Ausgabe 25/2017 - 23.06.2017
Berlin (epd). "Ich brauche dringend ein Laminiergerät, wer hat eins?", ruft es abends virtuell in die Nachbarschaft. Und es gibt ihn tatsächlich, den Nachbarn mit dem Laminiergerät, der nur ein paar Häuser weiter wohnt. Gesuche wie dieses werden täglich online in die Nachbarschaftsnetzwerke gestellt, die 2014 in Deutschland im Internet aufkamen. Meist geht es um alltägliche Dinge: Kinder hüten, Gassi gehen, Nachhilfe oder Klavierunterricht geben, im Garten helfen, gemeinsam Handarbeiten oder Sport machen. Die Netzwerke sind eine Reaktion auf die Anonymisierung der Großstadt. Sie wollen Anwohner wieder zu Nachbarn machen, die sich kennen und gegenseitig unterstützen.
Portale wie Nachbarschaft.net, LokalPortal.de oder wirNachbarn.com konnten sich allerdings nicht flächendeckend durchsetzen. Ende 2015 folgte der heutige Marktführer nebenan.de. Er hat nach eigenen Angaben inzwischen eine halbe Million Nutzer in gut 3.200 Nachbarschaften. Anfang Juni fusionierte das Netzwerk mit wirNachbarn.com, dem bislang zweitgrößten Nachbarschaftsnetzwerk in Deutschland. Dieses wird seinen Dienst in den kommenden Wochen einstellen, die Nutzer können zu nebenan.de wechseln. Mit dem Zusammenschluss wollen die beiden Portale das gemeinsame Ziel eines verbesserten nachbarschaftlichen Miteinanders vorantreiben, heißt es offiziell.
Denn die Konkurrenz schläft nicht: Aktuell geht nextdoor.de in Deutschland an den Start, ein Portal, das in den USA schon länger erfolgreich ist. Abwanderungen befürchtet Ina Brunk, Mitgründerin von nebenan.de, aber nicht. Die Server von nebenan.de stehen in Frankfurt am Main, für das Unternehmen gelten die deutschen Datenschutzregelungen - Bedingungen, die ausländische Bewerber nicht bieten können. "Datenschutz ist ein Riesenthema in Deutschland! Wer bei uns auf den Lösch-Button klickt, wird auch wirklich gelöscht und nicht nur eingeschläfert", versichert die 34-Jährige.
Wer sich auf nebenan.de anmeldet, kann dies nur mit Klarnamen und anschließender Überprüfung der Adresse. Anonymität gibt es nicht. Auf der Webseite können Mitglieder aus derselben Nachbarschaft den vollen Namen sowie die Straße sehen. Der Umgang im Portal sei sehr freundlich. "Wahrscheinlich ist die Hürde größer, wenn man dem Beschuldigten am nächsten Tag auf der Straße begegnen könnte und seinen vollen Namen kennt", sagt Brunk.
Ein Schlüsselmoment war für Brunk, als sie in den Urlaub fahren wollte, aber noch dringend ein Paket zur Post bringen musste. Die Postfiliale war schon zu, der Flieger ging am nächsten Morgen. "Also bin ich mit dem Fahrrad zu einer Freundin geradelt und hab ihr das Paket auf den Balkon geschmissen, sie war nämlich auch nicht zu Hause", erzählt Brunk. Die Freundin habe das Paket dann zur Post gebracht. "Das hat mich mindestens eine halbe Stunde Zeit gekostet. Hätte ich meinen Nachbarn gekannt, wäre das einfacher gewesen."
Natürlich könne man auch einfach nebenan klingeln und um das bitten, was man braucht oder einen Zettel mit der Einladung zum Spieleabend im Hausflur aushängen, gibt Brunk zu. "Aber wer macht das schon? Online ist es einfach leichter, Kontakt aufzubauen."
Um eine Online-Nachbarschaft zu gründen, reichen fünf Teilnehmer aus derselben Umgebung. Sie können ihre Nachbarn zum Mitmachen einladen, Werbezettel aufhängen, Flyer in Briefkästen schmeißen. Nebenan.de lebt von engagierten Teilnehmern, die auch mal kostenlose Werbearbeit für die Plattform machen. Die Zahl der Nutzer steigt kontinuierlich.
Mit sechs Mitarbeitern hat nebenan.de vor zwei Jahren in Berlin angefangen. Inzwischen beschäftigt die Firma 40 feste Mitarbeiter. Das Geld kommt von großen Investoren wie Burda und Lakestar, insgesamt 5,5 Millionen Euro. Noch werfe das Portal kein Geld ab, aber das solle sich bald ändern, sagt Brunk. Nebenan.de plant, lokale Unternehmer und Geschäfte auf die Plattform zu holen, die bezahlte Profile anlegen und dann als Nachbarn agieren. Frisörsalons könnten so kurzfristig freigewordene Termine an Nachbarn vergeben, die sofort da sein können. Kleine Geschäfte könnten Nachbarschaftsrabatte anbieten, stellt Brunk sich vor. Auf klassische Werbung will nebenan.de auch weiterhin verzichten.