im Eindruck der Öffentlichkeit". Ein solcher Normalisierungseffekt sei problematisch.

Die Partei "Die Rechte" hatte Ende September angekündigt, montags im Dortmund demonstrieren zu wollen. Hintergrund ist eine Aktion von Stadt, Polizei und Bürgern: Anfang September wurden Graffiti-Künstler beauftragt, extremistische Schmierereien an der Emscherstraße in Dortmund-Dorstfeld zu übersprühen. Die Gegend gilt als Neonazi-Hochburg. Daraufhin kündigten Dortmunder Rechte die regelmäßigen Proteste an.



Angriff auf jüdischen Professor im Bonner Hofgarten

Wegen des Angriffs auf einen jüdischen Professor im Bonner Hofgarten im Juli vergangenen Jahres hat das Amtsgericht Bonn den inzwischen 21-jährigen Angeklagten wegen Volksverhetzung und Nötigung nach Jugendstrafrecht verurteilt. Der Deutsche mit palästinensischen Wurzeln, der auch wegen weiterer Delikte wie Beleidigung eines JVA-Beamten, Bedrohung und Schwarzfahrens angeklagt und bereits wegen anderer Vergehen zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt war, erhält nun eine um neun Monate erhöhte Einheitsjugendstrafe, wie das Amtsgericht Bonn am 14. Oktober mitteilte. (AZ: 604 LS 23/19) Diese beläuft sich nun auf vier Jahre und sechs Monate.

Der Verurteilte hat zudem die Kosten der Nebenklage zu tragen, also die Kosten, die dem geschädigten Professor für die Wahrnehmung seiner Rechte als Nebenkläger in dem Verfahren entstanden sind.

Der Vorfall mit dem in den USA lebenden israelischen Professor im Bonner Hofgarten hatte international Schlagzeilen gemacht. Zunächst hatte der Täter dem Professor die jüdische Kopfbedeckung Kippa heruntergeschlagen, ihn zudem geschubst und geschlagen. Dabei soll er unter anderem "Kein Jude in Deutschland" gerufen haben. Als die von der Begleiterin des Angegriffenen alarmierte Polizei vor Ort erschien, flüchtete der Angreifer. Der Professor verfolgte ihn und wurde dabei von der Polizei fälschlicherweise für den Angreifer gehalten und laut Medienberichten zu Boden geworfen und geschlagen. Gegen die Beamten, die den Wissenschaftler bei dem Einsatz verletzt hatten, wurde das Ermittlungsverfahren eingestellt.

Die Bonner Richter sahen es als erwiesen an, dass der Angeklagte den Professor nicht nur persönlich beleidigen, sondern als Mitglied der jüdischen Religionsgemeinschaft verunglimpfen wollte. Dies sei durch seine Äußerungen deutlich geworden und dadurch, dass er ihm die Kippa, ein Symbol des jüdischen Glaubens, vom Kopf gerissen hat. Da dies in dem belebten Hofgarten erfolgte, sei die Tat geeignet gewesen, den öffentlichen Frieden zu stören. Sie erfülle daher den Tatbestand der Volksverhetzung, erklärte das Gericht.

Zugunsten des Angeklagten sei eine verminderte Schuldfähigkeit wegen des Konsums von Cannabis und wegen seiner Persönlichkeitsstruktur angenommen worden, erklärte das Gericht. Strafmildernd habe sich zudem seine überzeugend zum Ausdruck gekommene Abkehr von seiner Abneigung gegen Juden ausgewirkt. Strafschärfend habe sich allerdings ausgewirkt, dass die Delikte während einer Haftverschonung begangen wurden.



Digitalcourage legt Verfassungsbeschwerde gegen Polizeigesetz ein

Die Datenschutzorganisation Digitalcourage will am 30. Oktober eine Verfassungsbeschwerde gegen das neue Polizeigesetz für Nordrhein-Westfalen einreichen. Digitalcourage sei davon überzeugt, dass mehrere Grundrechte durch die Verschärfungen des Polizeigesetzes unverhältnismäßig eingeschränkt würden, erklärte der Verein am 17. Oktober in Bielefeld. Vertreter von Digitalcourage wollen die Beschwerde gemeinsam mit dem Verfahrensbevollmächtigten, dem Berliner Rechtswissenschaftler Jan Dirk Roggenkamp, persönlich beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einreichen.

Die Verfassungsbeschwerde greife die Quellen-Telekommunikationsüberwachung unter Einsatz von Staatstrojanern und die klassische Telekommunikationsüberwachung an, erklärte Digitalcourage. Das neue Polizeigesetz war am 12. Dezember 2018 von der schwarz-gelben Regierungskoalition und den Stimmen der SPD im Landtag verabschiedet worden.

Das neue Gesetz weitet die Befugnisse der Polizei bei der Terrorabwehr und Alltagskriminalität deutlich aus - insbesondere bei der Überwachung von digitaler Kommunikation und dem Umgang mit Gefährdern. Die Landespolizei kann unter anderem Staatstrojaner einsetzen, um verschlüsselte Messenger auszulesen, oder an eigens definierten "Gefahrenorten" Fahrzeuge kontrollieren. Nach Kritik von Datenschützern und Menschenrechtlern war der ursprüngliche Entwurf in vielen Punkten leicht entschärft worden.



Islamforscherin warnt vor Zusammenarbeit mit türkischer Ditib

Die Frankfurter Islamforscherin Susanne Schröter warnt vor einer Zusammenarbeit mit der türkisch-islamischen Organisation Ditib. Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), die dem türkischen Religionsministerium unterstellt ist, unterstütze direkt Präsident Recep Tayyip Erdogan, sagte die Professorin der Goethe-Universität bei der Vorstellung ihres Buches "Politischer Islam. Stresstest für Deutschland" am 16. Oktober in Frankfurt. In den Ditib-Moscheen werde derzeit für einen siegreichen türkischen Kriegszug in Nordsyrien gebetet.

Erdogan, dem das Religionsministerium direkt unterstellt sei, wolle eine "türkisch-islamische Synthese" durchsetzen, sagte Schröter. Dieses Konzept werde von seinen Anhängern auch in Deutschland verfolgt. Zugleich arbeite der türkische Präsident beim Truppenvorstoß im Norden Syriens eng mit dschihadistischen Milizen zusammen - jenen islamischen Extremisten, die zuletzt eine Frau und ihren Fahrer in einem Wagen gestoppt und exekutiert hätten.

Eine Zusammenarbeit staatlicher Stellen mit der Ditib, beispielsweise in Fragen des Religionsunterrichts, halte sie im Moment für "nicht zielführend", sagte Schröter. Die Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam kritisiert generell einen zu starken Einfluss des politischen Islam hierzulande. Der politische Islam sei demokratiefeindlich und vertrete Normen wie Geschlechtertrennung und den Vorrang des religiösen Gesetzes vor dem weltlichen, sagte Schröter.

Verbände wie Ditib, der Zentralrat der Muslime, der Verband islamischer Kulturzentren oder der Islamrat, die der Sonderform des politischen Islams zuzurechnen seien, prägten das Bild des Islams in der Öffentlichkeit. Sie verträten aber nur eine Minderheit von 15 bis 20 Prozent der Muslime in Deutschland. Daher tue man Muslimen keinen Gefallen, wenn man diese Organisationen ermächtige, als Dialogpartner des Staates für alle Muslime zu sprechen.

Schröter riet dazu, mit "einseitiger Privilegierung" der Muslime aufzuhören - etwa in den Schulen, wenn getrennter Sportunterricht oder Verzicht auf Klassenarbeiten im Fastenmonat Ramadan gefordert würden. Außerdem appellierte sie an die staatliche Islampolitik, sich nicht nur Verbände als Gesprächspartner zu suchen, sondern mit liberalen Muslimen zu reden. Überhaupt gelte es, Menschen als Bürger anzusprechen, nicht als Mitglieder identitärer Gruppen: "Das könnte entspannen."

Die Ethnologin und Politologin ist unter anderem Mitglied der Hessischen Integrationskonferenz, der Deutschen Islamkonferenz sowie im Vorstand des Deutschen Orient-Instituts. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Islamismus und Dschidhadismus, progressiver und liberaler Islam wie auch Frauenbewegungen im Islam. Die 62-Jährige lehrt und forscht im Rahmen des Exzellenzclusters "Herausbildung normativer Ordnungen" an der Goethe-Universität Frankfurt. Im Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Konferenz zum islamischen Kopftuch war sie zuletzt scharf angegriffen worden; Aktivisten warfen ihr antimuslimischen Rassismus vor.




Soziales

Steinmeier: Soziale Berufe aufwerten


Steinmeier spricht auf dem Weg zum kirchlichen Zentrum der Stiftung Eben-Ezer mit Bewohnern
epd-bild/Oliver Krato
Bundespräsident Steinmeier hat eine Aufwertung von sozialen Berufen gefordert. Mit dem Besuch des Berufskollegs der diakonischen Stiftung Eben-Ezers würdigte Steinmeier ausdrücklich die Ausbildung in diesem Bereich.

Soziale Berufe müssen nach Ansicht von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dringend aufgewertet werden. Die Bundesrepublik steuere im Bereich der sozialen Berufe auf einen riesigen Mangel zu, warnte er am 18. Oktober bei seinem Besuch der diakonischen Stiftung Eben-Ezer in Lemgo. Deshalb sei es umso wichtiger, das schlechte Image dieser Berufszweige zu verbessern. "Wir müssen junge Menschen in der Berufsfindungsphase dazu bewegen, diese Bereiche nicht von vornherein auszuschließen", appellierte der Bundespräsident.

Gespräch mit Lehrenden und Studierenden über soziale Berufe

Steinmeier zeigte sich beeindruckt von der Arbeit des Berufskollegs der Stiftung und tauschte sich mit Lehrenden und Studierenden über Inhalte, Anforderungen und Zukunftsperspektiven sozialer Berufe aus. Begleitet wurde Steinmeier von NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU).

Die diakonische Stiftung Eben-Ezer bietet die Ausbildung in verschiedensten sozialen Berufszweigen unter anderem in Kombination mit der Vorbereitung zur vollwertigen Hochschulreife an. Die dreijährige gymnasiale Ausbildungszeit wird dabei um eine einjährige Fachausbildung ergänzt. In Kooperation mit der diakonischen Hochschule in Bethel werden außerdem Studiengänge beispielsweise mit Bachelorabschluss in heilpädagogischen Berufen angeboten.

Steinmeiner würdigt Stiftungsmotto "Leben in Vielfalt"

Neben der Schaffung dieser beruflichen Perspektiven würdigte der Bundespräsident die Umsetzung des Stiftungsmottos "Leben in Vielfalt", das in Eben-Ezer nicht nur verkündet, sondern mit Leben erfüllt werde. Dies sei umso wichtiger in Zeiten, in denen die Sprache und das soziale Miteinander in der Gesellschaft immer rauer werde.

Nach Angaben des Theologischen Vorstands Bartolt Haase kann die Stiftung bis zu 400 Auszubildende in den angebotenen Ausbildungsgängen und Schullaufbahnen betreuen. Damit könne der stiftungseigene Bedarf an Fachkräften weitgehend gedeckt werden. Das sei allerdings nicht selbstverständlich: "Auch wir stehen da im Wettbewerb: Berufsabsolventen können sich heute ihre die Stelle aus einer Vielzahl von Angeboten aussuchen", sagte Haase.

Die 1862 gegründete diakonische Stiftung Eben-Ezer betreut in der Region Lippe rund 3.500 hilfsbedürftige Menschen. Der Schwerpunkt liegt in der Begleitung und Unterstützung von Menschen mit Behinderungen und psycho-sozialen Problemen. Eben-Ezer bietet differenzierte Wohnangebote, Beratung, schulische und berufliche Bildung, Werkstätten, einen Integrationsbetrieb und Förderstätten.

Von Uwe Rottkamp (epd)


Die Retter der Lebensmittel


Daniel Nagy von der "Foodsharing"- Bewegung.
epd-bild/Rudolf Stumberger
Millionen Tonnen an Lebensmitteln landen in Deutschland jährlich im Müll. Die Foodsharing-Bewegung will diese Verschwendung nicht länger hinnehmen. Unterstützung bekommt sie auch von Unternehmen.

"Fairteiler" steht auf dem Blatt Papier, das mit Tesafilm auf die Tür des Kühlschranks geklebt wurde. Darunter wird mit Hilfe von Strichmännchen erklärt, was man darf und was man zu lassen habe. "Nicht alles anfassen" und "Nicht alles mitnehmen", heißt es da. Im Kühlschrank selbst liegen ein paar grüne Salate und Kohlrabi-Knollen. Daneben, in einem Holzregal, finden sich in einer Bäckerkiste Brezeln und ein Kastenbrot. Hier, im "Eine-Welt-Haus" in München, ist eine Verteilstelle für Nahrungsmittel, an der sich jeder kostenlos bedienen kann. Aufgefüllt wird sie von den Mitgliedern von Foodsharing, einem Verein, der sich nach eigener Aussage um die "Rettung" von Lebensmitteln kümmert, die sonst im Abfall landen würden.

