sozial-Politik

Bundestag

Ausbildung in der Pflege wird stärker vereinheitlicht




Altenpflegerin in der Ausbildung
epd-bild/Werner Krüper
Zunächst hat die Koalition die Leistungen für Pflegebedürftige erhöht. Nun setzt sie mit der Reform der Pflegeausbildung auf eine Aufwertung des Berufs. Ziel ist es, dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen.

Die Berufsbilder in der Pflege verändern sich. Der Bundestag hat am 22. Juni in Berlin die Weichen für eine Vereinheitlichung der Ausbildung gestellt. Ein generalistischer Abschluss soll Pflegekräften mehr Wechsel- und Aufstiegsmöglichkeiten eröffnen. Ziel der Koalition aus Union und SPD ist es, den Beruf attraktiver zu machen, um dem Personalmangel in der Pflege zu begegnen. Die Opposition bezweifelte, dass das Ziel erreicht werde und stimmte gegen das Gesetz. Es werde Ausbildungseinrichtungen und Pflegeschülern neue Probleme bescheren.

Überprüfung nach sechs Jahren

Von 2020 an soll es eine generalistische Ausbildung zur Pflegefachfrau und zum Pflegefachmann geben. Absolventen mit diesem Abschluss können in allen Bereichen der Pflege arbeiten. Gleichzeitig bleiben die Abschlüsse in der Kinderkranken- und Altenpflege vorläufig erhalten. Nach sechs Jahren soll das Parlament im Jahr 2026 überprüfen, ob sie weiterhin notwendig sind.

Union und SPD hatten sich darauf erst nach über einjährigen Verhandlungen verständigt. Zunächst war geplant, dass es ausschließlich die einheitliche Ausbildung für alle Pflegekräfte geben sollte. Der Unterhändler der Union, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Georg Nüßlein (CSU), sprach von einem schwierigen Prozess, für den aber nicht Streit in der Koalition verantwortlich gewesen sei. Vielmehr sei "die Fachwelt tief gespalten", und man sei mit dem Kompromiss auf die Kritik insbesondere aus der Altenpflege-Branche eingegangen.

Wegen der langwierigen Beratungen entscheidet erst der nächste Bundestag über die Lerninhalte und die praktische Ausgestaltung der Ausbildung. Die scheidende pflegepolitische Sprecherin der Grünen, Elisabeth Scharfenberg, warf der Koalition vor, grundlegende Änderungen herbeizuführen, die Millionen von Menschen beträfen, ohne Details vorweisen zu können: "Wir beschließen ein Gesetz, dessen Inhalt wir nicht kennen", sagte die Oppositionspolitikerin.

Zwei Jahre gemeinsames Lernen

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach, der den Kompromiss mit ausgehandelt hatte, hielt der Opposition entgegen, Deutschland gehöre in Europa zu den letzten Ländern, die die Ausbildung noch nicht vereinheitlicht haben. Angesichts von 50.000 zusätzlichen Pflegebedürftigen jedes Jahr würden aber Pflegekräfte gebraucht, die alte Menschen im Krankenhaus und kranke Menschen im Altenheim gleichermaßen versorgen könnten.

Künftig sollen alle Auszubildenden in der Pflege zwei Jahre lang gemeinsam lernen und sich dann für die Fortsetzung der generalistischen Ausbildung oder die Spezialisierung auf Kinderkranken- oder Altenpflege entscheiden können. Ein berufsqualifizierendes Pflegestudium soll die Aufstiegsmöglichkeiten für Pflegekräfte verbessern.

"Ein großer Schritt"

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) warben für den Kompromiss. Barley sagte, die Reform der Pflegeberufe sei "ein großer Schritt zur Aufwertung der sozialen Berufe", in denen vorwiegend Frauen tätig seien. Mit dem Gesetz wird spätestens 2020 auch das Schulgeld in der Altenpflege überall abgeschafft und die Ausbildungsvergütung verbessert. Gröhe nannte es einen "Aberwitz", dass in Mangelberufen überhaupt noch Schulgeld erhoben werde.

Der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen. Aus der Pflegebranche kommen weiterhin unterschiedliche Reaktionen. Während der Deutsche Caritasverband bedauerte, dass sich die Generalistik nicht komplett durchsetzen konnte, wollen die privaten Arbeitgeber in der Pflege die eigene Altenpflegeausbildung erhalten und fürchten, dass die Altenpflegeschulen keine Zukunft haben.

Jedes Jahr beginnen mehr als 100.000 Menschen eine Ausbildung in der Pflege. Das sind aber zu wenige. Allein die Alterung der Gesellschaft könnte nach Angaben der Bundesregierung dazu führen, dass schon 2025 bundesweit 200.000 Pflegekräfte fehlen.

Bettina Markmeyer


Hintergrund

Reform der Pflegeausbildung: Die wichtigsten Änderungen



Der Bundestag hat am 22. Juni in Berlin das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe verabschiedet. Von 2020 an wird ein generalistischer Ausbildungsgang mit einheitlichem Berufsabschluss eingeführt. Parallel bleiben die Abschlüsse in der Alten- und Kinderkrankenpflege vorläufig erhalten. Der Bundesrat muss dem Gesetz noch zustimmen. Die wichtigsten Änderungen:

- Die Ausbildungen in der Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege werden zu einer neuen generalistischen Pflegeausbildung zusammengeführt. Der einheitliche Berufsabschluss lautet "Pflegefachfrau" und "Pflegefachmann". Er berechtigt Absolventinnen und Absolventen, in allen Bereichen der Pflege zu arbeiten und gilt auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

- Parallel kann die dreijährige Ausbildung weiterhin mit einem Abschluss in Kinderkranken- oder Altenpflege abgeschlossen werden. Das letzte Ausbildungsjahr dient dann der Spezialisierung. Diese Pflegekräfte können jeweils nur in ihrem Bereich arbeiten.

- Zugang zur dreijährigen Pflegeausbildung haben alle Interessenten mit einer zehnjährigen Schulbildung. In den ersten beiden Jahren lernen sie zusammen, in der zweiten Hälfte des zweiten Ausbildungsjahres können sie sich dann für einen spezialisierten Abschluss entscheiden.

- Wer die generalistische Ausbildung nach zwei Jahren beendet, erwirbt einen Abschluss als Pflegeassistent/in.

- Hauptschüler und -schülerinnen mit einem neunjährigen Schulabschluss können nur die Ausbildung zum Pflegeassistenten beginnen. Wollen sie sich später zur Fachkraft ausbilden lassen, ist dies möglich, wenn sie die Ausbildung zum Helfer abgeschlossen haben. Sie beginnen von neuem, es wird aber die erste Ausbildungszeit ganz oder zum Teil angerechnet.

- Das Schulgeld wird überall abgeschafft. Durch ein Umlageverfahren sollen alle Pflegeeinrichtungen an den Ausbildungskosten beteiligt werden. Die Pflegeschülerinnen und Schüler sollen eine angemessene Ausbildungsvergütung geben. Sie lernen an Pflegeschulen und an mehreren Einsatzorten in der Praxis.

- Es wird ein berufsqualifizierendes Pflegestudium eingeführt und festgelegt, welche Aufgaben in der Pflege den akademisch ausgebildeten Pflegekräften vorbehalten werden.

- Die neuen Regeln sollen von Januar 2020 an gelten. Ausbildungen, die bis Ende 2019 nach heutigem Recht begonnen werden, werden auch noch nach diesem Recht abgeschlossen.

- Nach sechs Jahren soll der Bundestag anhand der Ausbildungszahlen entscheiden, ob die Abschlüsse in der Alten- und Kinderkrankenpflege weiter bestehen bleiben sollen.

Bettina Markmeyer


Jugend

Engagement

Mitmischen oder abhängen - das ist für junge Menschen die Frage




Thekendienst im Würzburger Jugendzentrum
epd-bild/Pat Christ
Die Jugend ist wie die gesamte Gesellschaft geteilt: Die einen engagieren sich politisch, die anderen interessieren sich nur fürs Private. Studien zeigen: Mit der wachsenden sozialen Ungleichheit in Deutschland nimmt das Engagement ab.

Heute Abend treten Chima Ede und Ahzumjot auf. Auch Eva Uckermann, Lukas Harjung, Ricarda Gräf und Gabriel Krapf lassen sich das HipHop-Konzert im Würzburger Jugendzentrum Bechtolsheimer Hof nicht entgehen. Doch sie sind nicht nur gekommen, um abzuhotten. Sie helfen mit. Vor und hinter der Bühne, an der Kasse, an der Theke. Freiwillig. Einfach, weil es sich um "ihr" Jugendzentrum handelt. Und weil es "echt cool" ist mitzumachen.

Deutscher Verein beobachtet Rückzug ins Private

Im Bechtolsheimer Hof bringen sich viele Jugendliche aktiv ein. "Wir haben immer um die 40 Ehrenamtliche", sagt Einrichtungsleiterin Linda Grauschopf. Das, ergänzt ihr Kollege Kilian Schick, ist ungewöhnlich. In vielen Einrichtungen für Jugendliche liegt die Beteiligung deutlich niedriger.

Lukas Harjung vom Jugendzentrumsrat sagt, dass sich die meisten seiner Altersgenossen kaum irgendwo engagieren: "Immer weniger interessiert das." Damit bestätigt der 23-Jährige eine Beobachtung, die große Organisationen wie der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge umtreibt. Nicht nur Jugendliche ziehen sich zurück, auch viele Erwachsene nehmen wenig am sozialen oder politischen Leben teil. Die Haltung: "Da kann man eh nichts machen!" greife um sich. Das führt nach Auffassung des Deutschen Vereins dazu, dass sich gesellschaftliche Konflikte verhärten und der gesellschaftliche Zusammenhalt bedrohlich schwindet.

Auch Ricarda Gräf vom Jugendzentrumsrat des Bechtolsheimer Hofs kennt kaum Gleichaltrige, die sich irgendwo einbringen. "Das liegt aber auch daran, dass so wenig Zeit ist", meint die 20-Jährige, die gerade eine Lehre zur Bestattungsfachkraft durchläuft. "Rici", wie Ricarda genannt wird, ist es wichtig, sich zu engagieren. Das war vor wenigen Jahre allerdings auch noch anders: "Da habe ich hier nur herumgesessen und den anderen zugehört." Irgendwann ließ sie sich anstecken. Sie wollte im JUZ nicht mehr nur abhängen. Seit zwei Jahren engagiert sie sich im Jugendzentrumsrat.

"Politik ist völlig unverständlich"

Während sich Rici ein sozial passives Leben nicht mehr vorstellen könnte, sind ihr die Türen zum politischen Engagement noch verschlossen. Sie findet Politik "völlig unverständlich". "Mich interessiert eine Schlagzeile, da beginne ich zu lesen, steige aber nach wenigen Sätzen wieder aus, weil ich so viele Begriffe nicht kapiere", sagt die junge Frau.

Eva Uckermann vom Jugendzentrumsrat weiß genau, was Rici meint: Auch sie habe lange in der Schule nichts davon gehört, wie Politik funktioniert. Jetzt ist die 20-Jährige auf der Fachoberschule: "Zum ersten Mal lerne ich was Nützliches, nämlich unser politisches System kennen." Eva hat nun fest vor, im September zur Bundestagswahl zu gehen: "Denn ich glaube, dass auch meine Stimme zählt." Dass man etwas bewegen kann, wenn man sich engagiert, hat die junge Frau durch ihre JUZ-Arbeit erfahren. So sei die "Integrative Refugees Welcome Disco" für junge Flüchtlinge, die sie im vergangenen Jahr mitorganisiert hatte, ein toller Erfolg gewesen.

Gabriel Krapf engagiert sich ebenfalls intensiv. Der 21-Jährige ist auch politisch interessiert, stellt aber ernüchtert fest: "Ich finde, Politiker kommen nicht überzeugend rüber." Dass sich immer mehr Menschen politisch und gesellschaftlich verabschieden, kann der Jugendliche jedoch nicht nur aus diesem Grund nachvollziehen. "Woher soll man denn Zeit haben, sich zu informieren und zu engagieren, wenn man Leiharbeitsjobs hat und sich die ganze Zeit damit herumschlagen muss, wie man die Familie ernährt", meint er.

Scham und Zweifel

Damit sprich Gabriel Krapf etwas Wahres aus, wie Dieter Kaufmann vom Diakonischen Werk Württemberg bestätigt. Vor allem arme Menschen neigen nach der Beobachtung des Vorstandsvorsitzenden der Diakonie dazu, sich zurückzuziehen. Engagement scheitere in diesem Fall allerdings nicht allein an mangelndem Geld: "Sondern auch daran, dass sich viele dieser Menschen ihrer Lebenslage schämen."

Gleichzeitig glauben sie nicht mehr, dass politisches Engagement etwas bringt, zeigt die Studie "Demokratie ohne Langzeitarbeitslose" der Universität St. Gallen. Langzeitarbeitslose sind demnach so sehr von der Politik enttäuscht, dass die Idee, wählen zu gehen, für viele völlig abwegig ist.

Auf diese Haltung ist auch der Politikwissenschaftler Armin Schäfer von der Uni Osnabrück gestoßen. Er hat für den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung Folgendes festgehalten: "Personen mit geringerem Einkommen verzichten auf politische Partizipation, weil sie Erfahrungen machen, dass sich die Politik in ihren Entscheidungen weniger an ihnen orientiert." Aus der im April veröffentlichten Endfassung des Armutsberichts wurde der Satz allerdings entfernt.

Pat Christ, Markus Jantzer


Jugendhilfe

Interview

"Wichtiger Etappenschritt der kulturellen Öffnung"




Cornelia Rundt
epd-bild/Tom Figiel
Niedersachsen hat zum ersten Mal einen türkischen Verein als Träger der Jugendhilfe anerkannt. Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) sieht das Land auf dem richtigen Weg der interkulturellen Öffnung. Im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) bezweifelt sie den Sinn der Gründung eines muslimischen Wohlfahrtsverbandes.

Für die Ministerin ist die Anerkennung der "Föderation der türkischen Elternvereine in Niedersachsen" ein "hervorragendes Beispiel für die gesellschaftliche Öffnung einer migrantischen Organisation auf der einen und für die interkulturelle Öffnung eines Regelsystems auf der anderen Seite". So gelinge Integration und eine volle gesellschaftliche Teilhabe werde ermöglicht. Dazu bedürfe es auch keines muslimischen Wohlfahrtverbandes, vorausgesetzt, "die bestehenden Verbände machen deutlich, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft bei ihnen willkommen sind". Die Fragen an die Ministerin stellte Dirk Baas.

epd sozial: Frau Ministerin Rundt, die "Föderation der türkischen Elternvereine in Niedersachsen" ist als erste landesweit tätige Migrantenorganisation als Träger der Jugendhilfe anerkannt worden. Wie viele Jahre hat das gedauert?

