Hunderte Male hat Anita Lasker-Wallfisch schon vor Jugendlichen von ihrer Zeit in den Lagern in Auschwitz und Bergen-Belsen berichtet und aus ihrem Buch gelesen. Und sie will damit weitermachen: "Bis ich tot umfalle", hat sie einmal gesagt. Als eine "starke Streiterin gegen den Antisemitismus" hat die Deutsche Nationalstiftung die 94-Jährige am 3. September in Berlin mit dem mit 30.000 Euro dotiertem Nationalpreis 2019 ausgezeichnet.

Seit 1994 nehme sie immer wieder große Anstrengungen auf sich, um Schüler in Deutschland über die Gräuel der Nazi-Zeit zu informieren, erklärte die Nationalstiftung. Lasker-Wallfisch, die zu den immer weniger werdenden Überlebenden des Holocaust gehört, sieht darin auch eine Pflicht der letzten Zeugen. "Wir sind die Stimmen der Menschen, die man umgebracht hat", so hat sei es einmal formuliert.

Zwangsarbeit und Auschwitz

Anita Lasker-Wallfisch kann viel bezeugen. Als jüngste von drei Töchtern aus bildungsbürgerlichem Haus erlebt sie, wie die Familie nach und nach ihrer Rechte beraubt wird. Der Vater Alfons Lasker, ein angesehener Rechtsanwalt, bemüht sich ebenso verzweifelt wie vergeblich, aus Deutschland herauszukommen. Im April 1942 werden die Eltern deportiert und später ermordet. Während die älteste Schwester schon früher nach England emigriert ist, sind die beiden jüngeren, Anita und Renate, auf sich gestellt.

Die damals 16- und 17-Jährigen müssen Zwangsarbeit in einer Papierfabrik leisten. Sie fälschen Pässe, um doch noch zu entkommen, werden erwischt und landen im Gefängnis. Später werden sie getrennt voneinander nach Auschwitz gebracht. Weil Anita kurz nach ihrer Ankunft beiläufig erwähnt, dass sie Cello spielt, wird sie Mitglied im Frauenorchester des Lagers. Das rettet ihr und ihrer Schwester das Leben.

Auch als sie später in das Konzentrationslager Bergen-Belsen bei Celle deportiert werden, geben die beiden einander Halt. In dem überfüllten Lager in der Lüneburger Heide herrschen Hunger, Durst und Seuchen vor. "Auschwitz war ein Lager, in dem man Menschen systematisch ermordete", schreibt Lasker-Wallfisch in ihren Lebenserinnerungen: "In Belsen krepierte man einfach."

Karriere als Cellistin

Als britische Truppen das Lager am 15. April 1945 befreien, finden sie Tausende unbestatteter Leichen und Zehntausende todkranker Menschen vor. Fünf Monate nach der Befreiung erhebt ein britisches Militärgericht Anklage gegen die Täter. Anita Lasker-Wallfisch ist als Zeugin in dem Prozess vorgeladen, den sie als Farce erlebt, wie sie schreibt. Ein Verbrechen wie der Massenmord an Millionen von Menschen stehe außerhalb jedes Gesetzes.

Anita wandert schließlich nach England aus. Sie heiratet den Pianisten Peter Wallfisch, mit dem sie zwei Kinder hat. Sie macht als Cellistin Karriere und ist Mitbegründerin des Englisch Chamber Orchestra. Lange hat Anita Lasker-Wallfisch über ihre Erinnerungen geschwiegen. Fast ein halbes Jahrhundert nach ihrer Befreiung hat sie dann ihre Erfahrungen zunächst für ihre Kinder und Enkel aufgeschrieben. Das Buch "Ihr sollt die Wahrheit erben" erschien 1997 erstmals auch auf Deutsch.

Auch um das Gedenken für die Zukunft zu bewahren, hat sie Vorkehrungen getroffen. Sie hat an einem Hologramm-Projekt teilgenommen. Zeitzeugen werden bei der Beantwortung Hunderter Fragen von bis zu 50 Kameras gefilmt. Später werden die Aufnahmen zu einem zwei- oder dreidimensionalen Hologramm zusammengestellt. Auf eine Bühne projiziert, scheint es, als sitze der Überlebende tatsächlich dort.