Die Lebensmittel stammen unter anderen vom Bioladen "Vollkorner". Es handelt es sich etwa um Gemüse, das zum Geschäftsschluss am Abend übrig bleibt und am nächsten Tag nicht mehr verkauft werden kann. Oder um "abgelaufene" Milch und Joghurt, bei denen also das aufgedruckte Mindesthaltbarkeitsdatum erreicht ist. Dann schlägt die Stunde von Daniel Nagy. Der 33-Jährige kommt mit seinen Taschen in den Bioladen, um Filialleiter Simon Gruber zu fragen, ob er "abholen kann, was übrig geblieben ist".

"Uns geht es zu gut"

Nagy hat sich vor fünf Jahren der Foodsharing-Bewegung angeschlossen. Diese nimmt sich der Lebensmittel an, die ansonsten von Läden und Unternehmen weggeworfen würden, holt sie ab und verbraucht sie oder verteilt (englisch: to share) sie an andere - zum Beispiel über die "Fairteiler"-Kühlschränke.

Die Foodsharing-Bewegung wurde 2012 in Berlin gegründet. Heute gibt es einen Dachverband der lokalen Initiativen mit bundesweit 30.000 Mitgliedern. In München besteht seit 2014 eine derartige Gruppe mit fast 800 Mitgliedern.

Nagy versteht sich als "Botschafter", wie er sagt. Sein Ziel: "Ich will die Menschen über Lebensmittelverschwendung aufklären und zeigen, was man dagegen tun kann, auch zu Hause." Denn allein in München wanderten pro Tag an die 168 Tonnen an Nahrungsmitteln in den Abfall. "Uns geht es zu gut, wir wissen nicht mehr zu schätzen, was die Natur uns gibt", sagt Nagy.

Verderbliche Lebensmittel ausgeschlossen

Der Verein Foodsharing hat sich klare Regeln gegeben: Verderbliche Lebensmittel wie Fisch, Geflügel, Fleisch, rohe Eierspeisen und zubereitete Lebensmittel sowie Medikamente sind ausgeschlossen. Daran müssen sich die Aktivisten halten, die Lebensmittel einsammeln.

Auf der Homepage des Vereins findet sich darüber hinaus ein Leitfaden, der über den sicheren Umgang mit Lebensmitteln aufklärt. Beschrieben wird etwa, was man bei der Reinigung der Kühlschränke, beim Transport von Nahrung oder hinsichtlich des Mindesthaltbarkeitsdatums beachten sollte. "Lebensmittel an andere weiterzugeben ist eine sehr menschliche aber auch verantwortungsvolle Situation", schreibt der Verein in dem Ratgeber.

Warum machen die Betriebe - in München sind es laut Foodsharing rund 100 - mit? "Das gehört zu unserer Unternehmenskultur", sagt "Vollkorner"-Filialleiter Gruber. "Wir wollen Lebensmittel nicht wegwerfen." Nagy ergänzt: "Letztlich profitieren auch die Firmen, denn sie sparen sich Müllgebühren." Er selbst verbraucht das eingesammelte Essen für sich selbst oder gibt es an Freunde weiter. Bedürftigkeit spielt bei Foodsharing anders als wie bei der Tafel keine Rolle.

Von Rudolf Stumberger (epd)


"Grüne Damen und Herren" fordern mehr Unterstützung ihrer Arbeit


"Grüne Damen" im Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt am Main.
epd-bild/Heike Lyding
Sie hören zu, machen Besorgungen, trösten am Krankenbett. 50 Jahre nach ihrer Gründung kritisieren die "Grünen Damen und Herren" mangelnde Unterstützung ihres ehrenamtlichen Engagements. Für die Zukunft fordern sie neue Finanzierungsmodelle.

Die "Grünen Damen und Herren" haben zu ihrem 50. Gründungsjubiläum mehr Unterstützung für ihre ehrenamtliche Arbeit in Krankenhäusern und Altenheimen gefordert. Die Tätigkeit für hilfebedürftige Menschen werde nicht hinreichend finanziell abgesichert, sagte Käte Roos, Vorsitzende der Evangelischen Kranken- und Altenhilfe e.V., dem Dachverband der "Grünen Damen und Herren" am 16. Oktober in Bonn. "Wenn dieses freiwillige Engagement Zukunft haben soll, muss es regelhaft refinanziert werden."

Der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen, Franz Müntefering, bezeichnete die "Grünen Damen und Herren" als Zukunftsidee. Er forderte eine bessere Förderung ehrenamtlicher Dienste für ältere Menschen durch die Kommunen.

Derzeit werde die Arbeit der "Grünen Damen und Herren" über Mitgliedsbeiträge finanziert, sagte Roos. Damit könnten die Kosten für Verwaltung, Fortbildung und Organisation der 450 Ortsgruppen jedoch nicht gedeckt werden. Deshalb sei die Evangelische Kranken- und Altenhilfe im Gespräch mit den Trägern der Krankenhäuser und Altenheime sowie den Ministerien, um die Finanzierung zu sichern. Sowohl Kirchen und Politik als auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft müssten Interesse daran haben, die Arbeit der ehrenamtlichen Helfer dauerhaft abzusichern. Derzeit werbe der Hilfsverband um Fördermitgliedschaften der etwa 600 Krankenhäuser und Altenheime, in denen Grüne Damen und Herren tätig seien. Bislang seien 136 Einrichtungen dem Verein beigetreten.

Für ökumenische Fusion

Roos und Vorstandsmitglied Dieter Hackler sprachen sich zudem für eine Fusion der Evangelischen Kranken- und Altenhilfe mit der Katholischen Krankenhaus-Hilfe aus. Dadurch werde die Arbeit beider Organisationen gestärkt werden.

Müntefering betonte, die Arbeit der "Grünen Damen und Herren" sei "keine Veranstaltung von gestern". Vielmehr handele es sich um ein ausbaufähiges Zukunftsmodell. Immer mehr alte Menschen lebten alleine und hätten keine Angehörigen in der Nähe, die sich um sie kümmern könnten, wenn sie krank würden. Müntefering forderte die Kommunen auf, aufsuchende ehrenamtliche Dienste für alte Menschen zu unterstützen. Es brauche dazu auch gesetzliche Rahmenbedingungen, die die Fürsorge für alte Menschen regelten. "Wir brauchen ein Altershilfestrukturgesetz", sagte der frühere SPD-Vorsitzende.

Unterstützung erhielten die "Grünen Damen und Herren" auf ihrer Jubiläums-Veranstaltung in Bonn auch von Vertretern aus Politik, Kirche und Wohlfahrtsverbänden. Maria Loheide, Sozialpolitischer Vorstand der Diakonie in Deutschland, mahnte, das Engagement der "Grünen Damen und Herren" sei nicht zum Nulltarif zu haben, sondern brauche einen professionellen Rahmen, der die Arbeit auf ein zuverlässiges Fundament stelle.

"Leuchtendes Vorbild"

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lobte die Ehrenamtler in einem Grußwort als "leuchtendes Vorbild". Auch das Bundesfamilienministerium hob die Bedeutung der ehrenamtlichen Helfer hervor. "Mit ihrem Engagement für kranke und für alte Menschen leisten die Grünen Damen und Herren einen wichtigen Beitrag zur Mitmenschlichkeit und zur gegenseitigen Fürsorge in unserer Gesellschaft", sagte Staatssekretärin Juliane Seifert in Bonn. Ziel ihres Ministeriums sei es, eine gesellschaftliche Kultur der Wertschätzung und Anerkennung für dieses Engagement zu fördern.

Die "Grünen Damen" waren 1969 in Bonn von Brigitte Schröder, der Ehefrau des damaligen Außen- und späteren Verteidigungsministers Gerhard Schröder (CDU), gegründet worden. Erster Einsatzort der ehrenamtlichen Helferinnen in ihren lindgrünen Kitteln war das Evangelische Krankenhaus Düsseldorf. 1979 nahm der erste "Grüne Herr" den Dienst auf. Heute besuchen nach Angaben der Organisation bundesweit rund 8.000 Frauen und Männer Menschen in knapp 600 Altenheimen und Krankenhäusern. Sie machen für Patienten kleine Besorgungen, haben Zeit für ein Gespräch.



Diakonie RWL: Hartz-IV-Sanktionen grundsätzlich abschaffen

Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe fordert die Abschaffung von Hartz-IV-Sanktionen. "Besonders betroffen sind Jugendliche, deren Lebensweg noch nicht gefestigt ist", sagte Christian Heine-Göttelmann, Vorstand der Diakonie RWL, am 16. Oktober in Düsseldorf mit Blick auf den Welttag zur Beseitigung der Armut am Freitag. Den jungen Menschen drohe bei solchen Leistungskürzungen "sofort bittere Armut". Statt Sanktionen bräuchten die jungen Menschen stärkere persönliche Beratung und Ermutigung.

"Die Leistungskürzungen haben nur selten den gewünschten Effekt", kritisierte die Arbeitsmarktexpertin der Diakonie RWL, Ina Heythausen. Statt sich stärker um Ausbildung oder Job zu bemühen, brächen viele junge Menschen den Kontakt zu den Jobcentern ab, tauchten bei Freunden unter oder hielten sich mit Kleinkriminalität oder Schwarzarbeit über Wasser. Am 5. November will das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Sanktionen gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstoßen.

Hartz-IV-Empfängern unter 25 Jahren werden schon ab dem ersten Regelverstoß Leistungen gestrichen. Drei von vier Sanktionen werden dem Arbeitslosenreport der Freien Wohlfahrtspflege NRW zufolge wegen sogenannter Meldeversäumnisse verhängt, etwa nach verpassten Terminen.

Auch die Caritas setzt sich gegen die Sanktionen ein. Unter dem Motto "Weniger is nix" wollen der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) und der Sozialdienst katholischer Männer (SKM) mit einem bundesweiten Aktionstag am Donnerstag die Kürzungen des Existenzminimums zum Thema machen. Dabei wollen sie die Sanktionen bei Hartz IV öffentlich thematisieren und Lösungswege diskutieren.



Krankenkassen sollen Spurensicherung nach Vergewaltigung bezahlen

Die Koalition will es Opfern sexueller Gewalt leichter machen, zum Arzt zu gehen und die Spuren sichern zu lassen, auch wenn sie noch keine Anzeige erstattet haben. Dafür sollen künftig die Krankenkassen zahlen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte am 17. Oktober in Berlin, Vergewaltigung und sexueller Missbrauch seien furchtbare Verbrechen, die mit aller Konsequenz verfolgt werden müssten.

Häufig fehlten jedoch eindeutigen Beweise, weil viele Opfer im ersten Moment nicht die Kraft hätten, direkt zur Polizei zu gehen, sagte Spahn weiter: "Wir helfen nun, damit frühzeitig eindeutige Beweise durch Ärzte anonym gesichert werden können, um mögliche Täter später auch zu überführen."

Künftig sollen die Krankenkassen die sogenannte vertrauliche Spurensicherung in Arztpraxen und Kliniken erstatten, auch wenn die Betroffenen vorher nicht bei der Polizei Anzeige erstattet haben. Bislang müssen Gewaltopfer in solchen Fällen die Kosten vielerorts selbst übernehmen, weil es keine einheitliche Regelung gibt. Einige Bundesländer übernehmen die Kosten, andere nicht. Werden die Spuren nach oder gleichzeitig mit der Erstattung einer Strafanzeige gesichert, dann übernimmt die Polizei die Kosten.

Anonymität wahren

Die Leistungen der Krankenkassen zur vertraulichen Spurensicherung sollen nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums unter anderem die Dokumentation von Verletzungen, die Sicherung von Spermaspuren, die Untersuchung auf K.O.-Tropfen, Alkohol und etwaige Laborleistungen umfassen. Ärzte und Krankenhäuser sollen diese Leistungen mit den Kassen abrechnen, ohne dass die untersuchte Person von der Krankenkasse identifiziert werden kann.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Ich selbst kenne das Probleme noch aus meiner Zeit als Hausärztin und begrüße es ausdrücklich, dass wir mit einem Änderungsantrag die vertrauliche Spurensicherung zu einer Kassenleistung machen. Damit kommen wir einer langjährigen Forderungen von Betroffenen und Verbänden nach." Es werde sichergestellt, dass die Anonymität von Opfern sexualisierter Gewalt gewahrt werde und neben der ärztlichen Behandlung künftig auch Spuren dokumentiert würden, ohne dass die Betroffenen dafür auch noch zahlen müssten, sagte Dittmar weiter.