Cornelia Rundt: Das Aufnahmeverfahren dauerte rund zwei Jahre. Es hat mich gefreut, als ich das entsprechende Dokument übergeben konnte.

epd: Der Verein war kein unbekannter...

Rundt: Das stimmt. Die Föderation der türkischen Elternvereine in Niedersachsen ist seit Oktober 2016 Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband. Über diese Mitgliedschaft erlangte der verein nun die Anerkennung als freier Träger der Jugendhilfe.

epd: Beide Seiten, also die migrantische Organisation, aber auch das staatliche System der Kinder- und Jugendhilfe, müssen sich öffnen. Sind hier besonders dicke Bretter zu bohren?

Rundt: Unsere soziale Infrastruktur muss weiter und intensiver interkulturell geöffnet werden. Das ist ein fortlaufender Prozess. Die Anerkennung von FöTEV als freier Träger der Jugendhilfe ist als wichtiger Etappenschritt in der kulturellen Öffnung zu sehen. Ich wünsche mir, dass dieser Prozess in allen migrantischen Organisationen und Regelsystemen weiter vorangetrieben wird.

epd: Noch ist es ein Novum, mit einem muslimischen Verein zu kooperieren. Was erwarten Sie sich davon mit Blick auf die Integration von Muslimen und deren Ankommen in der deutschen Gesellschaft?

Rundt: Zuerst eine Anmerkung: FöTEV ist ein landesweiter Dachverband von migrantischen Elternvereinen. Diese Vereine engagieren sich im Bereich Erziehung und Bildung. FöTEV ist überparteilich, nicht religiös, an keine Ethnie gebunden und setzt sich landesweit für die Interessen der Familien mit Zuwanderungsgeschichte ein. Daher kann FöTEV nicht mit einem muslimischen Verein gleichgesetzt werden. Er definiert sich auch nicht als islamischer Verein. Mein Ministerium kooperiert konstruktiv und vertrauensvoll seit der Vereinsgründung im Jahre 2012 mit FöTEV als einem weiteren wichtigen Akteur im Bereich Migration und Teilhabe.

epd: Noch ist er aber in einer Sonderrolle.

Rundt: Ja, aber es ist es für die Landesregierung nichts Außergewöhnliches, mit einem muslimischen Verein zu kooperieren. Wir arbeiten etwa im Bereich der Salafismusprävention mit den Verbänden DITIB und Schura zusammen. Unsere Kooperation mit islamischen Vereinen beziehungsweise Verbänden reicht weit in die 2000er Jahre zurück. Der intensive Dialog ist für mich eine zentrale Voraussetzung für gelingende Integration.

epd: Stehen weitere Anerkennungen bevor, womöglich auch in anderen Feldern der sozialen Arbeit?

Rundt: Mir sind derzeit keine weiteren Anerkennungsverfahren bekannt. Perspektivisch wird es aber natürlich dazu kommen.

epd: Ist Niedersachsen hier bundesweiter Vorreiter oder haben Sie Kenntnis von bereits erfolgten Anerkennungen in anderen Bundesländern?

Rundt: Wir haben hier Neuland beschritten, und mit einer Politik, die Muslime unter Generalverdacht stellt, Schluss gemacht.

epd: Wir brauchen mehr Pluralität in der Jugendhilfe. Ist die jetzige Anerkennung mehr als ein erster Schritt?

Rundt: Das ist ein hervorragendes Beispiel für die gesellschaftliche Öffnung einer migrantischen Organisation auf der einen und für die interkulturelle Öffnung eines Regelsystems auf der anderen Seite. So gelingt Integration und eine volle gesellschaftliche Teilhabe wird ermöglicht.

epd: Was macht FöTEV im Vergleich zu anderen Vereinen anerkennungswürdig?

Rundt: FöTEV arbeitet in meinen Augen vorbildlich, das habe ich bereits beschrieben. Und die formal korrekte Antwort lautet: Die rechtlichen Voraussetzungen zur Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe sind in § 75 SGB VIII aufgeführt, FöTEV erfüllt diese Voraussetzungen.

epd: Dass es noch kaum anerkannte Migrantenorganisationen auf dem breiten Feld der sozialen Arbeit gibt, muss Gründe haben. Welche fallen Ihnen da ein?

Rundt: Da irren Sie. Es gibt längst anerkannte Migrantenorganisationen in der sozialen Arbeit. Allein für Hannover fallen mir zahlreiche Vereine ein, wie zum Beispiel Kargah e.V., Suana e.V., Arkadas e.V. oder das Ethno-Medizinische Zentrum e.V.. Bekannt sind aber auch viele von Migranten gegründete und geleitete Organisationen in anderen Bereichen etwa in der Alten- und Behindertenhilfe, Betreuungsvereine oder Frauenorganisationen. Aber natürlich ist es weiterhin unsere Aufgabe, uns auf diesem Feld gedanklich zu öffnen und auch neue Formen der sozialen Arbeit zu ermöglichen. Dieser Prozess ist im Gange.

epd: Viele Türken in Deutschland würden gerne einen eigenen Wohlfahrtsverband gründen. Wie bewerten Sie diese Pläne? Oder wäre es nicht sinnvoller, zuerst bundesweit agierende fachliche Organisationen, etwa für die Jugendhilfe, zu schaffen?

Rundt: Mir sind derartige Pläne nicht bekannt, ich kann sie daher auch nicht bewerten. Auf jeden Fall müssen aber die bestehenden Wohlfahrtsverbände deutlich machen, dass Menschen unabhängig von ihrer Herkunft bei ihnen willkommen sind.

epd: Und ein eigener Dachverband?

Rundt: Die Gründung eines eigenen muslimischen Wohlfahrtsverbands ist grundsätzlich möglich, wenn gewünscht, jedoch nicht notwendig, weil auch bestehende Wohlfahrtsverbände satzungsgemäß weltanschaulich neutral aufgestellt sind und die Arbeit von migrantischen Organisationen bereits jetzt inhaltlich als auch finanziell unterstützen. Der Zugang zu Ressourcen wie Beratungskompetenz und Finanzen ist also bereits gegeben.

epd: Blicken wir in die Zukunft: Wird es in 20 Jahren einen türkischen zentralen Wohlfahrtsverband geben?

Rundt: Diese Frage kann ich nicht beantworten. Und ich sehe aktuell auch keinen Grund dafür. Aus der Anerkennung eines Elternvereins als Träger der freien Jugendhilfe lassen sich jedenfalls keine Schlussfolgerungen ziehen bezüglich der Neugründung von Wohlfahrtsverbänden. Zuerst muss ein Wohlfahrtsverband die Frage beantworten, wozu er überhaupt gebraucht wird und mit wem er helfen will. Daraus ergeben sich die weiteren Schritte.

epd: Gibt es andere Einwände?

Rundt: Der Aufbau neuer beziehungsweise paralleler Strukturen, auch wenn diese dem Bedarf an interkulturellen Besonderheiten gerecht werden sollen, ist aus migrationspolitischer Sicht problematisch. Die bestehenden Systeme haben ihre Angebote für Migrantinnen und Migranten zu öffnen. Hierbei wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass Migrantinnen und Migranten eine äußerst heterogene Gruppe darstellen. Spezialisierungen etwa "für Muslime" befürworte ich nicht. Auch für die christlichen Verbandsfamilien sollte eine interkulturelle Öffnung ihres Leistungsangebotes selbstverständlich sein.

epd: Der Evangelische Pressedienst (epd) hat sich auch um ein Interview mit FöTEV bemüht. Nach einer ersten Zusage kam dann eine Absage, wegen des Inhalts der Fragen. Ist das womöglich ein Indiz, dass der Verein seinen Weg der Öffnung noch nicht bis zu Ende gegangen ist?

Rundt: Ich beteilige mich grundsätzlich nicht an Spekulationen über das Zustandekommen von Presseterminen Dritter, rate zu diskriminierungsfreiem Umgang miteinander und zu einem aufeinander Zugehen.



Flüchtlinge

Experten fordern mehr Qualität bei Asylentscheidungen




Das BAMF - immer wieder in der Kritik
epd-bild/Christian Ditsch
Nicht ausreichend qualifiziertes Personal, überlastete Dolmetscher, lange Wartezeiten: Experten üben Kritik an der Arbeitsweise des Flüchtlingsamtes. Behördenchefin Cordt verteidigt ihre Mitarbeiter.

Nach Ansicht von Experten muss sich die Arbeit des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verbessern. Er habe hohen Respekt vor den Aufgaben der Behörden-Mitarbeiter, sagte der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, am 20. Juni beim 17. Berliner Symposium zum Flüchtlingsschutz. Doch zum Recht auf Schutz gehöre auch Qualität. Die Verfahren sollten nicht schneller werden, sondern sorgfältiger. Die Präsidentin des Bundesamtes, Jutta Cordt, stimmte zu, dass Qualitätsmaßnahmen notwendig seien. Zugleich verteidigte sie ihre Mitarbeiter.

"Entscheidungen oft nicht nachvollziehbar"

Scharfe Kritik an den Asylverfahren kam vom Frankfurter Rechtsanwalt Tim Kliebe. Es sei oft nicht nachvollziehbar wie Entscheidungen zustande kämen. Mit Blick auf die hitzige politische Debatte um das Asylrecht plädierte der Anwalt für mehr Zurückhaltung. "Flüchtlingsrecht ist Menschenrecht", sagte Kliebe. Dieses Recht dürfe nicht auf dem Altar des Wahlkampfes geopfert werden.

Bei dem zweitägigen Symposium diskutierten Experten über die Herausforderungen in der Asylpolitik. Veranstaltet wurde die Konferenz von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Nichtregierungsorganisationen.

"Kein Mitarbeiter trifft eine Entscheidung leichtfertig", sagte Cordt. Sie kündigte an, dass in den kommenden Monaten die 116.000 noch offenen Altverfahren abgeschlossen werden sollen. Man wolle hier zügig und zeitnah vorankommen, sagte Cordt. Zu Beginn dieses Jahres habe es noch rund 435.000 Verfahren aus den Jahren 2016 und davor gegeben.

Antragsbearbeitung mit Mängeln

Mit Blick auf den Fall des wegen Terrorverdachts festgenommenen Bundeswehrsoldaten Franco A. räumte die Behördenchefin Fehler in ihrer Behörde ein. Das Verfahren sei in allen Bereichen nicht richtig gelaufen. Franco A. hatte sich beim Bundesamt als syrischer Asylbewerber ausgegeben und einen Flüchtlingsstatus zugesprochen bekommen. Der Fall legte Mängel in der Bearbeitung der Anträge offen. Unter anderem fiel auf, dass Franco A. bei der Befragung kein Arabisch sprach.

Zwischenzeitlich hat das Flüchtlingsamt 2.000 abgeschlossene Verfahren erneut überprüft. Man habe dabei keine Fälle entdeckt, die ein Sicherheitsrisiko ausmachten, sagte Cordt.

Die Präsidentin des Bundesamtes wies auf die besonderen Herausforderungen für ihre Behörde hin. Aufgrund der hohen Flüchtlingszahl im Jahr 2015 sei das Amt innerhalb kürzester Zeit von etwa 2.000 Mitarbeitern auf rund 10.000 Beschäftigte aufgestockt worden. Zudem seien die neuen Mitarbeiter verkürzt qualifiziert worden. In den vergangenen Montaten seien aber Maßnahmen auf den Weg gebracht worden, um die Qualität der Arbeit zu verbessern.

Thema der Debatte waren zudem Abschiebungen nach Afghanistan. Die Situation vor Ort habe sich offenbar drastisch verschlechtert, sagte Anwalt Kliebe. Auch Lilie zeigte sich besorgt. "Afghanistan ist kein sicheres Land", sagte der Diakonie-Präsident. Man brauche eine Neubewertung der Lage vor Ort.

Tanja Tricarico


Arbeit

Nahles will gegen starkes Lohngefälle vorgehen




Andrea Nahles
epd-bild/BMAS/Werner Schüring
Die deutsche Wirtschaft läuft, doch nicht alle Menschen in Deutschland profitieren von der guten Lage. Arbeitsministerin Nahles setzt sich für anständige Löhne ein. Sozialverbände fordern mehr Einsatz der Politik.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) will verstärkt gegen das starke Lohngefälle in Deutschland vorgehen. Es gebe eine Rekordbeschäftigung in Deutschland und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten habe einen Höchststand erreicht, sagte Nahles am 19. Juni in Berlin. Gleichzeitig seien die Lohnunterschiede extrem und nicht gerecht.

Branchendialog über Pflegelöhne

Nahles äußerte sich nach einem Treffen mit den Sozialpartnern, mit Wohlfahrtsverbänden und Wissenschaftlern. Gerade Dienstleistungsberufe seien oft nicht in der Lage, entsprechende Lohnabschlüsse zu erzielen, sagte die Ministerin. Die Lohnspreizung sei ein gesamtgesellschaftliches Thema.

Nahles bezog sich dabei auch auf Ergebnisse des aktuellen Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung. Demnach kommt der wirtschaftliche Aufschwung nicht bei allen an. Laut Bericht haben die unteren 40 Prozent der Beschäftigten real weniger verdient als Mitte der 90er Jahre. Besonderes Augenmerk will Nahles auf den Pflegebereich legen. Sie wirbt für einen Branchendialog, um die Löhne in diesen Berufen zu verbessern.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider, begrüßte die Initiative der Ministerin und forderte höhere Löhne vor allem in der Pflege, für Gesundheitsberufe oder Erzieher und Sozialarbeiter. Wenn sich hier etwas ändern solle, müsse auch der Staat in die Pflicht genommen werden, sagte Schneider. Zum Beispiel müsse den Kommunen mehr Geld zur Verfügung gestellt werden, um etwa Erzieher zu bezahlen.

"Armut im Alter vermeiden"

Im Kampf gegen Altersarmut plädiert der Sozialverband VdK für eine neue Arbeitsmarktpolitik. "Einkommensarmut ist die wesentliche Ursache für Altersarmut", erklärte der Vizepräsident des Verbands, Roland Sing, anlässlich des Treffens mit der Bundesarbeitsministerin. "Gute Arbeit und faire Löhne sorgen dafür, Armut im Alter zu vermeiden."

Viele Arbeitnehmer profitierten nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung, sagte Sing. Jeder fünfte Beschäftigte arbeite derzeit für einen Stundenlohn von unter zehn Euro. Es sei sozial ungerecht, wenn nur die oberen Einkommensgruppen Einkommenszuwächse verzeichnen könnten. Konkret fordert der Sozialverband VdK eine Erhöhung des Mindestlohns und eine Verringerung von Minijobs sowie von Zeit- und Leiharbeit.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach wies besonders auf prekäre Arbeitsverhältnisse hin. Mehr als fünf Prozent der regulär Beschäftigten sind arm oder armutsgefährdet, unter den prekär Beschäftigten sind es 19,2 Prozent. Leiharbeiter, geringfügig Beschäftigte und Teilzeitbeschäftigte hätten ein fast viermal so hohes Armutsrisiko wie regulär Beschäftigte, sagte Buntenbach. Sie forderte gesetzliche Vorgaben, um aus einem prekären Job in eine gut bezahlte und abgesicherte Arbeit wechseln zu können.

