Kirchen

Rheinische Kirche: Kirchensteuer wird gerechter verteilt


Mit einem Gottesdienst wurde die Landessynode in Bonn eröffnet.
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Der prognostizierte Kirchensteuer-Rückgang in der rheinischen Kirche lässt noch auf sich warten. Für Ärger in der Landessynode sorgen aber unnötige Millionenkosten für eine Software-Umstellung.

Die Evangelische Kirche im Rheinland rechnet trotz stetig sinkender Mitgliederzahlen weiter mit steigenden Einnahmen aus der Kirchensteuer. Vom kommenden Jahr an sollen sie zwischen ärmeren und reicheren Kirchenkreisen gerechter verteilt werden, wie die zweitgrößte Landeskirche am 7. September auf einer eigens einberufenen Finanzsynode beschloss. Das Kirchenparlament von 2,5 Millionen Protestanten kam erstmals seit 45 Jahren wieder in Bonn-Bad Godesberg zusammen. Das Treffen war zugleich eine Premiere: Zum ersten Mal gab es in einem Jahr zwei reguläre rheinische Landessynoden.

In diesem Jahr beträgt der für den Haushalt maßgebliche Verteilbetrag aus der Kirchensteuer 744 Millionen Euro. Für kommendes Jahr werden Einnahmen von 750 Millionen Euro angesetzt, für 2021 wird mit 768 Millionen Euro kalkuliert. Möglich sei dies durch die gute wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, erläuterte Finanzdezernent Bernd Baucks. Der Mitgliederrückgang werde dadurch derzeit noch "überkompensiert", in einigen Jahren werde aber auch bei den Einnahmen ein Abwärtstrend einsetzen.

Personalkosten größter Posten

Im Gesamthaushalt von rund 630 Millionen Euro macht der Personalaufwand vor allem für die rund 1.700 Pfarrer gut zwei Drittel der Ausgaben aus. Der Haushalt für die landeskirchliche Ebene sieht Ausgaben von 130 Millionen Euro vor, 2,7 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Die Kirchensteuerhoheit liegt in der rheinischen Kirche bei den 687 Gemeinden, die Landeskirche wird über eine Umlage von 10,1 Prozent finanziert. Die Einnahmen sind regional unterschiedlich, weil sie von der wirtschaftlichen Situation der Mitglieder abhängen.

Mit einer Gesetzesänderung sorgte die Synode dafür, dass die Kirchensteuer vom kommenden Jahr an gleichmäßiger verteilt wird: Kirchenkreise in den wohlhabenderen Ballungsräumen zahlen dann schrittweise mehr Geld als bislang in einen Ausgleichstopf für ärmere Kirchenkreise vor allem in ländlichen Regionen. Wenn ein Kirchenkreis pro Mitglied weniger als 95 Prozent des landeskirchlichen Durchschnitts an der Kirchensteuer einnimmt, bekommt er Geld aus diesem Topf. Diese Grenze wird nun bis 2023 von 95 auf 97 Prozent erhöht. Dies hat die Verschiebung von Millionensummen zur Folge.

"Kalkulationsproblem".

Für Ärger in der Synode sorgten ungeplante Millionen-Mehrkosten für die Umstellung der Finanzsoftware. Der ursprünglich genehmigte Betrag von knapp 7,9 Millionen Euro steige um mehr als 3,4 Millionen Euro, räumte der leitende Jurist Johann Weusmann ein. Hauptgrund sei ein "Kalkulationsproblem". Unter anderem seien ein Mehrwertsteuerbetrag von rund 700.000 Euro übersehen und nötige Programm-Erweiterungen nicht bedacht worden.

Die Evangelische Kirche im Rheinland ist mit rund 2,5 Millionen Mitgliedern in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland die zweitgrößte der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Die Landessynode ist das oberste Organ. Bislang tagte sie nur einmal im Jahr knapp eine Woche lang - traditionell im Januar in Bad Neuenahr. Die zweite Synodentagung im Herbst wurde nun erprobt, um frühzeitige Haushaltsbeschlüsse zu ermöglichen und die Januar-Synode um einen Tag verkürzen zu können - das soll ehrenamtlichen Mitgliedern die Mitarbeit erleichtern.



Rheinische Synode erstmals wieder in Godesberg zu Gast


Erstmals seit 45 Jahren hat die rheinische Landessynode wieder in Bonn getagt.
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Genau 45 Jahre nach der letzten rheinischen Landessynode in Bonn-Bad Godesberg ist das Parlament der Evangelischen Kirche im Rheinland am Samstag an diesen Tagungsort zurückgekehrt - wenn auch nur für einen Tag. Dreizehn Jahre lang war das oberste Organ der zweitgrößten Landeskirche in Bad Godesberg zu Gast, bevor es 1975 erstmals in Bad Neuenahr zusammenkam. Seither findet in dem rheinland-pfälzischen Kurort jedes Jahr im Januar eine knapp einwöchige Jahrestagung statt.

In diesem Jahr gab es nun erstmals zwei reguläre Synoden. Das zweite Treffen am 7. September im Bonner Amos-Comenius-Gymnasiums wurde anberaumt, um frühzeitige Haushaltsbeschlüsse zu ermöglichen und die nächste Januar-Synode um einen Tag verkürzen zu können - das soll ehrenamtlichen Mitgliedern die Mitarbeit erleichtern. Anders als im Tagungshotel in Bad Neuenahr saßen die mehr als 200 Synodalen in der Schul-Aula allerdings nicht an Tischen, dafür ließ die Reihenbestuhlung keinen Platz.

Synodalen schätzen Kurstadt Bad Neuenahr

In Bad Neuenahr finden die Eröffnungsgottesdienste stets in der Martin-Luther-Kirche statt. Getagt wurde anfangs im neo-barocken Kurhaus mit einem multifunktionalen Theatersaal. Später wechselte die Landessynode in das moderne Kongresszentrum eines Hotels direkt an der Ahr. Viele Synodale schätzen in dem Ort kurze Wege und die Atmosphäre der Kurstadt, manche Mitglieder der Kirchenparlaments kehren sogar als Urlaubsgäste zurück. Überlegungen, die Synode zu verkleinern oder die Tagung zu verkürzen, fanden bislang keine Mehrheit bei den Vertretern von 2,5 Millionen rheinischen Protestanten.

Die erste rheinische Provinzialsynode nach dem Zweiten Weltkrieg fand 1946 in Velbert statt. Am 9. November 1948 konstituierte sich die Provinzialsynode erstmals als "Landessynode der Evangelischen Kirche im Rheinland" - ebenfalls in Velbert bei Wuppertal. Nach diesem Neuanfang als selbstständige Landeskirche tagte die Synode auch in Rengsdorf sowie in Bad Kreuznach, bevor schließlich Bonn-Bad Godesberg und Bad Neuenahr auserkoren wurden.



Kirchen und Landesregierung gegen Menschenfeindlichkeit

Evangelische Kirchen und die Saarbrücker Landesregierung haben mit Blick auf die Wahlergebnisse in Brandenburg und Sachsen eine klare Abgrenzung zu Menschenfeindlichkeit und Extremismus betont. Demokratische Parteien müssten die Menschen vor Ort und ihre Bedürfnisse ernst nehmen, erklärte Saar-Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) am 3. September in Saarbrücken bei einem Spitzentreffen mit Repräsentanten der rheinischen und pfälzischen Landeskirche. Andererseits gelte es, sich von jeder Art der Menschenfeindlichkeit, des Extremismus und Populismus von links wie von rechts klar abzugrenzen.

Rekowski: Evangelische Kirche steht für Vielfalt und Toleranz

Der rheinische Präses Manfred Rekowski betonte, dass die evangelische Kirche für Vielfalt, Verschiedenheit und Toleranz stehe. Dazu zähle auch das Einstehen für die Bedürfnisse der Bürger und für die Meinungsfreiheit der Menschen. Es gelte stets ein offenes Ohr für ihre Anliegen zu haben, im Dialog zu bleiben, sich mit Respekt und Achtung gegenüberzutreten und so Ausgrenzung Andersdenkender zu verhindern, sagte der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland. Eine Ursache für den Zuspruch für populistische und extreme Parteien sieht Rekowski darin, dass viele Menschen Angst hätten, zu den Verlierern der Globalisierung, der Digitalisierung und des Klimaschutzes zu gehören.

Der pfälzische Kirchenpräsident Christian Schad bezeichnete es als gemeinsame Aufgabe der Kirchen und der Landesregierung, für den gesellschaftlichen Zusammenhalt einzutreten und die Befindlichkeiten der Menschen ernst zu nehmen. Abstiegsängste und Zukunftssorgen bestimmten das Lebensgefühl vieler Menschen. Als evangelische Kirche sei man immer für einen ernsthaften Dialog mit unterschiedlichen politischen Positionen offen. Allerdings werde die Kirche auf keinen Fall eine Bühne für Provokationen und Hass bieten, unterstrich der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in der Pfalz.

Zusammenarbeit im ländlichen Raum

Außerdem bekräftigten Landesregierung und die Kirchen, dass Kommunen und Kirchen künftig enger zusammenarbeiten sollten. So sollen vor allem in ländlichen Gebieten die Kirche vor Ort mit der gemeinsamen Nutzung von Kirchengebäuden erhalten werden. Die Kirche vor Ort müsse mit ihren Angeboten von der Taufe bis zur Beerdigung gestärkt werden, aber auch mehr Angebote für die Freizeitgestaltung jüngerer Menschen sowie die Zusammenkunft von Älteren im ländlichen Raum bieten, erklärte Hans.

Für Oktober wurde bei dem Spitzentreffen ein erstes Gespräch zwischen Saar-Umweltminister Reinhold Jost (SPD) und dem Beauftragten der Evangelischen Kirchen im Saarland, Frank-Matthias Hofmann, über eine künftig gemeinsame öffentlich-kirchliche Nutzung von Dorfkirchen mit möglichen Finanzzuschüssen vom Land vereinbart. Im Saarland leben den Angaben zufolge rund 173.000 evangelische Christen. Davon gehören etwa 136.000 zur rheinischen und rund 37.200 zur pfälzischen Landeskirche.



Reformierter Bund wählt neue Führungsspitze

Der Reformierte Bund wählt eine neue Führungsspitze für die rund 1,5 Millionen evangelisch-reformierten Christen in ganz Deutschland. Die vom 19. bis 21. September in Nürnberg tagende Hauptversammlung des Dachverbandes besetze turnusgemäß das Moderamen, das ehrenamtliche Leitungsgremium, und dessen Vorsitz neu, sagte der Geschäftsführer des Bundes, Achim Dettmers, in Hannover. Der bisherige Amtsinhaber als vorsitzender Moderator, Martin Engels, gebe in der Hauptversammlung nach vier Jahren sein Ehrenamt ab. Der rheinische Theologe ist seit kurzem Leiter des Evangelischen Forums in Bonn.

Eine Kandidatin

Die bislang einzige Kandidatin für das Moderatoren-Amt ist Dettmers zufolge die Pastorin der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Kathrin Oxen. Die 47-jährige Theologin wurde in Ostholstein geboren. Nach dem Theologie-Studium in Wuppertal und Berlin war sie acht Jahre lang Pfarrerin der evangelisch-reformierten Kirche in Mecklenburg-Bützow und Mitarbeiterin der Evangelischen Akademie der Nordkirche im Arbeitsbereich Demokratiebildung. Von 2012 an leitete sie das Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur in Wittenberg, bis sie im Dezember 2018 nach Berlin wechselte. Bis zur Wahl können auch noch in der Hauptversammlung weitere Vorschläge gemacht werden.

Weitere Themen der alle zwei Jahre an anderen Orten tagenden Hauptversammlung seien das 500. Reformationsjubiläum in der Schweiz und die Verleihung des Karl-Barth-Preises 2019, sagte Dettmers. Die nach dem Schweizer Theologen benannte Auszeichnung würdigt herausragende wissenschaftliche Seminararbeiten.

EKD-Ratsvorsitzender zu Gast

Im Abschlussgottesdienst in der evangelischen St.-Martha-Kirche in Nürnberg predige der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sagte Dettmers. Die Kirche war 2014 bei einem Brand zerstört worden. Erst im vergangenen Jahr wurde sie nach umfangreichen Restaurierungsarbeiten wieder eröffnet.

Dem als Verein organisierten Reformierten Bund gehören Einzelpersonen sowie die Evangelisch-reformierte Kirche mit Sitz in Leer und die Lippische Landeskirche an. Dazu kommen zahlreiche Kirchengemeinden vor allem aus den unierten Kirchen im Rheinland, in Westfalen, in Bremen und in Hessen-Nassau. Weltweit wird die Zahl der reformierten Christen auf 85 bis 100 Millionen geschätzt. 2005 verlegte der Reformierte Bund seinen Sitz nach Hannover. Dort befindet er sich seit 2014 mit der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen unter demselben Dach.



Künftige Bischöfin: Nicht an alten Bildern festhalten


Beate Hofmann
epd-bild/Andreas Fischer

Die künftige Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, hält es für falsch, angesichts des Mitgliederschwunds an alten Bildern von Kirche festzuhalten. Es wäre ein Fehler zu sagen, alles müsse so bleiben wie bisher, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Eine Herausforderung werde es sein, dafür zu sorgen, dass überall, wo Kirche sei, Gottesdienst gefeiert werde - zu Zeiten und Formen, die für möglichst viele Menschen zugänglich seien. "Es war wohl schon immer eine Fiktion gewesen zu sagen, am Sonntag um 9.30 oder um 10 Uhr trifft sich die gesamte Gemeinde. Da versammelt sich ein Teil der Gemeinde", sagte sie. Hofmann wird am 29. September in Kassel in ihr neues Amt eingeführt.

Hofmann sprach sich zugleich gegen die Anregung ihres Amtskollegen Volker Jung (EKHN) aus, Kita-Plätze bevorzugt an Mitglieder zu vergeben. Dies fände sie schwierig, denn das betreffe diakonische Arbeit, die nicht nach Mitgliedschaft, sondern nach Bedürftigkeit gehen müsse.

Schwerpunkt Diakonie

Die Gesellschaft traue der Kirche eine ganze Menge im Blick auf Diakonie, sozialen Zusammenhalt und Wertevermittlung zu, stellte Hofmann fest. Die Solidarität, die die finanzielle Grundlage schaffe, schwinde allerdings. "Wenn die Menge der Kirchensteuerzahler eine kritische Größe unterschritten hat, muss man darüber nachdenken, ob man da auch politisch andere Möglichkeiten nutzt", sagte sie.

Hofmann, die derzeit noch am Institut für Diakoniewissenschaft und Diakonie-Management (IDM) in Bielefeld-Bethel arbeitet, kündigte zudem an, einen der Schwerpunkte ihrer Arbeit auf die Diakonie setzen zu wollen. "Dass ich das Thema Diakonie mitbringe, liegt nahe. Es wäre merkwürdig wenn ich da nicht auch weiter einen Schwerpunkt setzen würde", sagte sie.

epd-Gespräch: Christian Prüfer und Wolfgang Weissgerber


Neuer mitteldeutscher Bischof Kramer in Amt eingeführt


Einführung des neuen Bischofs Kramer: der katholische Bischof von Erfurt, Neymeyr, und EKD-Ratschef Bedford-Strohm (r.)
epd-bild / Viktoria Kühne
Vor gut zehn Jahren wurde die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland gegründet. Nun haben die rund 700.000 Protestanten ihren zweiten Bischof bekommen. Friedrich Kramer wurde als Nachfolger von Ilse Junkermann in sein Amt eingeführt.

Der neue Bischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), Friedrich Kramer, hat zum Wiedereintritt in die Kirche aufgerufen. "Wir sind die einzige Ex, die sich freut, wenn Sie wiederkommen", sagte der Theologe am 7. September bei seiner Amtseinführung im Magdeburger Dom St. Mauritius und Katharina. Zu den zahlreichen Gästen des Festgottesdienstes zählten neben den beiden Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt, CDU) und Bodo Ramelow (Thüringen, Linke) auch der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, die Vorsitzende der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Irmgard Schwaetzer, und die Bischöfe der katholischen Bistümer Magdeburg und Erfurt, Gerhard Feige und Ulrich Neymeyr.

Den Festgottesdienst zur Amtseinführung leiteten der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers, Ralf Meister, der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz, Christian Schad, und Marianne Christiansen, Bischöfin im Bistum Haderslev der Dänischen Volkskirche. Bei dem Gottesdienst erhielt Kramer auch sein Bischofskreuz. Von der Domgemeinde, für die der Bischof einen Predigtauftrag hat, bekam er eine purpurne Stola.

Leidenschaftlicher Sänger

Meister würdigte den neuen Bischof als lebensfrohen und glaubensstarken Menschen, der "im Osten Deutschlands geprägt worden ist und eine große Weite mitbringt, um Menschen für die Frohe Botschaft zu begeistern". Ihn erwarte ein Amt mit vielfältigen Dimensionen, betonte Meister: "Evangelisch, ökumenisch und in der tiefen Verbundenheit mit dem Judentum." Schad ermutigte den Hobbywinzer und leidenschaftlichen Sänger Kramer dazu, ein singender Landesbischof zu sein, "der mit seiner Begeisterung ausstrahlt auf andere".

Nach 500 Jahren habe Wittenberg endlich einen Bischof, betonte Ministerpräsident Haseloff, der wie Kramer in der Lutherstadt wohnt. Er freue sich auf die Zusammenarbeit, die in der Diaspora-Situation, in der sich die Christen in der mitteldeutschen Gesellschaft befänden, vor großen Herausforderungen stehe, sagte der CDU-Politiker auch im Namen seines Thüringer Amtskollegen Ramelow.

Kramer blicke realistisch auf die Entwicklung der Kirche, sagte Bedford-Strohm. Er beschönige nichts, strahle aber Aufbruch statt Resignation aus. Seine langjährigen Erfahrungen an der Schnittstelle von Politik und Gesellschaft prädestinierten ihn zum "Pontifex", zum Brückenbauer, erklärte der EKD-Ratsvorsitzende. Er habe Kramer nach den ersten gemeinsamen Beratungen mit den leitenden Bischöfen bereits als Bereicherung wahrgenommen.

Feige: Gute Zusammenarbeit fortsetzen

Magdeburgs katholischer Bischof Gerhard Feige versprach eine Fortsetzung der guten ökumenischen Zusammenarbeit der beiden Kirchen. Christen seien gemeinsam herausgefordert, das Evangelium auf Mitteldeutsch zu buchstabieren, erklärte er. Sein Erfurter Kollege Neymeyr hatte bereits bei der Amtseinführung im Gottesdienst assistiert.

Der 1964 in Greifswald geborene Friedrich Kramer war im Mai von der Synode zum neuen Landesbischof gewählt worden. Nach Stationen als Gemeindepfarrer und Pfarrer für Studentenseelsorge war er zuletzt seit 2009 Direktor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt und Studienleiter für Theologie und Politik. Amtsvorgängerin Ilse Junkermann, die als erste das Bischofsamt in der 2009 neu entstandenen EKM innehatte, war zu Monatsbeginn nach dem Ende ihrer zehnjährigen Amtszeit an die Universität Leipzig gewechselt.



EKD-Ratsvorsitzender hofft auf Durchbruch in Ökumene


Heinrich Bedford-Strohm (Archivbild)
epd-bild/Theo Klein
Blick in die Zukunft: Der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm hofft auf eine wechselseitige eucharistische Gastfreundschaft im Jahr 2021. Er hat sogar eine "Vision" von einer "sichtbaren Einheit der Kirchen in versöhnter Verschiedenheit" bereits 2030.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, hat sich optimistisch zur Zukunft der Ökumene und zu einem gemeinsamen Abendmahl von Protestanten und Katholiken geäußert. Dass die Christen "auf dem Weg zum ökumenischen Kirchentag in Frankfurt 2021 so große Fortschritte machen, dass auch eine wechselseitige eucharistische Gastfreundschaft möglich ist, ist jedenfalls nicht auszuschließen", sagte der bayerische Landesbischof am 3. September im südhessischen Bensheim. "Man darf ja träumen", fügte der Repräsentant von rund 21 Millionen evangelischen Christen in Deutschland hinzu.

Zugleich warb Bedford-Strohm auf einem Empfang im Konfessionskundlichen Institut der evangelischen Kirche für mehr Engagement der Kirchen beim Einsatz für Flüchtlinge im Mittelmeer. Dies trage zu deren Glaubwürdigkeit bei. Der evangelische Kirchentag im Juni in Dortmund hatte in einer Resolution ein kirchliches Rettungsboot gefordert. Der Rat der EKD will sich im September mit dem Thema befassen.

Dazu sagte der Ratsvorsitzende Bedford-Strohm: "Wir werden uns für die Entscheidungen im Hinblick auf den Kirchentagsimpuls so viel Zeit nehmen, wie wir für eine gründliche Prüfung brauchen." Eine solche Entscheidung werde Konsequenzen bei Menschen haben, die Zweifel am glaubwürdigen Engagement der Kirche "für die Menschen und insbesondere für die Schwächsten haben."

Zustimmung für Palermo-Appell

Er habe noch nie so viele zustimmende Mails, Facebook-Nachrichten und Briefe bekommen "wie seit meinem Besuch bei der 'Seawatch'-Crew in Sizilien und dem daran anschließenden Palermo-Appell", sagte Bedford-Strohm. Mit dem "Palermo-Appell" von Anfang Juni wurde ein kurzfristiger Verteilmechanismus für im Mittelmeer gerettete Bootsflüchtlinge gefordert. Bedford-Strohm hatte den Appell gemeinsam mit dem Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, veröffentlicht.

Beim Thema Ökumene ging Bedford-Strohm noch einen Schritt weiter: "Geben wir uns einen Moment lang der Hoffnung hin, dass im Jahr 2030, dem 500. Jahr der Verlesung der Confessio Augustana, mit der die Kirchentrennung eine Tatsache wurde, die sichtbare Einheit der Kirchen in versöhnter Verschiedenheit da ist und wir gemeinsam zum Mahl am Tisch des Herrn versammelt sind", sagte er vor Repräsentanten mehrerer theologischer Institute. Das Augsburgische Bekenntnis von 1530 (Confessio Augustana) gehört zu den wichtigsten Bekenntnisschriften und Glaubensdokumenten vor allem der evangelisch-lutherischen Kirchen.

Der Mainzer katholische Bischof Peter Kohlgraf rief auf dem Ökumene-Empfang Katholiken und Protestanten zu mehr Zusammenarbeit auf unterschiedlichen Ebenen aus. Die Christen beider Konfessionen dürften nicht nebeneinanderher arbeiten, das gelte vor allem angesichts der schwindenden Mitgliederzahlen. In diesen Umstrukturierungsprozessen brauche die Ökumene "einen festen Ort".

Das Jahr 2021 wird in Deutschland ganz besonders von der Ökumene bestimmt: Der Ökumenische Kirchentag (ÖKT) vom 12. bis 16. Mai 2021 in Frankfurt am Main ist das dritte Großtreffen dieser Art nach Berlin 2003 und München 2010. Der Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) - das höchste Leitungsgremium des Weltkirchenrates - trifft sich 2021 in Karlsruhe, nach 2006 im brasilianischen Porto Alegre und 2013 im südkoreanischen Busan. Dazu werden mehr als 3.000 ökumenische Gäste aus aller Welt erwartet.

"Ökumene auf dem Weg"

"Was wir jetzt jedenfalls erleben, ist eine 'Ökumene auf dem Weg'", fügte Bedford-Strohm hinzu: "Ich bete darum, dass der Heilige Geist uns zugleich Beine macht und den nötigen Rückenwind gibt." Dass in Folge dieses Jahres "nach einem Auf und Ab und mancher Sorge um einen neuerlichen ökumenischen Stillstand" am Ende doch auch konkrete Erleichterungen für die gemeinsame Eucharistie von konfessionsverschiedenen Ehen zwischen Katholiken und Protestanten möglich wurden, habe ihn sehr gefreut.

Das Konfessionskundliche Institut wurde 1947 in Bensheim an der Bergstraße gegründet, wo es bis heute seinen Sitz hat. Es ist das ökumenewissenschaftliche Arbeitswerk der EKD und eine Einrichtung des Evangelischen Bundes. Die Einrichtung agiert als unabhängige Beratungsinstanz für evangelische Institutionen in allen Fragen der Ökumene.



Kardinal Marx hält regionale Einschränkung des Zölibats für möglich

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, kann sich in einzelnen Fällen eine Einschränkung des Zölibats vorstellen. Es sei möglich, dass man zu dem Ergebnis komme, "dass es sinnvoll ist, unter bestimmten Voraussetzungen in bestimmten Regionen verheiratete Priester zuzulassen", sagte Marx der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Einen Spielraum, um Frauen zum Priesteramt zuzulassen, sieht Marx allerdings nicht. Papst Johannes Paul II. habe 1994 endgültig festgelegt, dass die Kirche keinerlei Vollmacht habe, Frauen die Priesterweihe zu spenden. Er könne nicht erkennen, wie man das heute theologisch beiseitelegen könne, auch wenn die Argumentation der Kirche "heute schwieriger zu vermitteln" sei, sagte der Münchner Erzbischof.

Synode im Oktober

Auf der Bischofssynode über das Amazonasgebiet im Oktober soll über eine begrenzte Zulassung verheirateter Priester beraten werden als Antwort auf den Priestermangel in Lateinamerika. Im Vorbereitungsdokument, aus dem die Zeitung zitiert, heißt es, dass es zudem nötig sei, "dem indigenen und aus der Region stammenden Klerus unter Berücksichtigung seiner eigenen kulturellen Identität und Werte Rückendeckung zu geben".

Laut Arbeitspapier will die Synode zudem offizielle Rollen für Frauen finden unter Anspielung auf die ohnehin starke Beteiligung der Frauen am kirchlichen Leben im Amazonas-Gebiet. Die Synode findet vom 6. bis 27. Oktober im Vatikan statt.

Marx sprach sich im Interview dafür aus, Bischofskonferenzen und Synoden für Frauen zu öffnen. "Es würde schon sehr viel ändern, wenn diese Männerwelt aufgebrochen würde." Bislang blieben dort Männer unter sich. Eine Frauen-Beteiligung an Abstimmungen hält er jedoch nicht für möglich. Das lasse das Kirchenrecht wahrscheinlich nicht zu. "Doch es ändert ja schon die Perspektive, wenn zuvor Frauen und Männer gemeinsam diskutiert haben. Hier sehe ich noch erheblichen Spielraum."



Ikonen der Moderne


Stephanuskirche in Wolfsburg
epd-bild/Jens Schulze
Der finnische Architekt Alvar Aalto gilt als ein Wegbereiter der Moderne. Von weltweit sieben Kirchen nach seinen Entwürfen stehen zwei in Wolfsburg.

Der Kirchraum ist hell, runde hölzerne Schirme an der Decke bilden ein prägendes Element. Vorn im Altarraum scheint das Licht seitlich auf die Stirnwand, die sich wie ein Vorhang in Falten wölbt. "Es ist, als ob starre Formen aufgelöst sind und Freiheit zu spüren ist", sagt Kirchenvorsteherin Elisabeth Stöckel. Mit der 1968 eingeweihten Stephanuskirche des finnischen Architekten Alvar Aalto (1898-1976) in Wolfsburg öffnete am 8. September zum "Tag des offenen Denkmals" ein herausragendes Bauwerk der Internationalen Moderne in Deutschland seine Türen.

