Kirchen

Jüdischer Verband sagt Israel-Reise mit Landeskirche ab


Der pensionierte Pfarrer Rainer Stuhlmann (Archivbild von 2013) im christlichen Kibbuz Nes Ammim, der Name heißt übersetzt: Zeichen der Völker.
epd-bild / Debbie Hill
Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein hat eine gemeinsame Israel-Reise mit Mitgliedern der rheinische Kirche abgesagt. Der Grund ist ein kritischer Beitrag zur Staatgründung Israels vor 70 Jahren in einer Gottesdiensthilfe.

Aus Ärger über einen kritischen Beitrag zur Staatsgründung Israels vor 70 Jahren hat der Landesverband der jüdischen Gemeinden von Nordrhein eine gemeinsame Israel-Reise mit Spitzenvertretern der Evangelischen Kirche im Rheinland abgesagt. Ein Beitrag des Pfarrers Rainer Stuhlmann in einer Gottesdienst-Arbeitshilfe hinterlasse "einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype", erklärte der Vorstandsvorsitzende des jüdischen Landesverbandes, Oded Horowitz, am 24. April in Düsseldorf.

Rheinische Kirche bedauert Entscheidung

Weil die rheinische Kirchenleitung sich davon nicht unmissverständlich distanziert habe, werde der Landesverband die gemeinsame Reise nicht antreten. Die rheinische Landeskirche bedauerte die Absage der für Ende vergangener Woche geplanten Reise. Sie habe dem Dialog auch über unterschiedliche Sichtweisen dienen und die gemeinsame Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus unterstreichen sollen.

Die Arbeitshilfe der rheinischen Kirche "70 Jahre Staat Israel. Ein Termin im christlichen Kalender?" enthält neben Liedern und Gebeten für Gottesdienste auch einen Beitrag des Ruhestandspfarrers Stuhlmann. Er war von 2011 bis 2016 Studienleiter im christlichen Dorf Nes Ammim im Norden Israels, das Ziel der gemeinsamen Reise sein sollte.

Kritisik an israelischer Siedlungspolitik

Stuhlmann schreibt in der Arbeitshilfe, die Errichtung des Staates Israel sei für Christen ein Grund zur Dankbarkeit und zum Feiern. Zugleich kritisiert er die israelische Siedlungspolitik und schreibt, die Staatsgründung habe für die Juden zwar Schutz, Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden gebracht, für die Palästinenser aber "Vertreibung, Zerstörung, Zwang und Unrecht".

Horowitz erklärte, der Beitrag habe den jüdischen Landesverband "bestürzt und traurig" zurückgelassen. "Die darin geäußerte Verunglimpfung des Staates Israel als brutale Besatzungsmacht und die Unterschlagung historischer Fakten sind für uns nicht hinnehmbar", erklärte Horowitz. "Zur 70. Jubiläumsfeier der Gründung des Staates Israel auf die Lebenslage der palästinensischen Bevölkerung als direktes Resultat der Staatgründung Israels zu verweisen, stellt das Existenzrecht Israels in Frage und hinterlässt einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype."

Der jüdische Landesverband bestand nach Horowitz' Worten auf einer Distanzierung der Kirchenleitung von dem Beitrag. Dazu sei aber kein Übereinkommen erzielt worden, auch wenn der rheinische Präses Manfred Rekowski persönlich versichert habe, dass es sich nicht um eine Grundlagenerklärung der Landeskirche handle, sondern um einen namentlich gekennzeichneten Beitrag.

Kontakt bleibt bestehen

Horowitz betonte, der Landesverband stehe aber weiterhin für regelmäßige Konsultationen mit der rheinischen Kirche zur Verfügung und hoffe, "den wichtigen und konstruktiv-kritischen Dialog" zu gegebenem Zeitpunkt wieder aufnehmen zu können. Der Vorstand des Verbandes werde nun alleine nach Israel reisen.

Präses Rekowski bedauerte die Absage. "Gerne hätten wir auch die Reise mit dem Landesverband für das Gespräch über diese kontroversen Themen genutzt", erklärte der leitende Theologe der zweitgrößten deutschen Landeskirche. Die Mitglieder der rheinischen Kirchenleitung würden nun nicht nach Israel reisen, weil das Anliegen einer Begegnung mit dem Landesverband und einer gemeinsamen Feier der Staatsgründung hinfällig geworden sei.

"Dort, wo sachliche Kritik an der Arbeitshilfe geübt wird, beschäftigen wir uns selbstverständlich mit dem Thema", kündigte Rekowski an. Wo die rheinische Kirche "bei allen unterschiedlichen Sichtweisen mit Blick auf Israel" stehe, zeige das von ihm verfasste Vorwort zur Arbeitshife. Darin schreibt der Präses: "Wir teilen die Freude über das Bestehen dieses Staates, allen Anfeindungen in der Region und weltweit zum Trotz."

Die Delegation der rheinischen Kirche und des jüdischen Landesverbandes hatte ursprünglich vom 26. bis 29. April nach Israel reisen wollen. Es wäre die erste gemeinsame christlich-jüdische Reise in der Geschichte der rheinischen Kirche gewesen.



Rheinischer Präses verteidigt Papier zu Israel


Manfred Rekowski
epd-bild/Stefan Arend

Der rheinische Präses Manfred Rekowski hat die umstrittene Gottesdienst-Arbeitshilfe seiner Landeskirche zum 70-jährigen Bestehen des Staates Israel verteidigt. "Eine Distanzierung konnte es nicht geben, denn in der Sache sehe ich dazu keine Notwendigkeit", sagte Rekowski der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (27. April). "Für uns ist wichtig, auch die Seite der Palästinenser zu betrachten. Wir stehen da zwischen den Stühlen, und das ist schwer, aber an dieser Stelle dürfen wir es uns nicht einfach machen."

Aus Ärger über einen kritischen Beitrag über die Staatsgründung Israels in der Arbeitshilfe hatte der Landesverband der jüdischen Gemeinden von Nordrhein eine gemeinsame Israel-Reise mit Spitzenvertretern der Evangelischen Kirche im Rheinland abgesagt. Die Arbeitshilfe der rheinischen Kirche mit dem Titel "70 Jahre Staat Israel. Ein Termin im christlichen Kalender?" enthält neben Liedern und Gebeten für Gottesdienste auch einen Beitrag des Ruhestandspfarrers Rainer Stuhlmann. Er war von 2011 bis 2016 Studienleiter im christlichen Dorf Nes Ammim im Norden Israels, das Ziel der gemeinsamen Reise sein sollte.

"Verunglimpfung"

Stuhlmann schreibt in der Arbeitshilfe, die Errichtung des Staates Israel sei für Christen ein Grund zur Dankbarkeit und zum Feiern. Zugleich kritisiert er die israelische Siedlungspolitik und schreibt, die Staatsgründung habe für die Juden zwar Schutz, Sicherheit, Gerechtigkeit und Frieden gebracht, für die Palästinenser aber "Vertreibung, Zerstörung, Zwang und Unrecht".

Der Vorstandsvorsitzende des jüdischen Landesverbandes, Oded Horowitz, nannte den Beitrag eine "Verunglimpfung des Staates Israels als brutale Besatzungsmacht". Die Unterschlagung historischer Fakten sei "für uns nicht hinnehmbar". Insgesamt hinterlasse der Text "einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype", erklärte Horowitz.

Präses Rekowski wies die Vorwürfe zurück. "Man kann diesen Text nicht als israel-feindlich verstehen, wenn man in Rechnung stellt, wofür Stuhlmann steht", betonte er. Zugleich äußerte er erneut sein Bedauern über die abgesagte Reise. "Für uns ist das eine traurige Erfahrung und ausgesprochen bitter." Die Reise wäre seiner Ansicht nach eine einmalige Chance gewesen, "sich trotz unterschiedlicher Sichtweisen auf die politische Situation im Nahen Osten menschlich anzunähern und zu verständigen".



Haarmann: Starkes Zeichen der Freude über 70 Jahre Israel


Volker Haarmann
Sergej Lepke/ekir

Ein Zeichen der Freude über 70 Jahre Staat Israel, aber kein Bekenntnistext: So bewertet Volker Haarmann, Leitender Dezernent für Theologie der Evangelischen Kirche im Rheinland, eine Gottesdienst-Arbeitshilfe seiner Kirche, die den Zorn des Landesverbands der jüdischen Gemeinden von Nordrhein auf sich gezogen hat. Der Verband wähnt durch Formulierungen in einem vierseitigen Essay den Staat Israel infrage gestellt. Der Text sei zwar pointiert, aber keineswegs einseitig, sagte Haarmann dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Düsseldorf. Die guten Beziehungen zwischen Landeskirche und jüdischem Verband sieht er nicht gefährdet.

epd: Der Landesverband der jüdischen Gemeinden von Nordrhein hat eine gemeinsame Reise mit der rheinischen Kirchenleitung nach Israel abgesagt, weil er den Staat Israel in einer Gottesdienst-Arbeitshilfe Ihrer Kirche falsch dargestellt sieht. Verstehen Sie die Kritik?

Haarmann: Wir sehen, an welchen Punkten sich die Kritik entzündet. Sie leuchtet uns aber inhaltlich nicht ein. Wir denken nach wie vor, dass die Arbeitshilfe ein hilfreicher Beitrag ist, der unsere Gemeinden ermutigen kann, anlässlich des 70. Jahrestages der Staatsgründung Israels einen christlichen Gottesdienst zu feiern. Sie ist ein starkes Zeichen, dass wir uns mit den Juden in aller Welt über 70 Jahre Staat Israel freuen. Es handelt sich aber nicht um einen Bekenntnistext, und mit sachlicher Kritik setzen wir uns gerne auseinander.

epd: Der Verband wirft Rainer Stuhlmann, dem Autor eines Beitrags der Arbeitshilfe, die Verunglimpfung des Staates Israels als brutale Besatzungsmacht und die Unterschlagung historischer Fakten vor. Wie sehen Sie das?

Haarmann: Die Kritik am Essay von Rainer Stuhlmann behauptet eine Einseitigkeit, die wir so nicht gegeben sehen. Der Text ist zwar pointiert und durchaus heraufordernd formuliert, das macht ihn auch angreifbar. Er versucht aber, der Spannung zwischen jüdischen und palästinensischen Perspektiven - die es auch innerhalb Israels gibt - nicht auszuweichen, sondern sie auszuhalten und auch darzustellen.

Für uns ist nicht nachvollziehbar, inwiefern es hier um eine Verunglimpfung des Staates Israel gehen soll. Schon der Zusammenhang stellt klar, dass es um das 70. Jubiläum der Staatsgründung Israels geht. Gleich am Anfang wird klargemacht, welche große Bedeutung der jüdische Staat zurecht hat - auch theologisch für uns Christen. Präses Manfred Rekowski hat das in seinem Vorwort ebenfalls in aller Klarheit zum Ausdruck gebracht. Auch den Vorwurf der Unterschlagung historischer Fakten kann ich nicht nachvollziehen.

epd: Der jüdische Landesverband kritisiert, dass die Lebenslage der palästinensischen Bevölkerung als direktes Resultat der Staatgründung Israels darstellt werde, dies stelle das Existenzrecht Israels infrage und hinterlasse "einen faden Beigeschmack antizionistischer Stereotype".

Haarmann: Dass Rainer Stuhlmann das Existenzrecht Israels infrage stellen soll, ist weder aus diesem Essay noch aus seinen anderen Veröffentlichungen an irgendeiner Stelle herauszulesen. Der Text ist auch in keiner Weise antizionistisch. In einigen Medien wurde auch unterstellt, die israelische Staatsgründung sei historisch falsch dargestellt worden, weil es in dem Essay heißt, die von den Vereinten Nationen beschlossene Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat habe zu einem grausamen Krieg geführt.

Die Feindseligkeit der arabischen Staaten wird jedoch keineswegs unterschlagen. Es wird ganz klar darauf hingewiesen, dass Israel der einzige Staat ist, dessen Gründung mit einer Kriegserklärung all seiner Nachbarstaaten beantwortet wurde und dem bis heute viele arabische und islamische Staaten sein Existenzrecht absprechen.

epd: Was bedeutet die Absage der Reise für die künftigen Beziehungen zwischen der rheinischen Kirche und dem jüdischen Landesverband?

Haarmann: Wir sind traurig über die Absage der Reise, weil sie aus unserer Sicht eine große Chance gewesen wäre, gerade angesichts unterschiedlicher Perspektiven zu diesem sensiblen Thema. Der gemeinsame Aufenthalt in Israel sollte Zeit und Raum bieten, tiefer ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen. Unser Verhältnis ist sehr vertrauensvoll und gut, anders hätten wir eine solche Reise auch nicht planen können.

Wir sind zuversichtlich, dass wir diese engen und vertrauensvollen Beziehungen fortsetzen werden. Der jüdische Landesverband hat in seiner Absage der Reise bereits deutlich gemacht, dass er diesen Schritt nicht als Absage an das gute Miteinander mit uns versteht. Auch aus unserer Sicht besteht diese Gefahr nicht, sondern wir wollen die engen Gespräche und Kontakte weiter pflegen.

epd-Gespräch: Ingo Lehnick


Käßmann: Luther ging's nicht um Kreuze in Amtsstuben


Gedenkplatte zur Erinnerung an die Disputation Luthers 1518 in Heidelberg
epd-bild/Norbert Neetz
Bei einem Gottesdienst zur Erinnerung an Luthers Heidelberger Disputation vor 500 Jahren ging die frühere EKD-Ratsvorsitzende auch auf die aktuelle Diskussion über die Kreuzpflicht in bayerischen Landesbehörden ein.

Mit einem Gottesdienst haben die badische evangelische Landeskirche und die Universität Heidelberg an die Heidelberger Disputation vor 500 Jahren erinnert. Bei dem damaligen Streitgespräch des Reformators Martin Luther sei es diesem um das Gottesverständnis gegangen und eine Absage an eine "Theologie der Herrlichkeit, die der Kirche einen Heilsbesitz zuerkennt", sagte Margot Käßmann, Reformationsbotschafterin und ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), am 29. April in Heidelberg.

Für Luther sei es wichtig gewesen, nicht über die "Gottheit Gottes" zu spekulieren, sondern auf die Menschheit Christi zu schauen, "auf Jesus von Nazareth also, um Gott zu verstehen", betonte Käßmann. Das Kreuz sei eine Gottesmacht, sagte die Reformationsbotschafterin. Luther habe argumentiert, dass Jesus für uns am Kreuz gestorben sei. "Genau dadurch habe er für uns alle Erlösung von den Sünden möglich gemacht und diesen Gedanken führe die evangelische Kirche bis heute weiter.

Ein "Irrsinn mag dieses Kreuz den Menschen sein, aber es ist eben gerade kein Zeichen von Macht, Herrschaft und Durchsetzungsvermögen", betonte Käßmann. In Luthers Kreuzestheologie "theologia crucis" sei es nicht darum gegangen, "ob in bayrischen Amtsstuben Kreuze hängen sollen, sondern um das Gottesverständnis", sagte die Reformationsbotschafterin. Das Kreuz sei ein Zeichen von "Ohnmacht, Leid und dem Schrei nach Barmherzigkeit", sagte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und fügte hinzu: "Das müsste auch der evangelische Christ Markus Söder wissen", sagte Käßmann in Bezug auf die Entscheidung des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten zur Anbringung von Kreuzen in den Behörden des Freistaates.

"Hätte gern mitdisputiert"

"Ach, Martin Luther, ich hätte gern mitdisputiert vor 500 Jahren", sagte Käßmann und versprach, dass die evangelischen Christinnen und Christen weiter disputieren werden, was es mit der Theologie des Kreuzes auf sich habe. "Das ist spannend. Und das hält unsere Kirche lebendig", betonte Käßmann.

Der einzige Besuch Martin Luthers im Territorium des heutigen Baden-Württembergs fand vor 500 Jahren in Heidelberg statt. Am 26. April 1518 verteidigte er dort in einem Streitgespräch seine Thesen und brachte damit die Reformation im Südwesten Deutschlands ins Rollen. In der Disputation ging es unter anderem um die Gnade Gottes und die Konzeption einer Theologie, die sich am Kreuzestod Jesu Christi ausrichtet.

"Luther stieß hier in Heidelberg allerdings bei vielen älteren Kollegen auf Skepsis, ja Ablehnung, etliche Kollegen wandten sich von ihm ab", sagte Käßmann. Gleichzeitig habe er viele vor allem jüngere Theologen beeindruckt und beeinflusst. Durch die anwesenden Studenten etwa wie Martin Bucer oder Johannes Brenz breitete sich die Reformation dann im Südwesten Deutschlands und in Europa aus.

Bereits am 26. April hatten Kirche und Universität mit einem Festakt das historisch bedeutsame Ereignis gefeiert. Der Festgottesdienst am 29. April bildete den offiziellen Abschluss der Heidelberger Feierlichkeiten zum Reformationsjubiläum.



500 Jahre Heidelberger Disputation

Mit seiner Heidelberger Disputation im April 1518 hat Martin Luther die Reformation im Südwesten vorangetrieben. Während er zuvor in seinen 95 Thesen den Ablasshandel kritisierte, stellte er in Heidelberg die Rechtfertigungslehre in den Fokus.

Für seinen aufsehenerregenden Thesenanschlag am 31. Oktober 1517 in Wittenberg wurde der Augustinermönch Martin Luther weithin bekannt. Schon ein halbes Jahr später lud ihn die Generalversammlung des Augustinerordens nach Heidelberg ein, um dort seine 95 Thesen zu erläutern. Luthers Auftritt gilt als wichtiger Schritt für die Reformation im Südwesten.

Dieses Streitgespräch am 26. April 1518 kann als Teil des Vorgehens der römischen Kirche gegen Luther im Streit um den Ablasshandel verstanden werden. Der Theologieprofessor nutzte den Besuch, um seine Theologie erstmals außerhalb seiner Heimatuniversität Wittenberg vorzustellen.

Auf die Problematik seiner Thesen zum Ablasshandel ging er jedoch nicht ein. Stattdessen befasste er sich mit den Themen der Werkgerechtigkeit und der Kreuzestheologie. Dazu hatte er 40 neue Thesen verfasst, davon 28 theologische und 12 philosophische Thesen. Er legte thesenartig die Rechtfertigungslehre dar, also dass der Mensch nicht durch gute Werke, sondern allein durch den Glauben und die Gnade Gottes gerechtfertigt ist. Damit schuf Luther ein Fundament für seine Kritik am Ablasshandel.

"Pointiert formuliert"

Diese 40 Thesen seien eine "äußerst knapp und pointiert formulierte Zusammenfassung seiner reformatorischen Theologie", schreibt der Theologe Heinz Scheible. Die erste These fasse Luthers jahreslanges vergebliches Ringen, als Mönch das Heil zu erringen, zusammen: "Das Gesetz Gottes, die heilsamste Lehre des Lebens, kann den Menschen nicht zur Gerechtigkeit bringen; es ist ihm vielmehr ein Hindernis auf dem Wege dazu."

Diese Äußerungen Luthers enthielten viel Sprengstoff, sagte der Heidelberger Theologe Johannes Ehmann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Disputation gegen den damaligen Mainstream sei der "Inbegriff einer unangepassten Theologie" gewesen. Durch seinen Thesenanschlag sei Luther innerhalb kurzer Zeit bekanntgeworden. Deshalb habe er in Heidelberg auch "eine Art Promiprogramm" erfahren, so Ehmann.

Der Augustinermönch und Theologieprofessor wurde auch ins Schloss eingeladen von Pfalzgraf Wolfgang, dem jüngeren Bruder von Kurfürst Ludwig V. - bemerkenswert sei auch, dass die Disputation nicht im Augustinerkloster stattgefunden habe, sondern in der Universität, sagte Ehmann.

Studenten gewonnen

Unter den Professoren der theologischen Fakultät fanden Luthers Ausführungen wenig Zustimmung, wohl aber unter den Studenten. Unter den Zuhörern waren spätere Reformatoren wie Martin Bucer, Martin Fracht und Johannes Brenz. Die Mehrzahl der im Südwesten tätigen Pfarrer und Prediger hatte 1518 in Heidelberg studiert und wurden dort für Luthers Lehren gewonnen. Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Wolfgang Huber, bezeichnete dies als "reformatorischen Meilenstein" für Baden und die Kurpfalz.

Insbesondere Straßburg wurde durch Martin Bucers Wirken zu einem Zentrum der reformatorischen Bewegung. Luthers Thesen wurden auch durch enge briefliche Kontakte zwischen den Theologen verbreitet. Die 28 theologischen Thesen wurden erstmals 1520 in Paris und in Zwolle (Niederlande) gedruckt, die gesamten 40 Thesen 1530 in Wittenberg. Mit einem akademischen Festakt am 26. April und einem Gottesdienst am 29. April erinnern die badische evangelische Landeskirche und die Universität Heidelberg an die Heidelberger Disputation.

Christine Süß-Demuth (epd)


Kardinal Marx kritisiert bayerische Kreuz-Pflicht


Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Marx
epd-bild/Oliver Dietze
"Spaltung, Unruhe, Gegeneinander" beklagt Münchens Erzbischof Marx infolge des bayerischen Kabinettsbeschlusses. Sein evangelisches Gegenüber Bedford-Strohm verzichtet in der Debatte um Kreuze in Behörden auf direkte Kritik an der Söder-Regierung.

Die Debatte um die Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden tobt weiter. Während der katholische Münchner Erzbischof Reinhard Marx den Erlass der Staatsregierung kritisierte, weil er "Spaltung, Unruhe, Gegeneinander" geschaffen habe, äußerte sich der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm zurückhaltend: Es gehe "natürlich nicht", das Kreuz auf ein Kultursymbol zu reduzieren. Den Vorwurf, das Christentum zu vereinnahmen, um die eigenen Ziele zu legitimieren, wolle er aber "niemandem konkret machen".