Tanja Tricarico


Senioren

Gesundheitsminister wollen bessere Versorgung Älterer



Die Gesundheitsminister der Länder wollen die medizinische und pflegerische Versorgung älterer Menschen verbessern. Bei ihrer Konferenz in Bremen haben sie vorgeschlagen, Leitlinien für eine nachgewiesen wirkungsvollere Hilfe zu entwickeln.

Zum Abschluss des zweitägigen Treffens am 22. Juni sagte die Vorsitzende der Konferenz, die Bremer Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD): "Das Ziel liegt in einer gut abgestimmten Behandlung des einzelnen Patienten, um seine Lebensqualität im höheren Alter aufrechtzuerhalten." Die Leitlinien hätten nach Angaben der Senatorin allerdings keinen gesetzlichen Rang, sondern wären Empfehlungen und "eine Messlatte", um die Versorgungsqualität zu verbessern. Es gebe noch zu wenige Erkenntnisse darüber, wie bestimmte Krankheiten bei älteren Menschen verliefen und welche Wechselwirkungen Medikamente hätten, ergänzte Quante-Brandt und fügte hinzu: "Da muss die Forschung verstärkt werden." Dafür solle der Bund Anreize entwickeln.

Effektives Medikationsmanagement

Ein wichtiges Problem in diesem Zusammenhang ist die Mehrfachmedikation Älterer, die über Pläne zumindest dokumentiert werden kann. Der Bund müsse ein effektives Medikationsmanagement forcieren, forderte Quante-Brandt. "Wir brauchen Lotsen", betonte die Vorsitzende der Konferenz.

Der Bremer Gesundheitswissenschaftler Gerd Glaeske plädierte im Gespräch mit dem epd dafür, dass ein Allgemeinarzt oder ein Apotheker die Koordination des Medikationsplanes übernimmt. Mit der zentralen Stellung der Apotheker gebe es bereits gute Erfahrungen in anderen Ländern. "Der hat nämlich den Vorteil, dass er auch frei verkäufliche Medikamente in den Plan mit aufnehmen kann, mit deren Wirkung sich die meisten Ärzte ohnehin nicht auskennen."

Investitionsprogramm für Kliniken

Die Gesundheitsminister der Länder sprachen sich außerdem dafür aus, ab 2019 ein zusätzliches Investitionsprogramm für die Krankenhäuser von jährlich einer Milliarde Euro aufzulegen. Bund und Länder sollen sich die Kosten teilen. "Statt Debatten über Zuständigkeiten zu führen, sollten wir direkt nach der Bundestagswahl diesen pragmatischen Weg gehen", sagte Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD). Derzeit investieren die Länder nach ihren Worten zusammen jährlich 2,8 Milliarden Euro für Krankenhäuser.

Weitere Themen der Konferenz waren die gesundheitliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen, die stärkere Vernetzung stationärer und ambulanter Dienste und die Telemedizin. Überdies hat die Konferenz beschlossen, einen Aktionsplan zu entwickeln, um die Ausbildung in Gesundheitsfachberufen wie Logopäden, Physio- und Ergotherapeuten zu forcieren. Noch vor Beginn der Konferenz am Mittwoch hatten Gewerkschafter gegen die Personalnot in Kliniken und Pflegeheimen protestiert.

Dieter Sell


Senioren

Gesundheitsexperte warnt vor Gefahren durch Mehrfachmedikation



Der Gesundheitsexperte Gerd Glaeske hat auf die Gefahren der Mehrfachmedikation bei älteren Menschen hingewiesen. Etwa zehn Prozent der Senioren, die in Krankenhäuser eingeliefert würden, seien behandlungsbedürftig nicht aufgrund ihrer Krankheiten, sondern weil sie eine Vielzahl nicht aufeinander abgestimmter Medikamente nähmen, sagte Glaeske dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Da kommen bei chronisch Kranken leicht bis zu acht Arzneimittel zusammen, die sie von unterschiedlichen Ärzten verschrieben bekommen haben und deren Verträglichkeit untereinander nicht geklärt ist."

Zwar gebe es seit Herbst 2016 eine Regelung, wonach sogenannte Medikationspläne aufgestellt werden könnten. Diese sollen ab 2018 sogar auf der Gesundheitskarte gespeichert werden. Dort liste dann jeder Arzt die Medikamente auf, die er einem Patienten verschreibt, erläuterte Glaeske. Aber das System weise Lücken auf, die dringend geschlossen werden müssten, forderte der Professor für Gesundheit, Pflege und Alterssicherung der Universität Bremen. Immerhin entstünden Kosten von etwa 800 Millionen Euro pro Jahr für eine Klinik-Behandlung dieser Patienten. Diese Kosten seien vermeidbar.

Erste Erfahrungen mit den Medikationsplänen hätten gezeigt, dass die meisten Ärzte zwar die Arzneien notierten, aber niemand mögliche Unverträglichkeiten oder Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten prüfe. Zudem könne jeder Patient Mittel einnehmen, die nicht rezeptpflichtig seien und somit nicht auf den Plänen auftauchten.

Der Gesundheitswissenschaftler plädierte dafür, eindeutig zu regeln, dass ein Allgemeinarzt oder Apotheker die Koordination des Medikationsplanes übernimmt. Mit der zentralen Stellung der Apotheker gebe es bereits gute Erfahrungen in anderen Ländern. "Der hat nämlich den Vorteil, dass er auch frei verkäufliche Medikamente in den Plan mit aufnehmen kann, mit deren Wirkung sich die meisten Ärzte ohnehin nicht auskennen." Die Honorierung der Apotheker für diese Leistung sei allerdings bislang nicht geregelt.



Behinderung

Regierung weist Kritik an Werkstätten zurück



Die Bundesregierung hat die Interpretation zurückgewiesen, dass Werkstätten für behinderte Menschen eine berufliche Sackgasse ohne ausreichende Perspektiven für die dort Arbeitenden seien. In einer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schreibt die Regierung laut einer Pressemitteilung des Bundestages vom 19. Juni, die Leistungen der Werkstätten seien auch darauf gerichtet, die im Berufsbildungsbereich erworbene Leistungsfähigkeit zu erhalten und zu verbessern.

Mit diesem Ziel böten die Werkstätten zahlreiche arbeitsbegleitende Maßnahmen an, etwa Staplerscheine, Sprach- oder EDV-Kurse. Außerdem seien sie laut SGB IX dazu verpflichtet, den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Zudem weist sie darauf hin, dass für Menschen mit Behinderungen zahlreiche Möglichkeiten der beruflichen Bildung zur Verfügung stünden: Reguläre betriebliche Ausbildung (auch in begleiteter oder assistierter Form), theoriereduzierte Ausbildung etwa in Berufsbildungswerken oder Aus- und Weiterbildung, wie sie die Berufsförderungswerke anböten.

Die Grünen hatten in ihrer Anfrage festgestellt, dass Personen, die einmal in der Werkstatt arbeiten, kaum eine Chance hätten, die Einrichtung wieder zu verlassen. "Mit unter einem Prozent ist die Vermittlungsquote auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nahezu nichtexistent", hieß es.

Ein schlechtes Bild gaben zudem einige Werkstätten zuletzt in einem Bericht des "Team Wallraff" im Februar 2017 ab. Er zeigte, dass selbst im Berufsbildungsbereich die Qualifizierung und Förderung zurückstehen muss, wenn Aufträge aus der Industrie zu erledigen sind.

Die CDU/CSU-Fraktion macht sich ebenfalls dafür stark, die Vermittlungsquoten zu verbessern. Nach einer Werkstatt-Konferenz, zu der rund 300 Vertreter von Werkstatträten, von Werkstattträgern sowie von Verbänden und Institutionen nach Berlin kamen, sagte Uwe Schummer: "Für Menschen mit Behinderungen, die nach einer Alternative zu ihrer Arbeit in einer Werkstatt suchen, wird ab dem 1. Januar 2018 das 'Budget für Arbeit' neue Möglichkeiten eröffnen." Ein Lohnkostenzuschuss für Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderungen einstellen, gehöre zu den wesentlichen Anreizen. "Jetzt müssen die Unternehmen sowie die öffentliche Verwaltung diese Möglichkeiten wahrnehmen."

Die Union stehte hinter den Werkstätten als Ort der Teilhabe und Beschäftigung. Aber, so Schummer, sie "müssen sich noch stärker dafür einsetzen, den Wechsel der Beschäftigten in Betriebe des ersten Arbeitsmarktes zu fördern".



Arbeit

Forscher: Minijobs sollten nicht zur Dauerzustand werden



Arbeitsmarktexperten der Universität Duisburg-Essen haben dazu aufgerufen, Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu überführen. Die Kleinst-Arbeitsverhältnisse sollen nicht durch Fehlanreize zur Dauererwerbsform werden, erklärte das Institut Arbeit und Qualifikation der Hochschule in einer am 19. Juni veröffentlichten Expertise. Dies könne hohe Armutsrisiken insbesondere für Frauen mit sich bringen. Vor allem langfristig angelegte Minijobs für Hausfrauen und -männer seien kritisch zu sehen.

Denn Minijobs entfalteten oft "starke Klebeeffekte", hieß es in dem Konzept zur Gleichstellung geringfügiger Beschäftigung. Sie erschwerten sowohl für Beschäftigte als auch für Unternehmen systematisch den Übergang in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und längere Arbeitszeiten. Besonders gelte das für verheiratete Hausfrauen durch die Kombination der abgabenfreien Minijobs mit der abgeleiteten Krankenversicherung über den Partner. Hinzu kämen Steuervorteile über das Ehegattensplitting.

Entgegen den gesetzlichen Vorschriften sind Minijobber nach Angaben der Forscher in der betrieblichen Praxis meist schlechter gestellt als ihre sozialversicherungspflichtig beschäftigten Kollegen. Sie erhielten weniger Stundenlohn und würden nur bei Anwesenheit bezahlt. Lohnfortzahlung bei Krankheit oder für Feiertage ist ebenso wie für Urlaubstage eher selten, wie es hieß.

Diese Ungleichbehandlung werde unmöglich, wenn alle Erwerbsverhältnisse sozialversicherungspflichtig werden, erklärten die Autoren Gerhard Bosch und Claudia Weinkopf. "Damit die Politik bei der Reform der Minijobs wieder handlungsfähig wird, erscheint es notwendig, von alten Denkmustern Abschied zu nehmen - insbesondere von dem (trügerischen) Bild, dass Minijobs für Beschäftigte und Arbeitgeber gleichermaßen Vorteile bieten", hieß es.

Ein Bestandsschutz für bereits bestehende geringfügige Beschäftigungsverhältnisse könne helfen, dass Beschäftigte und Unternehmen schrittweise in neue Erwerbsmuster und Personalstrategien hineinwachsen. Die Wissenschaftler sprachen sich in der Expertise für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung zudem für mehr Aufklärung über Rechtsansprüche und für eine Abschaffung der Einkommensbarriere von 450 Euro aus.



Familie

Drei Millionen Kinder in Deutschland haben suchtkranke Eltern



Mehr als drei Millionen Kinder in Deutschland wachsen mit mindestens einem suchtkranken Elternteil auf. Somit sei jedes fünfte Kind direkt von einer Abhängigkeit der Eltern betroffen, sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), am 19. Juni bei ihrer Jahrestagung in Berlin, die den Schwerpunkt "Kinder aus suchtbelasteten Familien" hatte. Um später selbst keine Abhängigkeiten und psychischen Störungen zu entwickeln, bräuchten Kinder verlässliche Bezugspersonen außerhalb des Elternhauses, hieß es.

Ein Drittel der Kinder aus suchtbelasteten Elternhäusern werde später selbst abhängig, ein weiteres Drittel entwickle eine andere psychische Störung und nur ein Drittel bleibe unauffällig, erklärte Michael Klein, Leiter des Deutschen Instituts für Sucht- und Präventionsforschung. Für diese unauffällige Entwicklung, die sogenannte Resilienz, sei vor allem ein stabiles Beziehungsnetz unabhängig vom Elternhaus wichtig, erklärte Klein. Zudem müsse es mehr koordinierte Eltern-Kind-Behandlungen und spezielle Angebote für Kinder geben, denn "Sucht ist eine Familienkrankheit", betonte Klein.

Kindern mit einem suchtkranken Elternteil mangele es an sozialer und emotionaler Stabilität, hieß es auf der Fachtagung. "Es darf nicht sein, dass in Deutschland betroffene Kinder noch viel zu häufig übersehen werden und keine Hilfe erhalten, um aus diesem Teufelskreis herauszukommen", sagte Mortler. Das Suchtproblem eines Familienmitglieds werde zum dauerhaften Stressfaktor für die ganze Familie, hieß es auf der Tagung.



Bundesverfassungsgericht

Klage gegen Prostitutionsschutzgesetz eingereicht



Das Bundesverfassungsgericht soll das Prostitutionsschutzgesetz prüfen. Am 21. Juni haben in Karlsruhe 25 Beschwerdeführer, darunter Prostituierte, Sexbetriebe und Freier, eine Klage gegen das zum 1. Juli in Kraft tretende Gesetz eingereicht. Sie sehen in den Regelungen "einen massiven Eingriff in die Grundrechte von Sexarbeiterinnen". Die Freiheit der Berufswahl sei gefährdet, die informationelle und sexuelle Selbstbestimmung sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung, sagte der Verfasser der Klageschrift, Rechtsanwalt Meinhard Starostik.

"Insgesamt stellt das Gesetz die Prostitution unter ein Ausnahmeregime mit totaler Kontrolle, was durch die tatsächlichen Gefahren in diesem Wirtschaftszweig nicht gerechtfertigt ist", sagte Starostik, der auch Richter am Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin ist. Nach seinen Angaben arbeiten bundesweit 200.000 Frauen und Männer im Sexgewerbe.

Das im Oktober 2016 verabschiedete "Gesetz zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes sowie zum Schutz von in der Prostitution tätigen Personen" verpflichtet Prostituierte unter anderem, ihre Tätigkeit zum Stichtag 1. Juli anzumelden, eine jährliche Gesundheitsberatung wahrzunehmen und Behörden den Zutritt zu Geschäftsräumen zu gewähren. Die Kondompflicht ist festgeschrieben, und Kommunen können Auflagen erteilen und einzelnen Mitarbeitern die Tätigkeit verbieten.

Die Frankfurter Prostituiertenorganisation Doña Carmen nannte die Klage einen "Akt der Notwehr", da ab 1. Juli die Frauen stigmatisiert und wie Täterinnen behandelt würden. Letztlich gehe es dem Gesetzgeber nicht um einen Opferschutz, sondern um Schließung der Betriebe.