Die neue Kassenleistung soll über einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen Union und SPD im laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Reform des Masernschutzgesetzes beschlossen werden.



Beratungsstellen fordern Maßnahmen gegen Zwangsprostitution

Die NRW-Beratungsstellen für die Opfer von Menschenhandel fordern von Politik, Verwaltung und Justiz entschiedenere Maßnahmen gegen Zwangsprostitution. Notwendig sei unter anderem die Entkriminalisierung von Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden seien, teilten die Beratungsstellen in Dortmund anlässlich des Europäischen Tags gegen den Menschenhandel (18. Oktober) mit.

Die Frauen dürften von den Ermittlungsbehörden nicht als Täterinnen behandelt werden, weil sie zum Beispiel gegen das Aufenthaltsrecht verstoßen hätten, forderten sie. Vielmehr müsse ihnen ein "gesicherter Aufenthaltstitel" erteilt werden. Den Frauen müsse zudem freier Zugang zu Bildung und eine bundesweit einheitliche Grundversorgung nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches II gewährt werden.

Die acht Fachberatungsstellen in NRW verlangten zudem eine "konsequente Gewinnabschöpfung" aus Verfahren wegen Menschenhandels. Auch speziellen Schulungen für Mitarbeiter von Polizei, Justiz und Behörden wurden empfohlen.

Menschenhandel ist den Angaben zufolge ein lukratives Geschäft für die Täter. Die Gewinne seien vergleichbar mit jenen im Waffen- und Drogenhandel, die Strafen fielen jedoch vergleichsweise gering aus. Opfer des Menschenhandels und der Zwangsprostitution werden Frauen aus Ost- und Südosteuropa, Afrika, Asien und Lateinamerika. Sie werden mit falschen Versprechungen hierhin gelockt und dann mit psychischem Druck und Gewalt zur Prostitution gezwungen.



Bundesweite Diaspora-Aktion startet am 3. November

Die diesjährige Diaspora-Aktion des Bonifatiuswerks wird am 3. November mit einem Pontifikalamt in Mainz eröffnet. Die Kampagne unterstützt katholische Minderheiten in Deutschland, Nordeuropa, Estland und Lettland, wie das katholische Hilfswerk am 4. Oktober in Paderborn mitteilte. In diesem Jahr steht die Aktion unter dem Motto "Werde Glaubensstifter". Am 17. November wird bundesweit in katholischen Gottesdiensten die Diaspora-Kollekte gesammelt. Jährlich kommen den Angaben zufolge bis zu zwei Millionen Euro an Spendengeldern zusammen.

Mit der Diaspora-Aktion "Werde Glaubensstifter" seien alle Christen dazu eingeladen, Glaubensstifter zu sein oder zu werden, erklärte das katholische Hilfswerk. Das geschehe durch das eigene Glaubenszeugnis sowie durch tätige Nächstenliebe. "Wir wünschen uns eine Kirche, in der die Menschen spüren, dass der Glaube für sie persönlich und für die verbindende Gemeinschaft ein Segen ist", erklärte der Präsident des Bonifatiuswerkes, Heinz Paus. Zentrales Ziel sei es, Christen zu ermutigen, neue missionarische Initiativen anzugehen, um auch kirchenferne Menschen anzusprechen.

Die Eröffnung der Diaspora-Aktion findet am ersten Novemberwochenende im Bistum Mainz statt. Gemeinsam mit Bischöfen, Partnern und internationalen Gästen aus den Diasporagebieten in Ostdeutschland, Nordeuropa und dem Baltikum feiere das Bonifatiuswerk am 3. November im Mainzer Dom ein Pontifikalamt, erklärte das Hilfswerk.

Das Bonifatiuswerk unterstützt als Spendenhilfswerk katholische Christen in den Diasporagebieten. Mit den Spendengeldern werden beispielsweise Vorhaben für Bau und Erhalt von kirchlichen Einrichtungen sowie die Anschaffung von Fahrzeugen für mehr Mobilität in den Gemeinden finanziert. Das Hilfswerk unterstützt auch karitative Initiativen und religiöse Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche. Das Bonifatiuswerk der deutschen Katholiken, das am 4. Oktober sein 170-jähriges Bestehen beging, hat seinen Sitz in Paderborn.



30 Jahre internationales Paralympisches Komitee

Das Internationale Paralympische Komitee (IPC) feiert in Bonn sein 30-jähriges Bestehen. In Bonn treffen sich vom 21. bis 27. Oktober rund 500 Teilnehmer zur Generalversammlung, wie die Stadt Bonn am Dienstag ankündigte. Die Stadt ist seit 20 Jahren Heimat des IPC. Auf der Versammlung werde es unter anderem um die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen gehen, hieß es. Dafür würden herausragende Beispielprojekte aus der paralympischen Bewegung präsentiert. Am 25. Oktober würdigt das IPC herausragende sportliche Leistungen bei den vergangenen Winterspielen im südkoreanischen Pyeongchang.

Das IPC wurde 1989 gegründet und hat seit 1999 seinen Sitz in Bonn. Die Organisation setzt sich für die Weiterentwicklung des Behindertensports und für die soziale Inklusion der Sportler ein. Das Komitee realisiert auch die paralympischen Spiele. Die ersten olympischen Spiele mit behinderten Sportlern fanden 1960 in Rom statt.



Finanzierung für neue Pflegeausbildung in NRW bis 2021 gesichert

Die Finanzierung für die Ausbildungskosten in der neuen generalistischen Pflegeausbildung in Nordrhein-Westfalen steht für die kommenden beiden Jahre. Wie das Gesundheitsministerium am 17. Oktober in Düsseldorf mitteilte, vereinbarte das Ministerium mit den Verantwortlichen der Pflege die Pauschalbeträge zur Finanzierung. Beteiligt sind die Landesverbände der Kranken- und Pflegekassen, der Landesausschuss des Verbandes der privaten Krankenversicherung, die Landeskrankenhausgesellschaft, die Vereinigungen der Träger der ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen sowie die Interessenvertretungen der Pflegeschulen.

"Das ist ein ganz zentraler Schritt für die erfolgreiche Umsetzung der generalistischen Pflegeausbildung in Nordrhein-Westfalen. Die Beteiligten sind ihrem Auftrag nachgekommen und haben im Sinne einer attraktiven und zukunftsfähigen Ausbildung in der Pflege gehandelt", sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Damit erhielten auch die ausbildenden Einrichtungen Planungssicherheit.

Die Beteiligten einigten sich für die Pflegeschulen und die ausbildenden Betriebe auf eine Pauschale pro Schülerin oder Schüler von 15.350 Euro für 2020 und 15.795 Euro für 2021. Nicht inbegriffen ist die Ausbildungsvergütung, die sich nach der tatsächlich gezahlten Vergütungshöhe richtet.

Die generalistische Ausbildung in der Pflege startet im kommenden Jahr. Sie soll Auszubildende dazu befähigen, Menschen aller Altersgruppen in verschiedenen Leistungsbereichen, insbesondere in den Krankenhäusern und den stationären sowie ambulanten Pflegeeinrichtungen, zu versorgen. Zusätzlich wird eine neue gemeinsame Finanzierungsstruktur aufgebaut, bei der über einen Ausgleichsfonds die Kosten in den ausbildenden Einrichtungen finanziert werden. Dabei übernimmt das Land NRW neun Prozent des gesamten Finanzierungsbedarfes.



Netzwerk zur Beschäftigung von Behinderten übertrifft Ziele

Das Netzwerk "Arbeit und Inklusion Mittleres Ruhrgebiet" hat zum Abschluss seiner Arbeit ein positives Fazit gezogen. Die Erwartungen an das im Januar 2017 gestartete Projekt seien "übertroffen worden", teilte die Diakonie Ruhr am 17. Oktober in Bochum mit. Ursprünglich sollten 60 Menschen mit einer schweren Behinderung einen dauerhaften Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt finden. In den vergangenen drei Jahren sei es dann aber gelungen, sogar 95 Menschen einen Job zu vermitteln. Damit sei das geplante Ziel um mehr als 50 Prozent übertroffen worden, hieß es.

Das Projekt war den Angaben zufolge "bundesweit einzigartig", neben der Diakonie Ruhr hatte es auch die Agentur für Arbeit im Bereich Bochum/Herne unterstützt. "Wir haben Arbeitgeber beraten und für unser Projekt gewonnen", sagte der Inklusionskoordinator des Netzwerks, Hasan Oktay. Dabei sei auch Überzeugungsarbeit nötig gewesen, denn oft hätten die Unternehmen Vorbehalte gegenüber Menschen mit einer schweren Behinderung gehabt.

Hintergrund für den Start des Projekts war, dass Menschen mit Behinderung bislang kaum von der positiven Entwicklung des Arbeitsmarktes profitiert haben. Auch nach Ende des eigentlichen Projektzeitraums soll das Netzwerk bestehen bleiben.




Medien & Kultur

Friedenspreis für Sebastião Salgado


Sebastiao Salgado und sein Laudator Wim Wenders
epd-bild/Heike Lyding
Es sei seine "Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen", sagt der Fotograf über sich. Zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse ist der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado (75) am 20. Oktober in der Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. "Seine Bilder entwaffnen, sie stiften Verbindung, Nähe und Empathie", sagte Regisseur Wim Wenders in seiner Laudatio über Salgados Fotografien. Sie seien ein "Werk des Friedens". Die Auszeichnung ist mit 25.000 Euro dotiert.

Die fünftägige Frankfurter Buchmesse ging am 20. Oktober mit einem deutlichen Besucherplus zu Ende. Rund 302.000 Menschen kamen auf das Messegelände. Das entspricht einem Plus von 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr, wie die Veranstalter mitteilten. Die Zahl der Fachbesucher lag bei rund 145.000, die Zahl der Privatbesucher an den Publikumstagen am Wochenende bei etwa 158.000.

Auf der weltweit größten Fachmesse für Literatur zeigten 7.450 Aussteller aus 104 Ländern fünf Tage lang ihre Bücher und Publikationen.

"Seher" mit Kamera

In seiner Lobrede zum Friedenspreis kritisierte Regisseur Wenders, dass der Frieden noch immer "hoch auf der Liste der Neujahrswünsche" stehe, aber im Alltag und in der Politik meist "zur Worthülse verkommen" sei. Andere Probleme hätten sich in den Vordergrund geschoben. Der Regisseur nannte dabei "die Klimakatastrophe, die jegliche Zukunft auf dem Planeten verdunkelt," ebenso wie Völkerwanderungen und Fluchtbewegungen, aber auch Ungerechtigkeit, Armut, Hunger und Arbeitslosigkeit. Diese Themen seien jedoch zugleich "Grundbedingungen für Frieden".

Saldago habe sich mit seinem fotografischen Werk eben diesen Themen gewidmet. Wenders erwähnte namentlich Salgados Fotoband "Arbeiter" und hob zudem seine Fotos zum Thema Migration hervor. "Er fotografiert Menschen auf der ganzen Welt, die durch Hunger, Krieg oder Unterdrückung gezwungen sind, die Heimat zu verlassen und sich auf eine Reise ins Ungewisse zu machen." Damit erweise sich der brasilianische Fotograf als ein "Seher, dessen Kamera uns prophetisch den Verlust weiterer Friedensgrundlagen vor Augen führt".

Salgado forderte in seiner Dankesrede dazu auf, "nicht zu verleugnen, was wir einander anzutun fähig sind, weil der Mensch immer des Menschen Wolf ist". Doch die Zukunft liege allein in den Händen der Menschen. "Um eine andere Zukunft zu errichten, müssen wir die Gegenwart verstehen." Seine Fotos zeigten diese Gegenwart: "Und so schmerzhaft der Anblick ist, wir dürfen den Blick nicht abwenden", sagte Salgado.

"Licht auf Ungerechtigkeit werfen"

Sein Werk bezeichnete Salgado als "fotografischen Essay", den er vor 50 Jahren begonnen habe und bis heute weiterschreibe. Seinen Preis wolle er mit all den Menschen teilen, die er ins Zentrum dieses Essays gestellt habe. Sich selbst bezeichnete er als "Sozialfotograf". Es sei seine "Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen". Zugleich räumte er ein, dass seine Fotografien auch "eine ästhetische Dimension" hätten.

Salgado arbeite seit mehr als 40 Jahren zu Themen, die die Menschheit bewegten, fasste der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, die Gründe für die erstmalige Wahl eines Fotografen zum Preisträger zusammen: Klima, Naturzerstörung, Migration, Arbeitsbedingungen. Er rufe dazu auf, die Schönheit der Welt zu bewahren. Seine Sichtweise sei "eher mit der eines Literaten als mit der eines Berichterstatters vergleichbar.

Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird alljährlich zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche verliehen. Frühere Preisträger waren unter anderen Aleida und Jan Assmann (2018) sowie Margaret Atwood, Carolin Encke oder Navid Kermani.



