Düsseldorf (epd). „Baraye“: Die Hymne der iranischen Revolution klingt durch die Kirche St. Albertus Magnus in Düsseldorf. „Für das Tanzen in den Straßen. Für die Angst, sich in der Öffentlichkeit zu küssen. Für meine Schwester, deine Schwester, unsere Schwestern.“ Die iranisch-deutsche Sängerin Schirin Partowi singt diese Zeilen des Liedes von Shervin Hajipour in der prall gefüllten Kirche. Sie bringt damit den Protest, die Ängste und die Hoffnungen der Iranerinnen und Iraner, die seit September für Freiheit und Menschenrechte auf die Straßen gehen, auch emotional ganz nah an die über 200 Menschen heran, die in dem Gotteshaus sitzen und stehen.
Überwiegend sind es Mitglieder der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland, die zu der Solidaritätsaktion am 18. Januar eingeladen hat. Die im Iran geborene Diplom-Pädagogin Shabnam Arzt von der Initiative „Frau. Leben. Freiheit. Solingen für den Iran“ ruft in dem „politischen Nachtgebet“ eindringlich zur Unterstützung der Protestierenden im Iran auf, die nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im September begonnen hatten. Das iranische Regime geht mit massiver Gewalt gegen die Protestierenden vor und vollstreckt auch Todesstrafen. „Bitte schweigen Sie nicht“, sagt Arzt eindringlich.
Sie bittet die Abgeordneten aus den evangelischen Kirchenkreisen und Gemeinden zwischen Niederrhein und Saar, politischen Druck bei Abgeordneten von Landtag und Bundestag zu erzeugen, damit die islamischen Revolutionsgarden auf die Terrorliste gesetzt werden. Patenschaften über die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) könnten Hinrichtungen verhindern. Auch das Teilen von Informationen auf Social-Media-Plattformen könne helfen, ebenso wie Gespräche in Kirchengemeinden über das Unrecht im Iran: „Unterstützen Sie die iranische Revolution, damit die Angst der Frauen, der Männer, der Kinder ein Ende hat.“
Im Nachtgebet in der Kirche unweit des Tagungsorts der Synode wird ein kurz zuvor gefasster Beschluss des Kirchenparlaments verlesen, der dazu auffordert, die Anliegen der Proteste gegen das iranische Mullah-Regime zu unterstützen. Man verurteile das „himmelschreiende Unrecht und die schweren Menschenrechtsverletzungen“ in dem Land am Persischen Golf, heißt es darin. „Wir sind solidarisch mit dem Aufruf der Demonstrierenden im Iran: Frauen. Leben. Freiheit.“ Die Synode sei entsetzt, dass die Protestierenden gefoltert und hingerichtet würden. „Wir bewundern den Mut, sich der Gewalt mit dem eigenen Leben entgegenzustellen.“
Die Pädagogin Arzt, die selbst als Jugendliche nach Deutschland kam, berichtet auch von ihren eigenen Erfahrungen mit der Angst vor den Revolutionsgarden aus ihrer Kindheit im Iran. Sie habe oft am Fenster auf ihren Vater gewartet, schon bei kleinen Verspätungen um ihn gebangt und gehofft, „dass er nicht verhaftet wurde und dass er heimkehrt“. Mahsa Amini sei nicht mehr nach Hause gekommen, sagt Shabnam Arzt. „Ein junges Leben einfach so ausgelöscht.“ Die junge Kurdin wurde im September von der sogenannten Sittenpolizei abgeführt, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht wie vorgeschrieben getragen haben soll. Danach starb sie an ihr zugefügten Verletzungen.
Auch von den Protesten gegen das Mullah-Regime, die seit Aminis Tod im ganzen Land stattfinden, kehrten zahlreiche Menschen nicht zurück, betont Arzt. Viele seien bereits getötet, zum Tode verurteilt, hingerichtet, gefoltert, misshandelt oder inhaftiert worden. „Die Iranerinnen sagen, es ist genug!“, betont Arzt.
Die rheinische Landessynode begrüßt in ihrer Solidaritätserklärung auch das Ansinnen des EU-Parlaments, dass die iranischen Revolutionsgarden auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt werden. Sie bete um „Befreiung für die Verfolgten, um die Entmachtung der Unterdrücker und um die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit“, heißt es in dem Papier. Im Nachtgebet zünden die Vertreterinnen und Vertreter aus den rheinischen Gemeinden und Kirchenkreisen Kerzen für die Menschen an und senden ihnen Hoffnung und Kraft, „und sei es nur ein Hauch“, wie Oberkirchenrätin Wibke Janssen sagt.
Die Menschen im Iran lebten schon jahrzehntelang in Angst, stellt Arzt fest. „Angst, etwas Falsches zu sagen. Angst, nicht regimekonform angezogen zu sein. Angst, dass ihre Liebsten abends nicht heimkehren werden.“ Sie selbst hoffe, dass all das bald ein Ende hat: „Ich träume davon, eines Tages mit meinen Cousinen in Teheran das persische Neujahrsfest zu feiern. In Freiheit! Bitte träumen, hoffen und beten Sie mit mir.“
Düsseldorf (epd). Friedensethik, Missbrauch und Klimaschutz: In seinem diesjährigen Bericht vor der rheinischen Landessynode hat Präses Thorsten Latzel am 17. Januar in Düsseldorf Position zu wichtigen Themen in Kirche und Gesellschaft bezogen. In der Debatte über den Ukraine-Krieg warnte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland davor, die Debatte auf Waffenlieferungen einzuengen. Die sozialen Folgen des Krieges in Deutschland müssten besser aufgefangen werden. Mit Blick auf den Klimawandel erneuerte Latzel seine Forderung nach einem anderen Lebensstil.
Die Ukraine habe ein Recht auf Selbstverteidigung und es sei die Aufgabe der Völkergemeinschaft, sie dabei zu unterstützen, sagte der 52-jährige Theologe vor dem Kirchenparlament der 2,27 Millionen rheinischen Protestanten. Dies sei jedoch Sache des Staates.
Die Kirche habe nach der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 die Aufgabe, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit sowie an die Verantwortung aller zu erinnern. Außerdem könne sie die Versorgung ukrainischer Flüchtlinge unterstützen und ihre friedenspädagogische Kompetenz einbringen, sagte Latzel. Er hob die „große pazifistische Tradition“ der evangelischen Kirche hervor und mahnte, die Menschen in Russland nicht zum Feindbild zu machen. Christen zeichne auch der Gedanke der Feindesliebe aus.
An die Politik appellierte Latzel, mehr zur Bekämpfung von Armut zu tun. Auch in Deutschland seien vor allem die ärmsten Menschen von hoher Inflation und gestiegenen Preisen infolge des Ukraine-Krieges betroffen.
Beim Thema Missbrauch hob der Theologe die besondere Verantwortung der Kirche hervor: Hier hätten Menschen, die für Seelsorge zuständig waren, andere an Körper und Seele verletzt. „Zu oft wurde weggesehen, geschwiegen oder vermeintlich versucht, den Ruf der Institution zu schützen.“ Durch fehlende Anerkennung des Leides sei vielen Betroffenen ein zweites Leid widerfahren, Kirche müsse aber auf ihre Anliegen hören.
Im Februar sollen nach Angaben der rheinischen Kirche die Ergebnisse einer Regionalstudie mit der westfälischen und der lippischen Kirche sowie der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe vorgelegt werden. Für den Herbst werden erste Ergebnisse einer Studie auf Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erwartet.
Mit der Schöpfung darf nach den Worten des rheinischen Präses nicht gedankenlos umgegangen werden, als wäre sie unerschöpflich. Auch die zweitgrößte Landeskirche in Deutschland wolle ihr Ziel angehen, bis 2035 klimaneutral zu werden: „Dafür ertüchtigen wir unsere Gebäude, ändern unser Mobilitätsverhalten, kaufen wir nachhaltig ein.“
Der Landessynode liegt ein Antrag aus den Reihen der evangelischen Jugend vor, in dem ein sofortiges Moratorium für die Kohleförderung unter Lützerath gefordert wird. „Eine Atempause dient der Deeskalation und schafft Zeit für klimapolitisch verantwortbare Entscheidungen“, heißt es in dem Antrag. „Zukünftigen Generationen dürfen nicht die Belastungen der jetzigen Generation überlassen werden, sie haben ein Recht auf eine natürliche Lebensgrundlage.“
Im Blick auf das kirchliche Leben äußerte Latzel den Wunsch, dass mehr Menschen anderer Herkunft in den Gemeinden heimisch werden: „Wir sprechen viel von Offenheit und sind aber doch ziemlich biodeutsch.“ Angesichts einer schwindenden kulturellen Selbstverständlichkeit des Glaubens müssten Familien darin unterstützt werden, mit Kindern zu beten und ihnen aus der Bibel vorzulesen.
Düsseldorf (epd). Für Pfarrerinnen und Pfarrer der rheinischen Kirche gilt künftig eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 41 Stunden. Die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland beschloss am 19. Januar in Düsseldorf nach fast zwei Stunden intensiver Debatte mehrheitlich die Festlegung der Arbeitszeiten. Im Teilzeitdienst gilt eine daran angepasste Zeit.
Laut Beschluss sind Pfarrerinnen und Pfarrer verpflichtet, Mehrarbeit zu leisten, wenn ihr Dienst dies erfordert. Wenn sie im Laufe eines Jahres allerdings mehr als 44 Stunden pro Woche arbeiteten, haben sie Anspruch auf eine Überprüfung der Dienstvereinbarung. Einen Anspruch auf Bezahlung der Mehrarbeit gibt es dagegen nicht.
Hintergründe sind die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die Gefahr von Überlastung, Burnout und Stress - vor allem für den Teildienst. Für den Pfarrdienst habe es bisher an der Verbindlichkeit gefehlt, sagte die im Landeskirchenamt zuständige Dezernentin für Personalverwaltung, Iris Döring. Wenn etwa Presbyterien und Pfarrerinnen sowie Pfarrer nun eine Dienstvereinbarung ausmachen, müssten sie Schwerpunkte setzen und sich beschränken. Über ein digitales Tool solle der Zeitaufwand berechnet und festgelegt werden.
Kirchenrechtsdirektor Götz Klostermann betonte: „Es ist mitnichten so, dass wir eine Stechuhrmentalität einführen wollen.“ Es handle sich um eine Vertrauensarbeitszeit. „Es geht um die Aufgabenplanung und den Überforderungsschutz“, sagte er. Auf irgendeine Art und Weise müsse letztlich allerdings festgestellt werden, wie viele Stunden man gearbeitet habe. „Wir stehen hier am Anfang einer Entwicklung“, sagte Klostermann.
Der Superintendent des Kirchenkreises Saar-West, Christian Weyer, betonte in der Aussprache, dass dies ein radikaler Systemwechsel sei, der sich aber der Realität stelle. „Was Sie noch nicht wussten, ich komme aus der Zukunft“, sagte er: „Wir haben diesen radikalen Systemwechsel schon.“ In seinem Kirchenkreis gebe es zurzeit keine Bewerbungen und sieben Vakanzen bei 35 Pfarrstellen.
Düsseldorf (epd). Die Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland hat am 20. Januar zum Abschluss ihrer Jahrestagung Beschlüsse zu Klimaschutz und Armut gefasst und ein neues Kirchenleitungs-Mitglied eingeführt. Sechs Tage lang befasste sich das oberste Organ der zweitgrößten deutschen Landeskirche mit zahlreichen Themen, Vorlagen und Kirchengesetzen. Nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse:
SCHWERPUNKTTHEMA BILDUNG: In den Kitas, Schulen und anderen Bildungsangeboten der rheinischen Kirche sollen Diversität und Partizipation eine größere Rolle spielen, mehr Kooperationen mit anderen Trägern sind erwünscht. 180.000 Euro sollen in mehrere Projekte fließen, darunter ein Podcast für Familien zu religiösen Fragen.
PFARRDIENST: Für rheinische Pfarrerinnen und Pfarrer gilt künftig eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 41 Stunden. Sie sollen so vor Überlastung geschützt werden und Familie und Beruf besser vereinbaren können.
REFORMEN: Die Kirchenordnung wird um mehr als die Hälfte ihres bisherigen Umfangs reduziert, vereinfacht und auf ihre Grundsätze reduziert, um Bürokratie abzubauen. Das Projekt der „Erprobungsräume“ für innovative Formen von Kirche wird um zwei Jahre verlängert.
FINANZEN: Die rheinische Kirche wirtschaftet in diesem Jahr mit einem Etat von 584 Millionen Euro, gut 40 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. 2024 liegt der Gesamthaushalt bei 579 Millionen Euro. Die Kirchensteuereinnahmen steigen in diesem Jahr vermutlich um knapp drei Prozent auf 781 Millionen Euro. Bis 2026 werden weiter leicht steigende Einnahmen erwartet.
WAHLEN: Der Superintendent des Kirchenkreises an Lahn und Dill, Hartmut Sitzler, ist als Nachfolger der Altenkirchener Superintendentin Andrea Aufderheide neues Mitglied der Kirchenleitung.
KLIMASCHUTZ: Die rheinische Kirche fordert ein sofortiges Moratorium für den Braunkohleabbau unter Lützerath, um die Notwendigkeit weiterer Kohleförderung zu klären. Die Gebäude aller kirchlichen Körperschaften sollen bis 2035 klimaneutral betrieben werden. Bis 2027 müssen alle Gemeinden, Kirchenkreise und die Landeskirche prüfen, welche der knapp 5.400 Immobilien sie künftig noch benötigen.
FLÜCHTLINGE: Die Landessynode fordert, völkerrechtswidrige Zurückweisungen an den EU-Grenzen sofort zu beenden. Flüchtlinge aus der Ukraine und aus anderen Staaten müssten gleichbehandelt werden.
ARMUT: Die Synode fordert mehr Hilfen für einkommensschwache Haushalte, hier seien Vermögende, Besserverdienende und der Staat gefordert. Auch die Kirche unterstütze Betroffene.
UKRAINE-KRIEG: Die Synode verurteilt den russischen Angriffskrieg und seine Rechtfertigung durch das Moskauer Patriarchat der Russisch-Orthodoxen Kirche, solidarisiert sich mit den Opfern und fordert, Kriegsverbrechen zu bestrafen. Die Ukraine habe ein Recht, sich zu verteidigen. Waffenlieferungen werden weder befürwortet noch abgelehnt, die Mittel zur Unterstützung der Ukraine würden kontrovers diskutiert.
IRAN: In einem politischen Nachtgebet solidarisiert sich die Landessynode mit den Protesten gegen das Mullah-Regime im Iran. Eine Rednerin bittet um Unterstützung der Protestbewegung, „damit die Angst der Frauen, der Männer, der Kinder ein Ende hat“.
Dortmund, Bielefeld (epd). Mit einem Fachtag und einem Gottesdienst ist am 20. Januar in Dortmund ein neues Institut für Mission und Ökumene der westfälischen Kirche eröffnet worden. Das „oikos-Institut für Mission und Ökumene“ soll für Gemeinde- und Kirchenentwicklung, Entwicklungsdienst und weltweite Nachhaltigkeit, Mission und Kirchenpartnerschaften zuständig sein. Das neue Institut ist aus der Zusammenführung von zwei landeskirchlichen Einrichtungen entstanden, dem „Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung“ (MÖWe) und dem Institut für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste (igm).
In dem neu gegründeten Oikos-Institut wachse zusammen, was vom Auftrag her im Kern zusammengehöre, sagte die westfälische Präses Annette Kurschus im Gottesdienst zur Eröffnung. Das seien der kirchliche Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung und die Gründung dieses Einsatzes „in der göttlichen Sendung in die Welt“. Die Vereinigung zweier bisher eigenständiger Einrichtungen der Kirche sei die Frucht eines intensiven mehrjährigen Prozesses.
Den unauflöslichen Zusammenhang zwischen Glauben und Handeln, zwischen Rechtfertigung des Menschen durch Christus und gelebtem Einsatz für Gerechtigkeit in der Welt, habe der neue Leiter Ingo Neserke von Kindesbeinen an erfahren, sagte Kurschus zur Einführung des Theologen. Neserke war zuvor Leiter des Instituts für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste (igm). Neserke, dessen Eltern vom Berliner Missionswerk nach Südafrika ausgesandt wurden, habe in einem Unrechtssystem wie der Apartheid zu spüren bekommen, wie der christliche Glaube Menschen miteinander verbinde und sie aufrichte.
In dem Gottesdienst in der Reinoldikirche wurde zugleich die frühere Leiterin des Amtes für MÖWe, Pfarrerin Annette Muhr-Nelson, offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Muhr-Nelson habe beim kirchlichen Werk MÖWe „einen klaren Schwerpunkt setzen“ können, würdigte Kurschus. Das sei der gesamten Landeskirche zugute gekommen.
Der neue Leiter Ingo Neserke betonte in seiner Predigt die beiden Schwerpunkte Mission und Ökumene des Instituts. Es gelte, neue Wege zu suchen, das Wort Gottes unter die Menschen zu bringen. Dies solle in der Verbundenheit der weltweiten Ökumene in konkrete Taten umgesetzt werden.
Die gemeinsame Arbeit der Kirchen weltweit sei nötig, um das Ungleichgewicht zwischen den Kirchen im Süden und im Norden zu reduzieren, sagte Dyah Krismawati von der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) zuvor auf dem Fachtag. Das Ungleichgewicht in der Welt wirke sich auch auf das Zusammenleben der Christen aus.
Nötig sei eine andere Ökonomie, sagte die wissenschaftliche Mitarbeiterin des Südwind-Instituts für Ökonomie und Ökumene, Sabine Ferenschild. Das reiche von der Durchsetzung menschenwürdiger Arbeit weltweit bis hin zum Aufbau von Strukturen, die global soziale Spaltung verhinderten. Leitmotive für die Zukunft müssten Begrenzung, Dezentralisierung und Regionalisierung bei gleichzeitiger Etablierung solidarischer Strukturen sein. Ebenso wichtig seien Partizipation und ein Geist der Gemeinschaft. Für diese Mammutaufgabe freue sie sich auf eine gute Zusammenarbeit mit dem neuen Oikos-Institut.
Kirchliche Werke müssten sich den knapper werdenden Ressourcen und sinkenden Mitgliederzahlen stellen, sagte Christoph Rösel von der Deutschen Bibelgesellschaft Stuttgart. Es komme umso mehr auf Mittel und Wege an, um Gottes Wort in der Welt zu verankern.
Das Oikos-Institut zählt derzeit 36 Mitarbeitende. Stellvertretende Leiterin ist Katja Breyer. Oikos bezeichnet demnach im Griechischen Haus und Haushalt. Es sei Bestandteil unter anderem der Wörter Ökumene und Ökologie, hieß es.
Gelsenkirchen (epd). Wegen einer erneuten Amokdrohung ist am 20. Januar eine evangelische Gesamtschule in Gelsenkirchen-Bismarck geschlossen worden. Es war die zweite Drohung innerhalb von drei Tagen, wie die Polizei mitteilte. Die Drohung ging auch diesmal wieder als E-Mail bei der Schule ein - nach Angaben eines Polizeisprechers „weit vor Schulbeginn“. Die Schule blieb auf Anweisung des Schulleiters geschlossen. Einsatzkräfte der Polizei sorgten für Sicherheit vor Ort. Weitere Details wurden zunächst nicht genannt.
Die Polizei durchsuchte die Gesamtschule. Bis wann die Maßnahme abgeschlossen ist, konnte am Freitagnachmittag noch nicht eingeschätzt werden. Die Ermittlungen liefen „mit Hochdruck“, hieß es.
Bereits am 18. Januar hatte es wegen einer Amokdrohung einen Großeinsatz an der Schule gegeben. Das Gebäude wurde nach Erhalt der E-Mail geräumt und durchsucht. Verdächtige Gegenstände wurden nicht entdeckt.
Die westfälische Kirche zeigte sich „entsetzt“ über die erneute Drohung und äußerte die Hoffnung, dass sich der Fall schnell aufkläre. „Im Mittelpunkt steht weiterhin, den Lehrkräften sowie den Schülerinnen und Schülern die nötige seelsorgerliche Unterstützung zu bieten“, sagte ein Sprecher der Landeskirche.
Die westfälische Präses Annette Kurschus hatte sich zuvor am 18. Januar erschüttert gezeigt „über diese Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben von Menschen, Lehrenden wie Kindern, und über den Hass, der darin offenkundig zum Ausdruck“ komme. „Und wir beten für alle Beteiligten, dass sie die Kraft finden, den Schock und die Angst zu überwinden und zu einem geregelten, vertrauensvollen Miteinander zurückkehren zu können“, sagte Kurschus.
Für alle Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler sowie Eltern biete die westfälische Kirche als Trägerin der Schule eine intensive Begleitung an. So können Gespräche mit Seelsorgern oder Psychologen vermittelt werden. Darüber hinaus würden alle Lehrinnen und Lehrer gezielt auf die Bearbeitung der Situation mit den Kindern und Jugendlichen vorbereitet. Ziel sei es, allen Beteiligten „die Rückkehr zu einem gemeinsamen Schulalltag zu ermöglichen“.
Am 21. Januar waren demnach zunächst alle Lehrkräfte eingeladen, zu einem persönlichen Gespräch und Austausch zusammenzukommen. Am 23. Januar wollte sich dann das Kollegium „zur Vorbereitung der Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern“ treffen. Koordiniert werden die Maßnahmen von einem Krisenteam an der Schule, dem die Schulleitung, der Bildungsdezernent im Landeskirchenamt und der Leiter des Pädagogischen Instituts der westfälischen Landeskirche angehören.
Ibbenbüren (epd). In einem Trauergottesdienst haben Schule und Kirche in Ibbenbüren Abschied von der am 10. Januar getöteten Lehrerin der Kaufmännischen Schulen Tecklenburger Land genommen. An der Feier in der evangelischen Christuskirche nahm am 20. Januar auch NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU) teil, wie ein Sprecher des Ministeriums in Düsseldorf dem Evangelischen Pressedienst (epd) bestätigte. Die Kirchengemeinde Ibbenbüren - deren Mitglied die verstorbene Lehrerin war - und der Evangelische Kirchenkreis Tecklenburg zeigten sich „zutiefst betroffen“ über die Gewalttat.
Wegen des Verdachts auf Totschlags an der 55-jährigen Lehrerin sitzt ein 17-jähriger Schüler in Untersuchungshaft. Die Pädagogin soll nach Angaben der Behörden zum Tatzeitpunkt allein im Klassenzimmer gewesen sein. Der Schüler soll sie mit einem Messer angegriffen und getötet haben. Danach hatte er den Angaben zufolge den Notruf der Polizei gewählt und sich von Einsatzkräften widerstandslos festnehmen lassen.
Den Gottesdienst hielt der evangelische Berufsschulpfarrer Christian Heinz, wie eine Sprecherin des Kirchenkreises dem epd sagte. Die Trauerfeier hatte einen stillen und privaten Charakter, hieß es weiter.
Der Ibbenbürener Gemeindepfarrer Reinhard Lohmeyer und der Tecklenburger Superintendent André Ost gedachten der Lehrerin am Freitag außerdem auf der Internetseite des Kirchenkreises. In ihr Gebet für die Verstorbene schlossen sie auch deren Angehörige sowie die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler des Berufskollegs ein. In dem Text hieß es: „Wir wünschen den Betroffenen und den Helfenden alle Kraft, mit dieser unfassbaren Situation auf gute Weise umzugehen.“
Bonn (epd). Die Evangelische Friedensarbeit hat eine zunehmende Kriegslogik in Deutschland kritisiert und gefordert, stattdessen den Blick stärker auf eine zukünftige neue europäische Friedensordnung zu richten. Dazu gehöre auch die Frage, wie Russland in diese Ordnung künftig eingebunden werden könne, sagte der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Friedrich Kramer, am 19. Januar in Bonn zum Amtsantritt des neuen Verteidigungsministers Boris Pistorius.
Bei allem berechtigten Entsetzen über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sei aus dem Blick geraten, „dass neue, verstärkte Bemühungen um Völkerverständigung auch mit Russland erforderlich sein werden, selbst wenn diese derzeit kaum möglich erscheinen“.
Kramer mahnte stärkere Friedensbemühungen an: „Deutschland sollte alles dafür tun, dass Wege hin zu einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen eröffnet werden.“ Dazu würde auch gehören, weitere Gesprächsmöglichkeiten über die Vereinten Nationen oder die OSZE auszuloten, „damit dieses schreckliche Sterben auf den Schlachtfeldern in der Ukraine ein Ende findet“, sagte der Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
Die Evangelische Friedensarbeit teile die Einschätzung des neuen Verteidigungsministers Pistorius, dass Deutschland - indirekt - am Krieg in der Ukraine beteiligt sei. Daraus ergebe sich eine große Verantwortung dazu beizutragen, dass der Krieg nicht weiter eskaliere, sondern ein Weg hin zu Friedensverhandlungen beschritten werde, sagte Jens Lattke, Vorstandsmitglied der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) laut Mitteilung.
