Eine Generation meldet sich zu Wort und will Taten sehen. Die größte Angst haben die 12- bis 25-Jährigen heute vor der Umweltzerstörung, wie aus der 18. Shell-Jugendstudie hervorgeht, die am 14. Oktober in Berlin vorgestellt wurde. Die Studie bestätigt Trends der vergangenen Jahre, findet aber auch neue Entwicklungen. Mindestens ein Drittel der Jugendlichen ist inzwischen empfänglich für populistische Positionen. Neun Prozent stimmen rechtspopulistischen Positionen insgesamt zu.

Ein anderes Drittel verstärkt das politische Engagement. Es sind diejenigen, die sich ohnehin für Politik interessieren. Sie sind gut gebildet, zunehmend weiblich, insgesamt aber eine Minderheit. Die "Fridays for Future"-Bewegung zum Klimaschutz ist die bekannteste Form dieses Engagements weitab von der klassischen Politik. Mehr als zwei Drittel aller Jugendlichen (71 Prozent) sagen, die Politiker kümmerten sich nicht um ihre Anliegen.

Dennoch ist die Zufriedenheit mit der Demokratie gestiegen, besonders im Osten Deutschlands, von 54 Prozent im Jahr 2015 auf 66 Prozent laut der aktuellen Shell-Jugendstudie 2019. Die Politikverdrossenheit ist eine Politiker- und Parteienverdrossenheit. Die Demokratie mit ihren Institutionen und Garantien wird von der Mehrheit nicht infrage gestellt. Zudem gleichen sich 30 Jahre nach der Maueröffnung die Haltungen in West und Ost weiter an.

Tolerant, werteorientiert, pragmatisch und leistungsbereit

Fragen nach ihren Ängsten beantwortet die junge Generation ebenso eindeutig wie Fragen nach ihren Werten. Umweltzerstörung (71 Prozent) und der Klimawandel (65 Prozent) stehen an der Spitze der Befürchtungen. Die Jugendlichen beobachten aber auch eine wachsende Feinseligkeit im öffentlichen Leben, ein neuer Aspekt, nach dem die Forscher erstmals fragten.

Die Angst vor einer wachsenden Ausländerfeindlichkeit übersteigt mit 52 Prozent klar die Angst vor weiterer Zuwanderung (33 Prozent). Dafür mag auch eine Rolle spielen, dass knapp ein Drittel der jungen Generation inzwischen entweder selbst einen Migrationshintergrund hat oder nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.

Die junge Generation ist der Studie zufolge insgesamt tolerant, werteorientiert, pragmatisch und leistungsbereit. Das hat sich seit den frühen 2000er Jahren noch verstärkt. Familienleben, eine gute Beziehung zu den Eltern, Freunde und die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben stehen weiter hoch im Kurs. Viele junge Menschen können sich aber nicht vorstellen, wie sie das alles unter einen Hut bringen sollen. Das zeigte sich bei der Frage, wie sie leben wollen, wenn sie 30 Jahre alt sind und ein zweijähriges Kind haben. Die Mehrheit der jungen Frauen und Männer findet, dass die Frau dann beruflich kürzer treten muss. Mehr als zwei Drittel wollen einmal Kinder haben.

Giffey forderte Senkung des Wahlalters

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) findet es überraschend, dass junge Leute bei traditionellen Rollenbildern Zuflucht suchen und betonte, dies sei im Westen stärker ausgeprägt als im Osten Deutschlands. Ihr Ziel sei es, die Vereinbarkeit von Familienleben und Beruf weiter zu verbessern, sagte sie. Dass sich mehr als zwei Drittel der jungen Menschen von Politikerinnen und Politikern nicht vertreten fühlen, nahm Giffey zum Anlass, erneut eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre zu fordern. Die Initiative dazu brauche aber eine breite politische Mehrheit, sagte sie.

Die Shell-Jugendstudie wurde von einem Forscherteam um den Bielefelder Politikwissenschaftler Mathias Albert erarbeitet, zu dem auch der frühere Leiter der Studie, Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School of Governance, gehört. Die repräsentative Umfrage lieferte das Münchner Meinungsforschungsinstitut Kantar Public. Von Januar bis März dieses Jahres wurden 2.572 Jugendliche im Alter von zwölf bis 25 Jahren befragt.

Der Shell-Konzern beauftragt seit 1953 unabhängige Wissenschaftler mit der Erstellung von Jugendstudien. 2015 standen die auffällige Werte-Orientierung der jungen Menschen und ihr wachsendes politisches Interesse im Mittelpunkt. Die Shell-Jugendstudie von 2010 zeigte besonders, wie stark die soziale Herkunft die Zukunftserwartungen von Jugendlichen bestimmt. Daran hat sich der aktuellen Erhebung zufolge wenig geändert. Zwar blickt eine Mehrheit zuversichtlich in die Zukunft (58 Prozent), Jugendliche aus den unteren Schichten sind aber weniger optimistisch.