Medienbischof Jung: Morgens Sachbuch, abends Roman


Frankfurter Buchmese
epd-bild/Heike Lyding

Der evangelische Medienbischof Volker Jung pflegt ein eigenes Leseritual. "Morgens Sachbuch, abends Roman", schilderte der hessen-nassauische Kirchenpräsident am 16. Oktober bei einem Besuch der Frankfurter Buchmesse seine liebste Lesegewohnheit an arbeitsfreien Tagen. "Urlaubszeit ist Lesezeit", sagte der 59 Jahre alte Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Jung, der im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Medienthemen zuständig ist, schilderte, dass er sich ein Leben ohne Lesen nicht vorstellen könne. "Ich bin ein sehr intensiver Bücherleser", sagte er. So weit es seine Zeit erlaube, verfolge er die wissenschaftlichen Publikationen im Bereich der Theologie. Aber auch Belletristik komme nicht zu kurz.

In seinem jüngsten Urlaub habe er als Sachbuch "Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts" von Jürgen Osterhammel gelesen. Die abendliche Romanlektüre widmete Jung "Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam" von Vea Kaiser.

Publikationen zu Religionen und Christentum

Jung besuchte auf Einladung des evangelischen Medienverbands in Deutschland (EMVD) mehrer Verlagsstände auf der Buchmesse. Schwerpunkte bildeten bei dem Rundgang Wissenschaftsverlage und die Anbieter von Publikationen zu Religionen und Christentum.

Der EMVD ist ein Zusammenschluss von Verlagen, Medien- und Presseverbänden, Buchhandlungen, Büchereien und kirchlichen Trägern publizistischer Organe. Die EMVD-Geschäftsführung liegt im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main. Das GEP trägt unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), das Monatsmagazin "chrismon" und das Internetportal "evangelisch.de".



Deutscher Buchpreis 2019 geht an Sasa Stanisic

Klugheit, Humor und Sprachwitz, ohne Zugehörigkeitskitsch und Opferpathos: Der Roman "Herkunft" erkundet das Familienalbum des in Bosnien geborenen und nach Deutschland geflüchteten Schriftstellers Sasa Stanisic.

Der Schriftsteller Sasa Stanisic ist am 14. Oktober in Frankfurt am Main mit dem Deutschen Buchpreis 2019 ausgezeichnet worden. Stanisic erhalte den mit 25.000 Euro dotierten Preis für seinen im Luchterhand-Verlag erschienenen Roman "Herkunft", sagte der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Heinrich Riethmüller, bei der Preisverleihung. Insgesamt hatte die Jury 203 Titel gesichtet, die zwischen Oktober 2018 und dem September 2019 erschienen sind.

In "Herkunft" erkundet der 1978 in Visegrad (Bosnien) geborene und 1992 nach Deutschland geflüchtete Stanisic das Familienalbum, erinnert sich an die Kindheit in Bosnien, an seine Schulzeit, den Zerfall Jugoslawiens, an die Flucht und die schwierige Ankunft in Deutschland zu einer Zeit, als Asylbewerberheime brannten.

"Dem Erzählen misstraut"

"Sasa Stanisic ist ein so guter Erzähler, dass er sogar dem Erzählen misstraut. Unter jedem Satz dieses Romans wartet die unverfügbare Herkunft, die gleichzeitig der Antrieb des Erzählens ist", heißt es in dem Urteil der Jury. Der Autor adele die Leser mit seiner großen Fantasie und entlasse sie aus den Konventionen der Chronologie, des Realismus und der formalen Eindeutigkeit.

Auf verschlungenen Wegen führe "Herkunft" nach Visegrad, in das Dorf der Großeltern und nach Heidelberg, wo der Halbwüchsige als Kriegsflüchtling landete, führt die Jury weiter aus. "Verschmitzt und behände bleibt der Erzähler stets auf der Hut vor sich selber, mit Klugheit, Humor und Sprachwitz, ohne Zugehörigkeitskitsch und Opferpathos. Sein berückendes Vergnügen am Erzählen macht die bleischweren Themen federleicht - Wundbehandlung mit den Mitteln der Literatur."

Kritik an Handke

Der Autor äußerte sich hocherfreut über die Auszeichnung, kritisierte aber die Verleihung des diesjährigen Literatur-Nobelpreises an Peter Handke. Der österreichische Autor hatte während der Balkankriege in den 90er Jahren für die serbischen Nationalisten Partei genommen und das Milosevic-Regime unterstützt.

Stanisic debütierte mit dem Roman "Wie der Soldat das Grammofon repariert", der in 31 Sprachen übersetzt wurde. Mit "Vor dem Fest" gelang ihm erneut ein großer Wurf. Der Roman wurde 2014 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet. Für den Erzählungsband "Fallensteller" erhielt er 2016 den Rheingau-Literatur-Preis sowie den Schubart-Literaturpreis (2017). Der Autor lebt und arbeitet in Hamburg.

In die Endauswahl der sogenannten Shortlist hatte die Jury auch folgende Romane aufgenommen: "Das flüssige Land" von Raphaela Edelbauer (Klett-Cotta, August 2019), "Kintsugi" von Miku Sophie Kühmel (S. Fischer, August 2019), "Nicht wie ihr" von Tonio Schachinger (Kremayr & Scheriau, August 2019), "Winterbienen" von Norbert Scheuer (C.H.Beck, Juli 2019) und "Brüder" von Jackie Thomae (Hanser, August 2019). Die fünf Finalisten wurden mit jeweils 2.500 Euro bedacht.

Preisverleihung läutet Buchmesse ein

Der Deutsche Buchpreis wird seit 2005 von der Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins ausgelobt. Ziel des Preises ist es, über Ländergrenzen hinaus Aufmerksamkeit zu schaffen für deutschsprachige Autoren, das Lesen und das Medium Buch. In diesem Jahr gehörten der Jury an der freie Literaturkritiker Jörg Magenau als Sprecher sowie Petra Hartlieb (Hartliebs Bücher, Wien), Hauke Hückstädt (Literaturhaus Frankfurt), Björn Lauer (Hugendubel Frankfurt), Alf Mentzer (Hessischer Rundfunk), Daniela Strigl (Literaturwissenschaftlerin) und Margarete von Schwarzkopf (Autorin und Literaturkritikerin).

Die Preisverleihung findet jeweils zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt. Erst dann erfahren die sechs nominierten Autorinnen und Autoren, an wen von ihnen der Hauptpreis geht. Im vergangenen Jahr wurde der Roman "Archipel" von Inger-Maria Mahlke ausgezeichnet.



Tunesische Journalistin mit Raif-Badawi-Preis ausgezeichnet

Die tunesische Journalistin Hanène Zbiss ist am 16. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse mit dem Raif-Badawi-Preis für mutigen Journalismus ausgezeichnet worden. Die Jury würdigte die Courage der 39-Jährigen, sich für die Stärkung der Demokratie in Tunesien einzusetzen und ihr Land nachhaltig zu verändern. Sie gebe jenen eine Stimme, die sonst nicht gehört würden. Mit dem seit fünf Jahren vergebenen "Raif Badawi Award" zeichnet die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung Journalistinnen und Journalisten aus dem Nahen Osten und Nordafrika aus.

Zbiss, die bereits unter dem Regime des 2011 gestürzten Autokraten Zine El Abidine Ben Ali als Kulturjournalistin tätig war, arbeitet als freie Investigativreporterin in Tunis. Acht Jahre nach dem "Arabischen Frühling" gebe es immer noch große soziale und wirtschaftliche Probleme in Tunesien, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Ich will enthüllen, wer dafür verantwortlich ist, dass wir die Früchte unserer Revolution noch nicht geerntet haben."

Inhaftierter saudischer Blogger

Für tunesische Medienschaffende habe sich die Situation seit 2011 insgesamt verbessert. Allerdings sieht Zbiss den unabhängigen Journalismus in ihrem Land erneut in Gefahr, weil viele Medien von Unternehmern oder Politikern gekauft worden seien. "Die Inhaber wollen, dass die Journalistinnen und Journalisten ihren persönlichen Interessen dienen", sagte die Preisträgerin.

Der undotierte Journalistenpreis ist nach dem inhaftierten saudischen Blogger Raif Badawi benannt, der wegen seiner Texte 2012 verhaftet wurde. 2014 wurde er zu 1.000 Peitschenhieben und zehn Jahren Haft verurteilt. Im vergangenen Jahr wurde das unabhängige Journalistennetzwerk "Arab Reporters for Investigative Journalism" aus Jordanien geehrt.



PEN: Autoren in Geheimgefängnissen in Eritrea

In Eritrea sind nach Angaben der Schriftstellervereinigung PEN mehrere Publizisten seit Jahren in Geheimgefängnissen ohne Anklage und Urteil eingesperrt. So befinde sich der eritreisch-schwedische Autor und Journalist Dawid Isaak (54) seit 2001 in Isolationshaft, sagte der Writers-in-Prison-Beauftragte des österreichischen PEN, Wolfgang Martin Roth, am 20. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse. Die eritreische Diktatur verweigere sämtliche Informationen dazu: "Da beißen wir auf Granit." Für die Familie bedeute dies "Folter durch Ungewissheit".

Nach Angaben der Tochter des Autors, Betlehem Isaak, gab es seit 2005, als ihr Vater wenige Tage in Freiheit war, kein Lebenszeichen mehr von ihm. "Ich glaube immer noch, dass er lebt, aber ich weiß überhaupt nichts", sagte sie. Dawit Isaak hatte in Schweden gelebt. Als Eritrea 1993 unabhängig wurde, kehrte er in sein Land zurück und gründete die erste unabhängige Zeitung "Selit". Im Jahr 2001 wurde er verhaftet, wie viele andere.

"Ein abgeschottetes Land"

Die in München lebende eritreische Autorin Yirgalem Fisseha Mebrahtu, die selbst von 2009 bis 2015 inhaftiert war, berichtete von Folter, ständigen Verhören und großer Angst. "Wie kann man als Mensch in einem zwei mal zwei Meter großen Raum überleben?" fragte sie. "Eritrea ist ein abgeschottetes Land, wir wissen nicht, was vor sich geht", fügte sie hinzu. Niemand wisse, was erlaubt sei und was nicht.

Der schwedische Journalist und Menschenrechtler Björn Thunbäck beklagte einen politischen Stillstand in Eritrea unter dem Regime von Präsident Isaias Afewerki. Auch mehr als ein Jahr nach dem Friedensabkommen mit Äthiopien "ändert sich in Eritrea nichts". Anders als in Äthiopien seien keine Gefangenen freigelassen und keine unabhängigen Medien zugelassen worden. Eritrea liegt derzeit in der Rangliste der Pressefreiheit von 180 Ländern auf Platz 178.

Thunbäck appellierte an die EU, sich stärker für die Freilassung Isaaks und die Menschenrechte in Eritrea einzusetzen. Bislang habe die schwedische Regierung Ermittlungen in Schweden gegen eritreische Offizielle abgelehnt, obwohl UN-Gremien Verbrechen gegen die Menschlichkeit beklagten, die international verfolgt werden können. Aber man werde weiter mit den schwedischen Stellen sprechen. Auch Roth plädierte dafür, trotz der hoffnungslos scheinenden Situation nicht aufzugeben.



Mahnwache für Hongkong-Protestbewegung auf Buchmesse


Mahnwache "Free the Words! Mit Regenschirmen für Meinungsfreiheit"
epd-bild/Peter Jülich

Mit Regenschirmen für die Meinungsfreiheit: Menschenrechtler haben sich auf der Frankfurter Buchmesse mit der Protestbewegung in Hongkong und inhaftierten Autoren solidarisiert. "Die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist immer das erste Anzeichen eines Unrechtsstaats", sagte der Geschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, am 17. Oktober während einer Mahnwache auf dem Messegelände.

Zugleich kritisierte er die Bundesregierung und deutsche Unternehmen scharf: Aufgrund der engen wirtschaftlichen Beziehungen würden Menschenrechtsverletzungen in China oft unter den Tisch gekehrt, sagte Skipis. Er forderte: "Deutschland muss in dieser entscheidenden Frage Haltung zeigen."

Viele der rund 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Mahnwache trugen in Anlehnung an das Symbol der Hongkonger Protestbewegung aufgespannte Regenschirme. Zu der Kundgebung hatten neben dem Börsenverein weitere Initiativen wie die Schriftstellervereinigung PEN International aufgerufen. Der Hongkonger Buchhändler Lam Wing Kee sagte, er freue sich über die Unterstützung und Solidarität der Teilnehmer. Auch er forderte die Bundesregierung dazu auf, China zur Wahrung der Menschenrechte zu drängen.