Forschung

Strategien gegen Mangel an Pflegefachkräften



Strategien gegen den Fachkräftemangel in der Pflege soll ein neuer Forschungsverbund baden-württembergischer Hochschulen ausarbeiten. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) übergab am 19. Juni in Esslingen einen Förderbescheid über mehr als 1,43 Millionen Euro vom Land und der Europäischen Union.

Das Projekt will Antworten darauf finden, wie sich Mitarbeiter in Pflegeberufen halten lassen, wie die Branche insbesondere für junge Menschen attraktiver wird, wie sich Pflegekräfte im Ausland anwerben lassen und wie neue Zielgruppen für einen Pflegeberuf gewonnen werden können. Außerdem soll es um Strategien gehen, die Menschen auch im Alter ein selbstbestimmtes Leben in vertrauter Umgebung ermöglichen.

Am Projekt beteiligt sind die Hochschulen Esslingen und Ravensburg-Weingarten sowie das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung Tübingen und die Katholische Hochschule Freiburg. Als Projektpartner stehen das Welcome Center des Diakonischen Werks Württemberg und die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege zur Verfügung.

Die Sprecherin des Forschungsverbunds, Karin Reiber von der Hochschule Esslingen, wies auf bereits bestehende Versorgungslücken in der Pflege hin. So müssten mangels Pflegekräften Stationen in Akutkrankenhäusern geschlossen werden. Neu erbaute Pflegeheime könnten in Einzelfällen nicht öffnen. Die massive Arbeitsbelastung und -überlastung des Pflegepersonals sowie die geringe gesellschaftliche Anerkennung dieses Berufszweigs müssten überwunden werden, forderte sie.



Familie

Mehr als 150.000 Familien in Bayern erhalten Betreuungsgeld



Mehr als 150.000 Anträge auf Bayerisches Betreuungsgeld hat das Familienministerium im vergangenen Jahr bewilligt. Damit wurden über 222 Millionen Euro an Eltern ausgezahlt, wie das Ministerium am 19. Juni in München mitteilte. Das Betreuungsgeld wurde vor einem Jahr am 22. Juni eingeführt und ermöglicht es Eltern, ihre ein- und zweijährigen Kinder privat zu betreuen. Durch die hohe Zahl der Anträge fühle sich Familienministerin Emilia Müller (CSU) bestätigt, die Wünsche und Vorstellungen der Eltern genau getroffen zu haben, heißt es weiter.

Das Betreuungsgeld ist nicht unumstritten: Politiker unter anderem von SPD und Grünen lehnen es ab. Ein eigenes bayerisches Betreuungsgeldgesetz war nötig geworden, weil im Juli 2015 das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass das Bundesbetreuungsgeld verfassungswidrig ist - eine solche Leistung sei Sache der Länder und nicht des Bundes. Das Betreuungsgeld war vor allem auf Drängen der CSU eingeführt worden. Eltern erhalten für die Betreuung ihres Kleinkindes zu Hause 150 Euro monatlich.



Behinderung

Umfangreiche LVR-Studie soll Inklusion in Kitas untersuchen



Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) will in einer umfangreichen Studie die Umsetzung von Inklusion in Kindertagesstätten untersuchen. Im Rahmen einer Vollerhebung der etwa 5.500 Kitas im Rheinland soll ein Team des Lehrstuhls für Entwicklungswissenschaft und Förderpädagogik der Universität Siegen ermitteln, wie die räumliche und personelle Ausstattung, das Platzangebot und die Qualifikation des Kita-Personals in Bezug auf die Inklusion von Kindern mit Behinderung aussieht, kündigte der Verband am 22. Juni in Köln an.

Die hohe Anzahl der befragten Kitas mache die LVR-Studie, die auf zwei Jahre angelegt ist und 250.000 Euro kostet, zur bislang umfangreichsten bundesweit. "Dies ist eine einzigartige Gelegenheit, uns im bevölkerungsreichsten Bundesland mit dieser Thematik systematisch zu beschäftigen", sagte Forschungsleiter Rüdiger Kißgen von der Uni Siegen. Erste Ergebnisse sollen bereits Anfang 2018 vorliegen.



Saarland

Arbeitskammer für Kultursozialpass



Die Arbeitskammer des Saarlandes wirbt für mehr kulturelle Bildung, einen Kulturentwicklungsplan und einen Kultursozialpass. Oft nähmen nur kleine Bevölkerungsgruppen Kulturangebote wahr, erklärte der Vorstandsvorsitzende Hans Peter Kurtz am 20. Juni bei der Vorstellung des Jahresberichts an die Landesregierung in Saarbrücken. Mögliche Gründe seien Eintrittspreise, mangelndes Interesse, Unsicherheit im Umgang mit Kunst und Kultur sowie bauliche Hürden für Menschen mit Behinderung.

"Kulturelle Teilhabe ist notwendig für soziale Gerechtigkeit hier in unserem Land", betonte Kurtz. Zudem brauche Kulturpolitik eine solide Finanzierung, die durch die saarländische Schuldenbremse unter Druck gerate. Die Kulturpflege solle in Anlehnung an das sächsische Kulturraumgesetz zur Pflichtaufgabe der Kommunen mit Unterstützung des Landes werden. "Kultur gehört dazu, wie etwa die Müllabfuhr zu organisieren", sagte er. Privates Kultursponsoring sei keine Alternative zu einer öffentlichen Förderung.




sozial-Branche

Jahresgutachten

Paritätischer: Politik unternimmt nichts gegen soziale Spaltung




Lebensmittelausgabe der "Tafel" in Halle
epd-bild/Steffen Schellhorn
Große Erbschaften und Vermögen sollen zur Finanzierung einer "Agenda des Sozialen" herangezogen werden, fordert der Paritätische Gesamtverband. Vom Steuerkonzept der SPD ist er enttäuscht.

Die große Koalition hat nach Auffassung des Paritätischen Gesamtverbandes in vier Jahren wenig getan, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu erhöhen. Die Armut habe sich trotz der guten Konjunktur verfestigt, während sich der wachsende Reichtum bei den oberen zehn Prozent der Bevölkerung konzentriere, heißt es im vierten Jahresgutachten des Verbandes zur sozialen Lage in Deutschland. Der Paritätische forderte einen Kurswechsel in der Steuer- und Finanzpolitik.

Verband fordert Vermögensteuer

Der Verbandsvorsitzende Rolf Rosenbrock kritisierte, das vom SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz vorgelegte Steuerkonzept reiche in keiner Weise aus, um eine "Agenda des Sozialen" zu finanzieren. "Unverständlich" sei insbesondere, dass die SPD keine Vorschläge zur Besteuerung der Vermögen mache, obwohl die Vermögensungleichheit in Deutschland zu den höchsten in Europa zähle. Erst die steuerpolitischen Forderungen zeigten, wie glaubwürdig Wahlversprechen seien, sagte Rosenbrock, dessen Verband sich für eine Vermögenssteuer und die Erhöhung der Erbschaftssteuer einsetzt.

Ungleichheit und die Blockierung von Aufstiegschancen bedrohten den sozialen Zusammenhalt, so das Gutachten. Die Spaltung habe auch den Arbeitsmarkt erreicht. Während die Zahl der Erwerbstätigen 2016 weiter um eine halbe Million auf 43,6 Millionen Menschen gestiegen und die Arbeitslosigkeit gesunken sei, wachse zugleich der Anteil der atypischen Beschäftigung und derer, die trotz Arbeit arm seien. Das betreffe inzwischen jeden zehnten Erwerbstätigen. Zwar sei die Einführung des Mindestlohns ein wichtiger Schritt und zeige, dass die Politik Einfluss auf die soziale Lage nehmen könne. Doch sei er mit gegenwärtig 8,84 Euro pro Stunde zu niedrig, um Armut zu verhindern.

Ausgrenzung von Millionen Menschen

Viele Menschen könnten sich auch nicht mehr auf den Schutz der Sozialversicherungen verlassen, kritisierte der Verband. Nur noch jeder dritte Arbeitslose bekomme Geld aus der Arbeitslosenversicherung. Die Mehrheit sei sofort auf die niedrigeren Hartz-IV-Leistungen angewiesen, wenn sie den Job verliere.

Der Verband wirft der großen Koalition vor, den Entwicklungen nur zuzuschauen. Es fehle das Interesse, an der Ausgrenzung von Millionen von Menschen wirklich etwas zu ändern. Dies zeige auch die relativ stabile Zahl von 2,5 Millionen Kindern und Jugendlichen, die an oder unter der Armutsgrenze leben müssten. "Dass sich selbst in einer Phase des Wohlstands überhaupt nichts bewegt, finden wir fatal", bilanzierte der Verfasser des Gutachtens, Joachim Rock vom Paritätischen Gesamtverband.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, unterstützte die Forderungen des Verbandes und kritisierte die große Koalition. Wenn selbst nach Jahren einer positiven Entwicklung von Konjunktur und Arbeitsmarkt bei vielen Menschen nichts davon ankomme, müsse sie sich das Scheitern ihrer Politik eingestehen, erklärte er.

Bettina Markmeyer


Ausstellung

Behinderte führen durch eine Schau über Trisomie 21




Sara Lührs und Frank Warneke führen durch die Ausstellung "Touchdown".
Wie Menschen mit Down-Syndrom im Alltag wirklich leben, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Eine Ausstellung informiert umfassend über Geschichte und Erforschung der Trisomie 21. Dabei führen auch Betroffene.

Sie hat schon auf der Bühne gestanden und ein Schulprojekt moderiert. Aber was in den nächsten 90 Minuten auf sie zukommt, das ist für sie neu: Sara Lührs führt im Tandem mit Frank Warneke in der Bremer "Galerie im Park" eine Besuchergruppe durch "Touchdown". Es ist die weltweit erste Ausstellung über die Geschichte des Down-Syndroms. Das Besondere bei der Führung: Die 24-Jährige hat selbst das Down-Syndrom, ihr 55-jähriger Partner nicht. Ob sie aufgeregt ist? "Klar", sagt sie. "Aber das gehört dazu."

Einfache Sätze, langsam gesprochen

Die Besucher sind Schüler einer Fachoberschule, sachkundiges Publikum. Frank Warneke und Sara Lührs stellen sich zunächst gegenseitig vor. Dann geht es in den ersten Teil der Ausstellung. Lührs hat Spickzettel vorbereitet, die sie vorliest - alles in klarer Sprache: einfache Sätze, langsam gesprochen, Fremdwörter werden sofort erklärt. Sie erzählt etwas über Liebe, Verlobung und Heirat, Themen, die ihr wichtig sind. "Ich habe einen Freund und möchte auch gerne heiraten", sagt die junge Frau.

"Was Menschen mit Down-Syndrom können und wie sie leben, ist in der Öffentlichkeit noch sehr wenig bekannt", sagt Katja de Bragança, Humangenetikerin, Down-Syndrom-Expertin und Mit-Kuratorin der Schau, die in Bremen bis zum 27. August läuft. In Deutschland leben rund 50.000 Menschen mit dem Down-Syndrom. Bei ihnen ist das 21. Chromosom dreimal statt zweimal vorhanden. Daher wird die Behinderung auch als Trisomie 21 bezeichnet.

Erste Station der Wanderausstellung war die Bundeskunsthalle in Bonn, wo etwa 35.000 Besucher kamen. Die Ausstellungsmacher leisteten in mehrfacher Hinsicht Pionierarbeit. Erstmals nahmen sie die Geschichte der Menschen mit Down-Syndrom in den Blick und zogen dabei auch Betroffene als Experten in eigener Sache hinzu - die nun auch durch die Ausstellung führen.

"Das hat uns umgehauen"

Es scheint, als ob Sara Lührs diese Rolle auf den Leib geschrieben ist. "Sie ist ehrgeizig und spielt gerne Theater", meint ihre Mutter Kerstin Lührs. Und in der Tat: Wer Sara Lührs während der Führung zuhört, erlebt eine lebendig erzählende, oft spontane junge Frau. Kaum zu glauben, dass die Ärzte nach der Geburt voraussagten, dass sie nicht alt werden und niemals laufen lernen würde. "Das hat uns umgehauen", erinnert sich Kerstin Lührs. Und ihre Tochter ergänzt: "Das war ein Schock für meine Eltern, dass ich bald sterben sollte."

Die Ausstellung zeigt selbstbewusste und emanzipierte Leute mit Down-Syndrom - Menschen wie Sara Lührs. Sie geben Einblicke in ihr Leben, die manches Vorurteil geraderücken dürften. In Steckbriefen erzählen sie über Arbeit und Hobbies. Viele treiben Sport oder wohnen selbstständig, hören Musik. "Ich bin auch ein Fan von Musik", kommentiert Sara Lührs.

Doch so fröhlich war das Leben für behinderte Menschen nicht immer. Auch das düstere Kapitel der Euthanasie während der Zeit des Nationalsozialismus wird in der Ausstellung behandelt. Rund 100.000 behinderte Menschen wurden in den sogenannten Pflegeheimen der Nazis in Deutschland und Österreich ermordet. Grausige Relikte dieser Zeit sind mit Namensschildern beschriftete Gläser, in denen einst Gehirne von Menschen mit Down-Syndrom aufbewahrt wurden. "Die Nazis sind ganz fiese und böse Menschen", schimpft Sara Lührs.

Kaum historische Spuren

Schwierigkeiten hatten die Kuratoren, als sie sich auf die Suche nach Spuren in der früheren Geschichte machten. Viel fanden sie nicht. Hier werde deutlich, dass die Vergangenheit fast immer als eine Geschichte von Menschen ohne Behinderungen dargestellt worden sei, meinen die Ausstellungsmacher.

Auch Themen wie vorgeburtliche Diagnostik und Schwangerschaftsabbrüche klammert die Ausstellung nicht aus. Sara Lührs hat da eine klare Meinung: "Schwangerschaftsabbruch ist Ermordung für das Kind. Dann ist das Kind nämlich tot."

Nach 90 Minuten ist die Führung zu Ende. Eine zeitliche Punktlandung. Warneke und Lührs verbeugen sich. Sie sei erschöpft, meint die junge Frau. Aber glücklich, das verrät ihr Lächeln. Es gibt Applaus, die Gäste sind begeistert. Sie habe eine Führung mit einem behinderten und einem nichtbehinderten Menschen noch nie erlebt, resümiert Besucherin Isabelle Warnecke. "Das eröffnet ganz andere Blickwinkel und gibt die Chance, das Thema besser wahrzunehmen."

Dieter Sell


Gemeinschaft

Internet

Digitale Nachbarschaftsnetzwerke wollen Anwohner zusammenbringen




Nachbarschaft lässt sich mit digitalen Mitteln fördern.
epd-bild/version/Herby Sachs
Auf Nachbarschaftsportalen im Internet können sich Anwohner online vernetzen, um offline weniger anonym zu sein. Jetzt schließen sich die beiden deutschen Marktführer zusammen.