"Kein Zeichen gegen andere"

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, sagte der "Süddeutschen Zeitung" (30. April): "Das Kreuz lässt sich nicht von oben verordnen." Wenn das Kreuz nur als kulturelles Symbol gesehen werde, habe man es nicht verstanden. "Dann würde das Kreuz im Namen des Staates enteignet." Das Kreuz könne man nicht haben ohne den Mann, der daran gehangen habe, führte Marx aus: "Es ist ein Zeichen des Widerspruchs gegen Gewalt, Ungerechtigkeit, Sünde und Tod, aber kein Zeichen gegen andere Menschen."

Das bayerische Kabinett unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte in der vergangenen Woche die allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats geändert. Im Eingangsbereich aller staatlichen Dienstgebäude muss ab 1. Juni als Ausdruck der "geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns" deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung angebracht werden.

Die gesellschaftliche Debatte über das Kreuz ist nach Einschätzung von Kardinal Marx wichtig: "Was heißt es, in einem christlich geprägten Land zu leben?" Dafür müsse man aber alle einbeziehen: Christen, Muslime, Juden und jene, die gar nicht gläubig seien.

Bedford-Strohm: Entscheidend ist, Kreuz mit Leben zu füllen

Bedford-Strohm sagte der "Nordwest-Zeitung" (30. April), entscheidend sei, dass das Kreuz nicht nur an der Wand hänge, sondern auch inhaltlich mit Leben gefüllt werde. Ein Kreuz aufzuhängen, gehe mit Selbstverpflichtung auch im politischen Handeln einher. "Das heißt Feindesliebe, Einsatz für die Schwachen, universales Liebesgebot, also nicht die Benutzung des Kreuzes zur Abwehr gegen andere, sondern als Grundlage dafür, dass wir eine Verantwortung für alle Menschen haben." Ob sich diese Botschaft des Kreuzes im Widerspruch zu der Flüchtlingspolitik der bayerischen Staatsregierung befinde, gehöre zu den Dingen, über die diskutiert werden müsse, erklärte der Landesbischof und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

"Kein Selbstverleugner"

Bedford-Strohm schrieb zudem bei Facebook: "Dass wir als Christen alles tun, um die Inhalte, für die das Kreuz steht, in die Herzen der Menschen zu bringen und unsere eigenen Herzen immer wieder darauf auszurichten, ist hoffentlich eine Selbstverständlichkeit." Die aktuelle Debatte drehe sich um die Frage, welches die sinnvollen Wege dazu seien. "Wer sich jeden Tag für den Glauben engagiert, es aber falsch findet, das über eine staatliche Verordnung zu machen, ist deswegen sicher kein Selbstverleugner", schrieb der Landesbischof.

Über den richtigen Weg muss man seiner Ansicht nach diskutieren können: "Und hoffentlich führt es dazu, dass wir uns alle miteinander umso mehr dafür engagieren, dass das, wofür das Kreuz steht, auch wirklich gelebt wird."

Theologe wirft Söder persönliche Machtdemonstration vor

Unterdessen warf der katholische Theologe Hans-Joachim Sander dem bayerischen Ministerpräsidenten vor, das Kreuz für eine persönliche Macht-Demonstration missbraucht zu haben. "Mit dem Kreuz-Symbol als Ausdruck einer angeblich christlichen Macht drängt er andere Religionsgemeinschaften und deren Gläubige, aber auch Nicht-Gläubige an den Rand", sagte der Salzburger Dogmatiker dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (30. April).

Söder habe das Symbol menschlicher Ohnmacht sogar als persönlichen Macht-Gestus benutzt, indem er sich vor die Kameras gestellt, das Kreuz aufgehängt und der Öffentlichkeit erklärt habe, wie es zu verstehen sei, sagte der Theologie-Professor der Universität Salzburg. Er rechne damit, dass der CSU-Politiker für seine "präpotente Kreuzdemonstration" einen politischen Preis zahlen werde. Überzeugte Christen ließen mit sich und ihrem Glauben so nicht umspringen. Der Dogmatiker forderte Söder auf, von seiner eigenen Aktion Abstand zu nehmen.



Kirchenrechtler hält Kreuz-Pflicht für "heiklen Grenzfall"


Hans Michael Heinig
epd-bild/Daniel Moeller/Georg-August-Universitaet

Der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig hält die bayerische Anordnung zum Aufhängen von Kreuzen in allen Landesbehörden für problematisch. Evident verfassungswidrig sei die Entscheidung des Kabinetts von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) nicht, sagte der Göttinger Experte für Staatskirchenrecht dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie berühre aber die Verpflichtung des Staates zur religiös-weltanschaulichen Neutralität und stelle daher "einen heiklen Grenzfall" dar, argumentierte der Universitätsprofessor. Zudem sieht der Verfassungsrechtler einen Versuch, eine Religion zu vereinnahmen.

Religionspolitisch wäre zu fragen, "ob dort nicht ein Glaubenssymbol auf problematische Weise politisch instrumentalisiert wird", sagte Heinig. "Jedenfalls droht seine Banalisierung", warnte der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das Bundesverfassungsgericht habe in der Vergangenheit hervorgehoben, dass das Kreuz gerade nicht nur auf kulturelle Prägungen, sondern auf den Kern des christlichen Glaubens verweise und der Staat sich diese Dimension nicht zu eigen machen dürfe.

Bezüge statthaft

Der bayerische Ministerpräsident Söder hatte angekündigt, dass in allen Dienstgebäuden des Freistaats ab 1. Juni "deutlich wahrnehmbar" im Eingangsbereich ein Kreuz angebracht werden soll. Heinig sagte, das Bundesverfassungsgericht habe mehrfach entschieden, dass Bezüge des Staates auf die kulturgeschichtlichen Prägekräfte des Christentums statthaft seien. "Eine objektiv-rechtliche Grenze ist erreicht, wenn sich der Staat mit einer bestimmten Religion identifiziert", erklärte er weiter.

Das sei nach der zum Ausdruck gebrachten Intention in Bayern nicht der Fall, sagte der Jura-Professor. Das Kreuz in bayerischen Dienstgebäuden soll Söder zufolge ein "sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung" in Deutschland sein. Heinig gab aber zu bedenken, von Dritten könnte eine Identifikation des Staates mit dem Christentum wahrgenommen werden.



Evangelische Kirche erinnert an US-Bürgerrechtler King

Unter dem Motto "Miteinander für die Freiheit aufstehen" hat die evangelische Kirche am 23. April in Berlin an den 50. Todestag des US-Bürgerrechtlers Martin Luther King (1929-1968) erinnert. Der farbige Baptistenpastor, Friedensnobelpreisträger und Stratege des gewaltlosen Widerstands war vor 50 Jahren, am 4. April 1968, in Memphis im US-Staat Tennessee von einem Rassisten ermordet worden.

Die Kirche könne bis heute viel von King lernen, sagte der Erfurter Sozialethiker und Theologieprofessor Michael Haspel laut Redemanuskript in einem Festvortrag in der Berliner Sophienkirche. Er habe seine theologische Perspektive immer mit einer grundlegenden Gesellschaftsanalyse verbunden. "Das politische Handeln Kings hatte eine theologische Grundlegung, eine von ihm erarbeitete Theologie, die persönliche Konversion mit gesellschaftlicher Transformation verband, in der die Kirche eine wichtige Rolle spielte", sagte Haspel.

"Was würden wir dazu sagen?"

King habe immer wieder um den richtigen Weg gerungen. Er habe das Ziel gekannt und sei bereit gewesen, auch einen steinigen Weg zu gehen. "Aber er musste immer wieder neu in komplexen Situationen Orientierung gewinnen", erklärte der Theologe. Das könne man nicht einfach übertragen. "Wir müssen heute vielmehr fragen: Was würden wir dazu sagen? Wie können wir verantwortlich urteilen und handeln?", sagte Haspel. "Von Altenburg bis Augsburg, von Bautzen bis Berlin, von Cottbus bis Köln. Das können wir von King lernen, aber das kann er uns auch nicht abnehmen."

Weitere Gäste der Gedenkveranstaltung waren unter anderen die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Petra Bosse-Huber, und der Historiker und Präsident der Evangelischen Akademie zu Berlin, Paul Nolte. Den Abschluss bildete ein Abendgebet unter anderen mit Pfarrerin Rosalind Gnatt von der United Church of Christ und Reverend Robert Moore von der Evangelical Lutheran Church in America.

King kämpfte zeitlebens gegen die Rassentrennung und Diskriminierung der Schwarzen in den USA. Weltberühmt wurde seine Rede in Washington 1963 mit der wiederkehrenden Zeile "I have a dream". Bei einem Besuch in Ost-Berlin im September 1964 hielt der US-Bürgerrechtler einen Vortrag in der Marienkirche am Alexanderplatz. Weil nicht alle Zuhörer Platz fanden, wiederholte King spontan den Vortrag noch einmal in der nahe gelegenen Sophienkirche.



EKHN-Synode bringt Trauung für alle auf den Weg

In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) soll künftig die Bezeichnung "Trauung" für alle vom Standesamt beurkundeten Lebensbündnisse gelten. Die Kirchensynode brachte am 28. April in Frankfurt am Main ein entsprechendes Kirchengesetz zur Änderung der sogenannten Lebensordnung ein. Seit 2013 ist in der EKHN die Segnung von homosexuellen Partnerschaften und die Trauung von heterosexuellen Paaren rechtlich und theologisch gleichgestellt. Nur der Begriff "Trauung" ist bislang allein heterosexuellen Verbindungen vorbehalten. Das Gesetz soll im Herbst dieses Jahres verabschiedet werden und Anfang 2019 in Kraft treten.

Anlass für die Novellierung ist die Einführung der Ehe für alle im vergangenen Juni durch den Deutschen Bundestag. Seitdem entfällt die Möglichkeit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen. Die Novellierung folge der geänderten staatliche Rechtslage und sei "inhaltlich kein großer Schritt", sagte Oberkirchenrätin Petra Zander.

Segnung umwandeln

Nach dem Gesetzentwurf zur Änderung der Lebensordnung ist für Eheschließungen gleichgeschlechtlicher und heterosexueller Paare nur die Trauung vorgesehen. Entsprechend der staatlichen Regelung soll es künftig auch möglich sein, die Segnung eingetragener Lebenspartnerschaften in eine Trauung umwandeln zu lassen, rückdatiert auf den Tag der Segnung der eingetragenen Lebenspartnerschaft.

Darüber hinaus sollen wie bisher ein Pfarrer, eine Pfarrerin oder der Kirchenvorstand die Trauung eines gleichgeschlechtlichen Ehepaares ablehnen können. Dann beauftragt der Dekan oder die Dekanin eine andere Person mit der Trauung. Falls der Kirchenvorstand ablehnt, muss eine andere Gemeinde gefunden werden, in der die Trauung stattfinden kann.

Die EKHN mit ihren knapp 1,6 Millionen Mitgliedern in 1.143 Gemeinden zählt zu den Pionieren der Gleichstellung. Die Segnung von homosexuellen Lebenspartnerschaften war bereits 2002 eingeführt worden. Seitdem wurden nach Zanders Angaben jährlich etwa 20 Paare gesegnet.



Rheinische Oberkirchenrätin: Nicht von Aufgaben lähmen lassen


Barbara Rudolph
epd-bild / Norbert Neetz

Die rheinische Oberkirchenrätin Barbara Rudolph hat dazu aufgerufen, sich nicht von Herausforderungen lähmen zu lassen. "Wenn wir heute auf die Anfänge der Genossenschaftsbewegung schauen, dann beginnt sie mit Menschen, die diese Lähmung nicht als gegeben hinnehmen, die sich im doppelten Sinne bewegen lassen: von der Not des anderen und mit ihren eigenen Füßen, ihrem Tun", sagte sie laut Predigttext am 27. April bei einem ökumenischen Festgottesdienst zur Eröffnung des Kultursommers Rheinland-Pfalz in Neuwied.

Kultursommer eröffnet

Die Stadt Neuwied eröffnet den Kultursommer am 28. April mit einer Gala zum 200. Geburtstag des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) unter dem Motto "Zusammen!". Raiffeisen habe erlebt, wie Bauern aufgrund schlechter Ernten in Schulden geraten seien, wie es verwahrlosten Kindern, jungen Menschen ohne Arbeit sowie Kranken ohne Versorgung und alten Menschen ohne Unterstützung ergangen sei, betonte Rudolph. "Wer so wie Raiffeisen glaubt, der gibt nicht auf, wird zäh, widerständig, nachhaltig."

Es sei nicht selbstverständlich, für jemand anderen die Initiative zu ergreifen, betonte die Leiterin der Abteilung Theologie und Ökumene im Landeskirchenamt. "Ich halte es für ein großes Verdienst des Christentums, dass die Nächstenliebe auch weiter reicht als über den Kreis der eigenen Familie." Nicht jeder gründe eine Genossenschaft, "aber gerufen sind wir alle, nach Weggenossen zu suchen, mit denen wir uns auf den Weg machen und die mitnehmen, die gelähmt sind".

Unter dem Titel "Was einer alleine nicht schafft, das schaffen viele" gestaltete die Stadt Neuwied am Wochenende ein umrahmendes Kulturfest zum Kultursommerstart. Kunst, Tanz, Theater, Artistik, Musik, Literatur und Mitmachaktionen waren zu erleben. So konnten Interessierte beispielsweise mit dem Künstler Olivier Grossetête ohne Hilfe von Maschinen ein bis zu 20 Meter hohes Gebäude aus Kartons bauen.

Unter der Dachmarke des rheinland-pfälzischen Kultursommers sind von Anfang Mai bis Ende Oktober landesweit mehr als 200 Konzert-, Theater- und Kunstprojekte geplant. Das diesjährige Motto ist "Industriekultur". Der Kultursommer findet seit 1992 jedes Jahr statt. In den vergangenen Jahren vereinte die Dachmarke Kultursommer dabei landesweit jeweils traditionsreiche Festivals und Konzertreihen, Ausstellungen sowie Theater- und Kunstprojekte. Das Land beteiligt sich an der Finanzierung mit rund vier Millionen Euro pro Jahr.



Evangelische Akademie im Rheinland lädt zum Raiffeisenkongress ein

Zum 200. Geburtstag des Genossenschaftsgründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) findet im Juni in Bonn der internationale Evangelische Raiffeisenkongress statt. Auf dem Kongress "Teilhabe und Teilnahme. Zukunftspotenziale der Genossenschaftsidee" wollen die Veranstalter für innovatives genossenschaftliches Handeln werben, wie die Evangelische Akademie im Rheinland am 26. April in Bonn ankündigte. Den Kongress im Bonner Gustav-Stresemann-Institut am 18. und 19. Juni organisieren neben der Akademie das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das Seminar für Genossenschaftswesen der Universität Köln und die Stiftung Sozialer Protestantismus.

Ziel der Tagung sei es, neuere Entwicklungen von Genossenschaften und andere Formen des nachhaltigen und selbstbestimmten Wirtschaftens zu diskutieren, hieß es. Dafür sind den Angaben zufolge mehr als 30 Experten aus Wissenschaft, Praxis, Kirchenorganisationen, Entwicklungsarbeit und Finanzwirtschaft eingeladen. Erwartet werden etwa der Wirtschaftswissenschaftler Gustav Horn der Hans-Böckler-Stiftung, der Sozialethiker und evangelische Theologe Traugott Jähnichen und Christiane Grabe von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe.



Künftig hauptamtlicher Superintendent in Düsseldorf

Das Superintendentenamt im evangelischen Kirchenkreis Düsseldorf soll ab dem 1. Dezember hauptamtlich sein. Die rund 140 Abgeordneten der Düsseldorfer Kirchengemeinden und Einrichtungen sprachen sich auf ihrer Frühjahrssynode mit einer Zweidrittelmehrheit für die Änderung aus, wie die evangelische Kirche in der Stadt am 29. April mitteilte. Grund sei die Aufgabenfülle, die im Superintendentenamt in einer Großstadt und einem großen Kirchenkreis wie Düsseldorf anfällt. Die bisher erforderliche Entlastungspfarrstelle falle dann weg.

Nach dem Synodenbeschluss muss den Angaben nach die rheinische Landeskirche noch zustimmen. Danach wird die Superintendentenstelle im Amtsblatt der Evangelischen Kirche im Rheinland ausgeschrieben. Voraussetzung für eine Bewerbung ist dabei die Wahlfähigkeit nach dem Pfarrstellengesetz der zweitgrößten Landeskirche. Möglich ist dies auch für Bewerber aus anderen Landeskirchen. Die Wahl für eine Amtszeit von acht Jahren soll voraussichtlich zur Herbstsynode im November stattfinden, wie der Kirchenkreis mitteilte.



Axel Stein neuer Assessor des Kirchenkreises Krefeld-Viersen

Pfarrer Axel Stein ist neuer Assessor des Kirchenkreises Krefeld-Viersen. Die Kreissynode wählte den Süchtelner Pfarrer am 21. April zum Stellvertreter des Superintendenten Burkhard Kamphausen. Stein tritt als Assessor die Nachfolge des im vergangenen Herbst gestorbenen Pfarrers Michael Windhövel an.

Stein wurde den Angaben nach 1961 in Kirchen an der Sieg in Rheinland-Pfalz geboren. Er studierte Theologie in Oberursel, Tübingen und Wuppertal und hatte Pfarrstellen in Duisburg und Solingen inne. Seit 2014 ist er Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Viersen-Süchteln.

Thematischer Schwerpunkt der Kreissynode in der Krefelder Friedenskirche war die Frage "Vom Glauben erzählen, aber wie?", zu der nach einem Impulsreferat in Gruppen gearbeitet wurde. "Die Kirche muss einen Weg finden, mit dem Traditionsabbruch in der Gesellschaft umzugehen", betonte Superintendent Kamphausen.

Zudem beschloss die Synode, sich externe Unterstützung zu holen, um die Arbeit des Verwaltungsamtes strukturell besser aufzustellen. "Die Folgen der Umstellung von Kameralistik auf das Neue Kirchliche Finanzwesen sind noch abzuarbeiten", sagte Kamphausen.

Internet: www.ekir.de/krefeld/



Kirchentag "Mensch - Tier - Schöpfung" in Dortmund

Der 4. Dortmunder Kirchentag "Mensch - Tier - Schöpfung" findet vom 4. bis 6. Mai in der Pauluskirche statt. Themen seien Tierrechte und die Frage, wie Tiere vor der Brutalität menschlicher Haltung geschützt werden könnten, teilte die evangelische Lydia-Kirchengemeinde am 26. April mit. Dazu gibt es Vorträge, Workshops, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, Konzerte und Informationsstände. Der Kirchentag "Mensch - Tier - Schöpfung" wird von der Gemeinde sowie der Aktion Kirche und Tiere, Animal Rights Watch und dem Künstlerhaus Dortmund organisiert und vom Institut für Kirche und Gesellschaft der westfälischen Landeskirche unterstützt.

Auf der Veranstaltung solle auch Kritik an der Haltung der Kirche zum Thema Tierschutz laut werden, erklärten die Veranstalter. Die Kirchenleitungen schwiegen "immer noch in großer Breite zur täglichen millionenfachen Misshandlung von Tieren in industrieller Tierhaltung, in Schlachthöfen und Versuchslaboren". Zum Auftakt am 4. Mai solle in einer Diskussion und in Workshops beraten werden, wie der öffentliche Druck auf die Kirchen verstärkt werden könne.

Im Künstlerhaus Dortmund wird parallel die Ausstellung "I'll Wanna Be Your Dog II" eröffnet. Die Pauluskirche zeigt Werke von Künstlerinnen zum Thema Tierschutz. Am 5. Mai sprechen Künstler in der Kirche über die Frage, inwieweit Kunst zur Befreiung von Tieren beitragen kann. Am 6. Mai können Tierbesitzer in einem Gottesdienst einen persönlichen Segen mit ihrem Vierbeiner erhalten. Die Predigt hält der Vorsitzende der Aktion Kirche und Tiere, Ruhestandspfarrer Ulrich Seidel. Vorträge sowie zwei Konzerte Künstlerin der Künstlerin "FaulenzA" und der Musikerin Sabine Lindner für Tierrechte ergänzen das Programm.



Bischof Feige: Abendmahls-Streit darf Ökumene nicht schaden

Im Streit um die vorsichtige Öffnung der Eucharistie für Protestanten hat der katholische Bischof Gerhard Feige den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki zu mehr Offenheit in der Ökumene aufgerufen. Woelki und seine Mitstreiter scheinen einem veralteten Kirchenbild verhaftet zu sein, heißt es in einem Beitrag des Magdeburger Bischofs in der "Zeit"-Beilage "Christ und Welt". Bei der Frühjahrsvollversammlung der katholischen Bischöfe im Februar sei der Eindruck entstanden, "dass nicht die mühevolle Suche nach einer verantwortbaren seelsorgerlichen Lösung für Einzelne ihr Interesse bestimmte, sondern die grundsätzliche Befürchtung, damit nicht mehr wahrhaft katholisch zu sein".

Brief an den Vatikan

Anfang April war bekanntgeworden, dass sich sieben Bischöfe unter Woelkis Führung mit einem Brief an den Vatikan gewandt hatten, in dem sie die Rechtmäßigkeit des Zugangs von protestantischen Ehepartnern zur Kommunion anzweifeln. Ende Februar hatte die katholische Deutsche Bischofskonferenz auf ihrer Frühjahrstagung in Ingolstadt mit großer Mehrheit beschlossen, eine pastorale Handreichung für das Abendmahl von Ehepaaren unterschiedlicher Konfession auf den Weg zu bringen. Die Handreichung ist bisher nicht veröffentlicht.