Verleger verschleppt

Die Teilnehmenden erinnerten auch an den von China verschleppten schwedischen Verleger Gui Minhai. "Wir wissen nicht wo er ist, wir wissen nicht, wie es ihm geht", sagte Skipis. "Die Menschenrechte werden von China mit Füßen getreten." Der in China geborene Verleger Gui wurde 2015 in Thailand von den chinesischen Behörden verschleppt und inhaftiert. Als Miteigentümer des Hongkonger Verlags "Mighty Current" hatte der 55-Jährige Enthüllungsbücher über das Privatleben chinesischer Politiker veröffentlicht.

Der im deutschen Exil lebende chinesische Schriftsteller und Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, Liao Yiwu, sagte: "Wir müssen alles dafür tun, die Meinungsfreiheit und Demokratie in Hongkong zu erhalten." Auch die US-amerikanische Schriftstellerin und Präsidentin von PEN International, Jennifer Clement, solidarisierte sich mit der Hongkonger Demokratiebewegung: "Wir stehen an der Seite der Demonstrierenden."

Der Botschafter Taiwans in Deutschland, Jhy-Wey Shieh, äußerte sich während der Kundgebung ebenfalls zur Situation in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Sein Land werde nach Möglichkeiten Flüchtlinge aus Hongkong aufnehmen, sollte es eine Fluchtbewegung geben. Doch auch Europa und die USA müssten dann helfen, forderte Shieh.



Bremer Kunsthalle zeigt spektakuläre Ikonen-Ausstellung


Masolino da Panicale: "Madonna mit Kind" (1423)
epd-bild/Kay Michalak
Die Kunstwerke werden in sechs thematischen Kapiteln präsentiert - von der russischen Ikone über Werke von Caspar David Friedrich, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, Andy Warhol, Niki de Saint Phalle bis zu Andreas Gursky.

Mit einer spektakulären Ausstellung will die Bremer Kunsthalle in den kommenden Monaten zeigen, was Menschen anbeten - im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Für das Projekt wurde das gesamte Haus auf rund 4.500 Quadratmetern leergeräumt, um es nun ausschließlich mit der Schau unter dem Titel "Ikonen, Was wir Menschen anbeten" bespielen zu können. "In 60 Räumen zeigen wir jeweils nur ein bedeutendes Werk oder eine Werkgruppe", sagte am 17. Oktober Museumsdirektor und Kurator Christoph Grunenberg. Die Ausstellung läuft bis Anfang März.

Die Kunstwerke werden in sechs thematischen Kapiteln präsentiert - von der russischen Ikone über Werke von Caspar David Friedrich, Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, Andy Warhol, Niki de Saint Phalle bis zu Andreas Gursky. Weltberühmte Leihgaben stammen aus bedeutenden Museen wie dem San Francisco Museum of Modern Art, der Tretjakow-Galerie in Moskau, der Tate in London und dem Van-Gogh-Museum in Amsterdam. Von dort kommt van Goghs "Selbstbildnis mit grauem Filzhut", das 1887 entstanden ist und zu den Ikonen der Kunstgeschichte gehört.

"Alltags-Ikonen"

Dazu kommen "Alltags-Ikonen" aus der Markenwelt, der Popkultur oder Blicke auf ikonische Persönlichkeiten wie Muhammad Ali, Beyoncé, Youtuberin Bibi und Karl Marx. Hausaltäre dokumentieren, was oder wen Menschen gegenwärtig verehren. Ein weiterer Raum thematisiert die Welt der Influencer und Social-Media-Stars und will so zeigen, dass sich heute über das Internet theoretisch jeder selbst ikonenhaft inszenieren kann.

"Die Ausstellung geht anhand von Kunstwerken aus neun Jahrhunderten der Frage nach, wie sich auch heute noch mit dem Begriff der Ikone kultische Verehrung und die Idee des Übersinnlichen verbinden", erläuterte Grunenberg. Durch die Inszenierung bestehe die Möglichkeit, die spirituelle Kraft von Kunst in konzentrierten Begegnungen unmittelbar zu erfahren.

"Es ist die größte und spektakulärste Ausstellung, an der wir je gearbeitet haben", bilanzierte Grunenberg. Vor zehn Jahren sei die Idee geboren, über mehrere Jahre seien Leihgaben eingeworben worden. In der Ausstellung werde das Museum selbst zum Ort der intensiven Begegnung durch Entschleunigung, Kontemplation und Reflexion.

Ein Teil der Dauerausstellung, die in der Kunsthalle für die Ikonen abgebaut wurde, ist zwischenzeitlich nach Spanien gereist: Vom 25. Oktober an bis zum 16. Februar sollen 130 Meisterwerke - von Eugène Delacroix über Max Beckmann bis zu Paula Modersohn-Becker - im Guggenheim-Museum Bilbao gezeigt werden. Ab Mitte Mai kommenden Jahres sind sie dann wieder in Bremen zu sehen - in neuer Hängung.



Walt Disney und Andy Warhol: US-Kunst im Hamburger Bucerius-Forum


Hamburger Bucerius Kunst Forum zeigt US-amerikanische Kunst
epd-bild/Stephan Wallocha

Vier herausragende US-Künstler geben im Hamburger Bucerius Kunst Forum Einblick in die Vielfalt des amerikanischen Schaffens im vorigen Jahrhunderts. Mit Walt Disney, Norman Rockwell, Jackson Pollock und Andy Warhol spannt das Museum in seiner neuen Ausstellung "Amerika!" einen Bogen über die bildende Hoch- und Populärkunst zwischen 1920 und 1970. Rund 170 Gemälde, Zeichnungen, Grafiken und Fotografien sind bis zum 12. Januar 2020 zu sehen. Die Ausstellung sei ein "Gipfeltreffen von Ikonen der Mediengeschichte", sagte Bucerius-Geschäftsführer Andreas Hoffmann bei der Präsentation am 17. Oktober.

Die Abteilung über Walt Disney (1901-1966) gibt Einblick in die Produktionsprozesse von populären Filmen wie "Micky Mouse", "Schneewittchen" und "Bambi". Anatomische Zeichnungen von Reh-Körpern sollten damals helfen, "Bambi" so realistisch wie möglich darzustellen. Die Anregung zu "Bambi" habe Disney von Thomas Mann erhalten, sagte Kuratorin Kathrin Baumstark. Auch wenn alle Zeichnungen unter seinem Namen liefen, habe Disney selbst kaum gezeichnet.

Warhol-Klassiker

In Deutschland eher unbekannt ist der US-Chronist Norman Rockwell (1894-1978). In einem aufwendigen Produktionsprozess schuf er über Jahrzehnte hinweg die Cover für die "Saturday Evening Post". Ausgehend von Fotografien malte er seine Motive in Öl, um sie anschließend als Zeichnung in der Zeitschrift zu veröffentlichen. 323 Cover aus der Zeit zwischen 1916 und 1963 sind zusammengefasst als ein Werk in der Ausstellung vertreten. Mit seinen Motiven habe Rockwell vor allem die traditionellen Werte der USA von Freiheit und Demokratie vermitteln wollen, erklärte Baumstark.

Jackson Pollock (1912-1956) gilt als Wegbereiter des abstrakten Expressionismus als eigenständige Kunstrichtung der USA. Zu sehen ist sein erstes noch erhaltenes Gemälde von 1930/33. Man könne davon ausgehen, dass Pollock hier sein schwieriges Verhältnis zu seiner Mutter verarbeitet habe, sagte Baumstark. Sieben Gemälde sind zu sehen, die den Weg vom Gegenständlichen zur Abstraktion dokumentieren.

Mit einer Pop-Grafik der Schauspielerin Liz Taylor von Andy Warhol (1928-1987) bewirbt das Museum seine Ausstellung. Gezeigt werden auch andere Warhol-Klassiker wie "Campbell's Soup" (1962), "Mercedes Benz 300 SL Coupé" (1954) und "Diamond Dust Shoes". Warhol habe Alltagsobjekte in den Rang der Kunst erhoben, erklärte Baumstark, und damit die Grenzen zwischen Pop- und Hochkultur durchbrochen.

Gerade angesichts der aktuellen politischen Belastungen sei es wichtig, die künstlerischen Verbindungen zwischen Deutschland und den USA herauszustellen, betonte Geschäftsführer Hoffmann. Die amerikanischen Werte von Freiheit und Demokratie hätten Deutschland vor allem in der Nachkriegszeit stark geprägt.



Netflix darf deutsche Hip-Hop-Serie "Skylines" weiter zeigen

Der Streamingdienst Netflix darf die deutsche Hip-Hop-Serie "Skylines" weiterhin zur Verfügung stellen. Der Inhaber des Frankfurter Labels "Skyline Records", Jan Lehmann, blieb mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung erfolglos. Das Landgericht Frankfurt am Main wies den Antrag zurück, wie eine Sprecherin des Gerichts am 15. Oktober dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Lehmann sieht durch die Serie seine Persönlichkeits- und Namensrechte verletzt. Sein Anwalt kündigte auf epd-Nachfrage Beschwerde gegen den Beschluss beim Oberlandesgericht an. (AZ: 2-03 O 429/19)

Die Netflix-Serie "Skylines" ist die dritte deutsche Eigenproduktion des internationalen Streamingdienstes und seit dem 27. September abrufbar. Sie dreht sich um das Frankfurter Hip-Hop-Milieu, die Drogenszene und ein Musik-Label, das Netflix ebenfalls "Skyline Records" nennt.

"Name nicht hinreichend originell"

Nach Angaben des Gießener Anwalts Andreas Milch möchte Lehmann weder sich noch sein Label mit Drogenhandel oder der organisierten Kriminalität in Verbindung gebracht wissen. Zudem sei Lehmann Inhaber der Rechte an der Wortmarke "Skyline Records". In der Serie seien daneben weitere Parallelen zu Lehmanns Leben erkennbar.

Die Sprecherin des Landgerichts erklärte, das Persönlichkeitsrecht sei mit der Kunstfreiheit abzuwägen. Im Ergebnis habe die 3. Zivilkammer entschieden, dass die von Lehmann angeführten Persönlichkeitsmerkmale, durch welche dieser sich in zwei verschiedenen Charakteren der Serie wiedererkennen will, eher allgemeine Merkmale seien, die sich nicht zwingend auf eine bestimmte Person beziehen ließen. Die Namenswahl "Skyline Records" für ein Frankfurter Musiklabel sei zudem nicht hinreichend originell. "Hinzu kommt, dass es sich nach Ansicht der Kammer in der Serie um ein großes, potentes Label handelt, in der Realität jedoch eher nicht", erklärte die Gerichtssprecherin.



Mit Knollennase und Hinkelstein zu Weltruhm


Der gallische Krieger Asterix vor den Toren der Frankfurter Buchmesse 2017.
epd-bild/Heike Lyding
Vor 60 Jahren erschien die erste Ausgabe von "Asterix". Die Kult-Serie hat eine internationale Fan-Gemeinde und machte den Comic salonfähig.

"Wir befinden uns im Jahre 50 v.Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt… Ganz Gallien? Nein!" Wer diese Sätze liest, weiß, was nun folgt: Zaubertrank, Römer austricksen und am Ende ein Festmahl mit Wildschweinbraten und ohne Troubadix-Musik. Seit 60 Jahren beginnen die Abenteuer von Asterix und Obelix mit der inzwischen legendären Einleitung. Langweilig geworden sind die Geschichten um den kleinen Gallier Asterix mit dem geflügelten Helm und seinen dicken, Hinkelstein schleppenden Freund Obelix dennoch nie.

Der 38. Band der Erfolgsserie hat - ganz im Geist der Zeit - ein junges Mädchen als Titelheldin: "Die Tochter des Vercingetorix". Er erscheint am 24. Oktober, fast punktgenau zum 60. Geburtstag: Am 29. Oktober 1959 veröffentlichten der mittlerweile 92-jährige Zeichner Albert Uderzo und der Texter René Goscinny (1926-1977) die erste Episode des Comics. Heute sind Asterix-Bände nach Verlagsangaben in 111 Sprachen und Dialekten erschienen.

Figuren in einer Viertelstunde entwickelt

Dabei hatten Uderzo und Goscinny die Geschichte um die beiden Gallier unter ziemlichem Zeitdruck entwickelt. Ihre Aufgabe war es, für den Start der Jugend-Zeitschrift "Pilote" einen französischen Helden zu erfinden, der sich von US-Comics abgrenzen sollte. Zunächst dachten sie über eine mittelalterliche Szenerie nach. Als dann die Idee aufkam, die Geschichte in die Antike zu verlegen, ging plötzlich alles ganz schnell. "In einer Viertelstunde entwickelten wir fast alle Charaktere", erzählte Uderzo später.

Während Goscinny die Geschichten und Texte entwarf, zeichnete Uderzo die Figuren mit den charakteristischen Knollennasen. Im Mittelpunkt stehen der kleine, pfiffige Asterix und der bärenstarke, aber naive Obelix, die ihr kleines Dorf durch List und Tücke sowie mit Hilfe eines geheimen Zaubertranks des Druiden Miraculix gegen die römischen Besatzer verteidigen. Meist müssen sie dazu ein Abenteuer bestehen, das sie in ein anderes Land führt.