"Ich brauche dringend ein Laminiergerät, wer hat eins?", ruft es abends virtuell in die Nachbarschaft. Und es gibt ihn tatsächlich, den Nachbarn mit dem Laminiergerät, der nur ein paar Häuser weiter wohnt. Gesuche wie dieses werden täglich online in die Nachbarschaftsnetzwerke gestellt, die 2014 in Deutschland im Internet aufkamen. Meist geht es um alltägliche Dinge: Kinder hüten, Gassi gehen, Nachhilfe oder Klavierunterricht geben, im Garten helfen, gemeinsam Handarbeiten oder Sport machen. Die Netzwerke sind eine Reaktion auf die Anonymisierung der Großstadt. Sie wollen Anwohner wieder zu Nachbarn machen, die sich kennen und gegenseitig unterstützen.

Nachbarschaftliches Miteinander

Portale wie Nachbarschaft.net, LokalPortal.de oder wirNachbarn.com konnten sich allerdings nicht flächendeckend durchsetzen. Ende 2015 folgte der heutige Marktführer nebenan.de. Er hat nach eigenen Angaben inzwischen eine halbe Million Nutzer in gut 3.200 Nachbarschaften. Anfang Juni fusionierte das Netzwerk mit wirNachbarn.com, dem bislang zweitgrößten Nachbarschaftsnetzwerk in Deutschland. Dieses wird seinen Dienst in den kommenden Wochen einstellen, die Nutzer können zu nebenan.de wechseln. Mit dem Zusammenschluss wollen die beiden Portale das gemeinsame Ziel eines verbesserten nachbarschaftlichen Miteinanders vorantreiben, heißt es offiziell.

Denn die Konkurrenz schläft nicht: Aktuell geht nextdoor.de in Deutschland an den Start, ein Portal, das in den USA schon länger erfolgreich ist. Abwanderungen befürchtet Ina Brunk, Mitgründerin von nebenan.de, aber nicht. Die Server von nebenan.de stehen in Frankfurt am Main, für das Unternehmen gelten die deutschen Datenschutzregelungen - Bedingungen, die ausländische Bewerber nicht bieten können. "Datenschutz ist ein Riesenthema in Deutschland! Wer bei uns auf den Lösch-Button klickt, wird auch wirklich gelöscht und nicht nur eingeschläfert", versichert die 34-Jährige.

"Online ist es leichter, Kontakt aufzubauen"

Wer sich auf nebenan.de anmeldet, kann dies nur mit Klarnamen und anschließender Überprüfung der Adresse. Anonymität gibt es nicht. Auf der Webseite können Mitglieder aus derselben Nachbarschaft den vollen Namen sowie die Straße sehen. Der Umgang im Portal sei sehr freundlich. "Wahrscheinlich ist die Hürde größer, wenn man dem Beschuldigten am nächsten Tag auf der Straße begegnen könnte und seinen vollen Namen kennt", sagt Brunk.

Ein Schlüsselmoment war für Brunk, als sie in den Urlaub fahren wollte, aber noch dringend ein Paket zur Post bringen musste. Die Postfiliale war schon zu, der Flieger ging am nächsten Morgen. "Also bin ich mit dem Fahrrad zu einer Freundin geradelt und hab ihr das Paket auf den Balkon geschmissen, sie war nämlich auch nicht zu Hause", erzählt Brunk. Die Freundin habe das Paket dann zur Post gebracht. "Das hat mich mindestens eine halbe Stunde Zeit gekostet. Hätte ich meinen Nachbarn gekannt, wäre das einfacher gewesen."

Zahl der Nutzer steigt

Natürlich könne man auch einfach nebenan klingeln und um das bitten, was man braucht oder einen Zettel mit der Einladung zum Spieleabend im Hausflur aushängen, gibt Brunk zu. "Aber wer macht das schon? Online ist es einfach leichter, Kontakt aufzubauen."

Um eine Online-Nachbarschaft zu gründen, reichen fünf Teilnehmer aus derselben Umgebung. Sie können ihre Nachbarn zum Mitmachen einladen, Werbezettel aufhängen, Flyer in Briefkästen schmeißen. Nebenan.de lebt von engagierten Teilnehmern, die auch mal kostenlose Werbearbeit für die Plattform machen. Die Zahl der Nutzer steigt kontinuierlich.

Mit sechs Mitarbeitern hat nebenan.de vor zwei Jahren in Berlin angefangen. Inzwischen beschäftigt die Firma 40 feste Mitarbeiter. Das Geld kommt von großen Investoren wie Burda und Lakestar, insgesamt 5,5 Millionen Euro. Noch werfe das Portal kein Geld ab, aber das solle sich bald ändern, sagt Brunk. Nebenan.de plant, lokale Unternehmer und Geschäfte auf die Plattform zu holen, die bezahlte Profile anlegen und dann als Nachbarn agieren. Frisörsalons könnten so kurzfristig freigewordene Termine an Nachbarn vergeben, die sofort da sein können. Kleine Geschäfte könnten Nachbarschaftsrabatte anbieten, stellt Brunk sich vor. Auf klassische Werbung will nebenan.de auch weiterhin verzichten.

Christina Spitzmüller


Migration

Die Telefonseelsorge "Doweria" für russischsprachige Anrufer




Seelsorge am Telefon
epd-bild/Werner Krüper
"Doweria" ist das russische Wort für "Vertrauen". Die russische Telefonseelsorge aus Berlin bietet Anrufern ein Stück Heimat. Sie ist rund um die Uhr besetzt.

Im Frühjahr und Herbst klingelt das Telefon am häufigsten. "Alle psychischen Zustände werden in diesen Jahreszeiten akuter", erläutert Tatjana Michalak. Die 44-jährige Psychologin aus der Ukraine leitet seit 2007 die russischsprachige Telefonseelsorge "Doweria" in Berlin. Etwa 7.000 Menschen pro Jahr nehmen die Beratung der mehr als 90 ehrenamtlichen Mitarbeiter in Anspruch.

Das Gefühl des Fremdseins

"Doweria" (deutsch: Vertrauen) ist 24 Stunden besetzt - als europaweit einzige russische Telefonseelsorge. In Deutschland leben nach den Worten Michalaks fast fünf Millionen russischsprachige Menschen. Die Anrufe bei "Doweria" kamen aber auch schon aus Japan, Israel oder der Schweiz, wie Michalak berichtet. Allerdings gibt es nur einen Standort und damit nur eine Leitung. Im Vergleich: Die deutschsprachige Organisation "Telefonseelsorge" gibt es an insgesamt 133 Standorten.

Die Themen der russischsprachigen Anrufer unterscheiden sich nicht groß von jenen der deutschen, findet Mitarbeiterin Ludmilla. Die typischen Beratungsthemen seien Suchtprobleme, familiäre Konflikte, Gewalt, Verluste oder Einsamkeit, erzählt die Rentnerin, die seit 2004 im Team von "Doweria" ist.

Dann fällt ihr doch ein Unterschied ein: "Unsere Anrufer verbindet das Weltgefühl aller Migranten. Viele fühlen sich hier noch fremd." Einige Einwanderer der ehemaligen Sowjetunion beklagten am Telefon, dass sie in Deutschland nicht mehr ihren gelernten Beruf ausüben können.

Muttersprache schafft Vertrauen

"Doweria" gibt es seit 1998. Entstanden ist die Idee in der psychologischen Fakultät an der Berliner Zweigstelle der Universität Sankt Petersburg. Die Studenten sollten ihr gelerntes Wissen anwenden und waren in einem Privatzimmer rund um die Uhr zur Beratung erreichbar. Heute ist "Doweria" ein Projekt der Diakonie und finanziert sich aus Spenden.

Zu den Studenten zählte damals Tatjana Michalak, die heutige Leiterin. Sie kümmert sich auch um die russischsprachigen Ehrenamtlichen, die bei "Doweria" am Telefon sitzen. Viele von ihnen kennen das Gefühl der Fremdheit in Deutschland: "Viele bearbeiten hier ihre Barrieren, mit Einheimischen zu kommunizieren", sagt Michalak.

Die Muttersprache schaffe nicht nur bei den Anrufern Vertrauen, sondern gebe auch den Mitarbeitern ein Stück Heimat, sagt die 31-jährige Olga. Durch die Aufgabe als Telefonseelsorger fühlen sich viele nützlich und gebraucht.

Leonore Kratz


Zivilgesellschaft

Bunte Tischgesellschaften für Offenheit und Demokratie




Schauspielerin Katja Riemann machte mit bei der "bunten Tischgesellschaft".
epd-bild/Rolf Zöllner

Mit einem Aufruf zu mehr demokratischer Gesprächskultur haben am Samstag Prominente für ein friedliches Miteinander und eine menschenfreundliche Gesellschaft geworben. Zum "Tag der offenen Gesellschaft" trafen sich deutschlandweit an mehr als 400 offenen Tafelrunden Menschen unterschiedlicher Herkunft und politischer Ansichten. Zum Auftakt sagte einer der Initiatoren, Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, in Berlin, nur der demokratische Streit und der friedliche Wettbewerb um die besten Konzepte schafften neue Chancen angesichts der Veränderungen und Unsicherheiten in der Welt.

Tafel mit Prominenten

Aufgerufen zu der Aktion hatte die Initiative "Die Offene Gesellschaft" und die Diakonie Deutschland. Beim gemeinsamen Essen sollten Nachbarn, Arbeitskollegen, Neubürger, Alteingesessene, Geflüchtete sowie junge und alte Leute ins Gespräch kommen. Auch Prominente, darunter die Schauspielerin Katja Riemann, Berlins evangelischer Bischof Markus Dröge und der Soziologe Harald Welze, beteiligen si an der Aktion, um ein Zeichen für Weltoffenheit und demokratische Werte zu setzen.

Den 17. Juni, Jahrestag des Volksaufstands 1953 in der DDR, wählten die Initiatoren dabei nicht zufällig. Er stehe für Zivilcourage und den Einsatz für Freiheit, Demokratie und Einheit, heißt es in dem Aufruf. Die Bürgergesellschaft müsse diese Werte verteidigen und dürfe das Feld nicht Rechtspopulisten und autoritären Strömungen überlassen.

Mehr als 500 Veranstaltungen

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte, es gibt kein schöneres Symbol für unsere Demokratie als einen gedeckten Tisch, an dem jede und jeder Platz nehmen kann, um miteinander ins Gespräch zu kommen". Eine offene Gesellschaft lebe von Begegnung, Offenheit und Toleranz.

Die Initiative "Die offene Gesellschaft" entstand im Herbst 2015. Auf mehr als 500 Veranstaltungen wurden nach eigenen Angaben bisher mehr als 10.000 Menschen erreicht. In der Initiative sind Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen engagiert. Zu ihren Partnern gehören unter anderem die Open Society Foundation, die Robert Bosch Stiftung, die Bertelsmann-Stiftung, die Stiftung Futurzwei und die Diakonie.

Lukas Philippi


Diakonie

Experte: Immer mehr Menschen fühlen sich fremd



Wegen rasanter gesellschaftlicher Veränderungen fühlen sich nach Ansicht des Vorsitzenden des Evangelischen Fachverbandes für Psychologische Beratung, Jan Wingert, immer mehr Menschen fremd. Viele Menschen kämen aus diesem Grund auch in die Beratungsstellen, sagte er am 19. Juni auf der Jahrestagung des Fachverbandes in Karlsruhe. So führe etwa die hohe Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern zu neuen Rollen im Zusammenleben der Familien, aber oftmals fehlten Rollenmodelle, um daraus entstehende Konflikte zu lösen, betonte Wingert.

Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland sagte, dass Veränderungen in der Familie, der Arbeitswelt oder ein Ortswechsel bei Menschen ein Gefühl von Fremdheit hervorrufen können. Nähmen die Verunsicherungen zu, gehe Orientierung verloren. Helfen könnten die Familie, die Nachbarschaft sowie Beratungsstellen. Wichtig sei es außerdem, auf Fremde zuzugehen. "Wie gut es gelingt, Fremdheit abzubauen, entscheidet sich in der Nachbarschaft", sagte Loheide. Allerdings bräuchten gesellschaftliche Veränderungsprozesse Zeit.



Armut

Gesundheit

Experte: Obdachlosigkeit in der Hitze ein Problem



Sozialarbeiter warnen angesichts gestiegener Temperaturen vor zunehmenden Problemen Obdachloser in Berlin. Betroffene hätten auch in den Sommermonaten gravierende Schwierigkeiten, sagte der Leiter der Notübernachtungsstelle der Berliner Stadtmission in der Franklinstraße, Jürgen Mark, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Obdachlosigkeit werde in der warmen Jahreszeit zu wenig wahrgenommen.

"Die obdachlosen Kältetoten werden gezählt, aber die Hitzetoten nicht", bemängelte Mark. Wer total betrunken in der prallen Sonne sitze und kollabiere, gehe lediglich als toter Alkoholiker in die Statistik ein. "Der Tod wird nicht in den Kontext der Obdachlosigkeit gestellt", kritisierte Mark.

Als konkrete Probleme für Obdachlose im Sommer benannte der Leiter der Notübernachtungsstelle, dass etwa Wunden nicht trocknen und sich deren Zustand verschlechtere. Auch die Hygiene sei ein Problem, alter Schweiß fange irgendwann an zu müffeln. "Da ist plötzlich ein ganzer S-Bahn-Waggon leer, weil ein stinkender Obdachloser einsteigt", sagte Mark. Wenn es lange heiß ist, sei auch die Notübernachtungsstelle gut besucht: "Dann brauchen die Obdachlosen ein kühles Plätzchen, um sich auszuruhen, wie jeder andere Mensch auch."

Mehr als die derzeit 136 Notübernachtungsplätze im Sommer braucht es nach Marks Meinung nach aber nicht. Viele der geschätzt 5.000 bis 10.000 Obdachlosen in Berlin würden den Sommer im Süden Europas verbringen und erst im Winter wieder nach Berlin zurückreisen. Das generelle Problem der Obdachlosigkeit könne auch durch weitere Notübernachtungsplätze nicht gelöst werden, ist Mark überzeugt: "Was wir brauchen, ist dauerhafter, bezahlbarer Wohnraum." Nur so könnten die Obdachlosen wieder in ein geregeltes Leben zurückfinden. Für einige seiner Klienten konnte Mark schon günstige Wohnungen in kleineren Städten in Ostdeutschland finden. Aber das wolle nicht jeder.

Außerdem plädiert Mark dafür, dass in den Notübernachtungsstellen ausschließlich ausgebildete Fachkräfte arbeiten, keine ehrenamtlichen Helfer ohne sozialarbeiterischen Hintergrund. Dafür müsse es auch mehr Gelder vom Staat geben. Dann könne den Klienten der Einrichtungsstellen spezifisch beraten und Lösungen für die Probleme gefunden werden.