"Manchmal aber ist das Maß voll und die Zeit reif, darf man eine Lösung nicht noch weiter hinauszögern", verteidigt Feige die Handreichung, die Seelsorgern eine Hilfe sein soll. Das Vorhaben stehe im Einklang mit der Lehre der katholischen Kirche, betonte Feige. Dabei gehe sie unter anderem vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) aus, das die Wiederherstellung der Einheit aller Christen als Ziel definiert hatte. Innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz leitet Feige die Ökumene-Kommission.



Meisner-Nachlass kommt unter den Hammer

Der Nachlass des im vergangenen Jahr gestorbenen früheren Kölner Erzbischofs Joachim Meisner kommt unter den Hammer. Zu zwei Versteigerungsterminen können sich Interessenten einen Überblick über Gemälde, Ikonen, Skulpturen, Möbel und Porzellan verschaffen und bieten, wie das Erzbistum am 25. April mitteilte. Das Kunsthaus Lempertz in Köln übernehme die Versteigerung einer Auswahl besonders wertvoller Objekte am 16. Mai. Der überwiegende Teil des Nachlasses werde Ende September versteigert. Die Erlöse aus beiden Auktionen kommen der Kardinal-Meisner-Stiftung für die Förderung der Seelsorge in Köln sowie in Mittel-, Ost- und Südosteuropa zugute.

Die wertvollsten Kunstwerke, die am 16. Mai unter den Hammer kommen, stammen aus dem Nachlass der Bildhauerin Hildegard Domizlaff. Vor allem ein kleiner gotischer Altar aus der Toskana konnte im Rahmen einer Recherche Lempertz-Experten neu zugeschrieben und eingeordnet werden, wie das Erzbistum erklärte. Neben zahlreichen Schenkungen habe Meisner als Kunstliebhaber und -kenner auch vieles selbst erworben, beispielsweise Malerei des 19. Jahrhunderts.



Merkel und neun Bundesminister kommen zum Katholikentag

Das Bundeskabinett ist beim Katholikentag in Münster vom 9. bis 13. Mai stark vertreten. Bei den Veranstaltungen des Katholikentages werden zehn von 16 Mitgliedern der großen Koalition erwartet, wie die Veranstalter am 27. April mitteilten. Neben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) haben auch neun Minister der Bundesregierung ihr Erscheinen zugesagt. Kommen wollen Innenminister Horst Seehofer (CSU), Justizministerin Katarina Barley (SPD), Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Außerdem sind Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU), Familienministerin Franziska Giffey (SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) angekündigt. Auf einem Podium wird zudem die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Monika Grütters (CDU), sprechen.

"Ausdruck der Wertschätzung"

Für den Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Thomas Sternberg, ist die starke Beteiligung der Mitglieder der Bundesregierung ein "Ausdruck der Wertschätzung des Katholikentags". Er zeige auch seine hohe Bedeutung, nicht nur für den Raum der Kirche, sondern auch weit darüber hinaus für die gesamte Gesellschaft.

Zum 101. Deutschen Katholikentag werden mehrere Zehntausend Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. Unter dem Motto "Suche Frieden" sind mehr als 1.000 Veranstaltungen in Münster geplant. Katholikentage werden vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken in der Regel alle zwei Jahre an wechselnden Orten veranstaltet.



Religionskritiker veranstalten "Ketzertag" während Katholikentag

Mit einem "Ketzertag Münster 2018" wollen religionskritische Initiativen eine Gegenveranstaltung zum Deutschen Katholikentag in Münster ausrichten. Unter dem Motto "Suche Streit - Für eine vernünftige Streitkultur" sollen zeitgleich zum Katholikentag nicht nur die christliche Kirchen hinterfragt werden, sondern auch die Religionen als solche, erklärten der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) und die Giordano-Bruno-Stiftung am 24. April in Münster. Der 101. Deutsche Katholikentag, der vom 9. bis 13. Mai in Münster stattfindet, steht unter dem Motto "Suchet Frieden".

Angesichts des Katholikentages solle beispielsweise "über die großzügige Finanzierung von Kirchentagen aus öffentlichen Kassen, über Staatsleistungen an die Kirchen und kirchliche Sonderrechte in der Arbeitswelt" gestritten werden, erklärten die Veranstalter. Zudem solle es um Fragen gehen, ob Religionen nicht eher Zündstoff für Konflikte böten und wie sinnvoll es angesichts naturwissenschaftlicher Erkenntnisse sei, von der Existenz eines Gottes auszugehen.

Unter den Referenten sind die SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Maier, der Vorsitzende der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon sowie Vertreter der satirischen "Kirche des fliegenden Spaghettimonsters". Der "1. Deutsche Ketzertag" findet vom 9. bis 12. Mai in Münster statt.



Papst trifft chilenische Missbrauchsopfer

Papst Franziskus hat mehrtägige Gespräche mit drei chilenischen Missbrauchsopfern begonnen. Es werde keine offiziellen Erklärungen zum Inhalt der Gespräche geben, um die Vertraulichkeit dessen zu wahren, was die Opfer dem Papst sagten, teilte Vatikansprecher Greg Burke am 27. April in Rom mit. Vorrangig sei für den Papst, den Opfern zuzuhören und sie um Vergebung zu bitten.

Auf Wunsch von Franziskus erhielten die drei Missbrauchsopfer so viel Zeit, wie sie benötigten. "Deshalb gibt es keinen festen Zeitplan und keine vorgegebenen Inhalte", betonte der Vatikansprecher.

Bei der persönlichen Begegnung mit Juan Carlos Cruz, James Hamilton und Jose Andrés Murillo werde das Kirchenoberhaupt ihren Schmerz teilen und seine Scham über den von Geistlichen an ihnen verübten Missbrauch ausdrücken, hatte es in der Ankündigung des Treffens geheißen. Der Papst hoffe, dass diese Begegnungen einen wichtigen Schritt zur künftigen Vermeidung von Macht- und insbesondere sexuellem Missbrauch innerhalb der Kirche darstellten.

"Schwerwiegende Fehler"

In einem Brief an die chilenischen Bischöfe hatte Franziskus vor wenigen Wochen "schwerwiegende Fehler" bei der Beurteilung von Missbrauchsfällen durch einen Priester in ihrem Land eingestanden. Aufgrund eines Mangels an "ausgewogenen Informationen" habe er sich ein falsches Bild von der Situation gemacht.

Die jüngste Chile-Reise des Papstes wurde durch Proteste gegen seinen Umgang mit Missbrauchsfällen in dem Land überschattet. Kritiker beanstandeten die Ernennung von Juan Barros zum Bischof von Osorno, da dieser von Missbrauch durch seinen früheren Mentor, den Priester Fernando Karadima, gewusst und diesen gedeckt haben soll. Franziskus hatte die Vorwürfe in Chile zunächst als "Verleumdung" zurückgewiesen, wenig später aber bedauert, dadurch mögliche Opfer verletzt zu haben. Diese könnten die von ihm im Zusammenhang mit dem Fall geforderten Beweise in vielen Fällen nicht liefern.

Nachdem die Vorwürfe und seine Reaktion starke Aufmerksamkeit erregt hatten, beauftragte der Papst den ehemaligen Chefermittler des Vatikans bei Missbrauchsfällen, den maltesischen Erzbischof Charles Scicluna, Opfer und Zeugen in Chile anzuhören. Scicluna erstattete Franziskus nach seiner Chile-Reise aufgrund von 64 schriftlichen und mündlichen Aussagen einen Bericht, auf dessen Grundlage der Papst nun seine Vergebungsbitte formulierte.



Datenschutzbeauftragter: Bußgelder sind "ultima ratio"

Mit Blick auf Meldungen über mögliche hohe Geldstrafen bei Missachtung der neuen europäischen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) hat der Datenschutzbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für die Region Süd, Axel Gutenkunst, vor Panikmache gewarnt. "Da sind geschäftstüchtige Firmen unterwegs, die Angst machen", sagte Gutenkunst dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 25. April in Ulm. Die DSGVO gilt ab dem 25. Mai.

Gleichwohl sieht der Datenschützer Handlungsbedarf bei Unternehmen, auch in der Kirche. "Wer das Thema bislang ignoriert hat, muss in die Gänge kommen", betont er. So erfüllten immer noch nicht alle Betreiber einer Internetseite die Pflicht, dort eine Datenschutzerklärung zu veröffentlichen. Gutenkunst warnt davor, sich auf eine Erklärung aus dem Internet zu verlassen, die von Generatoren automatisch erzeugt wird. Diese Texte seien oft zu lange und schwer zu begreifen - eine Datenschutzerklärung müsse von Rechts wegen aber gut verständlich sein.

Eigenes Datenschutzgesetz

Die evangelische Kirche hat wie die katholische Kirche ein eigenes Datenschutzgesetz. Eine novellierte Fassung tritt am 24. Mai inkraft - einen Tag, bevor die Sanktionen der DSGVO greifen. Das Datenschutzniveau sei aber dasselbe, so Gutenkunst. Einrichtungen, in denen mehr als neun haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeiter Zugang zu privaten Daten haben, müssen einen Datenschutzbeauftragten ernennen.

Gutenkunst empfiehlt kleineren Organisationen, sich zusammenzutun und gemeinsam einen Datenschutzbeauftragten zu bestellen. In der Evangelische Landeskirche in Württemberg gebe es künftig pro Kirchenbezirk zumindest in Teilzeit einen entsprechenden Beauftragten, ein ähnliches Konstrukt plane die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern. Die badische Landeskirche habe die Aufgabe den Verwaltungsserviceämtern zugeschlagen.

Neu ist laut Gutenkunst auch die Dokumentationspflicht. Jede Organisation, die mit Daten Dritter umgeht, muss künftig schriftlich nachweisen können, dass sie datenschutzkonform arbeitet. Zu belegen ist, welche Daten man auf welcher Rechtsgrundlage sammelt und nach welchem Zeitraum man sie wieder löscht. Formal sei das eher anspruchslos - es reiche eine einfache Tabelle, in der die entsprechenden Vorgaben beantwortet werden müssen.

"Harte Verschlüsselung"

Daten aus der Seelsorge - etwa eingetippte Notizen über ein Gespräch - müssen laut Gutenkunst so gespeichert werden, dass sie Dritten nicht zugänglich sind. Das könne eine "harte Verschlüsselung" sein oder die Nutzung eines separaten Computers. Der Datenschützer erinnert daran, dass PCs manchmal zur Reparatur eingeschickt werden und ein Techniker dann auf keinen Fall Einblick in das Seelsorgeprotokoll bekommen dürfe.

Sollten Einrichtungen in Kirche und Diakonie den Datenschutzbestimmungen nicht nachkommen, dann seien Bußgelder nur die "ultima ratio". Zuvor gebe es offizielle Beanstandungen und die Möglichkeit, Fehler zu korrigieren. Und selbst wenn doch einmal bestraft werden muss, zeigt sich das kirchliche Recht etwas gnädiger als das weltliche: Die Obergrenze liegt laut Gutenkunst bei 500.000 Euro - und nicht bei 20 Millionen.

epd-Gespräch: Marcus Mockler


BND entfernt technische Anlage von Kirchenturm in München

Der Bundesnachrichtendienst hat eine seiner technischen Anlagen zur Verstärkung von Funkstrecken vom Turm der Münchener Frauenkirche entfernt. Wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Antwort des Beauftragten für die Nachrichtendienste des Bundes auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervorgeht, wurde der sogenannte Repeater in der Woche nach Ostern vom Turm heruntergeholt. Bis 2011 habe er dazu gedient, die Reichweite von Funkstrecken zu erhöhen. Die Anlage sei nicht geeignet gewesen, fremden Funkverkehr abzuhören, sondern habe ausschließlich interner Kommunikation gedient, heißt es darin weiter.

Keine weiteren Anlagen auf Kirchtürmen

Anlass für die Anfrage der Linksfraktion waren Medienberichte in diesem Jahr über eine Anlage auf dem Turm der Frauenkirche, die demnach dazu genutzt worden sein soll, Spione und ausländische Diplomaten zu beschatten. Am 21. März äußerte der Generalvikar des Erzbischofs von München, Peter Beer, Bedauern über die darüber ausgelöste Verärgerung. Er erklärte damals, ihm lägen keine Unterlagen zu der Einrichtung vor und versprach Aufklärung. Kurz darauf wurde die Anlage entfernt.

Die Linksfraktion erkundigte sich in ihrer Anfrage auch danach, ob andernorts Kirchtürme für Anlagen des BND genutzt werden. Dazu antwortete der Beauftragte: "Fehlanzeige". Der BND gehöre nicht in den Kirchturm, erklärte die Linken-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.




Gesellschaft

Kreuz-Pflicht in Bayerns Behörden weiter in der Kritik


Umstritten: Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden
epd-bild/Lukas Barth
Der FDP-Vorsitzende Lindner warf dem bayerischen Ministerpräsidenten Söder eine Entwürdigung des Kreuzes vor. Die Grünen-Politikerin Roth warnte vor der Ausgrenzung von Muslimen, Atheisten und Juden.

Die Kritik an der Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden reißt nicht ab. FDP-Chef Christian Lindner warf Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Entwürdigung des Kreuzes vor. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) betonte, das Kreuz als christliches Symbol dürfe nicht Gegenstand staatlicher Verordnung werden. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) kritisierte eine Ausgrenzung von Millionen von Muslimen, Atheisten und Juden. Auch Vertreter der evangelischen Kirche äußerten sich kritisch.

Lindner sagte der "Passauer Neuen Presse" (29. April), Feinde der Religion seien nicht die Kritiker von Söder, Feind der Religion sei Söder selbst. Denn er habe das Kreuz zu einem Symbol der Kultur und der Staates hierzulande erklärt, habe es damit profanisiert und von seiner christlichen Bedeutung getrennt. Zuvor hatte CSU-Generalsekretär Markus Blume die Kritiker der bayerischen Kabinettsentscheidung, dass in allen bayerischen Behörden Kreuze hängen sollen, als Religionsfeinde bezeichnet.

Der FDP-Vorsitzende kritisierte, dass der bayerische Ministerpräsident sich mit seiner "populistischen Symbol-Wahlkampfaktion zwischen alle Stühle gesetzt" habe. "Gläubige Christen muss es empören, dass er aus ihrem Symbol ein Symbol des Staates macht", sagte er. Die säkularen, liberalen Bürgerinnen und Bürger, die Religion für ein persönliches Bekenntnis, aber nicht für eine Sache der Politik hielten, dürften "entsetzt sein über dieses Manöver im Vorwahlkampf zur Bayern-Wahl".

"Unchristlich und unanständig"

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Roth, sagte, Söder instrumentalisiere nicht nur eine Religion, sondern grenze auch Millionen Muslime, Atheisten und Juden aus. Er mache "einen riesengroßen Fehler, wenn er glaubt, dass die Rückgewinnung der absoluten Mehrheit jedes Mittel heiligt", sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (30. April). Der Ministerpräsident missbrauche das Kreuz für seinen Wahlkampf und vermische bewusst Religion und Politik. "Das finde ich in hohem Maße unchristlich, unanständig sowieso", sagte Roth.

Der Katholik Thierse kritisierte ebenfalls den bayerischen Kabinettsbeschluss. Das Kreuz sei das zentrale Symbol christlichen Glaubens und dürfe nicht Gegenstand staatlicher Verordnung werden, sagte Thierse, der auch dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) angehört. Er verstehe zwar, dass Markus Söder das Kreuz als Zeichen der Identität sehen wolle, sagte im RBB-Inforadio. Dies rechtfertige jedoch nicht, es in den Zusammenhang eines Wahlkampfes zu rücken: Der Staat sei "weltanschaulich religiös neutral, dass heißt er ist offen für alle Bekenntnisse".

Die Reformationsbotschafterin der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, sagte am 29. April bei einer Veranstaltung in Heidelberg: Ein "Irrsinn mag dieses Kreuz den Menschen sein, aber es ist eben gerade kein Zeichen von Macht, Herrschaft und Durchsetzungsvermögen". Vielmehr sei das Kreuz ein Zeichen von "Ohnmacht, Leid und dem Schrei nach Barmherzigkeit", sagte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende. "Das müsste auch der evangelische Christ Markus Söder wissen."

Westfälischer Altpräses Buß skeptisch

Auch der frühere Präses der westfälischen Landeskirche, Alfred Buß, äußerte sich skeptisch. Das Kreuz Kreuz symbolisiere das schiere Gegenteil von "Gesten der Dominanz und des 'Mia san mia'", sagte der evangelische Theologe im "Wort zum Sonntag" am 28. April im Ersten. Im Zeichen des Kreuzes gelte es, "Frieden zu stiften unter Widersachern, zu trösten, die da Leid tragen, und satt zu machen, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit".

"Kulturelle Prägung Bayerns"

Unterdessen geriet in München Landtagspräsident Barbara Stamm (CSU) in die Kritik, weil sie auf offiziellem Briefpapier einen katholischen Hochschulpfarrer wegen dessen Kritik an dem Kreuz-Beschluss anging. Oppositionspolitiker warfen ihr vor, die Autorität ihres Amts für Parteipolitik zu nutzen. Stamm wies dies zurück, wie sie dem epd mitteilte.

Die bayerische Staatsregierung hatte in ihrer Kabinettssitzung am 24. Mai die allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats geändert. Demnach muss ab 1. Juni Im Eingangsbereich aller staatlichen Dienstgebäude als Ausdruck der "geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns" deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung angebracht werden. Diese Anordnung hat in den vergangenen Tagen bereits für teils scharfe Kritik von Juristen, Parteien und Kirchenvertretern gesorgt.



Kippa-Tragen gegen den Hass


Solidaritätskundgebung in Berlin
epd-bild / Christian Ditsch
Viele Juden trauen sich im Alltag nicht, ihre Kippa offen zu tragen. Sie verbergen die jüdische Kopfbedeckung unter einem Basecap oder setzen sie erst in der Synagoge auf. Nach einer antisemitischen Attacke wehren sich jetzt einige Gemeinden.

Ein Zeichen gegen Judenhass: in mehreren deutschen Städten sind am 25. April Menschen gegen Antisemitismus auf die Straße gegangen. Viele trugen dabei die jüdische Kopfbedeckung. In der Hauptstadt folgten laut Polizei rund 2.500 Menschen dem Aufruf der Jüdischen Gemeinde "Berlin trägt Kippa". Eine Solidaritätsaktion gab es auch in Köln mit rund 1.000 Teilnehmern. In Erfurt zogen rund 300 Menschen von der Krämerbrücke zur Neuen Synagoge der Landeshauptstadt.

"Kippa Colonia" vorm Dom

In Köln hatten sich die Demonstranten zur Kundgebung "Kippa Colonia" vor dem Kölner Dom versammelt. Felix Schotland vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln sagte: "Es reicht, dass jüdische Kinder in Schulen gemobbt werden." Er rief dazu auf, nicht zu schweigen, sondern gemeinsam gegen Ausgrenzung zu kämpfen. Auch dürfe Antisemitismus in Deutschland unter dem Deckmantel von Israelkritik nicht hingenommen werden, mahnte er.

In Potsdam versammelten sich nach einem "Gedenkweg" rund 250 Menschen zu einem Friedensgebet am Brandenburger Tor. In Magdeburg trafen sich am Mahnmal der 1938 zerstörten Synagoge laut Veranstalter rund 100 Menschen, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen.

Auslöser der Kundgebungen war der gewalttätige Übergriff auf zwei Kippa tragende Männer am 17. April in Berlin-Prenzlauer Berg. Tatverdächtig ist ein 19-jähriger syrischer Flüchtling, der sich inzwischen in Untersuchungshaft befindet.

"100 Prozent Respekt"

Vor dem Haus der Jüdischen Gemeinde zu Berlin forderte der Präsident des Zentralrates, Josef Schuster, ein Ende falsch verstandener Toleranz und "100 Prozent Respekt für Juden, für Muslime, für Ausländer, für Homosexuelle und für alle Hautfarben". "Wer sich den Spielregeln widersetzt, die unser Grundgesetz festlegt, der darf nicht mit Toleranz rechnen."

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, mahnte: Juden, Christen, Muslime und Atheisten müssten sich gemeinsam dem Hass entgegenstellen. Juden müssten aufpassen, das sie nicht gezwungen seien, nur noch jüdische Schulen besuchen zu können.

Der Berliner evangelische Bischof Markus Dröge sagte, die Gesellschaft müsse noch viel sensibler werden gegenüber jeder Form der Judenfeindschaft. Die fast täglichen Berichte über Anfeindungen gegen und Übergriffe auf Juden hierzulande erfülle die Evangelische Kirche in Deutschland mit Sorge und Scham. "Als Christinnen und Christen stehen wir uneingeschränkt an der Seite unserer jüdischen Geschwister." Christlicher Glaube und Judenfeindschaft schlössen einander aus.

"Starkes Signal"

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) dankte der Jüdischen Gemeinde für die Kundgebung. Es sei ein starkes Signal und mache klar, "Antisemitismus hat bei uns keinen Platz", die demokratischen Werte seien nicht verhandelbar. Unter den Teilnehmern der Kundgebung waren auch zahlreiche Vertreter der Bundespolitik und Kirchenvertreter sowie der israelische Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff.