David gegen Goliath

Auch wenn Uderzo und Goscinny von dem enormen Erfolg der Serie überrascht wurden, so sei er doch kein Zufall gewesen, sagt der Comic-Experte Markus Engelns von der Universität Duisburg-Essen. Goscinny und Uderzo waren bereits erfahrene Profis, als sie Asterix entwickelten. Zusammen hatten sie zuvor schon einen beliebten Comic-Helden erfunden, den Indianer "Oumpah-Pah".

Doch wie konnte ausgerechnet die französischste ihrer Figuren ein Weltstar werden? Die Asterix-Geschichten griffen allgemeingültige Motive auf, erklärt Engelns: "Es ist eine Art David-gegen-Goliath-Geschichte." Ein kleines Dorf wehrt sich gegen das mächtige römische Reich.

Auch die Charaktere der beiden Helden entsprechen länderübergreifenden Klischees: Asterix ist ein kleiner, aber sehr gewitzter Mann, während Obelix stark, aber manchmal ein wenig schwer von Begriff ist. Die Dorfgemeinschaft mit ihren Rivalitäten ist ein ebenso allgemeingültiges Zerrbild. "Hinzu kommen Slapstick und spektakuläre Zeichnungen", sagt Engelns.

Viele Anspielungen

Ein Erfolgsfaktor der Serie sei auch, dass die beiden Helden sich auf Reisen in andere Länder begeben, ergänzt der Aachener Asterix-Experte und Althistoriker Jörg Fündling: "Asterix war immer eine europäische Angelegenheit." In Geschichten wie "Asterix bei den Briten" und "Asterix in Spanien" erkunden die beiden Gallier fremde Nationen. Dabei werden gängige Klischees und Eigenheiten der jeweiligen Länder auf freundliche Weise persifliert.

Dass Asterix gerade in Deutschland besonders gut ankommt, hängt möglicherweise auch mit dem noch relativ verbreiteten Latein-Unterricht an Gymnasien zusammen: "Die manchmal als qualvolle Schulroutine gesehene lateinische Sprache wird vom Sockel geholt. Man kann darüber lachen, dass die Römer verzweifelt lateinische Zitate klopfen, wenn sie mal wieder den Kürzeren gezogen haben", erklärt Fündling.

Ein Erfolgsrezept von "Asterix" sei aber auch, dass die Geschichten auf unterschiedlichen Ebenen gelesen werden könnten, glaubt Engelns. Die Serie sei gespickt mit Anspielungen auf historische Figuren und Ereignisse, auf Prominente und auf die französische Politik. Aber man müsse diese Hinweise nicht verstehen, um Spaß an den Comics zu haben.

Mit seinen subtilen historischen Bezügen sei "Asterix" der erste Comic gewesen, der auch in Teilen des Bildungs-Bürgertums beliebt gewesen sei. Denn bis dahin galten Comics als Schund-Literatur. Engelns: "Asterix und Obelix haben weltweit die Akzeptanz von Comics verbessert."

Neue Autoren

Eine Zäsur erlebte die Serie 1977, als Goscinny plötzlich und unerwartet an einem Herzinfarkt starb. Uderzo setzte die Arbeit nach anfänglichem Zögern alleine fort. Kritiker bemängelten jedoch, dass die Geschichten danach wesentlich plumper geworden seien.

2012 übergab Uderzo die Produktion der Reihe aus Altersgründen an den Texter Jean-Yves Ferri und den Zeichner Didier Conrad. Die drei bislang von ihnen herausgegebenen Bände wurden von der Kritik unterschiedlich aufgenommen. Engelns hält sie für "dem Mainstream angepasst", während Fündling sie als "qualitativ sehr gut" beurteilt.

Feststeht: Der Erfolg der Serie ist ungebrochen. Und das von unbeugsamen Galliern bewohnte Dorf hört nicht auf, den römischen Eindringlingen Widerstand zu leisten.

Von Claudia Rometsch (epd)


Charleston, Mode und Elektrogeräte für die Badewanne


Mode im Saargebiet der 20er Jahre
Historisches Museum Saar, André Mailaender
Ein interaktiver Rundgang durch ein fiktives Saarbrücken, Grundschritte des Charleston lernen oder Filme der 20er Jahre kennenlernen. Das Historische Museum Saar blickt auf das Saargebiet.

Wer ins Saargebiet möchte, braucht erst einmal einen "Passierschein". Erst dann öffnet sich der Schlagbaum zur Ausstellung im Historischen Museum Saar. Seit 19. Oktober dreht sich dort unter dem Titel "Die 20er Jahre - Leben zwischen Tradition und Moderne im internationalen Saargebiet" alles um den Alltag der Menschen im Saargebiet, dem heutigen Saarland.

Von 1920 bis 1935 stand das Saargebiet unter dem Mandat des Völkerbundes, einem Vorläufer der Vereinten Nationen. Nach 15 Jahren sollten sich die Saarländer entscheiden, ob sie in Zukunft zu Frankreich oder Deutschland gehören oder den Status Quo als eigene Region behalten wollten. Am 13. Januar 1935 war diese Frist verstrichen. 90 Prozent der Wähler stimmten für eine Rückgliederung an Deutschland, an Hitlerdeutschland.

Akzent auf Alltag der Menschen in dieser Zeit

Während sich das Museum bereits in seinen Dauerauststellungen mit der Geschichte auseinandersetzt, greift die Sonderausstellung den Alltag der Menschen in dieser besonderen Zeit auf. Passend zum 100-jährigen Bestehen, welches das Saarland im kommenden Jahr unter dem Motto "Saarhundert" feiert. Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) ist dementsprechend auch Schirmherr der Ausstellung.

Die Ausstellungshalle ist einer Straßenszene nachempfunden: Eckige Litfaßsäulen zeigen Zeitungsanzeigen und Werbung, Schaufenster stellen warenhaustypische Kleidung und Elektrogeräte aus, die damals verkauft wurden. Darunter auch ein Gerät, welches laut Museumsleiter Simon Matzerath Stromstöße beim Baden abgeben sollte, um beispielsweise Neurosen, Impotenz oder einen Hexenschuss zu heilen. "Strom war sehr faszinierend", sagt er. Heute würde sich auch niemand mehr trauen, die Dauerwellenhaube mit ihren Elektrokabeln aufzusetzen.

Passend zum Strom unterliegt die nachgestellte Straßenszene auch einem Tag- und Nachtwechsel. Zu der jeweiligen "Tageszeit" gibt es dann unterschiedliche Projektionen zu entdecken. Im Charleston-Café führt ein Tänzer im Video den gleichnamigen Tanz vor und erklärt später auch die Schritte. Insgesamt sind laut Matzerath über 200 Fotos sowie 70 Originalobjekte zu sehen.

Thematisch gliedert sich die Ausstellung in die Bereiche Freizeitmöglichkeiten, Warenwelt, Mobilität, die neue Frau, Elektrifizierung, aber auch soziale Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit. Eine comicartige Darstellung zeigt beispielsweise wie viel die Saarländer verdienten und was sie mit ihrem Geld kauften. So gaben sie etwa 50 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel, 15 bis 20 Prozent für Kleidung, 5 bis 20 Prozent für Miete und ein Prozent für Freizeitaktivitäten wie das Kino aus.

Auch Abtreibung thematisiert

Ein weiterer Aspekt ist aber auch das Thema Abtreibung. Passend dazu ist im Begleitprogramm "Der Kreuzzug des Weibes" von 1926 zu sehen - ein Aufklärungsfilm, der die Strafbarkeit der Abtreibung kritisierte und auch in Saarbrücken gezeigt wurde. Gerade für arme Frauen habe es keine Möglichkeit gegeben, sich auch noch um ein neuntes oder zehntes Kind zu kümmern, berichtet Kuratorin Jessica Siebeneich. Frauen führten oft Abtreibungen selbst durch und starben dabei.

Für die Ausstellung hat das K8 Institut für strategische Ästhetik mehrere interaktive Module entwickelt. Eine Station erklärt in Form eines Brettspiels den Ausbau des saarländischen Stromnetzes, eine andere widmet sich der Färbung von Schwarz-Weiß-Fotos mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Im speziellen Filmraum warten zwei Stationen auf den Besucher. Das "Kino der 20er" ermöglicht virtuelle Kinokarten an der Kasse abzugeben, um Ausschnitte aus Filmen der damaligen Zeit zu sehen. Die 3D-Installation "Metropole des Westens" lässt einen per Gestensteuerung durch ein fiktives Saarbrücken mit einigen noch heute existierenden Gebäuden spazieren.

"Saarbrücken war nie Berlin oder Paris", sagt Matzerath. Jedoch sei es eine mittlere Metropole gewesen, in der alle für die 20er Jahre typischen Elemente zu finden seien. Mal mehr und mal weniger ausgeprägt. Die Schau läuft bis zum 24. Mai 2020.

Von Marc Patzwald (epd)


Neue Anlaufstelle für Restitution von kolonialen Objekten

Seit gut einem Jahr wird heftig über Sammlungsgüter aus kolonialem Kontext in deutschen Museen und ihre mögliche Rückgabe gestritten. Jetzt schaffen Bund und Länder eine gemeinsame Kontaktstelle zur Restitution. Kritik bleibt nicht aus.

Eine zentrale Anlaufstelle soll künftig die Rückgabe von Objekten aus der Kolonialzeit vereinfachen. Auf die Einrichtung der "Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" einigten sich die kulturellen Spitzenvertreter von Bund, Ländern und Kommunen in Berlin, wie das Auswärtige Amt am 16. Oktober mitteilte. Der Deutsche Kulturrat begrüßte die neue Einrichtung, forderte aber eine stärkere Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Debatten über Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten. Kritik kam von internationalen Wissenschaftlern und Künstlern, darunter die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die in einem Offenen Brief in der "Zeit" eine Öffnung der Museumsinventare verlangen, um eine Rückgabe zu fördern.

Die Kontaktstelle richtet sich nach Angaben des Auswärtigen Amts besonders an Personen und Institutionen aus den Herkunftsstaaten und -gesellschaften. Diese können sich dort über Bestände von Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten in Deutschland informieren, wie es auch aus der Wissenschaft vielfach gefordert wurde. Zahlreiche deutsche Museen und andere Institutionen arbeiteten bereits an einer Inventarisierung und Digitalisierung ihrer Bestände und stellten Daten zur Verfügung, die in die Arbeit der Kontaktstelle einfließen können, so das Auswärtige Amt.

Die Anlaufstelle soll den Angaben zufolge im ersten Quartal kommenden Jahres die Arbeit aufnehmen und organisatorisch bei der Kulturstiftung der Länder angesiedelt sein. Die Kontaktstelle wird demnach je zur Hälfte von den Ländern und vom Bund finanziert.

Unbeschränkter Zugang gefordert

Der Hamburger Kultursenator und Vorsitzende der Kulturministerkonferenz Carsten Brosda (SPD) sagte, die neue Einrichtung werde als erste Anlaufstelle für Rückgabeersuchen dazu beitragen, Restitutionen zu erleichtern. Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) betonte, eine zentrale Aufgabe werde es sein, Transparenz herzustellen.

Die Französin Savoy (TU Berlin), der senegalesische Ökonom Felwine Sarr und weitere Erstunterzeichner des Offenen Briefs sprechen dagegen von einem "Skandal", dass es trotz der seit 2018 anhaltenden Debatte noch immer keinen freien Zugang zu den Bestandslisten der öffentlichen Museen in Deutschland gebe. "Wir brauchen unbeschränkten und unkontrollierten Zugang", fordern sie. Die versprochene Arbeit an den Inventaren werde nie fertig. Aus Afrika heraus müsse eine Auseinandersetzung mit den Kulturgütern ermöglicht werden, "ohne Abhängigkeit von deutschen Partnern". Erst dann könne der Dialog beginnen.

Savoy und Sarr hatten im November 2018 einen vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Auftrag gegebenen Bericht vorgelegt und empfohlen, Kulturgüter aus der Kolonialzeit an die Herkunftsländer zurückzugeben.

Der Geschäftsführer des Kulturrats, Olaf Zimmermann, zeigte sich erfreut über die Einrichtung der Kontaktstelle, die ein "Schritt zur Stärkung der Kulturstiftung der Länder und des gemeinsamen kulturpolitischen Auftretens der Länder" sei. Offen bleibe allerdings, was nun mit dem Fachbereich Kultur- und Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten beim Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg werde. Außerdem unterstrich Zimmermann, es sei "jetzt dringend notwendig, dass die organisierte Zivilgesellschaft, die Kirchen und die Wissenschaft stärker in den Prozess mit einbezogen werden".