Unter dem Motto "Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur" präsentieren sich bundesweit rund 8.000 historische Baudenkmäler, Parks oder archäologische Stätten. Anlässlich des 100. Bauhaus-Jubiläums stehen dabei Denkmäler im Fokus, die revolutionäre Ideen oder technische Fortschritte repräsentierten. Als Alvar Aalto in Wolfsburg tätig war, galt er neben Le Corbusier und Mies van der Rohe als eine weltweit anerkannte Symbolfigur moderner Architektur.

Zeichen des Nachkriegs-Booms

Weltweit gibt es sieben Kirchen nach seinen Entwürfen: vier in Finnland, eine in Italien und mit Stephanus und der schon 1962 fertiggestellten Heilig-Geist-Kirche gleich zwei evangelische Kirchen in Wolfsburg. Sie stehen für den Boom, den die 1938 als Sitz des Volkswagenwerks gegründete Stadt in der Nachkriegszeit erlebte. Die Stephanuskirche sei als multifunktionales Zentrum mitten im Stadtteil Detmerode vom Geist der 68er geprägt gewesen, sagt Pastorin Anke Döding. Zugleich wird in Wolfsburg deutlich, vor welche Herausforderungen Denkmale der Nachkriegszeit die Eigentümer heute stellen.

Elisabeth Stöckel greift zum von Aalto gestalteten Türgriff aus Bronze. Sie tritt aus dem Gottesdienstraum direkt auf den Marktplatz in Detmerode. Vis-à-vis liegen eine Bäckerei und ein Drogeriemarkt. Abgesehen vom Turm aus Betonstreben und der mit strahlend weißem Carrara-Marmor verkleideten Fassade fügt sich die Kirche ins Ensemble ein. "Der Stadtteil ist zwischen 1962 und 1969 in einem Guss auf der grünen Wiese entstanden", sagt die Kirchenvorsteherin. "Junge Familien aus allen Gegenden der Republik zogen damals her."

Pastorin Döding hört noch heute von der Zeit, in der sich bis zu 250 Konfirmanden in einem Jahrgang tummelten. 8.000 Mitglieder hatte die Gemeinde damals, heute sind es noch rund 2.500. Inzwischen nutzten auch andere Träger die Kirche, etwa für Integrationskurse. "Wir haben viel Raum."

Die Muttergemeinde Heilig-Geist, von der sich Detmerode zu Zeiten des Wachstums abspaltete, ist inzwischen mit zwei anderen Kirchengemeinden fusioniert. Ihre ebenfalls von Aalto entworfene Kindertagesstätte stehe seit fünf Jahren leer, sagt der Leiter des zuständigen Amtes für Bau- und Kunstpflege in Celle, Stefan Kunkel. "Es gab dort Schimmelbefall." Eine Sanierung verzögere sich, weil sich Anforderungen geändert hätten und die Finanzierung nicht gesichert sei.

"Frei gestaltender Künstler"

Die Baumaterialien der Moderne stellen die Gemeinden auch vor Herausforderungen. Für die beiden Wolfsburger Kirchen seien unter anderem die Außenfassaden mit geschlämmten, gestrichenen Ziegeln charakteristisch, sagt Kunkel. "Sie sind eingepackt in eine weiße Hülle." Die Kirchen sind ohne Dämmung gebaut. Bei einem so hochkarätigem Denkmal sei eine nachträgliche Außendämmung nicht möglich und eine energetische Sanierung extrem aufwendig.

Die Heilig-Geist-Kirche wurde gleichzeitig mit dem Kulturzentrum in der Stadtmitte errichtet, für das Aalto 1958 den Wettbewerb gewann. So erreichte die Gemeinde eine beachtliche Kostensenkung, wie die Kirchen-Chronik vermerkt. Neben seiner Kirche im finnischen Vuoksenniska zähle sie zu den spektakulärsten Aalto-Bauten, schreibt der Kunsthistoriker Holger Brülls. "Beide Kirchen lassen erkennen, dass Aalto kein Zweckdenker war, sondern frei gestaltender Künstler."

Karen Miether (epd)


Rheinische Kirche ernennt neue Referentin für Kirchenmusik

Die Musikerin Xenia Preisenberger ist neue Referentin für Kirchenmusik der Evangelischen Kirche im Rheinland. Die 28-Jährige ist damit künftig unter anderem für die Fortbildung von Kirchenmusikern und die Beratung von Gemeinden in musikalisch-liturgischen Fragen zuständig, wie die rheinische Landeskirche am 4. September in Düsseldorf mitteilte. Ihr neues Amt ist mit einer halben Stelle am Zentrum Gemeinde und Kirchenentwicklung in Wuppertal angesiedelt, daneben ist Preisenberger weiterhin als freischaffende Musikerin tätig.

"Als Kirchenmusikerin und Sängerin liegt mir die Vokalmusik besonders am Herzen", erklärte Preisenberger. "Es ist mein Anliegen, das Singen im Leben eines Menschen jeden Alters wieder zu verwurzeln." Auch das Verständnis für die Zusammengehörigkeit von Musik, Text und Liturgie im Gottesdienst wolle sie stärken. Dabe sei es ihr wichtig, Traditionen zu erhalten und gleichzeitig Offenheit für Ungewohntes zu wecken.

Preisenberger stammt den Angaben zufolge aus Ludwigsburg. Sie hat Kirchenmusik und Schulmusik in Stuttgart studiert und in Wien ein Masterstudium mit den Schwerpunkten Chorleitung und Gesang absolviert. 2018 war sie als Gastdozentin für Barockgesang an der Université Antonine in Beirut. Als Sopransolistin gibt sie Konzerte in Europa und Vorderasien.



Rheinischer Theologe Jürgen Blunck ist gestorben

Der rheinische Theologe und frühere Gemeindepfarrer in Neukirchen-Vluyn, Solingen und Essen, Jürgen Blunck, ist tot. Wie die Evangelische Kirche im Rheinland in Düsseldorf mitteilte, starb der gebürtige Duisburger im Alter von 86 Jahren. "Jürgen Blunck hat an den verschiedenen Wirkungsstätten in der Evangelischen Kirche im Rheinland mit seiner missionarisch und evangelistisch profilierten Arbeit viele Menschen geprägt", würdigte Präses Manfred Rekowski den Theologen, der sich auch bei den Pro-Christ-Evangelisationsveranstaltungen mit Billy Graham in den 1990er Jahren in Essen engagiert hatte.

Viele Menschen habe Blunck durch sein Wirken bereichert, die rheinische Kirche habe ihm "manche Impulse und Anregungen zu verdanken", erklärte der Präses. "Er stand für seine christlichen Grundüberzeugungen und sein Glaubensverständnis offensiv ein. In kontroversen kirchenpolitischen oder ethischen Fragen lag ihm stets am Ringen um die Wahrheit, die im Evangelium begründet sein sollte", schrieb Rekowski in einem Kondolenzbrief an Bluncks Witwe Brunhilde.

Vor seinem Studium der Theologie, das er 1954 in Köln begann, hatte Blunck eine kaufmännische Lehre absolviert. Weitere Studienstationen waren Wuppertal, Göttingen und Bonn. Blunck war auch in vielen Funktionen ehrenamtlich aktiv - so etwa rund 18 Jahre lang als Vorstandsmitglied im Westbund des Christlichen Vereins Junger Menschen (CVJM).



US-Theologe kritisiert Umgang der USA mit Migranten scharf

Der US-Theologe Chad Abbott hält die Migrationspolitik von Präsident Donald Trump für menschenverachtend. Sein Land sei gelähmt unter einem Präsidenten, der zum Hass aufrufe und das Vertrauen in den Staat zerstört habe, sagte der Geistliche der "United Church of Christ" (UCC) auf einer Tagung in Schwerte, wie die Evangelische Kirche am 7. September mitteilte. Der Einsatz seiner Kirche für Schwache und Benachteiligte, etwa für Flüchtlinge an der Grenze zu Mexiko, gebe ihm Hoffnung, "dass wir die Seele unseres Landes noch nicht vollständig verloren haben", sagte Abbott, der den UCC-Bezirk Indiana-Kentucky leitet.

Das System in den USA, das diese Ungerechtigkeiten hervorbringe, müsse ersetzt werden durch eine Weltanschauung des Mitgefühls, mahnte der US-Theologe. Christen müssten gegen die Ungerechtigkeit ihre Sichtweise der Menschen als geliebte Geschöpfe Gottes deutlich machen.

Zu dem UCC-Forum mit 70 Teilnehmern hatten die Evangelische Kirche von Westfalen und die Evangelische Kirche im Rheinland eingeladen. Beide Kirchen sind mit der UCC-Kirche partnerschaftlich verbunden.



Landeskirche informiert Abiturienten über den Beruf des Pfarrers

Die Evangelische Kirche von Westfalen informiert auf einer zweitägigen Tagung in Schwerte über den Pfarrberuf. Pfarrer, Theologiestudenten und Fachleute der Landeskirche stellen am 26. und 27. September den Studiengang vor und berichten aus der beruflichen Praxis, wie das westfälische Landeskirchenamt am 2. September in Bielefeld mitteilte. Die Referenten stehen auch zur persönlichen Beratung zur Verfügung.

Die kostenlose Veranstaltung in der evangelischen Tagungsstätte "Haus Villigst" richtet sich an Abiturienten, die sich für das Studium der Evangelischen Theologie mit Ziel Pfarramt interessieren. Die Berufsaussichten für neue Theologen seien gut, erklärte das Landeskirchenamt. Zahlreiche Pensionierungen in den nächsten Jahren führten zu einem erhöhten Bedarf an Pfarrern. Die Evangelische Kirche von Westfalen werde jährlich eine etwa gleich bleibende Zahl junger Theologen einstellen.

Die Evangelische Kirche von Westfalen ist mit rund 2,2 Millionen Mitgliedern die viertgrößte der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Sie erstreckt sich zwischen Minden und Bocholt, Tecklenburg und Siegen und ist gegliedert in 27 Kirchenkreise mit insgesamt 490 Gemeinden. Präses ist seit 2012 Annette Kurschus, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.



Evangelische Gesamtschule Hilden wird "Wilhelmine-Fliedner-Schule"

Die Evangelische Gesamtschule Hilden heißt jetzt "Wilhelmine-Fliedner-Schule". Sie übernimmt damit den Namen der im Juli dieses Jahres ausgelaufenen Realschule der Evangelischen Kirche im Rheinland, wie das rheinische Landeskirchenamt am 9. September in Düsseldorf mitteilte. Die Änderung werde am 13. September mit einem Festgottesdienst in der Hildener Friedenskirche vollzogen. Der Name erinnert an Wilhelmine Fliedner (1835-1904), die 1861 die erste evangelische Schule in Hilden gründete.

Die Evangelische Gesamtschule Hilden hatte in Nachfolge auf die auslaufende Realschule am 1. August 2014 ihren Betrieb aufgenommen. Derzeit unterrichten dort 55 Lehrkräfte 720 Schüler der Jahrgangsstufen 5 bis 10. Ab dem Schuljahr 2020/21 komme zudem eine gymnasiale Oberstufe mit kleinen individuellen Lerngruppen hinzu, so dass die Jugendlichen dort auch das Abitur absolvieren können, hieß es. Schulträgerin ist die rheinische Kirche. Neben der schulischen Ausbildung stünden auch das vom Geist der evangelischen Kirche getragene Miteinander im Zentrum.

Wilhelmine Fliedner, Tochter des evangelischen Sozialreformes und Gründers der Kaiserswerther Diakonie, Theodor Fliedner, gründete vor fast 160 Jahren die Schule in Hilden. Damals kamen 16 Schülerinnen in das Wohngebäude in der Innenstadt. 1865 bezog die Schule ein Gebäude an der Gerresheimer Straße, wo bis heute das Evangelische Schulzentrum angesiedelt ist. 1909 wurde die Schule als "Höhere Mädchen Schule" anerkannt. 1937 wurde der Schulbetrieb eingestellt, 1955 konnte die Schule als "Wilhelmine-Fliedner-Realschule" wieder eröffnet werden.



Missionszentrale der Franziskaner feiert 50-jähriges Bestehen

Weltweites Engagement für Menschen in Not, für Umweltschutz und für die Stärkung der Grundrechte: Das größte Hilfswerk der Franziskaner feiert die Gründung vor 50 Jahren mit einem Jubiläumsfest.

Die Missionszentrale der Franziskaner in Bonn feiert in diesem Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Etwa eine Million Menschen auf der ganzen Welt unterstützten den franziskanischen Hilfegedanken, sagte der Leiter der Missionszentrale, Bruder Matthias Maier, zur Eröffnung des Festwochenendes am 6. September in Bonn-Bad Godesberg. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) würdigte das völkerverbindende, friedensstiftende Engagement des 1969 gegründeten Missionswerks der Franziskaner. Das offizielle Jubiläumsprogramm startete am 7. September.

Laschet würdigt weltweites Engagement

Aktuell sei eine Welt zu erleben, in der häufig die Devise "mein Land zuerst" gelte, sagte Laschet beim Festakt in Bonn. "Die Franziskaner sind genau das Gegenmodell zu dieser Einstellung: Sie engagieren sich dort, wo andere nicht mehr hingehen. Und das weltweit." Laschet hob hervor, dass die meisten großen Hilfsorganisationen ihren Sitz in Nordrhein-Westfalen hätten, viele davon in der Bundesstadt. "Das macht uns Stolz", sagte er. "Wir wollen das globale Gewissen Deutschlands sein." Über 500 Gäste, darunter Franziskaner aus 37 Ländern, feierten das 50-jährige Bestehen der Missionszentrale.

650 Projekte in 80 Ländern der Erde hat die Missionszentrale der Franziskaner nach eigenen Angaben im Jahr 2018 unterstützt. Die Projekte hatten ein finanzielles Volumen von rund zwölf Millionen Euro. Bei den Maßnahmen handelte es sich um Projekte, die die Grundbedürfnisse der Menschen erfüllten wie Nahrung, Wasser, Bildung und Unterkunft. Gefördert werden auch Vorhaben aus den Bereichen Umweltschutz und Grundrechte. Zudem beteiligt sich das Hilfswerk an Nothilfen und Soforthilfen bei Katastrophen.

In einem Freiwilligendienst entsenden die Franziskaner zehn bis 20 junge Erwachsene im Jahr in weltweite Projekte. Insgesamt hat die Mission in den vergangenen 50 Jahren seit ihrer Gründung 25.000 Maßnahmen mit einem finanziellen Gesamtvolumen von 350 Millionen Euro finanziert. Das Geld stamme zum größten Teil aus Spenden, erläuterte Bruder Matthias. Für die Zukunft will die Missionszentrale nach den Worten ihres Leiters verstärkt auf Kooperationen setzen, etwa mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).

"Gold des Evangeliums"

Die Deutsche Bischofskonferenz würdigte das Engagement der Franziskaner. "Die Missionszentrale hat seit fünf Jahrzehnten dabei mitgewirkt, dass das Gold des Evangeliums zu vielen Menschen in Not und Elend, Hunger und Krankheit, in Kriegsgebiete und Flüchtlingscamps gebracht wurde und wird", erklärte der Vorsitzende der Kommission Weltkirche der Bischofskonferenz, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick.

Mit der Aktion "Frieden bewegt" wurde am 7. September das Jubiläumsprogramm gestartet. Auf dem Programm standen Musik, Angebote für Kinder und Vorträge zum Thema Frieden. Für den Abend war ein Friedensmarsch mit Kerzen geplant. Am 8. September feierte die Missionszentrale der Franziskaner ihr Jubiläum mit einem Festgottesdienst, an den sich Austausch und Dialog bei einfachen Speisen und Getränken "in franziskanischer Atmosphäre" anschließt.




Gesellschaft

"Starke Streiterin gegen Antisemitismus"


Bundespräsident Steinmeier und Anita Lasker-Wallfisch
epd-bild/Christian Ditsch
Ihr musikalisches Talent bewahrte Anita Lasker-Wallfisch vor dem Tod. Sie überlebte die Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen. Als eine der letzten Zeitzeuginnen wurde die 94-Jährige jetzt für ihren Kampf gegen Antisemitismus ausgezeichnet.

Hunderte Male hat Anita Lasker-Wallfisch schon vor Jugendlichen von ihrer Zeit in den Lagern in Auschwitz und Bergen-Belsen berichtet und aus ihrem Buch gelesen. Und sie will damit weitermachen: "Bis ich tot umfalle", hat sie einmal gesagt. Als eine "starke Streiterin gegen den Antisemitismus" hat die Deutsche Nationalstiftung die 94-Jährige am 3. September in Berlin mit dem mit 30.000 Euro dotiertem Nationalpreis 2019 ausgezeichnet.

Seit 1994 nehme sie immer wieder große Anstrengungen auf sich, um Schüler in Deutschland über die Gräuel der Nazi-Zeit zu informieren, erklärte die Nationalstiftung. Lasker-Wallfisch, die zu den immer weniger werdenden Überlebenden des Holocaust gehört, sieht darin auch eine Pflicht der letzten Zeugen. "Wir sind die Stimmen der Menschen, die man umgebracht hat", so hat sei es einmal formuliert.

Zwangsarbeit und Auschwitz

Anita Lasker-Wallfisch kann viel bezeugen. Als jüngste von drei Töchtern aus bildungsbürgerlichem Haus erlebt sie, wie die Familie nach und nach ihrer Rechte beraubt wird. Der Vater Alfons Lasker, ein angesehener Rechtsanwalt, bemüht sich ebenso verzweifelt wie vergeblich, aus Deutschland herauszukommen. Im April 1942 werden die Eltern deportiert und später ermordet. Während die älteste Schwester schon früher nach England emigriert ist, sind die beiden jüngeren, Anita und Renate, auf sich gestellt.

Die damals 16- und 17-Jährigen müssen Zwangsarbeit in einer Papierfabrik leisten. Sie fälschen Pässe, um doch noch zu entkommen, werden erwischt und landen im Gefängnis. Später werden sie getrennt voneinander nach Auschwitz gebracht. Weil Anita kurz nach ihrer Ankunft beiläufig erwähnt, dass sie Cello spielt, wird sie Mitglied im Frauenorchester des Lagers. Das rettet ihr und ihrer Schwester das Leben.

Auch als sie später in das Konzentrationslager Bergen-Belsen bei Celle deportiert werden, geben die beiden einander Halt. In dem überfüllten Lager in der Lüneburger Heide herrschen Hunger, Durst und Seuchen vor. "Auschwitz war ein Lager, in dem man Menschen systematisch ermordete", schreibt Lasker-Wallfisch in ihren Lebenserinnerungen: "In Belsen krepierte man einfach."

Karriere als Cellistin

Als britische Truppen das Lager am 15. April 1945 befreien, finden sie Tausende unbestatteter Leichen und Zehntausende todkranker Menschen vor. Fünf Monate nach der Befreiung erhebt ein britisches Militärgericht Anklage gegen die Täter. Anita Lasker-Wallfisch ist als Zeugin in dem Prozess vorgeladen, den sie als Farce erlebt, wie sie schreibt. Ein Verbrechen wie der Massenmord an Millionen von Menschen stehe außerhalb jedes Gesetzes.

Anita wandert schließlich nach England aus. Sie heiratet den Pianisten Peter Wallfisch, mit dem sie zwei Kinder hat. Sie macht als Cellistin Karriere und ist Mitbegründerin des Englisch Chamber Orchestra. Lange hat Anita Lasker-Wallfisch über ihre Erinnerungen geschwiegen. Fast ein halbes Jahrhundert nach ihrer Befreiung hat sie dann ihre Erfahrungen zunächst für ihre Kinder und Enkel aufgeschrieben. Das Buch "Ihr sollt die Wahrheit erben" erschien 1997 erstmals auch auf Deutsch.

Auch um das Gedenken für die Zukunft zu bewahren, hat sie Vorkehrungen getroffen. Sie hat an einem Hologramm-Projekt teilgenommen. Zeitzeugen werden bei der Beantwortung Hunderter Fragen von bis zu 50 Kameras gefilmt. Später werden die Aufnahmen zu einem zwei- oder dreidimensionalen Hologramm zusammengestellt. Auf eine Bühne projiziert, scheint es, als sitze der Überlebende tatsächlich dort.

Karen Miether und Martina Schwager (epd)


Holocaust-Überlebende warnt vor neuem Rechtsextremismus

Die KZ-Überlebende Inge Auerbacher warnt vor neuen rechtsextremen Zeiten in Deutschland und Europa. Am 2. September sagte die 84-Jährige im Gespräch mit gut 130 Schülerinnen und Schülern im Düsseldorfer Landtag, sie denke aktuell häufiger an ihre Jahre im Konzentrationslager Theresienstadt. Die Erinnerungen kämen wieder näher, "weil es schon wieder anfängt".

Auerbacher wurde 1934 in Kippenheim in Südbaden geboren. Im Alter von sieben Jahren wurde sie 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt im tschechischen Terezín deportiert, wo viele ihrer nächsten Verwandten starben. Nach dem Zweiten Weltkrieg emigrierte sie 1946 mit ihren Eltern in die USA und lebt heute in New York. Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hatte Auerbacher eingeladen.

Im Landtag traf Auerbacher auf Schüler aus Düsseldorf, Ratingen und Bottrop. Es sei wichtig, dass junge Menschen nicht zu Mitläufern von Rassisten oder Antisemiten würden, betonte die KZ-Überlebende. "Jeder hat die Wahl: Bleibt man ein guter Mensch oder zieht man mit den anderen?", sagte sie. Wer dabeistehe und zusehe, sei "genauso schlimm wie die Täter".

Appell an Flüchtlinge

Auf die Frage einer Schülerin, ob sie sich noch als Deutsche fühle, sagte Auerbacher: "Es bleibt immer etwas, Familie, Freunde, Gräber." Aber Deutschland sei nicht mehr ihre Heimat. "Heimat ist für mich, wo ich wohne", sagte die 84-Jährige. Sie appellierte in diesem Zusammenhang an die Flüchtlinge in Deutschland, sie sollten sich "hier anpassen, die deutsche Sprache lernen und auch etwas tun für das Land, das einen aufnimmt". Sie selbst lebe im Stadtteil Queens in Nachbarschaft zu Christen, Muslimen und Hindus. "Missverständnisse kommen, wenn man die anderen nicht kennt", sagte Auerbacher. "Man muss sich kennenlernen, muss wissen, wie die anderen leben, was sie essen."

Am 3. September wollte Auerbacher den Erinnerungsort "Alter Schlachthof" in Düsseldorf besuchen, von dem aus rund 6.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder von den Nationalsozialisten in die Vernichtungslager deportiert wurden. Die Zeitzeugin, die bereits vor den Vereinten Nationen gesprochen hat, trifft auch Schülerinnen und Schüler aus Dortmund und Neuss. Vor dem Treffen besuchen die Schüler die Aufführung des Theaterstücks "Ein ganz gewöhnlicher Jude", das die Kindheitserinnerungen von Auerbacher in das gleichnamige Stück von Charles Lewinsky integriert.

Laschet: Auerbacher ist wichtige Mahnerin

Am 5. September wurde Auerbacher von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) in der Düsseldorfer Staatskanzlei empfangen. "Es ist unser aller Pflicht, die Erinnerung an das Menschheitsverbrechen Shoa wachzuhalten und in der Gegenwart gegen jede Form von Antisemitismus und Hetze zu kämpfen", sagte Laschet bei dem Besuch. Die 84-jährige Auerbacher sei "eine wichtige Mahnerin", die vor Augen führe, zu was Menschen in ihrer hasserfüllten Ideologie fähig seien." Er sei dankbar dafür, dass die Zeitzeugin mit ihrem Engagement dafür sorge, "dass schon Kinder und Jugendliche dieses dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte kennen und - soweit es bei dieser Barbarei möglich ist - verstehen lernen", betonte Laschet.



"Blumen für Stukenbrock" gedenkt der NS-Opfern


Obelisk auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof
epd-bild/Reinhard Elbracht
Mit einer Gedenkfeier auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof in Stukenbrock-Senne wurde an das Schicksal der Kriegsgefangenen in der NS-Zeit erinnert. Die Veranstalter forderten zudem eine nationale Gedenkstätte für Kriegsgefangene.

Der friedenspolitische Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock" hat am 7. September mit einer Gedenkveranstaltung auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof Stukenbrock-Senne an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Der Ort erinnere eindringlich an das Leid und den Tod, den Kriege im letzten Jahrhundert bis heute millionenfach über die Menschheit gebracht hätten, sagte der Vorsitzende des Arbeitskreises, Hubert Kniesburges. Ähnlich wie das Mahnmal in Berlin für die ermordeten Juden müsse es auch ein nationales Denkmal für die ermordeten Kriegsgefangenen geben. Stukenbrock solle ein Lernort für Völkerverständigung und Humanität werden.

Für ein nationales Denkmal sprach sich auch der russische Wissenschaftler Wladimir Naumow vom Russischen Verband ehemaliger minderjähriger Zwangsarbeiter aus. "Wir die Überlebenden von damals, würden es sehr begrüßen, wenn hier in Stukenbrock eine Gedenkstätte von nationaler und internationaler Bedeutung geschaffen würde", sagte Naumow laut Redetext in seinem Grußwort. Dabei sollten die Erfahrungen des Arbeitskreises "Blumen für Stukenbrock" und die Erlebnisse der ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen einbezogen werden.

Kuper: Freiheit und Demokratie einziger Weg zum Frieden

Landtagspräsident André Kuper (CDU) erklärte am Rande der Gedenkfeier, das Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkrieges sei Verpflichtung und Auftrag zugleich. Freiheit, Demokratie und die Einigung Europas seien der einzige Weg für eine Zukunft in Menschlichkeit und Frieden.

Der evangelische Pfarrer Jochen Schwabedissen aus Bochum würdigte den friedenspolitischen Arbeitskreis als Bündnis, in dem sich sowohl Theologen wie Sozialdemokraten und Kommunisten engagierten. Der vor über 50 Jahren ins Leben gerufene Arbeitskreis habe sich dafür eingesetzt, dass Opfer und Täter an diesem Gräberfeld nicht vergessen würden, sagte der Pfarrer im Ruhestand, der seit den ersten Jahren im Arbeitskreis aktiv ist. Außerdem habe er sich im Auftrag der Überlebenden für den Frieden eingesetzt.

Auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof liegen nach Angaben der Initiative mehr als 65.000 sowjetische Opfer. Das Kriegsgefangenenlager Stalag 326 wurde am 2. April 1945 durch die US-Armee befreit. Der vor rund 50 Jahren gegründete Arbeitskreis "Blumen für Stukenbrock" pflegt das Andenken an die auf dem Soldatenfriedhof begrabenen Opfer der NS-Diktatur.



Motive für AfD-Wahl: Rassismus und ein Gefühl der Benachteiligung


AfD-Demo am 1. Mai in Erfurt (Archivbild)
epd-bild/Peter Jülich
In Brandenburg und Sachsen hat die AfD massiv zugelegt. Wissenschaftlern zufolge sind es vor allem zwei Motive, die Menschen dazu bewegen, für Rechtspopulisten zu stimmen.

Nach den deutlichen Zuwächsen der AfD in Brandenburg und in Sachsen stellt sich wieder die Frage: Wer wählt die Rechtspopulisten eigentlich? Die Antworten sind nicht einfach, und den typischen AfD-Wähler gibt es nicht. Wissenschaftler gehen im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) aber von zwei Hauptmotiven aus: Rassismus und Protest aus dem Gefühl heraus, benachteiligt zu sein.