Der Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder (CDU), erklärte mit Blick auf den Antisemitismus unter muslimischen Einwanderern, "diejenigen, die in dieses Land kommen und hier leben wollen, müssen das wissen: Wir akzeptieren keinen Antisemitismus in diesem Land." Dabei bestätigte er auch einen Vorfall auf dem Hermannplatz in Berlin-Neukölln. Dabei soll eine Demonstration gegen Antisemitismus massiv gestört worden sein. Die Polizei sprach dagegen von lediglich drei Teilnehmer, die von sich aus die Kundgebung nach 40 Minuten beendet hätten.

Bereits vor den Kundgebungen hatten mehrere Bundesminister ihre Unterstützung bekundet. Außenminister Heiko Maas (SPD) sagte dem Berliner "Tagesspiegel" (Mittwoch): "Wenn junge Männer bei uns bedroht werden, nur weil sie eine Kippa tragen, müssen wir deutlich machen: Sie sind nicht allein." Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte: "Jüdinnen und Juden müssen in Deutschland sicher leben können - das ist nicht verhandelbar." Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) erklärte in Berlin, Juden dürften nie wieder Angst haben müssen, sich in Deutschland zu erkennen zu geben.



Schuster: AfD distanziert sich nicht genügend von Antisemiten


Josef Schuster
epd-bild/Daniel Peter

Der Zentralrat der Juden bewertet das Abstimmungsverhalten der AfD über den Bundestagsantrag auf Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung als entlarvend. "Mit ihrer überwiegenden Enthaltung hat die AfD ihr wahres Gesicht gezeigt", sagte Präsident Josef Schuster am 27. April in Berlin. Es habe sich "wieder einmal gezeigt, dass sich die AfD mehrheitlich nicht genügend von Rechtsextremen und Antisemiten distanziert", ergänzte er.

Der Bundestag hatte am Vortag ohne Gegenstimmen beschlossen, dass das Parlament ebenso wie Bundesrat und Bundesregierung gegen die NPD vor das Bundesverfassungsgericht zieht. Ziel ist es, die rechtsextreme Partei von der Parteienfinanzierung und Steuerprivilegien auszuschließen. Die AfD enthielt sich überwiegend bei der Abstimmung, nur ein Abgeordneter stimmte für den Antrag von Union, SPD und FDP.

"Überfälliger Schritt"

Schuster sagte, ein Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung "wäre ein wichtiger und längst überfälliger Schritt". Es bleibe zu wünschen, "dass die NPD weiter in die Bedeutungslosigkeit verschwindet und ihr alle rechtspopulistischen Parteien dahin folgen mögen", sagte der Zentralratspräsident.

Die Stimmenthaltung der AfD begründete deren Redner Stephan Brandner mit formellen Argumenten. Die rechtskonservative Partei wollte den Antrag noch im Ausschuss beraten, während die anderen Fraktionen den Antrag als abstimmungsreif beurteilten.



Bundestag will Steuergeld für NPD streichen


Wahlplakat der NPD im ostsächsischen Ostritz an der Grenze zu Polen, wo am Wochenende ein Neonazi-Festival stattfand.
epd-bild/Daniel Schaefer

Der Bundestag zieht ebenfalls gegen die NPD vor das Bundesverfassungsgericht. Mit der Mehrheit von 548 von 628 abgegebenen Stimmen beschloss das Parlament am 26. April einen Antrag, der zum Ziel hat, die rechtsextreme Partei von der staatlichen Parteienfinanzierung auszuschließen. Gegenstimmen gab es keine. Alle antragsberechtigten Verfassungsorgane demonstrierten damit Geschlossenheit im Kampf gegen Rechtsextremismus, sagte der CDU-Politiker Stephan Harbarth im Bundestag. Bundesrat und Bundesregierung haben bereits eigene Anträge beschlossen.

Der Versuch, der NPD Steuergeld zu entziehen, ist eine Konsequenz aus dem im vergangenen Jahr erneut gescheiterten Verbotsverfahren gegen die Partei. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Januar 2017 geurteilt, dass die NPD zwar verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Wegen der Bedeutungslosigkeit der Partei, die inzwischen in keinem Landtag mehr vertreten ist, hatten die Richter ein Verbot aber als unverhältnismäßig beurteilt.

850.000 Euro

Sie wiesen allerdings auf Spielräume bei der Parteienfinanzierung hin. Im Sommer verabschiedete der Bundestag daraufhin ein Gesetz, das die Möglichkeit für den Ausschluss extremer Parteien von der staatlichen Finanzierung schafft.

Über diesen Ausschluss, mit dem auch Steuerprivilegien für den Erhalt von Spenden wegfallen würden, muss wie beim Parteienverbot das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Der Ausschluss würde für sechs Jahre gelten und müsste dann erneut gerichtlich geprüft werden. 2017 erhielt die NPD noch rund 850.000 Euro aus der staatlichen Parteienfinanzierung.

"Widerliche Partei"

Redner von Union, SPD, FDP, Linken und Grünen hatten angekündigt, für den Antrag zu stimmen. Die AfD wollte sich enthalten. Stephan Brandner (AfD) bezeichnete die NPD als "zutiefst widerliche Partei", wollte aber darauf bestehen, zunächst noch im Ausschuss zu beraten, während die anderen Fraktionen den Antrag als abstimmungsreif beurteilten. Bei der Abstimmung gab es insgesamt 80 Enthaltungen.



Bundestag fordert stärkeren Einsatz für Religionsfreiheit

Der Bundestag hat den Wert der Religionsfreiheit betont. In einer Debatte sprach auch der neue Beauftragte der Bundesregierung über seine Pläne. Oppositionsvertreter nutzten ihre Reden für eine Kritik an der Kreuz-Pflicht in Bayern.

Der neue Beauftragte für weltweite Religionsfreiheit, Markus Grübel (CDU), will Empfehlungen für die stärkere Durchsetzung der Glaubensfreiheit vorlegen. Das Menschenrecht werde weltweit zunehmend eingeschränkt oder komplett in Frage gestellt, sagte Grübel am 27. April im Bundestag. Etwa drei Viertel der Weltbevölkerung erlebten Einschränkungen bei der Ausübung ihres Glaubens. Christen und Muslime seien aufgrund ihrer Gesamtzahl am häufigsten betroffen.

Das Parlament diskutierte über den Bericht der Bundesregierung zur Religionsfreiheit aus der vergangenen Wahlperiode, in dem eine zunehmende Einschränkung des Rechts beklagt wird. Grübel sagte, der Bericht habe weitgehend auf Gesamtbetrachtungen von Staaten verzichtet und Handlungsempfehlungen vermieden. Der Beauftragte, der nun alle zwei Jahre solch einen Bericht vorlegen soll, kündigte an, er wolle "dokumentieren, berichten, hinweisen, aber auch werten und Empfehlungen geben". Den Bericht will Grübel nach eigenen Worten gemeinsam mit Abgeordneten, Ministerien, Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie engagierten Gruppen und Wissenschaftlern erarbeiten.

Erinnert an Jesiden

In seiner ersten Rede im Bundestag verwies der Beauftragte auf die Verfolgung von Christen und Jesiden im Nordirak und forderte dazu auf, mehr zu unternehmen, um in der Region die Religionen zu versöhnen und eine Rückkehr der Flüchtlinge zu ermöglichen. Dazu müsse man auch bereit sein, Maßnahmen zu bezahlen, sagte Grübel. Die bisherige finanzielle Ausstattung für diese Aufgaben reiche nicht. Grübels Beauftragtenstelle ist im Entwicklungsministerium angesiedelt. In der nächste Woche berät das Bundeskabinett den Haushalt, Mitte Mai soll der Etat vom Parlament verabschiedet werden.

Redner aller Fraktionen betonten im Bundestag den Wert von Religionsfreiheit. Ohne Religionsfreiheit sei Frieden nicht möglich, sagte der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder (CDU). Der kirchenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Volker Münz, bemängelte, dass der Bericht zur Religionsfreiheit nicht deutlich genug die Christenverfolgung hervorhebe. Er betonte, dass Christen vor allem in islamisch geprägten Ländern verfolgt würden. Der SPD-Kirchenbeauftragte Lars Castellucci entgegnete, wenn man Christenverfolgung benutze, um gegen andere Religionen "aufzustacheln", vergreife man sich am Grundsatz der Religionsfreiheit.

Mit den Stimmen von Union und SPD verabschiedete das Parlament eine Entschließung, die einen stärkeren Einsatz für Religionsfreiheit unter anderem in der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik fordert. Die AfD stimmte gegen den Antrag.

"Bärendienst"

FDP, Grüne und Linke enthielten sich. Redner der drei Oppositionsparteien nutzten die Debatte auch für erneute Kritik an der bayerischen Anweisung zum Aufhängen von Kreuzen in Landesbehörden. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) verstaatliche damit Religion, sagte der kirchenpolitische Sprecher der FDP, Stefan Ruppert. "Er hat uns Christinnen und Christen einen Bärendienst erwiesen", sagte er.

Der Grünen-Politiker Kai Gehring sagte, Söder missachte mit der Anordnung die Neutralitätspflicht des Staates. Wer hierzulande das Christentum überhöhe, werde kaum glaubwürdig gegen Christenverfolgung in anderen Ländern angehen können, warnte Gehring. An der Wand eines Amtes habe das Kreuz nichts zu suchen, sagte die religionspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Christine Buchholz. Wenn andererseits das Tragen des Kopftuchs weiter eingeschränkt werde, zeige sich, worum es in Wahrheit gehe: "die Ausgrenzung des anderen", sagte Buchholz.



Ministerium: Flüchtlingsbürgen müssen erst mal nicht zahlen

Flüchtlingsbürgen müssen bis zu einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig keine Rückzahlungen an staatliche Stellen leisten. Das Bundesarbeitsministerium bestätigte am 24. April auf Anfrage, dass "auf festgesetzte Erstattungsforderungen" zunächst verzichtet werde. Zwar würden die Jobcenter auch weiter Zahlungsbescheide verschicken, doch die Gelder bis auf weiteres nicht einziehen, sagte ein Ministeriumssprecher. Der Fachbegriff hierfür lautet "befristete Niederschlagung".

Der Streit über die Rückzahlungen beschäftigte schon mehrfach die Gerichte. Hintergrund sind Bürgschaften, die Initiativen, Kirchengemeinden und Einzelpersonen 2014 und 2015 für syrische Flüchtlinge übernommen haben - in der Annahme, dass diese Verpflichtungen nur wenige Monate bestehen.

Die Jobcenter schickten Rechnungen für Hilfen zum Lebensunterhalt, die die Flüchtlinge vom Staat empfangen hatten. Dabei kommen oft Beträge von mehreren Tausend Euro zusammen. Schätzungen zufolge sind allein 2013/2014 rund 7.000 Deutsche Verpflichtungen für Syrer eingegangen, die nach Deutschland kommen wollten.

Längere Fristen

Die Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen waren davon ausgegangen, dass die entsprechenden Bürgschaften nur auf wenige Monate befristet sind. Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts setzte aber inzwischen längere Fristen fest. Die Bürgen müssen demnach auch dann noch für ihre Schützlinge aufkommen, wenn diese ihre Asylverfahren längst erfolgreich durchlaufen haben.

Jetzt muss sich erneut das Bundesverwaltungsgericht mit den umstrittenen Bürgschaften befassen. Laut Ministerium hat das Jobcenter Bonn dem Leipziger Gericht eine Nichtzulassungsbeschwerde gegen eine Entscheidung des OVG Münster zur Haftungsdauer einer Verpflichtungserklärung vorgelegt. Bis diese Entscheidung vorliegt, müssen keine Zahlungen erfolgen.



NRW will Kommunen weniger Flüchtlinge zuweisen

NRW will die Kommunen bei Flüchtlingen entlasten. Künftig sollen möglichst nur noch anerkannte Flüchtlinge aus Landeseinrichtungen an Kommunen überwiesen werden. Damit soll laut NRW-Integrationsminister die Integration erleichtert werden.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung will künftig den Kommunen möglichst nur anerkannte Flüchtlinge oder Menschen mit guter Bleibeperspektive zuweisen. "Wir wollen die Kommunen spürbar entlasten, damit sie sich grundsätzlich auf die Integration der Personen mit Bleiberecht konzentrieren können", sagte der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) am 24. April in Düsseldorf. Ein neuer dreistufiger Asyl-Steuerungsplan soll die Kommunen bereits im Jahr 2019 um 40 Prozent bei den Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive entlasten.

Ziel: Asylverfahren beschleunigen

Der Plan sieht in einem ersten Schritt vor, die Asylverfahren deutlich zu beschleunigen. Dafür habe die Landesregierung mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) vereinbart, dass neben den Verfahren der Flüchtlinge aus sicheren Herkunftsstaaten wie die des Westbalkans auch die Verfahren von Asylsuchenden aus Georgien schneller entschieden werden. Aus dem Land habe in jüngster Zeit der Zuzug sehr stark zugenommen. Langfristig plant die NRW-Regierung auch die Verfahren von Menschen aus Armenien und Aserbaidschan zu beschleunigen.

Darüber hinaus sollen nicht schutzberechtigte Flüchtlinge möglichst schnell aus den Landeseinrichtungen in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Menschen mit ungeklärter Bleibeperspektive sollen statt wie bisher drei nun bis zu sechs Monate in den Unterkünften des Landes bleiben. Für Familien mit minderjährigen Kindern ist geplant, sie im vierten Aufenthaltsmonat an die Kommunen zu verweisen. Flüchtlinge, die nicht zuerst in Deutschland europäischen Boden betreten haben, sollen nach dem sogenannten Dublin-Verfahren an das entsprechende EU-Land wie der Schweiz oder Polen überwiesen werden.

Die neuen Regelungen gelten den Angaben zufolge für Flüchtlinge, die sich in Landeseinrichtungen befinden. Schon an die Kommunen überwiesene Asylsuchende können rechtlich nicht zurück an das Land überwiesen werden, erläuterte Stamp.

Im zweiten Schritt will NRW-Minister Stamp Asylsuchende mit unbegründetem oder unzulässigen Status vorgeben, sich bis zu 24 Monate in den Unterkünften des Landes aufhalten zu müssen, bevor sie in die Kommunen dürfen. Die Vorschrift plant Stamp bis zur zweiten Jahreshälfte 2018 umzusetzen. Zuvor seien noch rechtliche Vorbereitungen nötig, erklärte der Minister.

Trotz des Asyl-Stufenplans fielen jedoch weiterhin bestimmte Flüchtlinge aus dem Raster fielen, räumte Stamp ein. Darunter seien zum Beispiel Menschen, die wegen rechtlichen oder gesundheitlichen Problemen nicht abgeschoben werden könnten. "Die Landesregierung wird sich aber mit Nachdruck beim Bund dafür einsetzen, dass gerade die bestehenden Hemmnisse intensiver angegangen werden", betonte er. Stamp appellierte an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) einen Migrationsgipfel von Bund, Ländern und Kommunen anzusetzen.

Die letzte Stufe des Plans sieht unter anderem vor, in allen fünf nordrhein-westfälischen Regierungsbezirken Zentrale Ausländerbehörden einzurichten. Diese sollen bislang von Kommunen wahrgenommene Aufgaben übernehmen und zum Beispiel freiwillige Ausreisen und Abschiebungen von Flüchtlingen organisieren. Zu den bestehenden Behörden in Dortmund, Köln und Bielefeld kämen demnach weitere Einrichtungen in Essen und Coesfeld.



Diakonie RWL kritisiert NRW-Plan zur Flüchtlingsverteilung


Christian Heine-Göttelmann
Diakonie RWL/Hans-Jürgen Bauer

Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe hat den Plan der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur künftigen Verteilung von Flüchtlingen kritisiert. "Wenn vor allem Flüchtlinge mit schlechter Bleibeperspektive länger in den Zentralen Landesunterkünften bleiben, erhalten die Einrichtungen den Charakter von Abschiebelagern", sagte der Vorstand Christian Heine-Göttelmann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Perspektivlosigkeit der Menschen in den Unterkünften begünstige Kriminalität, Extremismus und kulturelle Konflikte.

Heine-Göttelmann warnte vor einer "prekären Lage", der auch Schutzbedürftige wie Kinder ausgesetzt seien. Denn neben den Asylsuchenden mit geringer Bleibeperspektive lebten in den Zentralen Landeseinrichtungen für mindestens drei Monate auch neu in Deutschland angekommene Asylsuchende.

Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) hatte am 24. April einen neuen Plan vorgestellt, wonach die Landesregierung den Kommunen künftig möglichst nur anerkannte Flüchtlinge oder Menschen mit guter Bleibeperspektive zuweisen will. Asylsuchende mit unzulässigen Status bleiben demnach bald sogar bis zu zwei Jahre in den Landeseinrichtungen und werden erst später auf Kommunen verteilt.

Heine-Göttelmann warnte, dass sich die Menschen in den Zentralen Landesunterkünften nicht integrieren könnten. Sie hätten dort keinen geregelten Tagesablauf, kaum Kontakt zur deutschen Bevölkerung und nähmen nicht an Sprachkursen oder sozialen Angeboten teil. "Integration findet erst in den Kommunen statt", betonte der evangelische Pfarrer, der auch Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist. Er fordert Integrationsminister Stamp auf, den Kommunen anstelle des neuen Plans mehr finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen.

epd-Gespräch: Patricia Averesch


Bezirksregierung weist Bericht über Abschiebehaft Büren zurück

Die Bezirksregierung Detmold weist einen Bericht des "Spiegel" über eskalierende Gewalt in dem Abschiebegefängnis Büren bei Paderborn zurück. "Es gibt keine täglichen Vorfälle", sagte ein Sprecher der Bezirksregierung dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 27. April. Die vom Nachrichtenmagazin genannten Fällen hätten sich zwar ereignet, allerdings im Zeitraum von 2016 bis heute. Alle Vorfälle würden von der Detmolder Bezirksregierung ausgewertet, die für die Bürener Haftanstalt zuständig ist. Für die inneren Abläufe und Sicherheitsmaßnahmen der Einrichtung seien Konsequenzen gezogen worden.

Das Nachrichtenmagazin "Spiegel" berichtet in seiner neuen Ausgabe, dass in Deutschlands größten Abschiebegefängnis die Lage "fast täglich" eskaliere. Häftlinge randalierten häufig und griffen das Personal, hieß es. Das gehe aus internen Berichten hervor, die dem "Spiegel" vorliegen würden. Einige Insassen seien demnach so aggressiv, dass sie in besonders gesicherte Hafträume verlegt und dort über Nacht gefesselt werden müssten. In dem Bericht werden vier Einzelbeispiele genannt.

Die Abschiebehaftanstalt in Nordrhein-Westfalen gilt als die größte Einrichtung in Deutschland. Derzeit hat sie 140 Plätze, die nordrhein-westfälische Landesregierung plant aber eine Erweiterung. Die zunehmende Zahl an Ausreisepflichtigen, verbesserte Rückführungsmöglichkeiten bei bisherigen Problemländern und veränderte Maßstäbe nach dem Fall Amri hätten zu einem erhöhten Bedarf an Abschiebehaftplätzen geführt, hatte NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) im April angekündigt.



Bundesregierung bestätigt Abschiebeflug nach Kabul

Das Bundesinnenministerium hat einen weiteren Abschiebflug nach Afghanistan bestätigt. Eine Sprecherin teilte auf Anfrage am 25. April in Berlin mit, an Bord des Flugzeugs, das von Düsseldorf aus gestartet war, hätten sich 21 Männer befunden. Bei ihnen habe es sich um 15 Straftäter, zwei Gefährder und vier Männer gehandelt, die hartnäckig eine Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigert hätten.

Bei den Straftaten handele es sich unter anderem um versuchten Totschlag, räuberischen Diebstahl, gefährliche Körperverletzung und sexuelle Nötigung, teilte das Innenministerium mit. An der Abschiebung seien die Bundesländer Bayern, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Hessen beteiligt gewesen. Die Abschiebung sei von 40 Beamten der Bundespolizei, einem Arzt und einem Dolmetscher begleitet worden.

Nach Afghanistan werden derzeit nur Straftäter, Gefährder und Menschen abgeschoben, die sich im Asylverfahren weigern, ihre Identität feststellen zu lassen. Am Düsseldorfer Flughafen protestierten am Abend rund 40 Menschen mit Transparenten gegen den Abschiebeflug. Die Demonstration ist nach Angaben der Polizei ohne Störungen verlaufen.



Türkische Gemeinde: Deutsche Politiker sollen Solinger Gedenkfeier besuchen

In der Debatte um die Gedenkfeier zum 25. Jahrestag des Brandanschlags von Solingen hat die Türkische Gemeinde in Deutschland deutsche Politiker aufgefordert, bei der Feier Präsenz zu zeigen. Politiker in Deutschland sollten sich "über die Präsenz türkischer Politiker nicht ärgern, sondern dieses Thema endlich selbst besetzen", sagte der Vorsitzende Gökay Sofuoglu der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (25. April). "Es ist unser aller Verantwortung, dass sich Solingen nie wiederholt."

Angesichts der Teilnahme des türkischen Außenministers Mevlüt Çavusoglu an der Gedenkfeier am 29. Mai hatten deutsche Politiker die Sorge geäußert, er könne seine Rede dazu nutzen, vor den Parlaments- und Präsidentenwahlen in der Türkei am 24. Juni für die Regierungspartei AKP zu werben. Sofuoglu betonte, sowohl die deutsche als auch die türkische Regierung "sollten aufpassen, dass sie das Gedenken an Solingen nicht politisch instrumentalisieren". Aus Respekt vor den Opfern dürften an diesem Tag nur das Gedenken und der Kampf gegen Rechtsextremismus im Mittelpunkt stehen.