Simone Hahn wird evangelische Senderbeauftrage für ZDF-Gottesdienste

Die Nürnberger Pfarrerin Simone Hahn wird neue evangelische Sendebeauftragte für ZDF-Gottesdienste. Die 45-Jährige tritt das Amt im Team des Medienbeauftragten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, zum 1. Januar 2020 an. Sie wird Nachfolgerin von Pfarrerin Elke Rudloff, die in der Evangelischen Kirche von Westfalen die Prädikantenausbildung übernimmt, wie der EKD-Medienbeaufragte am Montag mitteilte.

Als ZDF-Senderbeauftragte trägt die Theologin künftig - zusammen mit ihrem Kollegen Pfarrer Stephan Fritz - die inhaltliche Verantwortung für jährlich 28 evangelische ZDF-Fernsehgottesdienste. Ihre Tätigkeit reicht von der Auswahl der Übertragungsorte über die Begleitung des Vorbereitungsprozesses in den Gemeinden bis zu den Proben für den Auftritt vor der Kamera. Seit 1986 überträgt das ZDF an jedem Sonntagmorgen um 9.30 Uhr einen Gottesdienst. Dabei wechseln sich katholische und evangelische Gemeinden ab.

"Vom Wort berührt werden"

"Gottesdienste im Fernsehen haben auf den ersten Blick eine Distanz zwischen der Gemeinde im Wohnzimmer und der Gemeinde im Fernsehen. Die einen sind Zuschauer und die anderen Feiernde", erklärte Hahn. "Auf den zweiten Blick aber wollen die Menschen in der Kirche und vor dem Fernseher das Gleiche. Vom Wort berührt werden, Segen erfahren und Kraft tanken."

Die Theologin erhielt im Juni für ihre Zivilcourage das Karl-Steinbauer-Zeichen. Während "Pegida"-Kundgebungen vor ihrer Kirche hatte sie zu Friedensgebeten in ihrer Kirche St. Jakob eingeladen. Seit 2007 ist sie 1. Pfarrerin an der Kirche in der Nürnberger Innenstadt. Hahn ist seit mehreren Jahren auch Sprecherin von Radioandachten im Privatradio.

Das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik in Frankfurt am Main (GEP), das die Rundfunkarbeit der EKD organisiert, ist das zentrale Mediendienstleistungsunternehmen der EKD, der evangelischen Landeskirchen, der Diakonie sowie der Vereinigung evangelischer Freikirchen. Es trägt ebenso die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), das Onlineportal "evangelisch.de", das Monatsmagazin "chrismon" und die Fastenaktion "7 Wochen Ohne".



Tag des offenen Denkmals widmet sich Nachhaltigkeit

Beim Tag des offenen Denkmals geht es im nächsten Jahr um Nachhaltigkeit im Denkmalschutz. Am 13. September 2020 laden Denkmaleigentümer sowie Denkmalpfleger wieder Besucher ein unter dem Motto "Chance Denkmal: Erinnern. Erhalten. Neu denken", wie die Deutsche Stiftung Denkmalschutz am 14. Oktober in Bonn mitteilte. Es gehe um den bewussten Umgang mit dem Planeten, den Ressourcen und dem eigenen Handeln. Die Instandsetzung von Denkmalen schone wertvolle Ressourcen und mache sie zugleich zukunftstauglich.

Der Tag des offenen Denkmals ist der deutsche Beitrag zu den European Heritage Days. Seit 1993 öffnen am zweiten Sonntag im September kaum oder nie zugängliche Kulturdenkmale ihre Türen für ein breites Publikum. In diesem Jahr besuchten nach Angaben der Stiftung mehrere Millionen Kulturbegeisterte rund 8.000 Denkmale in ganz Deutschland.



Chor-Musical über Martin Luther King zieht von Minden nach Halle

Die ursprünglich in Minden geplante Aufführungen des Chor-Musical "Martin Luther King - Ein Traum verändert die Welt" werden ins Gerry Weber Stadion im westfälischen Halle verlegt. Grund ist die Schließung der Mindener Kampa-Halle wegen Brandschutzmängel, wie die Veranstalter des Musicals am 18. Oktober in Witten mitteilten. Weil das Stadion als neue Spielstätte wesentlich mehr Plätze bietet, werden die ursprünglich geplanten zwei Aufführungen zu einer großen am 22. Februar zusammengelegt. Auch soll der derzeit rund 1.000 Sänger zählende Chor aus der Region weiter aufgestockt werden.

Für alle Sänger sowie für Zuschauer mit bereits gekauften Tickets für Minden wird ein kostenfreier Bustransfer von der Mindener Kampa-Halle zum Gerry Weber-Stadion und zurück angeboten, erklärte die "Creative Kirche" als Veranstalter. Alle Eintrittskarten müssten jedoch leider getauscht werden, da sich die Saalpläne der beiden Spielstätten grundlegend unterschieden. Auch eine Rückgabe der Tickets gegen Erstattung des Kaufpreises sei möglich.

Das Chor-Musical "Martin Luther King - Ein Traum verändert die Welt" erzählt im Sound von Gospel, Funk, Soul und Rockabilly die Geschichte des US-amerikanischen Baptistenpastors und Bürgerrechtlers Martin Luther King (1929-1968). Bei dem Musical lässt eine Band den Sound der 1960er und 70er Jahre wieder lebendig werden. Dazu singen und tanzen professionelle Musical-Darsteller. Eine tragende Rolle spielen Gospel-Hymnen wie "We shall overcome". Seine Premiere feierte das Stück vor insgesamt 9.000 Besuchern im Februar in der zweimal ausverkauften Gruga-Halle in Essen.

Auf dem Tournee-Plan 2020 stehen Aufführungen am 1. Februar in Münster und am 8. Februar in Siegen. Insgesamt sind 20 Aufführungen in elf deutschen Städten geplant. Veranstalter der Aufführung in Halle ist die Stiftung Creative Kirche in Kooperation mit der Evangelischen Kirche von Westfalen, den Evangelischen Kirchenkreisen Halle, Herford, Lübbecke, Minden und Vlotho, der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (Baptisten- und Brüdergemeinden). Projektpartner des Chormusicals ist "Brot für die Welt".



Deutscher Dirigentenpreis 2019 für Spanier Julio Garcia Vico

Der aus Spanien stammende Dirigent Julio García Vico hat am 19. Oktober in Köln den Deutschen Dirigentenpreis 2019 gewonnen. Der 1992 geborene Dirigent erhält neben dem Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro verschiedene Auftrittsmöglichkeiten, wie der Deutsche Musikrat am Samstag in Köln mitteilte. Der mit 10.000 Euro dotierte zweite Preis ging an den ungarischen Dirigenten Gábor Hontvári. Den mit 5.000 Euro dotierten dritten Preis erhielt die Dirigentin Chloé van Soeterstéde aus Frankreich.

Die Preisträger erhalten unter anderem Engagements beim Beethoven Orchester Bonn, dem Gürzenich-Orchester Köln, der Oper Köln, der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz und dem WDR Sinfonieorchester. Gastspiele soll es zudem bei den Hofer, Münchner und Nürnberger Symphonikern geben. Der internationale Wettbewerb fand nach 2017 bereits zum zweiten Mal stand. Der mit insgesamt 34.000 Euro Preisgeld und weiteren Fördermaßnahmen verbundene Dirigentenpreis ist nach Angaben der Veranstalter einer der höchstdotierten Auszeichnungen für Dirigenten in Europa.

Der internationale Wettbewerb zum Deutschen Dirigentenpreis wird vom Deutschen Musikrat in Zusammenarbeit mit der Kölner Philharmonie, der Oper Köln, dem Gürzenich-Orchester Köln und dem WDR Sinfonieorchester ausgetragen. Der Wettbewerb fand vom 11. bis 18. Oktober in Köln statt.




Entwicklung

Welthungerhilfe beklagt herben Rückschlag im Kampf gegen den Hunger


Dürre in Guatemala: Der Klimawandel verschlechtert die Ernährungslage in jenen Ländern, die ohnehin von Hunger und Armut betroffen sind (Archivbild)
epd-bild/Markus Nowak
Seit einigen Jahren nimmt der Hunger in der Welt wieder zu. 822 Millionen Männer, Frauen und Kinder sind derzeit unterernährt. In 43 Ländern ist die Lage ernst, besonders im Tschad, in Madagaskar, im Jemen und in Sambia, warnt die Welthungerhilfe.

Der Klimawandel verschärft nach Angaben der Deutschen Welthungerhilfe die Ernährungslage und gefährdet die Bekämpfung des Hungers in der Welt. Die erzielten Fortschritte seit dem Jahr 2000 seien nicht nur stark gefährdet, es gebe sogar Rückschritte in einigen Regionen, erklärte die Präsidentin der Organisation, Marlehn Thieme, am 15. Oktober in Berlin bei der Vorstellung des jährlichen Welthunger-Index (WHI). Die seit drei Jahren steigende Zahl der Hungernden weltweit auf derzeit 822 Millionen Menschen bezeichnete sie als "einen herben Rückschlag".

Der Welthunger-Index kennzeichnet die Ernährungslage in 117 Ländern. Davon weisen laut Welthungerhilfe 43 Länder "ernste" Hungerwerte auf. Als "sehr ernst" gilt die Lage im Tschad, in Madagaskar, im Jemen und in Sambia. Im Jemen, Libanon, der Zentralafrikanischen Republik und in Venezuela seien die WHI-Werte heute schlechter als im Jahr 2000. Erfreulich sei dagegen die Entwicklung in Myanmar und im Senegal, die sich von "sehr ernst" im Jahr 2000 auf "mäßig" verbesserten. Fortschritte gebe es auch in Angola, Äthiopien und Ruanda.

Klimawandel verschlechtere Ernährungslage

Der Bericht zeige, dass der Klimawandel die Ernährungslage in jenen Ländern verschlechtere, die ohnehin von Hunger und Armut betroffen sind, sagte Thieme. Wegen schwerer Dürren in weiten Teilen der Welt zwischen 2011 und 2016 seien 124 Millionen Menschen in 51 Ländern in eine krisenhafte Ernährungslage geraten.

Der Klimawandel wirke sich zunehmend auch auf die Qualität der Nahrungsmittel aus und könne zu Mangel- und Fehlernährung insbesondere bei armen Menschen führen. Ferner seien Konfliktgebiete deutlich anfälliger für die Auswirkungen des Klimawandels. "In der Folge werden sich die Hungerzahlen weiter erhöhen", befürchtet Thieme. Frauen und Kinder seien die Hauptleidtragenden.

Insgesamt sind den Angaben zufolge die Index-Werte zur Hungersituation weltweit seit 2000 um 31 Prozent gefallen. Diese Fortschritte seien aber zu langsam, sagte Thieme. Bei gleichem Tempo könnten 45 Länder den Hunger nicht bis zum Jahr 2030 besiegen, wie es die Staatengemeinschaft mit den Nachhaltigkeitszielen erreichen will. 2018 hat die Welthungerhilfe rund 10,5 Millionen Menschen in 37 Ländern unterstützt.

Jedes dritte Kleinkind leide unter schlechter Ernährung

Grüne und FDP im Bundestag forderten von der Bundesregierung, den Kampf gegen Hungersnöte zu verstärken. Deutschland müsse entschiedener und schneller gegen die Klimakrise vorgehen und sich mehr um "vergessenen Krisen" kümmern, sagte die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen, Margarete Bause, der Funke Mediengruppe (Dienstag). Der entwicklungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Christoph Hoffmann, erklärte, um eine wachsende Weltbevölkerung zu ernähren, müsse im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit die Landwirtschaft auch mit Hilfe neuer Biotechnologie intensiviert werden.

Das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" und die Menschenrechtsorganisation Fian erklärten, bei der Überwindung von Hunger und Ernährungssicherheit komme Frauen eine Schlüsselrolle zu. Sie übernähmen bei Anbau, Ernte und Zubereitung von Nahrungsmitteln zentrale Aufgaben. Trotzdem seien immer noch die Mehrheit der Menschen, die Hunger leiden, Frauen und Mädchen. Beide Organisationen sind Mitherausgeber eines neuen Jahrbuchs zum Recht auf Nahrung, das zum Welternährungstag (16. Oktober) erscheint.

Unicef zufolge leidet weltweit jedes dritte Kleinkind unter schlechter Ernährung. Mehr als 200 Millionen Mädchen und Jungen unter fünf Jahren seien unterernährt, unterentwickelt oder übergewichtig, heißt es in dem «Bericht zur Situation der Kinder in der Welt». Die Zahlen seien alarmierend, erklärte das UN-Kinderhilfswerks.



"Brot für die Welt"-Präsidentin warnt vor Armut durch Klimawandel

Die Präsidentin von "Brot für die Welt", Cornelia Füllkrug-Weitzel, hat vor den Folgen des Klimawandels in Entwicklungsländern gewarnt: "Der Klimawandel zerstört die Lebensgrundlagen im globalen Süden", sagte sie am 18. Oktober bei der Vorstellung ihres Buches "Klima geht uns alle an" auf der Frankfurter Buchmesse. Ohne Gegensteuern werde die weltweite Armut extrem zunehmen.

