Der Kirchraum ist hell, runde hölzerne Schirme an der Decke bilden ein prägendes Element. Vorn im Altarraum scheint das Licht seitlich auf die Stirnwand, die sich wie ein Vorhang in Falten wölbt. "Es ist, als ob starre Formen aufgelöst sind und Freiheit zu spüren ist", sagt Kirchenvorsteherin Elisabeth Stöckel. Mit der 1968 eingeweihten Stephanuskirche des finnischen Architekten Alvar Aalto (1898-1976) in Wolfsburg öffnete am 8. September zum "Tag des offenen Denkmals" ein herausragendes Bauwerk der Internationalen Moderne in Deutschland seine Türen.

Unter dem Motto "Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur" präsentieren sich bundesweit rund 8.000 historische Baudenkmäler, Parks oder archäologische Stätten. Anlässlich des 100. Bauhaus-Jubiläums stehen dabei Denkmäler im Fokus, die revolutionäre Ideen oder technische Fortschritte repräsentierten. Als Alvar Aalto in Wolfsburg tätig war, galt er neben Le Corbusier und Mies van der Rohe als eine weltweit anerkannte Symbolfigur moderner Architektur.

Zeichen des Nachkriegs-Booms

Weltweit gibt es sieben Kirchen nach seinen Entwürfen: vier in Finnland, eine in Italien und mit Stephanus und der schon 1962 fertiggestellten Heilig-Geist-Kirche gleich zwei evangelische Kirchen in Wolfsburg. Sie stehen für den Boom, den die 1938 als Sitz des Volkswagenwerks gegründete Stadt in der Nachkriegszeit erlebte. Die Stephanuskirche sei als multifunktionales Zentrum mitten im Stadtteil Detmerode vom Geist der 68er geprägt gewesen, sagt Pastorin Anke Döding. Zugleich wird in Wolfsburg deutlich, vor welche Herausforderungen Denkmale der Nachkriegszeit die Eigentümer heute stellen.

Elisabeth Stöckel greift zum von Aalto gestalteten Türgriff aus Bronze. Sie tritt aus dem Gottesdienstraum direkt auf den Marktplatz in Detmerode. Vis-à-vis liegen eine Bäckerei und ein Drogeriemarkt. Abgesehen vom Turm aus Betonstreben und der mit strahlend weißem Carrara-Marmor verkleideten Fassade fügt sich die Kirche ins Ensemble ein. "Der Stadtteil ist zwischen 1962 und 1969 in einem Guss auf der grünen Wiese entstanden", sagt die Kirchenvorsteherin. "Junge Familien aus allen Gegenden der Republik zogen damals her."

Pastorin Döding hört noch heute von der Zeit, in der sich bis zu 250 Konfirmanden in einem Jahrgang tummelten. 8.000 Mitglieder hatte die Gemeinde damals, heute sind es noch rund 2.500. Inzwischen nutzten auch andere Träger die Kirche, etwa für Integrationskurse. "Wir haben viel Raum."

Die Muttergemeinde Heilig-Geist, von der sich Detmerode zu Zeiten des Wachstums abspaltete, ist inzwischen mit zwei anderen Kirchengemeinden fusioniert. Ihre ebenfalls von Aalto entworfene Kindertagesstätte stehe seit fünf Jahren leer, sagt der Leiter des zuständigen Amtes für Bau- und Kunstpflege in Celle, Stefan Kunkel. "Es gab dort Schimmelbefall." Eine Sanierung verzögere sich, weil sich Anforderungen geändert hätten und die Finanzierung nicht gesichert sei.

"Frei gestaltender Künstler"

Die Baumaterialien der Moderne stellen die Gemeinden auch vor Herausforderungen. Für die beiden Wolfsburger Kirchen seien unter anderem die Außenfassaden mit geschlämmten, gestrichenen Ziegeln charakteristisch, sagt Kunkel. "Sie sind eingepackt in eine weiße Hülle." Die Kirchen sind ohne Dämmung gebaut. Bei einem so hochkarätigem Denkmal sei eine nachträgliche Außendämmung nicht möglich und eine energetische Sanierung extrem aufwendig.

Die Heilig-Geist-Kirche wurde gleichzeitig mit dem Kulturzentrum in der Stadtmitte errichtet, für das Aalto 1958 den Wettbewerb gewann. So erreichte die Gemeinde eine beachtliche Kostensenkung, wie die Kirchen-Chronik vermerkt. Neben seiner Kirche im finnischen Vuoksenniska zähle sie zu den spektakulärsten Aalto-Bauten, schreibt der Kunsthistoriker Holger Brülls. "Beide Kirchen lassen erkennen, dass Aalto kein Zweckdenker war, sondern frei gestaltender Künstler."