Bei dem fremdenfeindlichen Brandanschlag von Solingen waren am 29. Mai 1993 fünf Mitglieder der türkischen Familie Genç ums Leben gekommen. Kritik an der Teilnahme des türkischen Außenministers Çavusoglu an der Gedenkfeier hatten etwa der Grünen-Politiker Cem Özdemir und die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen geäußert. Dagegen hatte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Rande des G-7-Außenministertreffens in Toronto erklärt, es handle sich nicht um eine Wahlkampfveranstaltung, sondern um das Gedenken an die Opfer eines fremdenfeindlichen Anschlags. Auch die NRW-Landesregierung hat keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Besuch.

Im Juni 2017 hatte das Auswärtige Amt ein Auftrittsverbot für ausländische Politiker drei Monate vor einer Wahl oder Abstimmung in ihrem Land erlassen. Hintergrund war ein Streit um geplante Wahlkampfauftritte in Deutschland vor dem türkischen Verfassungsreferendum im April vergangenen Jahres.



Saarland startet Freiwilliges Soziales Jahr in der Politik

Das Saarland bietet ab dem 1. September Plätze für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Bereich Politik und Demokratie an. Es gehe darum, jungen Menschen "Einblicke in die Landesverwaltung und die Landespolitik zu eröffnen, nicht um sie abzuschrecken, sondern sie auf unserem Weg der Politik mitzunehmen", sagte die saarländische Sozialministerin Monika Bachmann (CDU) am 26. April in Saarbrücken. Der Paritätische Wohlfahrtsverband ist Partner der Landesregierung bei dem zunächst auf zwei Jahre angelegten Modellprojekt. "Wir hoffen auf ein großes Interesse", sagte Bachmann. Bewerbungen seien ab sofort beim Paritätischen möglich.

Die jungen Menschen sollten über das neue FSJ Politik und politische Prozesse besser verstehen, Strukturenaufgaben und Abläufe kennenlernen. Zudem sollten sie selbst aktiv politisch handeln sowie Respekt und Toleranz gegenüber anderen Haltungen gewinnen, betonte Bachmann. Elf Plätze gibt es nach ihren Worten bisher in Ministerien und der Staatskanzlei, Interessenten könnten aber auch eigene Wünsche äußern. Dabei sind als Einsatzorte etwa Rathäuser, der Landtag, Gewerkschaften, die Verbraucherzentrale oder auch das Landesamt für Verfassungsschutz möglich.

Die Vorsitzende des Landesverbands Rheinland-Pfalz/Saarland des Paritätischen, Gaby Schäfer, betonte, dass es um eine andere Zielgruppe als beim klassischen FSJ gehe. "Es gibt ja auch junge Leute, die Interesse an Politik, an Verwaltung, an Gestaltung der Gesellschaft haben", erklärte sie. "Wir wollen die Stärkung einer demokratischen und engagierten Bürgergesellschaft." Die Einrichtungen könnten zudem einen Pool von interessierten Nachwuchskräften gewinnen.

Ein Freiwilliger bekommt den Angaben zufolge im Schnitt 600 Euro pro Monat - darin enthalten sind Taschengeld, die pädagogische Betreuung und der Sozialversicherungsbeitrag. Während der 25 Bildungstage gehe es unter anderem um Rechtsextremismus, Cybermobbing, aber auch um Kultur, hieß es weiter. Nach momentanem Stand geht der Paritätische im Saarland von einem Kontingent von 40 bis 60 Stellen für Freiwillige im Bereich Demokratie und Politik aus. Insgesamt absolvieren im Saarland laut Sozialministerium jedes Jahr über 800 junge Menschen ein FSJ.



Mehr Mädchen als Jungen machen in NRW Abitur

Mehr Mädchen als Jungen machen in Nordrhein-Westfalen Abitur. Obwohl Mädchen zahlenmäßig bei allen Schulabgängern im vergangenen Jahr unterrepräsentiert waren, lagen sie bei den Absolventen mit Hochschulreife mit einem Anteil von 54,7 Prozent vorn, wie das statistische Landesamt in Düsseldorf zum Girls' Day am 26. April mitteilte. Damit setze sich ein Trend fort. Auch im Vorjahr lag der Mädchenanteil bei den Abiturienten mit 55 Prozent über dem der Jungen.

Bei den Schulabgängern mit und ohne Hauptschulabschluss waren dagegen im Jahr 2017 Jungen mit Anteilen von 59 Prozent (Vorjahr: 59,9 Prozent) beziehungsweise 60,8 Prozent (Vorjahr: 59,7 Prozent) häufiger vertreten als Mädchen.

Im Sommer 2017 verließen insgesamt 197.235 Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen. Auch im vergangenen Jahr beendeten mit 49,2 Prozent wieder weniger Mädchen (96.952) als Jungen (100.283) die Schule.




Umwelt

Agrarminister wollen zeitnah Tierwohllabel


Schweinestall in der konventionellen Landwirtschaft
epd-bild/Uwe Lewandowski
Die Agrarminister von Bund und Ländern wollen eine zügige Einführung des Tierwohllabels für Lebensmittel. Die Grünen werben für eine europaweite Lösung und konkrete Finanzzusagen für Bauern.

Die Agrarminister von Bund und Ländern haben sich für eine zeitnahe Einführung eines Tierwohllabels für Lebensmittel ausgesprochen. "Wir haben Einigkeit erzielt, dass wir gemeinsam eine zeitnahe, einheitliche und verlässliche Kennzeichnung anstreben, die Verbrauchern eine bewusste Entscheidung ermöglicht und Haltungsformen auf einen Blick transparent macht", sagte NRW-Landwirtschaftsministerin Christina Schulze Föcking (CDU), aktuelle Vorsitzende der Agrarministerkonferenz, die am 27. April in Münster zu Ende ging. Voraussetzung sei, dass die Arbeit der Landwirte besser honoriert werde. "Lebensmittel von hoher Qualität müssen ihren Preis wert sein - und nicht preiswert im Sinne von billig."

Auch Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) bekräftigte nach der Konferenz ihre Absicht, ein staatliches Label für Fleisch zur Kennzeichnung der Haltungsbedingungen von Schweinen oder Hühnern einzuführen. "Eine staatliche Kennzeichnung bringt Transparenz und Verlässlichkeit", sagte sie. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag die Einführung eines Tierwohllabels vereinbart, das schon Klöckners Amtsvorgänger Schmidt einführen wollte. Es gibt bereits verschiedene Kenzeichnungen vom Deutschen Tierschutzbund sowie von Handelsketten.

Zuvor hatte Klöckner im WDR-Radio Bereitschaft signalisiert, Bauern bei einem Umbau ihrer Ställe für mehr Tierwohl finanziell zu unterstützen. "Wir müssen für die Ställe der Zukunft Geld in die Hand nehmen", sagte die Ministerin. Mehr Tierwohl koste Bauern Geld, wenn etwa Ställe ausgebaut würden, weniger Tiere in einem Stall gehalten oder Beschäftigungsmöglichkeiten für die Tiere eingerichtet würden. Sie sei "sehr gewillt", die Bauern zu unterstützen, "damit sie den Sprung in die Zukunft schaffen". Zudem wolle sie die Einführung eines Tierwohllabels massiv mit Werbung begleiten.

Weitergehende Schritte forderten die Grünen. Die hessische Landwirtschaftsministerin Priska Hinz, Sprecherin der Grünen-geführten Agrarressorts, mahnte nach der Konferenz in Münster, ein nationales Tierwohllabel könne "nur der Einstieg in einen weiterführenden Prozess sein". "Wir brauchen EU-weit verbindliche Regeln für die Kennzeichnung der Tierhaltungsformen", forderte Hinz.

Der agrarpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, forderte von Bundesagrarministerin Klöckner konkrete Finanzzusagen für Bauern. "Wie viel Geld wird im Haushalt für tierfreundliche Ställe bereitgestellt? Wann wird endlich die Genehmigung tierfreundliche Ställe im Baurecht geregelt? Mit welchen Mitteln soll das Tierwohllabel beworben werden?" Bislang gebe es nur "unkonkrete Lippenbekenntnisse" der Ministerin, kritisierte er gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Weitere Themen bei der Tagung der Agrarminister in Münster waren nach Angaben des NRW-Ministeriums unter anderem das Bienensterben und die Gemeinsame Europäische Agrarpolitik. Zudem sprachen sich die Ressortchefs dafür aus, Transporte lebender Nutztiere aus der EU zur Schlachtung in Drittländer grundsätzlich zu verbieten.



Ökumenisches Netzwerk Klimagerechtigkeit gegründet

Einrichtungen der evangelischen und römisch-katholischen Kirche haben das Ökumenische Netzwerk Klimagerechtigkeit gegründet. Durch den bundesweiten Zusammenschluss soll das kirchliche Engagement für mehr Klimagerechtigkeit in Politik und Gesellschaft gestärkt werden. Die evangelischen und katholischen Kirchen seien gesellschaftspolitisch ein wichtiger Akteur, sagte Chris Böer, Koordinator des Netzwerkes, am 25. April in Hamburg. "Es geht um die Verantwortung der Christen für die Zukunft der Erde."

Mitte April hatten sich die kirchlichen Vertreter zur Gründungskonferenz in Münster getroffen. Die Geschäftsstelle des Koordinators ist im Ökumenezentrum der Nordkirche in Hamburg angesiedelt. Eine weitere Geschäftsstelle ist beim katholischen Hilfswerk Misereor in Berlin.

Das Ökumenische Netzwerk wird den Klimapilgerweg 2018 unterstützen, der am 9. September von Bonn über Hannover und Berlin zur UN-Klimaverhandlung nach Katowice in Polen führt. Dort wird ab dem 3. Dezember über den weltweiten Klimaschutz verhandelt.

Träger des Netzwerkes sind unter anderem die Beauftragten für den Kirchlichen Entwicklungsdienst, die evangelische und katholische Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten, die katholischen Werke Misereor, Adveniat, Renovabis, Missio, Caritas und "Die Sternsinger" sowie die evangelischen Landeskirchen und "Brot für die Welt". Weiterhin sind das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und die Evangelische Kirche in Deutschland dabei.



Mahnwache gegen Castor-Transporte

Mit einer Mahnwache haben am 28. April Atomkraftgegner in Düren gegen mögliche Castor-Transporte durch Nordrhein-Westfalen vom Forschungszentrum Jülich nach Ahaus beziehungsweise in die USA demonstriert. Auch sprach sich das Bündnis "Stop Westcastor" für einen zügigen Neubau eines modernen Atommülllagers vor Ort in Jülich aus, das gegen Erdbeben und Flugzeugabsturz gesichert ist. Der Atommüll sei durch den Atomversuchsreaktor (AVR) in Jülich entstanden, erklärte das Aktionsbündnis. "Verantwortung kann man nicht outsourcen." Das Forschungszentrum Jülich und die AVR GmbH hätten die Verantwortung für die AVR-Castoren der Jülicher Entsorgungsgesellschaft für Nuklearanlagen übertragen.

Hintergrund der jüngsten Mahnwache, an der nach Veranstalterangaben rund 20 Menschen teilnahmen, ist die noch offene Entscheidung, wie mit dem Atommüll aus dem 1988 stillgelegten Hochtemperaturreaktor Jülich verfahren werden soll. Das Bundesumweltministerium hatte dazu im März erklärt, es seien bislang keine abschließende Festlegungen getroffen worden.

In Jülich bei Aachen lagern 152 Castor-Behälter mit knapp 300.000 hochradioaktiven Brennelementekugeln. Das dortige Zwischenlager muss aber so schnell wie möglich geräumt werden, weil die Betriebsgenehmigung bereits 2014 abgelaufen ist. Geprüft wurden bislang drei mögliche Lösungen: ein Transport der Brennelemente von Jülich ins 180 Kilometer entfernt gelegene münsterländische Ahaus, ein Transport in die USA und der Bau eines neuen Zwischenlagers in Jülich.

Der Ahaus-Transport gilt als realistischste Variante. Die Castor-Behälter müssten dann in den Jahren 2019 und 2020 in Einzeltransporten in das Atommüll-Zwischenlager in der 40.000-Einwohner-Stadt gebracht werden. Die dortige Lagergenehmigung endet allerdings im Jahr 2036. Falls der Atommüll nach Ahaus gebracht wird, soll er dort verbleiben, bis er in ein Endlager für hochradioaktiven Müll gebracht werden könne. Die Genehmigung für das Zwischenlager Ahaus müsste dann gegebenenfalls über das Jahr 2036 hinaus verlängert werden. Ein Endlager für hochradioaktiven Müll gibt es in Deutschland bislang nicht. Ein geeigneter Standort soll möglichst bis zum Jahr 2031 gefunden werden.



Umweltbehörde erwartet steigende Hitzebelastungen durch Klimawandel

Der Klimawandel wird nach Einschätzung von Experten in den kommenden Jahren auch für NRW steigende Temperaturen mit sich bringen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts sei von einem Anstieg der durchschnittlichen Jahrestemperaturen um 0,7 bis 1,7 Grad Celsius auszugehen, teilte das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz am 27. April in Recklinghausen mit. Bis zum Ende des Jahrhunderts werde ein Anstieg um 1,5 bis 4,3 Grad Celsius erwartet.

In der Folge rechnet die Behörde mit mehr heißen Tagen und längeren Hitzeperioden und dadurch einer stärkeren Hitzebelastung der Bevölkerung. Bereits jetzt seien mehr als fünf Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen bei sommerlichen Temperaturen einer besonders großen Hitzebelastung ausgesetzt. Mit Blick auf den Klimawandel werden nach Berechnungen der Wissenschaftler bis zur Mitte des Jahrhunderts neun Millionen Menschen Probleme mit großer Hitze bekommen.

Besonders betroffen von einer starken Hitzeentwicklung sind laut der Klimaanalyse stark verdichtete und bebaute Innenstädte ohne Grünflächen, hieß es weiter. Durch geringen Luftaustausch, Wärmeabstrahlung von Verkehr und Industrie und Wärmespeicherung von Gebäuden liege dort die Temperatur vor allem in der Nacht oft bis zu zehn Grad Celsius höher als im Umland.

Unter solchen "Hitzeinseln" litten vor allem ältere und kranke Menschen sowie Kleinkinder. Mögliche Folgen seien Herz-Kreislauf-Probleme, Kopfschmerzen oder Erschöpfung. Außerhalb der Städte seien Wohnsiedlungen in der Nähe zu großen landwirtschaftlichen Flächen, Industrie- und Gewerbeflächen besonders stark durch Hitzeentwicklung belastet.

Um die steigenden Hitzebelastungen abzumildern, empfehlen die Umweltexperten unter anderem Fassaden- und Dachbegrünungen, den Erhalt oder die Neuanlage kleiner Parks und großer Grünanlagen sowie mehr Bäume im Straßenraum. Kaltluftproduzierende Flächen und Kaltluftleitbahnen in Städten müssten erhalten und vor Versiegelung und Bebauung geschützt werden.




Soziales

Bundesregierung: 36.000 Stellen in der Pflege unbesetzt


In der Pflege fehlen Stellen und Bewerber.
epd-bild / Werner Krüper
In der Pflege sollen neue Stellen geschaffen worden - doch es ist schon schwierig, die vorhandenen zu besetzen. Kritiker bezweifeln zudem die von der Bundesregierung genannte Zahl der offenen Stellen.

In der Pflege sind bundesweit mindestens 36.000 Stellen unbesetzt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion hervor, die am 25. April bekanntwurde. Danach fehlten im Jahr 2017 in der Altenpflege 15.000 Fachkräfte und 8.500 Helfer. Der Pflegekritiker Claus Fussek bezweifelt, dass es nur 36.000 unbesetzte Pflegestellen sind. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz sieht die Verantwortung für die Misere auch bei den Arbeitgebern.

Zuerst hatte die "Berliner Zeitung" über die Zahlen berichtet. In der Krankenpflege gibt es danach 11.000 offene Fachkräftestellen und 1.500 unbesetzte Helfer-Jobs. Die Regierung beruft sich auf Zahlen der Bundesagentur für Arbeit. Die Arbeitslosenquote in der Altenpflege lag bei 0,7 Prozent. Zum Vergleich: Bundesweit über alle Berufsgruppen betrug die Arbeitslosenquote im März 5,5 Prozent. In der Altenpflege kommen auf 100 offene Stellen bundesweit im Schnitt 21 arbeitslose Fachkräfte. In der Krankenpflege standen 100 offenen Stellen durchschnittlich 41 arbeitslose Fachkräfte gegenüber.

Grüne fordern 50.000 zusätzliche Pfleger

"Es fehlen immer mehr Pflegekräfte, vor allem im ländlichen Raum", sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Deswegen brauche es ein Sofortprogramm. "Die Bundesregierung muss jetzt schnell handeln. Wir brauchen 50.000 zusätzliche Pflegekräfte in der Altenpflege und in den Krankenhäusern", sagte Göring-Eckardt. Die von Union und SPD versprochenen 8.000 zusätzlichen Stellen im Pflegebereich seien nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Die Beauftragte für Pflege der SPD-Bundestagsfraktion, Heike Baehrens, sagte dagegen, das Sofortprogramm mit 8.000 neuen Fachkraftstellen sei angesichts des leer gefegten Arbeitsmarktes ein realistischer erster Schritt. Sie regte an, "Verbesserungen in einer konzertierten Aktion Pflege auf den Weg zu bringen." Ähnlich äußerte sich auch das Bundesgesundheitsministerium: "Wir gehen davon aus, dass diese 8.000 Stellen besetzt werden können", sagte ein Sprecher.

Das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung hält die genannte Zahl von 36.000 offenen Stellen für zu niedrig. "Nach unseren Daten gibt es alleine in Altenheimen und ambulanten Diensten bereits mindestens 38.000 unbesetzbare Stellen, hinzu kommen noch mindestens 10.000 nicht besetzbare Stellen im Krankenhausbereich", sagte Direktor Frank Weidner am 25. April dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wir sollten zurzeit von rund 50.000 unbesetzbaren Stellen in der Pflege in Deutschland ausgehen." Es gebe quasi keine Arbeitslosigkeit mehr unter Pflegekräften.

"Viele ungeeignet"

Im SWR sagte der Pflegeexperte Claus Fussek zu den fehlenden Fachkräften: "Ich befürchte, dass die Zahlen deutlich höher sind. Eine zweite unbequeme Wahrheit ist, dass unter den Mitarbeitern, die jetzt tätig sind, ein sehr großer Prozentanteil ungeeignet ist für diesen Beruf." Von diesen Mitarbeitern müssten sich Pflegeeinrichtungen trennen.

Die Linken-Politikerin Pia Zimmermann beklagte, dass die jüngsten Pflegestärkungsgesetze "allesamt zu Lasten der Pflegekräfte gingen". Die Fachkräfte litten seit Jahren nicht nur unter unterirdisch schlechter Bezahlung, sondern auch unter schlechten Arbeitsbedingungen. All das mache "die Pflegeberufe leider wenig attraktiv".

Die aktuellen Zahlen zum Fachkräftemangel überraschen nicht", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Dafür seien in erster Linie die Arbeitgeber verantwortlich. "Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser und Pflegeheimbetreiber auf Kosten der Pflegekräfte sparen und sogar ihren Profit steigern." Schließlich seien in den Krankenhäusern über Jahre zusätzliche Arztstellen entstanden, während Pflegestellen abgebaut worden seien.



Ausbildungsreform: Diakonie fordert Hilfe für Pflegeschulen

Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL) hat wegen der geplanten Reform der Pflegeausbildung finanzielle Unterstützung für Pflegeschulen von Bund und Ländern gefordert. "Wir wünschen uns eine Art 'Innovationsfinanzierung', denn der große Umstellungsprozess für die Schulen ist nicht zum Nulltarif zu haben", sagte die Diakonie-Pflegeexpertin Heidemarie Rotschopf am 24. April in Düsseldorf. Die Pflegeschulen stünden vor einer "Herkulesaufgabe", denn sie müssten innerhalb von nur anderthalb Jahren einen völlig neuen Lehrplan mit 2.100 Stunden Theorie und 2.500 Stunden Praxis gestalten.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte Ende März den Entwurf der neuen Ausbildungs- und Prüfungsordnung für die geplante einheitliche Ausbildung für Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger vorgelegt. Am 4. Mai können die Sozialverbände laut Diakonie im Bundestag dazu Stellung nehmen. Die Verordnung soll Ende des Jahres in Kraft treten, anschließend haben die Länder ein Jahr Zeit, sie umzusetzen. Die neue Pflegeausbildung soll 2020 starten.

Die Diakonie RWL begrüßte, dass die generalistische Pflegeausbildung umgesetzt wird. Die Kombination der Ausbildungen von Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflegern sei aber für die Pflegeschulen eine echte Herausforderung, erläuterte Pflegeexpertin Rotschopf. So solle künftig nicht mehr nach Fächern unterrichtet werden, sondern nach Kompetenzbereichen. Dabei gehe man von den Gemeinsamkeiten der drei Pflegeberufe in Bereichen wie Pflegeprozesse und -diagnostik, Beratung oder Berufsethik aus. "So kann es sein, dass es sich nicht völlig unterscheidet, welche Kompetenzen ich für die Kommunikation mit Angehörigen von demenziell Erkrankten oder Eltern kranker Kinder benötige."

Positiv bewertete die Diakonie-Expertin, dass die Bundesländer nach der geplanten Reform offizielle Schiedsstellen für Bewerden von Auszubildenden einrichten können. Zudem werde zum ersten Mal gesetzlich vorgeschrieben, dass zehn Prozent der praktischen Ausbildungsstunden der Pflegeschüler angeleitet und dokumentiert werden müssen. "Das ist ein echter Fortschritt", sagte Rotschopf.