Flüchtlinge

Diakonie fordert Abbau von Hürden beim Familiennachzug



Die Diakonie Schleswig-Holstein und der Flüchtlingsbeauftragte des Landes fordern, die hohen rechtlichen und bürokratischen Hürden für den Familiennachzug von Flüchtlingen abzubauen. "Wir begrüßen, dass sich die künftige Landesregierung für vereinfachte Regelungen einsetzen möchte", sagte der Flüchtlingsbeauftragte Stefan Schmidt am 22. Juni in Büdelsdorf bei Rendsburg. Nun müssten konkrete Schritte folgen.

Schmidt schlug auf einer Fachveranstaltung eine Bundesratsinitiative vor, die den Familiennachzug auf bis zu 21-jährige unverheiratete Kinder ausdehnt. Außerdem sollten auch Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz Familienmitglieder nachholen dürfen. Die Regelung, die das verhindert, läuft demnächst aus. Schleswig-Holstein solle auf Bundesebene aktiv werden, damit die alte Regelung nicht verlängert wird.

Auch die Diakonie-Referentin für Flucht und Migration, Doris Kratz-Hinrichsen, richtete eine Forderung an die künftig regierende Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen. Sie solle sich dafür einsetzen, dass Eheleute nicht mehr vor ihrer Einreise notwendig Deutsch lernen müssen. Dafür gebe es in Schleswig-Holstein ausreichend und oftmals auch bessere Möglichkeiten.



Gesundheit

Patientenschützer: Demenzkranke in Kliniken gefährdet



Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht in Krankenhäusern einen "gefährlichen Ort" für demenziell erkrankte Menschen. Ihre Demenz werde dort oft nicht erkannt oder berücksichtigt, warnte am 21. Juni Stiftungsvorstand Eugen Brysch anlässlich der Gesundheitsministerkonferenz in Bremen. Zudem förderten die fremde Umgebung, Hektik, fehlende Bezugspersonen und mangelnde Kommunikation Angstzustände bei den Betroffenen.

Darauf hätten die Bundesländer in ihrer Krankenhausplanung noch immer nicht reagiert, kritisierte Brysch. So fehle es an speziell geschultem Personal, das die Demenzkranken in der Klinik dauerhaft betreue. Ebenso sei eine flächendeckende Versorgung mit speziellen Demenzstationen noch in weiter Ferne. "Die Ministerkonferenz muss nun endlich konkrete Verbesserungen beschließen", verlangte Brysch. Die gesundheitliche Versorgung älterer Menschen ist Schwerpunktthema der zweitägigen Konferenz.



Kriminalität

Mordanklage gegen ehemalige Pflegekräfte



Die Staatsanwaltschaft Frankenthal hat Mordanklage gegen drei frühere Mitarbeiter des AWO-Pflegeheims in Lambrecht (Rheinland-Pfalz) erhoben. Eine 26-jährige Altenpflegerin und zwei 24 und 48 Jahre alten Pflegehelfer würden für die Ermordung zweier Pflegeheimbewohnerinnen und einen weiteren Mordversuch verantwortlich gemacht, teilte die Ermittlungsbehörde am 19. Juni mit. Außerdem müssen sich die Beschuldigten wegen mehrerer Fälle von Misshandlung verantworten. Den drei in Untersuchungshaft befindlichen Pflegekräften wird auch vorgeworfen, Heimbewohner gewerbsmäßig bestohlen zu haben.

Die drei Beschuldigten haben nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft im Dezember 2015 einer 85-jährige Frau eine Überdosis Insulin verabreicht und sie anschließend mit einem Kissen erstickt. Die Männer sollen außerdem im Februar 2016 eine 62 Jahre alte Heimbewohnerin ebenfalls durch das Spritzen von Insulin ermordet haben. Einen weiteren Mordversuch an einer 89-Jährigen beging das Trio den Angaben zufolge im März 2016.

Die Staatsanwaltschaft legt den drei ehemaligen AWO-Mitarbeitern außerdem mehrere Fälle zur Last, in denen Bewohner der Einrichtung mit Gegenständen beworfen worden seien. Auch seien ihnen ohne medizinischen Grund Medikamente und Abführmittel verabreicht worden. In einem Fall sei es zu schwerem sexuellem Missbrauch einer widerstandsunfähigen Bewohnerin gekommen, wovon die Beschuldigten Bild- und Videoaufnahmen angefertigt hätten.

"Der Nachweis der Taten beruht im Wesentlichen auf der Auswertung des Inhalts der bei den Angeschuldigten sichergestellten Mobiltelefone", heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft: "Wegen möglicherweise begangener weiterer Tötungsdelikte der Angeschuldigten werden die Ermittlungen in gesonderten Verfahren fortgeführt."

Allen drei Mordverdächtigen hatte der Heimbetreiber bereits im September gekündigt, nachdem Vorwürfe laut geworden waren, die drei hätten Bewohner misshandelt. Die 26-Jährige und der jüngere der beiden Männer wurden Ende Dezember verhaftet, der ältere Kollege kurze Zeit später.



Organspende

Brysch fordert Ermittlungen gegen Uniklinik Essen



Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert staatsanwaltschaftliche Ermittlungen zu mutmaßlichen Regelverstößen bei der Vergabe von Spenderorganen an der Uniklinik Essen. Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Schwerstkranken hätten ein Recht auf Aufklärung, erklärte Stiftungsvorstand Eugen Brysch am 20. Juni in Dortmund. "Willkür darf nicht der Maßstab sein für Entscheidungen über Leben und Tod."

Alle 46 Transplantationszentren in Deutschland müssten sich an die bestehenden Richtlinien halten, betonte Brysch. Sonst werde "die Axt an das Transplantationssystem" in Deutschland gelegt. Eine Prüfkommission war zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Lebertransplantationsprogramm der Uniklinik Essen in den Jahren 2012 bis 2015 Rechtsverstöße begangen und Spenderlebern regelwidrig vergeben wurden.

Die Klinik wies die Vorwürfe zurück und kritisierte Mängel und Fehler in der Arbeit der Kommission und ihrer Prüfberechtigung. Die Kommission, die im Auftrag von Verbänden und Kammern an den deutschen Transplantationszentren die Einhaltung des Transplantationsgesetzes und die entsprechenden Richtlinien kontrolliert, habe in keinem Fall nachweisen können, dass ein Empfänger ein Organ zu Unrecht erhalten habe. Festgestellte Mängel bei der Dokumentation von Organvergaben seien inzwischen vollständig behoben.

Die Uniklinik verwies auf ein Rechtsgutachten des Kölner Professors Wolfram Höfling vom Februar. Danach kollidieren in Deutschland verschiedene Organvergabesysteme. Höfling spricht von "einer organisationsstrukturellen Überkomplexität, legitimatorischen Schwächen und einem rechtsstaatlich defizitären Allokationssystem". Die gesetzgeberische Steuerung der Organvermittlung sei "völlig unzureichend".



Württemberg

Diakoniechef: "Dringend" Altersarmut bekämpfen



Angesichts zunehmender Armut im Alter sieht das Diakonische Werk Württemberg "dringenden Handlungsbedarf". Es müsse eine Mindestrente eingeführt werden, die alten Menschen den Gang zum Sozialamt erspare, sagte der Vorstandsvorsitzende der Diakonie, Oberkirchenrat Dieter Kaufmann, am 22. Juni in Stuttgart. Zudem brauche es eine umfassende Sozialversicherungspflicht für Minijobs sowie die Ausdehnung der gesetzlichen Rente auf Selbstständige und Beamte, sagte Kaufmann.

In den ersten zehn Jahren nach Einführung der Hartz-Reformen 2005 sei die Zahl der Bezieher der Grundsicherung über 65 Jahre bundesweit um mehr als 56 Prozent auf 536.000 gestiegen, kritisierte der Diakonie-Chef. In Baden-Württemberg liege das Armutsrisiko von Senioren um drei Prozent höher als in der Gesamtbevölkerung.



Transparenz

Gemeinnützige Altkleidersammler erweitern Verhaltenskodex



Der Dachverband FairWertung weitet seine Standards für faire und transparente Altkleidersammlungen aus. Der neu verabschiedete verbindliche "Verhaltskodex für gemeinnützige Kleidersammlungen" umfasse jetzt auch die Sortierbetriebe, die die gespendeten Textilien weiterverwerten, teilte die Organisation am 21. Juni in Essen mit. Damit setzten die Mitgliedsorganisationen auf Transparenz und Verantwortung vom Einsammeln bis zum Verwerten.

Der Dachverband FairWertung vertritt nach eigenen Angaben mehr als 130 gemeinnützige Organisationen. Kern des FairWertung-Konzepts ist die Zusage, dass die aussortierte Kleidung oder ein Erlös aus dem Verkauf gemeinnützigen Zwecken zugutekommen. Eine hochwertige Sortierung sorge dafür, dass ein möglichst hoher Anteil der Altkleider als Secondhand-Ware wieder verwendet werden könne und minderwertige Textilien stofflich verwertet würden.

Mit dem Kodex verpflichten sich die angeschlossenen Partner zum eigenverantwortlichen Sammeln und zur wahrheitsgemäßen Information über die Verwendung der Spenden. Eine Logo-Überlassung an gewerbliche Sammler ist nicht zulässig. Außerdem definiert der Kodex den Angaben zufolge ökologische und soziale Standards für Sortierung und Vermarktung. Über die Einhaltung der Regeln soll ein Zertifizierungsunternehmen wachen.



Auszeichnung

Musical-Projekt gewinnt "Goldene Göre" des Kinderhilfswerks



Der Preis "Goldene Göre" des Deutschen Kinderhilfswerks geht in diesem Jahr an ein Musical-Projekt aus Bonn. Den mit 5.000 Euro dotierten ersten Platz belegte das Projekt "Generation Z", bei dem Kinder und Jugendliche ohne professionelle Hilfe von Erwachsenen Musicals für einen guten Zweck inszenieren, wie das Hilfswerk am 18. Juni in Berlin mitteilte. Mit der "Goldenen Göre" würdigt die Organisation nach eigenen Angaben Projekte, "bei denen Kinder und Jugendliche beispielhaft an der Gestaltung ihrer Lebenswelt mitwirken". Die mit insgesamt 12.000 Euro dotierten Auszeichnungen wurden am Montag im Europa-Park im baden-württembergischen Rust verliehen.

Der zweite Platz mit einem Preisgeld von 3.000 Euro ging an das Projekt "Lebenswege Jena", wie es weiter hieß. Das Projekt "Die Kinder gestalten selbstständig den Gruppenraum" aus Künzelsau in Baden-Württemberg errang den dritten Platz und gewann damit 1.500 Euro. Die mit je 500 Euro dotierten vierten Plätze gingen an Projekte aus Bielefeld, aus Glinde in Schleswig-Holstein und aus dem sächsischen Wildenfels. Die Preisträger wurden vom Kinder- und Jugendbeirat des Deutschen Kinderhilfswerkes als Kinderjury ermittelt.




sozial-Recht

Bundesgerichtshof

Abgeschlossene Heim-Außentür ist Freiheitsentzug




Eine Tür wird verschlossen.
epd-bild/Friedrich Stark
Das Verriegeln einer Außentür in einem Heim für Menschen mit Behinderung muss von einem Gericht gestattet werden. Freiheitsentziehung ist nur unter strengen Voraussetzungen zulässig.

Nur bei einer ernstlichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben des Betreuten in einer Behinderteneinrichtung darf die Außentür ohne Zustimmung des Bewohners abgeschlossen werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 20. Juni veröffentlichten Beschluss. Konkret ging es in dem Fall um eine schwer geistig behinderte Rollstuhlfahrerin, die am sogenannten Coffin-Lowry-Syndrom erkrankt ist. Es besteht zudem eine Epilepsie, sprachlich äußern kann sie sich nur sehr schwer.

Die Schwester ist die Betreuerin

Seit Juni 1999 ist die Frau in einer speziellen Wohneinrichtung untergebracht. Wegen ihrer Einschränkungen kann sie nur in einer Fördergruppe ihres Wohnheims mit Bastelarbeiten beschäftigt werden.

Wegen ihrer Behinderung ist die Schwester zur Betreuerin bestimmt worden. Diese hatte im August 2015 beim Amtsgericht Eckernförde die Verlängerung der geschlossenen Unterbringung der Betroffenen in der Wohneinrichtung beantragt. Dabei wurde die Außentür der Einrichtung so verschlossen, dass die Rollstuhlfahrerin nicht auf eigene Faust auf die Straße fahren konnte. Um die Rechte der Frau in dem Verfahren gewährleisten zu können, bestellte das Amtsgericht einen sogenannten Verfahrenspfleger.

Dieser hielt die freiheitsentziehende Maßnahme der geschlossenen Unterbringung jedoch für rechtswidrig. Die gerichtliche Genehmigung der Maßnahme sei nur bei einer konkreten Gefahr für Leib und Leben der Betroffenen zulässig. Hier habe die Rollstuhlfahrerin bislang aber keinerlei Versuch unternommen, die Einrichtung eigenmächtig zu verlassen.

Eine "hochgradige Gefahr"

Gutachter kamen jedoch zu einem anderen Schluss. Danach könne die geistig behinderte Frau durchaus spontan den Ort verlassen. Es bestehe damit die Gefahr, dass sie aus der offenen Einrichtung wegfahren könnte und sich im Straßenverkehr gefährden würde. Eine "hochgradige Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens" sei die Folge.

Nach einem vergeblichen Versuch, ein persönliches Gespräch mit der Betroffenen zu führen, hatte das Amtsgericht schließlich die geschlossene Unterbringung für zwei Jahre genehmigt. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde vom Landgericht zurückgewiesen.

Der BGH bestätigte nun die Entscheidungen der Vorinstanzen. Die für die Frau verschlossene Außentür stelle zwar eine Freiheitsentziehung dar, so dass die geschlossene Unterbringung genehmigt werden müsse. Dies haben Amts- und Landgericht aber zu Recht so angeordnet. Für die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung sei keine akute, unmittelbar bevorstehen Gefahr des Betreuten erforderlich. Es reiche eine Gefahr für Leib und Leben und damit bestehende konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens aus. Dies sei hier der Fall.

Az.: XII ZB 577/16

Frank Leth


Bundesverfassungsgericht

Kein Freibrief für Durchsuchung von Gefängniszellen



Rügen Häftlinge tägliche, teils mehrstündige Durchsuchungen ihrer Zelle, dürfen Gerichte das nicht einfach übergehen. Auch wenn vom Land regelmäßige Durchsuchungen angeordnet werden, muss die Justizvollzugsanstalt ihr Vorgehen begründen, betonte das Bundesverfassungsgericht in einem am 21. Juni veröffentlichten Beschluss. Zumindest müsse darauf hingewiesen werden, dass Haftraumdurchsuchungen zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung erforderlich sind.