Berlin (epd). Der evangelische Militärbischof Bernhard Felmberg hat dem designierten Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) „viel Erfolg und gutes Geschick“ für sein Amt gewünscht. Es sei eine wichtige Aufgabe in herausfordernden Zeiten, erklärte Felmberg am 17. Januar in Berlin. Er freue sich auf gute Zusammenarbeit mit Pistorius zum Wohle der Soldatinnen und Soldaten, erklärte Felmberg. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte zuvor mitgeteilt, dass der bisherige niedersächsische Innenminister Pistorius neuer Verteidigungsminister werden soll.
Pistorius folgt auf Christine Lambrecht (SPD), die Scholz am 16. Januar um ihre Entlassung aus dem Amt gebeten hatte. Felmberg sagte, Lambrechts Entscheidung habe er „mit Respekt, aber auch mit großem Bedauern“ zur Kenntnis genommen. Er dankte der SPD-Politikerin für deren Unterstützung der Militärseelsorge und ihr Bekenntnis zum Lebenskundlichen Unterricht in der Bundeswehr, der von Seelsorgerinnen und Seelsorgern abgehalten wird. „Für ihre augenblickliche Situation und ihre Zukunft wünsche ich Frau Lambrecht Gottes Segen“, erklärte Felmberg.
Evangelische, katholische und jüdische Militärseelsorger und -seelsorgerinnen begleiten Soldaten bei ihren Aufgaben im Inland, aber auch in Auslandseinsätzen. Die Kooperation ist in Staatsverträgen geregelt.
Weimar (epd). Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, fordert eine Reform des Theologiestudiums in Deutschland. Für den Einsatz in diakonisch geführten Unternehmen kämen Theologen nicht mehr ohne Kenntnisse von Führung, Management und Kommunikationsfähigkeit aus, schreibt Lilie in einem Gastbeitrag für die in Weimar erscheinende mitteldeutsche Kirchenzeitung „Glaube+Heimat“ (Ausgabe 22. Januar). Der klassische Fächerkanon im Theologiestudium bilde das nicht ab.
Umgekehrt biete nur eine theologische Leitung in einem diakonischen Unternehmen Gewähr dafür, „dass sich Diakonie unterscheide von den Angeboten anderer Wohlfahrtsverbände oder privater Unternehmen in der Sozialbranche“. Nur so sei die Diakonie als sozialer Dienst der evangelischen Kirche erkennbar. Sie fuße auf dem christlichen Menschenbild und dem Auftrag Jesu Christi, machte der Theologe deutlich.
Diesen evangelischen „Spirit“ müsse die Unternehmensspitze verkörpern. Für notwendig hält der Diakonie-Chef ein Zusammenspiel der Kompetenzen: Theologie, kaufmännische und rechtliche Leitung müssten ebenso vorhanden sein wie fachliche Kompetenz, etwa in den Bereichen Medizin, Pflege oder soziale Arbeit.
Lilie plädiert deshalb für eine grundlegende Reform des Theologiestudiums, die auch diakonische Leitungskompetenz mit in den Blick nehme. „Dies wäre mittelbar auch ein Beitrag für die Zukunftsfähigkeit der Kirche“, so der Diakonie-Präsident.
Karlsruhe (epd). Die badische evangelische Landesbischöfin Heike Springhart hält das Erlernen alter Sprachen unverzichtbar für den Pfarrberuf. Die Kenntnis von Hebräisch, Griechisch und Latein habe einen wesentlichen Anteil an der Ausbildung eigener Urteils- und Übersetzungsfähigkeit und mache sprachfähig, sagte Springhart dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Theologiestudium ziele auf die Ausbildung sprachfähiger Pfarrerinnen und Pfarrer, die konstruktiv Theologie treiben können.
Damit könnten sie eine Kirche repräsentieren, „die auf solidem Grund das Evangelium so verkündigt, dass es Menschen von heute erreicht“, erläuterte die habilitierte Theologin. So erschließe sich etwa über die hebräische Sprache eine ganz eigene Sprachwelt, die sich von der deutschen und europäischen Gedankenwelt völlig unterscheide. „Dies fördert die interkulturelle Kompetenz.“
Zwar sei das Erlernen der alten Sprachen eine Hürde, sagte die Bischöfin. In der Begleitung von jungen Menschen habe sie jedoch festgestellt, dass es sie nur in seltenen Fällen vom Theologiestudium abhalte. Weil das Studium internationaler werde und wesentliche Texte in englischer Sprache verfasst würden, seien zudem solide Englischkenntnisse unabdingbar.
Der Personaldezernent der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Jens Böhm, hatte eine Reform des klassischen Theologiestudiums gefordert. Seiner Auffassung nach werden junge Menschen vor allem vom Erlernen der alten Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch abgeschreckt. Für das Pfarramt und für das Studium halte er Englisch für sinnvoller als Latein, so Böhm.
Frankfurt a.M./London (epd). Die Bischöfe der Kirche von England wollen sich bei LGBTQI+-Personen für deren „Ablehnung, Ausgrenzung und Feindseligkeit“ entschuldigen. Wie die Kirche von England am 18. Januar in London mitteilte, sollen gleichgeschlechtliche Paare in Zukunft erstmals in einer Kirche für ihre Zivilehe oder Lebenspartnerschaft danken dürfen und dort den Segen Gottes empfangen. Eine traditionelle Heirat in einer anglikanischen Kirche auf der Insel bleibt ihnen nach jetzt veröffentlichen Plänen dennoch verwehrt.
Die formale Lehre der Kirche von England, dass die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau auf Lebenszeit geschlossen wird, würde sich nicht ändern, hieß es weiter. Die Vorschläge, die nach einer sechsjährigen Phase der innerkirchlichen Diskussion jetzt veröffentlicht wurden, sollen in einem Bericht an die Generalsynode im Februar in London vorgelegt werden.
Künftig soll in der Kirche ein möglichst umfassendes seelsorgerliches Angebot für gleichgeschlechtliche Paare angeboten werden. Die kirchliche Lehre von der heiligen Ehe werde jedoch nicht geändert, hieß es weiter. Neue pastoralen Leitlinien sollen die Erklärung „Fragen der menschlichen Sexualität“ von 1991 ersetzen.
Die Vorschläge für die Kirche von England gehen auf eine Diskussion auf der Lambeth-Konferenz der anglikanischen Bischöfe aus aller Welt zurück. Die anglikanische Weltkirche ringt seit Jahrzehnten um eine theologische Beurteilung der Homosexualität.
Frankfurt a.M./Münster (epd). Als Hubert Wolf zum ersten Mal ins Archiv der Inquisition im Vatikan ging, hatte er schon ein bisschen Angst. „Mit so einem klapprigen Fahrstuhl ging es nach unten“, erinnert sich erinnert der Professor für Kirchengeschichte der Universität Münster. 1993 habe er erstmals Zutritt zum Archiv erhalten - fünf Jahre, bevor es offiziell für die Forschung zugänglich wurde. Am 22. Januar 1998 öffnete Papst Johannes Paul II. das Archiv und erklärte: „Die Kirche hat sicherlich keine Angst vor der historischen Wahrheit.“
Seit Erfindung des Buchdrucks betrachtete die katholische Kirche häretische Bücher als wesentlich gefährlicher als häretische Menschen. Die eigens dafür gegründete Indexkongregation verbot bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1966 rund 6.000 Schriften von Autoren wie Heinrich Heine, Émile Zola oder Immanuel Kant. Dieses Archiv zum Index der verbotenen Bücher ist fast komplett erhalten. Für den Rest des Inquisitionsarchivs gilt das nicht: Napoleon ließ die Dokumente einst nach Paris schaffen, nicht alle fanden ihren Weg wieder zurück.
„Die Indexkongregation befasst sich nur mit Büchern“, stellt Wolf klar. „Die Inquisition teilweise auch, aber ihr Schwerpunkt liegt auf Glaubensfragen.“ Sie entscheide etwa, ob eine Marienerscheinung echt gewesen sei oder nicht. „Oder sie beschäftigt sich mit Anfragen wie der, ob beim Abendmahl Hirsebier statt Wein erlaubt ist“, nennt Wolf ein Beispiel. Denn in vielen afrikanischen Ländern sei Wein nicht sehr verbreitet.
Das mag nicht so recht zum üblen Ruf der Inquisition als Unterdrückungs- und Mordinstrument vergangener Jahrhunderte passen. Tatsächlich ist die Verfolgung von sogenannten Ketzern nur ein Teil ihrer Geschichte. Und im Vergleich zu dem Rechtssystem, das vorher galt, war die 1542 offiziell gegründete „Heilige Römische und Universale Inquisition“ sogar ein Fortschritt. Denn zuvor wurden Rechtsstreite mitunter als „Gottesurteile“ entschieden - entweder im Zweikampf oder indem man den Verdächtigen Verletzungen beibrachte und anschließend prüfte, wie gut oder schlecht sie heilten. Oder man konnte sich selbst freisprechen, wenn man nur genügend Zeugen brachte. Die Inquisition ersetzte dieses archaische Recht durch ein geordnetes Verfahren.
In den Jahren vor der offiziellen Öffnung, als Wolf die Bestände mit einer Sondergenehmigung konsultieren konnte, war das Archiv in Rom „nicht auf Benutzung ausgelegt“, erzählt der Kirchenhistoriker. „Es gab da nur ein paar Funzelbirnen, kaum Tische, keine Steckdosen und hauptsächlich handschriftliche Inventare, teils jahrhundertealt.“ Im Laufe der Zeit hätten aber ein ebenerdiger Eingang, Steckdosen, Verlängerungskabel und Benutzerausweise die Arbeit erleichtert.
Wolf leitet ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Es geht um ein Verzeichnis über die gesamte Tätigkeit der Buchzensur. Denn ob sich die Kongregation mit einem Buch befasst hatte, war bis dahin nur dann bekannt geworden, wenn die Schrift tatsächlich verboten worden war. Wenn kein Bannstrahl erfolgte, verschwand die Akte dazu lautlos im Archiv. „Mit dem Verzeichnis, das wir erstellt haben, kann man erfahren, ob es zu einem bestimmten Buch ein Gutachten gibt“, erklärt der Forscher.
Selbst Karl May, so fand Wolf heraus, geriet ins Visier der Indexkongregation. „Synkretismus“ lautete der Vorwurf, also Religionsvermischung. Der Schriftsteller hatte in zweien seiner Bücher eine Person erfunden, die das Gute aller Religionen in sich vereinigte. Es waren Bücher aus dem Spätwerk des zuletzt sehr friedensbewegten Autors. Darin wurden kaum noch Schurken niedergeschlagen oder Verbrecher gestellt. Letztlich wurde Karl May nicht verboten. Begründung: Die Bücher seien zu langweilig. Ein Verbot würde sie nur interessant machen.
Vieles gebe es in dem Archiv noch zu entdecken, sagt Wolf. Während des Zweiten Weltkriegs etwa hätten sich viele rumänische Juden taufen lassen wollen, weil sie somit - anders als in Deutschland - sicher vor Verfolgung gewesen seien. Der Gesandte des Papstes vor Ort, der Nuntius, habe in Rom angefragt, ob er diese Menschen taufen dürfe. Denn eigentlich sah die Taufordnung hierzu mindestens ein Jahr Vorbereitung vor. Er sei gespannt, wie die Inquisition hier entschieden habe, sagt Wolf.
Ebenso gespannt sei er im Falle von katholischen Beamten der Weimarer Republik. Viele von ihnen hatten bei einem Eid auf die Weimarer Verfassung Angst um ihr Seelenheil. Denn dieser fehlte der Gottesbezug - und somit war sie nach katholischem Verständnis kein Recht. Er habe da schon eine Spur, die ihm die Antwort auf die Frage bringen könnte, wie die Inquisition in diesem Fall entschieden habe, verrät er. „Das ist das Spannende“, beschreibt Wolf: „Man nimmt eine Akte aus dem Regal, die seit 100 oder 200 Jahren niemand mehr in der Hand gehabt hat, bläst den Staub weg und vergisst alles um sich herum.“
Neustadt/Weinstraße, Kassel (epd). „Wie lautet der Pfadfinderspruch?“, wirft Emma in die Runde. Finger schnellen in die Höhe. „Jeden Tag eine gute Tat“, rufen Jakob, Benno und die anderen wie aus einem Mund. Die evangelischen Pfadfinder in Neustadt-Hambach in der Pfalz sind zu ihrer Gruppenstunde zusammengekommen. Gymnasiastin Emma, 14 Jahre alt, ist Gruppenleiterin beim Stamm - der Ortsgruppe - „Franz von Sickingen“ und hat ein Wissens-Quiz vorbereitet: Wer weiß, was die Pfadfinder sind und was sie machen?
Anlass für das Fragespiel ist das 50-jährige Bestehen der evangelischen Pfadfinderschaft, des Verbandes Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP). Zum Jahreswechsel 1973 fusionierten die damaligen drei evangelischen Pfadfinderbünde. Ziel war es, das Pfadfindertum in einer Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche in die Zukunft zu führen, erklärt die VCP-Bundeszentrale in Kassel. Der VCP ist mit rund 47.000 Jungen und Mädchen der nach eigenen Angaben größte Jugendverband im Bereich der evangelischen Kirche.
Emma, die einmal Kinderpsychologin werden will, hat für ihr Quiz zwei Gruppen gebildet. „Was ist die Aufgabe der Pfadfinder?“, fragt sie. „Anderen Kindern zu helfen“, bietet ein Junge als Antwort an. Die „Pfadis“, die sich an diesem Abend in der reinen Jungengruppe in einem Jugendraum der evangelischen Paulusgemeinde treffen, sind zwischen zehn und zwölf Jahre alt.
Spaß, Spiele, Singen - und vor allem Gemeinschaft und Abenteuer: Viele Jungen und Mädchen sowie Jugendliche im Alter von sechs bis etwa 21 Jahren seien mit ganzem Herzen bei den Pfadfindern dabei, sagt Peter „Flip“ Keil vom VCP-Bundesvorstand in Kassel. Auf der Basis christlicher Werte träten die evangelischen Pfadfinderinnen und Pfadfinder ein für eine friedliche Welt, die Bewahrung der Schöpfung sowie Solidarität mit den Mitmenschen.
„Wir sind Christen der Tat und offen für Kinder und Jugendliche, gleich welcher Konfession oder Herkunft“, sagt der 38-jährige Sozialpädagoge Keil. Gemeinsam ist allen Pfadfinderverbänden der Anspruch, „die Welt ein wenig besser zurückzulassen, als man sie vorgefunden hat“. Dieser Leitspruch des englischen Pfadfinder-Gründers Lord Baden-Powell (1857-1941) gilt für sie noch immer. Im Jahr 1907 organisierte der ehemalige General das erste Pfadfinderlager. Heute engagieren sich in der Pfadfinderbewegung rund 60 Millionen Kinder und Jugendliche in mehr als 200 Ländern.
Die Leitidee des VCP bleibe es, junge Menschen bei ihrer Entwicklung zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu unterstützen, sagt Sprecher Keil. Der VCP ist nach der katholischen Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg der zweitgrößte Pfadfinderverband in Deutschland.
Für Jakob Hofmann, Jugendbildungsreferent des VCP Hessen, birgt das Pfadfinden die Chance für junge Leute, sich selbst ohne Leistungsdruck auszuprobieren: „Dabei kann man auch einmal grandios scheitern.“ Evangelische Pfadfinder und Pfadfinderinnen träten füreinander ein und übernähmen Verantwortung, sagt der 58-Jährige. In der Öffentlichkeit sichtbar sind sie vor allem bei Aktionen wie der „Friedenslicht“-Aussendung zu Weihnachten oder als Helferinnen und Helfer beim Deutschen Evangelischen Kirchentag.
Doch auch in ihren jeweiligen Kirchengemeinden bringen sich die Pfadfinderinnen und Pfadfinder ein, etwa bei Gemeindefesten, erzählt Hofmann. Erkennbar sind die „VCPler“ an ihrer „Kluft“: graues Hemd mit dunkelblauem Lilienlogo, dazu ein Halstuch.
Natürlich kennt auch Jugendbildungsreferent Hofmann das Pfadfinder-Klischee vom etwas absonderlichen Waldschrat, der die Bäume schützt. Vielen jungen Leuten müsse man heute erst erklären, worum es beim Pfadfinden gehe, sagt er. Bei zahlreichen Eltern genössen die Pfadfinder hingegen einen großen Vertrauensvorschuss.
Bis heute sei das Pfadfinden für ihn eine „unglaublich prägende Erfahrung“, erzählt der Heidelberger Kirchenhistoriker Johannes Ehmann. Viele Jahre lang war der 64-jährige Pfarrerssohn bei den Pfadfindern in seiner Heimatstadt Bruchsal auch als VCP-Gruppenleiter aktiv. Der Jugendverband mit seiner liberal-ökologischen Grundausrichtung verbinde „Freizeit und Freiheit“, beschreibt Theologe Ehmann. Und er appelliert: Kirchengemeinden sollten ihre Pfadfindergruppen vor Ort unterstützen. Dort hätten viele junge Leute ihren ersten Kontakt zur Kirche.
Beim Gruppentreffen in Neustadt-Hambach geht das Wissensspiel indes unentschieden aus. Gruppenleiterin Emma verteilt Süßigkeiten zur Belohnung und tröstet Valentin, der sich beim Herumtoben das Knie gestoßen hat. „Pfadfindersein macht Spaß“, sagt Philipp. Keine Frage, dass er und die anderen Jungs bei der nächsten Gruppenstunde wieder dabei sind.
Detmold (epd). Der oberste Repräsentant der Lippischen Landeskirche, Landessuperintendent Dietmar Arends, ist am 19. Januar 60 Jahre alt geworden. Arends steht seit 2014 an der Spitze der Lippischen Landeskirche mit ihren derzeit rund 141.000 evangelischen Christen in insgesamt 65 reformierten und lutherischen Kirchengemeinden, wie das Landeskirchenamt am 18. Januar in Detmold mitteilte. Arends ist zugleich geistlicher Leiter des reformierten Teils der Lippischen Landeskirche. Für die lutherischen Gemeinden der Landeskirche ist der Lutherische Superintendent Andreas Lange geistlicher Leiter.
Zuvor war Arends Pfarrer für Diakonie und Ökumene der Evangelisch-reformierten Kirche in Leer. Ehrenamtlich ist Arends seit 2013 Präses der Norddeutschen Mission (Bremen) sowie seit 2018 Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Mission Weltweit (Hamburg).
In seiner Zeit als Landessuperintendent habe sich die Lippische Landeskirche einem Zukunftsprozess gestellt und unter anderem 13 Erprobungsräume mit neuen Formen der Gemeindearbeit sowie mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit unter Kirchengemeinden auf den Weg gebracht, erklärte die Lippische Landeskirche. Zudem habe die Landessynode ein Klimaschutzgesetz beschlossen, nach dem in der Lippischen Landeskirche bis 2045 Treibhausgasneutralität erreicht sein soll.
Arends ist der siebte leitende Geistliche der Lippischen Landeskirche nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor ihm standen Wilhelm Neuser, Udo Smidt, Fritz Viering, Ako Haarbeck, Gerrit Noltensmeier und Martin Dutzmann an der Spitze der Landeskirche.
Frankfurt a.M. (epd). Geistliche verschiedener Kirchen haben beim zentralen Gottesdienst der Gebetswoche für die Einheit der Christen am 22. Januar in Frankfurt am Main zu Selbstkritik aufgerufen. „In jeder Tradition, auch der heiligen, steckt neben den Chancen, die sie uns bietet, auch immer eine Gefahr, die Gefahr nämlich, sich zu verselbstständigen, zu verknöchern oder zu einer sinnentleerten Form zu verkümmern“, sagte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), der griechisch-orthodoxe Erzpriester Radu Constantin Miron. Zu dem Gottesdienst in der Freien Evangelischen Gemeinde Frankfurt hatte die ACK Deutschland gemeinsam mit der ACK Hessen-Rheinhessen und der ACK Frankfurt eingeladen.
Miron rief zum Hinterfragen der Geschichte der Kirchen auf: „Und es sind nicht immer Ruhmesblätter, die sich bei der historischen Rückschau auftun.“ Mit Bezug auf die Bibel sagte er, die „Rezeptur zur Beseitigung jeder Feindseligkeit und Voreingenommenheit“ liege auf dem Tisch: „Jeder Mensch - unabhängig von Hautfarbe, Religion, Herkunft, Nationalität und Sprache - trägt das Bild Gottes in sich und ist unser Bruder oder unsere Schwester und gleichberechtigt in der menschlichen Familie.“ Die Kirchen müssten immer wieder neu lernen, dieses Rezept mit Leben zu erfüllen. Dies bedeute, hinter die Fassaden zu schauen, gegen Unterdrückung einzuschreiten, für Diskriminierte und Bedürftige zu streiten, Zeuge der Wahrheit zu sein.
Die Frankfurter evangelische Pfarrerin Stefanie Bohn sagte, auch die Kirchen seien „kein rassismus- und diskrimierungsfreier Raum“. „Die Kirche muss ihre Denkmuster, Strukturen und ihre Organisationsweise verändern“, forderte sie. Die Aufforderung des alttestamentlichen Propheten Jesaja, das Recht zu suchen, sei auch eine selbstkritische ökumenische Aufgabe und Richtschnur, ergänzte die Ökumenereferentin des katholischen Bistums Limburg, Brigitte Görgen-Grether.
Die jährlich von der ACK ausgerichtete Gebetswoche für die Einheit der Christen dauert vom 18. bis 25. Januar. Der ACK Deutschland gehören nach eigenen Angaben 18 Kirchen mit rund 50 Millionen Mitgliedern an, weitere sieben Kirchen sind Gastmitglieder. Schwerpunkte der 1948 gegründeten ACK sind die theologische Reflexion, das gemeinsame Gebet und das Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Die Geschäftsstelle hat ihren Sitz in Frankfurt am Main.
Bielefeld (epd). Als neues nebenamtliches Mitglied der Kirchenleitung ist der Unternehmer aus Plettenberg, Peter Winkemann, in einem Gottesdienst in Bielefeld eingeführt worden. Damit sei die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen offiziell wieder vollständig, erklärte das Landeskirchenamt in Bielefeld. Der 54-jährige Winkemann sei Nachfolger von Silke Eilers, die aus persönlichen Gründen auf die weitere Mitwirkung in dem Gremium verzichtet habe.
Winkemann war auf der Herbsttagung der westfälischen Landessynode im vergangenen November mit großer Mehrheit gewählt worden. Der selbstständige Unternehmer führt ein Stanztechnik-Unternehmen im sauerländischen Plettenberg. Winkemann engagiere sich seit vielen Jahren in unterschiedlichen Funktionen in der evangelischen Kirche, beispielsweise im Presbyterium seiner Heimatgemeinde und in der Kreissynode des Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg, hieß es. Zudem war er den Angaben zufolge lange Mitglied im ständigen Theologischen Ausschuss der westfälischen Kirche und zuletzt Sprecher der westfälischen Prädikantinnen und Prädikanten.
Bielefeld (epd). Neuer Rektor der westfälischen Hochschule für Kirchenmusik wird der Kirchenmusiker und Liturgiewissenschaftler Jochen Kaiser. Die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Westfalen habe den 51-jährigen Kirchenmusiker in dieses Amt berufen, teilte die westfälische Kirche am 19. Januar in Bielefeld mit. Der gebürtige Greifswalder gestalte derzeit die kirchenmusikalische Arbeit in der Reformierten Kirche im Kanton Zürich und habe einen Lehrauftrag an der Zürcher Hochschule der Künste. Kaiser werde voraussichtlich sein neues Amt im Mai antreten.
Als neuer Rektor der Hochschule für Kirchenmusik werde sich Kaiser insbesondere der Aufgabe widmen, die beiden Hochschulstandorte in Herford, wo klassische Kirchenmusik gelehrt wird, und in Witten, wo der popularmusikalische Flügel angesiedelt ist, zusammenzuführen. Beide Standorte sollten laut Beschluss der Kirchenleitung in einer neu entstehenden gemeinsamen Hochschule in Bochum zusammenfließen.
Der künftige Rektor der Hochschule studierte den Angaben zufolge in Dresden, Heidelberg, Leipzig und Greifswald. Seine Promotion legte er in Greifswald über „Religiöses Leben durch Gottesdienstliche Musik“ ab. Nach beruflichen Stationen in Marburg, Erlangen und Leipzig wechselte er 2017 nach Zürich.
Der frühere Rektor der Kirchlichen Hochschule für Kirchenmusik, Helmut Fleinghaus, war im November 2020 unerwartet im Alter von 62 Jahren gestorben.
Witten/Dortmund (epd). Die Evangelische Kirche von Westfalen und die Vereinte Evangelische Mission (VEM) wollen mit dem Kulturprojekt „Music moves“ Menschen verschiedener Herkunft und christlicher Traditionen zusammenbringen. Dazu findet am 4. Februar in Witten ein Fachtag für transkulturelle Musik in Kirchengemeinden statt, wie die westfälische Kirche am 18. Januar in Dortmund ankündigte. Ausgebildete Musikerinnen und Musiker wie die Harfenistin Zainab Lax oder der Pianist Gerald Ssebudde stellten dort vor, wie sich Musik aus unterschiedlichen Kulturen verbinden lasse.