Sozialverbände kritisieren geplante Landesbauverordnung


Auf den Rollstuhl angewiesene Menschen stoßen im Alltag noch auf viele Hindernisse.
epd-bild/Meike Böschemeyer

Die Sozialverbände in Nordrhein-Westfalen machen gemeinsam Front gegen die geplante neue Landesbauverordnung. Der vorliegende Gesetzentwurf zur Modernisierung des Baurechts sei für die Barrierefreiheit ein Rückschritt und fördere die Diskriminierung behinderter Menschen, heißt es in einer am 23. April in Düsseldorf veröffentlichten gemeinsamen Erklärung des Sozialverbands VdK, des Sozialverbands Deutschland (SoVD) in NRW und des Landesverbands "Interessenvertretung Selbstbestimmtes Leben" NRW.

Zu wenig Barrierefreiheit für Rollstuhlfahrer

Die Sozialverbände rügten vor allem eine weiterhin fehlende Kopplung barrierefreier Wohnungen an einen entsprechenden barrierefreien Zugang. Zwar sollen laut Gesetzentwurf alle neuen Wohnungsgebäude ab sieben Meter Höhe barrierefrei sein. Doch erst ab Bauten mit mindestens sechs statt bislang fünf Stockwerken soll es nun barrierefrei zugängliche Aufzüge geben. Das sei ebenso "absurd" wie das Manko, für die dringend nötige Schaffung von Wohnraum für Rollstuhlfahrer keine rechtlich verbindliche Mindestzahl mehr vorzugeben, kritisierten die Verbände. Für öffentliche Gebäude sei Barrierefreiheit zudem unverbindlich nur "im erforderlichen Umfang" vorgesehen.

Der Gesetzentwurf sei nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung bedauerlich, warnten die Sozialverbände. Schon heute sei jeder fünfte Einwohner in NRW 65 Jahre oder älter. Bis 2036 nehme die Zahl der Senioren noch einmal um ein Drittel zu. Auch weil die meisten Menschen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben möchten, müssten entsprechende Lösungen für mehr Barrierefreiheit gefunden werden. Hinzu komme, dass auch die Eltern von über 500.000 Kleinkindern in NRW barrierefreie Wohnungen mit Aufzügen benötigten, um Kinderwagen und Buggys nutzen zu können.

"Baupolitik ist ein Stück Sozialpolitik"

"Baupolitik ist und bleibt ein Stück Sozialpolitik", betonte der Vorsitzende des VdK NRW, Horst Vöge. Doch offenbar habe das "starrsinnige Beharren auf wirtschaftlichen Interessen" Vorrang. Dabei sind nach Berechnungen der Sozialverbände die Baukosten für barrierefreie Wohnungen nur unwesentlich um bis zu ein Prozent höher.

Entsprechend fordern die Sozialverbände das Land zur Nachbesserung des Gesetzes auf. Demnach sollen alle Wohnungsneubauten wie auch alle neuen öffentlich zugänglichen Gebäude generell barrierefrei sein. Zudem solle es eine Regelung für den nachträglichen Einbau von Treppenliften in Bestandswohnungen geben, erklärten sie. Ansonsten seien viele Menschen mit eingeschränkter Mobilität im Alter zum Verlassen ihrer Wohnungen gezwungen. "Menschen mit Behinderung haben dieselben Rechte wie alle anderen auch", machte der NRW-Landesvorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Franz Schrewe, deutlich.



Dusel soll neuer Bundesbehindertenbeauftragter werden

Jürgen Dusel soll neuer Behindertenbeauftragter des Bundes werden. Der Wechsel des bisherigen brandenburgischen Behindertenbeauftragten in die Bundespolitik sei "ein Gewinn für die Menschen mit Behinderung in ganz Deutschland", erklärte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) am 28. April in Potsdam. Mit dem Vorschlag, den 53-jährigen seit der Geburt stark sehbehinderten Juristen zum neuen Beauftragten des Bundes für die Belange der Menschen mit Behinderungen zu machen, treffe Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) eine gute Wahl.

Er habe die Übernahme des Amtes von Verena Bentele durch Dusel bereits vor einigen Tagen mit Heil besprochen und dem Wechsel zugestimmt, sagte Woidke. Der Weggang des gebürtigen Würzburgers, der seine Staatsexamina in Heidelberg und Stuttgart ablegte und seit 1998 in Brandenburg arbeitet, sei "ein großer Verlust für Brandenburg". In seiner achtjährigen Amtszeit als märkischer Behindertenbeauftragter habe Dusel seit Mai 2010 "eine hervorragende Arbeit geleistet". Es sei ihm in herausragender Weise gelungen, die "Interessen der Menschen, die oft am Rande stehen, zu vertreten und für sie wichtige Punkte durchzusetzen".



Wechsel an der Spitze der Antidiskriminierungsstelle

Christine Lüders (65) beendet nach zwei Amtszeiten ihre Tätigkeit als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Sie geht Anfang Mai in den Ruhestand. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sagte bei der Verabschiedung am 27. April in Berlin, Lüders habe mit großem Engagement und viel Herzblut Antidiskriminierung und Gleichstellung in Deutschland vorangebracht. Über Lüders' Nachfolge machte das Ministerium keine Angaben.

Lüders war 2010 an die Spitze der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes berufen worden. 2014 wurde sie erneut für eine vierjährige Amtszeit ernannt.



Diakonie und DGB: NRW muss sozialen Arbeitsmarkt fördern

Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und der Deutsche Gewerkschaftsbund in Nordrhein-Westfalen fordern vom Land, Geld in öffentlich geförderte Beschäftigung zu investieren. Die Landesregierung müsse "die Voraussetzungen für einen sozialen Arbeitsmarkt in NRW schaffen", erklärte Diakonie-RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann am 25. April in Essen. Entsprechende Programme des Bundes sollten mit Landesmitteln flankiert werden, forderte die nordrhein-westfälische DGB-Vorsitzende Anja Weber.

Von der öffentlich geförderten Beschäftigung für bis zu 150.000 langzeitarbeitslose Menschen, die die Bundesregierung angekündigt hat, könnten nach Einschätzung von Diakonie und DGB rund 50.000 Betroffene in NRW profitieren. Das bedeute jährlich mindestens 330 Millionen Euro zusätzliche Finanzmittel vom Bund. Hinzu komme das eingesparte Arbeitslosengeld. Ergänzt werden sollten diese Mittel zudem durch die rund 20 Millionen Euro, die NRW bereits jetzt zur Finanzierung geförderter Beschäftigung einsetzt.

"Wichtig ist uns, dass die Bundesmittel wirklich zur Finanzierung öffentlich geförderter Beschäftigung verwandt werden und nicht in die unterfinanzierten Verwaltungshaushalte der Jobcenter fließen", mahnte Heine-Göttelmann. DGB-Landeschefin Weber forderte, vor allem Jobs für Langzeitarbeitslose mit Kindern zu schaffen. "Eltern in dauerhaften Beschäftigungsverhältnissen sind für deren Kinder der beste Schutz, später einmal selber langzeitarbeitslos zu werden."

Ein sozialer Arbeitsmarkt umfasse nicht nur Stellen im Bereich der gemeinnützigen Arbeit, betonen Diakonie und DGB. "Beschäftigung muss in allen Arbeitsfeldern möglich sein, damit sich Betriebe, Kommunen und Sozialunternehmen beteiligen können", erläuterte Weber. Geschaffen werden sollten unbefristete, sozialversicherte und tariflich vergütete Arbeitsverhältnisse.



Hildebrandt-Preis für Moderatorin Hayali


Dunja Hayali
epd-bild/Stephan Wallocha

Der diesjährige Regine-Hildebrandt-Preis wird am 11. Mai an die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali sowie an das Berliner Integrationsprojekt "Über den Tellerrand" verliehen. Die Preisverleihung findet in der Altstädter Nicolaikirche in Bielefeld statt, wie die Bielefelder Stiftung Solidarität bei Arbeitslosigkeit und Armut am 27. April mitteilte. Das Preisgeld von insgesamt 10.000 Euro kommt gemeinnützigen Einrichtungen nach Wahl der Preisträger zugute.

Hayali verkörpere einen streitbaren Journalismus, Toleranz und Zivilcourage, hieß es in der Begründung. Diese seien notwendige Bedingungen für Solidarität. Die im Jahr 2013 gegründete Berliner Initiative "Über den Tellerrand" setzt sich nach eigenen Angaben für die Integration und soziale Teilhabe von Flüchtlingen ein. Die gemeinnützige Initiative Mozaik in Bielefeld für interkulturelle Bildungs- und Beratungsangebote erhält den mit 3.000 Euro dotierten regionalen Förderpreis.

Die Auszeichnung wird seit 1997 für besonderes soziales Engagement vergeben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören unter anderem die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU), die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) und der Deutsche Kinderschutzbund. Die erste Preisträgerin und spätere Namensgeberin der Auszeichnung war die SPD-Politikerin Regine Hildebrandt (1941-2001).



Mit nackten Füßen auf die Zugspitze


Auch im Berg barfuß: Bernd Gerber
epd-bild/privat
Die Zugspitze hat er schon mit nackten Füßen erklommen: Bernd Gerber aus Reutlingen glaubt, dass Schuhe den Menschen mehr schaden als nutzen. Nebenberuflich ist er Barfuß-Coach.

Selbst bei leichten Minusgraden kann man Bernd Gerber auf nackten Füßen spazieren gehen sehen. Der 47-jährige Reutlinger hat vor acht Jahren das Barfußlaufen entdeckt. Als Sportler schafft er inzwischen 35 Kilometer ganz ohne Schuhe, bei einem 24-Stunden-Lauf hat er 117 Kilometer in primitiven Laufsandalen absolviert. Und im vergangenen Jahr erklomm er barfuß die Zugspitze.

Was auf den ersten Blick etwas fanatisch wirkt, erweist sich bei näherer Betrachtung als kühle Überlegung. Gerber hat sich inzwischen tief in die Fußforschung eingegraben. Schuhe und Strümpfe verhindern den unmittelbaren Kontakt zum Untergrund, wie er erklärt, und berauben den Körper wichtiger Signale, die er beim Gehen und Stehen empfängt. Absätze bringen den Körper zudem aus dem Lot, die Schrägstellung muss ausgeglichen werden. Die Folgen: Probleme in Knie, Hüfte, Wirbelsäule und Nacken.

"Füße sind die besseren Schuhe", erklärt auch die Techniker Krankenkasse. Der Gang ohne Schuhe kräftige Bänder und Muskeln, die Fußgelenk würden stabiler, Verletzungen seltener.

Neugierige Bewunderung

In dieser Hinsicht hat Gerber heute keine Beschwerden mehr. Das fiel auch seinen Laufkollegen auf, wie er erzählt: Der einzige, der nie mit Verletzungen zu kämpfen hat, sei er - seit er barfuß oder in Laufsandalen rennt. Der anfängliche Spott ("Ist Dir das Geld für Schuhe ausgegangen?") sei inzwischen neugieriger Bewunderung gewichen, sagt er.

Bedenken gegen das Gehen auf nackten Sohlen kennt Gerber zur Genüge. Zu kalt, zu schmutzig, zu gefährlich für die Füße. Vieles ist seiner Ansicht nach eine Sache der Umstellung. So reguliere sich der Wärmehaushalt mit der Zeit von alleine - und dann sei man wirklich nur noch bei Frost auf isolierende Treter angewiesen. Auch kleine gymnastische Übungen sorgten dafür, dass mehr Blut und damit wohlige Wärme an die Zehen gelange.

Natürlich muss jeder aufpassen, dass beim Barfußlaufen keine Scherben, spitzen Steine oder Nägel in die Füße eindringen. Und besonders vorsichtig sollten Diabetiker sein, die häufig ein verändertes Schmerzempfinden an den Füßen haben.

Gerbers Fuß kann man die Jahre der Schuhlosigkeit ansehen. Zwischen großem und zweitem Zeh ist der Abstand zur Form eines "V" gewachsen. Die Haut seiner Sohle wirkt lederartig, aber weich. "Der Körper unterfüttert die Haut, um die stärkere Belastung abzufangen", sagt er. Hornhaut sieht man an seinen Füßen nicht.

Scharfkantige Steine

Dabei hat der Reutlinger Zehen, Ferse und Ballen schon einiges zugemutet. Im vergangenen Jahr bestieg er die 2.962 Meter hohe Zugspitze ohne Schuhe. "Ich wolle einfach mal ausprobieren, ob das geht." Am härtesten traf ihn ein Geröllfeld, über dessen teilweise scharfkantigen Steine er sich quälte. Einen Gletscher passierte er in Neoprensocken, um sich vor Erfrierungen zu schützen.

Auf die Idee konsequenter Barfüßigkeit brachte ihn ein Spendensammler, der sich als Pumuckl verkleidet hatte. Das war 2010, als Gerber den ersten Deutschen begleitete, der mit Down-Syndrom einen Marathonlauf absolvierte. Bei einem Vorbereitungslauf in Freiburg traf Gerber den Pumuckl, der immer ohne Schuhe unterwegs ist, und sagte sich spontan: "Das probiere ich auch aus."

Nicht gesellschaftsfähig

Selbstverständlich gibt es Lebenssituationen, in denen man ohne Schuhe nicht gesellschaftsfähig ist. Das weiß auch Gerber, der hauptberuflich im Verkauf von regenerativen Energiesystem arbeitet. Für diese Zwecke trägt er dann sogenannte Barfußschuhe. Diese Schuhe haben keine Absätze und sind vorne vergleichsweise breit, die Schuhsohle lässt sich leicht biegen.

Aus der Begeisterung ist für Gerber eine Nebentätigkeit geworden. Er hat eine Ausbildung zum Barfußcoach absolviert. Damit hilft er Menschen beim Umstieg aufs Barfußlaufen. Prinzipiell könne man das auch alleine schaffen, sagt Gerber, der selbst ohne Unterstützung umgestiegen ist. Fehler beim Übergang führten allerdings häufig zu Fehlbelastungen und Schmerzen, so dass manche das Experiment dann wieder abbrechen.

Wer zu abrupt auf viel Barfußlaufen umsteige, könne seinen Füßen schaden, warnt auch Medizinerin Ursula Marschall von der Barmer Krankenkasse. Sehnenreizungen oder Achillessehnenentzündungen könnten die Folge sein. Man solle daher langsam starten und zunächst nur kurze Strecken zurücklegen. Orthopäden raten auch Menschen, die aufgrund einer Fußfehlstellung medizinische Einlagen tragen, zur Vorsicht.

Selbst in der Familie Gerber folgen dem Vater von zwei Kindern nicht alle auf nackten Füßen. Inzwischen haben aber alle Familienmitglieder Barfußschuhe im Schrank.

Marcus Mockler (epd)



Medien & Kultur

Friedenswege und die Schrecken des Krieges


Die Dessauer Friedenslglocke vor dem LWL-Museum in Münster. Das vier Tonnen schwere Ausstellungsstück wurde nach der Wende 1989 in der ehemaligen DDR aus Waffen wie Sturmgewehren hergestellt.
epd-bild/Friedrich Stark
Ein gemeinsames Kunstprojekt von vier Museen in Münster widmet sich dem Thema Frieden. Mit dabei: "Flandern", "Guernica" und Friedensglocke. Am 28. April wurde die Schau eröffnet.

Am 19. Dezember 1944 schreibt der evangelische Theologe und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer einen Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Er ist seit über 20 Monaten in Gestapo-Haft und muss mit seiner Hinrichtung rechnen. An das Ende des Briefes fügt er als Weihnachtsgruß ein selbst geschriebenes Gedicht an. Es beginnt mit den Zeilen: "Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr." Maria von Wedemeyer macht eine Abschrift von dem Gedicht, das mehrfach vertont wurde und heute ein bekanntes Kirchenlied ist.

Das besondere Zeitdokument ist Teil der großen Themenschau "Frieden. Von der Antike bis heute", die am Samstag in Münster eröffnet wurde. Die Houghton-Library der US-amerikanischen Elite-Universität Harvard, in deren Besitz der Originalbrief ist, leiht das Dokument erstmals für eine Schau in Deutschland aus. Vier Münsteraner Museen beleuchten bis zum 2. September in fünf Ausstellungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln das Streben nach Frieden in Gesellschaft und Kunst vergangener Epochen.

100 Leihgaben

Anlass sind das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren sowie die vor 370 Jahren in Münster und Osnabrück geschlossenen Verträge zum Westfälischen Frieden, die im Jahr 1648 den Dreißigjährigen Krieg in Deutschland beendeten. An dem Projekt sind das LWL-Museum für Kunst und Kultur, das Bistum Münster, das Kunstmuseum Pablo Picasso, das Stadtmuseum und das Archäologische Museum beteiligt.

Bonhoeffers Brief ist im Ausstellungsteil des Bistums Münster zu sehen, das im LWL-Museum für Kunst und Kultur rund 100 Leihgaben aus 2.000 Jahren präsentiert. Unter dem Titel "Frieden. Wie im Himmel, so auf Erden?" geht es um die Licht- und Schattenseiten christlicher Friedensideen. "Wir wollen zeigen, was unter einem christlichen Friedensverständnis zu verstehen ist, wie Christen diesem Anspruch gerecht werden oder an ihm scheitern", kündigt Kurator Thomas Fusenig an. Das Bistum Münster ist in diesem Jahr auch Gastgeber des 101. Deutschen Katholikentages vom 9. bis 13. Mai unter dem Motto "Suche Frieden".

Wege zum Frieden stellt das Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in seinem Hauptausstellungsbereich in den Mittelpunkt. Der zeitliche Rahmen reicht vom Mittelalter bis in die Gegenwart. 180 Werke namhafter Künstler wie Peter Paul Rubens, Eugène Delacroix, Wilhelm Lehmbruck oder Käthe Kollwitz zeigen auf unterschiedliche Weise das Ideal einer Welt ohne Aggressionen.

Auffallend dabei ist, dass im 20. Jahrhundert eher der Schrecken des Krieges als der Frieden dargestellt wird. Exemplarisch dafür steht das Gemälde "Flandern" von Otto Dix. Zu sehen ist ein Schlachtfeld mit Soldaten, die im Schlamm kauern. "Das Bild ist in den 1930er Jahren entstanden und kann als Vorahnung des Zweiten Weltkriegs gedeutet werden", erklärt Kuratorin Judith Claus.

"Guernica"-Reproduktion

Das Picasso Museum veranschaulicht in seiner Ausstellung die künstlerische Auseinandersetzung des berühmten spanischen Malers mit Krieg und Frieden. Präsentiert werden rund 60 Werke, darunter Variationen von Picassos Friedenstaube und die Rezeptionsgeschichte seiner Friedensbilder. Herzstück ist eine Reproduktion des monumentalen Wandgemäldes "Guernica" (1937). Für eine 2009 entstandene Serie nutzte die Berliner Künstlerin Tatjana Doll Picassos Werk als Ausgangsmotiv und fügte herunterlaufende Lackfarbe hinzu. Dolls Werk "RIP_Im Westen Nichts Neues II" sei ein Beispiel dafür, wie Gegenwartskünstler mit der Tradition kommunizieren, sagt Museumsmitarbeiter Alexander Gaude.

Das Münsteraner Stadtmuseum lenkt den Blick auf den Westfälischen Frieden. Anhand von historischen Dokumenten und Fotografien wird unter anderem rekonstruiert, was die Nationalsozialisten zum 300. Jubiläum des Endes des Dreißigjährigen Krieges im Jahr 1948 weit im Voraus geplant hatten. Das Archäologische Museum in Münster steuert zur Themenausstellung antike Schätze aus der Zeit vom achten Jahrhundert vor Christus bis ins dritte Jahrhundert bei.

Das mit vier Tonnen wohl schwerste Ausstellungsobjekt ist die Dessauer Friedensglocke. Sie wurde aus unbrauchbar gemachten DDR-Waffen gegossen und steht seit 2002 in der ostdeutschen Stadt. Für die Friedensausstellung ist sie vor dem Eingang des LWL-Kunstmuseums am Domplatz zu sehen.

Helmut Jasny (epd)


Auf den Spuren des "Schwarzen Goldes"


Ausstellung beleuchtet "Das Zeitalter der Kohle" in Europa
epd-bild/Udo Gottschalk
Ende des Jahres schließen die beiden letzten Steinkohlenzechen in Deutschland. Eine große Sonderausstellung im Welterbe Zollverein blickt zurück auf "Das Zeitalter der Kohle" in Europa.

Im Dezember ist "Schicht im Schacht". Dann stellen mit "Prosper-Haniel" in Bottrop und "Ibbenbüren" im Tecklenburger Land die beiden letzten Steinkohlenbergwerke in Deutschland die Förderung ein. Anlass für das Ruhr Museum Essen und das Deutsche Bergbau-Museum Bochum, dem "Zeitalter der Kohle" eine große Sonderausstellung zu widmen. Auf dem Gelände des Welterbes Zollverein in Essen, der ehemals größten Steinkohlenzeche der Welt, präsentieren sie bis zum 11. November eine umfangreiche Schau zum "Schwarzen Gold" und seiner wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Bedeutung für Europa.

Wirtschaftliche und politische Bedeutung

"Kohle ist so was wie Aladdins Wunderlampe", sagte der Freiburger Historiker Franz-Josef Brüggemeier vor dem Start der Schau. Oder "der Grundstoff der Moderne", wie es Michael Farrenkopf vom Bergbaumuseum etwas sachlicher formuliert. Zunächst nur als Energielieferant durch einfaches Verbrennen genutzt, habe sie mit dem technischen Fortschritt in den letzten 250 Jahren immer wieder die Welt verändert. Die Entdeckung der Kohlevergasung brachte Gaslampen: "Die Städte wurden hell." Mit der Erfindung der Dampfmaschine folgten Eisenbahnen und Dampfschiffe, mit der Kohlechemie synthetische Farben, Medikamente, Kunststoffe oder Dünger.

