Berlin (epd). Als der Beschluss einstimmig gefasst wurde, erhoben sich die Jesidinnen und Jesiden auf den Besuchertribünen des Bundestags von ihren Sitzen und applaudierten. Mehr als acht Jahre nach dem Überfall der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf jesidische Dörfer im Nordirak hat das deutsche Parlament am 19. Januar die Gräueltaten gegen die religiöse Minderheit als Genozid anerkannt. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte, die Verbrechen würden beim Namen genannt: „Deutschland erkennt den Völkermord an den Jesidinnen und Jesiden an - als Gesellschaft.“

Am 3. August 2014 hatte der IS die Heimat der Jesiden am Sindschar-Gebirge überfallen, Tausende Männer getötet, Frauen und Kinder verschleppt, unter anderem nach Syrien. Jesidinnen wurden systematisch vergewaltigt, mehr als 2.700 Jesidinnen befinden sich Schätzungen zufolge noch immer in der Gewalt von Islamisten. Baerbock sagte, der wichtigste Auftrag des Tages sei für sie, nicht nachzulassen und weiter nach den vermissten Frauen und Mädchen zu suchen.

Verurteilung in Deutschland rechtskräftig

Am 17. Januar hat die Justiz bereits vorgelegt: Die erste Verurteilung wegen Völkermords an den Jesiden wurde rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof bestätigte die lebenslange Haftstrafe eines IS-Kämpfers, die das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verhängt hatte. Der heute 30-jährige Taha Al-J. hatte ein als Sklavin gehaltenes fünfjähriges Mädchen so misshandelt, dass es starb. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er damit im Sinne der IS-Ideologie einen Beitrag dazu leisten wollte, das Jesidentum als solches zu vernichten.

Die Befassung des Bundestags ging auf eine Petition zurück. Im Petitionsausschuss sprach im Februar 2022 der jesidische Petent Gohdar Alkaidy über das Anliegen und verwies dabei auf die Tatsache, dass in Deutschland die größte jesidische Diaspora-Gemeinde weltweit beheimatet ist. Mehr als 200.000 Jesidinnen und Jesiden leben inzwischen in der Bundesrepublik.

So reisten zur Abstimmung im Parlament neben Alkaidy noch viele andere jesidische Repräsentantinnen und Vertreter an, auch ihr weltliches Oberhaupt Hazim Tahsin Said Beg. Der Genozid an Jesiden dauere jedoch weiter an, sagte er im Anschluss und verwies auf die vielen Menschen, die in Camps immer noch darauf warteten, in die Heimat zurückkehren zu können. Doch in der Sindschar-Region tummeln sich iranische und kurdische Milizen. Das türkische Militär bombardiert das Gebiet immer wieder.

Ungeklärt ist auch der Umgang mit den Kindern, die bei der Vergewaltigung jesidischer Frauen durch IS-Kämpfer gezeugt wurden. Der Vize-Vorsitzende des Zentralrats der Jesiden in Deutschland, Irfan Ortac, mahnt in der Frage Respekt vor der Identität der Religionsgemeinschaft an. Den religiösen Regeln zufolge wird man Jeside ausschließlich durch Geburt, wenn beide Elternteile Jesiden sind.

Hoffen auf Sonderkontingent

Im Bundestagsbeschluss wird gefordert, die „besonders vulnerable Situation“ von diesen Kindern im Fokus zu behalten und deren Integration in die jesidische Gemeinschaft zu unterstützen. Trauma-Experte Jan Ilhan Kizilhan plädiert für ein bundesweites Sonderkontingent, um sie und ihre jesidischen Mütter nach Deutschland zu holen. Kizilhan betreut Jesidinnen, die in IS-Gefangenschaft waren. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte er, dass die Kinder im Irak keinerlei Schutz hätten. „Die irakische Regierung sagt, die Kinder sind Muslime und dürfen nicht von Jesidinnen erzogen werden. Jesidische Gemeinden sagen wiederum, wir wollen die Kinder nicht.“

Auch die Überlebende des Völkermords, Farida Khalaf, hofft auf ein Sonderkontingent. Sie erinnert an das Programm Baden-Württembergs in den Jahren 2015 und 2016: Damals wurden etwa 1.000 Frauen und Kinder aufgenommen - unter ihnen war Nadia Murad, die für ihren Kampf gegen sexuelle Versklavung den Friedensnobelpreis erhielt.