Damit hatte ein Häftling mit seiner Verfassungsbeschwerde Erfolg, der in der Justizvollzugsanstalt Cottbus-Dissenchen eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verbüßt. Der Mann wollte sich gerichtlich dagegen wehren, dass - nach seinen Angaben - sein Haftraum täglich, teilweise mehrere Stunden lang durchsucht wird. Das sei unverhältnismäßig.

Die Justizvollzugsanstalt bestritt die täglichen Haftrauminspektionen, bestätigte aber unangekündigte wöchentliche Durchsuchungen. Nach dem Brandenburgischen Justizvollzugsgesetz müssten sich die Justizbediensteten "laufend" davon überzeugen, dass nichts in den Gefangenenräumen Sicherheit und Ordnung der Anstalt gefährdet. Das zuständige Ministerium schreibe wöchentliche Inspektionen vor.

Das Landgericht Cottbus hielt die Haftraumdurchsuchungen für rechtmäßig. Doch habe das Gericht das Ansinnen des Häftlings nicht ausreichend geprüft, monierten die Verfassungsrichter. Auch wenn die Durchsuchungen wöchentlich angeordnet seien, müsse die Justizvollzugsanstalt diese immer begründen. Das Gesetz sehe hier als Grund die Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung vor. Die Justizvollzugsanstalt habe aber nicht selbst dargetan, warum die Durchsuchungen notwendig seien, sondern lediglich auf die geltenden Bestimmungen verwiesen.

Das Landgericht habe dies nicht berücksichtigt und noch nicht einmal überprüft, ob die Zellendurchsuchungen - wie vom Häftling angegeben täglich oder laut Justizvollzugsanstalt wöchentlich durchgeführt wurden. Die Karlsruher Richter verwiesen den Fall daher erneut an das Landgericht zurück.

Az.: 2 BvR 1160/17



Bundesgerichtshof

TÜV Rheinland muss nicht für mangelhafte Brustimplantate haften



Der TÜV Rheinland muss nicht für tausendfach eingesetzte mangelhafte Brustimplantate des mittlerweile insolventen französischen Hersteller PIP haften. Zwar war der TÜV zur Prüfung des Qualitätssicherungssystems bei PIP beauftragt worden, er habe aber keine unangemeldeten Kontrollen durchführen, Geschäftsunterlagen sichten oder das Medizinprodukt selbst prüfen müssen, urteilte am 22. Juni der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Betroffene Frauen gehen als Folge des Urteils mit ihren Schmerzensgeld- und Schadenersatzansprüchen nun leer aus.

Nach Schätzung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) haben sich in Deutschland bis zu 6.000 Frauen ihre Brüste mit PIP-Implantaten vergrößern lassen, in Frankreich waren es nach Behördenschätzung 30.000. Das Problem: Der französische Hersteller Poly Implant Prothèse (PIP) hatte billiges Industriesilikon für die Implantate verwendet.

Als sich Berichte über geplatzte und undichte Silikonkissen häuften, stoppten die französischen Behörden im April 2010 den Verkauf. 2012 empfahl das BfArM den betroffenen Frauen in Deutschland, sich die Silikonimplantate wieder operativ entfernen zu lassen.

Auch die Klägerin beim BGH ließ sich die Implantate wieder entfernen und verlangte nun Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro. Da PIP insolvent ist, sei der TÜV Rheinland in der Pflicht. Dieser habe fehlerhaft den Hersteller überprüft und ihn dennoch zertifiziert.

Der TÜV war sich keiner Schuld bewusst. Er habe beim Hersteller acht angemeldete Kontrollen durchgeführt. Dabei sei immer das für Brustimplantate üblich verwendete Spezialsilikon vorrätig gewesen, so dass das europäische CE-Zertifikat erteilt wurde. Der TÜV habe nur das von der Herstellerfirma eingerichtete Qualitätssicherungssystem und nicht die hergestellten Produkte selbst überprüfen müssen.

Der BGH hatte das Verfahren am 9. April 2015 dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgelegt. Dieser hatte am 16. Februar 2017 entschieden, dass bei der Vergabe des europäischen CE-Zertifikats für die Herstellung von Medizinprodukten keine unangemeldeten Inspektionen durchgeführt, keine Geschäftsunterlagen gesichtet und auch das Endprodukt nicht geprüft werden müssen (AZ: C-219/15). Solch eine Prüfung sei nur bei konkreten Hinweisen über mangelhafte Medizinprodukte erforderlich.

Nach den EuGH-Vorgaben hat der TÜV Rheinland seine Prüfpflichten danach nicht schuldhaft verletzt, urteilte nun der BGH. Denn zum Zeitpunkt der Zertifizierung habe es noch keine Hinweise auf mangelhafte Brustimplantate gegeben, so dass der TÜV auch nicht weitere Prüfungen hätte vornehmen müssen.

Az.: VII ZR 36/14



Bundessozialgericht

Gründungszuschuss für Arbeitslose darf nicht vertrödelt werden



Das Bundessozialgericht (BSG) hat die Bedingungen, zu denen Arbeitslose einen Gründungszuschuss für die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit erhalten können, geklärt. Die neue Tätigkeit muss zu einem Zeitpunkt aufgenommen werden, an dem noch mindestens 150 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld I besteht, stellte das BSG in Kassel am 9. Juni klar. Auch vorbereitende Tätigkeiten können zur Einhaltung der Frist führen, aber nur, wenn diese einen Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassen. Nur dann kann die Bundesagentur für Arbeit (BA) einen Zuschuss gewähren.

Im konkreten Fall hatte ein Arbeitsloser aus Hamburg geklagt, der sich als Handelsvertreter für Elektrogeräte selbstständig machen und einen Gründungszuschuss erhalten wollte. Doch der Mann ließ sich mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit Zeit. Erst am 15. September 2014 war er tatsächlich als Handelsvertreter tätig. Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber keinen Anspruch mehr auf 150 Tage Arbeitslosengeld und damit die gesetzliche Frist für den Gründungszuschuss verpasst.

Die BA lehnte seinen Antrag daher ab. Ohne Erfolg verwies der Arbeitslose auf zuvor geleistete vorbereitende Tätigkeiten für seine selbstständige Beschäftigung wie die Erstellung eines Businessplans. Würde dies berücksichtigt, hätte er den Stichtag für den Gründungszuschuss eingehalten.

Das BSG urteilte, dass zwar auch vorbereitende Tätigkeiten für die selbstständige Beschäftigung mitberücksichtigt werden können. Diese müssten nach den geltenden Bestimmungen aber einen Umfang von mindestens 15 Wochenstunden haben. Da dies der Kläger nicht habe nachweisen können, habe er den Stichtag für den Erhalt des Gründungszuschusses verpasst.

Az.: B 11 AL 13/16 R



Bundesfinanzhof

Kein Steuervorteil für nichtverheiratete Lebenspartner



Nur verheiratete Paare und homosexuelle eingetragene Lebenspartner können sich bei der Einkommensteuer zusammen veranlagen lassen. Nicht verheirateten Lebenspartnern unterschiedlichen Geschlechts stehe diese Steuervergünstigung nicht zu, auch wenn sie füreinander und für ihre Kinder einstehen, entschied der Bundesfinanzhof in einem am 21. Juni veröffentlichten Beschluss. Die Münchener Richter wiesen damit die Nichtzulassungsbeschwerde eines unverheirateten Paares aus Nordrhein-Westfalen ab.

Das Paar lebt mit vier Kindern in einem gemeinsamen Haushalt und steht füreinander ein. Als die Lebenspartner ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2012 zunächst getrennt abgaben, verlangte das Finanzamt von der Frau keinerlei Steuer, die Einkommensteuer des Mannes wurde jedoch auf 35.204 Euro festgesetzt.

Das Paar beantragte daraufhin die steuerliche Zusammenveranlagung, womit die Steuerschuld deutlich herabgesetzt würde. Ihr Argument: Eine Zusammenveranlagung sei nach dem Einkommensteuergesetz für verheiratete Paare und für "Lebenspartner und Lebenspartnerschaften" möglich. Sie seien Lebenspartner und stünden füreinander ein.

Das Finanzgericht Münster lehnte die Zusammenveranlagung ab, was der Bundesfinanzhof stützte. Als "Lebenspartner und Lebenspartnerschaften" seien eingetragene Lebenspartnerschaften gleichen Geschlechts gemeint. Verschiedengeschlechtliche nicht verheiratete Partner sollten mit dem Gesetz nicht erfasst werden. Letztlich solle der Steuervorteil nur rechtlich gebundenen Paaren zugutekommen. Diese Privilegierung sei vom Bundesverfassungsgericht für zulässig gehalten worden.

Az.: III B 100/16



Landessozialgericht

Behandlungspflege im Heim nicht von Selbstständigen



Pflegefachkräfte in einem Heim arbeiten dort in aller Regel als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und nicht als Selbstständige. Gehört auch Behandlungspflege zu den Aufgaben der Pflegekräfte, ist eine angestellte Beschäftigung sogar zwingend, entschied das Hessische Landessozialgericht (LSG) in Darmstadt in einem am 13. Juni bekanntgegebenen Urteil.

Im Streitfall ging es um einen anerkannten Altenpfleger in einem stationären Heim im Kreis Groß-Gerau. Der Mann arbeitete zu festem Stundenlohn, wurde vom Heim aber als freiberufliche Pflegekraft eingesetzt.

Zu den Aufgaben des Altenpflegers gehörten das An- und Ausziehen der Pflegebedürftigen oder auch deren Umlagerung und Mobilisation sowie Hilfestellungen bei der Körperpflege. Ebenfalls musste er eine Behandlungspflege machen, wie etwa das Wechseln von Verbänden oder die Gabe von Infusionen.

Die Deutsche Rentenversicherung stufte den Pfleger damit als abhängig beschäftigt ein. Es wurden Sozialbeiträge fällig. Der Altenpfleger zog schließlich vor Gericht.

Das LSG urteilte, dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung besteht. Der Altenpfleger habe nicht nur eine feste Stundenvergütung erhalten und kein unternehmerisches Risiko getragen. Er sei auch in die Arbeitsorganisation des Heims eingegliedert und weisungsabhängig tätig gewesen. Im Schichtdienst habe er mit den fest angestellten Kranken- und Altenpflegern sowie Ärzten zusammengearbeitet. Dabei habe er sich an sämtliche Abläufe des Pflegeheims halten und seine Pflegeleistungen dokumentieren müssen.

Zudem sei die Behandlungspflege eine Maßnahme der ärztlichen Behandlung. Diese könne der Arzt zwar delegieren, dies setze aber eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation und insbesondere auch die Weisungsbefugnis des Pflegeheims und des dortigen Arztes voraus.

Az.: L 1 KR 551/16



Landesarbeitsgericht

Bespitzelter Betriebsrat erhält 10.000 Euro Entschädigung



Das rheinland-pfälzische Landesarbeitsgericht hat den Schutz von Beschäftigten vor unzulässiger Bespitzelung durch die Unternehmensführung gestärkt. Ein Unternehmen zur Instandsetzung von Eisenbahntechnik aus Kaiserslautern muss seinem Betriebsratsvorsitzenden eine Entschädigung in Höhe von 10.000 Euro zahlen, weil es ihn durch eine private Detektei überwachen ließ, wie das Gericht am 21. Juni in Mainz mitteilte. Die Richter gaben einer Klage gegen die Firma statt, nachdem der Mitarbeiter in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern noch abgewiesen worden war.

Der Überwachung war ein interner Konflikt über den Umfang der Freistellung des Betriebsrats von seiner regulären Tätigkeit vorausgegangen. Über einen Informanten erfuhr die Gewerkschaft des Mannes, dass das Unternehmen Privatdetektive damit beauftragt hatte, ihn zu observieren. Die Detektei hatte dem Unternehmen dafür ein Honorar von mehr als 39.000 Euro in Rechnung gestellt.

Eine Klage wegen massiver Verletzung der Persönlichkeitsrechte wies das Arbeitsgericht in Kaiserslautern dennoch zunächst ab. Sie hielt dem Unternehmen zugute, dass die Überwachung sich auf die Dienstzeit des Mannes beschränkt haben soll und auch keine heimlichen Foto- oder Videoaufnahmen angefertigt worden seien. Die Berufung gegen diese Entscheidung hatte Erfolg. Persönlichkeitsrechte müssten selbstverständlich auch am Arbeitsplatz gelten, urteilten die Richter. Gegen den betroffenen Mitarbeiter habe kein Verdacht wegen strafbarer Handlungen bestanden.

Gegen das Unternehmen spreche auch die hohe Rechnung der Detektei. Aus dem Betrag ergebe sich, dass der Betriebsrat täglich über viele Stunden von mehreren Personen überwacht worden sei. Der Observation fehle zudem jegliche Grundlage, da der Streit über die Freistellung für Betriebsratsangelegenheiten zum damaligen Zeitpunkt ebenfalls schon vor Gericht anhängig war.

Az.: 5 SA 7 449/16



Oberlandesgericht

Untersuchungshaft für Apotheker verlängert



Ein Apotheker, der zahlreichen Patienten minderwertige oder unwirksame Medikamente verkauft haben soll, bleibt in Untersuchungshaft. Das Oberlandesgericht Hamm ordnete am 21. Juni wegen Fluchtgefahr eine Verlängerung der bereits sechsmonatigen Haftzeit an. Der Bottroper Apotheker soll laut Anklage in über 50.000 Fällen gegen das Arzneimittelgesetz verstoßen haben. Der Beschuldigte soll für die Krebsbehandlung bestimmte Arzneimittel in minderer Qualität hergestellt und verkauft haben.

So sollen Präparate des Apothekers so geringe Mengen der verordneten Wirkstoffe enthalten haben, dass die Medikamente teilweise wirkungslos gewesen seien, erklärte das Gericht. Außerdem sollen bei der Herstellung vorgeschriebene Hygieneregeln missachtet worden sein. In vielen Fällen soll der Apotheker die minderwertigen Präparate aber so abgerechnet haben, als habe der Wirkstoffgehalt der Verschreibung entsprochen.

Es bestehe Fluchtgefahr, begründete das Oberlandesgericht die Verlängerung der Untersuchungshaft. Wegen der hohen Zahl der Taten und der Schwere der Vorwürfe müsse der Beschuldigte mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Zudem hätten die Ermittlungen nicht schneller betrieben werden könne. Es seien umfangreiche Begutachtungen der Präparate und Aufzeichnungen des Beschuldigten sowie Befragungen von den Herstellern der Wirkstoffe nötig.

Der Mann war wegen eines Haftbefehls des Amtsgerichts Essen seit November in Untersuchungshaft. Das Amtsgericht hatte im April den ursprünglichen Haftbefehl erweitert und eine Verlängerung der Untersuchungshaft angeordnet.