All diese Aspekte will die Ausstellung zeigen, dazu die wirtschaftliche und politische Bedeutung der Kohle für Krieg und Frieden in Europa. Rund 1.200 Exponate aus den beiden Museen sowie von rund 100 internationalen Leihgebern wurden für die Schau zusammengetragen, die nun in den gewaltigen Bunkeranlagen der ehemaligen Mischanlage der Kokerei Zollverein präsentiert werden.

Ausstellungsparcours

Die Besucher folgen auf dem Ausstellungsparcours dem ehemaligen Weg der Kohle durch die Anlage: Am Wiegeturm neben dem Parkplatz starten sie mit einer Standseilbahn in umgebauten Transportwagen aufwärts bis zur obersten Ebene des Gebäudes. Dort begrüßt sie der mit rund sieben Tonnen Gewicht größte Kohlebrocken des Ruhrgebiets, umgeben von einem "Karbonwald" aus Baumfarnen.

Anschließend geht es treppab durch die drei Ebenen des einstigen Kohlenbunkers. Im ersten Bereich können die Besucher die Funktionsweise des Bergbaus kennenlernen, die Welt untertage, "die teilweise auch eine Hölle war", wie der Direktor des Ruhr Museums, Heinrich Theodor Grütter, sagt. Werkzeuge und Maschinen illustrieren technische Abläufe, Guckkästen lassen die harten Arbeitsbedingungen der "Kumpel" erahnen, die mehrere hundert Meter unter der Erde bei großer Hitze schuften mussten.

Auf der mittleren Ebene fächert die Ausstellung die vielschichtigen Aspekte des Rohstoffs Kohle auf: Lieferant für Wärme, Licht und Energie, Ausgangsstoff der chemischen Industrie, Motor der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung. 4.000 historische Farbstofffläschchen nehmen eine ganze Wand ein und verweisen auf die Nutzung der Kohle zur Herstellung synthetischer Stoffe. Büsten und Porträts von "Schlotbaronen", den Zechenbesitzern, stehen Fahnen von Arbeitervereinen und Gewerkschaften aus den europäischen Kohleregionen gegenüber.

Auch die politische Bedeutung des Rohstoffs Kohle greift die Ausstellung auf. "Um und mit Kohle sind Weltkriege geführt worden", sagt Grütter. Das veranschaulicht etwa das monumentale Sandsteinrelief "Bergmann, Soldat, Hüttenmann" von 1939, das die Bedeutung von Kohle und Stahl für den Krieg und die nationalsozialistische "Volksgemeinschaft" hervorhebt.

Wurzel der Europäischen Union

Für den Frieden in Europa steht dagegen ein anderes Exponat, auf das die Ausstellungsmacher sehr stolz sind: Das Original des Gründungsvertrages der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) aus dem Nationalarchiv Luxemburg. Mit der 1951 gegründeten Montanunion stellten Deutschland, Frankreich, die Benelux-Länder sowie Italien ihre nationalen Kohle- und Stahlproduktionen unter eine gemeinsame Kontrolle. Sie gilt als Wurzel der Europäischen Union.

Im dritten Teil schließlich widmet sich die Schau dem Erbe des Steinkohlenbergbaus und den Hinterlassenschaften der Kohlenutzung. Filme, Fotos und Plakate verweisen auf Landschaftszerstörung, Bergsenkungen und Kohlendioxidausstoß. Dokumentiert werden auch die gesellschaftlichen Folgen des Strukturwandels, die in den europäischen Kohleregionen unterschiedlich heftig ausfielen. Auf der untersten Etage schließlich kommen in kurzen Videos Menschen zu Wort, deren Leben von Kohle geprägt war.

Die Kosten der Schau belaufen sich nach Angaben der Ausstellungsmacher auf rund 2,5 Millionen Euro. Mit 1,5 Millionen Euro unterstützt die RAG Stiftung das Projekt im Rahmen ihrer Initiative "Glückauf Zukunft" zum Ende des Steinkohlenbergbaus. Eine halbe Million Euro kommt aus den Etats der beiden beteiligten Museen, der Rest soll durch Eintrittsgelder eingespielt werden.

Esther Soth (epd)


Caricatura-Museum zeigt Gemälde von Otto Waalkes


"Otto - Die Ausstellung" in Frankfurt
epd-bild / Thomas Rohnke
Als Komiker auf der Bühne und im Film ist er Generationen bekannt, als Maler weniger. Das will das Frankfurter Museum für Komische Kunst mit "Otto - Die Ausstellung" ändern.

Er erscheint in grauer Kapuzenjacke, weißes Polo-Shirt darunter, schwarz-orangene Baseballkappe auf dem Kopf. Auf dem Podium ergreift Otto als erster das Mikrofon und fragt bühnenerprobt: "Hört man mich?", um gleich eine Korrektur anzuweisen: "Zu dumpf, das muss brillanter sein." Otto Waalkes will auch auf ungewohnter Bühne brillieren, er stellt am 24. April im Caricatura-Museum in Frankfurt am Main eine Ausstellung seiner Gemälde vor.

"Otto - Die Ausstellung" heißt die Schau puristisch, die das Museum für Komische Kunst anlässlich des 70. Geburtstags des Komikers am 22. Juli präsentiert. "Man glaubt es kaum", spielt Museumsleiter Achim Frenz auf Ottos Alter an - der lüftet die Kappe und streicht zum Beweis über die Glatze oberhalb der blonden Locken. Mehr als 200 Zeichnungen und Gemälde des durch seine Bühnenshows, Fernsehauftritte und Filme bekannten Künstlers sind vom 26. April bis 2. September zu sehen.

"Die Zeichnerei und Malerei war stets ein Teil von Otto", erläutert Frenz die weniger bekannte Seite des Künstlers. Und auch die hat ihren komischen Schlag: "Jede Leinwand tränkt er vor dem Malen in Ostfriesentee." Das ist kein Witz, Otto bestätigt die Technik: Zuerst fertige er eine Zeichnung an, dann verleihe er der Leinwand mit dem Tee eine braune Patina, und darauf schichte er die Ölfarben. "Das Resultat macht unheimlich Spaß, es ist wie ein neues Gitarrenstück", schwärmt Waalkes.

Otto und Cézanne

Seine Gemälde sind wie ein Durchgang durch die Bildende Kunst des 19. und vor allem 20. Jahrhunderts. Otto ahmt die Meister und ihre Motive nach - Caspar David Friedrich, Johann Heinrich Füssli, Paul Cézanne, Edvard Munch, Pablo Picasso, Franz Marc, Paul Gauguin, Roy Lichtenstein - und verändert sie: Er setzt sich selbst in praktisch jedes Bild, meist als Ottifant, die kleine Elefantenkarikatur, der Versuch eines Selbstporträts als Schüler, manchmal mit menschlichem Antlitz. In einem Porträt Marilyn Monroes, das ihre Pose aus der berühmten Szene des Films "Das verflixte siebte Jahr" abbildet, wird klar, warum Monroes Kleid hochfliegt: Zwei Ottifanten pusten kräftig von unten.

Auch das Motiv von Munchs Gemälde "Der Schrei" wird in Ottos Nachempfindung offenbar: Die Person im Hintergrund mit schwarzer Sonnenbrille und Gitarre erinnert an Heino, während die Hauptfigur im Vordergrund mit Ottos Baseballkappe sich die Ohren zuhält und schreit. Otto kann aber nicht nur gegen andere austeilen, sondern auch selbstironisch sein. In seinem der Popart nachempfundenen Gemälde "Fünf kleine Ottifanten" sitzt eine Blondine am aufgeklappten Flügel, an der Wand ein Bild mit zwei rüsselküssenden Ottifanten. Die scheinbar friedliche junge Dame singt in der Sprechblase: "Fünf kleine Ottifanten spielten gern Klavier, ich hab die Klappe zugeknallt, da warn es nur noch vier."

"Form der Verehrung"

"Die Parodie ist die aufrichtigste Form der Verehrung", begründet Waalkes seine Vorgehensweise. Seit Beginn dieses Jahrzehnts male er mehr, weil eine Udo-Lindenberg-Galerie ihn dazu aufgefordert habe. Ist doch der Altrocker, ein WG-Genosse Ottos in Hamburger Studienzeiten, selbst erfolgreich unter die Maler gegangen. "Das Malen macht Spaß", sagte Waalkes. Rund 650 Bilder habe er inzwischen geschaffen, meist mit Acryl. Die Verwendung oder Verschwendung von Tee als Malgrund nähmen die Ostfriesen nicht übel, "die finden es gut".

Zu Frankfurt hat der Künstler eine besondere Beziehung: Die Satiriker der "Neuen Frankfurter Schule" Bernd Eilert, Robert Gernhardt und Pit Knorr schrieben Texte und Drehbücher für ihn. "Ich vermisse Robert sehr, deshalb bin ich auch etwas traurig hier", erinnert Waalkes an den verstorbenen Dichter und Zeichner. Als sein Künstlervorbild hat er einen der ganz Großen gewählt: "Ich bin ein Rembrandt-Fan, aber dass Rembrandt arm gestorben ist, gefällt mir nicht so sehr." Das ist im Fall des nun auch als Maler erfolgreichen Komikers nicht zu befürchten.

Jens Bayer-Gimm (epd)


Neue Geschäftsführerin für documenta

Sabine Schormann wird neue Geschäftsführerin der documenta. Die 55-Jährige ist derzeit Direktorin der beiden Kulturstiftungen Niedersächsische Sparkassenstiftung und VGH-Stiftung. Mit ihrer Berufung sei ein intensiver Findungsprozess zum Abschluss gekommen, sagte der Kasseler Oberbürgermeister und Aufsichtsratsvorsitzende der documenta, Christian Geselle (SPD), am 25. April.

Die Kunsthistorikerin Annette Kulenkampff, die mitverantwortlich war für die documenta 14, hatte den Posten der Geschäftsführerin im vergangenen Herbst niedergelegt. Bei der Kunstausstellung im vergangenen Jahr war ein Defizit von rund 5,4 Millionen Euro entstanden. Zwischenzeitlich hat der Musikmanager Wolfgang Orthmayr die Geschäftsführung übernommen.

Aufwertung

Als neue Geschäftsführerin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH werde Schormann den Titel Generaldirektorin tragen, kündigte Geselle am 25. April an. Dies sei eine inhaltliche Aufwertung und ein Schritt hin zu neuen Strukturen. Insgesamt hatten sich nach seinen Angaben 54 Kandidaten um die Stelle beworben.

Schormann sagte in einer ersten Stellungnahme, dass sie einen festen Glauben an die Bedeutung und die Notwendigkeit der documenta habe. "Die documenta ist ein Ort der offenen Begegnung, der dringend gebraucht wird", sagte sie. Die Weltkunstausstellung sei immer auch Impulsgeber für gesellschaftliche und politische Prozesse. "Kunst hinterfragt immer wieder den Wert der Gesellschaft", betonte sie. Ihre eigene Rolle betrachte sie als "Ermöglicherin".

Dringlichste Aufgabe sei es nun, eine Findungskommission zu benennen, die sich auf die Suche nach einer documenta-Leitung mache. Sie hoffe, dass bis spätestens Ende des Jahres ein neuer Leiter oder eine neue Leiterin gefunden werde. Die nächste documenta findet vom 18. Juni bis 25. September 2022 statt. Auch das Museum Fridericianum benötige dringend eine neue Leitung, sagte Schormann.

Erfahrungen mit internationalen Ausstellungen hat Schormann auf der Expo 2000 in Hannover gesammelt, wo sie die Ausstellungs- und Projektleitung "Planet of Visions / Das 21. Jahrhundert" im Themenpark hatte. Schormann studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie promovierte mit einer Arbeit über Bettine von Arnim und den Theologen Friedrich Schleiermacher.



Schröder stiftet Kirchenfenster: Pastorin erwartet Kontroverse


Entwurf für das "Reformationsfenster" in der Marktkirche Hannover
epd-bild/Harald Koch

Die evangelische Marktkirche in Hannover rechnet mit kontroversen Diskussionen über das geplante Buntglasfenster, das Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) der Kirche schenken will. "Wir hoffen, dass die Hannoveraner dieses Fenster am Ende mögen und schätzen und vielleicht sogar lieben", sagte Marktkirchen-Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann am 27. April bei der Vorstellung des Entwurfs. "Wir wünschen uns, dass die Diskussionen auf hohem Niveau geführt werden."

Schröder hatte angekündigt, der Marktkirche ein rund 13 Meter hohes Buntglasfenster zu schenken. Allein die Kosten für Material, Herstellung und Einbau, werden auf rund 100.000 Euro geschätzt. Entworfen wurde das "Reformationsfenster" von dem Maler, Grafiker und Bildhauer Markus Lüpertz (76), einem persönlichen Freund Schröders. Lüpertz gehört zu den bekanntesten deutschen Künstlern der Gegenwart.

Große Fliegen

Sein Entwurf zeigt unter anderem mehrere große Fliegen, die über die Bildfläche zu krabbeln scheinen. Dies könne als Symbol für Sünde und Vergänglichkeit gedeutet werden, sagte der Kunsthistoriker und frühere Leiter des Sprengel-Museums in Hannover, Ulrich Krempel. In der biblischen Symbolik sei der "Beelzebub" der "Herr der Fliegen" und stehe für das Böse. Offenbar wolle der Künstler den Hinweis geben, dass der Mensch immer von der Sünde umgeben ist: "Die Fliegen sind immer nah und präsent."

Zudem zeigt das Fenster eine große weiße Gestalt mit zum Segen erhobenen Händen, ein Gerippe als Zeichen des Todes, ein Tintenfass und Schriftspuren als Hinweis auf die Reformation sowie Kreuzzeichen. "Das Fenster wird die Atmosphäre in der Kirche verändern", sagte Krempel. Regionalbischöfin Petra Bahr betonte, in der Theologie sei lange nicht mehr über das Böse geredet worden. "Und das gibt uns dieses Bild jetzt auf." Das Verhältnis von moderner Kunst und Kirche sei immer noch spannungsreich.

Vortragshonorare

Zur Finanzierung des Fensters will Schröder Vortragshonorare von Verbänden und Unternehmen in Deutschland weitergeben. Das Honorar für den Künstler werde ein persönlicher Freund des Altkanzlers zahlen, erläuterte der Vorsitzende des Kirchenvorstands, Reinhard Scheibe. Schröder habe seiner Stadt als Ehrenbürger von Hannover ein Geschenk machen wollen und dafür die Marktkirche ausgewählt. Dafür sei die Gemeinde sehr dankbar. Bevor das Fenster bei einer Kunstglas-Manufaktur in Auftrag gegeben wird, müssen Denkmalpfleger beurteilen, ob das Werk in die spätmittelalterliche Kirche passt. Das letzte Wort hat jedoch die hannoversche Landeskirche.



Mitmachkonzerte wie das "Rudelsingen" haben Zulauf

Wer bei "Rudelsingen" an Wölfe denkt, die den Mond anheulen, irrt: Das Konzertformat besuchen Menschen, die gern singen - vom Schlager bis zum Rocksong. Ob jemand dabei den Ton trifft, ist unwichtig. Hauptsache, er geht beschwingt nach Hause.

Gedimmtes Licht aus Kronleuchtern, Discoscheinwerfer in Orange und Lila, Stehtische mit lila Hussen, an denen Menschen lehnen und bei Spezi und Sprizz lachen und quatschen. Dass das hier mehr wird als ein Kneipenfeierabend, zeigen Keyboard, Gitarren und Mikroständer auf der Bühne des Theaterzelts "Schloss" am Rande des Münchner Olympiaparks. "16. Münchner Rudelsingen" projiziert ein Beamer an die Wand, dann brandet auch schon Jubel und Applaus auf, als kämen "Die Toten Hosen" selbst in die Arena. Es sind aber bloß Volker Beck und Uli Wurschy aus Frankfurt, die musikalischen Vorturner des Abends. Denn der Star ist das Publikum, das jetzt zum eingeblendeten Text lauthals "An Tagen wie diesen" singt, röhrt und rockt.

"Ich singe gern laut", sagt Daniela, die schon zum zweiten Mal beim Rudelsingen mitmacht. Für den Chor sei sie aber zu schlecht, meint die 55-Jährige mit den kurzen roten Haaren und lacht: "Jedenfalls ist meine Familie dieser Meinung." Ihre Freundin Roswitha ist heute zum ersten Mal dabei, aber jetzt schon überzeugt: "Ich fand das gleich 'ne gute Idee", sagt die 59-Jährige. Etwa ein Drittel der Gäste an diesem Abend sind neu. Für sie erklärt Sänger Wurschy die Regeln: 50 Prozent der Lieder sind deutsch, jedes Lied soll wenigstens für die Hälfte der Gäste bekannt sein, und das Wichtigste: "Das ist hier total ungezwungen. Wer singen will, singt. Hauptsache, die Leute gehen hinterher beschwingt nach Hause."

"Wilde Mischung"

Dreimal acht Lieder haben die Profimusiker für diesen Abend vorbereitet, dazwischen Pausen für Essen, Trinken, Reden. Die Mischung ist wild: Nach den "Toten Hosen" kommt "Supertramp", und gleich danach "was ganz Krasses", wie Wurschy ins Mikro raunt. "Zwei Apfelsinen im Haar", heißt der Schlager, den France Gall im Jahr 1968 auf Deutsch eingesungen hat und der die Stimmung im Publikum jetzt zum Kochen bringt.

Die meisten Gäste sind zwischen 40 und 60, und die paar jüngeren der Generation Smartphone stehen gerade mit ratlosem Blick daneben. "Es sind immer zwei oder drei Lieder dabei, die mir nichts sagen", sagt Georg, Baseballkappe, Vollbart und schwarz gerahmte Brille. Der 28-Jährige singt gern, hat aber nicht genug Zeit für einen Chor. "Da muss man ja auch mal am Wochenende hin und so", sagt er. Also geht er lieber ab und zu zum Rudelsingen. Seine Begleiterin Petra, 27 Jahre, ergänzt mit leuchtenden Augen: "Wenn so viele Leute singen, klingt das einfach immer toll - egal wie schlecht man selber singt."

Beim nächsten Kracher können wieder alle mit: Die Textzeilen von "Maria" der Rockröhre "Blondie" erscheinen an der Wand. Als Tribut ans bayerische Publikum kommt ein 70er-Jahre-Hit des Österreichers Peter Cornelius - das gibt der hessische Dialekt von Frontmann Wurschy zwar nicht her, aber der Münchner Zufallschor vor der Bühne macht es wieder wett. "In Hamburg würden wir da eher 'Hamburg, meine Perle' spielen", erklärt Pianist Beck.

Von Volkslied bis Heavy Metal

Das Konzept der Reihe, die 2011 in Münster startete, kommt an mittlerweile mehr als 100 Aufführungsorten zwischen Bremerhaven und München, Chemnitz und Aachen gut an, neue Städte kommen laufend hinzu. "Der Erfolg war von Anfang an da", sagt Rudelsingen-Erfinder David Rauterberg. Zwischen 300 und 1.500 Besucher füllen die Hallen, bei den Sommer-Open-Airs sind es schon mal 3.000. Elf Teams touren mit der bunten Mischung von Volkslied bis Heavy Metal durch Deutschland.

"Es überrascht mich manchmal, wie viel Freude das gemeinsame Singen den Leuten bereitet", sagt Wurschy. In der Menge würden viele ihre Hemmungen verlieren. Wurschy und Beck betreiben seit 20 Jahren eine Musikschule in Frankfurt und versorgen als "Team Odenwald" den Süden der Republik mit den Rudelgesängen. Ihre Qualifikation als Musiklehrer stellen sie beim Vokalhit "Don't worry, be happy" von Bobby McFerrin unter Beweis, als sie den Saal zweistimmig singen lassen. "Ngugu, ngugu", singen, summen und brummen alle - und ein glückliches Staunen hängt in der Luft, als das Experiment gelingt und das Zelt erfüllt ist vom Klang aus 300 Kehlen.

Susanne Schröder (epd)


Pressefreiheit in Europa am stärksten verschlechtert

Die Pressefreiheit hat sich nach Analysen von "Reporter ohne Grenzen" im vergangenen Jahr im weltweiten Vergleich in Europa am gravierendsten verschlechtert. Journalisten seien dort zunehmend medienfeindlicher Hetze durch Regierungen oder führende Politiker ausgesetzt, kritisierte die Journalistenorganisation in ihrer "Rangliste der Pressefreiheit 2018". Das schaffe ein feindseliges, vergiftetes Klima, das oft den Boden für Gewalt gegen Medienschaffende oder für staatliche Repression bereite. Die "Rangliste der Pressefreiheit" vergleicht jährlich die Situation von Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien.

Vier der fünf Länder, die sich in der neuen Rangliste am stärksten verschlechtert haben, liegen laut "Reporter ohne Grenzen" in Europa. Das seien neben Serbien auch die EU-Mitglieder Malta, Tschechien und Slowakei. In all diesen Ländern seien Spitzenpolitiker 2017 durch verbale Anfeindungen, Beschimpfungen und juristische Schritte gegen Journalisten aufgefallen.

Stärkster Absteiger der Rangliste ist Malta, das sich innerhalb eines Jahres um 18 Plätze auf Rang 65 verschlechterte. Der Mord an der Investigativjournalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia im Oktober 2017 habe sichtbar gemacht, wie eng das Geflecht von Politik, Justiz und Wirtschaft in dem EU-Land sei und unter welch immensem Druck Journalisten dort auch infolge weitreichender Verleumdungsgesetze arbeiteten, hieß es.