Auf dem Programm stehen den Angaben zufolge Mitsing-Projekte, Workshops mit internationalen Liedern für die Gemeindearbeit oder das Entwickeln von sogenannten Circlesongs. Der Fachtag richtet sich an Ehrenamtliche und Hauptamtliche in der Kirche. Die Anmeldephase endet am 22. Januar.
Das Projekt „Music moves“ wurde im vergangenen Jahr vom Ökumene-Institut der westfälischen Kirche und der VEM, einer internationalen Gemeinschaft von 38 evangelischen Kirchen in Afrika, Asien und Deutschland ins Leben gerufen. Kooperationspartnerin ist die Evangelische Pop-Akademie in Witten.
Info: Der Fachtag findet am Samstag, 4. Februar, in der Zeit von 10 bis 17 Uhr im Lukaszentrum, Pferdebachstraße 39a in 58455 Witten statt. Weitere Informationen und Anmeldung online unter: https://www.musicmoves.net/events/save-the-date-music-moves-fachtag/
Dortmund (epd). Zu einem Poetry Slam Spezial unter dem Motto „Dran sein“ lädt die Evangelische Stadtkirche St. Reinoldi am 13. Februar ein. Ab 20 Uhr machten junge Poetinnen und Poeten mit Selbstgeschriebenem den Chorraum zu ihrer Bühne, kündigte Pfarrerin Susanne Karmeier in Dortmund an. Ob Lyrik oder Prosa, ob kirchenkritisch oder christlich, ob unheilig oder schräg: was auf der Bühne zu hören sein werde, bleibe den Slammerinnen und Slammern überlassen.
Die Moderation des Abends hat den Angaben zufolge der Slampoet und Comedian Sebstian23 übernommen. Mitveranstalter sind das Evangelische Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe sowie die Poetry-Slam-Agentur WortLautRuhr.
Aachen (epd). Nach zwei Jahren Corona-Pause wird in Aachen wieder das Karlsfest gefeiert. Der Erzbischof von Luxemburg, Jean-Claude Kardinal Hollerich, werde den Eröffnungsgottesdienst am 29. Januar um 10 Uhr im Dom halten, kündigte die Stadt Aachen am 16. Januar an. Das Rathaus ist an diesem Tag zur Besichtigung geöffnet, wo ab 11 Uhr ein „buntes, mittelalterliches Treiben“ mit Musik, Unterhaltung und Essen stattfinden werde. Neben dem alten Amtszimmer der Oberbürgermeisterin können auch der Weiße Saal, der Friedenssaal, die Werkmeisterküche und das Werkmeistergericht sowie die Eingangshalle besichtigt werden.
Das Karlsfest wird jedes Jahr am letzten Sonntag im Januar gefeiert. Anlass ist der Todestag des Frankenkaisers Karl der Große, der am 28. Januar 814 starb. Zum Schutz vor Infektionen werden laut Stadt in diesem Jahr maximal 600 Besucherinnen und Besucher auf einmal im Rathaus zugelassen.
Schwerin (epd). Der Konflikt um das Dorf Lützerath macht nach den Worten der evangelischen Umweltbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt deutlich, dass der Ausstieg aus den fossilen Energien beschleunigt werden muss. „Mit Lützerath ist die Thematik um den Klimaschutz und unsere eigene Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung in ihrer Dringlichkeit in den Fokus der öffentlichen Diskussionen gerückt“, sagte die Schöpfungsbeauftragte der Evangelischen Kirchen in Deutschland (EKD) dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 17. Januar.
Der Ausstieg aus der Kohle könne nicht frühzeitig genug kommen, unterstrich die Landesbischöfin der evangelischen Nordkirche. Dazu sei eine Gesamtstrategie für eine sozial-ökologische Transformation nötig, denn Klimaschutz sei kein isoliertes Thema.
Kühnbaum-Schmidt erklärte, sie finde es großartig, dass sich so viele und insbesondere junge Menschen für Klimaschutz engagierten: „Zumal der Einsatz für Klimaschutz und das Umsetzen entsprechender Maßnahmen auch dem Gesetzgeber durch das Grundgesetz aufgegeben ist.“ Formen des Protestes gehörten zur politischen Kultur, erklärte die Umweltbischöfin. Unerlässlich sei dabei aber, dass alle Beteiligten auf die Anwendung von Gewalt verzichteten und die Rechtsstaatlichkeit achteten.
Düsseldorf (epd). Die nordrhein-westfälische Landesregierung und die Bergbaubetreiber müssten eine „Atempause“ ermöglichen, erklärte die Synode der zweitgrößten deutschen Landeskirche am 20. Januar in Düsseldorf. Das lasse alle Beteiligten innehalten und schaffe „Zeit für die Klärung der Notwendigkeit weiterer Kohleförderung“.
Nötig seien klimapolitisch verantwortbare Entscheidungen im Sinne der Ziele des Pariser Klimaabkommens, hieß es. Die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energieträger und ein Ende der Kohleverstromung in Deutschland brauche „erheblich mehr politischen Nachdruck“ und sollte so schnell wie möglich umgesetzt werden. Die „enormen Zerstörungen an Landschaft und Klima“ müssten beendet werden, fordert das Kirchenparlament.
Der Superintendent des Kirchenkreises Jülich, Jens Sannig, wies darauf hin, dass sich die rheinische Kirche bereits 1989 vor Eröffnung des Braunkohletagebaus Garzweiler gegen den Kohleabbau an diesem Ort gewandt habe. „Wir haben Dörfer verloren, Menschen umgesiedelt, wir haben die Tränen ausgehalten“, sagte der Theologe. Wenn die evangelische Kirche jetzt ein Moratorium fordere, moralisiere sie nicht: „Wir tun unseren Dienst des Glaubens.“
Seit Jahren protestieren Klima-Initiativen in dem Weiler Lützerath gegen den Braunkohleabbau im Rheinischen Revier. Vorletzte Woche hatte die Polizei den Ort geräumt. Der Energiekonzern RWE will die Kohle darunter abbaggern. Klimagruppen protestieren weiter gegen den Abbau, blockieren Straßen und Bahnstrecken.
Die Abbaggerung Lützeraths ist Teil eines politischen Kompromisses: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne) hatten sich im Oktober mit RWE auf einen vorgezogenen Braunkohleausstieg 2030 verständigt. Die Vereinbarung sieht vor, die noch zur Verstromung verfügbare Braunkohlemenge im Tagebau Garzweiler II auf rund 280 Millionen Tonnen zu halbieren.
Düsseldorf (epd). Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hat die weitere Verstromung von Kohle in Deutschland verteidigt. Dies sei für die Versorgungssicherheit nötig, sagte er am 16. Januar in Düsseldorf in einem Grußwort vor der Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland. Letztlich gehe es darum, dass „wir uns nicht noch mehr einschränken müssen“, denn Effizienzsteigerung und Verzicht fielen schwer.
Bei der Energiewende sei wesentlich auf russisches Gas gesetzt worden, die Lage habe sich jedoch durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine geändert: „Deshalb verstromen wir mehr Kohle als ursprünglich gewollt“, sagte Wüst. Aktuell laufen in Nordrhein-Westfalen zwei Braunkohle- und drei Steinkohlekraftwerke. Zu den Auseinandersetzungen um die Räumung des Dorfes Lützerath zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II äußerte sich der CDU-Politiker nicht.
Wüst bezeichnete den Klimaschutz als die größte Aufgabe und Herausforderung dieser Zeit. Die Veränderungen in den Bereichen Mobilität und Wohnen und die nötige Transformation der Industrie dürften aber nicht auf Deutschland und NRW beschränkt bleiben: „Wenn wir die einzigen bleiben, ist dem Klima nicht geholfen“, sagte der Ministerpräsident. „Klimaschutz wird nur dann gelingen, wenn wir als hoch entwickeltes Land mit allen technischen und intellektuellen Fähigkeiten in der Lage sind, unseren Wohlstand zu halten und zu mehren und gleichzeitig klimaneutral zu werden. Sonst macht uns das am Ende keiner nach.“
Osnabrück/Essen (epd). Nach der Räumung von Lützerath hat der Energiekonzern RWE zivilrechtliche Schritte gegen Demonstranten angekündigt. „Natürlich müssen alle Störer mit einer Schadenersatzforderung rechnen“, sagte Konzernsprecher Guido Steffen der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (21. Januar). Wie hoch diese ausfallen könnten, sei allerdings noch nicht zu beziffern. Es liege noch keine endgültige Schadensbilanz rund um die aufwendige Räumung vor.
Zuletzt hatte RWE nach Informationen des Blattes angekündigt, eine Person auf 1,4 Millionen Euro Schadenersatz zu verklagen, die sich 2021 an Gleisen zum Kohlekraftwerk Neurath gekettet hatte. RWE musste deswegen nach eigenen Angaben das Kraftwerk herunterfahren.
Die Polizei hatte vom 11. bis 16. Januar das von Klimaaktivisten besetzte Dorf an der Abbruchkante des Braunkohletagebaus Garzweiler II geräumt. Tausende Menschen protestierten dagegen. Laut RWE kam es zu erheblichen Sachbeschädigungen, unter anderem an Fahrzeugen und Anlagen des Konzerns. Zudem seien mehrere Brunnen und Schaltanlagen zerstört worden. RWE will die unter Lützerath liegende Braunkohle abbaggern.
Stuttgart/Lützerath (epd). Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat Fundamentalkritik der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg an seiner Partei mit scharfen Worten zurückgewiesen. Thunbergs Vorwurf, von Grünen mitgetragene Energiepolitik sei „Verrat an den künftigen und gegenwärtigen Generationen“, widersprach Kretschmann am 17. Januar in Stuttgart, diese Aussage sei „einfach Blödsinn - es wird nichts verraten“. Tatsächlich sei es den Grünen gelungen, den Kohleausstieg um Jahre vorzuziehen.
Thunberg hatte laut Medienberichten bei den Protesten für den Erhalt des von Abbaggerung betroffenen Ortes Lützerath (Kreis Heinsberg) am Samstag eine leidenschaftliche Rede gegen den weiteren Kohleabbau gehalten. Sie nannte es „eine Schande“, dass Deutschland trotz der Klimakrise weiter Verträge mit Energieunternehmen wie RWE abschließe, die Kohle abbauten und verfeuerten.
Laut Kretschmann ist der Protest gegen die Räumung von Lützerath zwar legitim, aber „das falsche Symbol“. Das Ergebnis der Verhandlungen sei ja gewesen, dass vier Ortschaften erhalten blieben. „Gegen den Erfolg im Klimaschutz zu demonstrieren, macht nicht wirklich Sinn“, sagte der Grünen-Politiker.
Münster (epd). Der mehrjährige Rechtsstreit um das Trianel-Steinkohlekraftwerk in Lünen ist beendet. Nach zwei Verhandlungstagen hätten die Beteiligten das Verfahren für erledigt erklärt, teilte das Oberverwaltungsgericht NRW in Münster am 20. Januar mit (Az.: 8 D 99/13.AK). Der NRW-Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hatte gegen die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für das Kraftwerk geklagt, weil der Meiler nach Ansicht der Umweltorganisation zu viele Schadstoffe ausstößt.
Drei Tage vor Beginn der mündlichen Verhandlung, am 13. Januar, hatte die Bezirksregierung Arnsberg als Genehmigungsbehörde den zulässigen Emissionswert für Ammoniak von 4,8 Milligramm pro Kubikmeter Luft auf 1 Milligramm reduziert, wie das Gericht mitteilte. Trianel habe zudem nachgewiesen, dass dieser neue Emissionswert bereits seit Aufnahme des Regelbetriebs im Dezember 2013 eingehalten worden sei.
Der wichtigste Ansatzpunkt der Klage sei damit erledigt gewesen, erklärte der BUND. „Auch wenn wir das Kraftwerk letztlich nicht stoppen konnten, haben wir gegen den jahrelangen Widerstand der Landesbehörden viel für die Umwelt erreicht“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Thomas Krämerkämper am 21. Januar in Düsseldorf. Im Laufe des Verfahrens habe der BUND insgesamt eine drastische Senkung des genehmigten Schadstoffausstoßes des Kraftwerkes durchgesetzt: beim Ammoniak um 90 Prozent, bei Schwefeldioxid und Stickoxiden um rund 60 Prozent sowie beim Quecksilber um fast 70 Prozent. Deshalb habe man sich entschieden, das Verfahren zu beenden, erklärte Krämerkämper. „Zudem ist das Ende der Kohleverstromung absehbar.“
In einem ersten Urteil im Jahr 2011 hatte das Oberverwaltungsgericht der Klage des BUND gegen einen früheren Vorbescheid aus dem Jahr 2008 stattgegeben. Aufgrund nachgereichter Unterlagen des Kraftwerksbetreibers erteilte die Bezirksregierung Arnsberg im November 2013 neue Genehmigungen. Diese hatte das Oberverwaltungsgericht im Jahr 2016 als rechtmäßig angesehen und die neuerliche Klage des BUND abgewiesen. Das Bundesverwaltungsgericht hob dieses Urteil 2019 auf und verwies das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht zurück. Die Betreiberfirma reichte daraufhin nochmals nachgebesserte Unterlagen ein, die der BUND als unzureichend ansah.
Nach Hinzuziehung von Sachverständigen und Gutachtern habe das Gericht darauf hingewiesen, dass die Erfolgsaussichten der Klage eher gering seien, hieß es. Daraufhin habe Trianel sich bereit erklärt, im Interesse einer Beendigung des seit 2008 dauernden Rechtsstreits sämtliche Kosten des Verfahrens zu übernehmen. In der Folge hätten die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, damit werde das Verfahren eingestellt.
Berlin, Düsseldorf (epd). Teile Deutschlands haben laut einer Studie im europäischen Vergleich mit die besten Chancen, als Wirtschaftsstandort von der Umstellung der Industrie auf grünen Wasserstoff zu profitieren. Innerhalb Deutschlands böten sich vor allem dem Bundesland Nordrhein-Westfalen gute Aussichten, heißt es in einer Studie des Centrums für Europäische Politik (cep) zu den regionalen Chancen der europäischen Wasserstoffwirtschaft, über die das „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ am 17. Januar berichtete. Grüner Wasserstoff gilt als wichtige Technologie der Energiewende.
„Die Niederlande und das angrenzende deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen sind von ihrer Industriestruktur her ideale Wasserstoffabnehmer“, heißt es in dem Bericht. Gleichzeitig böten beide Regionen aufgrund der nahe gelegenen Nordsee das europaweit größte Potenzial für künftige Offshore-Parks, deren Windenergie zur Gewinnung von Wasserstoff genutzt werden kann„, sagte Studienautor André Wolf dem “RedaktionsNetzwerk".
Da Produktion und Nutzung für einen zügigen Markthochlauf möglichst nah beieinander liegen sollten, hätten die Nordsee-Anrainer gute Chancen, das Wasserstoffzentrum der EU zu werden, so der cep-Experte. Eine Gefahr sehe er allerdings in überbordender Regulierung.
Der Studienautor forderte die EU auf, die notwendigen öffentlichen Fördergelder zielgerichtet einzusetzen. Notwendig seien eine bessere räumliche Koordination sowie eine konsequentere Ausrichtung der gegenwärtig noch über verschiedene Kanäle geförderten Projekte. Zugleich sollten die Voraussetzungen für den Aufbau einer grenzüberschreitenden Transportinfrastruktur geschaffen werden.
Frankfurt a.M. (epd). Das für den Autobahnbau vorgesehene Randstück des Fechenheimer Waldes im Frankfurter Osten ist geräumt. Sowohl die Polizei als auch die Rodungsgegner gaben dies am 20. Januar auf Anfrage bekannt. Ein Polizeisprecher sagte, die Beamten hätten die letzten „mindestens fünf“ Besetzer von den Bäumen geholt, eine Rodungsgegnerin sprach von sieben Personen.
Die Besetzer sind laut Polizei vorübergehend in Gewahrsam genommen worden, ihnen werden Hausfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt und gegebenenfalls fehlende Personalien vorgeworfen.
Die Rodungsgegnerin nannte das Vorgehen der Polizei „im Verhältnis akzeptabel“. In den vergangenen beiden Räumungstagen habe es zweimal eine kritische Situation gegeben, als Äste eines gefällten Baumes auf ein zwischen Bäumen gespanntes Kletterseil gestürzt waren und ein andermal ein Seil durchschnitten wurde. Die Polizei bezeichnete den Einsatz durchweg als friedlich, es habe keine Verletzten gegeben.
Auch die kirchlichen Beobachter, die Zugang zu dem Waldstück hatten, hätten die Räumung als ruhig und geordnet erlebt, sagte Pfarrer Gunter Volz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Polizei sei zurückhaltend und transparent vorgegangen und habe sich bemüht, keine Eskalation entstehen zu lassen.
Zu der am Morgen des 18. Januar begonnenen Räumung der ein Dutzend Baumhäuser setzte die Polizei Spezialkräfte mit Kletterausrüstung ein, unterstützt durch eine Hebebühne und einen Autokran. Parallel begannen die Baumfällarbeiten in dem 230 Meter langen und 70 bis 140 Meter breiten Waldstück. Es soll für das 2,2 Kilometer lange geplante Verbindungsstück zwischen der A66 und der A661 weichen. Einige Bäume, die den geschützten Heldbockkäfer beherbergen, müssen vorerst stehen bleiben. Die Baustraße für den geplanten Riederwaldtunnel wird darum herumführen.
Am 19. Januar hatte die Polizei nach eigenen Angaben sieben Besetzer vorübergehend in Gewahrsam genommen, von denen fünf vorläufig festgenommen wurden, unter anderem wegen Hausfriedensbruchs, Widerstands und fehlender Personalien. Am 18. Januar hatte die Polizei drei Ermittlungs- und 18 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet und zehn Personen vorübergehend in Gewahrsam genommen.
Mölln (epd). Das bundesweit einmalige Pilotprojekt „Reerdigung“ zur Kompostierung von Verstorbenen steht vor einer ungewissen Zukunft. Pablo Metz von dem Berliner Unternehmen Circulum Vitae sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), von seinem Standort im schleswig-holsteinischen Mölln müsse sich das Projekt zurückziehen. Die örtliche Politik habe kein grünes Licht für den Bau eines notwendigen Gebäudes gegeben. Gleichzeitig betonte er, das Unternehmen wolle sein Angebot für die nachhaltige Bestattungsform zügig ausbauen. Es sei dazu mit dem Kirchenkreis Altholstein in „fortgeschrittenen Gesprächen“, wo ein Gebäude in Aussicht stehe.
Bei einer „Reerdigung“ liegt der Verstorbene 40 Tage lang in einem sargähnlichen Behälter, Kokon genannt. Körpereigene Mikroorganismen zersetzen den Körper zu Erde, die dann beigesetzt wird. Im Februar 2022 war das Pilotprojekt auf dem Friedhof der evangelischen Kirchengemeinde in Mölln an den Start gegangen. Das Berliner Unternehmen hatte die Friedhofskapelle bis März 2023 gemietet, um das Angebot zunächst mit einem Kokon zu testen.
Sechs „Reerdigungen“ hat es dort bislang gegeben. Pastorin Hilke Lage bekam bereits Anfragen aus der ganzen Republik. „Wir finden diese Form der Bestattung total nachhaltig und schöpfungsgemäß und hätten das Projekt gern weiter unterstützt“, sagte die Pastorin dem epd.
Den Mietvertrag für die Möllner Kapelle wird Circulum Vitae voraussichtlich noch einmal bis Ende des Jahres verlängern. Das Berliner Unternehmen ist auch mit fast allen anderen Bundesländern im Gespräch für weitere Pilotprojekte.
Bremerhaven (epd). Die globale Erwärmung hat nach einer Studie von Klimaforschenden des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) die eisige Mitte Grönlands erreicht. Die Erwärmung in Nord- und Zentral-Grönland sei in Zeitreihen aus Eisbohrkernen überraschend deutlich sichtbar, teilte das Institut am 18. Januar mit. „Das haben wir angesichts der globalen Erwärmung zwar befürchtet, aber die Eindeutigkeit und Prägnanz ist unerwartet“, sagte AWI-Forscherin Maria Hörhold, die Erstautorin der Studie.
Der letzte vermessene Zeitraum von 2001 bis 2011 sei der wärmste in den vergangenen 1.000 Jahren, hieß es. Die Region habe sich im Vergleich zum 20. Jahrhundert bereits um 1,5 Grad erwärmt.
Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen vom AWI sowie dem Niels-Bohr-Institut an der Universität Kopenhagen hat Hörhold Eiskerne analysiert, die unter Federführung der Bremerhavener Wissenschaftler in Nord- und Zentral-Grönland gebohrt wurden. Über die Ergebnisse ihrer Studie berichten die Glaziologin (Gletscherforscherin) und ihr Kollegen jetzt in der Fachzeitschrift „Nature“.
Der grönländische Eisschild spielt nach Informationen des AWI eine zentrale Rolle im globalen Klimasystem. Wegen des riesigen Volumens seines Eisschildes von rund drei Millionen Kubikkilometern gelte das Abschmelzen und der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels als potenzieller Kipppunkt. „Der Beitrag Grönlands zum Anstieg des Meeresspiegels bis zum Jahr 2100 wird für das Szenario von globalen Emissionsraten wie heute auf 50 Zentimeter geschätzt“, sagte Hörhold.
Der Einfluss des globalen Temperaturanstiegs auf die zentralen Höhenlagen des mehr als 3.000 Meter hohen Eisschildes sei aufgrund fehlender Langzeitbeobachtungen bisher unklar gewesen. Die Untersuchungen zeigten nun, dass die globale Erwärmung auf dem grönländischen Plateau angekommen sei. „Wir waren erstaunt, wie eng die Temperatur mitten auf dem Eisschild mit dem grönlandweiten Schmelzwasserabfluss zusammenhängt, der ja an den Küsten auftritt, also den Rändern des Eisschildes“, erläuterte die Gletscher-Expertin.
Eine weitere Erkenntnis der Studie ist, dass das Klima des grönländischen Eisschildes vom Rest der Arktis entkoppelt sei und seine ganz eigene Dynamik habe. Dementsprechend brauche es für die Arktis regionale Langzeituntersuchungen, um den Klimawandel zuverlässig zu beschreiben.
Hamburg (epd). Für die Nordsee war der vergangene Sommer der wärmste seit 1997. Die Oberflächentemperaturen lagen insgesamt mehr als ein Grad über dem langjährigen Mittel, die der Ostsee großflächig sogar um 1,5 Grad, wie das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) am 17. Januar in Hamburg mitteilte. Auch die Zahl der Sturmfluten bezeichnete das Amt in seinem Jahresrückblick als „ungewöhnlich hoch“.
So ereigneten sich vom 30. Januar bis 7. Februar laut BSH sechs Sturmfluten, darunter zwei schwere. Kurz danach folgte aufgrund des Sturms Zeynep mit sieben Sturmfluten die längste Sturmflutkette seit 1990. Am 19. Februar trat mit 3,75 Metern über dem mittleren Hochwasser (MHW) eine sehr schwere Sturmflut in Hamburg auf.
Daneben registrierte das BSH an der Nordsee-Messstation „Feuerschiff Deutsche Bucht“ im Juni über acht Tage eine marine Hitzewelle, bei der die Temperaturen in drei Metern Wassertiefe bis zu zwei Grad über dem langjährigen Mittel lagen. An der Ostsee-Messstation „Leuchtturm Kiel“ folgten Hitzewellen im Juni/Juli und im August/September. Die erste dauerte zehn Tage an, die zweite 19 Tage. Die Temperaturen in 0,5 Metern Wassertiefe lagen dabei bis zu drei Grad über dem langjährigen Mittel.
Karlsruhe (epd). Das Bundesverfassungsgericht wies in einem am 17. Januar veröffentlichten Beschluss eine Verfassungsbeschwerde wegen der vom Gesetzgeber unterlassenen Einführung eines allgemeinem Tempolimits als unzulässig ab (AZ: 1 BvR 2146/22). Die Beschwerde zweier Bürger sei nicht ausreichend begründet worden.
Diese hatten auf das verfassungsrechtliche Klimaschutzgebot verwiesen. Hintergrund ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 24. März 2021, nach der der Bund sich beim Klimaschutz mehr anstrengen muss (AZ: 1 BvR 1565/21 u. a.) Die Folgen und Lasten des Klimawandels dürften nicht ungleich auf die jüngere oder künftige Generation verteilt werden, entschieden die Verfassungsrichter damals. Freiheitsrechte der jüngeren Generation könnten wegen des Klimawandels in Zukunft verletzt werden.
Die Beschwerdeführenden argumentierten, mit der unterlassenen Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen werde unter anderem das Klimaschutzgebot verletzt. Der Staat habe dies bei der unterlassenen Einführung eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen nicht ausreichend berücksichtigt.