Nach Einschätzung des Politikwissenschaftlers Aiko Wagner von der Universität Potsdam löst die AfD zum Teil die Linke als Protestpartei in Ostdeutschland ab. Wagner sagt, dass die Wanderung von Wählern von ganz links nach ganz rechts auch eine Folge davon sei, dass die Linke inzwischen seit vielen Jahren in verschiedenen Regionen mitregiere und somit aus Sicht vieler Menschen "Teil des Establishments" sei. "Protest ist umso wirksamer, je sichtbarer er ist", fügt der Wissenschaftler hinzu. Protestwähler machten ihr Kreuz bei der AfD und nicht bei Splitterparteien auf dem Wahlzettel, weil so der Weckruf lauter und die Bedrohung für die anderen Parteien stärker seien.

Diffuse Zukunftsängste

Der Politikwissenschaftler betont, dass es sich bei AfD-Wählern nicht unbedingt um Menschen handelt, die persönliche Abstiegserfahrungen gemacht hätten oder denen es besonders schlechtgehe. Eher spreche die Partei einen Teil des Kleinbürgertums an, nämlich "Menschen die in ihrer Wahrnehmung etwas dafür getan haben, dass es ihnen gutgeht". Diese hätten aber diffuse Zukunftsängste, wonach alles ganz schlimm werde, wenn es so weitergehe wie bisher.

Nach Angaben des Berliner Politikwissenschaftlers Oskar Niedermayer wird die AfD überproportional stark gewählt von Männern, mittleren Altersgruppen und Menschen mit mittleren Bildungsabschlüssen. Sehr stark sei die Partei bei Arbeitern. Die Motive seien aber unterschiedlich: So handele es sich zum Teil um ideologische Hardliner, die ein rechtsextremes Weltbild hätten. Eine andere Gruppe seien aber Protestwähler: Für sie sei noch immer der Protest gegen die Flüchtlingspolitik der wichtigste Grund. Diese Menschen interessiere auch nicht, was die AfD ansonsten noch wolle. "Protestwähler wollen der einst von ihnen präferierten Partei einen Denkzettel verpassen", sagt Niedermayer.

Niedermayer erläutert, dass im Osten der Republik das Stadt-Land-Gefälle deutlich stärker sei als im Westen. Auch das wirke sich auf das Wahlverhalten aus. In den ländlichen Regionen in Brandenburg und Sachsen fühlten sich die Menschen benachteiligt und alleingelassen. Grund sei vor allem die Unzufriedenheit mit der Infrastruktur, dem Mangel an Ärzten, Schulen und den schlechten Verkehrsanbindungen. "Ihnen geht es noch nicht einmal um schnelles Internet, sondern darum, überhaupt Mobilfunknetz zum Telefonieren zu haben oder darum, dass der Bus statt einmal dreimal am Tag kommt", sagt der Politologe.

Benachteiligungsgefühl

Der Soziologe Johannes Kiess erklärt, die sogenannte Deprivation, das Benachteiligungsgefühl, könne in ganz verschiedenen Gruppen und Richtungen auftreten. So könne man sich benachteiligt fühlen im Vergleich zu vor fünf Jahren oder eben gegenüber anderen. Manche hätten beispielsweise das Gefühl: "Meine Eltern hatten noch einen Aufstieg, ich muss schauen, dass ich meinen Lebensstandard halten kann." Insbesondere eine schlechter werdende Wirtschaftslage mache manche Menschen anfällig für rechtsextreme Ansichten. Dabei mache es keinen Unterschied, ob sie persönlich ärmer seien als andere: "Die meisten Harz-IV-Empfänger in Sachsen leben in Leipzig, und dort ist die AfD nicht stark." Die Partei profitiere also eher von den Ängsten der Leute.

Natürlich gebe es außerdem noch einen anderen Aspekt, der die Wahl der AfD erkläre, nämlich Rassismus, sagte Kiess. Rassismus reiche als Erklärung aber allein für den Erfolg der Partei nicht aus. Schließlich seien heute laut Umfragen weniger Menschen rechtsextrem eingestellt als noch vor zehn Jahren.

Mey Dudin (epd)


Mazyek: AfD-Wähler sind keine Protestwähler


Aiman Mazyek
epd-bild/Philipp Reiss

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland warnt davor, die AfD-Wähler in Ostdeutschland als Protestwähler zu sehen. "Wir müssen uns nicht weiter etwas vormachen, dass diese Wähler Protestwähler oder einfach nur naiv sind", sagte der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (3. September). "Ich glaube, sie wissen, dass sie mit ihrer Stimme Rechtsextremisten zu Sitzen in den Parlamenten verhelfen."

Positionen der AfD wie etwa die der Landespartei in Sachsen bezeichnete Mazyek als grundgesetzfeindlich: "Nicht die Muslime in Deutschland, sondern die AfD muss sich zur Demokratie bekennen." Wenn die Partei Hassfantasien habe und behaupte, der Islam sei eine Ideologie und keine Religion, widerspreche das dem Grundgesetz. "Das ist nicht nur eine religionsfeindliche, sondern eine grundgesetzfeindliche Position", kritisierte der Vorsitzende des in Köln ansässigen Zentralrats. Er empfinde das als Aberkennung seiner Selbstbestimmung.

Bei den Landtagwahlen in Sachsen und Brandenburg hatte die AfD am vergangenen Sonntag deutliche Zugewinne erzielt und war in beiden Bundesländern zweitstärkste Partei geworden.



Germanist Detering: Die AfD spricht keine bürgerliche Sprache

Die Sprache von AfD-Politikern entlarvt nach Ansicht des Göttinger Literaturwissenschaftlers Heinrich Detering, dass die Partei nicht zum bürgerlichen Spektrum zählt. "Sowohl ihrem Sprachgebrauch als auch ihrem Kulturkonzept nach ist die AfD in keiner Hinsicht eine bürgerliche Partei", sagte Detering dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Sprache von AfD-Vertretern sei "durchzogen von Vulgarisierungen und aggressiven Schematisierungen, die vor allem auf Ausgrenzung zielen". Das Verächtlichmachen des Andersartigen stehe im Widerspruch zu bürgerlichen Werten im Sinne des "Citoyen", erklärte Detering, etwa der Achtung des Individuums.

Sowohl hinter vulgären Begriffen wie "Vogelschiss" als auch hinter Beschimpfungen wie "Messermänner" stehe stets "ein Grundzug der Verächtlichkeit", sagte der Germanist, der sich mit der Rhetorik der parlamentarischen Rechten beschäftigt. "Und diese Verächtlichkeit ist Programm. Das sind keine einzelnen Ausreißer, sie lassen sich nicht entschuldigen mit: 'Da habe ich mich ungeschickt ausgedrückt' oder 'Das Temperament ist mit mir durchgegangen'."

Der AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland betone zwar einen Habitus von Bildungsbürgerlichkeit, sagte Detering. Dieser erweise sich jedoch rasch als Simulation. "Dahinter stecken mehr oder weniger unverhohlene Sympathien zum Nationalismus mit offenen Grenzen nach ganz rechts", sagte der Literaturwissenschaftler und Autor. Einer der "verräterischen Sätze" Gaulands sei seine Aussage vom September 2017 gewesen, wonach die Goethe-Zeit deshalb so bedeutend sei, weil ohne sie die Bismarck-Zeit nicht möglich gewesen wäre.

"Kultur als Mittel deutscher Expansion"

"Gauland versteht Kultur hier allein als Mittel einer deutschen Expansion in Europa", erklärte Detering. Nur an deren Fortschreiten bemesse sich in den Augen Gaulands der "Erfolg" der deutschen Nationalgeschichte. "Und wenn man dann noch hinzunimmt, dass solche Sätze zu Füßen des Kyffhäuser-Denkmals gesagt werden, wo Kaiser Wilhelm I. mit der Pickelhaube hoch zu Ross zu Felde zieht, dann ist ganz unmissverständlich, was gemeint ist", sagte er. "Kultur ist hier reduziert auf die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln."

Wenn die AfD nun versuche, auf der rechten Seite dieselbe Position zu reklamieren wie die von Grünen oder Linken auf der anderen Seite, sei dies "verheerend", sagte der Forscher: "Denn der Versuch, eine solche Symmetrie herzustellen, öffnet Leuten und Tür und Tor, die in einem bestürzend großen Ausmaß nicht nur nationalistisch sind, sondern offen faschistische Sympathien zeigen."

Die völkischen Denkfiguren etwa des Thüringer AfD-Vorsitzenden Björn Höcke ließen sich "analytisch klar auf das Spektrum des 'Faschismus' zurückführen, wie es sich seit den 1930er Jahren entwickelt hat", erklärte Detering. "Würde man diesen Begriff für die rechtsradikalen Tendenzen in der AfD deutlicher verwenden, dann wäre auch klarer, dass Ausdrücke wie 'bürgerlich' oder 'rechts der Mitte' nur Nebelkerzen zünden."

epd-Gespräch: Michaela Hütig


Gericht gibt AfD-Ablehnung von Richter statt

Der NRW-Verfassungsgerichtshof hat AfD-Landtagsabgeordneten bei einem Ablehnungsgesuch gegen einen Verfassungsrichter recht gegeben. Der von der AfD abgelehnte Verfassungsrichter habe sich öffentlich in scharfer Weise gegen das politische Handeln und Wirken der Partei ausgesprochen, erklärte der Verfassungsgerichtshof am 3. September in Münster (VerfGH 5/18). Das könne aus Sicht der Antragsteller die Besorgnis begründen, dass der Richter eine Haltung habe, die seine Unparteilichkeit beeinflussen könne.

Vorwurf der Unparteilichkeit

Sieben Antragsteller der AfD-Fraktion hatten ein Organstreitverfahren eingeleitet, weil sie der Landesregierung eine unzureichende Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage vorwarfen. Den vorgesehen Verfassungsrichter lehnten die Antragsteller als befangen ab. Die Beschwerdeführer der AfD argumentierten nach Angaben des Verfassungsgerichts, dass sich der hauptamtlich als Hochschullehrer tätige Richter in mehreren öffentlichen Stellungnahmen kritisch gegenüber der Partei und ihrer Programmatik geäußert habe.

Bei einem Ablehnungsgesuch komme es nicht darauf an, ob der Verfassungsrichter tatsächlich befangen sei, erklärte der Verfassungsgerichtshof. Es solle vielmehr bereits der Anschein einer möglichen fehlenden Unabhängigkeit und Distanz vermieden werden. Die kritisierten Stellungnahmen des Verfassungsrichters seien zwar vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt und zum Teil auch rechtswissenschaftliche Äußerungen als Hochschullehrer, erklärte der Verfassungsgerichtshof. Trotzdem sei das Ablehnungsgesuch der AfD begründet.



Mehr als 600 Angriffe auf Flüchtlinge im ersten Halbjahr

Die Zahl der Angriffe auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte geht leicht zurück, liegt aber weiter auf hohem Niveau. Auch im ersten Halbjahr 2019 wurden Asylbewerber in Hunderten Fällen Opfer von Straftaten.

Die Polizei hat im ersten Halbjahr dieses Jahres mehr als 600 Angriffe auf Flüchtlinge registriert. Für das zweite Quartal verzeichnet die Statistik 330 Übergriffe, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt und über die zuerst die "Neue Osnabrücker Zeitung" (5. September) berichtet hatte. Die Zahlen für die ersten drei Monate wurden nach Angaben der Linksfraktion durch Nachmeldungen auf 279 korrigiert. Auch für das zweite Quartal sei noch mit Nachmeldungen zu rechnen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gingen die Zahlen leicht zurück.

Die weit überwiegende Mehrheit der Straftaten war den Angaben zufolge rechtsextrem motiviert. Neben den Angriffen auf Asylbewerber registrierte die Polizei von Januar bis Ende Juni 60 Taten, bei denen eine Flüchtlingsunterkunft Ziel oder Tatort eines Angriffs war. Dazu kamen 42 Attacken gegen Hilfsorganisationen oder ehrenamtliche Helfer. Bei den Übergriffen seien 102 Menschen verletzt worden, darunter sieben Kinder, berichtete die Zeitung.

"Schutzpflicht"

Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag, beklagte, Flüchtlinge seien in Deutschland einer alltäglichen Bedrohung ausgesetzt. "Der Staat hat eine Schutzpflicht gegenüber diesen Menschen", sagte sie der Zeitung.

Straftaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte hatten seit der Fluchtbewegung 2015 enorm zugenommen. 2016 hatte es der Statistik politisch motivierter Kriminalität zufolge 995 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gegeben. 2018 lag die Zahl bei 173. Die häufigsten Delikte waren demnach Körperverletzungen und Brandstiftungen. 1.770 Straftaten richteten sich 2018 gegen Flüchtlinge außerhalb der Unterkünfte. Rund 800 davon wurden im ersten Halbjahr 2018 gemeldet.



Pläne für Verbot religiöser Symbole im Gericht in drei Bundesländern

Niedersachsen plant ein Verbot religiöser Symbole an der Kleidung von Richtern und Staatsanwälten. Vorreiter ist das Land damit nicht: In vier Ländern gibt es bereits solche Verbote, in zwei weiteren sind ähnliche Regelungen in Vorbereitung.

Mit der Initiative für ein Verbot religiöser Symbole für Richter und Staatsanwälte ist Niedersachsen bundesweit nicht allein. Wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienst (epd) unter den Justizministerien der Länder ergab, sind in zwei weiteren Bundesländern schon seit längerem ähnliche Verbote geplant. In Nordrhein-Westfalen ist solch eine Regelung seit dem vergangenen Jahr in der parlamentarischen Beratung. Im Saarland wurde ein Kopftuchverbot für Justizangehörige im Koalitionsvertrag vereinbart, bislang aber noch nicht umgesetzt. In vier Bundesländern gibt es solche Verbote bereits.

In den sieben übrigen Bundesländern gibt es keine entsprechenden Regelungen und es sind auch keine geplant. Dazu gehören Hamburg, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Zur Begründung heißt es in erster Linie, dass eine solche Regelung nicht gebraucht werde. "Die Thematik hat im Freistaat Sachsen bislang keine praktische Relevanz", hieß es aus Dresden. Für die Hamburger Justizbehörde erklärte eine Sprecherin, es sei bisher kein Fall erinnerlich, der ein Einschreiten erforderlich gemacht habe.

Verbote bereits in vier Ländern

Verboten sind religiöse Symbole für Richter, Staatsanwälte und teilweise auch andere Vertreter vor Gericht in Bayern, Baden-Württemberg, Bremen und in Berlin. Das strenge Neutralitätsgesetz in der Bundeshauptstadt verbietet auch Lehrern und Polizisten das Tragen religiöser Symbole. In Bremen und Baden-Württemberg sind ehrenamtliche Richter aber vom Verbot ausgenommen.

In Hessen und Thüringen sind die Regelungen nicht eindeutig, allerdings auch keine neuen geplant. So zitierte ein Sprecher des Ministeriums in Erfurt, dass als Amtstracht eine schwarze Robe ohne Rangabzeichen "und nach Form und Farbe unauffällige, mit der Amtstracht zu vereinbarende Kleidungsstücke" zu tragen seien. In Hessen dürfen keine Kleidungsstücke oder Symbole getragen werden, die geeignet seien, "das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden".

Justiz müsse neutral sein

Das in Niedersachsen geplante Verbot soll Richtern und Staatsanwälten unter anderem das Tragen eines Kopftuchs, der Kippa oder auffälliger Kreuze verbieten. "Die Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass die Justiz ihnen vollkommen neutral gegenübertritt", sagte die dortige Justizministerin Barbara Havliza (CDU) dem epd. "Und sie können auch erwarten, dass das optisch zum Ausdruck kommt", ergänzte Havliza. Kreuze im Gerichtssaal sind nach ihren Worten davon nicht betroffen. "Das Recht wird durch Menschen gesprochen und nicht durch Säle", sagte sie. Kreuze müssten aber abgehängt werden, wenn ein Beteiligter im Gerichtsverfahren dies wünscht.

Das Bundesjustizministerium kommentierte die Pläne nicht. Für die verfassungsrechtliche Prüfung ihrer Vorhaben seien die Länder selbst zuständig, sagte eine Sprecherin. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) selbst plant, Verfahrensbeteiligten vor Gericht die Verhüllung des Gesichts zu verbieten. Damit dürften Richterinnen, Anwältinnen und Zeuginnen keine Burka tragen, aber auch keine andere Verhüllungen wie Masken oder Verbände. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Identität der Beteiligten festgestellt und zur Beweiswürdigung auch die Mimik herangezogen werden kann. Das Verbot religiöser Symbole stehe nicht im Fokus, sagte die Sprecherin.



Lügde: Haft und Sicherungsverwahrung für Haupttäter

Der Prozess um den vielfachen Kindesmissbrauch in Lügde ist mit hohen Freiheitsstrafen zu Ende gegangen. Die Urteile wurden begrüßt. Zugleich mahnten Politiker und Kinderschutzexperten Konsequenzen an.

Nach dem hundertfachen Kindesmissbrauch in Lügde sind die Hauptangeklagten zu Freiheitsstrafen von 13 und zwölf Jahren verurteilt worden. Die beiden Verurteilten sollen anschließend in eine Sicherungsverwahrung, wie das Landgericht Detmold am 5. September bei der Urteilsverkündung erklärte. (AZ: 23 KLs 14/19) Zustimmung für die Urteile kamen von dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung sowie von Politikern der Bundes- und Landespolitik. Zugleich wurde als Konsequenz mehr Schutz für Kinder und eine Aufarbeitung der Ermittlungspannen gefordert.

Laut Gericht haben der 56-jährige Andreas V., der auf einem Campingplatz im lippischen Lügde nahe der Landesgrenze zu Niedersachsen lebte, und der 34-jährige Mitangeklagte Mario S. sich in rund 400 Fällen des Kindesmissbrauchs schuldig gemacht. "Diesen Menschen haben Sie unermessliches Leid zugefügt", sagte die Vorsitzende Richterin Anke Grudda bei der Urteilsverkündung. Das Gericht habe bei beiden Tätern nicht den Eindruck, dass ihnen bewusst sei, welch schwere Schuld sie auf sich geladen hätten.

Geständnisse wirken strafmildernd

Dass die beiden Männer nicht die 15-jährige Höchststrafe erhielten, begründete Grudda unter anderem mit den Geständnissen der Männer. Dadurch sei es vielen Kindern und Jugendlichen erspart worden, vor Gericht noch einmal detailliert die Übergriffe schildern zu müssen. Auch seien beide Männer nicht vorbestraft. Ein 49-jähriger Mitangeklagter aus dem niedersächsischen Stade war in einem abgetrennten Verfahren bereits am 17. Juli wegen Anstiftung zum schweren Missbrauch und Beihilfe zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden (AZ: 23 KLs 20/19).

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, begrüßte die hohen Haftstrafen. Das Gericht habe das mögliche Strafmaß weitgehend ausgeschöpft und damit "auch das wichtige Signal gesendet, dass der Rechtsstaat diese schweren Verbrechen an Kindern hart bestraft", erklärte Rörig in Berlin.

Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) bezeichnete das Urteil als ein "gutes Signal". Zugleich komme es darauf an, mehr für die Prävention zu tun, sagte sie in Berlin. "Was wir brauchen, ist eine stärkere Arbeit in den Ländern", sagte sie und unterstützte die Forderung des Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig nach Missbrauchsbeauftragten in den Ländern.

Behörden wird Versagen vorgeworfen

Die Deutsche Kinderhilfe forderte ebenfalls weitere Konsequenzen für den Kinderschutz. Um Fehlerquellen zu identifizieren, müssten die Strukturen von Polizei und Jugendamt im Umgang mit Kinderschutzfällen untersucht werden, erklärte die Kinderhilfe in Berlin. Nötig seien zudem spezielle Fachkräfte für den Bereich sexueller Gewalt.

NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) erklärte, mit den Urteilen bestehe die Hoffnung, dass von den Tätern keine Gefahr mehr ausgehe. Zugleich sprach er sich erneut für eine Verschärfung des Strafrechts bei sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen aus: "Hier werden Menschenleben zerstört, und das muss sich auch im Strafrecht niederschlagen", sagte Stamp am 5. September im Familienausschuss des Düsseldorfer Landtages. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte dem Bielefelder "Westfalen-Blatt": "Wir müssen schneller und besser werden, um diese monströsen Taten in Zukunft zu verhindern."

Die Grünen-Fraktion im NRW-Landtag forderte ein Präventionsgesetz für Nordrhein-Westfalen, das die Zusammenarbeit der einzelnen Stellen verbindlich festschreibe, sowie eine Kinderschutzkommission. Zudem sei nun schonungslose Aufklärung über das Versagen bei Polizei und Jugendämtern nötig, erklärte die jugendpolitische Sprecherin Verena Schäffer. Das sei nun Aufgabe des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Auch die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag sprach sich für die Einrichtung einer Kinderschutzkommission aus.

Der Polizei und den Jugendbehörden im Kreis Lippe wird massives Versagen vorgeworfen. So sollen die Behörden vorliegenden Hinweisen auf pädophile Täter jahrelang nicht nachgegangen sein. Die Vorwürfe richten sich auch gegen den benachbarten Landkreis Hameln-Pyrmont.



#Bielefeldmillion: 2.000 Beiträge zur "Bielefeld-Verschwörung"


Eine satirische Verschwörungstheorie zur westfälischen Stadt geistert seit Jahren durchs Internet.
epd-bild / Werner Krüper

Die Stadt Bielefeld hat auf ihren Wettbewerb zur "Bielefeld-Verschwörung" ein weltweites Echo erhalten. Bis zum Einsendeschluss in der Nacht zum 5. September seien mehr als 2.000 E-Mails von Menschen eingegangen, die beweisen wollen, dass es Bielefeld nicht gibt, teilte die Stadtmarketing mit. Rund 300 davon kämen aus dem Ausland, zum Beispiel aus den USA, Kanada, Russland, Indien, Japan und Neuseeland. Eingegangen seien durchaus fantasievolle Beiträge von Kinderbildern über Gedichte, handgezeichnete Comics bis zu literarischen Aufsätzen. Anlass des Wettbewerbs ist das 25. Jubiläum der "Bielefeld-Verschwörung" in diesem Jahr.

Die Stadt hatte die Marketing-Aktion "#Bielefeldmillion - Das Ende einer Verschwörung" vor zwei Wochen gestartet. Seitdem wurde weltweit in den Medien darüber berichtet, darunter in der BBC, im "Sydney Morning Herald" oder in den indischen "Hindustan Times". Auf Twitter gehörte der Hashtag #Bielefeldmillion zwischenzeitlich mit zu den Top-Themen. Als Preis "für den ultimativen Beweis", dass es Bielefeld nicht gibt, winken den Teilnehmern eine Million Euro. Einsendeschluss war der 4. September um 24 Uhr.

Quantenphysik vs Bielefeld

"Die meisten Einsender haben sich große Mühe gegeben, ihre Beweise ebenso humorvoll zu formulieren, wie unsere Aktion auch gedacht ist", sagte Martin Knabenreich, Geschäftsführer des Bielefelder Marketing. Viele beriefen sich in ihren Texten auch auf die Wissenschaft. "Da wird die Existenz Bielefelds mit Argumenten aus der Quantenphysik angezweifelt, philosophisch wird der Begriff 'Existenz' gedreht und gewendet, komplizierte mathematische Berechnungen lassen eine ganze Großstadt auf dem Papier verschwinden", erklärte die Stadt.

Das Marketing-Team wird die Argumente in den kommenden zwei Wochen gemeinsam mit Experten prüfen. "Einige der cleversten Beweise haben unseren Ehrgeiz geweckt und unsere Antworten sollen dem kreativen Einsatz dieser Teilnehmer ebenbürtig sein", erklärte Knabenreich. Zweifel an der Bielefelder Existenz habe er aber immer noch nicht, betonte er augenzwinkernd: "Keine Sorge, wir Bielefelder sind uns unseres Seins immer noch ziemlich sicher." Am 17. September 2019 soll das Ergebnis vorgestellt werden.

Die sogenannte Bielefeld-Verschwörung hatte nach Angaben der Stadt ein Kieler Informatikstudent erfunden, der 1994 im Internet seinen satirischen Text veröffentlichte. Darin wurde behauptet, dass es die Stadt Bielefeld nicht gebe und deren angebliche Existenz eine Verschwörung sei. Damit habe sich der Kieler Achim Held über Verschwörungstheorien im Allgemeinen lustig machen wollen, hieß es. Held gehört zu den Unterstützern des Wettbewerbs, den die Stadt gemeinsam mit dem Bielefelder Stadtmarketing ausrichtet.



Mutig, pragmatisch, ostdeutsch - und schnell bis ganz nach oben


Christine Bergmann
epd-bild/Jürgen Blume
Nach dem Fall der Mauer stürzte sich Christine Bergmann in die Politik. Die frühere Familienministerin und Sozialdemokratin aus dem Osten hat viel dazu beigetragen, das Frauen- und Familienbild zu modernisieren.

Am Ende ihrer Karriere hat Christine Bergmann sich nicht gescheut, noch einmal eine schwierige Aufgabe zu übernehmen. Im März 2010 wurde die Sozialdemokratin von der damaligen CDU-FDP-Regierung zur Missbrauchsbeauftragten berufen. Als sie das Amt nach anderthalb Jahren an ihren Nachfolger Johannes-Wilhelm Rörig übergab, war sie "die Stimme geworden für all jene, die schweigen", wie es eine Frau formulierte, die selbst als Kind sexuelle Gewalt erlitten hatte.

Christine Bergmann, die in Dresden aufgewachsen ist und am 7. September 80 Jahre alt geworden ist, meint im Rückblick, mit ihrer Tätigkeit als Missbrauchsbeauftragte habe sich für sie der Kreis ihrer politischen Arbeit geschlossen. Sie habe unabhängig arbeiten, Betroffenen helfen und einem weitgehend tabuisierten Thema Aufmerksamkeit verschaffen können. Es gehört aber auch zu ihrem Wesen, ihren Anteil nicht zu überschätzen. Es brauche das Engagement vieler Menschen, bis sich wirklich etwas ändere, meint sie.

Als Beauftragte konnte Bergmann noch einmal zusammenführen, was sie als Politikerin ausgemacht hat. Sie schätzt "handfeste Politik", im Kontakt mit den Menschen. So startete sie auch in ihre politische Karriere. Sie wurde Anfang 1991 Arbeits- und Frauensenatorin in Berlin, als im Osten der Stadt die Betriebe zusammenbrachen. Der Bund finanzierte Zehntausende Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). "Wir mussten schnell handeln, die Stellen waren für viele der erste Rettungsanker", erinnert sie sich. Dabei kam es ihr darauf an - anders als etwa dem damaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) - auch die Frauen im Berufsleben zu halten.

"Gedöns"

Noch als sie schon Ministerin im Kabinett von "Gedöns"-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) war, wurde sie zum Feiern eingeladen, wenn aus ABM-Projekten feste Arbeitplätze entstanden waren: "Ich habe das gute Gefühl, dass wir gemacht haben, was wir konnten", sagt sie über diese Zeit.

