Wer ins Saargebiet möchte, braucht erst einmal einen "Passierschein". Erst dann öffnet sich der Schlagbaum zur Ausstellung im Historischen Museum Saar. Seit 19. Oktober dreht sich dort unter dem Titel "Die 20er Jahre - Leben zwischen Tradition und Moderne im internationalen Saargebiet" alles um den Alltag der Menschen im Saargebiet, dem heutigen Saarland.

Von 1920 bis 1935 stand das Saargebiet unter dem Mandat des Völkerbundes, einem Vorläufer der Vereinten Nationen. Nach 15 Jahren sollten sich die Saarländer entscheiden, ob sie in Zukunft zu Frankreich oder Deutschland gehören oder den Status Quo als eigene Region behalten wollten. Am 13. Januar 1935 war diese Frist verstrichen. 90 Prozent der Wähler stimmten für eine Rückgliederung an Deutschland, an Hitlerdeutschland.

Akzent auf Alltag der Menschen in dieser Zeit

Während sich das Museum bereits in seinen Dauerauststellungen mit der Geschichte auseinandersetzt, greift die Sonderausstellung den Alltag der Menschen in dieser besonderen Zeit auf. Passend zum 100-jährigen Bestehen, welches das Saarland im kommenden Jahr unter dem Motto "Saarhundert" feiert. Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) ist dementsprechend auch Schirmherr der Ausstellung.

Die Ausstellungshalle ist einer Straßenszene nachempfunden: Eckige Litfaßsäulen zeigen Zeitungsanzeigen und Werbung, Schaufenster stellen warenhaustypische Kleidung und Elektrogeräte aus, die damals verkauft wurden. Darunter auch ein Gerät, welches laut Museumsleiter Simon Matzerath Stromstöße beim Baden abgeben sollte, um beispielsweise Neurosen, Impotenz oder einen Hexenschuss zu heilen. "Strom war sehr faszinierend", sagt er. Heute würde sich auch niemand mehr trauen, die Dauerwellenhaube mit ihren Elektrokabeln aufzusetzen.

Passend zum Strom unterliegt die nachgestellte Straßenszene auch einem Tag- und Nachtwechsel. Zu der jeweiligen "Tageszeit" gibt es dann unterschiedliche Projektionen zu entdecken. Im Charleston-Café führt ein Tänzer im Video den gleichnamigen Tanz vor und erklärt später auch die Schritte. Insgesamt sind laut Matzerath über 200 Fotos sowie 70 Originalobjekte zu sehen.

Thematisch gliedert sich die Ausstellung in die Bereiche Freizeitmöglichkeiten, Warenwelt, Mobilität, die neue Frau, Elektrifizierung, aber auch soziale Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit. Eine comicartige Darstellung zeigt beispielsweise wie viel die Saarländer verdienten und was sie mit ihrem Geld kauften. So gaben sie etwa 50 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel, 15 bis 20 Prozent für Kleidung, 5 bis 20 Prozent für Miete und ein Prozent für Freizeitaktivitäten wie das Kino aus.

Auch Abtreibung thematisiert

Ein weiterer Aspekt ist aber auch das Thema Abtreibung. Passend dazu ist im Begleitprogramm "Der Kreuzzug des Weibes" von 1926 zu sehen - ein Aufklärungsfilm, der die Strafbarkeit der Abtreibung kritisierte und auch in Saarbrücken gezeigt wurde. Gerade für arme Frauen habe es keine Möglichkeit gegeben, sich auch noch um ein neuntes oder zehntes Kind zu kümmern, berichtet Kuratorin Jessica Siebeneich. Frauen führten oft Abtreibungen selbst durch und starben dabei.

Für die Ausstellung hat das K8 Institut für strategische Ästhetik mehrere interaktive Module entwickelt. Eine Station erklärt in Form eines Brettspiels den Ausbau des saarländischen Stromnetzes, eine andere widmet sich der Färbung von Schwarz-Weiß-Fotos mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz. Im speziellen Filmraum warten zwei Stationen auf den Besucher. Das "Kino der 20er" ermöglicht virtuelle Kinokarten an der Kasse abzugeben, um Ausschnitte aus Filmen der damaligen Zeit zu sehen. Die 3D-Installation "Metropole des Westens" lässt einen per Gestensteuerung durch ein fiktives Saarbrücken mit einigen noch heute existierenden Gebäuden spazieren.

"Saarbrücken war nie Berlin oder Paris", sagt Matzerath. Jedoch sei es eine mittlere Metropole gewesen, in der alle für die 20er Jahre typischen Elemente zu finden seien. Mal mehr und mal weniger ausgeprägt. Die Schau läuft bis zum 24. Mai 2020.