Das Bundesverfassungsgericht wies die Verfassungsbeschwerde wegen einer unzureichenden Begründung zurück. Mit fortschreitender Erderwärmung müsse der Staat die Klimaschutzziele bei seinen Entscheidungen zwar immer mehr berücksichtigen. Die Beschwerdeführenden legten aber aus Sicht des Gerichts nicht ausreichend dar, warum ausgerechnet das Fehlen eines allgemeinen Tempolimits Auswirkungen auf ihre Freiheitsgrundrechte entfalten könnte. Schon ihre Annahme, dass das im Klimaschutzgesetz bis zum Jahr 2030 für den Verkehrssektor zugewiesene Emissionsbudget an Treibhausgasen überschritten werde, sah die zuständige Kammer als nicht näher belegt an.
Trier (epd). Angesichts klimapolitischer Herausforderungen hat der Verkehrsforscher Heiner Monheim ein Moratorium für Pläne zum Autobahnausbau gefordert. Die meisten Projekte, die im Fernstraßenbereich planerisch vorbereitet werden, stammten im Ursprung aus den 80er und 90er Jahren, aus einer Zeit, in der Klimapolitik kein Thema war, sagte Monheim dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Diese Projekte würden jetzt einfach umgesetzt, als sei nichts gewesen, kritisierte der emeritierte Professor für Raumentwicklung der Universität Trier. Aus der klimapolitischen Dramatik resultiere aber, dass man alle alten Planungen unter den Vorbehalt der klimapolitischen Verträglichkeit setzen müsse. „Die Politik hinkt den Herausforderungen der Jetzt-Zeit erbärmlich hinterher“, sagte Monheim.
Kein einziger Autobahnausbau sei klimaverträglich, betonte der Mitbegründer und Mitinhaber des „raumkom“-Instituts für Raumentwicklung und Kommunikation mit Hauptsitz in Trier. Ein Neubau von Autobahnen vermehre klimaschädliche Emissionen.
Dabei gebe es zwei Effekte, erläuterte Monheim: Zum einen seien Beton und Stahl sehr CO2-intensive und damit klimaschädliche Baustoffe. Zum anderen gebe es den Verkehrseffekt, der sich in mehr Lkw und Pkw auf der Straße zeige. Der Ausbau führe zu mehr Autoverkehr. „Die Verkehrswende schaffen wir aber nur durch eine Vollbremsung dieser Autopolitik“, betonte der Wissenschaftler.
Monheim forderte, dass alte Straßen stillgelegt und renaturiert werden müssten, wenn neue Fernstraßen gebaut würden. Wer, wie in Frankfurt am Main eine Autobahnlücke schließen wolle, müsse innerstädtisch den Verkehr beruhigen. Hinzu komme, dass der meiste Verkehr, der über Autobahnen in Metropolregionen fahre, eigentlich regionaler Verkehr sei. Damit erfüllten Fernstraßen ihren Zweck eigentlich nicht, sagte Monheim. Im Großraum Frankfurt beispielsweise seien in der Regel 80 Prozent aller Autos auf den angrenzenden Autobahnen lokaler oder regionaler Verkehr.
In Frankfurt am Main wird eine Fläche im Fechenheimer Wald gerodet, um dort eine Autobahnlücke zu schließen. Mit einer Waldbesetzung hatten Klimaaktivisten gegen das Vorhaben protestiert.
Um Autoverkehr zu verringern, brauche es Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und den Radverkehr, forderte der Verkehrsforscher. Zusätzlich brauche es eine sinnvolle Siedlungs- und Bauplanung. Autoabhängige Raum- und Siedlungsstrukturen dürften nicht mehr zugelassen werden. Beispielsweise müsse man Großmärkte und Großparkplätze beschränken. „Der Ikea, so wie bisher mit Großparkplatz in der Nähe einer Autobahnauffahrt, ist so nicht mehr tragfähig.“
Düsseldorf (epd). Ein mutmaßlicher Klimaaktivist hat am 19. Januar im NRW-Landtag ein Bild der Ausstellung zum „NRW-Pressefoto 2022“ mit Kartoffelbrei beworfen. Der Mann beschmutzte dabei das Siegerbild von Barbara Schnell, das unter dem Titel „Unbeirrbar“ einen Demonstranten vor einem Braunkohlebagger im Tagebau Garzweiler zeigt, wie ein Sprecher des Landtags in Düsseldorf mitteilte. Bei dem Aktivisten soll es sich um die auf dem Bild fotografierte Person handeln.
Der Vorfall ereignete sich in der Bürgerhalle des Landtags. Mit der Aktion wollte der Mann offenbar darauf aufmerksam machen, dass er mit der Ausstellung des Bildes nicht einverstanden war. Das Foto war in der „Frankfurter Rundschau“ veröffentlicht worden. Zudem soll der Tatverdächtige Mitglied der Gruppe „Letzte Generation“ sein.
Der Mann, der anscheinend als Besucher in den Landtag gekommen war, wurde von der Polizei aus dem Gebäude geführt. Der Landtag erstattete Anzeige gegen den Akivisten, zudem wurde gegen ihn ein Hausverbot erlassen.
Das Bild wurde gesäubert und zunächst weiter gezeigt. Es wird davon ausgegangen, dass das Bild durch den Vorfall beschädigt wurde. Am 20. Januar soll die Ausstellung zu den Pressebildern nach Angaben des Sprechers turnusmäßig enden.
Lingen (epd). Mehr als 100 Atomkraftgegner haben nach Polizeiangaben am 21. Januar vor dem Kernkraftwerk im emsländischen Lingen gegen verlängerte AKW-Laufzeiten demonstriert. Es sei alles „so weit ruhig“, sagte eine Sprecherin der Polizei dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zu den Protesten hatten rund 20 Anti-Atomkraft-Initiativen und Umweltverbände aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden aufgerufen.
Sie fordern außerdem die umgehende Stilllegung der Lingener Brennelementefabrik und der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau. Das Atomkraftwerk Emsland in Lingen sowie die AKW Isar-2 in Bayern und Neckarwestheim-2 in Baden-Württemberg sind nicht wie zunächst geplant zum Jahreswechsel abgeschaltet worden, sondern sollen nach einem Beschluss der Bundesregierung bis Mitte April weiterlaufen.
„Wir erleben in Lingen das Gegenteil vom Atomausstieg“, sagte Alexander Vent vom Bündnis „Atomkraftgegner im Emsland“ (AgiEL). „Anstatt das AKW wie versprochen sofort stillzulegen, werden jetzt aufwendig nochmal Brennelemente umgruppiert.“ Nebenan solle die Brennelementefabrik erweitert werden, um die Atomgeschäfte mit Russland, China und diversen osteuropäischen Ländern auszubauen. Nötig sei stattdessen „eine glasklare Fokussierung“ auf den Ausbau der erneuerbaren Energien, forderte das Bündnis.
Unterdessen wurde das AKW Emsland nach Angaben des Betreibers RWE am 21. Januar planmäßig für den Kurzstillstand zur Umgruppierung der Brennelemente im Reaktor heruntergefahren. „Wir werden keine neuen Brennelemente in unseren Kern einsetzen“, sagte Kraftwerksleiter Wolfgang Kahlert. Es würden lediglich die bereits vorhandenen Elemente zur optimalen Ausnutzung des Brennstoffs umgesetzt.
Münster (epd). Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) lädt auch in diesem Sommer zur Aktion „Gärten und Parks in Westfalen-Lippe“ ein. Zur elften Ausgabe am 3. und 4. Juni können sich nun private und öffentlich zugängliche Garten- und Parkanlagen in der Region auf www.gaerten-in-westfalen.de kostenfrei anmelden, wie der Landschaftsverband am 20. Januar in Münster mitteilte. Thematisch stünden in diesem Jahr Bienenweiden und Insektenschutz im Fokus der geplanten Führungen, Mitmachaktionen oder Lesungen. Die Anmeldefrist endet am 20. Februar.
Neben den vielen Privatgärten gibt es demnach in Westfalen-Lippe über 600 kulturell herausragende Gärten und Parks, von denen etwa die Hälfte ganzjährig für Besucherinnen und Besucher geöffnet ist. „Unsere grünen Schätze sind ein wichtiger Teil unseres guten Zusammenlebens“, betonte Yasmine Freigang von der LWL-Kulturabteilung. Auf der Website www.gaerten-in-westfalen.de sind demnach bereits über 100 ausgewählte Orte zu finden.
„Gärten und Parks in Westfalen-Lippe“ ist eine Initiative des LWL und wird vom NRW-Kulturministerium gefördert.
Berlin (epd). Als der Beschluss einstimmig gefasst wurde, erhoben sich die Jesidinnen und Jesiden auf den Besuchertribünen des Bundestags von ihren Sitzen und applaudierten. Mehr als acht Jahre nach dem Überfall der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf jesidische Dörfer im Nordirak hat das deutsche Parlament am 19. Januar die Gräueltaten gegen die religiöse Minderheit als Genozid anerkannt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, die Verbrechen würden beim Namen genannt: „Deutschland erkennt den Völkermord an den Jesidinnen und Jesiden an - als Gesellschaft.“
Am 3. August 2014 hatte der IS die Heimat der Jesiden am Sindschar-Gebirge überfallen, Tausende Männer getötet, Frauen und Kinder verschleppt, unter anderem nach Syrien. Jesidinnen wurden systematisch vergewaltigt, mehr als 2.700 Jesidinnen befinden sich Schätzungen zufolge noch immer in der Gewalt von Islamisten. Baerbock sagte, der wichtigste Auftrag des Tages sei für sie, nicht nachzulassen und weiter nach den vermissten Frauen und Mädchen zu suchen.
Am 17. Januar hat die Justiz bereits vorgelegt: Die erste Verurteilung wegen Völkermords an den Jesiden wurde rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof bestätigte die lebenslange Haftstrafe eines IS-Kämpfers, die das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verhängt hatte. Der heute 30-jährige Taha Al-J. hatte ein als Sklavin gehaltenes fünfjähriges Mädchen so misshandelt, dass es starb. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er damit im Sinne der IS-Ideologie einen Beitrag dazu leisten wollte, das Jesidentum als solches zu vernichten.
Die Befassung des Bundestags ging auf eine Petition zurück. Im Petitionsausschuss sprach im Februar 2022 der jesidische Petent Gohdar Alkaidy über das Anliegen und verwies dabei auf die Tatsache, dass in Deutschland die größte jesidische Diaspora-Gemeinde weltweit beheimatet ist. Mehr als 200.000 Jesidinnen und Jesiden leben inzwischen in der Bundesrepublik.
So reisten zur Abstimmung im Parlament neben Alkaidy noch viele andere jesidische Repräsentantinnen und Vertreter an, auch ihr weltliches Oberhaupt Hazim Tahsin Said Beg. Der Genozid an Jesiden dauere jedoch weiter an, sagte er im Anschluss und verwies auf die vielen Menschen, die in Camps immer noch darauf warteten, in die Heimat zurückkehren zu können. Doch in der Sindschar-Region tummeln sich iranische und kurdische Milizen. Das türkische Militär bombardiert das Gebiet immer wieder.
Ungeklärt ist auch der Umgang mit den Kindern, die bei der Vergewaltigung jesidischer Frauen durch IS-Kämpfer gezeugt wurden. Der Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Jesiden in Deutschland, Irfan Ortac, mahnt in der Frage Respekt vor der Identität der Religionsgemeinschaft an. Den religiösen Regeln zufolge wird man Jeside ausschließlich durch Geburt, wenn beide Elternteile Jesiden sind.
Im Bundestagsbeschluss wird gefordert, die „besonders vulnerable Situation“ von diesen Kindern im Fokus zu behalten und deren Integration in die jesidische Gemeinschaft zu unterstützen. Trauma-Experte Jan Ilhan Kizilhan plädiert für ein bundesweites Sonderkontingent, um sie und ihre jesidischen Mütter nach Deutschland zu holen. Kizilhan betreut Jesidinnen, die in IS-Gefangenschaft waren. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte er, dass die Kinder im Irak keinerlei Schutz hätten. „Die irakische Regierung sagt, die Kinder sind Muslime und dürfen nicht von Jesidinnen erzogen werden. Jesidische Gemeinden sagen wiederum, wir wollen die Kinder nicht.“
Auch die Überlebende des Völkermords, Farida Khalaf, hofft auf ein Sonderkontingent. Sie erinnert an das Programm Baden-Württembergs in den Jahren 2015 und 2016: Damals wurden etwa 1.000 Frauen und Kinder aufgenommen - unter ihnen war Nadia Murad, die für ihren Kampf gegen sexuelle Versklavung den Friedensnobelpreis erhielt.
Berlin, Düsseldorf (epd). Mit dem Wegfall der Corona-Beschränkungen haben im vergangenen Jahr viele Gedenkstätten, die an die Verbrechen und Opfer des Nationalsozialismus erinnern, wieder mehr Besucher verzeichnet. Wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Einrichtungen ergab, stieg die Zahl interessierter Einzelpersonen und Gruppen 2022 stark an. Das Niveau der Besucherzahlen aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 wurde aber meist noch nicht wieder erreicht. Ausnahme ist das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors, das 2022 rund 2,05 Millionen Besucher und damit einen neuen Besucherrekord registrierte.
Die KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen zählte im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben 355.000 Besucher. Das waren mehr als dreimal so viele wie 2021, aber nur halb so viele wie im Jahr 2019 vor der Corona-Pandemie. Die Gedenkstätte im früheren nationalsozialistischen Konzentrationslager Bergen-Belsen in Niedersachsen, in dem die durch ihr Tagebuch bekannt gewordene Anne Frank starb, besuchten nach Worten einer Sprecherin 2022 rund 195.000 Menschen (2021: 110.000).
In der KZ-Gedenkstätte Dachau bei München wird zwar nicht jeder einzelne Besucher gezählt, die Einrichtung verbuchte aber nach eigenen Angaben für 2022 eine Verdreifachung bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Bildungsangeboten auf knapp 90.000 (2021: rund 29.000). Dort spürt man nach Angaben einer Sprecherin einen Nachholeffekt: Die Buchungen für Bildungsangebote liegen in diesem Jahr bereits mehr als 40 Prozent über dem Niveau des Vorjahrs.
Auch in Nordrhein-Westfalen meldeten fast alle Gedenkstätten und Erinnerungsorte einen deutlichen Anstieg der Besucherzahlen im vergangenen Jahr - allerdings noch nicht wieder auf Vor-Corona-Niveau. So verzeichnete das NS-Dokumentationszentrum in Köln 58.776 Besucherinnen und Besucher, mehr als doppelt so viele wie ein Jahr zuvor (rund 24.000). 2019 waren es nach Angaben der Stadt Köln noch rund 97.000. Die Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte für Opfer nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im historischen Stadthaus der NRW-Landeshauptstadt zählte im vergangenen Jahr 23.303 Gäste, rund 14.700 mehr als 2021. 2019 waren es den Angaben nach noch 28.870 gewesen.
Die Dauerausstellung „Ideologie und Terror der SS“ in der Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg im westfälischen Büren - in der NS-Zeit Kaderschmiede der SS - zählte im vergangenen Jahr 35.417 Gäste. Das waren fast doppelt so viele wie 2021 (knapp 18.490; 2019: 50.749). Der NS-Geschichtsort Villa ten Hompel in Münster registrierte im vergangenen Jahr 16.000 Gäste, etwas weniger als 2021 (rund 20.000) und weniger als halb so viele wie 2019 (rund 34.500).
Die Mahn- und Gedenkstätte Steinwache in Dortmund zählte im vergangenen Jahr 9.148 Besucherinnen und Besucher, doppelt so viele wie 2021 (4.475), aber deutlich weniger als 2019 (23.760). Die vergleichsweise kleine NS-Gedenkstätte Zellentrakt im ostwestfälischen Herford besuchten von März bis Dezember 2022 rund 3.000 Menschen, fast genauso viele wie 2019 (3.300). 2021 hatte die Besucherzahl dagegen nur rund 790 betragen.
Auch die KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte in Porta Westfalica bei Minden, ein Altbergbau und Stollensystem aus den letzten Kriegsjahren, verzeichnet eine deutlich wachsende Besucherzahl. Nachdem 2021 die Zahl der Gäste nur im dreistelligen Bereich gelegen hatte, nahmen im vergangenen Jahr etwa 4.500 Menschen an den Führungen in der ehemaligen Untertageverlagerung „Dachs 1“' und Rundgängen über Tage teil, wie Einrichtungsleiter Thomas Lange dem epd sagte. Im Vergleich zum Jahr 2019 vor Pandemiebeginn mit damals 4.000 Gästen sei das „eine erfreuliche Entwicklung“.
Zumindest in den ersten Monaten 2022 gab es in den Gedenkstätten noch Beschränkungen wegen der Corona-Pandemie, vor allem bei Führungen und Veranstaltungen. Mit dem Wegfall der Beschränkungen gehen die Gedenkstätten davon aus, dass spätestens im kommenden Jahr wieder so viele Besucher in die Gedenk- und Bildungsstätten kommen wie vor der Pandemie.
Bei der Frage nach rechtsextrem motivierten Vorfällen an oder in Gedenkstätten antworteten die meisten Träger, dass es 2022 keine nennenswerten Vorfälle gegeben habe. Vereinzelt wurde von Schmierereien, die NS-Symbole oder Führungspersonen des Regimes verherrlichten, berichtet.
Berlin, Essen (epd). Noch gibt es sie, aber es werden immer weniger: Zeitzeugen der Verfolgung und Ermordung von Juden, Homosexuellen, Sinti und Roma und weiteren Minderheiten unter den Nationalsozialisten. Wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den KZ-Gedenkstätten ergab, können immer weniger Bildungseinrichtungen auf Zeitzeugen zurückgreifen, die mit der Schilderung ihres Schicksals den Schrecken greifbar machen. 78 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs sind inzwischen viele gestorben. Selbst diejenigen, die damals Kinder waren, sind heute hochbetagt und oft gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt fähig zu reisen, wie die Gedenkstätten mitteilten.
„Leider werden es immer weniger, da nicht mehr viele Zeitzeuginnen und Zeitzeugen am Leben sind“, sagte Sabine Wotzlaw von der Stadt Köln dem epd. So habe das Kölner NS-DOK im vergangenen Jahr nur drei Veranstaltungen dieser Art anbieten können. In den kommenden Jahren seien deshalb Gespräche mit Zeitzeugen der zweiten und dritten Generation angedacht, kündigte Wotzlaw an.
Auch viele andere Gedenkstätten laden inzwischen Nachfahren von Schoah-Überlebenden ein, etwa die NS-„Euthanasie“-Gedenkstätte im hessischen Hadamar oder die KZ-Gedenkstätte in Wöbbelin (Mecklenburg-Vorpommern). „Die uns bekannten Überlebenden des KZ Niederhagen sind mittlerweile alle verstorben“, sagte auch Kirsten John-Stucke von der Wewelsburg in Büren bei Paderborn. An der jährlichen Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Befreiung des Konzentrationslagers am 2. April 1945 hätten zuletzt deren Angehörige - Kinder, Enkelkinder - teilgenommen.
Der Erinnerungsort Villa ten Hompel in Münster hat das Format der „Erinnerungspaten“ ins Leben gerufen. Dabei berichteten Menschen über das Leben von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die sie intensiv persönlich gekannt hätten, erklärte Sprecher Peter Römer. Auch in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg (Bayern) arbeitet man nach Angaben eines Sprechers vermehrt an Formaten, in denen Angehörige ehemaliger Häftlinge aus der zweiten oder dritten Generation mit Jugendlichen reden. „Zweitzeugen“ nennt das die Gedenkstätte für NS-Opfer im rheinland-pfälzischen Neustadt.
„Zweitzeugen“ heißt auch ein Verein in Essen, der darunter aber etwas anderes versteht: Er vermittelt Kindern und Jugendlichen Zeitzeugenberichte und will sie so selbst zu Zeugen - eben „Zweitzeugen“ - machen, die die Erinnerung an die Opfer des Holocaust aufrechterhalten.
Zwar könne nichts die persönliche Erzählung eines Überlebenden ersetzen, sagte Vorstandsmitglied Ruth-Anne Damm dem epd. Dennoch sei es wichtig, die Geschichte des Holocaust über menschliche Schicksale zu vermitteln. Zahlen und Fakten schüfen im Übermaß Überdruss. „Wir müssen aufpassen, dass Erinnerung mit dem Schwinden der Zeitzeugen nicht entmenschlicht wird“, sagte Damm. 20.000 Kinder und Jugendliche hat der Verein nach eigenen Angaben bereits zu „Zweitzeugen“ gemacht.
Bielefeld (epd). Die Bielefelder Historikerin Christina Morina hält es für wichtig, Kindern und Jugendlichen aus zugewanderten Familien gleichberechtigt historisches Wissen über die NS-Zeit zu vermitteln. Historisches Wissen, Heranwachsenden nahegebracht, sei „ein hervorragendes Feld, um Integration zu fördern“, sagte die Professorin der Universität Bielefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Auch und gerade wenn Kinder und Jugendliche durch ihre Herkunft nicht persönlich betroffen sind, ist dies eine wichtige pädagogische Aufgabe.“
Die Neugier und Offenheit von Kindern gelte es zu fördern, um historische, aber auch über die Geschichte hinausführende Erkenntnisse zu vermitteln, sagte Morina. „Gerade auch in einer sich rasant verändernden Gesellschaft sind grundsätzliche Fragen wichtig wie: Wann schlägt Diskriminierung in Gewalt um?“
Die Historikerin unterstrich die Bedeutung regelmäßiger Gedenktage wie etwa der Holocaust-Gedenktag am 27. Januar oder der 9. November, der an die Pogromnacht von 1938 erinnert: „Jedes Gedenken braucht Rituale, den Moment des Innehaltens, das auch eine gewisse Würde hat.“ Inhaltliche Fragen könnten sein: „Welche gesellschaftlichen Voraussetzungen haben die nationalsozialistischen Verbrechen ermöglicht? Was hat das für Folgen - bis heute?“ Lokalgeschichtliche Erinnerungen am jeweiligen Ort könnten dabei hilfreich sein.
Morina warnte jedoch davor, das historische Gedenken für aktuelle politische Ziele zu vereinnahmen, wenn es etwa darum gehe, vorrangig für heute „als marginalisiert wahrgenommene Gruppen oder bestimmte politische Programme“ Partei zu ergreifen. Auch historische Analogien verwischten und vernebelten sowohl die geschichtlichen als auch die aktuellen Sachverhalte meist, erklärte sie. Die historische Forschung könne dennoch zur gesellschaftlichen „Selbstverständigung“ beitragen.
Die Wissenschaftlerin betonte zugleich: „Das öffentliche Gedenken wandelt sich immer, es ist nicht statisch und nie abgeschlossen. Das ist aus historischer Sicht völlig natürlich.“ Über das Thema „Gegenwart und Zukunft des öffentlichen Gedenkens an den Nationalsozialismus“ wird Morina auch am 27. Januar mit internationalen Wissenschaftlern in der Reihe „Debatten zur Zeitgeschichte“ an der Universität Bielefeld diskutieren.
Berlin, Heidelberg (epd). Zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar wird in Berlin vielfach an die von den Nazis ermordeten 500.000 Sinti und Roma erinnert. Eingeladen wird unter anderem zu einem Gedenken am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas unweit des Reichstagsgebäudes, wie das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma am 18. Januar in Heidelberg ankündigte. Mitveranstalter sind der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
Als Redner und Rednerin werden der Holocaust-Überlebende Christian Pfeil, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) und der Zentralratsvorsitzende Romani Rose erwartet. Pfeil schrieb den Angaben zufolge Lieder über den Holocaust in seiner Muttersprache Romanes. Nach mehreren öffentlichen Auftritten sei er in seiner Heimatstadt Trier mit dem Tod bedroht und sein Restaurant verwüstet worden.
Ebenfalls am 27. Januar werden Rose und der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Holger Münch, eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit gegen Antiziganismus unterzeichnen. Grundlage bilde die Arbeitsdefinition von Antiziganismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die das BKA aus diesem Anlass anerkenne.
Zwei Tage später (29. Januar) feiert die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) einen Gedenkgottesdienst für Sinti und Roma im Berliner Dom. Im Anschluss daran wird die EKD-Bevollmächtigte bei Bundesregierung und EU, Prälatin Anne Gidion, eine Erklärung des Rates der EKD zur Bekämpfung von Antiziganismus an den Zentralratsvorsitzenden Rose übergeben.
Berlin (epd). Das Amtsgericht Tiergarten hat einen 56-jährigen Mann wegen antiziganistischer Hassmails zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Darin einbezogen sei eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen, teilte die Staatsanwaltschaft Berlin am 17. Janaur mit. Zudem sei der Mann zur Zahlung von 4.000 Euro an die Organisation „HateAid“ verurteilt worden. Der Strafbefehl war demnach von der Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung und Beleidigung beim Amtsgericht Tiergarten beantragt worden und ist inzwischen rechtskräftig.