Berufstätigkeit ist für Ost-Frauen wie Bergmann eine Selbstverständlichkeit. Sie wollte mehr Chancengleichheit. Zwar schaffte sie es als Ministerin in der rot-grünen Koalition nicht, der Wirtschaft verpflichtende Vorgaben für die Gleichstellung zu machen. Sie brachte aber mit ihrem pragmatischen Politikstil eine Entwicklung in Gang, die heute, 20 Jahre später, dazu geführt hat, dass Beruf und Kinder zu haben normal ist.

Schon in den 1980er Jahren, in Berlin-Kaulsdorf, wo sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern wohnte, brachte sie frauenpolitische Themen in die Gesprächskreise ihrer Kirchengemeinde ein. Über häusliche Gewalt etwa wurde offiziell in der DDR nicht geredet, Hilfsangebote vom Staat gab es nicht. Als in Ostberlin 1990 das erste Frauenhaus eröffnet wurde, war es über Nacht voll, ein "Schlüsselerlebnis" für Bergmann. Als Bundesministerin brachte sie dann das Gewaltschutzgesetz auf den Weg. Seitdem muss ein gewalttätiger Mann die Wohnung verlassen und nicht die Frau mit den Kindern.

Gerhard Schröder erklärte übrigens später, er habe das Familienressort, das er Bergmann 1998 übertrug, damals leichtfertigerweise als "Gedöns" bezeichnet. Er habe dazugelernt, "auch dank der Arbeit von Christine", der einzigen Ostdeutschen an seinem Kabinettstisch. Wegbegleiterinnen und -begleiter beschreiben Bergmann als geradlinig, kritisch, zupackend, mutig, fröhlich und sehr sympathisch - und "betörend schön", so der Theologe Friedrich Schorlemmer. "Sieht super aus", meint auch Margot Käßmann, frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Demokratie gelernt

Bergmann gehört wie Schorlemmer und Käßmann der evangelischen Kirche an. Während des Studiums in Leipzig ging sie in die Studentengemeinde und erwarb dort, wie sie sagt, das erste Rüstzeug für ihre spätere politische Karriere. In dieser Gemeinschaft war sie zu Hause, konnte sich austauschen. Man habe gelernt, andere Meinungen zu respektieren und Kompromisse zu suchen, sagt sie, das was eine Demokratie ausmache: "Das war für mich ganz wichtig." Es wundere sie nicht, dass nach 1990 so viele Theologen in der Politik gelandet seien. Als sie selbst Politikerin wurde, schöpfte sie Kraft aus ihrem Glauben und der Gewissheit, dass man in ihrer Gemeinde an sie dachte, auch wenn sie nicht da war. Nach dem Ausstieg aus der Politik 2002 wurde sie in die Leitung ihrer Landeskirche gewählt.

Christine Bergmann wuchs mit drei Brüdern und Eltern auf, die die Bildung ihrer Kinder immer förderten. Schon als Oberschülerin eckte Christine mit kritischen Fragen an. Aber weil sie "Arbeiterkind" war, konnte sie - nach einem Jahr Bewährung in der Produktion, das sie nie vergessen hat - in Leipzig Pharmazie studieren. Sie wurde Apothekerin und leitete schließlich im Institut für Arzneimittelwesen der DDR dreizehn Jahre lang die Abteilung für Arzneimittelinformation. Gerade noch rechtzeitig habe sie 1989 ihre Doktorarbeit beendet, zu der sie sich spät noch entschlossen hatte, sagt sie. Dann erzwangen die DDR-Bürger die Öffnung der Mauer, Christine Bergmann trat in die Sozialdemokratische Partei ein und stürzte sich in die Politik. Da war sie 50 Jahre alt.

Heute, 17 Jahre nach ihrem Abschied aus der Politik, zerbricht sie sich wie viele andere den Kopf darüber, warum die AfD so starken Zulauf hat. "Ist der Frust so groß?", fragt sie sich. Und inwiefern es eine Rolle spiele, dass in Ostdeutschland zwei Diktaturen nie richtig aufgearbeitet worden seien. Sie beobachtet "dieses Nicht-Umgehen-Können mit anderen Meinungen", sieht die Fremdenfeindlichkeit, die Unzufriedenheit, "die umschlägt in Aggression und Hass". Die Demokratie könne mit Vielem leben, meint Bergmann: "Aber die Form, in der das heute ausgelebt wird, damit kann man nicht mehr gut leben."

Bettina Markmeyer (epd)


Pionier der Ökologie und unerschrockener Forscher


Der Berner Germanist und Humboldt-Kenner Oliver Lubrich
epd-bild/Marc Engelhardt
Er war Weltbürger und unerschrockener Naturforscher, ihn interessierte alles und er dachte alles zusammen: 250 Jahre nach seiner Geburt steht man staunend vor Alexander von Humboldts Lebenswerk.

Für ihn bildete die Natur ein Netz, in dem alles mit allem zusammenhängt. Mit dieser interdisziplinären Vielseitigkeit rannte Alexander von Humboldt (1769-1859) schon bei einem geistesverwandten Zeitgenossen offene Türen ein: "Wohin man rührt, er ist überall zu Hause", schrieb Johann Wolfgang von Goethe. 250 Jahre nach seiner Geburt schätzen Botaniker den Weltreisenden als Pionier der Pflanzengeografie, Idealisten den Revolutionär als unermüdlichen Kämpfer für die "allgemeine Humanisierung", Pädagogen den Mäzen als uneigennützigen Förderer junger Talente, und Umweltschützer ihn als ersten Ökologen. Das Elitäre war ihm fremd.

Am 14. September 1769 kam Alexander von Humboldt in Berlin als Spross einer wohlhabenden preußischen Familie zur Welt. Niemand sonst hat die Weltkarte so nachhaltig mit seinem Namen markiert: Sei es der Humboldtstrom westlich vor Südamerika, der Berg Pico Humboldt in Venezuela, der Humboldt Peak in Colorado - Städte, Bezirke, fast 300 Pflanzen und mehr als hundert Tiere erinnern an den Naturforscher.

"Alarmierend prophetisch"

Seine Biografin Andrea Wulf ("Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur") nennt seine Ansichten "alarmierend prophetisch". "In der großen Verkettung der Ursachen und Wirkungen darf kein Stoff, keine Thätigkeit isoliert betrachtet werden", schrieb der Forscher. Er sprach auch von "menschlichem Unfug", der die Naturordnung störe.

Und der Schweizer Humboldt-Kenner Oliver Lubrich stellt fest: "Was wir heute wieder entdecken, das ist diese vollkommen kreative, unerwartete Fähigkeit, Botanik mit Migration zusammen zu denken, oder sozioökonomische Faktoren mit meteorologischen, um dann den Klimawandel zu begreifen." Mit einem internationalen Team hat Lubrich sechs Jahre lang nach größtenteils vergessenen Texten des Natur- und Kulturforschers gesucht. Im Juli wurde die "Berner Ausgabe Sämtlicher Schriften" Humboldts in zehn Bänden veröffentlicht.

Als er am 6. Mai 1859 in Berlin starb, war Alexander von Humboldt fast 90 Jahre alt. Er hatte die Wirkung elektrischer Aale in Südamerika am eigenen Leib überprüft, das Lianen-Gift Curare getrunken, um zu beweisen, dass es nur durch direkten Blutkontakt tödlich wirkt. Mit Rokoko-Stiefelchen war er zähneklappernd auf den 6.267 Meter hohen Chimborazo in Ecuador gestiegen, bis er etwa 600 Meter vor dem Gipfel umkehren musste.

"Mehr Mücken als Luft"

Anders als sein philologisch orientierter älterer Bruder Wilhelm von Humboldt interessierte er sich früh für Naturgeschichte. An den Universitäten Frankfurt an der Oder und Göttingen studierte er Naturwissenschaften, besuchte 1790 das revolutionäre Paris, ging dann aber seiner verwitweten Mutter zuliebe als Student der Staatswirtschaftslehre nach Hamburg und an die Bergakademie ins sächsische Freiberg, um sich auf den höheren Staatsdienst vorzubereiten.

Als Bergassessor und Oberbergmeister gründete er auf eigene Kosten eine Bergschule zur kostenlosen Ausbildung der Bergarbeiter, für die er auch Atemschutzgeräte und Grubenlampen entwickelte. Nach dem Tod der Mutter 1796 war er ein freier Mann - und reich genug, um seinen Abschied einzureichen. Er brach nach Paris auf, wo er dem Botaniker Aimé Bonpland begegnete.

Mit ihm brach er zu einer Expedition nach Venezuela auf. Dort lernte er auch die Sklaverei kennen. "Er hat sie so harsch kritisiert, dass die Engländer ihn später nicht nach Indien gehen ließen", kommentiert Neil MacGregor, einst Gründungsintendant des Berliner Humboldtforums.

Humboldt fuhr den Orinoco hinauf und entdeckte - was der Wissenschaftswelt zu beweisen war - einen Wasserarm, der das Flusssystem des Orinoco mit dem des Amazonas verband. Die Quelle des Orinoco blieb zwar weiterhin unbekannt, doch zwischen "indianischen Tigern" und mehr "Mücken als Luft" sammelte Humboldt etwa 60.000 Pflanzen, darunter 3.600 unbekannte Arten.

Eifersüchtiger Napoléon

Er setzte nach Kuba über, reiste nach Kolumbien, Ecuador und Peru, wo er den Guano als Dünger entdeckte, dann nach Mexiko und wurde schließlich in den USA von Präsident Thomas Jefferson empfangen. Napoleon soll eifersüchtig gewesen sein, als die Pariser den Heimkehrer 1804 begeistert begrüßten. In der französischen Hauptstadt wertete Humboldt die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner Reise in 33 Bänden aus.

Als seine finanziellen Mittel 1827 erschöpft waren, folgte er dem Ruf des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. ins ungeliebte Berlin, um sein Leben als revolutionärer Sympathisant mit den Bezügen eines königlichen Kammerherrn zu fristen. Als Geologe nahm Humboldt 1829 noch einmal an einer Expedition teil: Im Auftrag des Zaren sollte er die Diamantenvorkommen in Sibirien untersuchen. Sein Lebenswerk, eine "physische Weltbeschreibung", die unter dem Titel "Kosmos" erschien, konnte er nicht mehr vollenden.

Alexander von Humboldt liegt in der Familiengruft im Park von Schloss Tegel begraben. Heute scheint er aktueller denn je: "Sein Begriff der Natur als globales Netzwerk untermauert unser Denken", schreibt seine Biografin Wulf.

Claudia Schülke (epd)


Über 900 Unternehmen unterstützen Klimastreik


Logo der Jugend-Umweltbewegung
epd-bild/Christian Ditsch

Die unter anderem von der GLS Bank initiierte Kampagne "Nicht mein Erbe" findet immer mehr Unterstützung in der Wirtschaft. Wie die Bank am 5. September in Bochum mitteilte, haben sich bislang Vertreter von mehr als 900 Unternehmen auf der Kampagnenseite www.nichtmeinerbe.de eingetragen und ihre Unterstützung für die Klimabewegung "Fridays for Future" bekundet. Mitarbeiter von Firmen wollen am 20. September mit den Aktivisten von "Fridays for Future" auf die Straße gehen und für einen wirksamen Klimaschutz demonstrieren.

Andere Unternehmen werden auf ihren Websites, in sozialen Medien oder ihren Telefonansagen auf den Klimastreik hinweisen. "Wenn wir jetzt nicht handeln, hinterlassen wir eine zerstörte Welt", erklärte der Vorstandssprecher der GLS Bank, Thomas Jorberg. "Wir fordern verlässliche Regeln für einen wirksamen Klimaschutz." Klima-Aktivistin Luisa Neubauer begrüßte die Unterstützung der Wirtschaft: "Wir von 'Fridays for Future' stoßen an Grenzen, wenn es uns nicht gelingt, die Politik unter Druck zu setzen."

Großdemo am 20. September

"Fridays for Future" plant am 20. September Demonstrationen in mehr als 100 deutschen und zahlreichen weiteren Städten weltweit. In Deutschland werden an diesem Tag die Ergebnisse des Klimakabinetts vorgestellt. Zudem findet am 23. September der UN Climate Action Summit in New York statt. Rund um diese Termine soll nach Angaben von "Fridays for Future" mit unterschiedlichen Protestformen der Druck auf die Politik für konkrete Fortschritte beim Klimaschutz erhöht werden.

Die 1974 gegründete GLS Bank finanziert nach eigenen Angaben nur sozial-ökologisch ausgerichtete Projekte - zum Beispiel regenerative Energien, Behinderteneinrichtungen, nachhaltiges Bauen und Leben im Alter. Nicht finanziert werden unter anderem die Branchen Alkohol, Atomenergie, Embryonenforschung, Gentechnik, Rüstung und Tabak. Das Kürzel GLS steht für "Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken".



Land berät Kommunen bei Maßnahmen gegen den Klimawandel

Das Land NRW unterstützt Städte und Gemeinden künftig dabei, Maßnahmen zur Klimaanpassung umzusetzen. "Die Beratung baut eine Brücke, um das Know-how der Verwaltungen vor Ort mit erprobten Konzepten und Maßnahmen und der Nutzung geeigneter Förderprogramme zu verbinden", sagte NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) am 5. September in Düsseldorf. Daher habe das Ministerium ein Beratungsprogramm zur Klimafolgenanpassung gestartet.

Es gehe darum, die Kommunen weiter für das Thema zu sensibilisieren und Hilfestellung bei der Entwicklung von Anpassungskonzepten zu geben, erläuterte die Ministerin. Zudem solle auch über mögliche Fördermittel informiert werden.

Heinen-Esser betonte, dass die Menschen in NRW zunehmend von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen seien. Die "Kommunalberatung Klimafolgenanpassung NRW" habe zum Ziel, die Klimafolgenanpassung als integrierten Bestandteil kommunalen Handelns dauerhaft zu verankern. Die Beratung richtet sich an Mitarbeiter der Verwaltung und kommunale Entscheidungsträger. Umgesetzt wird das Programm vom Deutschen Institut für Urbanistik.



Internationaler Demokratiepreis Bonn für oberste polnische Richterin

Die Präsidentin des Obersten Gerichts in Polen, Malgorzata Gersdorf, erhält den siebten Internationalen Demokratiepreis Bonn. Die Arbeitsrechtlerin werde für ihr unermüdliches Engagement für eine unabhängige Justiz ausgezeichnet, erklärte Ansgar Burghof, Vorsitzender des Trägervereins, am 4. September in Bonn. "Mit ihrem aktiven Widerstand gegen eine umstrittene Justizreform verteidigt sie die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit im sechstgrößten Land der Europäischen Union."

Die 66-jährige Juristin und Professorin an der Universität Warschau wird den mit 5.000 Euro dotierten Demokratiepreis den Angaben zufolge bei einem Festakt auf dem Petersberg am 8. November persönlich entgegennehmen. Gersdorf ist seit 2008 Richterin am Obersten Gericht in Polen und seit 2014 dessen Präsidentin.

"Entschlossen setzt sie sich für eine konsequente Gewaltenteilung ein und stellt sich gegen Vorhaben der polnischen Exekutive, politischen Einfluss auf die Justiz zu nehmen", erklärte Burghof. Seit 2015 versuche die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) eine Justizreform durchzusetzen, nach der unter anderem das Parlament künftig selbst Richter ernennen könnte. Dagegen protestierte Gersdorf entschieden.

Der Internationale Demokratiepreis Bonn hat nach eigenen Angaben zum Ziel, eine Brücke zwischen den Erfahrungen der Bundesrepublik Deutschland und internationalen Bestrebungen zur Demokratieentwicklung zu schlagen. Ausgezeichnet werden Personen oder Organisationen, die sich in herausragender Weise um die Demokratisierung und die Wahrung der Menschenrechte verdient gemacht haben.

Bisherige Preisträger waren unter anderem der frühere tschechische Staatspräsident Václav Havel (2009), die iranische Menschenrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi (2010), die Organisation Reporter ohne Grenzen (2014) und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini (2016).



Sorge um Auseinanderdriften der Gesellschaft nimmt zu

Eine wachsende Mehrheit der Deutschen befürchtet, dass die Gegensätze in der Gesellschaft zunehmen. Insgesamt machen sich 83 Prozent der Bundesbürger große oder sehr große Sorgen, dass die gesellschaftlichen Gruppen weiter auseinanderdriften, wie eine am 5. September Köln veröffentlichte ARD-Umfrage ergab. Im Mai sagten dies noch 75 Prozent der Befragten.

Auch der Klimawandel beunruhigt viele Deutsche: Mehr als drei Viertel (76 Prozent) machen sich laut Umfrage große oder sehr große Sorgen, dass die Klimaveränderungen die Lebensgrundlagen der Menschen zerstören. Von der Politik erwarten die meisten Bürger eher keine Lösungen. Drei Viertel (74 Prozent) der Befragten gaben an, sie seien besorgt oder sehr besorgt, dass die Parteien auf drängende politische Fragen keine gemeinsamen Antworten finden.

Persönliche wirtschaftliche Sorgen äußern dagegen deutlich weniger Bürger: 38 Prozent der Befragten haben Sorge, ihren Lebensstandard künftig nicht mehr halten zu können. Mit Geldproblemen im Alter rechnen 43 Prozent. Das Institut Infratest dimap befragte für den ARD-Deutschlandtrend am 3. September und 4. September 1.014 Wahlberechtigte in Telefoninterviews.



Uni Paderborn will Ursachen für Zunahme des Rechtspopulismus klären

Nachwuchsforscher der Universität Paderborn untersuchen Ursachen für das Erstarken des Rechtspopulismus in Deutschland. Die Wissenschaftler befassen sich mit der Bedeutung von sozialer Verunsicherung und Ungleichheit für die wachsende Unterstützung rechtspopulistischer Einstellungen in der Bevölkerung, wie die Hochschule am 2. September mitteilte. In der neu eingerichteten Forschungsgruppe gehe es um die Frage "Gefährdet die soziale Spaltung die Demokratie?".

Die Wahlerfolge der AfD, die wachsende Bedeutung rechtspopulistischer Parteien in Europa und die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten hätten zu einer Kontroverse über die Ursachen des Erstarkens des Rechtspopulismus geführt, erklärte die Leiterin des Forschungsprojekts, Bettina Kohlrausch. In der wissenschaftlichen Debatte werde die Zunahme rechtspopulistischer Einstellungen häufig als Reaktion auf wachsende gesellschaftliche Spaltungen gedeutet. Bei dem Projekt wolle man untersuchen, ob soziale und kulturelle Spaltungen tatsächlich zunehmen, welche Ursachen dies habe und wie beide Spaltungslinien miteinander verknüpft seien, sagte die Professorin für Bildungssoziologie.

Die jungen Wissenschaftler sollen den Angaben nach auch erforschen, inwiefern der Zulauf zu rechtspopulistischen Parteien auf eine wachsende Distanz zum demokratischen System zurückzuführen ist. Das Projekt ist den Angaben zufolge auf drei Jahre angelegt, die beteiligten Doktoranden werden von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert.



NRW fördert Studienangebote für Flüchtlinge mit 26 Millionen Euro

Das Land Nordrhein-Westfalen unterstützt die Hochschulen bei der Integration von Flüchtlingen mit 26 Millionen Euro. Bis 2022 stehen die Mittel für den Ausbau des Programms "NRWege ins Studium" und das neue Programm "NRWege Leuchttürme" zur Verfügung, wie das Wissenschaftsministerium am 2. September in Düsseldorf mitteilte. Anträge können ab sofort beim Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) gestellt werden, der die Programme gemeinsam mit dem Land entwickelte.

"Bildung ist ein zentraler Schlüssel für eine erfolgreiche Integration", erklärte NRW-Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos). "Mit der besonderen Unterstützung für geflüchtete Studierende tragen die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen wesentlich dazu bei."

DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel bezeichnete "NRWege ins Studium" als Erfolgsgeschichte. Das Angebot leiste einen entscheidenden Beitrag, Flüchtlingen einen deutschen Hochschulabschluss zu ermöglichen.

Das Programm läuft seit drei Jahren und förderte bislang insgesamt 8.000 Flüchtlinge, wie es hieß. Es unterstützt die Hochschulen dabei, ihr Beratungsangebot, die fachliche und sprachliche Vorbereitung sowie die Begleitung von Flüchtlingen auszubauen. Zukünftig können die Universitäten und Fachhochschulen herausragende Flüchtlinge auch mit einem Stipendium unterstützen, wie das Ministerium erläuterte.

Im neuen Programm "NRWege Leuchttürme" können die Hochschulen Anträge auf eine Förderung von bis zu 250.000 Euro pro Jahr für bestimmte Maßnahmen stellen. Dazu zählen etwa die Vorbereitung geflüchteter Lehrkräfte auf eine Tätigkeit an deutschen Schulen sowie Programme, die geflüchtete Akademiker mit einem ersten Hochschulabschluss gezielt auf den deutschen Arbeitsmarkt vorbereiten.



NRW-Landtag an Wochenenden wieder für Besucher offen

Der Düsseldorfer Landtag ist nach Ende der Sommerpause wieder an Wochenenden für Besucher geöffnet. Von 11 bis 17 Uhr können Interessierte an Samstagen und Sonntagen ohne vorherige Anmeldung das Gebäude per Führung oder auf eigene Faust erkunden, wie der Landtag am 6. September mitteilte. Der Eintritt ist frei. Am Weltkindertag (15. September) gibt es keine Führungen, dafür lockt der Landtag mit Angeboten und Spielgelegenheiten für die kleinen Besucher. Unter anderem kommen die Maus und der Elefant des WDR.

Neu ist das multimediale Landtagforum, wo ein Film auf einer 240-Grad-Panoramaleinwand über die Arbeit des Landtags informiert und Einblicke in den Alltag des Parlaments gibt. An acht interaktiven Stationen können die Besucher zudem erkunden, wie parlamentarische Arbeit funktioniert und beispielsweise ein Gesetz entsteht.



Mehr als 400 Rüstungsgegner demonstrieren

Rund 400 Kriegsgegner haben am 7. September in Unterlüß bei Celle nach Polizeiangaben gegen Waffenexporte und den Rüstungskonzern "Rheinmetall" demonstriert. Mit Lautsprecherwagen, Transparenten und Sprechchören wie "Rheinmetall entwaffnen - Krieg beginnt hier" zogen sie zum Verwaltungsgebäude des Unternehmens, das in dem Ort in der Lüneburger Heide mehrere Werke betreibt.

Die Lage blieb friedlich, wie ein Polizeisprecher dem epd berichtete. Aus der Masse seien lediglich einige Bengalo-Feuer gezündet worden. Zudem brachten die Demonstranten auf der Straße vor dem Verwaltungsgebäude durch Fußabdrücke rote Farbe als Mahnung gegen den Krieg auf. Die Veranstalter sprachen von rund 600 Teilnehmern.

Bündnis "Rheinmetall entwaffnen"

"Hier an diesem Ort, wo Waffen produziert werden, ist der Beginn der Kriege weltweit", sagte Lukas Barlian vom Bündnis "Rheinmetall entwaffnen" dem epd. "Rheinmetall ist für uns als größter deutscher Waffenkonzern ein besonderes Beispiel dafür." Zu der Demonstration hatten laut Barlian rund hundert Initiativen aus der Friedensbewegung aufgerufen, darunter auch feministische und kurdische Gruppen sowie der Flüchtlingsrat Niedersachsen. "Flucht und Krieg hängen unmittelbar zusammen", sagte Barlian. Unter Kriegen litten besonders die Frauen.

"Rheinmetall" leiste materielle Hilfe für die von Saudi-Arabien begangenen Kriegsverbrechen im Jemen und die völkerrechtswidrige Besatzung der türkischen Armee im nordsyrischen Kanton Afrin, kritisierten die Rüstungsgegner. Der Konzern sei "mitverantwortlich für diese und viele weiteren Kriegsverbrechen". Mit der Gründung von Tochterunternehmen und Joint Ventures umgehe Rheinmetall bewusst Waffenexport-Regularien der Bundesregierung wie den aktuellen, bis Ende September geltenden Waffenexport-Stopp nach Saudi-Arabien.

Bereits am 6. September hatten 200 bis 300 Aktivisten ein Werksgelände von "Rheinmetall" blockiert. Sie unterbrachen dabei den Schichtwechsel zur Frühschicht sowie An- und Auslieferungen zur und von der Fabrik. Polizeibeamte ermöglichten den Beschäftigten den Zugang ins Werk. "Die weltweiten Kriege werden auch mit Waffen geführt, die in Niedersachsen produziert und entwickelt werden", sagte Sebastian Rose vom Flüchtlingsrat: "Und diese Waffen zwingen Menschen auf die Flucht."

Der in Düsseldorf ansässige Konzern beschäftigt in Unterlüß mehr als 1.800 Menschen und ist damit der größte Arbeitgeber in der Region. An den Produktionsstandorten werden Waffen, Munition, Panzer und andere Kriegsgeräte hergestellt. Die Schießanlage in Unterlüß ist nach Angaben von Friedensgruppen das größte private Testgelände in Deutschland.




Soziales

Mit Google Maps Platte machen


Obdachloser mit Smartphone
epd-bild/Rolf Zöllner
Obdachlose besitzen so gut wie nichts. Und das Wenige führen sie mit sich. Inzwischen gehört oft auch ein Smartphone dazu. Damit lebe es sich leichter auf der Straße, sagen Betroffene. Sie fordern Zugang zu kostenlosem WLAN und zu Ladestationen.

Er ist mehrmals schon durch Deutschland gereist, erzählt Sven Kerber (Name geändert). In Hamburg, Frankfurt und Nürnberg lebte er auf der Straße. Zehn Jahre ist es her, dass der heute 25-Jährige erstmals auf Tour ging. Schlafplätze ausfindig zu machen, war damals mühsam, berichtet der Punk. Vor sechs Jahren schenkte ihm dann jemand ein Smartphone. Danach war vieles leichter: "Als ich zum ersten Mal in Frankfurt war, suchte ich mit Hilfe von Google Maps einen Schlafplatz im Park."

Inzwischen hat Kerber in der Nähe von Würzburg ein Quartier gefunden: "Das wird vom Sozialamt bezahlt." Trotzdem ist der psychisch kranke und deshalb berufsunfähige junge Mann noch viel mit Rucksack und Hund unterwegs. Sich ohne Smartphone durchzuschlagen, könnte er sich nicht mehr vorstellen. Wer ständig draußen lebe, verletze sich leicht: "Dann muss man schnell herausfinden können, wo der nächste Arzt ist." Beruhigend sei es auch, sich über soziale Medien mit Freunden verbunden zu wissen. Denn es passiert ständig etwas: "Einmal wurde mir mein Schlafsack, den ich als Kissen benutzt habe, unterm Kopf weggeklaut, einmal griffen mich Nazis an."

Auch für Wohnungslose unentbehrlich

Die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen fordert, Wohnungslosen kostenlos PCs, Tablets und Smartphones zur Verfügung zu stellen. Vor allem bräuchten Menschen ohne Wohnung Zugang zu WLAN und Strom. "Oft hat man das nicht", sagt Jürgen Schneider, 56 Jahre alter Wohnungsloser, der sich in der Selbstvertretung engagiert. Zwar gebe es Beratungsstellen und Wärmestuben mit PC und Internet-Zugang, "aber in Notschlafstätten ist das noch selten".