Az.: 5 Ws 213/17



Sozialgericht

Jobcenter muss Strafe wegen nicht gewährter Aufstockung zahlen



Verweigert ein Jobcenter einem EU-Ausländer mit geringfügiger Beschäftigung ohne Begründung eine Hartz-IV-Aufstockung, kann es zu einer Strafzahlung verurteilt werden. Das Sozialgericht Dortmund entschied in einer am 22. Juni bekanntgegebenen einstweiligen Anordnung, dass das Jobcenter Hagen sogenannte Verschuldenskosten in Höhe von 500 Euro zahlen muss, weil es einem rumänischen Familienvater mit vier Kindern Arbeitslosengeld II beziehungsweise Sozialgeld verweigert hatte. Der Mann arbeitet als Sortierer in einem Paketdepot und hatte die aufstockende Unterstützung beantragt.

Für seine Ablehnung konnte das Jobcenter nach Ansicht des Gerichts keine Begründung im Gesetz oder in der Rechtssprechung anführen. Vielmehr habe das Jobcenter den "offensichtlich bestehenden Leistungsanspruch der Familie" ignoriert, obwohl das Gericht bei einem Erörterungstermin bereits darauf hingewiesen habe. Das Verhalten der Behörde "erwecke den Eindruck, dass sie es in einer Vielzahl derartiger Fälle regelmäßig darauf anlege, nur zu leisten, wenn sie von dem Gericht dazu verpflichtet werde". Das Sozialgericht wies nun in dem Eilverfahren die vorläufige Zahlung von Leistungen der Grundsicherung an und verhängte zudem die Verschuldenskosten gegen das Jobcenter.

Az.: S 19 AS 2057/17 ER



Sozialgericht

Versicherter muss sich auch am Rosenmontag um Krankschreibung kümmern



Wenn der Krankenschein ausläuft und der Versicherte weiter krank ist, muss er sich nach einem Beschluss des Sozialgerichts Koblenz selbst um eine neue Bescheinigung kümmern. "Es liegt ausschließlich im Verantwortungsbereich des Versicherten, auf eine nahtlose Bescheinigung seiner Arbeitsunfähigkeit hinzuwirken", teilte das Gericht am 19. Juni mit. Wenn die Arztpraxis geschlossen habe, müsse der Versicherte zu einem Vertretungsarzt oder notfalls ins Krankenhaus gehen.

Im konkreten Fall lief die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Mannes im Landkreis Neuwied an einem Freitag aus. Er hätte sich daraufhin am folgenden Montag eine neue Bescheinigung ausstellen lassen müssen. "Eine erneute Attestierung erfolgte aber erst am Dienstag", teilte das Gericht mit. Der Versicherte habe erklärt, dass am Rosenmontag die Praxis seines Arztes geschlossen gewesen sei.

Auch wenn viele Arztpraxen wegen der Karnevalsfeierlichkeiten geschlossen hätten, ändere das nichts daran, dass Rosenmontag kein Feiertag sei, erklärten die Richter. "Der Mann hätte sich in diesem Fall an einen Vertretungsarzt oder notfalls an ein Krankenhaus wenden müssen, um eine wirksame Verlängerung seiner Arbeitsunfähigkeit zu erhalten."

Az..: S 11 KR 128/17 ER



Sozialgericht

Künstler-Preisgeld wird auf Hartz-IV-Leistungen angerechnet



Jobcenter dürfen Empfängern von Hartz-IV-Zahlungen das Preisgeld aus einer Kunstauszeichnung als Einkommen anrechnen. Das Mainzer Sozialgericht wies in einem aktuellen Fall die Klage eines 28-jährigen Künstlers ab. Der Mann hatte beim Wettbewerb eines privaten Vereins für ein Kunstwerk aus gebrauchten Kaffeemaschinen-Kapseln einen mit 300 Euro dotierten Sonderpreis erhalten. Das Jobcenter wertete den Betrag als Einkommen und kürzte die Zahlungen um den entsprechenden Betrag. Mit ihrem am 14. Juni veröffentlichten Urteil erklärten die Richter das Vorgehen der Behörde für korrekt.

Der Künstler war mit der Begründung gegen den Bescheid des Jobcenters vorgegangen, das Preisgeld sei eine Würdigung seines Schaffens und müsse wie Ehrenpreise oder Leistungen der Katastrophenhilfe anrechnungsfrei bleiben. Das Sozialgericht urteilte hingegen, eine Anrechnung sei nur dann unzulässig, wenn sie "grob unbillig" wäre. Dies treffe bei einem Kunstpreis nicht zu. Bei dem Preisgeld eines privaten Vereins handele es sich nicht um eine Zuwendung aufgrund besonderer Verdienste.

Az.: S 15 AS 148/16




sozial-Köpfe

Mitteldeutschland

Diakoniechef Grüneberg in Ruhestand verabschiedet




Eberhard Grüneberg
epd-bild/Diakonie Mitteldeutschland
Der mitteldeutsche Diakoniechef Eberhard Grüneberg geht in den Ruhestand. Zu seinem Nachfolger wurde bereits im vergangenen Herbst der bisherige Dresdner Stadtmissionschef Christoph Stolte gewählt.

Mit einem Festgottesdienst ist der mitteldeutsche Diakoniechef Eberhard Grüneberg am 16. Juni in Halle in den Ruhestand verabschiedet worden. Zum anschließenden Empfang im Stadthaus waren rund 300 Gäste geladen, darunter Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und sein Thüringer Amtskollege Bodo Ramelow (Linke).

Haseloff würdigte die Arbeit von Grüneberg und dankte ihm für seinen "unermüdlichen Einsatz". Grüneberg habe nicht nur die Diakonie und die Evangelische Kirche Mitteldeutschlands geprägt, er habe den sozialen und mitmenschlichen Charakter des gesamten Gemeinwesens verteidigt.

Eberhard Grüneberg wurde am 17. Dezember 1955 in Holzthaleben in Thüringen geboren. Er absolvierte zunächst eine Berufsausbildung zum Schriftsetzer und arbeitete unter anderem in Heiligenstadt in einer Buchdruckerei und in Weimar beim "Thüringer Tageblatt" und der Kirchenzeitung "Glaube und Heimat". Nach einem Theologie-Studium in Jena arbeitete er fast elf Jahre als Pfarrer in der Dorfgemeinde Rüdersdorf bei Gera. Von 2000 bis 2004 war er Leiter und Hauptgeschäftsführer des Diakonischen Werkes der Thüringer Landeskirche, anschließend Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland, dem mit 30.000 Mitarbeitern und mehr als 1.700 Einrichtungen größten Wohlfahrtsverband in den ostdeutschen Bundesländern.

Offiziell geht Oberkirchenrat Grüneberg zum 30. Juni in den Ruhestand. Zu seinem Nachfolger wurde bereits der bisherige Dresdner Stadtmissionschef Christoph Stolte gewählt.



Weitere Personalien



Thomas Voelzke wurde zum neuen Vizepräsidenten des Bundessozialgerichts in Kassel ernannt. Er folgt auf Rainer Schlegel, der am 1. Oktober 2016 Präsident des Bundessozialgerichts geworden ist. Voelzke, geboren 1956 in Elmshorn, wurde 1985 Sozialrichter in Schleswig-Holstein. 1992 wurde der habilitierte Jurist in Mecklenburg-Vorpommern zum Richter am Landessozialgericht ernannt. Seit 1. Januar 1997 ist Voelzke Richter am Bundessozialgericht. Er übt derzeit den Vorsitz in dem für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen 4. Senat und in dem für das Recht der Arbeitsförderung zuständigen 11. Senat aus. Voelzke ist seit 2010 als Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig.

Rüdiger Linck wurde von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt ernannt. Linck, Jahrgang 1959, wurde 1989 Arbeitsrichter in Baden-Württemberg. Im Dezember 1993 kam er zum Sächsischen Landesarbeitsgericht. Seit Mai 2001 gehört er dem Bundesarbeitsgericht an. Er war dort in verschiedenen Senaten tätig, im Mai 2014 wurde er Vorsitzender Richter des 10. Senats.

Pablo Coseriu ist neuer Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht. Er übernimmt den Vorsitz des für Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes zuständigen 7./8. Senats. Coseriu wurde 1958 als Kind einer italienischen Mutter und eines uruguayischen Vaters in Montevideo (Uruguay) geboren. Von 1993 bis 2006 war er Präsidialrichter des Thüringer Landessozialgerichts. Seit 2007 ist er Richter am Bundessozialgericht. Dort war er zuletzt Mitglied des für die gesetzliche Krankenversicherung zuständigen 1. Senats tätig.

Benedikt Geldmacher (43) ist neuer Vorsitzender der Deutschen Kinderkrebsstiftung und der Deutschen Leukämie-Forschungshilfe. Der Kölner Biologe wurde zum Nachfolger des Berliner Juristen Ulrich Ropertz (62) gewählt. Kinderkrebsstiftung und Leukämie-Forschungshilfe engagieren sich nach eigenen Angaben vor allem in der Forschungsförderung im Bereich der Kinderonkologie. Im vergangenen Jahr seien 33 neue Projekte mit über 6,7 Millionen Euro für die Erforschung und Behandlung der verschiedenen Krankheitsbilder von Krebs bei Kindern und Jugendlichen bewilligt worden, hieß es.

Nahlah Saimeh (51), Ärztliche Direktorin des LWL-Zentrums für Forensische Psychiatrie Lippstadt-Eickelborn, gibt ihren Posten im Frühjahr 2018 auf. Sie will sich ab Mai des nächsten Jahres als forensische Psychiaterin selbstständig machen. Saimeh sei eine der meistgefragten gerichtspsychiatrischen Expertinnen im deutschsprachigen Raum, hieß es. Die aus Münster stammende Psychiaterin und Psychotherapeutin steht seit 2004 an der Spitze des LWL-Forensikzentrums. Es ist eine Fachklinik für die Therapie und Sicherung von psychisch kranken und suchtkranken Straftätern. Dort sind rund 330 Patienten stationär untergebracht.

Peter N. Meier vom Gesundheitskonzern Diakovere in Hannover ist neuer Vorsitzender der Niedersächsischen Krebsgesellschaft. Bei der Mitgliederversammlung des Verbandes wurde der Mediziner zum Nachfolger von Renate Bendel gewählt. Bendel stand 20 Jahre lang an der Spitze der Krebsgesellschaft. Sie war im Februar überraschend gestorben. Meier leitet im diakonischen Henriettenstift die Klinik für Gastroenterologie. Er war bislang bereits stellvertretender Vorsitzender des Verbandes.

Ulrike Haßelbeck ist zur stellvertretenden Vorsitzenden der Bundesarbeitsgemeinschaft Kath. Krankenhaus-Hilfe (BAG) gewählt worden. Das Amt der Vorsitzenden blieb zunächst vakant. Gudrun Schälte und Karla Streiter wurden in den Beirat gewählt und übernehmen für die nächsten vier Jahre die Leitung der Organisation. Anneliese Florack, bisherige Vorsitzende, ihre Stellvertreterin Ingrid Link und Monika Fischer, Mitglied des Beirats, standen für Wiederwahlen nicht mehr zur Verfügung und schieden aus der Gremium aus. In der Arbeitsgemeinschaft haben sich den Angaben nach rund 170 Krankenhaus-Hilfe-Gruppen mit 3.100 Grünen Damen und Herren zusammengeschlossen.

Dieter Brünink, Geschäftsführer des Borromäus Hospital Leer, ist neuer Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft der ostfriesischen Krankenhäuser. Er tritt die Nachfolge von Alfred Siebolds an, dem Geschäftsführer des Krankenhauses Wittmund. Zum Stellvertreter wurde Claus Eppmann, Sprecher der Geschäftsführung der Trägergesellschaft Zentralklinikum Aurich-Emden-Norden, ernannt. Zur Arbeitsgemeinschaft der ostfriesischen Krankenhäuser gehören acht Träger.




sozial-Termine



Die wichtigsten Fachveranstaltungen bis August

Juni

28.6. Heidelberg:

Seminar "Fördermittel für Vereine und gemeinnützige Organisationen"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 07961/959-881

www.akademie-sued

29.6. Münster:

Seminar "Spenden und Sponsoring"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

Juli

3.-5.7. Remagen:

Seminar "Familienzusammenführung von Geflüchteten"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/26309-0

www.bundesakademie.org

3.-5.7. Berlin:

Seminar "Wie komme ich in der (Schuldner-)Beratung mit den Ratsuchenden weiter?

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/488 37-330

www.ba-kd.de

3.-5.7. Stuttgart:

Seminar "Ein Team leiten - Basiswissen für ein erfolgreiche Teamleitung"

der Paritätischen Akademie Süd

Tel.: 07961/959-881

www.akademiesued.org

5.7. Düsseldorf:

Seminar "Management Zukunftswerkstatt Altenpflege"

der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Curacon GmbH

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

5.-7.7. Remagen:

Grundlagenqualifizierung "Methoden und Materialien für die sexualpädagogische Arbeit"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/263 09-138

www.awo-bundesakademie.org

6.7. Münster:

Seminar "Aktuelle Entwicklungen im Bereich der Umsatzsteuer"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

7.7. Köln:

Seminar "Gefördert und gefordert: Einblicke in EU-Fördermöglichkeiten"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.: 0761/200-1700

www.fak-caritas.de

10.-11.7. Ludwigsburg:

Seminar "Globales Lernen in der Kita und sozialer Arbeit"

der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg

Tel.: 07141/9745-282

www.eh-ludwigsburg.de/ifw

10.-12.7. Berlin:

Seminar "Traumasensibles Umgehen mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/488 37-330

www.ba-kd.de

12.-14.7. Remagen:

Seminar "Neue Perspektiven entwickeln - Genderkompetenz als Schlüsselqualifikation für Fach- und Führungskräfte"

der AWO Bundesakademie

Tel.: 030/263 09-138

www.awo-bundesakademie.org

12.-14.7. Freiburg:

Seminar "Führen in Veränderungsprozessen der Organisation"

der Fortbildungsakademie des Deutschen Caritasverbandes

Tel.:0761/200-1706

www.fak-caritas.de

18.7. Münster:

Seminar "Fit für die Zukunft - Ist der Verein die geeignete Rechtsform für Träger der Sozialwirtschaft?"

der BPG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft

Tel.: 0251/48204-12

www.bpg-muenster.de/seminarangebote-bpg-unternehmensgruppe

20.-21.7. Steinfurt:

Seminar "Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Intelligenzminderung"

der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Tel.: 030/488 37-330

www.ba-kd.de

August

22.8. Hannover:

Fachtag "Altenhilfe"

der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Curacon

Tel.: 0251/92208-0

www.curacon.de/fachtagungen

31.8.-1.9. Düsseldorf:

Seminar "Kreative Methoden in der Beratung"

der Paritätischen Akademie NRW

Tel.: 0202/2822-232

www.paritaetische-akademie-nrw.de