Der Klimawandel sei eine Gerechtigkeitsfrage, betonte die Chefin des evangelischen Hilfswerks. Er sei vor allem von Industrieländern verursacht, gleichzeitig hätten arme Länder viel weniger Ressourcen, um sich daran anzupassen. Hoffnung mache ihr, dass nicht nur in Europa, sondern auch in afrikanischen Ländern junge Menschen auf die Straßen gingen, um für eine nachhaltigere Klimapolitik zu demonstrieren.

"Populisten"

Der in dem Buch interviewte Meteorologe und Fernsehmoderator Sven Plöger lobte ebenfalls die Klimabewegung "Fridays for Future". Die Schülerinnen und Schüler seien die "einzige Kraft, die das Thema Klima in die Politik getragen hat". Zugleich kritisierte Plöger die Klimapolitik der Bundesregierung als unzureichend: Das im Oktober beschlossene Klimapaket sei höchstens ein "Paketchen", sagte er. "Da gibt es Nachholbedarf."

Menschen, die den Klimawandel leugnen, bezeichnete der aus ARD-Wettersendungen bekannte Meteorologe als Populisten. "Was die Klimaforschung vor 30 Jahren vorhergesagt hat, ist heute eingetreten", sagte Plöger. Es gebe mehr Dürren, stärkere Stürme und es sei heißer geworden.

Das von Füllkrug-Weitzel herausgegebene Buch enthält Interviews und Reportagen zum Klimawandel. Interviewt wurden unter anderem der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, und die Klimaaktivistin Luisa Neubauer.



Kais Saïed zum neuen tunesischen Präsidenten gewählt

Der parteilose Jurist Kais Saïed ist zum Sieger der Stichwahl um das Präsidentenamt in Tunesien erklärt worden. Dies gab die Wahlbehörde am 14. Oktober in Tunis bekannt. Demnach erhielt Saïed 72,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sein Gegenkandidat Nabil Karoui kam lediglich auf 27,3 Prozent.

Die Wahlbeteiligung lag bei 55 Prozent der gut sieben Millionen registrierten Wähler. Wie im ersten Wahlgang, in dem Saïed 18,4 Prozent der Stimmen geholt hatte, stimmten vor allem junge Wähler für ihn. Ersten Umfragen eines privaten Umfrageinstituts zu Folge entschieden sich 90 Prozent der 18- bis 25-jährigen Wähler für ihn.

Gegenkandidat Karoui hatte bereits am Vorabend die Tatsache, dass er keinen Wahlkampf führen konnte, für seine Niederlage verantwortlich gemacht. Er hatte seit Ende August wegen Vorwürfen der Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Untersuchungshaft gesessen und war kurz vor der Wahl freigekommen. Karoui gratulierte Saïed zu dessen Sieg. Ob er das Ergebnis anfechten wird, ist noch offen.

Saïed hatte ohne Partei im Hintergrund und mit einfachsten Mitteln Wahlkampf geführt. Am 13. Oktober sagte er, die Tunesier hätten "der ganzen Welt eine Lektion erteilt. Es ist eine Revolution im Rahmen einer demokratischen Verfassung und in völliger Legalität". Saïed, der gesellschaftlich konservative Positionen vertritt, plant nach eigenen Angaben die Einführung eines dezentralen, basisdemokratischen Regierungssystems.



Strafanzeige gegen TÜV Süd nach Dammbruch in Brasilien

TÜV Süd attestierte die Stabilität eines Damms, der kurz darauf brach und etwa 270 Menschen unter sich begrub. Angehörige wollen ein Verfahren gegen den Konzern bewirken.

Rund neun Monate nach dem verheerenden Dammbruch in einer Eisenerzmine in Brasilien haben fünf Angehörige von Todesopfern Anzeige gegen TÜV Süd gestellt. Sie werfen dem deutschen Zertifizierungsunternehmen fahrlässige Tötung, Privatbestechung, fahrlässiges Herbeiführen einer Überschwemmung sowie Verletzung der Aufsichtspflichten vor, wie die Menschenrechtsorganisation ECCHR (Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte) und das katholische Hilfswerk Misereor am 17. Oktober in Berlin mitteilten.

Bei dem Bruch eines Rückhaltebeckens in der Ortschaft Brumadinho im südöstlichen Bundesstaat Minas Gerais starben am 25. Januar mindestens 249 Menschen. 21 Menschen gelten noch als vermisst. TÜV Süd hatte noch im September 2018 in einem Gutachten die Stabilität des Damms attestiert.

TÜV Süd versicherte sein "großes Interesse an der Aufklärung der Unglücksursache". Ein Vertreter des Konzerns habe sich am 17. Oktober spontan mit Angehörigen der Opfer getroffen, sagte Uta Apel von der Kommunikationsagentur Brunswick im Auftrag von TÜV Süd dem Evangelischen Pressedienst (epd). Weitere Auskünfte sowie einen Kommentar zur Strafanzeige wollte das Unternehmen wegen des laufenden Verfahrens aber nicht gegeben.

Aktion am Firmensitz

Vor dem Firmensitz von TÜV Süd in München protestierten derweil schlammverschmierte Aktivistinnen und Aktivisten. "Der Fall ist schockierend - und er reiht sich ein in eine traurige Liste", erklärte Johannes Heeg von der "Initiative Lieferkettengesetz", die von der Bundesregierung einen gesetzlichen Rahmen fordert, um deutsche Unternehmen künftig zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards auch im Ausland zu verpflichten. "Immer wieder tragen deutsche Firmen weltweit zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung bei. Das muss aufhören", forderte Heeg. Die schlammbeschmierten Menschen mit der Aufschrift "TÜV-Süd-zertifiziert" symbolisierten die Opfer des Dammbruchs. Der Initiative gehören 74 zivilgesellschaftliche Organisationen an, darunter auch Misereor und BUND.

Im Juli hatte ein Gericht den Konzern Vale, der die Mine betreibt, verurteilt, für alle Schäden der Katastrophe aufzukommen. Die Konten von Vale in Höhe von mehr als 2,5 Milliarden Euro sind wegen etwaiger Schadensersatzzahlungen blockiert. Nach einer Übereinkunft mit der Staatsanwaltschaft muss Vale neben Entschädigungen auch Pensionen für Angehörige bis zum 75. Lebensjahr zahlen. Außerdem wurde der Konzern zur Zahlung einer "kollektiven Wiedergutmachung" von etwa 90 Millionen Euro verpflichtet. Das Geld soll für die Beseitigung der Umweltschäden und zum Wiederaufbau verwendet werden.

"Verschleierung von Verantwortlichkeiten"

"Der Dammbruch war kein Unfall - er war ein Verbrechen", erklärte Marcela Nayara Rodrigues, deren Vater bei dem Dammbruch umkam und die die Anzeige mit vier weiteren Angehörigen erstattete. "TÜV Süd wusste, dass der Damm ein Sicherheitsrisiko barg, trotzdem wurde die Stabilitätserklärung ausgestellt." Das Verfahren in Deutschland solle Vale nicht aus der Verantwortung entlassen, erklärte Claudia Müller-Hoff vom ECCHR. "Der Fall zeigt: Das System der Zertifizierungen sorgt nicht für Sicherheit, sondern vor allem für eine Verschleierung von Verantwortlichkeiten."

TÜV Süd hatte ein Gutachten ausgestellt, das Grundlage für den Weiterbetrieb der Mine war, obwohl deren Ingenieure zuvor auf die mangelnde Stabilität des 85 Meter hohen Damms hingewiesen hatten. Demnach gab es Probleme mit dem Drainagesystem. Die Ingenieure hatten darauf hingewiesen, dass zu viel Wasser im Damm und deshalb die Stabilität gefährdet gewesen sei, wie brasilianische Medien unter Berufung auf polizeiliche Vernehmungsprotokolle berichteten.



Schauspieler, Models und Youtuber werben für Entwicklungshilfe

Fünf große Hilfsorganisationen werben mit der Unterstützung von Schauspielern, Models, Musikern und Social-Media-Stars für ihre weltweite Arbeit. Am 17. Oktober starteten "Brot für die Welt", Christoffel-Blindenmission, German Doctors, Kindernothilfe und das katholische Hilfswerk Misereor in Berlin die bundesweite Kampagne "Entwicklung wirkt". In kurzen Videos stellen unter anderem die Schauspieler Til Schweiger und Jan Josef Liefers, Topmodel Stefanie Giesinger, Sänger Max Mutzke, Musiker Peter Maffay und Youtuber Gronkh Projekte erfolgreicher Entwicklungszusammenarbeit vor.

So berichtet Schweiger von dem Baraka Medical Center der German Doctors in einem Slum in Nairobi (Kenia). Model Mandy Capristo präsentiert ein Projekt für Bananen-Kleinbauern von "Brot für die Welt" im peruanischen Valle des Chira.

"Wir sind der Überzeugung, dass Deutschland auf staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene auch weiterhin international Verantwortung tragen muss", erklärten die Organisationen zum Auftakt der Kampagne. Die Unterstützung von Fonds, Programmen und lokalen Initiativen, die sich etwa für bessere Gesundheit, Beendigung von Hunger und Armut, Klimaschutz, faire Löhne, Gleichberechtigung und Schutz vor Verfolgung einsetzen, dürfe nicht nachlassen. Die Kampagne läuft unter anderem im Internet und auf Social-Media-Kanälen.



Entwicklungsbündnis: China in Lösung von Schuldenkrisen einbeziehen

Das entwicklungspolitische Bündnis erlassjahr.de hat den Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgefordert, auch China in die Bewältigung von Schuldenkrisen einzubeziehen. Es müsse ein umfassendes Verfahren geschaffen werden, das alle Gläubiger eines Landes an den Verhandlungstisch bringe, erklärte der politische Koordinator von erlassjahr.de, Jürgen Kaiser, am 17. Oktober in Düsseldorf. "Dazu gehört auch die Volksrepublik China, die für zahlreiche Staaten im Globalen Süden aktuell der bedeutendste bilaterale Kreditgeber ist."

Das Entschuldungsbündnis wies mit Blick auf die aktuelle Jahrestagung von IWF und Weltbank in Washington darauf hin, dass beispielsweise Argentinien die Staatspleite drohe. Auch Länder wie die Republik Kongo, der Tschad und Gambia seien überschuldet und könnten ihren Schuldendienst an ihre Gläubiger nicht begleichen. Seit Monaten seien zudem die politisch instabilen Staaten Simbabwe und Venezuela im Zahlungsausfall. Der IWF komme daher nicht daran vorbei, sich mit den "drohenden Schuldenkrisen im Globalen Süden" zu befassen.



Unicef: Trotz Feuerpause in Syrien sind Zehntausende Kinder in Gefahr

Trotz der angekündigten fünftägigen Feuerpause im nördlichen Syrien sind nach Einschätzung des UN-Kinderhilfswerks Unicef weiter Zehntausende Kinder in der Region in Gefahr. Über 160.000 Menschen seien seit Beginn der türkischen Militäroffensive in der vergangenen Woche bereits geflohen - darunter auch rund 70.000 Kinder, teilte das Deutsche Komitee für Unicef am 18. Oktober in Köln mit. Viele Kinder seien schlecht ernährt, von Krankheiten bedroht und erschöpft. Vor dem heraufziehenden Winter müssten sie mit warmer Kleidung versorgt werden.

Unicef ruft die Konfliktparteien zum Schutz der Zivilbevölkerung auf, die Helfer müssten freien und sicheren Zugang erhalten. Die meisten Familien, die sich vor den Kämpfen in Sicherheit gebracht haben, sind von der Nordgrenze Syriens aus in Richtung Süden geflohen. Angesichts der unberechenbaren Lage rechnet Unicef mit weiteren Flüchtlingsbewegungen.

Das UN-Kinderhilfswerk organisiert mit seinen nationalen und internationalen Partnern Hilfe für die betroffenen Familien und ihre Kinder. In 33 improvisierten Notlagern in Schulen oder öffentlichen Gebäuden in den Bezirken Ar-Rakka und Al-Haskah versorgt es die Familien mit dem Nötigsten.

Unterstützung leistet derzeit auch ein Team der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen in einem Flüchtlingscamp in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, in die viele kurdische Familien aus dem Nachbarland fliehen. Mitarbeiter der Flüchtlingshilfe versorgten dort bereits 400 Familien mit Lebensmittelpaketen, wie der Vorsitzende der Caritas-Flüchtlingshilfe Essen, Rudi Löffelsend, sagte. Zur Unterstützung der weiteren Hilfe würden jetzt aber dringend Spenden benötigt.