Durch die Digitalisierung öffnen sich neue Wege, um obdachlose Menschen besser zu unterstützen. Davon gehen Wissenschaftler vom Institut für E-Beratung an der Technischen Hochschule Nürnberg aus. Im August starteten sie, gefördert vom Bundesforschungsministerium, das Projekt "Smart Inklusion für Wohnungslose" (SiWo). Bis 2022 will ein Team aus Sozialwissenschaftlern, Informatikern und Ingenieuren Lösungen zur digitalen Inklusion von Wohnungslosen entwickeln.

Digitale Technik sei für Obdachlose heute unentbehrlich, findet die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Wohnungslosenhilfe. "Schließlich verändert die Digitalisierung das Leben auf allen Ebenen", sagte Fachreferentin Sabine Bösing dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch sie plädiert dafür, Wohnungslosen bessere Zugänge zu sozialen Medien zu schaffen. Die BAG fordert außerdem den Ausbau des öffentlichen WLAN sowie frei zugängliche Auflademöglichkeiten in öffentlichen Einrichtungen. Außerdem müsse es mehr Internet-Schulungen für Wohnungslose geben.

Besser integriert

Durch ihre eigenen Angebote bekommt die BAG aber auch mit, dass viele Wohnungslose längst online unterwegs sind: "Sie treten über ein Formular auf unserer Internetseite mit uns in Kontakt." Diese Möglichkeit werde ebenso rege genutzt wie das "Wo+Wie-Onlineportal" der BAG Wohnungslosenhilfe, auf dem Hilfsangebote zu finden sind. Viele Obdachlose sind laut Bösing auch auf Facebook aktiv.

In welchem Maße digitale Medien von Wohnungslosen genutzt werden, erforscht gerade Kai Hauprich von der Hochschule Düsseldorf in seiner Promotionsarbeit. Viele Bürger vermuteten, dass die meisten Wohnungslosen kaum internetaffin sind, sagt der junge Wissenschaftler. Doch das sei falsch: "Nahezu alle Obdachlosen nutzen das Internet", weiß er aus einer Erhebung, an der mehr als 100 Wohnungslose teilnahmen. Das Internet werde von ihnen als "elementar wichtig" empfunden. Denn sie fühlten sich damit sicherer und besser integriert.

Pat Christ (epd)


Wohnungslose bauen Bett vor Oberhausener Kirche auf

Ein Bett vor der Kirche: Am Tag der Wohnungslosen, dem 11. September, wollen in Oberhausen Bewohner einer Caritas-Einrichtung für Wohnungslose mit Bürgern ins Gespräch kommen. Dazu bauen Bewohner und Mitarbeiter des Carl-Sonnenschein-Hauses ein symbolisches Schlafzimmer auf dem Vorplatz der Sterkrader Clemenskirche auf, wie der Caritasverband Oberhausen am 4. September ankündigte. Ab 8 Uhr wollen sie für 24 Stunden dort präsent sein und im Austausch mit Passanten etwa darüber sprechen, was Wohnungslosen im Umgang wichtig ist.

Gleichzeitig solle das Bett ein Zuhause symbolisieren, das unverzichtbar, aber wegen hoher Mieten oder fehlender Wohnung längst nicht mehr selbstverständlich sei, erklärte der katholische Wohlfahrtsverband. "Etwa eine Million Menschen sind in Deutschland ohne dauerhafte Wohnung - Tendenz steigend", sagte der Oberhausener Caritasdirektor Michael Kreuzfelder. Begleitet werden soll die Aktion den Angaben zufolge mit regelmäßigen Videobotschaften auf Facebook. Unter dem Hashtag #24hStrasse können sich Nutzer auf Sozialen Medien beteiligen.



Studenten geben mehr Geld fürs Wohnen aus

Die steigenden Mietpreise treffen auch Studenten: Im Schnitt müssen sie 16 Prozent mehr Miete zahlen als noch vor fünf Jahren. Relativ günstig kann man noch in Ostdeutschland studieren.

Studenten müssen in Deutschland einer Umfrage zufolge immer mehr Geld für Wohnraum ausgeben. Obwohl die durchschnittliche Wohnfläche von Studierenden von 2014 bis 2019 von 29,3 auf 28,9 Quadratmeter sank, stieg die Warmmiete im Schnitt von 332 auf 386 Euro, wie eine Umfrage des Personaldienstleisters Studitemps in Zusammenarbeit mit der Universität Maastricht ergab. Damit stieg der durchschnittliche Warmmietenpreis um 16 Prozent von 13,35 Euro auf 15,47 Euro.

Konstanz ist am teuersten, der Osten am günstigsten

Für die Umfrage, über die zuerst die Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe berichteten, wurden den Angaben zufolge rund 22.000 Studierende befragt. Die Studentenstadt mit den teuersten Mieten ist demnach Konstanz mit einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 20,12 Euro. Am günstigsten sind die Mieten in Halle an der Saale mit 11,26 Euro. Abgesehen von Berlin lägen die 34 teuersten Hochschulstädte alle in Westdeutschland, die drei günstigsten Städte aber im Osten, erklärte Studitemps.

Zu den teuersten Städten zählt dem Bericht zufolge München mit einem Quadratmeterpreis von 20,05 Euro, gefolgt von Hamburg (19,27 Euro), Frankfurt am Main (18,74 Euro), Wiesbaden (17,96 Euro) und Berlin (16,53 Euro). Köln sei mit 15,88 Euro die günstigste unter den fünf bevölkerungsreichsten deutschen Städten und bei den Mietpreisen erstmals von Berlin überholt worden, hieß es. Am günstigsten wohnen Studierende laut Umfrage nach Halle in Erfurt (11,78 Euro) und Leipzig (12,15 Euro), gefolgt von den günstigsten westdeutschen Städten Essen (12,23 Euro) und Kassel (12,27 Euro).

Trotz der gestiegenen Preise müssten Studierende weniger lang für ihre Miete arbeiten, erklärte Studitemps. Der durchschnittliche Stundenlohn von Studierenden sei im selben Zeitraum um rund 22 Prozent von 9,23 auf 11,29 Euro gestiegen. Mussten Studierende 2014 noch etwa 36 Arbeitsstunden darauf verwenden, den exakten Gegenwert der Miete zu erarbeiten, waren es 2019 der Umfrage zufolge nur noch 34,2 Stunden.

WGs immer noch beliebt

Die meisten Studenten (29,7 Prozent) leben laut der Studie in Wohngemeinschaften, 26,4 Prozent haben eine eigene Wohnung. Jeder vierte Studierende bleibt der Umfrage zufolge bei Eltern oder Verwandten wohnen. In Studentenwohnheimen finden 15,5 Prozent eine Bleibe.

Studitemps-Geschäftsführer Eckhard Köhn forderte von der Politik angesichts der gestiegenen Mieten mehr Unterstützung für Studenten. "Es braucht mehr Wohnheimplätze, Sozialwohnungsbau und in den sehr teuren Städten mehr Zulagen in Form von Bafög oder Wohnungsgeld", sagte Köhn.

Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Chris Kühn forderte einen Ausbau von öffentlich geförderten Wohnheimplätzen. In den vergangenen 15 Jahren sei die Zahl der Studierenden um fast eine Millionen gestiegen, aber nicht einmal 20.000 neue Zimmer seien in öffentlichen Wohnheimen entstanden, sagte der wohnungspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion. Zudem gehörten möblierte Wohnungen und Zimmer zu den Ausnahmen bei der Mietpreisbremse. "Die Schlupflöcher müssen weg - auch und gerade in unseren Universitäts- und Hochschulstädten", forderte Kühn.

Die Linkspartei kritisierte, dass Studierende gezwungen seien, viele Stunden in der Woche für die Miete arbeiten zu gehen. "Das verschärft nicht nur die soziale Ungleichheit im Bildungswesen, sondern heizt auch den Kampf um bezahlbaren Wohnraum weiter an", sagte Nina Eumann, stellvertretende Sprecherin der Linkspartei in NRW. Es brauche in NRW jährlich mindestens 100.000 neue Wohnungen mit unbegrenzter Sozialbindung.



Experte: Immer noch hohe Zahl von Analphabeten in Deutschland


Die Volkshochschulen bieten Lese- und Schreibkurs für Erwachsene an.
epd-bild / Andrea Enderlein

Zum Weltalphabetisierungstag (8. September) machen Selbsthilfegruppen, Bildungseinrichtungen und Fachleute mit bundesweit 80 Aktionen auf die immer noch hohe Zahl an Analphabeten aufmerksam. Nach jüngeren Studien könnten rund 6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland trotz Schulbesuch nicht richtig lesen und schreiben, sagte der Geschäftsführer des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung, Ralf Häder, in Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). Erfreulich sei aber, dass das Thema in der Öffentlichkeit in den vergangenen Jahren breiteren Raum einnehme, erklärte der Experte.

Weil Analphabetismus kein Tabu-Thema mehr sei, wagten sich auch viel mehr Menschen mit Lese- und Schreibschwierigkeiten "aus der Deckung", betonte Häder. So suchten deutlich mehr Betroffene Rat am "Alfa-Telefon" des Bundesverbandes. Aber auch Menschen, die im Beruf mit Analphabeten zu tun hätten, wie etwa Ärzte in Krankenhäusern, holten sich dort Informationen.

Auch das Angebot an Kursen für Betroffene sei größer geworden, erreiche aber nur etwa 0,5 Prozent der Analphabeten, erklärte Häder. Es gebe mittlerweile weitere individuelle Hilfsangebote, Online-Programme und Unterstützung am Arbeitsplatz. Gute Hilfen seien zudem die Bereitstellung von Texten in leichter Sprache oder das Vorlese-Funktionen im Internet.

Lesepicknick

Analphabetismus könne zum einen entstehen, wenn Lesen und Schreiben im Elternhaus einen nur geringen oder gar keinen Stellenwert haben, erläuterte der Fachmann. Nicht selten werde außerdem in Grundschulen ein Förderbedarf für Kinder mit Lese- und Schreibschwierigkeiten nicht erkannt. Aber auch Schicksalsschläge wie der Tod eines Elternteils oder die Trennung der Eltern könnten dazu führen, dass ohnehin zurückhaltende Kinder und Jugendliche sich vom Lernen noch weiter zurückziehen und isolieren.

Die Bandbreite der Veranstaltungen rund um den Weltalphabetisierungstag reicht nach Angaben Häders in diesem Jahr vom Lesepicknick oder "Frühstück mit Zeitung" über Ausstellungen, Filmvorführungen und Lesungen bis hin zu Podiumsdiskussionen und Fachtagungen. Das "Alfa-Telefon" ist am 13. September live in Wuppertal, ein "Alfa-Mobil" tourt derzeit durch Deutschland. Partner vor Ort sind unter anderem die Volkshochschulen und Mehrgenerationen-Häuser. Alle Termine sind im Internet auf einer interaktiven Karte abrufbar, wie es hieß.

Der Aktionstag wurde 1966 von der Unesco ins Leben gerufen. Weltweit können nach Angaben der UN-Bildungsorganisation 750 Millionen Menschen über 15 Jahren nicht lesen und schreiben. Der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung mit Sitz in Münster bietet seit 35 Jahren Hilfen für sogenannte funktionale Analphabeten in Deutschland an, die trotz Schulbesuchs erhebliche Lese- und Rechtschreibschwächen haben.

epd-Gespräch: Thomas Krüger


Weniger Langzeitarbeitslose in NRW

Die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Nordrhein-Westfalen ist im August auf etwa 245.000 gesunken. Das seien 23.000 Menschen oder 8,6 Prozent weniger als im Vorjahr, teilte das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium am 3. September in Düsseldorf mit. Im Ruhrgebiet gebe es sogar fast 11.000 Langzeitarbeitslose weniger als noch vor zwölf Monaten.

Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) erklärte diese Entwicklung mit der Einführung des Teilhabechancengesetzes, das die Landesregierung gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit seit Januar umsetzt. In diesem Jahr wollen die Jobcenter in NRW bis zu 15.000 sozialversicherungspflichtige Jobs fördern, 8.700 dieser Stellen seien bereits besetzt.

Auch in Zukunft werde das Ministerium die Umsetzung des Gesetzes mit den Arbeitsmarktpartnern begleiten, sagte Laumann. Er appellierte zugleich an Arbeitgeber, Betroffene und Jobcenter, die vorhandenen Fördermöglichkeiten zu nutzen. "Nur so können wir unser Ziel, mehr langzeitarbeitslose Menschen in Arbeit zu bringen, erreichen", betonte der Minister.

Im Rahmen des Teilhabechancengesetzes können kleine und mittelständische Unternehmen, Kommunen und Wohlfahrtsverbände eine Förderung beantragen. Unterstützt werden Stellen für Leistungsberechtigte, die in den letzten sieben Jahren mindestens sechs Jahre Hartz-IV-Leistungen erhalten haben. Für bis zu fünf Jahre fördert ein Lohnkostenzuschuss ihre neuen Jobs - in den ersten beiden Jahren zu 100 Prozent, danach sinkt er jährlich um zehn Prozent. Ebenfalls unterstützt werden Menschen, die seit mindestens zwei Jahren arbeitslos sind, mit einem Lohnkostenzuschuss für maximal zwei Jahre. Für sie beträgt der Zuschuss im ersten Jahr 75 und im zweiten Jahr 50 Prozent des Lohns.



Hartz IV: Trotz Job brauchen viele Unterstützung vom Amt

Rund 40 Prozent der alleinstehenden Hartz-IV-Empfänger sind trotz Wechsel in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf Sozialleistungen angewiesen. 58,4 Prozent oder 272.830 von 466.943 alleinstehenden ehemaligen Leistungsbeziehern hatten im Jahr 2018 eine auskömmliche Anstellung gefunden, wie aus der Antwort der Bundesagentur für Arbeit auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.

"Im Hartz-IV-System gefangen"

Diese sogenannte bedarfsdeckende Integration war in der Gruppe der über 55-Jährigen noch seltener. Von ihnen waren den Angaben nach nur die Hälfte (46,9 Prozent) nicht mehr auf Unterstützung vom Amt angewiesen, bei Alleinerziehenden lag die Quote bei nur 38,4 Prozent. Von einer bedarfsdeckenden Integration in den Arbeitsmarkt gehen die Statistiker der Bundesagentur für Arbeit aus, wenn drei Monate nach dem Beginn einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung keine Leistungen nach SGB II mehr gezahlt werden müssen. Zuerst hatte die Düsseldorfer "Rheinische Post" (6. September) darüber berichtet.

"Trotz Arbeit bleiben viele im Hartz-IV-System gefangen", kommentierte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken, Sabine Zimmermann, die Statistik. Sie sieht ein strukturelles Problem: "Es ist ein Skandal, dass Hartz-IV-Bezieher unter Androhung von Sanktionen in prekäre Beschäftigung hinein gezwungen werden können." Sie forderte eine neue sanktionsfreie Mindestsicherung. "Die Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen für gute Arbeit schaffen." Dazu gehörten unter anderem auch ein Mindestlohn von zwölf Euro die Stunde, die Abschaffung von Niedriglohnbeschäftigung in Form der Leiharbeit sowie ein Ende der sachgrundlosen Befristung.



Spahns Stellen-Programm für Altenpflege: Erst 300 Anträge bewilligt


Im Pflegeheim (Archivbild)
epd-bild/Jürgen Blume
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ist von seinem Ziel, 13.000 zusätzliche Stellen in der Altenpflege zu schaffen, offenbar noch weit entfernt.

Einrichtungsträger hätten bis Mitte Juli bundesweit etwa 2.800 Anträge auf Förderung von zusätzlichem Pflegepersonal gestellt, heißt es in einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Davon seien etwa 300 Anträge bewilligt worden. Dafür sei seit Jahresbeginn ein Förderbetrag von über sieben Millionen Euro ausgeschüttet worden. Zuerst hatte das "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (4. September) darüber berichtet.

Die Schaffung von 13.000 zusätzlichen Stellen geht auf das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz zurück, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind die Anträge der Einrichtungen "oft zunächst unvollständig eingereicht worden". Dies habe bei der Bearbeitung durch die Pflegekassen zu Mehraufwand und zeitlichen Verzögerungen geführt.

"Papiertiger"

Die bisher erreichte Zahl der Anträge sei "vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktsituation in der Pflege zu sehen", erläuterte das Gesundheitsministerium. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit herrscht in der Altenpflege in Deutschland in ganz Deutschland ein Fachkräftemangel. Die Zahl der gemeldeten offenen Stellen in Pflegeheimen ist leicht gestiegen - auf rund 9.400 im Juli 2019.

Die FDP-Pflegeexpertin Nicole Westig kritisierte das Pflegestellen-Programm als Papiertiger. "Es verpufft wirkungslos", sagte die Parlamentarierin. Grund dafür sei auch, dass die Antragstellung für die Stellen "hochkomplex und bürokratisch" sei. "Meistens müssen die Pflegeeinrichtungen in Vorkasse gehen. Das macht die Inanspruchnahme des Förderprogramms äußerst unattraktiv", kritisierte die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Es sei wichtig, zunächst attraktivere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen zu schaffen, sagte Westig: "Damit sich mehr Menschen für den Pflegeberuf begeistern."



Müntefering: Dritter Lebensabschnitt gewinnt an Bedeutung


Franz Müntefering (Archivbild)
epd-bild / Stefan Arend

Der frühere SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Franz Müntefering (79) sieht im dritten Lebensabschnitt nach dem Eintritt in den Ruhestand eine neue und eigenständige Lebensphase. "Er ist kein Anhängsel ans Berufsleben mehr, er gewinnt eigenes Gewicht", sagte Müntefering am 3. September am Rande eines Vortrags in Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). Menschen würden heute im Schnitt deutlich älter als frühere Generationen. "Zehn bis zwanzig oder mehr relativ gesunde Jahre obendrauf - daraus kann man was machen."

Müntefering ist seit 2015 Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen. Er sprach in Hannover anlässlich des 150-jährigen Bestehens des evangelischen Stephansstiftes.

Der frühere Politiker plädierte für möglichst viel Selbstbestimmung im Alter. Das bedeute, Mitverantwortung zu tragen für sich und für das Ganze. "Aber sich auch darauf verlassen können, dass andere das auch so halten", sagte er. "Eine selbstbestimmte Gesellschaft ist eine solidarische Gesellschaft, oder es klappt nicht."

"Laufen, lernen, lachen, wenn's eben geht"

Menschen sollten sich auf das Älterwerden vorbereiten, sagte Müntefering, der bis 2007 Vizekanzler und Bundesarbeitsminister im Kabinett von Angela Merkel (CDU) war. "Es ist ein Prozess, der Chancen, aber auch Beschwernisse mit sich bringen wird." Wichtig sei, sich zu informieren, sich zu engagieren und soziale Kontakte zu pflegen. Zuversicht und die "Liebe zum Leben" gehörten ebenso dazu.

Als Tipp für ein gelingendes Älterwerden betonte der Bundesvorsitzende die drei "L": "Laufen, lernen, lachen, wenn's eben geht. Und morgens immer aufstehen." Müntefering, der in Herne im Ruhrgebiet lebt, ist seit 2013 auch ehrenamtlich Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes Deutschland.



Land und Kreuznacher Diakonie wollen Krankenhaus Kirn erhalten

Das rheinland-pfälzische Gesundheitsministerium hat Unterstützung für das in wirtschaftliche Schieflage geratene Krankenhaus in Kirn zugesagt. Nach einem Krisentreffen mit Vorstandsmitgliedern der Kreuznacher Diakonie und Lokalpolitikern kündigte Ministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) am 4. September in Mainz eine Landesverordnung an, die ab 2020 höhere Zuschüsse für Kliniken in ländlichen Regionen wie Kirn ermöglichen soll.

Ministerin: Klinik unverzichtbar für Versorgung der Bevölkerung

"Ich habe deutlich gemacht, dass das Krankenhaus in Kirn unverzichtbar ist für die Versorgung der Bevölkerung", erklärte sie. "Hier muss und wird es dauerhaft eine stationäre chirurgische und internistische Grundversorgung und eine 24-stündige Notfallversorgung geben." Auch die Kreuznacher Diakonie habe bei dem Gespräch ihre "sehr deutliche Bereitschaft" erklärt, das Krankenhaus weiter zu betreiben. Ihr Ministerium sei bereit, die nötige Neuaufstellung des Krankenhauses zu begleiten.

Die Stiftung Kreuznacher Diakonie, eines der größten Sozialunternehmen in Rheinland-Pfalz, hatte im Juli bekanntgegeben, dass sie 2018 Verluste in Höhe von über zehn Millionen Euro erwirtschaftet hatte. Die sechs Krankenhausstandorte in Bad Kreuznach, Kirn, Simmern, Neunkirchen und Saarbrücken hätten ausnahmslos rote Zahlen geschrieben. Als besonders schwierig hatte der Vorstand dabei die Situation in Kirn eingeschätzt, wo der neue Landeskrankenhausplan eine Verkleinerung auf lediglich 88 Betten vorsieht. Für diesen Standort sollten mehrere mögliche Szenarien geprüft werden, auch eine Schließung sei denkbar, hatte es zunächst geheißen.



Diakonie und Caritas schließen Bahnhofsmission Bonn

Zum Jahreswechsel stellen Diakonie und Caritas die Bahnhofsmission in Bonn ein. Damit zögen die kirchlichen Verbände eine Konsequenz aus dem aktuellen Bedarf, erklärte die Bahnhofsmission am 3. September. Bonn sei kein Verkehrsknotenpunkt wie Köln oder Frankfurt, erläuterte Ulrich Hamacher, Geschäftsführer des Diakonischen Werkes Bonn und Region. Vielmehr entwickle sich der Bahnhof zu einem reinen Regional- und Pendlerbahnhof, der kein klassisches Einsatzgebiet für eine Bahnhofsmission darstelle. Nur noch wenige Menschen nutzten dort die Angebote der Bahnhofsmission.

Reisehilfen könnten über den Service der Bahn angefragt werden, erklärte die Bahnhofsmission. Reisende könnten sich dafür direkt an die Bahn wenden. Gäste, die das Angebot der Bahnhofsmission regelmäßig nutzten, würden an andere Hilfestellen verwiesen.

Seit 15 Jahren ist die Bahnhofsmission in Bonn vor Ort. Die Ehrenamtlichen teilten nicht die Entscheidung, die Einrichtung zu schließen, hieß es. Daher überlegten sie, ob sie das Angebot in einer anderen Form aufrecht erhalten können. Die beiden Träger seien dafür offen und blieben mit dem Team im Gespräch.



Malteser in NRW haben eine neue Chefin

Der Malteser Hilfsdienst in Nordrhein-Westfalen hat eine neue Führung. Sophie Gräfin von Preysing ist seit dem 1. September Landes- und Regionalgeschäftsführerin der Malteser für die Region Nordrhein-Westfalen, wie der Malteser Hilfsdienst am 5. Septemberin Köln mitteilte. Die 44-jährige von Preysing tritt die Nachfolge von Thomas Berding an, der die Geschäftsführung des IT-Dienstleisters der Malteser übernommen hat. Die gebürtige Schweizerin ist den Angaben zufolge Juristin und hat im Malteser-Verbund bereits Führungserfahrung gesammelt.



NRW will Tierschutzbeauftragten einsetzen

Nordrhein-Westfalen soll einen Tierschutzbeauftragten bekommen. Die Stelle ist für den Haushalt 2020 angemeldet und soll zur Stärkung des Tierschutzes im bevölkerungsreichsten Bundesland beitragen, wie die Staatskanzlei am 6. September in Düsseldorf mitteilte. Die politisch unabhängige Stelle soll im Stab des Umweltministeriums angesiedelt werden. Dem Haushalt muss das Parlament noch zustimmen.

Der Tierschutzbeauftragte soll in beratender Funktion zwischen Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft vermitteln und so "tragfähige Veränderungen" in der Tierhaltung etablieren helfen, erläuterte Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). Die konkreten Aufgaben eines Tierschutzbeauftragten will sie vor Ablauf des Jahre im Landtag vorstellen.

"Ich möchte die landwirtschaftliche Nutztierhaltung anhand wichtiger tierschutzfachlicher Themen weiter entwickeln und gleichzeitig den Tierschutz insgesamt stärken", sagte die Ministerin weiter. Wichtige tierschutzplitische Festlegungen beispielsweise für Tiertransporte, Kastration von männlichen Ferkeln, Kupierverzicht oder Sauenhaltung müssten in gesellschaftlicher Debatte vermittelt und in den parlamentarischen Gremien umgesetzt werden.




Familien

Unterhaltsvorschuss: Die meisten Väter zahlen nicht zurück


Alleinerziehende Mutter
epd-bild/Maike Glöckner
Wenn die Ex-Partner nicht für ihre Kinder zahlen, springt der Staat ein - in den meisten Fällen auf Dauer, wie Familienministerin Giffey hat ausrechnen lassen. Nur bei einer Minderheit kann der Staat Geld zurückfordern. Mit bisher geringem Erfolg.

Wo die Väter nicht zahlen, zahlt Vater Staat: In den meisten Fällen können die Behörden den Unterhaltsvorschuss für Kinder von Alleinerziehenden nicht zurückfordern. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) präsentierte am 5. September in Berlin neue Berechnungen ihres Ministeriums, wonach 61 Prozent der unterhaltspflichtigen Elternteile finanziell gar nicht in der Lage sind, für ihre Kinder aufzukommen. In 90 Prozent aller Fälle sind das die Väter.

Im vergangenen Jahr erhielten 805.000 von rund 2,1 Millionen Kindern alleinerziehender Eltern den Unterhaltsvorschuss. Das bedeutet auch, dass es bei 1,3 Millionen Kindern keine Probleme mit den Zahlungen gibt - oder die Mütter keinen Unterhaltsvorschuss beantragen. Denn den staatlichen Vorschuss erhalten Kinder von Alleinerziehenden nur, wenn der andere Elternteil nicht zahlt. Aufgabe der Finanz- und Jugendämter ist es, zu überprüfen, ob sie den Vorschuss zurückfordern können. Andernfalls kommt der Staat dauerhaft für den Unterhalt auf.

Nur knapp 40 Prozent

Giffey sagte, der Rückgriff der Jugendämter auf die unterhaltspflichtigen Elternteile sei nur in 39 Prozent der Fälle möglich, also bei rund 300.000 der rund 805.000 Kinder, die den Vorschuss erhalten. Darauf müssten sich die Behörden konzentrieren. Dass der Staat den Unterhaltsvorschuss für alle Kinder zurückverlangen könne, sei eine "unrealistische Vorstellung", erklärte die Ministerin.

Nach Giffeys Angaben gaben Bund und Länder im vergangenen Jahr 2,1 Milliarden Euro für den Unterhaltsvorschuss aus. Davon konnten 13 Prozent zurückgeholt werden. In Bayern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gelingt das am häufigsten, in Bremen, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern am seltensten. Giffey sagte, in den wirtschaftlich starken Regionen könnten mehr Eltern zahlen. Die Bundesländer tauschten sich aber auch darüber aus, welches Vorgehen am meisten Erfolg verspreche. Den Angaben des Ministeriums zufolge zahlte ein Drittel der finanziell leistungsfähigen Väter und Mütter den Vorschuss vollständig zurück, zwei Drittel teilweise oder möglicherweise später.