Der 56-Jährige hatte den Angaben zufolge zwischen Oktober 2020 und Juli 2021 antiziganistische Hassmails an den Zentralrat der Sinti und Roma geschickt. Darin habe er Sinti und Roma unterstellt, auf Kosten des Staates zu leben sowie für Gruppenvergewaltigungen und Bandendiebstähle verantwortlich zu sein. „Er fabulierte von 'Gaskammern' und ließ auch sonst erkennen, dass er die Verfolgung der Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus für legitim und angemessen erachte und eine solche auch für die Gegenwart befürworten würde“, so die Berliner Staatsanwaltschaft.
„HateAid“ ist ein gemeinnütziges Unternehmen mit Sitz in Berlin zur Beratung und Unterstützung von Opfern von Online-Hassrede und Hasskommentaren.
Hannover (epd). Der evangelische Theologe Gerhard Wegner (69) wird neuer Antisemitismus-Beauftragter des Landes Niedersachsen. Der frühere Leiter des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) tritt zum Februar die Nachfolge von Franz Rainer Enste an, wie die Staatskanzlei in Hannover am 17. Januar mitteilte. Enste war der erste Landesbeauftragte gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens. Er hatte das Ehrenamt drei Jahre lang inne.
Der Landesbeauftragte ist der zentrale Ansprechpartner für die jüdischen Verbände in Niedersachsen sowie für die dort lebenden Menschen jüdischen Glaubens. Er entwickelt Empfehlungen zum Umgang mit Antisemitismus und erstellt jährlich einen Bericht über Antisemitismus und dessen Bekämpfung in Niedersachsen.
Wegner leitete von 2004 an bis zu seinem Ruhestand im Frühjahr 2019 das Sozialwissenschaftliche Institut der EKD mit Sitz in Hannover. Der promovierte und habilitierte Theologe ist zudem ehrenamtlicher Vorsitzender des Niedersächsischen Bundes für freie Erwachsenenbildung.
Frankfurt a.M. (epd). Der Berliner Juraprofessor Christian Waldhoff stellt den Angebotscharakter des Religionsverfassungsrechts im Grundgesetz heraus. Als Beispiel könne man an eine künftige mitgliedschaftliche Strukturierung des Islams in Deutschland denken, heißt es in einem Gastbeitrag Waldhoffs für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (16. Januar). Der Staat zwinge nicht zur Kooperation, sondern biete diese unter bestimmten Voraussetzungen an „und gewährt dann zahlreiche Vergünstigungen - nicht nur im Steuerrecht“.
Eine mitgliedschaftliche Strukturierung des Islams sei die Voraussetzung dafür, um islamischen Organisationen, „die derzeit zumeist als Vereine organisiert sind, in stärkerem Ausmaß den Körperschaftsstatus zu verleihen“, argumentiert Waldhoff weiter. Damit könne eine Gleichbehandlung nicht nur mit den christlichen Großkirchen erzielt werden, sondern auch mit vielen kleineren Religionsgesellschaften wie je nach Bundesland den Aleviten oder den Zeugen Jehovas.
Waldhoff betonte zudem die Autonomie der Kirchen und die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates: „Heute sollte klar sein, dass in einem freiheitlichen Rechtsstaat eine staatliche 'Aufsicht' - gleich welcher Art - über Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht denkbar ist.“ Bei solchen Forderungen würden sich nämlich in unterschiedlicher Art und Weise Wünsche verbinden, sich „seine“ Religion oder Konfession zu formen, fügte Waldhoff hinzu, der Öffentliches Recht und Finanzrecht an der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt.
Saarbrücken, Paris (epd). Die französische Parlamentarierin Brigitte Klinkert (Renaissance) wirbt für mehr Sprachaustausch und Mobilität zwischen Deutschland und Frankreich. „Wenn man sich kennenlernen will, wenn man mit dem anderen gemeinsam etwas bauen will, muss man die Sprache und Kultur des anderen kennen“, sagte die Co-Vorsitzende der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Für die Zukunft ist es wichtig, dass sich junge Leute treffen und im Nachbarland arbeiten sowie leben können.“
Der am 22. Januar 1963 unterzeichnete Élysée-Vertrag sei „der Pfeiler der deutsch-französischen Freundschaft“. „Wir sind ein Modell in der ganzen Welt dafür, dass wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg wieder treffen und zusammenarbeiten konnten“, erklärte die Abgeordnete der Assemblée nationale. „Aber natürlich können wir uns nicht auf dem Élysée-Vertrag ausruhen.“
Deswegen sei auch der von Emmanuel Macron und Angela Merkel (CDU) im Januar 2019 unterzeichnete Aachener Vertrag von großer Bedeutung. Er beinhalte unter anderem eine konkrete Vorhabenliste mit 15 Einzelpunkten - darunter etwa die Bahnlinie zwischen Colmar und Freiburg.
Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung überwacht unter anderem die Umsetzung des Élysée- sowie des Aachener-Vertrags und evaluiert daraus entstandene Projekte. Die aktuellen Vorstandsvorsitzenden sind Klinkert und Nils Schmid (SPD). Den Vorsitz der Versammlung haben die Präsidentinnen der Parlamente - derzeit Bärbel Bas (SPD) und Yaël Braun-Pivet (Renaissance). Die Versammlung besteht aus 50 Mitgliedern des Deutschen Bundestages und 50 Mitgliedern der französischen Assemblée nationale. In der Regel tagt sie zweimal pro Jahr.
„Die deutsch-französische parlamentarische Versammlung bringt in diesem Jahr ihre drei Arbeitsgruppen voran“, erklärte Klinkert. Die Themen seien die Zukunft Europas, Energiesouveränität und eine harmonisierte Umsetzung europäischer Direktiven in den beiden Ländern.
Die vergangenen drei Jahre mit all ihren Krisen seien ein „Stresstest“ für die deutsch-französischen Beziehungen gewesen, erklärte die Politikerin von Macrons Partei Renaissance. Die coronabedingte Schließung der Grenzen sei „schrecklich“ gewesen. „Ich habe geweint. Ich dachte nie, dass sich die Grenzen zwischen Deutschland und Frankreich jemals wieder schließen würden“, sagte Klinkert. „Seitdem haben wir alles gemacht, dass sich das nicht mehr wiederholt.“
In dieser Zeit habe die deutsch-französische Kooperation aber auch viele Leben gerettet. „So sind sehr viele Corona-Patienten aus Frankreich nach Deutschland verlegt worden“, sagte sie. „Das kann man mit keinem Geld der Welt bezahlen.“
Saarbrücken (epd). Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) will die deutsch-französische Freundschaft durch mehr Austausch zwischen den Ländern stärken. Das reiche „von dem Erlernen und Fördern der Partnersprache über mehr gemeinsame deutsch-französische Öffentlichkeit und politische Debatte bis hin zum kulturellen Austausch und der Förderung von Mobilität und Verständigung“, sagte sie am 18. Januar in einer Regierungserklärung in Saarbrücken. Rehlinger ist seit 1. Januar auch die Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland für kulturelle Angelegenheiten im Rahmen des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit.
„Das gemeinsame Tun beginnt in den Köpfen“, betonte die SPD-Politikerin. „Hier ist die Kultur unmittelbar am Zuge.“ Schlüsselkompetenzen seien Bildung und Sprache. Alleinstellungsmerkmal des Saarlandes sei die Frankreichstrategie. Diese sieht unter anderem vor, dass das Saarland bis 2043 zu einem mehrsprachigen Raum mit Französisch als zusätzlicher Verkehrssprache wird. Die Frankreichstrategie war 2014 von der damaligen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und ihrer Stellvertreterin Rehlinger vorgestellt worden.
Beim Thema Mehrsprachigkeit sei das Saarland führend, unterstrich Rehlinger. „Mehr als jede zweite Kita im Saarland ist bilingual, jede fünfte zweisprachige Vorschuleinrichtung in Deutschland liegt im Saarland.“ Sie würde sich wünschen, dass jede Schule im Saarland auch eine französische Partnerschule habe, sagte Rehlinger. Anspruch müsse sein, dass jeder, der hier eine Schule besuche, auch einmal in Frankreich gewesen sei. Französisch solle Englisch nicht ersetzen, vielmehr solle beides gelernt werden.
Grenzregionen zeigen laut Rehlinger, wie Zusammenarbeit funktionieren kann. Mittlerweile könnten sich Bewohner des Saarlandes und des Départements Moselle ohne Genehmigung in Krankenhäusern beiderseits der Grenzen behandeln lassen. „Auch hier wollen wir konkret-praktische Fortschritte machen hin zu einem Gesundheitskorridor mit Rettungsdiensten und Krankenhauskooperationen, der dann auch eine europäische Modellregion werden kann“, erklärte die Ministerpräsidentin. Versorgungsstrukturen sollten nicht an der Grenze enden.
Der deutsch-französische Freundschaftsvertrag, der am 22. Januar 60-jähriges Bestehen feiert, war laut Rehlinger eine „Zeitenwende“. „Für unsere heutigen Partner, über die Nazi-Deutschland schreckliches Blutvergießen gebracht hatte, war die Aussöhnung aus damaliger Sicht ein riskantes Unterfangen, eine unsichere Wette auf die Zukunft“, betonte sie. Die Wette sei aufgegangen. Der Élysée-Vertrag habe Kooperation und staatliches Miteinander in den Mittelpunkt gestellt.
Osnabrück, Münster (epd). Friedensinitiativen aus Osnabrück und Münster wollen zwischen beiden Städten eine 50 Kilometer lange Menschenkette für den Frieden organisieren. Die Bürgerinnen und Bürger seien aufgerufen, sich am 24. Februar, dem Jahrestag des russichen Überfalls auf die Ukraine, entlang der Strecke einzufinden, wie die Friedensinitiativen mitteilten. Das Motto der Friedenskette lautet „Peace Now - von Friedenssaal zu Friedenssaal. Frieden - Gerechtigkeit - Klimaschutz“.
Die Kette soll den Angaben zufolge dem Weg der Friedensreiter bei den Verhandlungen des Westfälischen Friedens vor 375 Jahren folgen. Damals brachten die Reiter Botschaften zwischen den Rathäusern der beiden Städte hin und her. In den Friedenssälen wurde der Friedensschluss unterzeichnet, der 1648 den 30-jährigen Krieg beendete.
Beide Städte begehen in diesem Jahr das Jubiläum 375 Jahre Westfälischer Frieden und erinnern mit zahlreichen Sonderveranstaltungen an die Bedeutung, aber auch an die Zerbrechlichkeit des Friedens. Gerade 2023 würden in vielen Ländern Kriege geführt, Hungersnöte herrschten und Menschenrechte würden missachtet, sagte Rixa Borns von der Friedensinitiative Münster FIM.
Die Verhandlungen zum Westfälischen Frieden hätten erst begonnen, als Europa zerstört und unzählige Millionen Opfer des Krieges zu beklagen gewesen seien, sagte Johannes Bartelt von der Osnabrücker Friedensinitiative (OFRI). „Wir fordern die Regierungen aller Länder auf, aus der Geschichte zu lernen und sich für Friedensverhandlungen einzusetzen.“
Die Friedensstädte Münster und Osnabrück organisieren nach 2003 bereits zum zweiten Mal eine solche Friedenskette. Damals hatten zu Beginn des Irakkrieges Friedensgruppen, Kirchen, Gewerkschaften, Parteien, Vereine, Schulen und andere Institutionen in den Städten dazu aufgerufen, ein Zeichen für den Frieden zu setzen.
Auch dieses Mal seien Gruppen, Sport- und Kulturvereine, Initiativen, Nachbarschaften, Kirchengemeinden, Chöre, Schulklassen und Verbände eingeladen, einen Streckenabschnitt zu beleben, betonte Mark Dingerkus vom Friedensforum Münster. Gut 50.000 Menschen seien notwendig, um die Kette lückenlos zu schließen.
Frankfurt a.M., Offenbach (epd). Auch für Dmitrij P. bricht am 24. Februar 2022 eine Welt zusammen: Russische Truppen überfallen die Ukraine. „Ich hätte niemals gedacht, dass mein Heimatland Russland einen unabhängigen Staat angreifen würde“, sagt der 41-Jährige aus Moskau. An Putins völkerrechtswidrigem Krieg gegen das Nachbarland will er sich nicht beteiligen.
Gemeinsam mit zwei Freunden und einem Hund ist er mit dem Auto über die finnische Grenze geflohen und mit dem Zug weiter über die dänische Hauptstadt Kopenhagen nach Deutschland zu Freunden nach München gefahren. Vor dem Auslaufen seines Touristenvisums reiste der Kriegsdienstverweigerer weiter nach Armenien und bemüht sich nun von dort aus um eine legale Einwanderung nach Deutschland. Asyl wolle er nicht beantragen, sagt er, er wolle in Deutschland in seinem Beruf als Filmemacher arbeiten.
Eigentlich habe er nach Kriegsbeginn in Russland bleiben wollen, erzählt der Moskauer. Schließlich habe er an „das gute Russland“ geglaubt, den demokratischen Widerstand im Land. Doch sei er schockiert gewesen, dass die Mehrheit der russischen Bevölkerung die sogenannte Spezialoperation gegen die Ukraine unterstütze, sagt er. Mit der teilweisen Mobilisierung wehrfähiger Männer im vergangenen September sei ihm schließlich klargeworden, dass Putin seinen Krieg bis zum Ende kämpfen wolle. Er flüchtete aus Russland - auch, um sich einer möglichen Einberufung zum Kriegsdienst zu entziehen. Bei einer Rückkehr in seine Heimat drohen ihm und allen anderen russischen Männern, die den Waffendienst verweigern, Haftstrafen.
Beratung und Hilfe erhält der Russe von dem Verein „Connection“ im südhessischen Offenbach. Die Organisation fordert ein Aufenthaltsrecht für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland, aber auch aus der Ukraine und Belarus. Dieser Forderung schließt sich die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) mit Sitz in Bonn an. „Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht“, sagt auch Karl Kopp, Leiter der Europaabteilung der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“ in Frankfurt am Main.
Rund 150.000 Männer im wehrfähigen Alter von 18 bis 60 Jahren seien seit Kriegsbeginn aus Russland nach Westeuropa geflohen, schätzt Rudi Friedrich, Geschäftsführer von „Connection“. Rund 145.000 seien es aus der Ukraine. Mehr als 1.000 Hilfsanfragen von Männern aus Russland, die nicht in den Krieg in der Ukraine ziehen wollen, hat „Connection“ seit der russischen Teilmobilisierung erhalten.
Dmitrij P. hatte gehofft, in Deutschland als Kriegsflüchtling aufgenommen zu werden und hier in seinem Job arbeiten zu können, wie er sagt. Doch die Situation für geflüchtete Männer aus Russland habe sich verschlechtert, beklagt er. Diese hätten hierzulande nur geringe Chancen auf Asyl, glaubt er. Auch habe Deutschland damit begonnen, Männer aus Russland in jene europäischen Länder zurückzuschicken, in die sie zuerst eingereist seien.
Das Bundesinnenministerium in Berlin betont, dass russische Deserteure, also Soldaten, die nicht kämpfen wollen, sowie Männer, die eine Einberufung in die Armee verweigern, in Deutschland Asyl beantragen können. „Sie erhalten im Regelfall internationalen Schutz“, sagt Pressesprecher Sascha Lawrenz. Dennoch bleibe das Erteilen von Asyl eine Einzelfallentscheidung, jeder Antrag werde individuell geprüft.
Wer in Deutschland Asyl beantragen möchte, muss allerdings erstmal nach Deutschland einreisen können. „Was bislang fehlt, sind Fluchtwege für Deserteure, Kriegsdienstverweigerer und Militärdienstentzieher“, sagt Europareferent Kopp von „Pro Asyl“. Die Bundesregierung sollte deshalb die deutschen Botschaften in Nicht-EU-Ländern anweisen, vermehrt humanitäre Visa für eine sichere Einreise nach Deutschland zu erteilen, fordert er.
Für die große Zahl der Militärdienstentzieher müsse es in Deutschland und Europa Lösungen bei der Gewährung von Asyl oder eines anderen Aufenthaltsstatus geben. „Diese Menschen haben sich einer etwaigen Rekrutierung entzogen, weil sie nicht bereit sind, sich an einem völkerrechtswidrigen Krieg zu beteiligen“, sagt Kopp. „Deutschland darf sie nicht im Stich lassen.“
Dmitrij P. hofft indes, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Die Weltgemeinschaft müsse der ukrainischen Armee für einen Sieg mehr Waffen liefern, fordert er. Andernfalls werde Russland unter dem Diktator Putin oder einem möglicherweise noch schlimmeren Nachfolger weitere Länder überfallen. Viele in Deutschland lebende Russen fühlten wegen des Krieges große Schuld und empfänden ihn als Schande, sagt er. „Trotzdem sagen uns Ukrainer: Wenn ihr klar gegen den Krieg eintretet, müsst ihr euch nicht schuldig fühlen.“
Frankfurt a.M. (epd). Am 23. Januar jährt sich der Erlass des preußischen Kulturministers zur „Errichtung eines Instituts für Sozialforschung an der Universität Frankfurt als einer wissenschaftlichen Anstalt, die zugleich Lehrzwecken der Universität dient“, zum hundertsten Mal. Gegründet wird es im selben Jahr durch eine Stiftung des Kaufmanns und Mäzens Hermann Weil und seines Sohnes Felix Weil.
Nach den Anfängen mit einem akademischen Marxismus erhält das IfS seine schulbildende Bedeutung mit der Übernahme der Leitung 1931 durch den Sozialphilosophen Max Horkheimer (1895-1973). Der Sohn eines jüdischen Texilfabrikanten aus dem Schwäbischen macht es zur zentralen Forschungsstätte der Kritischen Theorie, die an die Arbeiten von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Karl Marx und Sigmund Freud anknüpfte.
1933 löst die Gestapo das Institut wegen „staatsfeindlicher Bestrebungen“ auf. Horkheimer emigriert ein Jahr später in die USA, wo er an der Columbia University mit Hilfe amerikanischer Kollegen das IfS weiterführt. 1941 übersiedelt er an die Westküste nach Pacific Palisades. Sein engster Mitarbeiter und Freund Theodor W. Adorno folgt ihm wenig später nach.
1951 wird das IfS an seinem heutigen Standort in der Senckenberganlage unter der Leitung Horkheimers wiedererrichtet. Als Hauptwerk der später so genannten „Frankfurter Schule“ gilt der von Horkheimer und Adorno 1944 bis 1947 gemeinsam verfasste Essayband „Dialektik der Aufklärung“.
Ab 1958 übernimmt Adorno die Leitung des IfS. In der Zeit der Studierendenproteste geraten die beiden Hochschullehrer ins Visier des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der ihnen vorwirft, sich in die Theorie zu flüchten, obwohl praktischer Widerstand angesagt sei. Der Protest gipfelt im April 1969 im so genannten „Busenattentat“ dreier Studentinnen auf Adorno in dessen Vorlesung in der Goethe-Universität. Er ärgert sich sehr darüber und bezeichnet es später im „Spiegel“ als „kalkulierten Schwachsinn“.
Nach Adornos plötzlichem Tod im Sommer 1969 übernimmt Ludwig von Friedeburg die Leitung des IfS, auf ihn folgen Axel Honneth und Ferdinand Sutterlüty (kommissarisch). Seit Juli 2021 steht Stephan Lessenich an der Spitze der Forschungsstätte. Zugleich lehrt der 1965 in Stuttgart geborene Soziologe als Professor für „Gesellschaftstheorie und Sozialforschung“ an der Goethe-Universität.
Das intellektuelle Erbe der Protagonisten der Kritischen Theorie sei das größte Kapital des Instituts, sagt Lessenich dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ihre kritische Haltung zu den herrschenden Verhältnissen, ihr Verweis darauf, „dass eine andere Welt möglich ist, dass die gesellschaftlichen Zwänge, denen wir in unserem Alltag allenthalben begegnen, letztlich selbstauferlegte Zwänge sind: All das gilt auch heute noch und inspiriert auch die gegenwärtige Forschung am Institut“.
In gewissem Sinne sei die Tradition des Hauses aber auch eine Hypothek, schränkt Lessenich ein: „Die Aufgabe, die großen Fragen zu stellen, die viele gar nicht hören wollen - geschweige denn, dass sie Antworten darauf suchen würden.“ Aktuell werde am IfS etwa über die Vergesellschaftung von und durch Arbeit, die Möglichkeiten und Grenzen demokratischer Partizipation, die „widersprüchliche Konfiguration der Migrationsgesellschaft“ oder die Dynamik der Geschlechterverhältnisse geforscht. Künftig müsse die Kritische Theorie globaler denken.
Das IfS mit seinen insgesamt 37 wissenschaftlichen und acht nicht-wissenschaftlichen Mitarbeitenden ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts und wird in seinem Grundhaushalt durch das Land Hessen und die Stadt Frankfurt finanziert. Es steht, über die Kooperationsprofessur für Gesellschaftstheorie und Sozialforschung vermittelt, in enger Verbindung mit dem Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Uni.
Für Lessenich liegen die Vorteile dieser Konstruktion auf der Hand. Die Möglichkeit, kritische Gesellschaftstheorie und Sozialforschung auch den Frankfurter Studierenden wieder unmittelbarer nahebringen zu können, sei ein großer Gewinn für das Haus und die Universität - „und hoffentlich auch für die Studierenden selbst“.
Münster (epd). Mehrere Tausend Menschen haben sich am 20. Januar an mehrstündigen Protesten gegen einen Neujahrsempfang der AfD im Münsteraner Rathaus beteiligt. Nach Angaben der Polizei Münster kamen rund 4.000 Demonstranten zu einer Kundgebung auf dem Prinzipalmarkt. Weitere 1.000 Menschen hätten die Sperrstellen rund um den Veranstaltungsort blockiert, so dass einzelne Teilnehmer der AfD-Veranstaltung nicht durchgekommen seien. Die Proteste verliefen nach Polizeiangaben weitestgehend friedlich. Das Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ als Organisator der Kundgebung sprach von 6.000 Demonstranten.
Die Proteste richteten sich unter anderem gegen die Teilnahme des thüringischen AfD-Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke an der Veranstaltung im Rathaus. Der Mitbegründer der rechtsextremen AfD-Strömung „Der Flügel“ wird vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft und überwacht. Mit dem Neujahrsempfang in der „guten Stube“ der Stadt wolle sich die AfD als normale Partei darstellen, kritisierte das Bündnis „Keinen Meter den Nazis“. Die Proteste sollten zeigen: „Münster hat keinen Platz für Rassismus, Nationalismus und soziale Ausgrenzung!“
Zu einem ökumenischen Friedensgebet, zu dem das katholische Stadtdekanant, der Evangelische Kirchenkreis Münster und die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) eingeladen hatten, kamen nach Angaben des Bistums Münster 250 Besucherinnen und Besucher. Der katholische Stadtdechant Jörg Hagemann rief zum Einsatz für den „Frieden in den Herzen aller Menschen“ auf. „Ich merke, dass ich müde werde, dass ich es satt bin: Frieden, Toleranz, Dialogbereitschaft, Fremdenfreundlichkeit - das sollte doch selbstverständlich sein“, sagte Hagemann. Weil dies aber nicht der Fall ist, seien Christinnen und Christen in der Friedensstadt Münster und überall auf der Welt aufgefordert, sich für diese gefährdeten Werte einzusetzen.
Pfarrer Martin Mustroph vom Kirchenkreis Münster kritisierte, dass sich im Münsteraner Rathaus des Friedens Menschen träfen, „die chauvinistisches, völkisches Ideengut propagieren“. Das sei „unerträglich - und deshalb gehen wir auf die Straße“. Mustroph appellierte an die Teilnehmer, aufmerksam zu bleiben und lautstark zu protestieren, wo die Würde und das Lebensrecht anderer angetastet werden.
Bereits 2017, 2019 und 2020 hatten jeweils mehrere Tausend Menschen in Münster gegen einen Neujahrsempfang der AfD protestiert. In dem Bündnis „Keinen Meter den Nazis“ sind nach eigenen Angaben gewerkschaftliche, friedenspolitische, kulturelle und zivilgesellschaftliche Gruppen mit antifaschistischen Initiativen, politischen Parteien und Stadtteilinitiativen zusammengeschlossen.
Stuttgart, Düsseldorf (epd). Fehlendes pädagogisches Personal nennen rund zwei Drittel (67 Prozent) der Schulleitungen im aktuellen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung zufolge als ihr größtes Problem. In sozial benachteiligten Gegenden seien dies sogar 80 Prozent, teilte die Stiftung am 18. Januar in Stuttgart mit. Gewerkschaften und Lehrerverbände in NRW fordern mehr Attraktivität des Lehrerberufs etwa durch bessere Bezahlung sowie weniger bürokratische Aufgaben.
