Nach dem hundertfachen Kindesmissbrauch in Lügde sind die Hauptangeklagten zu Freiheitsstrafen von 13 und zwölf Jahren verurteilt worden. Die beiden Verurteilten sollen anschließend in eine Sicherungsverwahrung, wie das Landgericht Detmold am 5. September bei der Urteilsverkündung erklärte. (AZ: 23 KLs 14/19) Zustimmung für die Urteile kamen von dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung sowie von Politikern der Bundes- und Landespolitik. Zugleich wurde als Konsequenz mehr Schutz für Kinder und eine Aufarbeitung der Ermittlungspannen gefordert.

Laut Gericht haben der 56-jährige Andreas V., der auf einem Campingplatz im lippischen Lügde nahe der Landesgrenze zu Niedersachsen lebte, und der 34-jährige Mitangeklagte Mario S. sich in rund 400 Fällen des Kindesmissbrauchs schuldig gemacht. "Diesen Menschen haben Sie unermessliches Leid zugefügt", sagte die Vorsitzende Richterin Anke Grudda bei der Urteilsverkündung. Das Gericht habe bei beiden Tätern nicht den Eindruck, dass ihnen bewusst sei, welch schwere Schuld sie auf sich geladen hätten.

Geständnisse wirken strafmildernd

Dass die beiden Männer nicht die 15-jährige Höchststrafe erhielten, begründete Grudda unter anderem mit den Geständnissen der Männer. Dadurch sei es vielen Kindern und Jugendlichen erspart worden, vor Gericht noch einmal detailliert die Übergriffe schildern zu müssen. Auch seien beide Männer nicht vorbestraft. Ein 49-jähriger Mitangeklagter aus dem niedersächsischen Stade war in einem abgetrennten Verfahren bereits am 17. Juli wegen Anstiftung zum schweren Missbrauch und Beihilfe zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden (AZ: 23 KLs 20/19).

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, begrüßte die hohen Haftstrafen. Das Gericht habe das mögliche Strafmaß weitgehend ausgeschöpft und damit "auch das wichtige Signal gesendet, dass der Rechtsstaat diese schweren Verbrechen an Kindern hart bestraft", erklärte Rörig in Berlin.

Auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) bezeichnete das Urteil als ein "gutes Signal". Zugleich komme es darauf an, mehr für die Prävention zu tun, sagte sie in Berlin. "Was wir brauchen, ist eine stärkere Arbeit in den Ländern", sagte sie und unterstützte die Forderung des Missbrauchsbeauftragten Johannes-Wilhelm Rörig nach Missbrauchsbeauftragten in den Ländern.

Behörden wird Versagen vorgeworfen

Die Deutsche Kinderhilfe forderte ebenfalls weitere Konsequenzen für den Kinderschutz. Um Fehlerquellen zu identifizieren, müssten die Strukturen von Polizei und Jugendamt im Umgang mit Kinderschutzfällen untersucht werden, erklärte die Kinderhilfe in Berlin. Nötig seien zudem spezielle Fachkräfte für den Bereich sexueller Gewalt.

NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) erklärte, mit den Urteilen bestehe die Hoffnung, dass von den Tätern keine Gefahr mehr ausgehe. Zugleich sprach er sich erneut für eine Verschärfung des Strafrechts bei sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen aus: "Hier werden Menschenleben zerstört, und das muss sich auch im Strafrecht niederschlagen", sagte Stamp am 5. September im Familienausschuss des Düsseldorfer Landtages. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte dem Bielefelder "Westfalen-Blatt": "Wir müssen schneller und besser werden, um diese monströsen Taten in Zukunft zu verhindern."

Die Grünen-Fraktion im NRW-Landtag forderte ein Präventionsgesetz für Nordrhein-Westfalen, das die Zusammenarbeit der einzelnen Stellen verbindlich festschreibe, sowie eine Kinderschutzkommission. Zudem sei nun schonungslose Aufklärung über das Versagen bei Polizei und Jugendämtern nötig, erklärte die jugendpolitische Sprecherin Verena Schäffer. Das sei nun Aufgabe des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Auch die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag sprach sich für die Einrichtung einer Kinderschutzkommission aus.

Der Polizei und den Jugendbehörden im Kreis Lippe wird massives Versagen vorgeworfen. So sollen die Behörden vorliegenden Hinweisen auf pädophile Täter jahrelang nicht nachgegangen sein. Die Vorwürfe richten sich auch gegen den benachbarten Landkreis Hameln-Pyrmont.