Zahl der Empfänger verdoppelt

Giffey sagte, nach der Reform des Unterhaltsvorschuss vor zwei Jahren sei es zunächst darum gegangen, allen Kindern den Vorschuss auszuzahlen. Nun müsse der Fokus darauf liegen, bei den zahlungsfähigen Elternteilen die Rückforderungen durchzusetzen. "Da haben wir noch Luft nach oben", sagte Giffey. Bund und Länder hätten ein gemeinsames Interesse, die Rückzahlungen zu erhöhen. Der Bund übernimmt 40 Prozent, die Länder zahlen 60 Prozent der Gesamtausgaben für den Unterhaltsvorschuss.

Seit der Reform im Jahr 2017 hat sich die Zahl der Kinder, die Unterhaltsvorschuss bekommen, verdoppelt. Entsprechend erhöhten sich die Ausgaben von 2017 bis 2018 um rund eine Milliarde Euro. Ziel war es, den Alleinerziehenden zu helfen, unter denen die Armutsquote besonders hoch ist. Während bis Mitte 2017 der Vorschuss höchstens sechs Jahre lang und nur bis zum 12. Lebensjahr gezahlt wurde, gibt es ihn heute bis zum 18. Geburtstag. Die Kinder haben, je nach Alter, Anspruch auf 150 bis 272 Euro im Monat.

Bettina Markmeyer (epd)


Zahl der Geburten leicht gestiegen

Die Zahl der Geburten in Deutschland ist im vergangenen Jahr leicht gestiegen. Insgesamt kamen 2018 hierzulande 787.500 Babys zur Welt, wie das Statistische Bundesamt am 3. September in Wiesbaden mitteilte. Das waren rund 2.600 Neugeborene (0,3 Prozent) mehr als im Vorjahr. Die durchschnittliche Kinderzahl je Frau blieb auf Vorjahresniveau: Die sogenannte zusammengefasste Geburtenziffer betrug 1,57 Kinder je Frau.

Überdurchschnittliche Geburtenziffer in NRW

Am höchsten war die zusammengefasste Geburtenziffer den Angaben zufolge mit 1,62 Kindern je Frau in Niedersachen und Brandenburg. Mit Ausnahme von Mecklenburg-Vorpommern war sie auch in den übrigen ostdeutschen Bundesländern sowie in Bremen und Nordrhein-Westfalen mit 1,60 Kindern je Frau relativ hoch. Besonders niedrig war die Geburtenziffer dagegen in Berlin (1,45 Kinder je Frau). Auch im Saarland (1,47) und in Hamburg (1,49) war sie deutlich niedriger als den übrigen Bundesländern.

Die zusammengefasste Geburtenziffer wird zur Beschreibung des aktuellen Geburtenverhaltens herangezogen. Sie gibt an, wie viele Kinder eine Frau im Laufe ihres Lebens bekäme, wenn ihr Geburtenverhalten so wäre wie das aller Frauen zwischen 15 und 49 Jahren im betrachteten Jahr. Im vergangenen Jahr war die Rate in den neuen Bundesländern (ohne Berlin) mit 1,60 Kindern je Frau höher als im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) mit 1,58, wie die Statistiker erklärten.

Bemerkenswert war eine steigende Geburtenhäufigkeit der Frauen ab 40 Jahren, wie das Bundesamt weiter mitteilte: Mütter im Alter ab 40 Jahren brachten 2018 rund 42.800 Babys zur Welt. Zwar war ihre Geburtenhäufigkeit mit 88 Kindern je 1.000 Frauen immer noch relativ gering, hat sich aber gegenüber 23 Kindern je 1.000 Frauen im Jahr 1990 fast vervierfacht.



Studie: Kaiserschnitt-Kinder werden häufiger krank

Kaiserschnitte sind in Deutschland häufiger als in anderen westeuropäischen Ländern. Für die Kinder bergen sie Risiken: Sie werden in den ersten acht Lebensjahren öfter krank und zeigen mehr Entwicklungsstörungen.

Kaiserschnitt-Kinder werden in den ersten acht Jahren ihres Lebens häufiger krank als andere. Eine Langzeit-Studie der Techniker Krankenkasse (TK), die am 4. September in Berlin vorgestellt wurde, liefert dazu neue Zahlen. Die Autoren sehen auch mehr Entwicklungsstörungen als bei Kindern, die auf natürlichem Weg geboren wurden.

Dem TK-Kindergesundheitsreport zufolge steigt das Risiko für leichte und mittlere Entwicklungsstörungen um neun Prozent, wenn ein Baby per Kaiserschnitt zur Welt kam. Um zehn Prozent höher ist das Risiko, dass das Kind in den ersten acht Lebensjahren eine chronische Bronchitis bekommt. Allergien kommen bei Kaiserschnitt-Kindern ebenfalls häufiger vor als bei anderen Kindern. Das Risiko für ADHS ("Zappelphilipp-Syndrom") steigt der Studie zufolge um 16 Prozent.

Überdurchschnittliche Rate

Für den Report wurden die Abrechungsdaten von knapp 39.000 im Jahr 2008 geborenen Kindern über die Jahre 2008 bis 2016 ausgewertet. Bei 19 Krankheitsgruppen, die Kinder in den ersten Lebensjahren häufig betreffen, zeigte sich ein höheres Erkrankungsrisiko für Mädchen und Jungen, die per Kaiserschnitt zur Welt kamen. Darunter sind allein sechs Krankheitsgruppen, denen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen zuzurechnen sind.

Der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas erklärte, im Interesse der Kinder müssten medizinisch nicht notwendige Kaiserschnitte vermieden werden. Sie hätten weitreichendere Folgen, als vielen bewusst sei, sagte er. Bei den Vorsorgeuntersuchungen der Kinder müsse insgesamt stärker auf die erhöhten Krankheitsrisiken durch eine Kaiserschnitt-Geburt und auf mögliche Entwicklungsverzögerungen geachtet werden.

Die Kaiserschnittrate liegt in Deutschland mit 30,5 Prozent über dem westeuropäischen Durchschnitt (27 Prozent). Regional sind die Kaiserschnitt-Raten laut der TK-Studie sehr unterschiedlich. Im Saarland werden am häufigsten Kaiserschnitte vorgenommen (31 Prozent der Entbindungen), in Sachsen am seltensten (20 Prozent).

Häufigere Allergien

Diese und andere Einflüsse wurden statistisch bereinigt, so dass die TK-Studie Auskunft darüber gibt, wie stark sich allein infolge einer Kaiserschnitt-Geburt das Krankheitsrisiko der Kinder erhöht. Die Gründe dafür müssten weiter untersucht werden, hieß es.

Bisher weiß man aus Langzeitstudien in Dänemark, dass Kaiserschnitt-Kinder bis zu ihrem 15. Lebensjahr häufiger an Asthma, Nahrungsmittelallergien oder Leukämie leiden. Entwicklungsstörungen wurden in den dänischen Studien nicht untersucht.

Insgesamt sind dem TK-Report zufolge Kinder in den ersten acht Jahren ihres Lebens überwiegend gesund. Am häufigsten haben sie Atemwegserkrankungen, Ohrenentzündungen und Hautprobleme. Zu den 20 häufigsten Erkrankungen gehören auch die chronische Bronchitis und Entwicklungsstörungen.



Schulen: Kommunale Jobcenter zahlen jetzt Büchergeld

Die kommunalen Jobcenter in Nordrhein-Westfalen übernehmen künftig bei Kindern aus Hartz-IV-Familien die Kosten für Schulbücher. NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) habe einen entsprechenden Erlass an die 18 ausschließlich von kreisfreien Städten und Kreisen betriebenen Jobcenter herausgegeben, teilte die Landesregierung am 6. September in Düsseldorf mit. Demnach müssen die Jobcenter auf Grundlage zweier Urteile des Bundessozialgerichts den betroffenen Familien den Eigenanteil an den Schulbuchkosten erstatten.

Härtefall-Mehrbedarf

Familien, die auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen seien, würden nun entlastet, sagte Minister Laumann. Sie könnten sich darauf verlassen, dass sie von den kommunalen Jobcentern den Eigenanteil an den Schulbüchern zurückbekommen. Daneben gibt es in Nordrhein-Westfalen 35 weitere Jobcenter, die von den Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit gemeinsam getragen werden. Diese unterstehen laut der Mitteilung im Blick auf die Kostenübernahme der Aufsicht des Bundesarbeitsministeriums.

Nach den im Mai ergangenen Urteilen des Bundessozialgerichtes sind die Kosten für Schulbücher als Härtefall-Mehrbedarf zu übernehmen, wenn Schüler diese wegen einer fehlenden Lernmittelfreiheit im jeweiligen Bundesland selbst kaufen müssen (AZ: B 14 AS 6/18 R und B 14 AS 13/18 R). In den beiden Fällen hatten Hartz-IV-Bezieher aus Niedersachsen die Kostenübernahme für die Bücher ihrer in der Oberstufe befindlichen Kinder verlangt.

Da Schulangelegenheiten Ländersache sind, regeln die jeweiligen Bundesländer die Kostenübernahme für Schulbücher unterschiedlich. So besteht etwa in Baden-Württemberg und in Hessen Lernmittelfreiheit. In anderen Bundesländern wie Berlin und Nordrhein-Westfalen wird von Eltern - je nach Einkommen - ein Eigenanteil verlangt.



Mehr Kinder unter drei Jahren in NRW werden betreut


Kleinkind in einer Kita
epd-bild/Verena Mörath

Rund 147.000 Kinder unter drei Jahren haben in Nordrhein-Westfalen im März dieses Jahres eine Kita oder eine Tagesmutter besucht. Die Betreuungsquote der unter Dreijährigen stieg damit im Vergleich zum Vorjahr um einen Prozentpunkt auf 28,2 Prozent, wie das statistische Landesamt am 3. September in Düsseldorf mitteilte. 45.164 der betreuten unter Dreijährigen wurden von einer Tagesmutter oder einem Tagesvater versorgt.

Die Betreuungsquoten in den einzelnen Altersgruppen variieren der Statistik zufolge deutlich. Während 1,2 Prozent der unter einjährigen und ein Viertel der einjährigen Kinder (25 Prozent) betreut wurden, waren es mehr als die Hälfte (57,8 Prozent) der zweijährigen Mädchen und Jungen. Ein Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz besteht ab Vollendung des ersten Lebensjahres. Auch regional variiere die Betreuungsquote, erklärten die Statistiker: Am höchsten war sie demnach im Kreis Coesfeld mit 39,3 Prozent, am niedrigsten in Duisburg mit 16,8 Prozent.

Personalnotstand beklagt

Insgesamt nahmen in NRW Anfang März Eltern von 601.781 Kindern unter sechs Jahren ein Angebot der Kindertagesbetreuung in Anspruch. 53.675 der betreuten Kinder wurden von einer Tagesmutter oder einem Tagesvater versorgt, 90,7 Prozent von ihnen waren jünger als drei Jahre. Die Betreuungsquote der drei- bis fünfjährigen Kinder lag bei 91,8 Prozent und damit leicht unter der Quote des Vorjahres (92 Prozent). Auch in dieser Altersgruppe hatte der Kreis Coesfeld mit 98,8 Prozent die höchste Betreuungsquote, am niedrigsten lag sie in Mönchengladbach mit 81,9 Prozent.

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW wies angesichts der Zahlen auf den Personalmangel in Kitas hin. Laut einer Studie des VBE und des Deutschen Kitaleitungskongresses beklagten 95 Prozent aller Kindergärten in NRW einen Mangel an Fachkräften, hieß es. "Der Personalnotstand muss im Mittelpunkt der politischen Anstrengungen stehen", sagte der VBE-Landesvorsitzende Stefan Behlau. Mit Blick auf die Pläne von NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP), verstärkt Quereinsteiger für Kitas zu gewinnen, erklärte Behlau: "Quereinstieg ohne eine intensive Vorqualifizierung darf es nicht geben."



Auch im Saarland wächst Zahl der betreuten U-3-Kinder

Die Zahl der betreuten Kinder unter drei Jahren im Saarland ist weiter gestiegen. Wie das Statistische Landesamt am 5. September in Saarbrücken mitteilte, legte die Zahl der Unter-Dreijährigen in Kindertageseinrichtungen und der Tagespflege zwischen März 2018 und März 2019 um sechs Prozent auf 7.427 zu. Mehr als 90 Prozent der Plätze entfielen auf Kindertagesstätten.

Die Zahl der betreuten Kinder erhöhte sich sowohl im Regionalverband Saarbrücken als auch in den übrigen Landkreisen. In allen Landkreisen lag der Anteil der in Kindertageseinrichtungen betreuten Kinder unter drei Jahren zwischen 88 und 97 Prozent, bei der Kindertagespflege schwankte er zwischen drei und 12 Prozent.

Die Betreuungsquote lag im März bei den Unter-Dreijährigen landesweit bei fast 30 Prozent. Das war gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um eineinhalb Prozentpunkte. Regional betrachtet wiesen der Landkreis St. Wendel mit 41 Prozent und der Landkreis Merzig-Wadern mit 35 Prozent die höchsten Quoten auf. Die geringste Betreuungsquote verzeichneten der Regionalverband Saarbrücken mit 28 Prozent und der Landkreis Neunkirchen mit 25 Prozent.




Medien & Kultur

Neues Chormusical "Bethlehem" hat Ende 2020 Premiere


Dieter Falk (l.) und Michael Kunze
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Songschreiber Michael Kunze und Komponist Dieter Falk wollen die Weihnachtsgeschichte mit Bezügen zur Gegenwart in ein modernes Licht rücken.

Nach den beiden Chormusicals "Die zehn Gebote" und "Luther" arbeiten Songschreiber Michael Kunze und Komponist Dieter Falk an einem neuen Projekt: "Bethlehem" erzählt die Weihnachtsgeschichte musikalisch und wird am 5. Dezember 2020 Premiere im Düsseldorfer ISS Dome haben, wie die Veranstalter am 2. September in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt ankündigten. "Bethlehem" wolle die Weihnachtsgeschichte nicht einfach nur nacherzählen, sondern zugleich in ein modernes Licht rücken, erklärte Kunze bei der Vorstellung des Projekts.

Die Erzählung sei schließlich reich an Bezügen zur Gegenwart: Da gebe es Flüchtlinge auf der Suche nach einer Unterkunft, einen Verlobten, der nicht wisse, von wem das Kind seiner Frau sei, und die Frage, ob man in schweren Zeiten überhaupt ein Kind auf die Welt bringen wolle. Die Basisgeschichte bleibe aber unangetastet, versicherte Kunze. Das Hauptthema der Weihnachtsgeschichte sei für ihn die Geburt Christi und damit die Menschwerdung Gottes.

2.500 Sänger

In jedem Fall soll das Musical nach Kunzes Worten ein "großes Gemeinschaftserlebnis zwischen Chor und Publikum" werden. Auch in "Bethlehem" wird ein großer Chor von 2.500 Sängern das Zentrum der Inszenierung sein: "Er ist das Herzstück und hat die musikalische Hauptrolle", sagte Falk. Die schauspielerischen Parts übernehmen professionelle Musicaldarsteller. Der Chor und die insgesamt zwölf Solisten werden von einem großen Symphonieorchester mit Rhythmusgruppe und elektronischen Instrumenten unterstützt. Das Chormusical sei als "religionsübergreifendes Event" gedacht, das sich auch an nichtreligiöse Menschen richte, sagte der Komponist.

Die Suche nach den 2.500 Chorsängern beginnt an diesem Freitag. Ab dem 6. September können sich interessierte Sänger unter www.bethlehem-chormusical.de für die Teilnahme an der Uraufführung anmelden. Man müsse weder Profi noch Kirchenmitglied sein, betonte Falk: "Die einzige Voraussetzung ist die Leidenschaft für das gemeinschaftliche Singen." Eine erste gemeinsame Probe soll es im August 2020 in der Essener Grugahalle geben.

Kooperationspartner des neuen Musicals ist die Evangelische Kirche im Rheinland. Die 2.000 Jahre alte und immer noch "beste Geschichte der Welt", in der Gott zum Menschen werde, gehe mit "Bethlehem" nun in Musik über, sagte Oberkirchenrätin Henrike Tetz, Mitglied der rheinischen Kirchenleitung.



Pionier für das Orgelspiel 4.0


Kirchenmusikdirektor Peter Ammer
epd-bild/Judith Kubitscheck
Eine Jukebox für die Orgel und Künstliche Intelligenz, die Orgelsätze selbst komponiert: Peter Ammer ist bereit, alle technischen Neuerungen unter die Lupe zu nehmen - wenn sie das Orgelspiel attraktiver machen. Dabei arbeitet er mit der Musikhochschule Detmold zusammen.

Es ist immer wieder eine Überraschung bei den Orgelführungen: Kirchenmusikdirektor Peter Ammer steht mitten in seinem virtuosen Orgelspiel von der Orgelbank auf - und sein Instrument spielt ohne ihn weiter. Möglich ist das, weil die Pfeifenorgel in der Nagolder Stadtkirche im Nordosten des Schwarzwaldes mit einem Magnetsystem ausgestattet wurde. Dieses simuliert den Anschlag der Tasten und kann mit Hilfe eines Touchscreens zuvor aufgenommene Stücke abspielen.

Der 55-jährige Ammer ist eine Art Orgelpionier. Seit drei Jahren hat der Präsident des Verbandes der evangelischen Kirchenmusik in Württemberg ein Ziel: Er will alle Neuerungen, die es derzeit im Orgelbereich gibt, zusammentragen und versucht, sie in der Stadtkirche ebenso wie an einer kleinen Gemeinde-Orgel in der Umgebung umzusetzen.

Dadurch, so der Plan, können Orgelbauer, Pfarrer und Musiker selbst ausprobieren, welche digitalen Neuigkeiten es mit welchen Vor- und Nachteilen gibt - und dann fundierter entscheiden, ob sie diese auch woanders einsetzen wollen.

"Singen - Orgel 4.0" heißt das Projekt der Nagolder Kirchengemeinde, Kooperationspartner ist unter anderen das Zentrum für Musikinformatik an der Musikhochschule Detmold. Finanzielle Unterstützung kommt von der EU und der Digitalisierungs-Kommission der Evangelischen Landeskirche in Württemberg.

Braunschweiger "Audiomat" spielt nach Münzeinwurf Orgelwerke ab

In der Nagolder Stadtkirche sind seit kurzem alle Töne der Orgelpfeifen zusätzlich gesampelt, also einzeln aufgenommen und digitalisiert worden. Damit können die Klänge über Lautsprecher wiedergegeben werden - was aber längst nicht so authentisch klingt, sagt Ammer: "Der durch Wind erzeugte Originalklang der Orgel kann kaum realistisch durch Lautsprecher ersetzt werden."

Auch die Orgelregister können demnächst mit dem sogenannten "Vario-Setzer" digital gesetzt werden - einem System, das es bisher in Deutschland neben Nagold nur in Mannheim, Würzburg, Paderborn und in Bernkastel in Rheinland-Pfalz gibt.

Doch die Entwicklung ist in einigen Kirchen noch viel weiter: In der evangelischen Katharinenkirche in Braunschweig gibt es einen "Audiomat", in dem per Münzeinwurf Orgelwerke abgespielt werden können. Bald soll ein solches Gerät auch im Schwarzwald stehen, das dann vielleicht auch Choräle nach ausgewählter Stimmung oder Jahreszeit abspielen kann.

Ammer arbeitet auch mit Experten des Detmolder Zentrums für Musik- und Filminformatik zusammen, um beispielsweise bestehende Musizier-Software für die Orgel zu adaptieren. Vieles ist Vision: "Eine meiner Ideen ist, dass der Pfarrer im Gottesdienst ein Lied anstimmt, die Software das Lied erkennt und mittels künstlicher Intelligenz selbst einen passenden Begleitsatz automatisch generiert", sagt er und lächelt dazu verschmitzt.

Alles nur technische Spielereien? Der Musiker schüttelt entschieden den Kopf: In nahezu jeder Kirche stehe eine Orgel. Doch in vielen Gemeinden fehlt Organisten-Nachwuchs. Oder es spielt im Gottesdienst eine Band, die moderne Lieder anscheinend besser begleiten kann.

Tatsächlich sind einige der modernen, rhythmisch anspruchsvollen Lieder für manche Organisten mit einer klassisch-orientierten Ausbildung nur schwer spielbar. Hier könnte eine Maschine einspringen und dafür vorprogrammierte oder live-generierte Arrangements abspielen, schlägt Ammer vor.

Geteiltes Echo

Nicht jeder Kirchenmusiker ist begeistert, wenn er von den digitalen Experimenten des Nagolder Kollegen hört. "Manche befürchten, dass dadurch die Organisten bald überflüssig werden", sagt Ammer, der auch einer der beiden Vizepräsidenten des Verbandes Evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland (VEM) ist. Doch das Gegenteil sei der Fall: "Durch die digitale Aufrüstung retten wir langfristig die Orgel - und damit das Singen in den Gemeinden."

Er ist überzeugt: Um das Weltkulturerbe Orgel auch in Zukunft zu erhalten, sei wichtig, dass die "Königin der Instrumente" überhaupt noch gespielt werde - egal ob von einer Organistin oder einer Maschine. "Die Orgel muss wieder 'in' sein und positiv erlebt werden. Dann wird es weiterhin Menschen geben, die das Instrument lernen wollen."

In regelmäßigen Symposien der "Nagolder Orgelakademie" will Ammer Experten aus dem Bereich der Theologie, Kirchenmusik, Orgelbau, und Ausbildung zusammenbringen, damit sie sich vernetzen und die Möglichkeiten und Grenzen der Digitalisierung für die Orgel auszuloten können. Er hat seine Ideen auch schon auf einer bundesweiten Sitzung aller Ausbildungsstättenleiter für Kirchenmusik und der Landeskirchenmusikdirektoren präsentiert.

Judith Kubitscheck (epd)


Strenge Regeln verärgern Straßenkünstler


Straßenmusiker Adrian Prath an der Frankfurter Hauptwache
epd-bild / Carina Dobra
Pure Freiheit - so beschreibt ein Straßenmusiker sein Lebensgefühl. Musiker bringen Leben in die Stadt, finden die einen, andere stören sich an der Lautstärke. Vorschriften schränken die Künstler ein, in München gibt es gar einen "Gesangs-TÜV".

"How many roads must a man walk down, before you call him a man?", singt Adrian Prath gegen den Großstadtlärm an. Einige Fußgänger auf der Frankfurter Einkaufsstraße Zeil bleiben stehen und hören dem jungen Straßenmusiker zu. Ein paar wippen mit, andere machen Fotos und Videos mit ihren Smartphones.

Mit 14 Jahren stand der Karlsruher zum ersten Mal mit Gitarre in der Fußgängerzone. Alle paar Wochen fährt der Student dafür mit dem Zug quer durch Deutschland - nach Frankfurt, Mannheim oder auch mal Rostock oder Dresden.

Nur München meidet der 24-Jährige. Dort müssen Künstler bei der Stadtverwaltung vorspielen. Im Rathaus am Marienplatz prüft das Team der Stadt-Information Erstbewerber.

Mit dem Verfahren werde sichergestellt, dass die Genehmigungen nicht für öffentliche Übungsstunden missbraucht würden, erklärt Ralph Herbert von der Stadt München. "Ein kurzer, unkomplizierter Nachweis, dass der Künstler sein Instrument bereits beherrscht und auch mehr als einen Song im Repertoire hat", verteidigt der Stadtsprecher das Konzept. Ein Eingriff in die künstlerische Freiheit der Musiker sei das nicht.

"Eine ungewollte und nicht fachliche Beurteilung", ärgert sich dagegen Straßenmusiker Adrian. Das Verfahren sei nicht objektiv. Musik sei das "Werk eines Künstlers", liege in den Augen des Betrachters. Eine Bewertung ist in den Augen des Jungmusikers fehl am Platz - und diskriminierend.

Klare Vorgaben

"Orientalische Musik zum Beispiel ist den Ohren des Beamten vielleicht Krach", kritisiert der Mann mit badischem Dialekt. Zudem löse ein solcher Wettbewerb Druck gerade auf Anfänger aus. Nachwuchsmusiker hätten so kaum eine Chance, sich auszuprobieren. Ein erster Schritt wäre zumindest, dass beim Münchener Casting ein Musiker in der Jury sitze, schlägt der junge Mann vor.

Auch Straßenmusikexperte Mark Nowakowski hält nicht viel vom Münchener Modell, kann die Beweggründe der Stadt aber nachvollziehen. Der Musikwissenschaftler hatte 2016 eine umfangreiche Feldstudie zur Straßenmusik in Berlin vorgelegt.

In der bayerischen Landeshauptstadt treffe die Szene geballt in der Innenstadt aufeinander, sagt er. Das führe schnell zu Konflikten, wenn es keine entsprechenden Regelungen gebe. In Berlin hingegen verteilten sich die Musiker gut über die einzelnen Stadtteile.

In den meisten Kommunen herrschen sehr klare Vorgaben für Musik unter freiem Himmel. Fast überall müssen sich Künstler zuvor eine Lizenz für circa zehn Euro besorgen. In Frankfurt am Main - und auch anderswo - dürfen Darbietungen nach Angaben des Ordnungsamtes einen bestimmten Lärmpegel nicht überschreiten. An Sonn- und Feiertagen darf niemand musizieren. Wer sich nicht daran hält, riskiert neben einem Platzverweis Geldstrafen von bis zu 5.000 Euro.

In Dortmund muss nach einer halben Stunde Musik eine halbe Stunde lang Ruhe sein. In Stuttgart sind Trompete, Saxophon, Dudelsack und schlagzeugartige Instrumente verboten. Auch elektrische Verstärker sind vielerorts nicht erlaubt. Hamburg untersagt Darbietungen auf dem Rathausmarkt und unter den Arkaden.

In Berlin sind seit Sommer dieses Jahres außerdem sogenannte Parkläufer unterwegs - ein Projekt der Senatsumweltverwaltung. Die Mitarbeiter sollen auf Grünflächen für ein friedliches Miteinander sorgen, haben einen Blick auf die Straßenmusiker. Am Mauerpark beispielsweise fühlen sich Anwohner durch den Lärm gestört. Im Internet lassen einige Künstler ihren Frust über solche Maßnahmen freien Lauf: "Berlin hat eine weitere Stufe der Überwachung gezündet, die sich sozial tarnt und dafür sorgt, dass Kleinkunst und Straßenmusik im öffentlichen Raum noch weiter verdrängt werden", schreibt ein genervter Musiker in einem Forum.

"Freiheit pur"

In der Hauptstadt hat sich inzwischen die Organisation "Berlin Street Music" gegründet, die sich für die Belange von Straßenmusikern einsetzt. "Die Musiker bringen Leben in die Städte", findet Musikethnologe Nowakowski.

Auch Adrian Prath wünscht sich Freiraum für die Künstler: "Man spricht sich einfach mit den anderen Musikern ab", erklärt der musikbegeisterte Betriebswirt mit Blick auf den meist vorgeschriebenen Platzwechsel. Nur in seltenen Fällen gebe es Streit.

Das Münchener "Casting-Modell" ist in Deutschland einzigartig. Zwar hatte auch die Erfurter Stadtverwaltung darüber nachgedacht, doch der Widerstand war groß. In Frankfurt am Main setzt sich die Junge Union bislang vergeblich dafür ein, das Verfahren zu übernehmen. "Ziel sei es lediglich keine Reizüberflutung in Sachen Musik zu erhalten", heißt es in einer entsprechenden Mitteilung der Partei.