Weniger Bürokratie könne die Personalnot kurzfristig lindern, sagte Dagmar Wolf, Leiterin des Bereichs Bildung der Robert Bosch Stiftung. Dies würde es erleichtern, Assistenzkräfte in Verwaltung und Pädagogik sowie ausländische Lehrkräfte einzustellen. Als langfristige Lösung reiche es nicht aus, nur die Kapazitäten von Lehramtsstudiengängen zu erhöhen. „Der Lehrerberuf muss attraktiver werden“, sagte Wolf.
Anja Bensinger-Stolze, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sprach von einem „Teufelskreis aus Überlastung durch Lehrkräftemangel und Lehrkräftemangel durch Überlastung“. Diesem Teufelskreis zu entkommen, werde nur gelingen, wenn die Politik bereit sei, insgesamt mehr Ressourcen ins System zu stecken. Die Gewerkschafterin forderte unter anderem eine bessere Bezahlung von Lehrkräften, mehr Möglichkeiten zum Quereinstieg in den Lehrerberuf und eine bessere Ausstattung der Schulen.
„Wenn Pädagoginnen und Pädagogen in großer Zahl fehlen, können Kinder und Jugendliche nicht ausreichend gefördert werden“, warnte die Vorsitzende des nordrhein-westfälischen VBE-Landesverbandes, Anne Deimel, in Dortmund. „Das ist ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Die Notsituation an den Schulen durch fehlende Lehrkräfte und eine zu hohe Arbeitsbelastung führe zudem wiederum zu hohen Krankenständen und Ausfällen. “Hier muss dringend gegengesteuert werden." Um mehr junge Menschen für Bildungsberufe zu gewinnen, seien attraktivere Arbeitsbedingungen etwa durch kleinere Klassen und eine gute technische und pädagogische Ausstattung notwendig, forderte Deimel.
Auch der Vorsitzende des Verbandes Lehrer NRW, Sven Christoffer, forderte eine nachhaltige Attraktivitätssteigerung des Lehrerberufs. Dazu gehöre neben einer zeitgemäßen Ausstattung des Arbeitsplatzes Schule auch eine Entbürokratisierung der Arbeit, erklärte Christoffer in Düsseldorf.
Köln (epd). Im vergangenen Jahr hat es in NRW wieder deutlich mehr Bürgerentscheide als in den beiden Jahren zuvor gegeben. Insgesamt zehn Bürgerentscheide wurden 2022 durchgeführt, wie der Fachverband „Mehr Demokratie“ am 19. Januar in Köln anlässlich der Veröffentlichung der Jahresbilanz „Bürgerbegehren 2022 für Nordrhein-Westfalen“ mitteilte. In den Jahren 2020 und 2021 hatten in den Kommunen in NRW nur jeweils vier Bürgerentscheide zur Abstimmung angestanden.
„Nach zwei Corona-bedingt ruhigeren Jahren herrschte 2022 wieder direktdemokratische Aufbruchstimmung in NRW“, sagte der NRW-Landesgeschäftsführer von „Mehr Demokratie“, Achim Wölfel. Für dieses Jahr sei eine „hohe Anzahl an Bürgerentscheiden“ zu erwarten. So seien bereits sechs Bürgerentscheide in den kommenden drei Monaten angesetzt, hieß es.
Im vergangenen Jahr wurden zudem 31 Bürgerbegehren gestartet, mit denen ein Bürgerentscheid eingeleitet werden kann. Im Jahr 2021 hatte es 35 neue Verfahren gegeben. Das Top-Thema kommunaler Bürgerbegehren waren Schulen - etwa im Zusammenhang mit dem Erhalt von Schulgebäuden oder bestimmten Schulformen. Weitere häufig vorkommende Themen waren der Erhalt von Grünflächen sowie Fragen rund um den Weiterbetrieb und die Sanierung von öffentlichen Schwimmbädern.
Erfreulich aus Sicht von „Mehr Demokratie“ ist, dass immer mehr Kommunen in NRW im vergangenen Jahr die einstufige Briefwahl bei Bürgerentscheiden eingeführt haben. „Das ist eine großartige Verbesserung der lokalen Demokratie. Grundsätzlich sollte die Beteiligung an Wahlen und Abstimmungen der Bevölkerung möglichst einfach gemacht werden“, erklärte Wölfel. Außerdem könne dies dafür sorgen, dass sich die Abstimmungsbeteiligung erhöhe.
Seit der Einführung von Bürgerbegehren in NRW im Jahr 1994 gab es bis Ende 2022 insgesamt 939 Verfahren. Diese unterteilen sich in 907 Bürgerbegehren und 32 Bürgerbegehren, die von Stadt- oder Gemeinderäten initiiert wurden. Insgesamt fanden 283 Bürgerentscheide statt. Von diesen scheiterten 114, also 40 Prozent, weil sie trotz einer Mehrheit das Zustimmungsquorum nicht erreichten.
Düsseldorf (epd). Einen vorläufigen Jahresüberschuss des vergangenen Jahres von 1,9 Milliarden Euro will die nordrhein-westfälische Landesregierung für den Corona-Rettungsschirm verwenden. Der Überschuss werde in voller Höhe dem Corona-Rettungsschirm zugutekommen und werde für die Tilgung der Corona-Schulden eingesetzt, teilte NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) am 16. Januar in Düsseldorf mit. Der Bestand des Sondervermögens werde zur Abwicklung noch offener bewilligter Landesmaßnahmen und zur Tilgung von Krediten verwendet, die für den Rettungsschirm aufgenommen worden seien.
Die zeitnahe Tilgung der Corona-Kredite habe hohe Priorität, sagte Optendrenk. So werde nicht nur bereits im Jahr 2023, ein Jahr früher als ursprünglich geplant, mit der Tilgung der Kredite begonnen. Es würden auch in den kommenden Jahren bei voraussichtlich noch vorhandenen Restmitteln deutlich höhere Tilgungen erfolgen als ursprünglich vorgesehen.
Der Haushaltsüberschuss sei auf das hohe Steueraufkommen im Jahr 2022 zurückzuführen, erläuterte Optendrenk. Die Steuereinnahmen des Landes hätten sich im Haushaltsjahr auf rund 74 Milliarden Euro belaufen. Das seien 2,35 Milliarden Euro mehr als im Haushaltsplan 2022 vorgesehen und rund 896 Millionen Euro mehr als noch in der Herbststeuerschätzung 2022 prognostiziert.
Frankfurt a.M. (epd). Tanja Haberstroh (Name geändert) war wieder einmal Plasma spenden in Kiel. Die alleinerziehende Mutter einer elfjährigen Tochter ist auf das zusätzliche Geld angewiesen, um ihre finanzielle Situation zu verbessern. Pro Spende erhält sie eine Aufwandsentschädigung von rund 20 Euro.
Die Fahrradkurierin liefert auf Minijob-Basis Medikamente für eine Apotheke aus. Dafür bekommt sie 12 Euro die Stunde, den aktuellen gesetzlichen Mindestlohn. „Der Mindestlohn reicht absolut nicht zum Leben aus“, sagt die 40-Jährige im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie möchte zum Schutz ihres Kindes anonym bleiben.
Zum 1. Oktober 2022 stieg der gesetzliche Mindestlohn von 10,45 auf 12 Euro. Eine Erhöhung um knapp 15 Prozent. Für einen Vollzeitbeschäftigten sind das 270 Euro brutto mehr im Monat. Der höhere Mindestlohn betrifft laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) mehr als jeden fünften Arbeitnehmer. Das sind mehr als sechs Millionen Beschäftigte. Die meisten davon arbeiten in den Branchen Gastronomie, Handel sowie Verkehr und Lagerei.
Nina Mohr (Name geändert) ist in der Kommissionierung und Verpackung für einen Großhandel in der Nähe von Hannover tätig. Die 40-Jährige ist Mutter eines 19-jährigen Sohnes, der in Ausbildung ist und zu Hause wohnt. „Mein Partner kann aktuell nicht arbeiten, was uns zusätzlich finanziell und mental belastet“, sagt Mohr.
„Die Preise, von Lebensmitteln über Energie bis hin zu Benzin, sind so exorbitant gestiegen, dass man mit 12 Euro nicht weit kommt“, sagt sie. Auch von finanziell bessergestellten Kollegen höre sie oft, dass sie kaum noch wissen, wie sie ihre Fixkosten stemmen sollen. „Altersvorsorgen und Versicherungen werden aufgelöst. Man spart ein, wo es nur geht“, erklärt sie. „Alles wird teurer, nur die Löhne bleiben niedrig.“
Im Niedriglohnsektor werde oft körperlich harte Arbeit geleistet und nicht angemessen entlohnt. „Es ist traurig und beschämend, dass man in einem reichen Land wie Deutschland nicht von seiner Arbeit leben kann“, sagt sie und wünscht sich „vonseiten der Politik mehr Gehör für die unteren Reihen“.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert eine stärkere Tarifbindung. DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell sagte dem epd: „Der Mindestlohn kann immer nur die zweitbeste Lösung sein. Wirklich gute Löhne gibt es nur mit Tarifvertrag.“ Aktuell hätten nur 51 Prozent der Beschäftigten in Deutschland einen Tarifvertrag. Die neue EU-Mindestlohn-Richtlinie nennt als Ziel eine Quote von 80 Prozent.
Der Mindestlohn wurde in Deutschland im Jahr 2015 eingeführt. Damals betrug er 8,50 Euro. Seitdem wurde er stetig erhöht. Nach dem Mindestlohngesetz schlägt im Normalfall die unabhängige Mindestlohnkommission die Anpassung der Lohnuntergrenze vor. Diese wird dann per Rechtsverordnung verbindlich. Die Kommission besteht aus Gewerkschaften und Arbeitgebern. Mit der gesetzlichen Erhöhung vom vergangenen Oktober wich die Bundesregierung von diesem Vorgehen ab.
Die gelernte Bäckereifachverkäuferin Ursula Winkler (Name geändert) hat wegen des geringen Lohns den Beruf gewechselt. „In Anbetracht der Tatsache, dass ich drei Jahre gelernt habe und in den Filialen viel Verantwortung übernehmen muss, erschien mir der Mindestlohn nicht fair“, sagt sie. Nun arbeitet sie in einem Pflegeheim des Deutschen Roten Kreuzes in Lübeck. „Ich arbeite nun nach einem Tarif des öffentlichen Dienstes und verdiene in Teilzeit fast so viel wie in Vollzeit in der Bäckerei“, sagt sie.
Die 37-Jährige kann nur in Teilzeit arbeiten, da sie ihren kranken Ehemann pflegen muss. Sie geht zwei Mal im Monat zur Tafel. Auch sie möchte anonym bleiben.
Bis zum 30. Juni 2023 entscheidet die Mindestlohnkommission über eine weitere Anpassung des Mindestlohns. In Kraft treten würde diese dann frühestens zum 1. Januar 2024.
Reutlingen/Dortmund (epd). Nach dem Brand in einem sozialpsychiatrischen Fachpflegeheim in Reutlingen am Abend des 17. Januar hat die zuständige Staatsanwaltschaft Tübingen Ermittlungen gegen eine selbst schwer verletzte Bewohnerin wegen Mordverdachts eingeleitet. Die Ermittlungen gegen die 57-Jährige würden wegen des Verdachts des dreifachen Mordes und elffachen Mordversuchs geführt, teilten die Staatsanwaltschaft und das Polizeipräsidium Reutlingen am 18. Januar mit.
Es gebe den „dringenden Verdacht“, dass die Frau, die derzeit nicht ansprechbar sei und in einer Spezialklinik behandelt werde, das Feuer gelegt haben könnte. Auch zum möglichen Tatmotiv der an einer psychischen Erkrankung leidenden Frau werde ermittelt.
Bei dem Brand verloren eine 53-jährige Frau und zwei 73 und 88 Jahre alte Männer ihr Leben. Nach derzeitigem Stand starben sie an Rauchgasvergiftung, wie die Polizei weiter mitteilte. Elf weitere Bewohner hätten leichte Verletzungen davongetragen. Die anderen der insgesamt 37 Bewohner der Einrichtung und fünf anwesende Pflegekräfte seien unverletzt geblieben. In die vom Brand nicht betroffenen Wohnbereiche konnten die Bewohner mittlerweile teilweise wieder zurückkehren.
Der württembergische Landesbischof Ernst-Wilhelm Gohl hielt am 18. Januar zusammen mit den Mitarbeitenden der Bruderhaus Diakonie eine Trauerandacht in Reutlingen gehalten. Das Gebäude, in dem das Unglück geschah, gehört der Bruderhaus Diakonie. Betrieben wird das Pflegeheim von der Gemeinnützigen Gesellschaft für Gemeindepsychiatrie Reutlingen. Gohl sagte einer Mitteilung der Landeskirche zufolge, die Gedanken seien bei den Angehörigen, den Bewohnerinnen und Bewohnern der Einrichtung, dem Pflegepersonal, der Feuerwehr und dem Rettungsdienst. Geschehen sei ein „Leid, das Worte nicht fassen können“.
Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz fordert Konsequenzen aus dem Unglück. Laut dem Vorstand der in Dortmund ansässigen Stiftung ist es um den vorbeugenden Brandschutz in Deutschland schlecht bestellt. Im vergangenen Jahr habe es mehr als 140 Mal in Alten- und Pflegeeinrichtungen gebrannt, dabei seien 16 Bewohner gestorben, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Seiner Überzeugung nach müssten selbstständige Löschanlagen gesetzlicher Standard in den 13.000 deutschen Pflegeheimen werden.
„Diese Technik reagiert auf Wärme oder Rauch und bekämpft Entstehungsbrände damit frühzeitig“, sagte Brysch. Beim Brand in Reutlingen stelle sich zudem die Frage, warum die Feuerwehrkräfte vor verschlossenen Türen gestanden hätten. Denn bei aufgeschalteten Brandmeldeanlagen sei es Standard, dass ein Generalschlüssel im automatisch geöffneten Schlüsselsafe hinterlegt sei, betonte der Patientenschützer.
Düsseldorf (epd). Die Inflation hat der Hans-Böckler-Stiftung zufolge im vergangenen Jahr Menschen mit geringem Einkommen besonders hart getroffen. Ärmere Familien litten mit 8,8 Prozent am stärksten unter der Teuerung, reiche Singles mit 6,6 Prozent am wenigsten, teilte die gewerkschaftsnahe Stiftung am 19. Januar in Düsseldorf mit. Die durchschnittliche Inflationsrate lag im Jahr 2022 nach neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamts bei 7,9 Prozent.
Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung hat für seinen Inflationsmonitor die spezifische Belastung für neun repräsentative Haushaltstypen berechnet. Überdurchschnittlich von der Inflation betroffen waren demnach auch Alleinerziehende mit mittlerem Einkommen (8,2 Prozent) sowie Familien mit mittleren und Alleinlebende mit niedrigen Einkommen (jeweils 8,1 Prozent). Diese Haushaltstypen verfügten kaum über Reserven, um ihr Konsumniveau aufrechtzuerhalten, hieß es zur Erklärung. Die Alltagsgüter, die sie vornehmlich kauften, seien kaum zu ersetzen.
Die staatlichen Entlastungsmaßnahmen haben der Stiftung zufolge die Inflation allgemein um einen Prozentpunkt gesenkt. Für einkommensstarke Familien und wohlhabende Alleinlebende sei die Entlastung mit 0,6 Prozentpunkten schwächer ausgefallen als für einkommensschwache Familien (1,0 Prozentpunkte) und ärmere Singles (1,1 Prozentpunkte). Das habe die geringere Teuerungsrate für Gutsituierte aber nicht völlig ausgeglichen.
Berlin (epd). Zur Agrarwende-Demonstration beim Auftakt der Grünen Woche hat die Diakonie Deutschland eine gesunde Ernährung auch für Arme gefordert. Gesundes Essen dürfe kein Luxus sein, erklärte der evangelische Sozialverband am 21. Januar in Berlin. Menschen mit wenig Geld seien unfreiwillig auf Dumpingpreise und Discounter und damit auf unökologisch und unsozial hergestellte Lebensmittel angewiesen. Dies schade sowohl ihnen selbst als auch den Produzierenden und der Umwelt. Die Diakonie habe sich deshalb erstmals zur Beteiligung an der Demonstration unter dem Motto „Wir haben es satt“ entschlossen.
Maria Loheide vom Vorstand der Diakone erklärte, Berechnungen des Sozialverbandes zeigten, dass der Hilfe-Regelsatz nicht ausreiche, um sich nach den Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung gesund zu ernähren. Ökologische Kriterien seien dabei noch nicht einmal berücksichtigt, betonte sie.
Die Diakonie Deutschland erwarte, dass jeder Mensch im deutschen Sozialstaat ausreichend Mittel zur Verfügung hat, um sich ausgewogen, gesund und nachhaltig zu ernähren, betonte der Verband. Soziale und ökologische Fragen dürften nicht gegeneinander ausgespielt werden. Sozialleistungen und Einkommen müssten hoch genug sein, damit alle an der sozial-ökologischen Agrar- und Ernährungswende teilhaben können.
In Berlin demonstrierten zum Beginn der internationalen Agrarmesse Grüne Woche mehrere Tausend Menschen für eine umweltfreundliche und nachhaltige Landwirtschaft. Unter dem Motto „Wir haben es satt“ zogen sie am 21. Januar vom Brandenburger Tor durchs Regierungsviertel. Die Veranstalter, ein Bündnis aus rund 80 Agrar-, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, sprachen von rund 10.000, die Polizei von rund 7.000 Teilnehmenden.
Bei der 15. Berliner Agrarministerkonferenz verpflichteten sich derweil Vertreter von 70 Ländern zu einer weltweit stärkeren Förderung nachhaltiger und krisenfester Ernährungssysteme, wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft mitteilte. In der Abschlusserklärung wird zudem zugesichert, Lebensmittel für alle verfügbar, erschwinglich und sicher zu machen.
Köln (epd). Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland essen einer aktuellen Umfrage zufolge weniger Fleisch. Fast jede und jeder Zweite (49 Prozent) erklärt, in den vergangenen fünf Jahren seinen Fleischkonsum zumindest verringert zu haben, wie der am 19. Januar in Köln veröffentlichte „DeutschlandTrend“ der ARD ergab. Bei 41 Prozent der Befragten habe sich nichts verändert. Nur zwei Prozent gaben demnach an, mehr Fleisch als früher zu essen, acht Prozent ernähren sich vegetarisch oder vegan.
Eine fleischärmere Ernährung haben laut der Umfrage fast zwei Drittel der älteren Bürgerinnen und Bürger über 65 Jahren umgesetzt (61 Prozent). Guckt man auf die Gesamtbevölkerung seien es mehrheitlich Frauen (56 Prozent), die mittlerweile weniger Fleisch essen. Der „DeutschlandTrend“ macht zudem bei der jüngeren Generation einen Trend zur fleischlosen Ernährung aus: So gaben demnach 17 Prozent der 18- bis 34-Jährigen an, Fleisch komplett von ihrem Speisezettel verbannt zu haben.
Für die repräsentative Erhebung der ARD hatte das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap am 17. und 18. Januar mehr als 1.200 Wahlberechtigte sowohl telefonisch als auch online befragt.
Berlin (epd). Der Zentralrat der Juden blickt mit „gemischten Gefühlen“ auf den Start des Antragsverfahrens für den Härtefallfonds, aus dem unter anderem jüdische Kontingentflüchtlinge eine Zahlung erhalten sollen. Zwar gehe ein „jahrelanges Hick-Hack“ zu Ende und knapp 70.000 jüdische Zuwanderer könnten wenigstens eine kleine Abmilderung ihrer Härte erhalten, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am 18. Januar in Berlin. Andererseits sei es unbefriedigend, dass weiterhin keine Einigung mit den Ländern habe erzielt werden können und die Höhe der Auszahlung damit vom Wohnort abhänge.
Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr beschlossen, Menschen aus der ehemaligen DDR, jüdische Kontingentflüchtlinge und Spätaussiedler mit sehr geringer Rente über eine Stiftung zu entschädigen. Seit 18. Januar können Anträge für den Härtefallfonds gestellt werden. Der Bund will dafür eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung stellen. Ausgegangen wird von bis zu 190.000 Betroffenen. Sie sollen eine Einmalzahlung in Höhe von 2.500 Euro erhalten. Treten Bundesländer der Stiftung bei, soll sich diese Zahlung durch Mittel der Länder auf 5.000 Euro erhöhen.
Die Größe der Zahlung wäre damit vom Wohnort abhängig, wenn sich die Bundesländer unterschiedlich verhalten. Bislang gibt es in den Ländern großen Widerstand gegen die Beteiligung. Bei einer Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) unter den Bundesländern erklärten Anfang Dezember nur zwei Länder, der Stiftung beitreten zu wollen.
Die fehlende Einigung sei vor allem darin begründet, „dass der Bund die einzelnen Betroffenengruppen nicht aufschlüsseln wollte“, kritisierte Schuster. Er kritisierte zudem die Höhe der Zahlungen als zu gering. „Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass unserer Ansicht nach die Einmalzahlung mindestens bei 10.000 Euro liegen müsste, um den jüdischen Zuwanderern einen würdigen Ausgleich zu ermöglichen“, sagte er.
Düsseldorf (epd). Die Krankenkasse AOK Rheinland/Hamburg sieht bei der Behandlung und Begleitung von Menschen mit Covid-Spätfolgen dringenden Bedarf an vernetzter und ganzheitlicher Begleitung. Menschen, die noch Wochen nach einer ausgestandenen Corona-Infektion an einer Vielzahl körperlicher und kognitiver Beschwerden litten, nähmen häufig einen langen Weg durch die medizinischen Institutionen auf sich, um wieder gesund zu werden, erklärte die gesetzliche Krankenkasse am 18. Januar in Düsseldorf. Die Versorgungslandschaft sei auf die Problematik noch nicht eingestellt.
Durchschnittlich fast sieben Wochen fielen Betroffene am Arbeitsplatz aus, erklärte die Krankenkasse und beruft sich auf Erkenntnisse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Die Daten beziehen sich den Angaben nach auf die berufstätigen AOK-Versicherten im Zeitraum von März 2020 bis Juli 2022. Eine längere Arbeitsunfähigkeit verschärfe die Situation der Betroffenen durch wirtschaftliche Nöte.
Aus Informationsveranstaltungen, die die AOK Rheinland/Hamburg seit Oktober 2021 für Betroffene anbietet, sei bekannt, dass die Vielfalt der Symptome eine passgenaue medizinische Behandlung erschwere, hieß es. Nicht selten fehle den Patientinnen und Patienten die Kraft, sich an verschiedene Anlaufstellen im Gesundheitssystem zu wenden, um passende Hilfsangebote zu finden. Die Vielfalt der Symptome und der hohe Leidensdruck erforderten eine vernetzte Herangehensweise, in der alle relevanten medizinischen Disziplinen, die Krankenkassen sowie andere Sozialleistungsträger miteinander kooperieren, mahnte die AOK.
Auch Menschen, die in der akuten Phase der Infektion nur leicht erkrankt waren, litten oftmals über einen längeren Zeitraum an den Folgen. Betroffene berichteten über Symptome wie körperliche Erschöpfung, Luftnot, Herzrasen, geringe Belastbarkeit, Missempfindungen, Geruchs- und Geschmacksverlust, Schlafstörungen sowie über Beeinträchtigungen der Denk- und Konzentrationsfähigkeit. Insbesondere, wenn die Betroffenen trotz der Schwere der Symptome kein angemessenes Gehör im Versorgungssystem und in ihrem sozialen Umfeld fänden, könnten zudem Stigmatisierung und eine zunehmende Isolation der Erkrankten hinzukommen.
Die Ursachen für das Post Covid oder Long Covid genannte Phänomen sind noch nicht bekannt. Long Covid bezeichnet ursächlich mit Corona zusammenhängende Beschwerden, die wenigstens vier Wochen nach der Infektion bestehen. Post Covid bezeichnet solche Beschwerden, die wenigstens zwölf Wochen nach der Infektion bestehen.
Frankfurt a.M., Dortmund (epd). Der Rückgang betrage 6,9 Prozent, teilte die Stiftung am 16. Januar in Frankfurt am Main mit. Im vergangenen Jahr haben den Angaben zufolge 869 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet, 64 weniger als im Vorjahr.
Die Zahl der Organe, die an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant für eine Transplantation gemeldet wurden, ging demnach sogar um 8,4 Prozent zurück. 2022 seien 2.662 Organe für eine Transplantation gemeldet worden. Im Vorjahr seien es 2.905 gewesen.
Neben einem pandemiebedingten Rückgang zu Beginn des Jahres 2022 macht die DSO fehlende Einwilligungen für die negative Entwicklung verantwortlich. Bei der Hälfte der nicht realisierten Organspenden sei das der Grund gewesen, wobei nur in knapp einem Viertel dieser Fälle (23,6 Prozent) die Ablehnung auf dem erklärten Willen des jeweiligen Patienten oder der Patientin beruht habe. In den anderen Ablehnungsfällen sei der Wille der Verstorbenen nicht genau bekannt gewesen.