Fernab strikter Regeln und Castingshows ging es in Würzburg zu: Vom 6. bis 8. September kam die Szene zum 16. Mal in der Innenstadt zum "STRAMU" zusammen. Bei dem nach eigenen Angaben größten Straßenmusik-Festival Europas wollten mehr als 200 Künstler aus 17 Nationen ihr Können zeigen.

Nachwuchsmusiker Adrian Prath ist nicht dabei. Er hat viel zu tun in den kommenden Wochen, stimmt dafür Gitarre und Stimmbänder schon einmal ein - natürlich draußen. "Straßenmusik ist für mich Freiheit pur", schwärmt er.

Carina Dobra (epd)


Gerhard Richter gestaltet Kirchenfenster für Abtei Tholey

Der Künstler Gerhard Richter gestaltet ein Kirchenfenster im Saarland. Am ältesten urkundlich erwähnten Kloster Deutschlands, der Benediktinerabtei Tholey, wurden am 4. September die Entwürfe des weltbekannten Künstlers Gerhard Richter für drei geplante Fenster im Chor der frühgotischen Kirche vorgestellt. Sie sollen bis zur Einweihung der renovierten Tholeyer Abtei im Juni 2020 entstehen.

Abt Mauritius und Frater Wendelinus präsentierten die Darstellungen für die Fenster aus Milchglas und entrollten für einen Tag die Entwürfe in Originalgröße von knapp zwei mal zehn Metern an der Außenfassade der Abteikirche. Abt Mauritius würdigte Richter als den bedeutendsten lebenden Gegenwartskünstler. "Was uns am Herzen liegt, ist, dass wenn die Leute die Richter-Fenster sehen werden, sie Trost finden und Freude haben und die Frohe Botschaft wahrnehmen können", sagte er.

Künstler stellt Entwürfe unentgeltlich zur Verfügung

Der in Köln lebende 87-jährige Künstler Gerhard Richter, der vor zwölf Jahren auch ein Kirchenfenster für den Kölner Dom gestaltete, hat seine Entwürfe unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Sie beruhen auf Abbildungen aus seinem Buch "Patterns" (Muster) aus dem Jahr 2011, "halb abstrakt, halb erzählerisch" - und sehr bunt. Richter wohnte der Enthüllung seiner Fensterentwürfe in Tholey selbst aus gesundheitlichen Gründen nicht bei.

Er werde wohl auch bei der Einweihung im nächsten Jahr nicht dabei sein können, erklärte er in einem Interview der "Saarbrücker Zeitung". Die Kirche bezeichnete er darin als "der bedeutendste Spender von Heil und Trost" und äußerte den Wunsch, dass man seine Fenster für Gläubige sowie Suchende in Tholey einfach "schön" finden solle.

Mehr Besucher erwartet

Frater Wendelinus als Sprecher der zwölf Mönche aus mehreren Nationen in Tholey erwartet durch das Richter-Fenster einen deutlichen Besucheranstieg. Derzeit besuchten bis zu 50.000 Menschen im Jahr besuchte Klosterkirche. "Zur Kathedrale im benachbarten lothringischen Metz kommen die meisten Menschen ja auch, um dort ein einziges Chagall-Fenster zu sehen."

Die gesamte Renovierung soll laut Abt Mauritius bis zu fünf Millionen Euro kosten. Die drei Richter-Bilder werden nach seinen Entwürfen in den Münchenern Gustav van Treeck-Werkstätten für Mosaik und Glasmalerei nach einem Sandwich-Verfahren - einer Kombination aus mundgeblasenen Gläsern mit Industrieglas-Oberschicht - gefertigt, wie Geschäftsführerin Katja Zukic mitteilte.



Neues Bauhaus Museum in Dessau eröffnet


Im neuen Bauhaus Museum Dessau
epd-bild/Jens Schlüter
Schon die Architektur des Gebäudes ist interessant: Von außen eine schlichte Glasfassade, innen ein großer, offener Raum, darüber die schwebende Ausstellungsbox. Das neue Museum in Dessau-Roßlau präsentiert hier 1.000 Exponate der Bauhaus-Stiftung.

Die Blackbox, ein Kubus aus Stahlbeton, ist das Herzstück des neuen Bauhaus Museums Dessau: Der fensterlose, in schwarz gehaltene Betonriegel beherbergt eine Vielzahl von Bauhaus-Objekten wie in einer großen, begehbaren Schatzkiste, die künstlich beleuchtet wird. Seit dem 8. September kann die Stiftung Bauhaus Dessau darin nun erstmals ihre Sammlung, mit 49.000 Objekten die zweitgrößte Sammlung weltweit nach dem Berliner Bauhaus Archiv, umfassend der Öffentlichkeit präsentieren. Auf 1.500 Quadratmetern Fläche sind derzeit zunächst mehr als 1.000 Exponate zu sehen, fast alles Originale, die später auch wechseln sollen.

Die Eröffnung des neuen Museums gilt als ein Höhepunkt im Jubiläumsjahr des Bauhauses, das vor 100 Jahren in Weimar gegründet wurde. Rund 30 Millionen Euro hat der Neubau im Stadtzentrum von Dessau nach Angaben von Sachsen-Anhalts Kulturminister Rainer Robra (CDU) gekostet. Nach zweieinhalb Jahren Bauzeit wurde das neue Bauhaus Museum Dessau am 8. September mit einem Festakt eröffnet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht im Bauhaus bis heute Vorbildcharakter, es fasziniere sie "die Vielfalt und die Fähigkeit, Kunst und Leben zusammenzudenken".

"Würdiges Zuhause"

Das neue Museum sei ein neuer Ort der Erinnerung an ein "gutes Stück deutscher Geschichte", sagte Merkel beim Festakt zur Eröffnung. Die weltweit zweitgrößte Bauhaus-Sammlung habe damit 100 Jahre nach der Gründung der Architektur- und Designschule ein "würdiges Zuhause" bekommen. Nach Ansicht von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) steht das Bauhaus für die "Utopie einer besseren Gesellschaft und den Optimismus der Aufklärung". Dafür sei mit dem neuen Museum ein "Speicher des kulturellen Gedächtnisses" geschaffen worden.

Schon von außen fällt der moderne, gläserne Bau auf. Der Entwurf der Architekten addenda architects aus Barcelona war 2015 aus mehr als 800 Einreichungen ausgewählt worden. Architekt Roberto González spricht von einer "Neuinterpretation der Architektur der Moderne". Das Gebäude stehe in Beziehung zum Bauhaus, nicht in Konkurrenz. Stiftungsdirektorin Claudia Perren sieht in dem neuen Haus auch einen neuen kulturellen Ort für die Stadt Dessau-Roßlau und das Land Sachsen-Anhalt. Der offene Raum solle "bespielt werden", betont sie. In der neuen Ausstellung unter dem Titel "Versuchsstätte Bauhaus. Die Sammlung" sei es gelungen, die Suchbewegungen des Bauhauses überzeugend zu zeigen.

Thematische Schwerpunkte

Die Dessauer Sammlung geht auf einen ersten Ankauf 1976 in der damaligen DDR zurück, im Zuge der Wiedereröffnung des Bauhausgebäudes als wissenschaftlich-kulturelles Zentrum. Die Objekte der Sammlung umfassen Schülerarbeiten, Aufzeichnungen aus dem Unterricht, Entwürfe und Prototypen aus den Werkstätten. Die neue Ausstellung erzählt die Geschichte der berühmten Schule, die 1919 in Weimar von Walter Gropius (1883-1969) gegründet wurde und die von 1925 bis 1932 in Dessau ihre Blütezeit erlebte.

Regina Bittner vom Kuratorenteam erklärt, am Anfang der Konzeption der Ausstellung habe die Frage gestanden, wie man eine Schule ausstellen könne. Es gibt in der Ausstellung keinen chronologischen Aufbau, mehr thematische Schwerpunkte. Zu sehen sind bekannte Möbel aus Stahlrohr von Marcel Breuer, von Ludwig Mies van der Rohe, Holzschnitte von Gerhard Marcks, Leuchten und Geschirr von Marianne Brandt sowie zahlreiche Zeichnungen, Skizzen oder Fotos und Filme. In der 100 Meter langen Blackbox sollen optimale klimatische Bedingungen für die Präsentation der Objekte herrschen, da dort kein Tageslicht hineinfällt. Dafür fällt in das große, offene Erdgeschoss sehr viel Licht. Es ist als offene Bühne gestaltet und soll flexibel genutzt werden können.

Romy Richter (epd)


Städel zeigt Vincent van Gogh und seine Wirkung

Das Städel-Museum in Frankfurt am Main präsentiert eine Ausstellung über Vincent van Gogh (1853-1890). Im Mittelpunkt der Schau "Making van Gogh - Geschichte einer deutschen Liebe" stehe die Bedeutung des niederländischen Malers für die Kunst der Moderne in Deutschland, teilte das Museum am 4. September mit. Van Goghs Malerei sei Vorbild und maßgebliche Inspirationsquelle der jungen deutschen Expressionisten gewesen. "Ohne seine Kunst ist die Entstehung der Moderne in Deutschland kaum denkbar."

Die Ausstellung zeigt vom 23. Oktober bis 16. Februar 2020 rund 50 Gemälde und Arbeiten auf Papier von van Gogh aus allen Schaffensphasen. Sie werden flankiert von 70 Werken deutscher Künstler der nachfolgenden Generation, darunter Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Alexej von Jawlensky, Gabriele Münter und Paula Modersohn-Becker, aber auch "wiederentdeckter" Künstler wie Peter August Böckstiegel, Elsa Tischner-von Durant oder Heinrich Nauen. Die Schau thematisiere die besondere Rolle, die Galeristen, Museen, Privatsammler und Kunstkritiker im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts für die Rezeption van Goghs als "Vater der Moderne" spielten.

Selbstbildnisse

Die Werke van Goghs stammen aus deutschen und internationalen Sammlungen wie dem Museum of Fine Arts in Boston, dem Metropolitan Museum of Art in New York, der Nationalgalerie in Prag sowie den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen München. Besondere Höhepunkte stellten die Selbstbildnisse aus dem Art Institute in Chicago und dem Kröller-Müller-Museum in Otterlo/Niederlande dar. In der Schau sind auch die berühmte Darstellung der Berceuse Augustine Roulin (1889, Stedelijk Museum, Amsterdam) sowie die Segelboote am Strand von Les Saintes-Maries-de-la-Mer (1888, Van Gogh Museum, Amsterdam) vertreten.

Vincent van Gogh wird am 30. März 1853 in der niederländischen Stadt Groot-Zundert als Sohn eines Pfarrers und einer Buchbinderin geboren. 1869 beginnt er in Den Haag eine Ausbildung in der Kunsthandlung Goupil & Co. Im Anschluss wird er in die Londoner Filiale versetzt, wo er sich allerdings nicht wohlfühlt. Er geht nach Paris und probiert sich in verschiedenen anderen Berufen aus, unter anderem als Hilfslehrer und Prediger. Erst 1880, im Alter von 27 Jahren, entschließt er sich, Maler zu werden. Van Gogh stirbt am 29. Juli 1890 unter mysteriösen Umständen in Auvers-sur-Oise, einem kleinen Ort nördlich von Paris. Er hinterlässt rund 900 Gemälde und mehr als 1.000 Zeichnungen.



"Zwischentöne": Udo Lindenberg stellt in Leipzig aus


Panikrocker Udo Lindenberg mit seinem Trabbi in der Leipziger Ausstellung.
epd-bild/Peter Endig
Schon früh besang Udo Lindenberg die Sehnsucht nach der Wiedervereinigung - und auch als Maler hat ihn das Thema beschäftigt, zeigt eine neue Ausstellung. In Leipzig feiert er die Akteure der friedlichen Revolution.

"Auch Leipziger Nächte sind lang. Guten Morgen", begrüßt Udo Lindenberg die Presse um vier Uhr nachmittags in seiner Ausstellung. In gewohntem Outfit - dunkles Sakko, dunkle Hose, Hut und Sonnenbrille - schmeißt er sich auf das Prunkstück der Schau: einen goldenen Trabbi. Es war der letzte seiner Art, der im Zwickauer Werk vom Band lief. Lindenberg bekam ihn 1996 überreicht. Denn das deutsch-deutsche Verhältnis lag dem heute 73-Jährigen schon lange sehr am Herzen.

Davon zeugt im 30. Jahr nach der Wende die Ausstellung "Zwischentöne" im Leipziger Museum der bildenden Künste. Seit dem 6. September präsentiert sie neben Nostalgieobjekten wie dem "Trabbi" auch rund 50 Gemälde und Aquarelle aus der Feder des Panikrockers. In comichaftem Stil verarbeitete er darin schon früh die großen Themen: Frieden, Umweltschutz, Engagement gegen rechts.

"Hat mich sehr bewegt"

Hinzu kommen etwa 200 Fotos aus dem Archiv Udo Lindenbergs. Die sind - neben einem Abriss wichtiger Stationen der Karriere des Musikers - auch eine Zeitreise durch ein paar Jahrzehnte deutsch-deutscher Geschichte. Schon in den 70ern war Udo Lindenberg ein großer Fürsprecher der Wiedervereinigung. Musikalisch zeugen davon besonders seine Songs "Wir wollen doch einfach nur zusammen sein" und "Sonderzug nach Pankow". Die deutsche Teilung, sagt Lindenberg in Leipzig, sei schlicht "ein Ding gewesen, das mich sehr bewegt hat".

Kein Wunder also, dass die Ausstellung dort auf seine eigene Initiative zurückgeht. In Museumsdirektor Alfred Weidinger, der sich am 4. September gesundheitsbedingt entschuldigen ließ, fand er einen dankbaren Partner. "Ich hatte den Wunsch, mich zu verneigen vor den ersten Montagsdemonstranten", erklärt Lindenberg. "Heute ist ein Feiertag", fügt er hinzu - und erweist sich damit auch als genauer Kenner der Geschichte.

Denn just an jenem Tag vor 30 Jahren, am 4. September 1989, versammelten sich nach dem Friedensgebet in der Leipziger Nikolaikirche Bürgerinnen und Bürger zur ersten Montagsdemonstration nach der Sommerpause. Bis zum Tag der Entscheidung am 9. Oktober und dem Mauerfall am 9. November sollten nur noch Wochen vergehen. Oder, mit Udo Lindenberg: "Mauerfall, Arschtritt Honecker, jetzt ist das Scheißding weg und so."

"Geiles Grundgesetz"

Er freue sich sehr, in Leipzig seine Kunst präsentieren zu können, erzählt Lindenberg, schlägt dann aber die Brücke ins Jetzt. Man habe ja heute auch im Osten ein "geiles Grundgesetz", in vielen anderen Ländern der Welt sei das nicht selbstverständlich. Bei den Wahlergebnissen vom Sonntag aus Sachsen und Brandenburg habe er dann aber schon "einen Schock abgekriegt", nuschelt er.

An die AfD, die in beiden Bundesländern kräftig hinzugewann und jeweils zweitstärkste Partei wurde, hat der Panikrocker zwei Botschaften: "Die werden sich mit ihren dummen Sprüchen eh ziemlich schnell disqualifizieren" - und, nach einem Lob für die jungen Klimademonstranten von "Fridays for Future": "Nationalismus ist Verrat an der Jugend".

Kurz darauf wird es aber schon wieder launig. Die aktuellen Probleme, die Klimakatastrophe, ja, die müssten wir lösen, erklärt der Musiker. Bevor er dann, ganz Udo-mäßig, die Freude über die Ausstellung mit seiner Vision für die Gesellschaft in dem Satz zusammenbringt: "Weltoffen, geile Party, ich freue mich sehr, wo ist der Eierlikör?"

Johannes Süßmann (epd)


Der Westen kann Kunst der DDR entdecken


Skulptur "Gesicht zeigen" des Bildhauers und Malers Wolfgang Mattheuer
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Spannend und überraschend lauten die Vokabeln zum Start einer großen Schau mit Nachkriegskunst. Der Kunstpalast in Düsseldorf zeigt 30 Jahre nach der Wende Kunst aus der DDR. Sie soll auch Nachhilfe für Kunstinteressierte aus dem Westen liefern.

Westdeutsche Kulturinstitutionen haben eine Menge nachzuholen, ist sich Felix Krämer sicher. "Es überrascht, dass sich die Museen in Westdeutschland in den letzten 30 Jahren nicht mit der entgegen vieler Vorurteile spannenden, heterogenen Kunst in der DDR beschäftigt haben", sagt der Generaldirektor des Düsseldorfer Kunstpalastes. Das Haus präsentiert die Ausstellung "Utopie und Untergang - Kunst in der DDR". Bis 5. Januar sind dort 130 Werke von 13 Künstlerinnen und Künstlern aus der Zeit von 1949 bis 1989 zu sehen. Vor allem die Jüngeren, die die Teilung Deutschlands nicht mehr erlebt hätten, können laut Krämer viel entdecken.

Seit 1989 hat es den Angaben nach in keinem westdeutschen Museum eine Überblicksausstellung zur Kunst in der DDR gegeben. 30 Jahre nach dem Fall der deutsch-deutschen Mauer widmet sich die Düsseldorfer Sonderschau dieser Zeit und stellt die Werke nach den Worten von Kurator Steffen Krautzig "als Kunst, nicht als historische Zeugnisse einer vergangenen Epoche" vor. Damit wolle man ausdrücklich auch "das Schubladendenken des Kalten Krieges überwinden", betonte Krautzig, der die Ausstellung etwa zwei Jahre lang geplant und vorbereitet hat.

Späte Würdigung

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier lobt in seinem Geleitwort im Katalog, die Ausstellung wolle "einen neuen, gerechten Blick auf die Kunst der DDR" und zugleich "einen selbstkritischen Blick auf die westdeutsche Aufnahme dieser Kunst" werfen. Bei seinen Besuchen in ostdeutschen Museen sei man erstaunt über sein Interesse an Kunstwerken aus "der DDR-Zeit gewesen und habe auch den Mut der Ausstellungsmacher gelobt, erklärte Kurator Krautzig. Aufgrund von Vorurteilen und Vorbehalten sie diese Kunst einfach nicht "auf dem Schirm der westdeutschen Museumsleute" gewesen.

Rund 130 Gemälden und Arbeiten auf Papier spiegeln nach Angaben der Ausstellungsmacher "eine spannungsreiche, oft widersprüchliche Kunstepoche" wider. Neben den als "offiziellen Malern der DDR" wahrgenommenen Künstlern Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Werner Tübke sind im Kunstpalast am Rheinufer die künstlerischen Positionen von Gerhard Altenbourg, Carlfriedrich Claus, Hermann Glöckner, Angela Hampel, Wilhelm Lachnit, Michael Morgner, A.R. Penck, Cornelia Schleime und Elisabeth Voigt zu sehen.

Dies sei eine kleine Auswahl von Künstlerin der ehemaligen DDR, räumten die Ausstellungsmacher ein. Immerhin waren laut Krautzig etwa 6.000 Mitglieder im Verband der Künstlerinnen und Künstler der DDR. Unter den Exponaten befinden sich viele ihrer Hauptwerke, aber auch zahlreiche "bislang unbekannte und noch nie im Westen gezeigte Arbeiten". Die meisten der vorgestellten Maler und Malerinnen sind tot. Von den noch Lebenden ist die 1956 geborene Hampel zur Eröffnung angereist, ebenso die 1953 geborene Schleime. Auch der 1942 geborene Morgner wollte zum Ausstellungsstart nach Düsseldorf kommen.

Die Künstlerauswahl will laut Generaldirektor Krämer "zum Nachdenken über unsere gesamtdeutsche Kunstgeschichte" auffordern. Auch in der ehemaligen DDR würden erst seit vielleicht drei Jahren wieder die Depots in den Museen durchforstet und Arbeiten aus dieser Zeit präsentiert. Ihn selbst beeindrucke in der Ausstellung etwa das allererste von Penck (1939-2017) gemalte Strichmännchen-Bild mit dem Titel "Der Sturz" von 1960 oder auch das um 1986 entstandene Gemälde von Bernhard Heisig (1925-2011) mit dem Titel "Christus verweigert den Gehorsam", sagte Krämer.

Bekannte Künstler aus Ostdeutschland: Richter und Uecker

Düsseldorf sei auch deshalb der richtige Ort für die Ausstellung, weil viele DDR-Künstler schon in jungen Jahren ins Rheinland übersiedelten. Darunter auch Gotthard Graubner, Gerhard Richter oder Günther Uecker, die an der Düsseldorfer Kunstakademie studierten, weltberühmt wurden und viele Jahre lang als Professoren an der Kunstakademie Düsseldorf unterrichteten, sagte Krämer. Der Generaldirektor des Kunstpalastes betont, die Rezeptionsgeschichte der Kunstwerke von DDR-Künstlern sei "noch lange nicht aufgearbeitet." Er hofft, dass die Schau drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer einen Dominoeffekt für weitere Ausstellungen auslösen könnte.

Manche der präsentierten Künstler rieben sich nach dem Zweiten Weltkrieg an den strengen Vorgaben des Sozialistischen Realismus. Andere entwickelten besondere Ausdrucksformen, mal zurückgezogen, mal in rebellischem Widerspruch zum System. Punkig-expressive Frauenfiguren von Hampel, existenzialistische Gemälde von Morgner und abstrakte Arbeiten von Glöckner verdeutlichen nach Angaben des Kuratoren die stilistische Vielfalt. Alle seien dabei sehr unterschiedliche, immer aber eigenständige Wege gegangen. "Zwischen Rebellion und Anpassung, zwischen Utopie und Untergang", erklärten die Ausstellungsmacher.

Andreas Rehnolt (epd)


Dies ist kein Witz: Goldener Löwe für "Joker"

Am 7. September gingen die 76. Internationalen Filmfestspiele von Venedig mit der Verleihung des Goldenen Löwen an Todd Phillips' "Joker" zu Ende. Das Superhelden-Genre hat damit die Arthouse-Domäne der Filmfestivals erobert.

Die Pointe kam überraschend: Damit, dass Todd Phillips' Film "Joker" den Goldenen Löwen des 76. Filmfestivals von Venedig gewinnen könnte, hatte niemand gerechnet. Zwar war die Neuinterpretation des Superhelden-Genres durch den "Hangover"-Regisseur am Lido ausgesprochen gut angekommen; der Film, der mit Joaquin Phoenix in der Titelrolle die Herkunftsgeschichte des nihilistischen "Batman"-Antagonisten mit dem Clownsgesicht erzählt, löste stürmische Beifallsovationen vor Ort und entsprechend heftige Auseinandersetzungen in den sozialen Medien aus.

Den einen war er eine Offenbarung, der in seiner Geschichte über einen unglücklichen, weißen jungen Mann, der zum bejubelten Attentäter wird, die unübersichtlichen Strömungen der Gegenwart auf den Punkt bringt. Den anderen galt er als Symptom genau dieser Unübersichtlichkeit: als Film, der mit seinem ressentiment-geladenen Helden jene "Incels" feiert, die in Verblendung gegen wie auch immer definierte "Andere" ausschlagen. Obwohl genau dieser Spannungsbogen aus "Joker" den vielleicht meist diskutierten Film des Festivals machte, schlug die Entscheidung der Jury unter dem Vorsitz der argentinischen Regisseurin Lucrecia Martel als große Schlussüberraschung ein.

Preis für Polanski

Hat nun das Superhelden-Genre auch noch die letzte Domäne des Arthouse-Kinos, die europäischen Filmfestivals erobert? Wenn diese 76. Ausgabe des ältesten Filmfestivals der Welt etwas zeigte, dann, dass Filme eben stets mehr sind als das, was man vorher über sie zu wissen glaubt. So gehört "Joker" bei genauerer Betrachtung genauso zweifelsfrei zum Arthouse-Genre wie "Taxi Driver" und "King of Comedy" von Martin Scorsese, die zwei Filme, auf die Todd Phillips' Film am deutlichsten Bezug nimmt. Phillips gelingt es, den Superheldenstoff von all seinen pubertären Genre-Kaprizen zu befreien und auf diese Weise sichtbar zu machen, was er über unsere Gegenwart erzählt. Der Film handle mehr von der Bösartigkeit eines Systems als eines Einzelnen, so begründete auch Lucrecia Martel die Wahl der Jury.

Das Staunen über die Entscheidung für "Joker" hatte zudem den Nebeneffekt, dass eine andere, viel umstrittenere, von ihr in den Schatten gestellt wurde: Ging doch der Grand Prix, gewissermaßen die Silbermedaille des Festivals, an "J'accuse" von Roman Polanski und damit an jenen Wettbewerbsbeitrag, der schon seit der Programmankündigung für Konfliktstoff sorgte. Die Preisverleihung bildete hier live ein Stück Gegenwartsdiskurs ab – im Widerstreit um die Frage, wie man mit einer Figur wie Polanski umgeht, der sich vor 42 Jahren der Vergewaltigung einer Minderjährigen schuldig machte und noch immer der Strafverfolgung in den USA entzieht.

Sein Film über die Dreyfus-Affäre kommt als effektvoll erzählte und wichtige Geschichtslektion daher und war ausgesprochen positiv aufgenommen worden. Die Auszeichnung reflektierte beispielhaft das Ringen darum, Person und Werk zu trennen, letzteres anzuerkennen ohne die Tat des Mannes zu rechtfertigen.

Wie überhaupt die Auswahl der Preisträger in Venedig in diesem Jahr ein ausgesprochen waches Gespür für die widersprüchlichen und nicht auf einen einfachen Nenner zu bringenden aktuellen Konflikte bewies. Der Schwede Roy Andersson, für seine groteske Szenensammlung "About Endlessness" als bester Regisseur ausgezeichnet, kommt in diesem Zusammenhang durchaus als eine Art Goya des Gegenwartskinos daher. Und der Italiener Luca Marinelli, der für die Verkörperung der Titelrolle in Pietro Marcellos Jack-London-Verfilmung "Martin Eden" den Preis für den besten Schauspieler erhielt, wechselte in seiner Dankesrede so atemlos wie geschickt vom Seemannsberuf seiner Figur zum Solidaritätsaufruf mit allen, die heute im Mittelmeer Flüchtende retten.

Hommage an Hongkong

Auch die Französin Ariane Ascaride, die im Film "Gloria Mundi" ihres Ehemanns, des französischen Altlinken Robert Guédiguian, eine Putzfrau in sozialer Not spielt, widmete ihren Preis den Flüchtenden, "die am Grund des Mittelmeers schlafen". Wobei beide Filme, sowohl "Martin Eden" als auch "Gloria Mundi", sich dadurch hervorhoben, dass sie keinesfalls einfache politische Standpunkte beziehen, sondern sowohl die klassisch linken wie auch die orthodox rechten Standpunkte in Frage stellen.

In dieser Linie einer Betrachtung, die Widersprüche aushalten will, steht auch der Drehbuch-Preis für den chinesische Regisseur Yonfan und seinen Animationsfilm "Nr. 7, Cherry Lane". Auf den ersten Blick eine nostalgische Hommage an seine Heimatstadt Hongkong, bietet der Film eine großartige Reflexionsfläche für die aktuellen Proteste, auf die der Regisseur in seiner Dankesrede explizit Bezug nahm.