Umfragen in der Bevölkerung zeigten immer wieder, dass acht von zehn Menschen in Deutschland die Organspende befürworten, sagte Axel Rahmel, der Medizinische Vorstand der Stiftung Organtransplantation. „Angehörige entscheiden sich aus Unsicherheit aber häufig dagegen, da der Wille des Verstorbenen nicht bekannt ist“, beklagte er: „Hier kann nur Aufklärung etwas verändern und möglicherweise auch der Anstoß über eine Widerspruchsregelung.“
Kritik an einer möglichen Widerspruchsregelung kam von der Stiftung Patientenschutz. Nötig seien stattdessen Transplantationsregister sowie eine Informationspflicht bei Bürgerämtern, aber deren Umsetzung komme kaum voran, sagte der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch, dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ am 17. Januar. Zuvor hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) als Reaktion auf die Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation angekündigt, einen neuen Anlauf für eine Widerspruchsregelung starten zu wollen.
Düsseldorf (epd). Im Gesundheitsausschuss des NRW-Landtags haben am 18. Januar Beschäftigte aus Medizin und Pflege über Erfahrungen mit Gewalt berichtet. Pflegefachkraft Dominik Stark sagte, er selbst habe schon verbale und physische Übergriffe bis hin zu einer Morddrohung erlebt. „Es ist schon zum Alltag geworden.“ Der anhaltende Fachkräftemangel führe zu Zeitnot, die wiederum bei den Patienten Unzufriedenheit und Aggressionen hervorrufe.
Sandra Postel von der Pflegekammer NRW bestätigte seine Aussage. Eine interne Umfrage habe ergeben, dass 91 Prozent der Beschäftigten in der Pflege schon Gewalt in jeder Form erlebt haben. „Wir müssen mehr für die Prävention tun, damit Gewalt nicht erst eskaliert“, sagte sie. Zwar gebe es zum Beispiel das Konzept „Sicherheit im Dienst“, doch fehle die Zeit, um an den Schulungen teilzunehmen.
Als Vertreter der Krankenhausgesellschaft NRW stellte Matthias Ernst fest, dass die Hemmschwellen geringer würden. „Die Fälle von verbaler, körperlicher und sexualisierter Gewalt haben an Intensität zugenommen. Die Lunte bis zur Eskalation ist kurz geworden“, sagte Ernst. Er gehe davon aus, dass diese Tendenz anhalten werde. Die Beschäftigten seien zwar sehr belastbar, „aber die Bereitschaft zur Toleranz ist spürbar zurückgegangen“.
Christine Strobel vom Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) sagte, alle, die in der Pflege tätig sind, müssten auf solche Gewalterfahrungen vorbereitet werden. „Das ist bisher noch nicht der Fall.“
Studien belegten, dass zudem rassistische Diskriminierung zum Alltag von ausländischen Pflegekräften gehöre, sagte Sidra Khan-Gökkaya, Integrationsbeauftragte am Universitätsklinikum Hamburg. „Es gibt ganz viele Vorstufen der Ablehnung“, sagte sie. „Es wird aber als Tabuthema behandelt. Deshalb fehlt ihnen die Kompetenz, damit umgehen zu können.“ Um das gesamte Personal besser zu schützen, forderte sie „auch die Führungskräfte zu schulen, damit sie den Mitarbeitern Rückhalt geben können.“
Gütersloh (epd). Viele Beschäftigte in deutschen Unternehmen und Behörden weisen einer Studie zufolge ein hohes Schlaganfall-Risiko auf, ohne sich dessen bewusst zu sein. Bei einem aktuellen Gesundheits-Check unter mehr als 7.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wurden bei der Hälfte (48 Prozent) Blutdruckwerte im Grenzbereich ermittelt, die schon behandlungsbedürftig waren, wie die am 20. Januar in Gütersloh veröffentlichte Studie der Deutschen Schlaganfall-Hilfe ergab. 45 Prozent zeigten kritische Cholesterinwerte, darunter besonders häufig jüngere Frauen, die ansonsten unauffällig gewesen seien.
Die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe bietet regelmäßig einen Risiko-Check in deutschen Unternehmen und Behörden an. Dabei erstellen Ärzte den Teilnehmenden individuelle Risikoprofile zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und beraten sie. Die Ergebnisse der neuen Testreihe zeigten, dass viele Teilnehmende kritische Werte aufweisen, ohne von ihrem Risiko zu wissen, hieß es. „Deshalb machen wir uns stark für betriebliches Gesundheitsmanagement“, erklärte Nadine Hunting, Präventionsexpertin der Gütersloher Stiftung.
Viele Risikofaktoren sind demnach vererbbar. Ein hoher Cholesterinspiegel etwa könne genetisch bedingt sein, sagte Hunting. „Umso wichtiger ist es, Risikoträger zu identifizieren. Mit der richtigen Behandlung und einer entsprechenden Anpassung des Lebensstils lassen sich selbst diese erblichen Faktoren teilweise ausgleichen.“
Das zeige auch eine aktuelle Studie aus den USA. So habe eine Langzeitbeobachtung der Universität in Houston unter rund 11.000 Probanden ergeben, dass mit einem bewussten Lebensstil das Schlaganfall-Risiko trotz erblicher Vorbelastung deutlich senken konnten. „Entscheidend dafür waren sieben beeinflussbare Faktoren: Gesamtcholesterin, Blutdruck, Blutzucker, körperliche Aktivität, Ernährung, Rauchen und das Gewicht“, erklärte Hunting. Richtig kombiniert, hätten die Teilnehmenden den Effekt eines hohen genetischen Risikos minimiert und bis zu sechs Lebensjahre ohne Schlaganfall hinzu gewonnen.
Düsseldorf (epd). Ermittler haben im Jahr 2021 rund 1.200 Online-Sexualdelikte in Nordrhein-Westfalen registriert. Fast 80 Prozent der angegebenen Fälle von sexualisierter, digitaler Gewalt (940) konnten aufgeklärt werden, wie aus einer Antwort von Justiz- und Innenministerium auf eine Anfrage der SPD-Landtagsfraktion hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.
Am häufigsten wurde laut der Polizeistatistik des Justizministeriums das „Einwirken auf Kinder“ nach dem Paragrafen 176 des Strafgesetzbuches registriert. Darunter fallen etwa Versuche von Tätern, Kinder über Chats, SMS, oder soziale Medien zu sexuellen Handlungen zu bewegen. Zuerst hatte die „Rheinische Post“ am 18. Januar darüber berichtet.
Nach Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden würden unterschiedliche Delikte von sexualisierter digitaler Gewalt zügig zur Anzeige gebracht, erklärte das Justizministerium. Nach Erfahrung der Strafverfolgungsbehörden würden Vorkontakte häufig über Internetgruppen, häufiger jedoch über soziale Medien wie Facebook, Instagram oder Tiktok aufgebaut.
Die Sprecherin für Gleichstellung und Frauen der SPD-Landtagsfraktion, Anja Butschkau, geht von einem großen Dunkelfeld aus, das nicht zur Anzeige gebracht werde. „Die geringen Zahlen der zur Anzeige gebrachten Straftaten decken sich nicht mit den Erfahrungen der Mehrheit junger Frauen und Mädchen“, erklärte sie.
Die Angaben der Landesregierung lieferten auch keine Angaben darüber, „ob die wenigen zur Anzeige gebrachten Fälle sexualisierter Gewalt in einer Verurteilung der Straftäter mündeten, beklagte Butschkau“. Nötig sei daher eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Themenbereichs: „Wir wollen wissen, welches Ausmaß sexualisierte Gewalt im Internet hat und vor allem, wie es sich auf die Opfer auswirkt.“
Dresden (epd). Er stellt seine Motive auf den Kopf - das ist sein Markenzeichen. Er wolle das Bild aus der fatalen Abhängigkeit von der Wirklichkeit befreien, erklärte Georg Baselitz einmal. Das gebe ihm eine große künstlerische Freiheit. Der gebürtige Sachse zählt zu den bedeutendsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Am 23. Januar ist er 85 Jahre alt geworden.
Das Werk des selbstbewussten Malers und Bildhauers ist provokant, radikal und unangepasst. Regel- und Tabubrüche gehören dazu. „Künstler müssen widersprechen - wer, wenn nicht wir?“, fragte Baselitz bei einer Präsentation seiner Werke vor fünf Jahren in Dresden.
Schon Jahre zuvor hatte er behauptet: Für einen Künstler sei Talent gar nicht nötig, nur „das Anderssein ist existenziell“. Seine Werke vermitteln den Eindruck von Zerrissenheit und Disharmonien. Er selbst fühlt sich aber nach eigenen Aussagen nicht besonders aggressiv oder zerrissen. Er wolle vor allem „Bilder malen, die bisher nicht da waren“.
Baselitz wird am 23. Januar 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz geboren, einem heutigen Stadtteil von Kamenz im sächsischen Landkreis Bautzen. Sein Künstlername nimmt Bezug auf den Ort seiner Kindheit. Er ist Kriegskind, sein Vater Nazi, das Verhältnis gestaltet sich schwierig. 1956 beginnt Kern ein Studium an der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Ost-Berlin, wird jedoch nach nur zwei Semestern wegen „gesellschaftspolitischer Unreife“ von der Hochschule verwiesen.
Der Maler wächst im Kalten Krieg auf und gehört zu den frühen Emigranten aus der DDR: 1958 zieht er nach West-Berlin, wo er sein Studium an der Hochschule für bildende Künste fortsetzt. Später lehrt er an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe und an der Hochschule der Künste in Berlin. Mit seiner Frau Elke ist er seit Jahrzehnten verheiratet, lebt mit ihr seit 2013 in Salzburg.
Die erste Einzelausstellung hat er 1963 in der Berliner Galerie Werner & Katz. Mit Darstellungen von nackten Männern sorgt er für Aufsehen. Zwei Gemälde werden gar als sexuell anstößig angesehen und von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Neben Gemälden, Holzschnitten und Linolschnitten beginnt Baselitz Ende der 70er Jahre mit Plastiken aus Holz. Er formt Figuren und Köpfe, die er nur grob bearbeitet und mit Farbe bemalt.
Am liebsten stelle er seine neuesten Bilder aus, hat er einmal betont, denn von denen sei er „vollständig überzeugt“. Vielleicht arbeitet er auch deshalb ab 2005 an einem „Remix“: Dazu hat er einige seiner Werke noch einmal gemalt. Das Ergebnis war 2006 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.
Den jüngsten Werkgruppen sagen Kritiker eine Leichtigkeit nach, die früher bei ihm nie erwartet wurde. Allen seinen Arbeiten eigen aber ist die Vehemenz, das Ungestüme. „Ich bin ein renitenter Typ“, findet Baselitz. Überall sei er rausgeflogen. Aber er habe auch unbedingt auffallen wollen. Schließlich müsse sich ein Maler durchsetzen.
Bekannt ist er für neoexpressionistische Gemälde, eine unverwechselbare, grobe Pinselführung sowie kräftige Farben. Den abstrakten Expressionismus der US-amerikanischen Maler und später die Pop-Art zählt er zu seinen wichtigsten Inspirationen.
Baselitz hat sich mit der deutschen Geschichte, vor allem dem Trauma der Kriegs- und Nachkriegszeit, auseinandergesetzt. Seine grotesk überzeichnete Darstellung von arg zugerichteten, entwurzelten „Helden“ provozieren. Auch sein Arbeitsstil ist ungewöhnlich: Baselitz malt in der Hocke, auf den Knien oder auch mal im Liegen.
Im Jahr 1992 schenkte er der evangelischen Kirchengemeinde von Luttrum bei Hildesheim das Gemälde „Tanz ums Kreuz“. In dem Dorf war der Protest allerdings so stark, dass Baselitz das Gemälde wieder entfernte und in sein damaliges Domizil im nahegelegenen Schloss Derneburg brachte.
Arbeiten von ihm hängen weltweit in Museen und Sammlungen. Als einer der wenigen Deutschen durfte er eine Einzelausstellung im MoMA in New York gestalten. „Baselitz war immer und wollte immer ein moderner Künstler sein“, sagt der Galerist Fred Jahn in einem 2013 erschienenen Film, „nur die Moderne, die er wollte, die gab’s nicht“.
Aus Protest gegen das Kulturgutschutzgesetz - es soll die Abwanderung von bedeutenden Kulturgütern ins Ausland verhindern - ließ Baselitz 2015 seine Dauerleihgaben in bekannten deutschen Museen abhängen, etwa in der Pinakothek München und dem Dresdner Albertinum.
2018 präsentierten die Staatliche Kunstsammlungen Dresden (SKD) eine Grafik-Werkschau zum 80. Geburtstag von Baselitz. Etwa 80 seiner Arbeiten wurden Grafiken deutscher, italienischer und niederländischer Altmeister des 16. Jahrhunderts gegenübergestellt. Baselitz war begeistert: „Ich habe eine Sache noch nie so schön vor mir hängen sehen, also muss es wertvoll sein.“
Mit 83 Jahren hat sich der berühmte Maler noch ein neues Atelier in Salzburg eingerichtet. Über den Antrieb für seine Kunst sagte er: „Am Ende wollte ich aus diesem Grau rauskommen.“
Oberhausen (epd). „Schwarz-Weiß ist Farbe genug“ - beim Blick auf grellbunte Werbewelten oder Instagram-Accounts scheint das aktuell kaum vorstellbar. Wer sich jedoch in die Welt der vielfach preisgekrönten Pressefotografin Barbara Klemm aufmacht, stellt fest: Auch ganz ohne Farbe gelingt es ihrer Schwarz-Weiß-Fotografie aus mehr als fünf Jahrzehnten auf einzigartige Weise, Schlüsselmomente des politischen oder kulturellen Lebens einzufangen und beim Betrachten in der eigenen inneren Bilderwelt zu verankern.
Sei es der legendäre sozialistische Bruderkuss von Leonid Breschnew und Erich Honecker 1979 in Ost-Berlin, sei es Heinrich Böll auf einem Stühlchen bei einer Friedensdemo 1983 oder die Philosophin und Feministin Simone de Beauvoir bei sich zu Hause. Es sind intensive Momente, die von Licht und Schatten leben, von Mimik, Gestik und Umgebung.
Von daher hat die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen den Titel ihrer Ausstellung über Barbara Klemm gut gewählt: „Schwarz-Weiß ist Farbe genug. Fotografien 1967 bis 2019“. Sie ist bis zum 7. Mai zu sehen und zeigt rund 150 Presse-, Dokumentar- und Porträtfotos aus einem halben Jahrhundert. Ein Lebenswerk, das die Frankfurter Fotografin zur unverwechselbaren „Chronistin der Gesellschaft und Geschichte unseres Landes“ gemacht hat, wie Bundespräsident Steinmeier es zu ihrem 80. Geburtstag formulierte - sie sei „eine Meisterin des richtigen Moments“. Von 1970 bis zu ihrer Pensionierung 2005 bereiste Barbara Klemm Deutschland und die Welt als festangestellte Redaktionsfotografin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) mit Schwerpunkt Politik und Feuilleton.
Trotz vieler Auszeichnungen sei ihr die Karriere nicht zu Kopf gestiegen, sagte die 83-Jährige selbst am 19. Januar in Oberhausen. Denn der Erfolg sei „harte Arbeit und fällt einem nicht in den Schoß“. Manchmal müsse man stundenlang warten, um den einen ganz besonderen Moment zu erwischen, in dem sich Ereignisse verdichteten. Manches Mal habe sie sich auch über Bildunterschriften der konservativen FAZ-Redaktion geärgert und das dann später angesprochen, erzählt Klemm.
Vorstellbar etwa zu Beginn ihrer Karriere, als sie die Frankfurter Studentenbewegung porträtierte, junge Frauen mit einem kämpferischen Plakat: „Weib sei willig, dumm und stumm - diese Zeit ist jetzt um.“ Ein anderer Blick auf die Politik ist Klemms berühmtes und nur seitlich aufgenommenes Bild von NPD-Saalschützern 1979: Dickbäuchig und wichtigtuerisch behelmt stehen sie da - es soll die NPD viele Wählerstimmen gekostet haben.
Eine sensible Wahrnehmung, ein Blick für die Gesamtkomposition des Augenblicks, so beschreibt Barbara Klemm ihre Arbeit. Aber es geht nicht nur um Soft Skills: „Man muss auch einen eigenen Standpunkt haben und den muss man vertreten“, sagt Klemm selbstbewusst. Politikern gegenüber wie Helmut Kohl oder Joschka Fischer, den sie ganz staatsmännisch im Sessel sitzend vor einem Porträt von Willy Brandt fotografiert hat.
Mit großer Empathie hat Klemm aber auch den Alltag unbekannter Menschen eingefangen: Obdachlose in New York oder eine Straßenszene in Indien ebenso wie Bauern in der hessischen Wetterau bei der Pause von der Feldarbeit. Etwas ganz Besonderes in der Ausstellung ist ein Raum, der den Porträts von Künstlerinnen und Künstlern gewidmet ist und eine besondere Nähe zur Kunst erkennen lässt, denn sie selbst ist in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen. Hier sind ungewohnte, weil eher private Perspektiven auf Prominente zu sehen, die sich von Barbara Klemm zu Hause oder bei der Arbeit ablichten ließen: Joseph Beuys, Herta Müller, Elfriede Jelinek, Golo Mann oder Friedrich Dürrenmatt etwa.
Zu fast jedem Foto kann Barbara Klemm eine Geschichte erzählen - und sie erzählt lebhaft und gerne. Auch davon, dass sie froh ist, dass sie sich beruflich nicht mehr in die digitale Fotografie einarbeiten musste: „Ich arbeite immer noch analog“, sagt sie, heute sind es vor allem Landschaftsbilder, und ja, sie sei glücklich über all die Momente, die sie festhalten konnte. Manche dieser Momente wurden erst dadurch zu etwas Besonderem - und zu Zeitdokumenten, die einen Museumsbesuch wert sind.
Frankfurt a.M./Manila (epd). Die Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa ist auf den Philippinen vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen worden. Wie das von ihr mitgegründete Nachrichtenportal „Rappler“ am 18. Januar berichtete, ordnete das Gericht den Freispruch an, weil die Staatsanwaltschaft ihre Schuld nicht zweifelsfrei habe beweisen können. Menschenrechtler und Journalistenorganisationen begrüßten den Freispruch. Ressa selbst sprach von einem Sieg der Wahrheit und Gerechtigkeit.
Dem „Rappler“-Bericht zufolge hatte die Regierung unter dem früheren Präsidenten Rodrigo Duterte der 59-jährigen Journalistin vorgeworfen, bei der Aufnahme von Kapital aus dem Ausland Steuern hinterzogen zu haben. Ressa, die unter anderem kritisch über Menschenrechtsverletzungen auf den Philippinen berichtet, wurde unter der Regierung Dutertes wiederholt zwischenzeitlich festgenommen. Darüber hinaus wurden weitere Gerichtsverfahren gegen sie angestrengt, die Kritiker als politisch motiviert bezeichnen.
Ressa erklärte nach dem Urteil auf Twitter, dass Wahrheit und Gerechtigkeit gesiegt hätten. Die Anschuldigungen seien eine Schikane gegen Journalisten gewesen, die die Macht zur Rechenschaft ziehen wollten. Es sei ein Sieg für alle Menschen auf den Philippinen, die jemals unrechtmäßig beschuldigt worden seien.
Journalistenorganisationen zeigten sich erleichtert. Das Urteil zeige, dass der amtierende Präsident Ferdinand Marcos Junior die Repressionskampagne gegen Medien seines Vorgängers Duterte aufheben könne, erklärte die „Hold the Line Coalition“, ein Zusammenschluss Dutzender Gruppen zur Unterstützung von Ressa. Nach Angaben des Netzwerks, dem unter anderem „Reporter ohne Grenzen“ und das Komitee zum Schutz von Journalisten angehören, drohten Ressa bei dem Verfahren bis zu 34 Jahre Haft.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell begrüßte das Urteil ebenfalls. „Wir sind zuversichtlich, dass die verbleibenden Vorwürfe schnell geklärt werden“, schrieb er auf Twitter. Der Direktor von Amnesty International für die Philippinen, Butch Olano, rief die Behörden auf, die weiteren Anklagen gegen Ressa fallen zu lassen.
Die Philippinen stehen auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ auf Platz 147 von 180. Nach Angaben der Journalistenorganisation werden kritische Journalisten häufig mit Verleumdungsklagen überzogen. Viele von ihnen müssten mit Gewalt und auch tödlichen Anschlägen rechnen. Ressa wurde 2021 zusammen mit dem russischen Journalisten Dmitri Muratow für ihren Einsatz für die Meinungsfreiheit mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Bensheim (epd). Die Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste hat den autobiografischen Theatermonolog „Pisten“ der französischen Autorin Penda Diouf zum Hörspiel des Jahres 2022 gewählt. Die NDR-Produktion unter der Regie von Christine Nagel wertete die Jury am 18. Januar in Bensheim als herausragende Hörspielfassung. „Pisten“ wurde erstmals am 15. Juni im NDR ausgestrahlt. Die Auszeichnung wird am 3. März beim Deutschlandfunk in Köln verliehen.
Die 1981 in Dijon als Kind afrikanischer Eltern geborene Autorin und Dramaturgin Diouf verwebe in „Pisten“ ihren eigenen Werdegang mit Geschichte und Gegenwart von Kolonialismus und Rassismus, teilte die Jury mit. Im Zentrum des Hörspiels stehe eine Reise Dioufs 2010 nach Namibia. Ausgangspunkt dafür sei eine Lebenskrise der Ich-Erzählerin, ausgelöst durch rassistische und traumatische Erfahrungen in Kindheit und Jugend. Schlaglichtartig erführen die Zuhörer von den Erlebnissen, etwa von der Ermordung eines Onkels durch Rassisten.
Zugleich erhalte die Reise eine historisch-politische Dimension. So thematisiere das Hörspiel die Spuren der Apartheid in dem von 1915 bis 1990 von Südafrika besetzten Namibia und den Völkermord in dem früheren Deutsch-Südwestafrika an Herero und Nama. „Dieser autobiografische Theatermonolog geht unter die Haut“, befand die Jury.
Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste setzt für ein Jahr eine Jury ein, die zwölf „Hörspiele des Monats“ aus den Ursendungen von ARD, SRF und ORF bestimmt. Aus diesen wählt sie das „Hörspiel des Jahres“. „Pisten“ wurde im Juni zum Hörspiel des Monats gekürt.
Gastgebender Sender 2022 war Deutschlandfunk Kultur. Die Jury bestand aus dem Komponisten und Performer Neo Hülcker, der Medienwissenschaftlerin und Radiojournalistin Ania Mauruschat sowie dem Theaterwissenschaftler Vito Pinto.
Marl (epd). Ob Ukraine-Krieg oder die Proteste im Iran: Die insgesamt 69 Nominierungen für den Grimme-Preis 2023 spiegeln, wie das Fernsehen die aktuelle weltpolitische Lage in vielen verschiedenen Formaten aufgegriffen hat. „Die Nominierungen in diesem Jahr zeigen, wie viel herausragendes Programm es im vergangenen Jahr zu diesen Themenkomplexen gab, lassen dabei aber auch die Dringlichkeit und Relevanz weiterer drängender gesellschaftlicher Themen nicht außer Acht“, erklärte Grimme-Direktorin Frauke Gerlach am 19. Januar in Marl. Insgesamt habe die Nominierungskommission mehr als 780 Einreichungen gesichtet.
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine wurde den Angaben zufolge etwa in Kooperation mit ukrainischen Filmschaffenden in der Serie „Himmel & Erde“ (ZDF/ZDFneo) verarbeitet, die sich mit dem Verlassen der Heimat befasst und in der Kategorie Fiktion nominiert wurde. In der Kategorie Kinder & Jugend geht unter anderem der Beitrag „Schau in meine Welt: #Ukraine - mein Land im Krieg“ (Radio Bremen/RBB/HR/SWR/MDR/Kika) ins Rennen um einen Grimme-Preis. Für einen Spezialpreis nominiert wurde das Format „Joko & Klaas 15 Minuten Live: Aufmerksamkeit für #IranRevolution“ (ProSieben).
Weitere nominierte Beiträge befassen sich mit der Lage in Afghanistan, Syrien oder im Irak, den Spuren der NSU-Morde, dem Geiseldrama von Gladbeck oder den Folgeproblemen der Atomkraft. Über alle Kategorien hinweg stehe bei vielen nominierten Produktionen zudem immer wieder das Thema Vielfalt im Fokus, hieß es. Dazu zählten unter anderem „ANDAZ - Der diverse Talk“ (WDR), „Queer Eye Germany“ (Netflix), der Jugendfilm „Futur Drei“ oder auch „Die Sendung mit dem Elefanten - Warum gibt es unterschiedliche Hautfarben?“ (WDR/Kika).
ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf, Grimme-Preisträgerin des vergangenen Jahres für die Besondere Journalistische Leistung, wurde erneut für ihre herausragende Arbeit nominiert. Neben ihr wurden außerdem Golineh Atai (ZDF) für ihre Berichte aus dem arabischen Raum sowie die Redaktion des Magazins „Kontraste“ (RBB) für die Berichterstattung zu Randgebieten des Rechtsradikalismus für die Auszeichnung vorgeschlagen.
Ab dem 28. Januar tagen die Preisjurys in Marl, am 21. März sollen die Preisträgerinnen und Preisträger bekannt gegeben werden. Die Preisverleihung findet in diesem Jahr am 21. April im Theater der Stadt Marl statt. Der 1964 erstmals verliehene undotierte Grimme-Preis gilt als wichtigster deutscher Fernsehpreis.
Düsseldorf (epd). „Wir wollen von dem ausgehen, was die Familien beschäftigt, welche Unterstützung sie sich wünschen und was sie brauchen, um eine eigene religiöse Familienkultur zu entwickeln“, sagte Oberkirchenrätin Henrike Tetz am 16. Januar in Düsseldorf. Dazu könnten etwa Rituale und der Umgang mit unterschiedlichen Konfessionen und Religionen innerhalb der Familie gehören.
In Familien gebe es viele Fragen und auch Unsicherheiten zum religiösen Leben, sagte Tetz: „Was ist eigentlich Beten? Was ist ein Segen? Wer macht das und wie geht das? Wie lesen wir gemeinsam in der Bibel? Wie gestalten wir die Adventszeit? Und bis hin zu: Darf mein Stoffnilpferd auch mit an die Krippe zu Weihnachten?“, beschrieb die Leiterin der Abteilung Erziehung und Bildung der rheinischen Kirche mögliche Fragen.
Zu weiteren Angeboten der Landeskirche zählen nach den Worten der Theologin etwa Bildungsarbeit für die ganze Familie in Kitas oder die evangelische Büchereiarbeit. Das Projekt „Unterwegs in Gottes Welt“ der evangelischen Kirchen in NRW zeige, wie groß das Interesse an religiöser Familienarbeit sei. „Da werden Kinder und ihre Familien bei Schulübergängen begleitet.“ Zu Beginn des Schuljahres 2022/23 seien NRW-weit 43.000 Schülerinnen und Schüler erreicht worden: „Da ist Interesse und da ist Bedarf.“
Bildung war das Hauptthema der diesjährigen rheinischen Landessynode vom 16. bis 20 Januar in Düsseldorf. Geplant sei unter anderem ein Leitfaden für Bildungslandschaften, um zu schauen, was in verschiedenen Räumen wie etwa Stadt und Land an Bildungsarbeit nötig sei, betonte Tetz.
Eine konkrete Idee sei ein Unterstützungssystem für Studierende, die Religionslehrer werden wollen. Diese müssen ein berufliches Selbstkonzept entwickeln, bei dem sie sich mit ihrer eigenen evangelischen Identität und deren Einbringung in den Unterricht auseinandersetzen müssen. Das sei eine große Herausforderung für angehende Lehrerinnen und Lehrer. Die rheinische Kirche wolle sie dabei unterstützen, wo sie es benötigten.
Köln (epd). Die „Sendung mit der Maus“ hat den Rheinlandtaler des Landschaftsverband Rheinland (LVR) erhalten. „Als öffentlich-rechtliche Erfolgsgeschichte des WDR erklärt sie Kindern und auch vielen Erwachsenen, wie die Welt funktioniert“, erklärte der Verband am 17. Januar in Köln. Seit über 50 Jahren stelle sich die „Sendung mit der Maus“ den vielen Fragen der Menschheit und arbeite gesellschaftsrelevante Themen wie Teilhabe, Interkulturalität und Nachhaltigkeit auf verständliche und unterhaltsame Art auf.
„Die Sendung öffnet Erlebnisräume, sie bringt Menschen zusammen und trägt dadurch viel zu einer informierten und inklusiven Gesellschaft bei“, sagte die Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland, Anne Henk-Hollstein, in ihrer Laudatio. Das zeige sich auch darin, dass die Lach- und Sachgeschichten komplett barrierefrei mit Gebärdensprache, Untertiteln und Audiodeskription wiedergegeben würden. Der Rheinlandtaler in der Kategorie Gesellschaft wurde am 16. Januar im Rheinlandsaal des Landeshauses an das Redaktionsteam übergeben, das unter anderem durch Armin Maiwald und Christoph Biemann vertreten wurde.
Den Rheinlandtaler können laut LVR Menschen, Organisationen oder Unternehmen erhalten, die sich in besonderer Weise im Rheinland engagieren. Zur Kategorie „Gesellschaft“ gehören unter anderem die Themengebiete Soziales, Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen oder von Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie Bildung und Erziehung. Der Preis wird außerdem in der Kategorie „Kultur“ verliehen. Der Rheinlandtaler ist mit 1.000 Euro dotiert. Über die Vergabe entscheidet der Ausschuss für Inklusion der Landschaftsversammlung Rheinland.
Saarbrücken (epd). Politiker von SPD und CDU im Saarland haben die Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für Demokratie und Gesellschaft gelobt. Er informiere, berate, bilde verschiedene Sichtweisen ab, ordne Fakten ein, berichte ausgewogen und gebe verschiedenen Meinungen Respekt und Raum, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Stephan Toscani am 18. Januar im Landtag in Saarbrücken in der Debatte um den Dritten Medienänderungsstaatsvertrag. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei ein „wichtiger Eckpfeiler der freiheitlichen Demokratie“.
Mit den Stimmen der regierenden SPD und der oppositionellen CDU überwies der Landtag den Dritten Medienänderungsstaatsvertrag in erster Lesung an den Ausschuss für Bildung, Kultur und Medien. Die AfD stimmte dagegen. Der Medienänderungsstaatsvertrag enthält neue Regelungen für den Programmauftrag des öffentlichen Rundfunks und soll auch die Gremienkontrolle in den Bereichen Programm und Finanzen stärken. Künftig werden auch weniger lineare TV-Kanäle beauftragt. Das Vertragswerk, welches zurzeit in den Landtagen ratifiziert wird, soll am 1. Juli 2023 in Kraft treten.
Toscani kritisierte, Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die in ihrer Berichterstattung „genderten“ und forderte, dass diese es unterlassen sollten. „Das hat dann nämlich auch mit Akzeptanz bei einer breiten Mehrheit der Gesellschaft zu tun, dass diese kleine, sehr von sich überzeugte Minderheit einer Mehrheitsgesellschaft ihre Gesinnung aufzwingen will.“ Der frühere saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) hatte selbst gegendert.
Den Saarländischen Rundfunk (SR) bezeichnete Toscani als „Leuchtturm der Frankreichkompetenz unseres Landes“ und „starkes Stück Heimat in unserer Region“. Ähnlich äußerte sich der SPD-Fraktionsvorsitzende Ulrich Commerçon zum SR. Dieser genieße im Landtag „einen guten Rückhalt“. Nirgendwo sei der Rückhalt für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk so groß wie im Saarland.
Auch Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) äußerte Kritik an Überlegungen, SR und Radio Bremen mit anderen Anstalten zu fusionieren. „Aus neun macht sieben - das ist eine viel zu schlichte Antwort auf die großen Herausforderungen der öffentlich-rechtlichen Medien“, sagte sie. Die sieben übrigen Anstalten würden sich dann nur Zeit kaufen und nicht ihre Hausaufgaben machen.
Der AfD-Abgeordnete und -Landesvorsitzende Carsten Becker betonte, seine Kritik richte sich zum Großteil an ARD und ZDF, nicht an den SR. Den beiden großen Anstalten warf er eine „Corona- und Impfpropaganda“ vor und forderte die Abschaffung des Rundfunkbeitrags.
Kelkheim (epd). Die Gewalt gegen Christen hat nach Angaben von „Open Doors“ weltweit einen neuen Höchststand erreicht. Zwischen dem 1. Oktober 2021 und dem 30. September 2022 seien mindestens 5.621 Menschen aufgrund ihres christlichen Glaubens ermordet worden, teilte das christliche Hilfswerk am 18. Januar zur Vorstellung ihres neuen Weltverfolgungsindex im hessischen Kelkheim (Taunus) mit. Das seien über 80 Prozent mehr als vor fünf Jahren (3.066).
Nirgendwo werden Christen „Open Doors“ zufolge so unerbittlich verfolgt wie in Nordkorea. Das ostasiatische Land sei zurück auf dem unrühmlichen Spitzenplatz der neuen Negativ-Rangfolge zur Lage bedrängter Christen. Dort würden immer mehr Hauskirchen entdeckt und Christen verhaftet. Auf den Rängen zwei bis zehn folgen Somalia, Jemen, Eritrea, Libyen, Nigeria, Pakistan, Iran, Afghanistan und der Sudan.
Nordkorea hatte diese Position seit 20 Jahren inne und wurde nur im vergangenen Jahr von Afghanistan abgelöst, hieß es weiter. In Afghanistan sei die Situation für Christen jedoch weiterhin extrem gefährlich. Aktuell steht Afghanistan auf Rang neun des Index, weil meist nicht erkennbar sei, ob die Taliban Menschen aufgrund ethnischer Zugehörigkeit oder Zusammenarbeit mit westlichen Streitkräften und NGOs ermordeten, oder weil sie Christen waren.
Der Weltverfolgungsindex 2023 belege die starke Zunahme von Christenverfolgung weltweit, sagt Markus Rode, Leiter von „Open Doors“ Deutschland: „Es ist besonders für die betroffenen Christen wichtig, dass gegen sie begangenes Unrecht dokumentiert wird und sie nicht ungehört bleiben.“ Wegen ihres Glaubens würden aktuell 360 Millionen Christen bedroht und verfolgt.
Besonders in Nigeria (Rang 6) und anderen Ländern Subsahara-Afrikas habe die Gewalt gegen Christen erheblich zugenommen, hieß es weiter. Autokratische Regime wie China (Rang 16) setzten auf völlige Kontrolle alles kirchlichen Lebens, das sie durch strenge Gesetze und ideologischen Nationalismus ersticken wollten. China war laut dem Hilfswerk erneut das Land, in dem die meisten Kirchen und kirchlichen Einrichtungen zerstört oder geschlossen wurden.
In Indien (Rang elf) seien Christen durch Anti-Bekehrungs-Gesetze in mittlerweile elf Bundesstaaten willkürlichen Verhaftungen ausgesetzt. Bis zu zehn Jahre Haft seien möglich. Im aktuellen Berichtszeitraum seien mehr als 1.700 Christen ohne Gerichtsverfahren inhaftiert worden, oft im Umfeld von Angriffen auf Tausende von Christen durch extremistische Hindus.
Der zunehmende Autoritarismus von Regierungen in einigen lateinamerikanischen Ländern, zusammen mit einer feindseligen Haltung gegenüber Kirchen und dem christlichen Glauben, habe Nicaragua (Rang 50) zum ersten Mal auf den Weltverfolgungsindex gebracht. Aber auch in Kolumbien (Rang 22), Mexiko (Rang 38) und Kuba (Rang 27) habe sich die Situation für Christen deutlich verschlechtert: „Kirchenleiter werden unter Druck gesetzt und verhaftet, die Überwachung verstärkt, Registrierungen und Genehmigungen verweigert, Gebäude beschlagnahmt.“
Der Weltverfolgungsindex von „Open Doors“ erscheint dieses Jahr zum 30. Mal. Seit 1993 dokumentiert er die Diskriminierung von Christen in den 50 Ländern, in denen es für sie am gefährlichsten ist, ihren Glauben zu bekennen. Danach werden Christen dort getötet oder inhaftiert, von Behörden schikaniert und benachteiligt, entführt, sexuell missbraucht, zwangsverheiratet oder gezwungen, ihre Heimat zu verlassen.
Der Weltverfolgungsindex basiert den Angaben zufolge auf der Erhebung von dokumentierten Übergriffen auf Christen und Gemeinden in den einzelnen Ländern. Das überkonfessionelle Hilfswerk „Open Doors“ ist nach eigenen Angaben seit 1955 in mittlerweile mehr als 70 Ländern für verfolgte Christen aktiv. Der deutsche Zweig ist als Verein organisiert und wird vor allem von Freikirchen unterstützt.
Bonn (epd). Das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“ wendet sich gegen ein Verständnis von Entwicklungspolitik als „präventiver Sicherheitspolitik“. Entwicklungspolitik solle zu nachhaltiger Entwicklung, zur Überwindung von Hunger und Armut, zur Verwirklichung der Menschenrechte und zur Teilhabe benachteiligter Bevölkerungsgruppen beitragen, erklärte der „Brot für die Welt“-Politikexperte Klaus Seitz am 16. Januar beim Neujahrsempfang des Hilfswerks in Bonn. Dafür brauche es keine sicherheitspolitische Begründung, sagte Seitz laut Redemanuskript.
Der Experte widersprach der Einschätzung, durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine stehe auch die Entwicklungspolitik „vor einer Zeitenwende“. Auf diese Weise würden entwicklungs- und friedenspolitische Grundsätze und Errungenschaften als „überkommene Gewissheiten“ diskreditiert, sagte Seitz. Für die kirchliche Entwicklungsarbeit gebe es - „Zeitenwende hin oder her“ - keinen Grund, „ihre unbedingte Solidarität mit den Gedemütigten, Verwundbaren und Marginalisierten in Frage zu stellen“.
Seitz warnte vor einem Politikwechsel „vom Dialog zur Wehrhaftigkeit“. Eine so verstandene Zeitenwende mute eher „als Rolle rückwärts an denn als Sprung nach vorne“, kritisierte der Abteilungsleiter des Hilfswerks. Dass die weltweiten Rüstungsausgaben 2022 einen historischen Höchststand von acht Billionen US-Dollar erreicht hätten, sei für das Anliegen der Entwicklungspolitik eine „Hiobsbotschaft“, sagte Seitz. Die Entwicklungspolitik wäre „gut beraten, der Militarisierung der Außenpolitik“ entgegenzutreten.
Frankfurt a.M./Berlin (epd). Die Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe, Dagmar Pruin, hat die Gewalt gegen humanitäre Helfer im Südsudan angeprangert. Es dürfe nicht sein, dass „im Wochentakt Mitarbeitende von Hilfsorganisationen umgebracht, verletzt oder verschleppt werden, während sie das Überleben der notleidenden Menschen im Südsudan sichern“, sagte sie am 19. Januar in Berlin. Nach Angaben des evangelischen Hilfswerks kamen seit Beginn des Jahres drei Helfer in dem ostafrikanischen Land ums Leben.
Demnach starben zwei Helfer im Norden des Landes bei einem Überfall durch bewaffnete Gruppen. Ein weiterer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation sei am 7. Januar im Bundesstaat Jonglei getötet worden. Laut dem jährlich erscheinenden „Aid Worker Security Report“, in dem Gewalt gegen humanitäre Helfer dokumentiert wird, gehört der Südsudan zu den gefährlichsten Ländern weltweit für Hilfsorganisationen.
Nach einem Besuch in dem Land mahnte Diakonie-Präsidentin Pruin mehr Schutz für die Helfenden an. „Ihr Engagement ist überlebenswichtig für viele Menschen und oftmals die einzige Unterstützung, um dem wachsenden Hunger im Land zu begegnen“, sagte sie.
Der Südsudan ist eines der ärmsten Länder der Welt und wird seit Jahrzehnten von Gewalt beherrscht. Auch nach der Unabhängigkeit vom Sudan 2011 kam das Land nicht zur Ruhe. Durch die Gewalt und die anhaltenden Überschwemmungen herrscht eine massive Hungersnot. Nach UN-Angaben sind fast neun Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen.
Kiel (epd). Der Wirtschaftsprofessor Tobias Heidland erwartet eine Zunahme der globalen Ungleichheit infolge des Klimawandels. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass die Unterschiede zwischen Arm und Reich aufgrund der Erderwärmung zunehmen“, sagte der Experte vom Kieler Institut für Weltwirtschaft dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Menschen im globalen Süden seien stark von der Landwirtschaft abhängig, die vom Klimawandel bedroht sei: „Für sie wird es immer schwieriger, ein stabiles Einkommen zu erzielen. Das Risiko, dass sie vom Rest der Welt abgehängt werden, ist hoch.“
Bereits die Corona-Pandemie habe die Schere zwischen Arm und Reich vergrößert, erklärte Heidland, der am Institut das Forschungszentrum „Internationale Entwicklung“ leitet und an der Universität Kiel lehrt. Das habe zuletzt die am Montag veröffentlichte Studie der Entwicklungsorganisation Oxfam gezeigt, wonach erstmals seit 25 Jahren extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig zugenommen haben. Das decke sich mit den Ergebnissen anderer Studien.
In den Entwicklungs- und Schwellenländern habe es während der Pandemie kaum Maßnahmen zur Abfederung sozialer Härten wie zum Beispiel das Kurzarbeitergeld in Deutschland gegeben, erläuterte Heidland. „Insbesondere prekär Beschäftigte haben in den Lockdowns häufig von einem auf den anderen Moment ihr Einkommen verloren. Sie mussten Erspartes verbrauchen und zum Beispiel wichtige Besitztümer wie Autos verkaufen, um über die Runden zu kommen.“
Auf der anderen Seite hätten Reiche, die ihr Geld etwa in Aktien anlegen, aus der Pandemie sogar wirtschaftliche Vorteile ziehen können. „Da die Märkte sich schnell erholt haben, konnten sie von anfänglichen Kursverlusten profitieren.“ Zudem hätten zuletzt Energieunternehmen aufgrund stark steigender Energiepreise sehr hohe Gewinne erzielen können, was deren Aktionäre noch wohlhabender gemacht habe.
Der Kieler Professor für Volkswirtschaft geht zwar davon aus, dass das Vermögenswachstum bei den Superreichen sich in den kommenden Jahren etwas verringern wird. „Aber das bedeutet nicht, dass die Ungleichheit abnimmt“, betonte er. Denn am unteren Ende der Skala nehme seit Beginn der Pandemie die soziale Not nach Jahrzehnten großer Erfolge bei der Armutsbekämpfung wieder zu.
Nach den Worten Heidlands ist in den vergangenen 200 Jahren die Ungleichheit zwischen Ländern im Zuge der Globalisierung meist gestiegen, während sie innerhalb der Staaten recht stabil war. In den vergangenen 20 Jahren indes habe sich der Unterschied zwischen Arm und Reich auch innerhalb der Staaten vergrößert. Das hänge mit den großen Einkommensgewinnen der Reichsten bei gleichzeitig relativ geringem inflationsbereinigtem Einkommenswachstum der unteren Mittelschicht und Ärmeren zusammen.
Genf/Cox's Bazar (epd). Die Vereinten Nationen haben die vielen Opfer unter geflüchteten Rohingya-Flüchtlingen auf hoher See in Südostasien beklagt. Im Jahr 2022 seien im Andaman-Meer und im Golf von Bengalen mindestens 348 Rohingya gestorben oder als vermisst gemeldet worden, sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Shabia Mantoo, am 17. Januar in Genf.
Mehr als 3.500 Rohingya hätten 2022 aus Myanmar und Bangladesch die gefährliche Seepassage gewagt. Ihre Ziele seien Indonesien, Malaysia, Thailand und andere Länder. Im Jahr 2021 hätten 700 Rohingya die Überfahrt riskiert. Die Rohingya wollen Unterdrückung und bitterer Armut in Myanmar und Bangladesch entkommen.
Unterdessen zeigten sich Menschenrechtler angesichts systematischer Gewalt gegen Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch alarmiert. Zunehmend würden Geflüchtete in den Lagern in Cox's Bazar durch bewaffnete Polizeieinheiten erpresst, schikaniert und willkürlich verhaftet, kritisierte Human Rights Watch (HRW). Internationale Geber müssten Druck auf Bangladeschs Behörden ausüben, um die Rohingya besser zu schützen. Die mutmaßlichen Misshandlungen sollten untersucht werden und Opfer rechtlichen Beistand erhalten.
Demnach sind bewaffnete Polizeibataillone seit Juli 2020 für die Sicherheit in den Flüchtlingscamps im Südosten des Landes zuständig. Seitdem habe sich die Lage verschlimmert, heißt es unter Berufung auf Rohingya und humanitäre Helfer. Es sei gängige Praxis, dass bangladeschische Sicherheitskräfte mutmaßlichen Verdächtigen Drogen- oder Waffengeschäfte anhängten und dann für deren Freilassung Geld erpressten. Viele Rohingya, die ins Visier der Polizei geraten, arbeiten den Menschenrechtlern zufolge in den Camps für Hilfsorganisationen oder als Lehrinnern und Lehrer.
Die Menschen seien Misshandlungen durch diejenigen ausgeliefert, die sie eigentlich schützen sollten, kritisierte die HRW-Asien-Expertin Shayna Bauchner. Schon zuvor seien die Geflüchteten Gewalt seitens krimineller Banden und bewaffneter Gruppen ausgesetzt gewesen.
In den Camps von Cox's Bazar harren etwa eine Million Rohingya-Flüchtlinge aus. In ihrem mehrheitlich buddhistischen Heimatland Myanmar wird die muslimische Minderheit seit Jahrzehnten verfolgt. Mehr als 800.000 von ihnen wurden Ende August 2017 während einer brutalen Offensive der myanmarischen Armee nach Bangladesch vertrieben. Dort leben sie unter erbärmlichen Bedingungen in Camps. UN-Ermittler sowie Menschenrechtler werfen Myanmar Völkermord an den Rohingya vor. Die humanitäre Hilfe für die Rohingya und die Nachbargemeinden in Bangladesch ist chronisch unterfinanziert.
Frankfurt a.M./Bunia (epd). Truppen der UN-Friedensmission Monusco sind im Ostkongo auf zwei Massengräber gestoßen. Die Leichen von insgesamt 49 Menschen wurden in zwei Dörfern in der Provinz Ituri gefunden, wie ein UN-Sprecher am 18. Januar in New York mitteilte. Demnach hatte es zuvor Berichte über Angriffe der Codeco-Miliz in der Region gegeben. Unter den Toten seien zwölf Frauen und sechs Kinder.
Die Fundorte lägen jeweils etwa 30 Kilometer östlich der Provinzhauptstadt Bunia. Die Blauhelmmission unterstütze das kongolesische Justizwesen bei der Untersuchung der Angriffe, sagte der UN-Sprecher. Es müsse herausgefunden werden, ob die Berichte über die jüngsten Angriffe mit dem Fund der Massengräber zusammenhängen.
Zuletzt gab es vermehrt Berichte über Attacken der Codeco-Miliz in Ituri. Vergangene Woche retteten Soldaten der UN-Friedensmission 200 Frauen aus der Gewalt der politisch-religiösen Gruppierung, die nach eigenen Angaben die Interessen der Lendu-Ethnie vertritt. Zuvor hatten Codeco-Kämpfer laut Medienberichten zehn Menschen in verschiedenen Dörfern getötet.
Der UN-Sprecher äußerte sich besorgt über die Verschlechterung der Sicherheitslage in Ituri. Seit Dezember seien mindestens 195 Zivilistinnen und Zivilisten getötet und 68 weitere verletzt worden. Für viele der Angriffe machte er Codeco sowie Zaire-Milizen verantwortlich. Den Angaben zufolge sind 1,5 Millionen Menschen auf der Flucht.
Derweil fliehen auch in der an Ituri angrenzenden Provinz Nord-Kivu weiter Menschen vor der Gewalt. Wie der UN-finanzierte Sender Radio Okapi am Donnerstag berichtete, suchten mehr als 1.000 Flüchtlingsfamilien Zuflucht vor Angriffen der Miliz M23. Die ersten Geflüchteten seien am Wochenende in dem Vertriebenenlager Kanyaruchinya angekommen. Sie stammen demnach aus Gebieten, die von M23-Kämpfern besetzt sind.
Wie der Leiter des Lagers, Théo Musekura, Radio Okapi sagte, seien die meisten Menschen ohne Hab und Gut angekommen. Die M23-Miliz zünde weiter Häuser an und misshandele Dorfbewohner, sagte er. Wie der Sender unter Berufung auf eine Erklärung des Außenministers Christophe Lutundula berichtete, haben sich die Kämpfer der Miliz bislang offenbar noch nicht, wie angekündigt, aus ihren Stellungen in Nord-Kivu zurückgezogen. In der Vergangenheit hatte die Rebellenbewegung immer wieder ihre Absicht bekundet, doch dann lediglich ihre Truppen kurzzeitig verlegt.
Im Osten der Demokratischen Republik Kongo gibt es seit Jahrzehnten einen blutigen Konflikt zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen und der Regierung um Macht und Kontrolle über die reichen Rohstoffvorkommen. Zahlreiche Bemühungen, den Ostkongo zu befrieden, sind bislang gescheitert. Die M23 ist die derzeit größte und am besten organisierte der schätzungsweise mehr als 120 Gruppierungen. Der Gruppe werden schwere Verbrechen vorgeworfen. Nach Beginn einer Offensive Anfang 2022 standen ihre Kämpfer zwischenzeitlich kurz vor Goma, der wichtigsten Stadt der Region.