Wie aktuell und lebendig das Weltkino sich auf dem ältesten Filmfestival immer noch präsentiert, davon zeugten vor allem auch die Preise der Nebensektionen. Dort wurde etwa das visuell beeindruckende futuristische Nachkriegsdrama "Atlantis" des Ukrainers Valentyn Vasyanovych (Hauptpreis der Nebensektion "Orizzonti") ausgezeichnet, oder der Virtual-Reality-Film "Daughters of Chibok" aus Nigeria oder das sudanesische Erstlingswerk "You Will Die at 20". Filme, die nicht zuletzt technisch Belege dafür sind, dass auch weit ab von Hollywood und Superhelden modernes Kino gemacht wird.

Barbara Schweizerhof (epd)


Laschet warnt vor rechtspolitischem Druck auf Kunstfreiheit

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Amin Laschet (CDU) hat zunehmende Versuche von rechtspopulistischen Kreisen kritisiert, Druck auf Theatermacher auszuüben. Die Freiheit der Kunst gelte uneingeschränkt, sagte Laschet am 3. September in Detmold bei der Jubiläumsfeier zum 100-jährigen Bestehen des Landestheaters Detmold. Dies schließlich auch Kritik und Provokation ein. "Wir brauchen das Theater als einen Ort der Auseinandersetzung und der Kunst", unterstrich Laschet.

Jubiläum des Landestheaters Detmold

Das 1919 eröffnete Landestheater Detmold stehe in enger Verbindung mit der Gründung der ersten deutschen Demokratie, erklärte Laschet weiter. Heute weise Nordrhein-Westfalen die höchste Theaterdichte aller Bundesländer auf. Um dieses Angebot zu erhalten, werde die Landesregierung den Kulturetat bis zum Ende der Wahlperiode um 50 Prozent erhöhen, kündigte er an.

Das Landestheater Detmold mit den Sparten Musik, Schauspiel und Ballett besitzt fünf eigene Spielstätten. Mit seinen Gastspielen in mehr als hundert Orten im In- und Ausland gilt es als die größte Reisebühne Europas. "Damit wird das Landestheater Detmold zu einem Kulturbotschafter für ganz Nordrhein-Westfalen", sagte Laschet.

Bereits 1825 ließ das Fürstenhaus Lippe ein Hoftheater errichten. Es brannte 1912 ab. Auf den Grundmauern entstand das heutige Gebäude in historistischem Stil. Das Landestheater Detmold mit 270 Beschäftigten gibt in einer Spielzeit rund 300 Vorstellungen, die Hälfte davon außerhalb der lippischen Kreisstadt.

Der 100. Geburtstag wird unter anderem mit einem Jubiläumskonzert am 29. September und einem Theaterball am 15. Februar begangen. Zudem stehen 25 Premieren, elf Wiederaufnahmen und 13 Konzerte auf dem Programm der kommenden Saison. Sie werden flankiert durch begleitende Veranstaltungen sowie ein umfangreiches theaterpädagogisches Angebot.



MDR entschuldigt sich für Wortwahl von Moderatorin

Die Formulierung in einer Wahlsendung stieß auf Empörung: MDR-Moderatorin Wiebke Binder sprach von einer möglichen "bürgerlichen" Koalition zwischen CDU und AfD. Der Sender erklärt nun, die Äußerung sei ein "Versprecher" gewesen.

Nach Kritik an einer Äußerung der MDR-Moderatorin Wiebke Binder hat sich der Sender am 2. September entschuldigt. Dass Binder eine mögliche Koalition aus CDU und AfD in der ARD-Sondersendung zu den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg als "bürgerlich" bezeichnete, sei ein "Versprecher" gewesen, "für den wir uns entschuldigen", teilte MDR-Chefredakteur Torsten Peuker auf Twitter mit.

Im Gespräch mit dem sächsischen CDU-Politiker Marco Wanderwitz hatte Binder am 1. September gesagt: "Eine stabile Zweierkoalition, eine bürgerliche, wäre theoretisch ja mit der AfD möglich." Wanderwitz entgegnete sofort: "Eine Koalition mit der AfD wäre keine bürgerliche Koalition." Vor allem in sozialen Medien wurde kritisiert, der MDR verharmlose damit rechtsextreme Tendenzen in der Partei.

Am Abend hatte der Mitteldeutsche Rundfunk bereits via Twitter mitgeteilt: "Unter dem enormen Stress einer Live-Sendung bei einer solchen Doppelwahl mit ständig neuen Ergebnissen und wechselnden Konstellationen kann es zu Missverständnissen kommen und können Unschärfen passieren." Binder bleibe eine "wichtige Moderatorin unserer politischen Formate".

AfD-Kritik zurückgewiesen

Unterdessen wies der Deutschen Journalisten-Verband (DJV) Kritik der AfD an einer "Diffamierung" der Partei in der Medienberichterstattung zurück. Journalismus habe die Aufgabe, kritisch zu berichten, sagte die stellvertretende Bundesvorsitzende Kathrin Konyen: "Das gilt selbstverständlich auch für Berichte über die AfD." Im Zuge der Wahlberichterstattung des Nachrichtensenders Phoenix hatte die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel Medien am 1. September vorgeworfen, sie trügen "den Hauptteil zu einer Diffamierungskampagne gegen die AfD bei".

Konyen erklärte, Medien hätten die gesellschaftliche Verpflichtung, sowohl über die Ziele der AfD als auch über Verflechtungen einzelner Spitzenpolitiker der Partei mit dem rechten Rand des politischen Spektrums zu informieren. Die AfD sorgt immer wieder mit Verbindungen zum rechtsextremen Spektrum und mit fehlender Abgrenzung hiervon für Kritik.



Christlicher Medienkongress zu Glaubwürdigkeit

Das Thema Glaubwürdigkeit steht im Mittelpunkt des 6. Christlichen Medienkongresses vom 16. bis 18. Januar 2020 in Schwäbisch Gmünd. Als Referenten sind nach Angaben der Veranstalter neben anderen die hannoversche Landessuperintendentin Petra Bahr, die evangelische Youtuberin Jana Highholder, Ex-Manager Thomas Middelhoff sowie Uwe Vetterick, Chefredakteur der "Sächsischen Zeitung", vorgesehen. Auch der Google-Manager und Blogger Matthias Krön sowie der Musiker Dieter Falk hätten zugesagt.

Der Christliche Medienkongress findet alle zwei Jahre statt. Veranstalter sind die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Evangelische Landeskirche in Württemberg sowie verschiedene christliche Medienunternehmen. Zu ihnen zählt auch das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main, Träger der Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd).



Domian bekommt Talk-Sendung im TV

Der WDR-Talker Jürgen Domian bekommt eine TV-Sendung. In der Talkshow "Domian Live" werde sich der "Kult-Talker" ab dem 8. November verschiedensten Gästen und Themen widmen, teilte der WDR am 4. September in Köln mit. Zunächst sind vier Sendungen geplant. Domian soll dabei weder die Gäste noch die Themen kennen, die sie mit ihm besprechen wollen.

"Ich habe die Menschen und das Talken über die unterschiedlichsten Themen sehr vermisst", sagte Domian. Der Moderator und Journalist hat in seinen 22 Jahren bei der 1Live-Talksendung "Domian" mit mehr als 20.000 Anrufern über ihre Sorgen und Probleme gesprochen. Im Dezember 2018 ging er zum letzten Mal mit seiner Sendung On-Air. 2015 wurde Domian mit dem Sonderpreis des Robert-Geisendörfer-Preises der evangelischen Kirche ausgezeichnet.




Entwicklung

Staatliche Garantie für faire Kleidung


Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (rechts) stellte am 9. September in Berlin das Fair-Siegel "Grüner Punkt" vor. Mit dabei waren (von links): EKD-Ratsvorsitzender Heinrich Bedford-Strohm, Tchibo-Chef Thomas Linemayr und die Geschäftsführerin des nachhaltigen Outdoor-Ausrüsters Vaude, Antje von Dewitz.
epd-bild/Christian Ditsch
Ein neues staatliches Siegel soll künftig Kleidung erkennbar machen, die fair produziert ist. Der "Grüne Knopf" wird noch im September eingeführt - doch bis er in den Einkaufsstraßen sichtbar ist, dürfte es noch dauern.

Wer fair hergestellte T-Shirts oder Hosen kaufen möchte, kann künftig nach einem "Grünen Knopf" Ausschau halten. Das staatliche Gütesiegel wird in diesem Monat in Deutschland eingeführt und gewährleistet, dass die Textilien sozial- und umweltverträglich produziert wurden. Über 50 Unternehmen beteiligen sich bislang an der Aktion, die Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am 9. September gemeinsam mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und zwei Unternehmen in Berlin vorstellte.

Tchibo und Otto machen mit

Zu den teilnehmenden Firmen gehört unter anderem Tchibo, wo nach Angaben einer Sprecherin die ersten Produkte mit dem Siegel ab Mitte September online und voraussichtlich ab 8. Oktober in den Geschäften erhältlich sind. Auch die Otto Group wird nach eigenen Angaben den "Grünen Knopf" bei ausgewählten Produkten einführen. Das Entwicklungsministerium steht ferner unter anderem im Kontakt mit den Firmen Hugo Boss und Hess Natur. Der Textil-Discounter KiK kritisierte indes, man habe sich "bereits im Frühjahr für eine Prüfung der Unternehmenskriterien angemeldet und nach einigem Drängen einen Termin erst für Oktober bekommen". Deshalb werde man "frühestens im nächsten Jahr die ersten Textilien mit dem 'Grünen Knopf' verkaufen können", teilte eine Unternehmenssprecherin mit.

Die Bedingungen für den "Grünen Knopf" legt der Staat verbindlich fest - von A wie Abwassergrenzwerten bis Z wie Zwangsarbeitsverbot. Insgesamt müssen 46 ökologische und soziale Kriterien eingehalten und die Lieferketten offengelegt werden. Kontrolliert wird das von anerkannten Prüfstellen wie dem TÜV. Zertifiziert wird für maximal drei Jahre - und alle zwölf Monate werden die Firmen stichprobenartig überprüft. Dabei geht es laut Entwicklungsministerium um das gesamte Unternehmen, nicht nur um einzelne Produkte. Die Beteiligung von Unternehmen am Siegel ist freiwillig.

Starttermin verzögert

Minister Müller freut sich, wenn immer mehr Menschen fragen, ob ihre Kleidung fair produziert worden sei. "Die Menschen wollen kein T-Shirt tragen, das für einen Hungerlohn genäht und mit giftigen Chemikalien gefärbt wurde", sagte er. Mit dem "Grünen Knopf" würden nachhaltige Textilien in den Geschäften sichtbar. Viele Unternehmen zeigten schon heute, dass nachhaltige Mode möglich sei, erklärte Müller.

Der Starttermin hatte sich immer wieder verzögert. Das Ministerium begründete dies damit, dass weitere Unternehmen Interesse an dem Siegel bekundet hatten. Und bei denen muss zunächst noch überprüft werden, ob sie die Kriterien erfüllen. Da das eine gewisse Zeit dauert, werden nur wenige Unternehmen ihre Produkte sofort auszeichnen können. Die Einführungsphase ist bis Ende Juni 2021 vorgesehen.

Der Name ist übrigens etwas irreführend: Es handelt sich nicht um einen richtigen Knopf, sondern um ein Etikett, auf dem "Grüner Knopf" steht - wobei dabei der Buchstabe O von einen aufgemalten grünfarbigen Knopf dargestellt wird.

Bettina Markmeyer und Mey Dudin (epd)


Madagaskar: Papst prangert Korruption und Umweltzerstörung an


Papst Franziskus feierte eine Messe im Nationalstadion in Maputo
epd-bild/Stefan Ehlert
Bei seinem Besuch in Madagaskar benennt der Papst deutlich die Probleme des Landes. Dabei sucht er die Nähe derer, die darunter leiden.

Mit ungewöhnlich scharfen Worten hat Papst Franziskus am Wochenende in Madagaskar Korruption und Umweltzerstörung kritisiert. Korruption sorge für wirtschaftliche Unsicherheit und Armut, betonte er in der Hauptstadt Antananarivo. Umweltzerstörung in dem Inselstaat durch systematische Abholzung der Wälder, die "nur dem Vorteil weniger dient", gefährde die Zukunft der Insel. Franziskus warnte zugleich vor Gewalt, Ausgrenzung, Spaltung und Terrorismus. Armut sei "kein unabänderliches Schicksal" mahnte er am 8. September beim Besuch eines Projekts für ehemalige Müllhaldenbewohner.

Im Zuge der Abholzung werde durch Brände und unkontrollierten Abbau wertvoller Hölzer, Schmuggel und illegale Exporte die Artenvielfalt auf der Vanilleinsel gefährdet, sagte das Kirchenoberhaupt bei einer Begegnung mit Regierungsvertretern und dem diplomatischen Corps am 7. September. Da sich damit aber auch Teile der Bevölkerung das Überleben sicherten, sei es umso wichtiger, umweltverträgliche Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, die die Armut der Menschen beendeten. "Es kann keinen echten ökologischen Ansatz und keine konkrete Umweltschutz-Maßnahme ohne soziale Gerechtigkeit geben, die das Recht garantiert, dass die Güter der Erde allen, der gegenwärtigen wie der zukünftigen Generation zugutekommen." Dabei sei auch die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft nötig.

Projekt für ehemalige Müllhaldenbewohner

Bei der Begegnung mit Regierungsvertretern und dem diplomatischen Corps mahnte der Papst eine bessere Verteilung der Einkommen und Unterstützung insbesondere für die mittellose Bevölkerungsschichten an. Diese dürfe sich jedoch nicht auf Hilfen beschränken, sondern müsse garantieren, dass die Betroffenen aktiv in die Gestaltung der Zukunft einbezogen würden. Mit seinem Besuch bei einem Projekt für ehemalige Müllhaldenbewohner würdigte Franziskus den Erfolg einer Initiative, die mit und für die Betroffenen Schulen, Wohn- und Arbeitsstätten errichtet.

Auf einer Baustelle forderte der Papst angemessene Bezahlung und menschenwürdige Arbeitsbedingungen. In einem Gebet für die dort beschäftigten Arbeiter mahnte er zugleich, Kinder nicht zur Arbeit zu zwingen, damit sie die Schule besuchen könnten, und Lehrer angemessen zu bezahlen, damit sie nicht zusätzlich einer anderen Erwerbstätigkeit nachgehen müssen.

Bei einem Freiluftgottesdienst in der Hauptstadt von Madagaskar warnte das katholische Kirchenoberhaupt vor Gewalt im Namen von Religionen. Glaubensüberzeugungen würden mitunter instrumentalisiert, um Terrorismus, Mord, Vertreibung und Ausgrenzung zu rechtfertigen. Es sei ein Irrtum zu glauben, "dass sich der Zugang zum Himmelreich auf die Bande des Blutes beschränken ließe, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe, einen Clan oder eine besondere Kultur". Auf Interessen und Privilegien einzelner ausgerichtete Gesellschaftssysteme führten zu Günstlingswirtschaft, Klientelismus und Korruption fügte das Kirchenoberhaupt hinzu.

Am 8. September traf Franziskus zudem mit katholischen Kirchenvertretern zusammen. Für den 9. September war ein eintägiger Besuch in Mauritius geplant.



Umarmt, geächtet, abgesetzt: Robert Mugabe ist tot

Als Befreier und Unabhängigkeitskämpfer wurde Robert Mugabe einst gefeiert. In fast vier Jahrzehnten an der Macht verlor der einstige simbabwische Staatschef jedoch seinen guten Ruf und wurde zum Sinnbild eines afrikanischen Despoten.

Robert Mugabe liebte große Sprüche. Er sei bereits mehrere Male gestorben, sagte der Präsident von Simbabwe in einer Radioansprache zu seinem 88. Geburtstag 2012. Damit habe er selbst Christus geschlagen: "Der ist nur einmal gestorben und auferstanden." Seit Jahren hatte es immer wieder Gerüchte gegeben, Mugabe sei tot, doch dann war der langjährige Staatschef wieder auf der Bühne der afrikanischen Politik erschienen. Nun ist Mugabe wirklich im Alter von 95 Jahren gestorben. Das gab sein Nachfolger Emmerson Mnangagwa am 6. September bekannt.

Robert Gabriel Mugabe, am 21. Februar 1924 in der Missionsstation Kutama als Sohn eines Tischlers geboren und zum Lehrer ausgebildet, übernahm die Macht in Simbabwe 1980, als die einstige britische Kolonie Südrhodesien unabhängig wurde. Zuvor hatte er seit den 60er Jahren für die Befreiung des Landes gekämpft. Er wurde verhaftet und verbrachte mehr als zehn Jahre im Internierungslager.

"Ein skrupelloser Führer"

Zu Beginn seiner Regierungszeit, zunächst als Ministerpräsident und ab 1987 als Präsident, propagierte Mugabe die Versöhnung zwischen weißen und schwarzen Bürgern in Simbabwe. Er förderte den Wiederaufbau - und wurde gefeiert als Politiker der Zukunft und als Mann des Ausgleichs, der bei westlichen Staaten beliebt war.

"Simbabwe tauchte jetzt für die Welt als eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte am Horizont auf", schrieb der langjährige Oppositionelle Morgan Tsvangirai in seinen Memoiren. Aber schon damals habe gegolten: "Mugabe war ein skrupelloser Führer." Die Welt übersah, dass ihr Star bereits 1982 mit brutaler Gewalt gegen die Anhänger seines Rivalen Joshua Nkomo im Matabeleland vorging. Schätzungen zufolge wurden dabei 20.000 Menschen getötet.

Im Lauf der Zeit zeigte Mugabe immer mehr das Gesicht eines Despoten, der rücksichtslos Widersacher aus dem Weg räumte und sich mit allen Mitteln an die Macht klammerte. Um die Jahrtausendwende geriet Simbabwe vollends ins Schlingern. Mugabes Leute schikanierten die Opposition, Schlägertrupps wurden auf die Straße geschickt, Aktivisten verhaftet. Oppositionsführer Tsvangirai wurde verletzt und des Hochverrats angeklagt. Tausende militante Anhänger seiner Zanu-PF und Veteranen des Unabhängigkeitskampfes besetzten wegen einer umstrittenen Landreform Bauernhöfe und vertrieben rund 4.000 weiße Farmer.

Auch die Fronten im Verhältnis zum Ausland verhärteten sich. Mugabe ruinierte die Wirtschaft des Landes, führte Simbabwe in die Isolation - und erntete Sanktionen der internationalen Gemeinschaft. Auch eine unter dem Druck des Auslands gebildete Koalition mit der Oppositionspartei "Bewegung für demokratischen Wandel" (MDC) brachte keinen Ausweg aus der politischen und wirtschaftlichen Krise.

Durch und durch korruptes Erbe

Trotz Kritik an der verheerenden Menschenrechtsbilanz und internen Machtkämpfen gelang es Mugabe, an der Macht zu bleiben, wobei die Manipulationsvorwürfe bei Wahlen immer lauter wurden. Nur Gott könne ihn aus seinem Amt abrufen, sagte Mugabe. Er habe den Auftrag, seinem Land zu dienen bis zum Ende.

Doch 2017 verkalkulierte sich der damals 93-Jährige Präsident im Poker um seine Nachfolge, für die seine etwa 40 Jahre jüngere Ehefrau Grace Ambitionen zeigte. Das behagte seinen alten Weggefährten aber nicht. Das Militär entmachtete Mugabe, und bevor das Parlament ihn absetzen konnte, trat er nach 37 Jahren an der Macht zurück.

Die Ära Mugabe war vorbei. Doch von den Folgen seiner jahrelangen Misswirtschaft hat sich das Land noch immer nicht erholt. Mugabe hinterließ ein durch und durch korruptes System. In der einstigen Kornkammer haben die meisten Menschen heute keine geregelte Arbeit, und viele hungern. An Mugabes Erbe haben die 17 Millionen Simbabwer noch schwer zu tragen.

Benjamin Dürr und Silvia Vogt (epd)


Ebola-Epidemie: Guterres beklagt mangelnde internationale Hilfe

UN-Generalsekretär António Guterres hat eine mangelnde internationale Unterstützung im Kampf gegen die tödliche Ebola-Epidemie im Kongo angeprangert. Bislang hätten ausländische Geber nur 15 Prozent der für 2019 zugesagten Gelder tatsächlich bezahlt, erklärte Guterres am 2. September in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa.

Nach einem Treffen mit dem kongolesischen Präsidenten Félix Tshisekedi betonte Guterres, dass die hochansteckende Ebola nur mit großem Finanzaufwand besiegt werden könne. Eine Woche ohne das benötigte Geld konnte zu einer "Niederlage im Krieg mit der Ebola" führen, warnte er.

Der UN-Generalsekretär hatte den Nordosten der Demokratischen Republik Kongo besucht, wo sich seit Sommer 2018 mehr als 3.000 Menschen mit der Fieberkrankheit ansteckten. Mehr als 2.000 der Infizierten starben bei dem zweitgrößten Ebola-Ausbruch in der Geschichte. Die Dunkelziffern an Ebola-Erkrankten und -Toten könnten laut den UN noch weitaus höher liegen.

200.000 Impfungen

Mehr als 200.000 Menschen wurden nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Kongo bereits gegen die Krankheit geimpft, deren Ausbruch Anfang August 2018 erklärt worden war. Die WHO, die Regierung und Hilfsorganisationen müssen spezielle Behandlungszentren für Patienten einrichten.

Der tödliche Erreger wird der WHO zufolge durch Körperflüssigkeiten übertragen und breitet sich vor allem in den kongolesischen Provinzen Nordkivu und Ituri aus. Einige Fälle seien auch aus der Provinz Südkivu gemeldet worden.

Die Kampagne gegen die Epidemie wird durch Kämpfe zwischen Milizen und Banden sowie ein erhebliches Misstrauen der Bevölkerung behindert. Gesundheitseinrichtungen und medizinisches Personal werden immer wieder Zielscheiben bewaffneter Gruppen.

Beim bislang schwersten Ebola-Ausbruch in der Geschichte erkrankten zwischen 2013 und 2016 in den westafrikanischen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone mehr als 28.000 Menschen. Rund 11.300 starben.



Verhandlungen zwischen USA und den Taliban gescheitert

Wieder einmal sind Bemühungen, Afghanistan zu befrieden, gescheitert. Im September wählt das Land seinen Präsidenten neu. Die Gewalt könnte eher zu- als abnehmen.

Afghanistan steht nach dem Scheitern eines Friedensabkommens zwischen den aufständischen Taliban und den USA vor einer ungewissen Zukunft. US-Präsident Donald Trump erklärte am 8. September per Twitter, er habe ein geplantes Geheimtreffen zwischen der Taliban-Führung, dem afghanischen Präsidenten und ihm im amerikanischen Camp David abgesagt. Dies sei die Reaktion auf einen Anschlag in Kabul, bei dem ein US-Soldat und weitere elf Menschen getötet worden seien. "Ich habe das Treffen sofort abgesagt und die Friedensgespräche aufgekündigt."

Die afghanische Regierung machte die Taliban für das Scheitern der Gespräche verantwortlich. Präsident Aschraf Ghani und weitere Regierungsvertreter waren getrennt von den Taliban in die USA eingeladen gewesen, hatten die Reise jedoch nicht angetreten. Die Taliban haben es stets abgelehnt, mit Regierungsvertretern zu verhandeln.

Unklarheit über Fortsetzung der Gespräche

Das Land wünsche sich einen "würdevollen Frieden", hieß es in einer Erklärung der Regierung laut dem TV-Sender Tolo News. Die Anschläge und Angriffe der Taliban seien das größte Hindernis bei den Friedensbemühungen. Echter Frieden sei nur möglich, wenn die Taliban aufhörten, Afghanen zu töten, einen Waffenstillstand akzeptierten und zu direkten Verhandlungen mit der afghanischen Regierung bereit seien. Den von Trump erwähnten Anschlag verübten die Islamisten am 5. September in der Nähe der US-Botschaft.

Vor knapp einer Woche hatte der US-Sonderbeauftragte Zalmay Khalilzad den Friedensplan zwischen den USA und den Taliban in Grundzügen präsentiert. Demnach sollten die USA in den kommenden fünf Monaten rund 5.000 amerikanische Soldaten aus Afghanistan abziehen. Im Gegenzug sollen die Taliban ihre Angriffe verringern und Terrororganisationen wie Al-Kaida keinen Schutz bieten. Nun ist unklar, ob die ohnehin schwierigen Gespräche nochmal aufgenommen werden können. Die Taliban haben für die Ende September anstehende Präsidentschaftswahl bereits mit Anschlägen auf Wahllokale und Wähler gedroht.

Camp David, das Feriendomizil amerikanischer Präsidenten unweit von Washington, war in der Vergangenheit Schauplatz wichtiger Friedensgespräche. Die Einladung der Talibanführung an den historisch bedeutsamen Ort, sorgte für Irritation. Verhandlungsführer Mulllah Baradar ist ein Gründungsmitglied der Taliban, die in Afghanistan zwischen 1996 und 2001 ein Schreckensregime führten und nach 2001 Tausende Menschen getötet haben. Das Treffen hätte kurz vor dem Jahrestag des Attentats auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 abgehalten worden. Der Anschlag, bei dem fast 3.000 Menschen ums Leben kamen, war der Auftakt für den Krieg gegen die Taliban in Afghanistan.

Neun Verhandlungsrunden

Die geplante Vereinbarung zwischen den USA und den Taliban hatte international, in Afghanistan und den USA für heftige Kritik gesorgt. Es herrschte die Sorge, dass die islamistischen Aufständischen auf diese Weise zurück an die Macht kommen würden. Da die Regierung in Kabul nicht in die Verhandlungen einbezogen war, enthielt die Vereinbarung keinerlei Regelungen über einen Waffenstillstand zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Aufständischen.

Die USA und die Taliban haben insgesamt neun Verhandlungsrunden im Wüstenemirat Katar abgehalten, um den 18-jährigen Konflikt am Hindukusch beizulegen. Obwohl die offizielle Nato-Kampfmission schon im Dezember 2014 endete, sind immer noch mehr als 20.000 US-und Nato-Truppen in Afghanistan stationiert. Im Vorjahr starben 3.812 Zivilisten an den Folgen von Kampfhandlungen - mehr als ein Drittel der Opfer waren Kinder.



Bangladesch schaltet Mobilfunknetz in Flüchtlingslagern ab

Die Behörden in Bangladesch wollen die Mobilfunknetze in Flüchtlingslagern der Rohingya stundenweise abschalten. Der Zugang werde zwischen 17.00 Uhr und 5.00 Uhr gesperrt, berichtete die bangladeschische Zeitung "Daily Star" am 3. September. Zudem dürfen Flüchtlinge demnach keine SIM-Karten für ihre Handys mehr kaufen. Die Betreiber hätten bis kommende Woche Zeit, um die Anordnungen umzusetzen. Die Telekommunikationsbehörde begründete das Vorgehen mit Sicherheitsbedenken.

Vor knapp zwei Wochen hatte Außenminister A.K. Abdul Momen erklärt, man wolle es den Rohingya "weniger behaglich" machen, damit sie einwilligten, nach Myanmar zurückzukehren. Nach November 2018 war am 22. August ein zweiter Versuch zur Rückführung gescheitert.

Mehr als 700.000 Rohingyas flohen ab Ende August 2017 nach Bangladesch, nachdem die Armee Myanmars eine brutale Offensive gegen die muslimische Volksgruppe begonnen hatte. Seitdem leben die meisten von ihnen unter verheerenden Bedingungen in Lagern Nahe der Küstenstadt Cox' Bazar. UN-Ermittler und Menschenrechtler werfen Myanmar Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.