Slowakei abgerutscht

Um elf beziehungsweise zehn Plätze verschlechterten sich Tschechien und die Slowakei. In beiden EU-Ländern kontrollierten Oligarchen mit verzweigten Geschäftsinteressen einen Großteil der Medien, darunter der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis, dem die beiden wichtigsten Zeitungen des Landes gehören. In der Slowakei wurde im Februar der Investigativreporter Jan Kuciak ermordet.

Auch in Ungarn und Polen stellten die demokratisch gewählten Staats- und Regierungschefs die Medienfreiheit infrage und behandelten kritische Medien unverhohlen als Feinde, erklärte die Organisation weiter. In beiden Länder hätten die Regierungen den öffentlichen und staatlichen Rundfunk unter ihre Kontrolle gebracht, regierungskritische private Medien stünden unter starkem Druck. In Serbien habe sich das Klima für die Medien weiter verschärft, seit Ex-Ministerpräsident Aleksander Vucic 2017 zum Präsidenten gewählt wurde, hieß es.

Das fünfte Land mit den gravierendsten Verschlechterungen in der Pressefreiheit ist demnach Mauretanien. Dort sei das Vorgehen gegen Gotteslästerung weiter verschärft worden. Gemäß einem neuen Gesetz stehe darauf die Todesstrafe, selbst wenn der Beschuldigte Reue zeigt.

An der Spitze der Rangliste stehen Norwegen, Schweden und die Niederlande. Deutschland verbesserte sich um einen Platz auf Rang 15. Hier kritisiert "Reporter ohne Grenzen" die hohe Zahl an tätlichen Übergriffen, Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Journalisten, insbesondere bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017.

Schlusslichter der Rangliste sind wie schon im Vorjahr Nordkorea, Eritrea und Turkmenistan. Als gefährlichstes Land für Medienschaffende gilt Syrien (Platz 177). Dort starben 2017 insgesamt 13 Journalisten bei der Arbeit. In der Türkei sitzen weltweit die meisten Journalisten im Gefängnis. Das Land verschlechterte sich um zwei Plätze auf Rang 157. Stärkster Aufsteiger ist Gambia (Rang 122). Das afrikanische Land hat sich seit Ende der Diktatur 2016 um 21 Plätze verbessert.



Türkisches Gericht bestätigt Ausreiseverbot für Mesale Tolu


Die Journalistin Mesale Tolu
epd-bild/Suat Corlu
Vor vier Monaten kam Mesale Tolu aus türkischer Untersuchungshaft frei - das Land verlassen darf sie jedoch immer noch nicht. Ein Gericht hat die Ausreisesperre gegen die junge Mutter verlängert. Erst im Oktober soll weiterverhandelt werden.

Die in der Türkei angeklagte deutsche Journalistin Mesale Tolu darf das Land weiter nicht verlassen. Das entschied ein Gericht am 26. April in Istanbul, wie die stellvertretende Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Heike Hänsel, mitteilte. Hänsel verfolgte den Prozess im Gerichtssaal. Die Richter hoben zwar die wöchentliche Meldepflicht für Tolu bei der Polizei auf. Tolus Forderung, auch die Ausreisesperre aufzuheben, kamen sie jedoch nicht nach.

Tolu will nach Angaben von Hänsel Beschwerde gegen das Ausreiseverbot einlegen. "Alle sind enttäuscht und empört, dass es vom Gericht nicht aufgehoben wurde", sagte Hänsel dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die jüngste Entscheidung des Gerichts gegenüber der jungen Mutter sei "reine Schikane".

Die Staatsanwaltschaft wirft Tolu Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation vor. Mit ihr ist unter anderem ihr Ehemann Suat Corlu angeklagt. Die nächste Verhandlung gegen Tolu, Corlu und 25 weitere Angeklagte setzte das Gericht erst für den 16. Oktober an.

"Justizgeisel"

Tolu war Ende April 2017 bei einer Razzia in Istanbul festgenommen worden und saß bis Dezember in Untersuchungshaft. Beim zweiten Prozesstermin im Dezember hatte das Gericht zwar Tolus Entlassung aus dem Gefängnis verfügt, aber ein Ausreiseverbot und eine wöchentliche Meldepflicht angeordnet. Die 33-jährige deutsche Staatsbürgerin hat vor ihrer Verhaftung für die linke Nachrichtenagentur Etkin News Agency (Etha) gearbeitet.

Hänsel sagte, dass Tolu im Gerichtssaal darauf hingewiesen habe, dass ihr Lebensmittelpunkt in Deutschland sei und auch ihr Sohn dort einen Kindergartenplatz habe. "Es gibt objektiv keinen Grund, dass Mesale Tolu weiterhin als Justizgeisel in der Türkei festgehalten wird, während Deniz Yücel und Peter Steudtner zu Recht ausreisen durften." Die Linken-Politikerin forderte die Bundesregierung auf, den Druck auf die türkische Führung deutlich zu erhöhen.

Im Februar hatte ein Istanbuler Gericht die Freilassung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel verfügt. Die Richter verhängten keine Ausreisesperre. Yücel hatte mehr als ein Jahr ohne Anklage in Untersuchungshaft gesessen. Der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner war im Oktober 2017 nach dreieinhalb Monaten Untersuchungshaft entlassen worden und nach Deutschland zurückgekehrt.

"Reporter ohne Grenzen" kritisierte die Entscheidung, das Ausreiseverbot bei Tolu aufrechtzuerhalten. "Die Bundesregierung und die Europäische Union sollten sich angesichts solcher Willkürentscheidungen genau überlegen, ob sie die Beziehungen zu Ankara normalisieren wollen", sagte der Geschäftsführer der deutschen Sektion der Journalistenorganisation, Christian Mihr.

Haftstrafen

Am 25. April hatte ein Istanbuler Gericht unter dem Vorwurf der Terrorunterstützung insgesamt 14 Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" zu teils langen Haftstrafen verurteilt. Laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu erhielten unter anderem Chefredakteur Murat Sabuncu, Geschäftsführer Akin Atalay und Investigativjournalist Ahmet Sik Gefängnisstrafen zwischen sechs und acht Jahren. Laut "Reporter ohne Grenzen" bleiben die Verurteilten für die Dauer eines Berufungsverfahrens auf freiem Fuß.

Erst kürzlich war der deutsch-türkische Etha-Mitarbeiter Adil Demirci während einer Reise in der Türkei festgenommen worden. Demirci hat laut Etha neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft und arbeitete von Deutschland aus neben seiner Arbeit als Sozialarbeiter für die Agentur. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit der Organisation von Reporter ohne Grenzen steht die Türkei auf Platz 157 von 180 Staaten.



Comicbuchpreis für Geschichte über Entwicklungshelfer

Der Schriftsteller Thomas Pletzinger und der Zeichner Tim Dinter haben am 23. April in Stuttgart für ihren Comic "Blavand" den Comicbuchpreis der Berthold-Leibinger-Stiftung erhalten. Das Werk sei ein "Glücksfall für den deutschsprachigen Comic", sagte Juror Thomas von Steinaecker laut einer Mitteilung der Stiftung in seiner Laudatio. So hätten sich für "Blavand" ein renommierter Schriftsteller und ein Zeichner zusammengetan, was in der deutschsprachigen Szene immer noch ungewöhnlich sei.

Der Comic thematisiert die Krise eines Idealisten und Entwicklungshelfers, der auf einer nächtlichen Fahrt von Hamburg nach Dänemark sein Leben bilanziert. Für die Geschichte verwendete Autor Pletzinger die Recherchen und Berichte eines Mannes aus dem Umfeld einer Nichtregierungsorganisation, wie es hieß. Zeichner Dinter habe die Erzählung "in ruhige, kühle Bilder von großer Melancholie" gebettet.

Der mit 15.000 Euro dotierte Comicbuchpreis wird an deutschsprachige Arbeiten verliehen, die noch nicht veröffentlicht sind. Bisherige Preisträger waren Tina Brenneisen (2017), Uli Oesterle (2016) und Birgit Weyhe (2015).



Nach Skandal um Rapper: Musikpreis Echo wird abgeschafft

Aus für den Echo: Nach dem Streit über die Auszeichnung der Rapper Kollegah und Farid Bang stampft der Bundesverband Musikindustrie den Preis ein - und will mit neuem Titel und veränderten Regeln einen Neuanfang wagen.

Den Musikpreis Echo wird es nicht mehr geben: Die Marke sei durch den Eklat um die Auszeichnung der Rapper Kollegah und Farid Bang so stark beschädigt worden, dass ein vollständiger Neuanfang notwendig sei, erklärte der Bundesverband Musikindustrie am 25. April in Berlin. Der Vorstand des Branchenverbandes habe in einer außerordentlichen Sitzung am 24. April das Ende des Preises beschlossen. Künftig soll es eine neue Auszeichnung mit geänderten Regeln geben.

Der Echo sei viele Jahre ein "großartiger Preis" und zugleich "zentrales Branchenevent" gewesen. Es stehe außer Frage, dass Deutschland als drittgrößter Musikmarkt der Welt weiterhin "Musikpreise mit Leuchtturm-Charakter" brauche. Der Vorstand wolle jedoch keinesfalls, dass dieser Musikpreis als Plattform für Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie oder Gewaltverharmlosung wahrgenommen werde. Das "um den diesjährigen Echo herum Geschehene" könne zwar nicht mehr rückgängig gemacht werden, man werde aber dafür sorgen, dass sich ein solcher Fehler nicht wiederhole.

Neue Kriterien

Für den neuen Preis werden den Angaben zufolge die Kriterien von Nominierung und Preisvergabe vollständig verändert. Neben dem Echo für Popmusik werden auch die Auszeichnungen Echo Klassik und Echo Jazz neu konzipiert. Beim Nachfolger des Pop-Preises solle wie bei den beiden Ablegern, die von Anfang an reine Jury-Preise waren, die Jury stärker in den Vordergrund rücken. Beim Echo zählten neben den Stimmen von Fachjuroren auch der Verkaufserfolg. "Für eine Konkretisierung der Änderungen wird sich der Vorstand die erforderliche Zeit nehmen", hieß es.

Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, begrüßte die Entscheidung des Bundesverbandes. Eine solche Auszeichnung solle aufgrund von "Preiswürdigkeit", ästhetischer Qualität und Grundeinstellung der Künstler vergeben werden, aber nicht aufgrund von Verkaufszahlen mit ein "bisschen Jury-Brimborium" drumherum, sagte Claussen dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Bei der Echo-Gala waren Farid Bang und Kollegah trotz Antisemitismus-Vorwürfen und massiver Kritik bereits an ihrer Nominierung ausgezeichnet worden. Die beiden Rapper erhielten den Preis für ihr Album "Jung, Brutal, Gutaussehend 3" in der Kategorie Hip-Hop/Urban National. Darin finden sich Textzeilen wie "Mache wieder mal 'nen Holocaust, komm' an mit dem Molotow" oder "Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen". Der Ethikbeirat des Preises hatte sich mehrheitlich dagegen entschieden, Farid Bang und Kollegah auszuschließen. Nur die Vertreterin der katholischen Kirche in dem siebenköpfigen Gremium stimmte gegen die Nominierung.

Die Künstler waren bei der Gala am 12. April auch live aufgetreten. Der Bundesverband war anschließend unter massiven öffentlichen Druck geraten. Mehrere Echo-Preisträger wie Marius Müller-Westernhagen oder Daniel Barenboim hatten ihre Auszeichnungen zurückgegeben.

Kontroversen

Für den Echo nominiert wurden je Kategorie die Künstler oder Bands, die in den Deutschen Charts auf den fünf besten Rängen platziert waren. Lediglich Alben, die auf dem Index für jugendgefährdende Medien landeten, waren automatisch von der Nominierung ausgeschlossen, in Zweifelsfällen konnte der Ethikbeirat eingeschaltet werden. Charterfolg und die Stimmen von Fachjuroren wurden am Ende zusammengezählt und entschieden so über die Echo-Preisträger.

Der Echo wurde seit 1992 jährlich vergeben. Der Preis sorgte immer wieder für Kontroversen: 2013 wurde die Südtiroler Band "Frei.Wild" nach Protesten kurzfristig wieder von der Liste der Nominierten gestrichen, erhielt 2016 aber dennoch einen Echo. "Frei.Wild" wird von Kritikern vorgeworfen, rechtsextremistische Motive zu verbreiten. Auch dem sechsfachen Echo-Gewinner und Moderator der letztjährigen Gala, Xavier Naidoo, wurde vorgeworfen, antisemitische und verschwörungstheoretische Texte zu verbreiten.



Kein Strafverfahren wegen Satire mit gekreuzigtem Osterhasen

Die Staatsanwaltschaft Mainz wird nicht wegen eines ans Kreuz genagelten Plüsch-Osterhasen gegen die Macher der ZDF-"heute-show" ermitteln. Bei dem Satirebeitrag, gegen den mehrere Strafanzeigen erstattet worden waren, sei kein Anfangsverdacht einer Straftat erkennbar, teilte die Mainzer Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller am 23. April mit. Dass die Sendung von einigen gläubigen Christen als geschmacklos empfunden worden sei, reiche nicht aus, um einen Straftatbestand zu erfüllen.

Strafbar wäre die Satire der "heute-show" nur dann gewesen, wenn die Äußerungen den öffentlichen Frieden gestört hätten, erklärte Keller. Das wäre der Fall gewesen, wenn bei Zuschauern der Sendung beispielsweise Intoleranz gegenüber dem Christentum gefördert worden wäre oder Christen den Eindruck erhalten hätten, ihre religiösen Gefühle würden in Deutschland nicht mehr respektiert. Ein solcher "beschimpfender Charakter im strafrechtlichen Sinne" liege aber nicht vor. Die Äußerungen von "heute-show"-Moderator Oliver Welke seien "offenkundig abwegig" und "erkennbar ironisch" gewesen.

"Osterhase zentrale Figur"

"Der Beitrag verfolgt nicht die Absicht, die Inhalte eines religiösen Bekenntnisses zu beschimpfen oder verächtlich zu machen", heißt es in der Presseerklärung der Staatsanwaltschaft. Im Gegenteil sollte durch die Darstellungen deutlich gemacht werden, dass "die Kunstfigur des 'Osterhasen' gerade nicht zu den Glaubensinhalten des Christentums gehören dürfte".

Welke hatte in seiner Sendung vom 6. April die vermeintliche Affäre um Schokoladen-Hasen der Firma Lindt aufgegriffen, die wenige Tage zuvor im Internet hohe Wellen geschlagen hatte. Die Süßigkeiten waren auf Kassenbons als "Traditionshasen" gekennzeichnet worden, was unter anderem die frühere CDU-Politikerin Erika Steinbach und der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen als Angriff auf deutsche Traditionen und eine Unterwerfung unter den Islam interpretierten. Tatsächlich wird die Schoko-Figur bereits seit mehr als einem halben Jahrhundert produziert und deshalb seit über 20 Jahren unter der nun angefeindeten Bezeichnung verkauft.

In der Sendung spottete Welke, der Osterhase sei bekanntlich "die zentrale Figur der christlichen Mythologie". Dazu wurde ein Bild vom letzten Abendmahl eingeblendet, bei dem Jesus durch einen Hasen ersetzt war. Anschließend war ein Hase zu sehen, der an seinen langen Plüschohren ans Kreuz genagelt wurde und schließlich aus einem Osterei aufersteht.



Verleihung der Deutschen Filmpreise: "3 Tage in Quiberon" räumt ab

In zehn Kategorien war er für den Deutschen Filmpreis nominiert, am Ende gewann er in sieben: Der Film "3 Tage in Quiberon" von Emily Atef erzählt von dem letzten großen Interview, das die Schauspielerin Romy Schneider 1981 in dem nordfranzösischen Badeort Quiberon dem "Stern"-Journalisten Michael Jürgs gab. Es ist das Dokument einer Frau in einer Krise, einer Künstlerin, die sich von der Öffentlichkeit verfolgt fühlt, die ihr Leben von ihren Rollen getrennt wissen will. Atef hat für ihren eindringlichen Film den wichtigsten deutschen Filmpreis, die Lola in Gold, gewonnen und dazu noch den Preis für die beste Regie erhalten.

Birgit Minichmayr, die Romys beste Freundin Hilde verkörpert, wurde als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet, Robert Gwisdek in der Rolle von Michael Jürgs als bester Nebendarsteller. Romy-Darstellerin Marie Bäumer durfte sich über die Lola als beste Schauspielerin freuen. Weitere Lolas für diesen Film gingen an Kameramann Thomas W. Kiennast, der den Film stimmungsvoll in Schwarzweiß fotografierte, und an die Filmmusik (Christoph M. Kaiser, Julian Maas).

Bauarbeiter in Bulgarien

Die Lola in Silber für den besten Film gewann Fatih Akins "Aus dem Nichts", der zudem noch für das beste Drehbuch, das Akin zusammen mit Hark Bohm schrieb, ausgezeichnet wurde. Dem Regisseur, Schauspieler, Autor und Hochschullehrer Bohm sprach die Deutsche Filmakademie ihren Ehrenpreis zu. Die Lola in Bronze ging an "Western" von Valeska Grisebach, der von einem deutschen Bauarbeiterteam in Bulgarien handelt.

In der Hauptkategorie bester Film waren noch Lars Kraumes DDR-Geschichtslektion "Das schweigende Klassenzimmer", die beißende NS-Groteske "Der Hauptmann" von Robert Schwentke sowie Thomas Stubers "In den Gängen" nominiert - eine stattliche Auswahl in diesem Jahr. Der Hauptdarsteller des stillen Malocher-Films "In den Gängen", Franz Rogowski, durfte immerhin eine Lola als bester Darsteller mit nach Hause nehmen.

Beuys-Film geehrt

In der Kategorie bester Dokumentarfilm ging die Lola an "Beuys" von Andres Veiel, eine fast nur aus Archivaufnahmen bestehende Annäherung an den Künstler; als besten Kinderfilm wählten die Mitglieder der Akademie, die die Preise per Abstimmung ermitteln, "Amelie rennt".

In diesem Jahr hat zum ersten Mal der 26-jährige Schauspieler Edin Hasanovic die Gala moderiert, und das ziemlich furios, mit Witz und Tempo, Entertainerqualitäten und einer Tanzeinlage zu Beginn. Der Deutsche Filmpreis gibt gerade Akademiepräsidentin Iris Berben Gelegenheit zu politischen Statements, in diesem Jahr griff sie das Thema des sexuellen Missbrauchs in der Medienbranche auf, warnte aber auch vor dem erstarkenden Rechtspopulismus. Und Hasanovic, der als Kleinkind mit seiner Mutter von Bosnien nach Deutschland floh, steuerte das Gedankenspiel bei, wie sich der AfD-Politiker Björn Höcke wohl fühle, wenn er den Fernseher anschaltet und feststellen muss, dass ein Flüchtling die Filmpreisgala moderiert.



Frauenfilmfestival zeichnet spanische Regisseurin Carla Simón aus

Die spanische Filmregisseurin Carla Simón ist für ihr sommerliches Coming-of-Age-Drama "Estiu 1993" mit dem Preis des internationalen Frauenfilmfestivals Dortmund-Köln ausgezeichnet worden. Simón erhielt die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung am 29. April in Köln, wie die Veranstalter mitteilten. Die Preisverleihung markierte den Abschluss der 35. Ausgabe des Festivals, das im kommenden Jahr in Dortmund stattfinden wird.

Simón habe mit ihrem leichten, sommerlichen und tief berührenden Erstlingswerk überzeugt, das in Deutschland unter dem Titel "Fridas Sommer" in die Kinos kommen wird. "Der Hauptpreis für das Debütwerk einer Regisseurin geht an einen Film, der uns durch die heiklen Phasen der Trauer eines Kindes führt. Der Dialog der Liebe in all seiner Grausamkeit, Ablehnung und Versöhnung ist so wahrhaftig und feinfühlig über ein Thema, das im Kino selten zu sehen ist", urteilte die Jury.

"Estiu 1993" erzählt den Sommer des Jahres 1993, als die sechsjährige Frida nach dem Tod ihrer Mutter zu ihrem Onkel aufs Land zieht. Obgleich sie von dessen Familie liebevoll aufgenommen wird, gewöhnt sich Frida nur zögerlich an ihr neues Zuhause. Momente der Ausgelassenheit stehen neben Distanziertheit in einer Geschichte, die auch die Folgen einer unberechenbaren Krankheit verhandelt.

Eine lobende Erwähnung vergibt die Jury außerdem an die lateinamerikanische Koproduktion "Medea" von Alexandra Latishev Salazar. Die Geschichte einer jungen Frau, die konsequent ihre Schwangerschaft unterdrückt, sei beeindruckend, urteilte die Jury. Sie würdigte den Film für seinen mutigen Minimalismus, der die Einsamkeit einer jungen Frau in einer extremen Lebenssituation zeigt.

Schon im Vorfeld waren die Preisträgerinnen des nationalen Wettbewerbs für Nachwuchs-Bildgestalterinnen ausgelobt worden. Paola Calvo erhielt den Preis in der Sparte Dokumentarfilm für "Violently Happy". Marie Zahir wurde in der Sparte Spielfilm für "Wie ich mich verlor" von Sarah Weber ausgezeichnet.



Jugendliche erinnern mit Film an Solinger Brandanschlag

Mit einem 15-minütigen Dokumentarfilm erinnert das Medienprojekt Wuppertal an den Solinger Brandanschlag vor 25 Jahren, bei dem fünf Mitglieder der türkisch-stämmigen Familie Genç ums Leben kamen. Der von Solinger Jugendlichen gedrehte Film "29. Mai 1993" verbinde das Erinnern an damals mit der Verantwortung für heute, teilte das Medienprojekt am 26. April in Wuppertal mit. Im Mittelpunkt des auf YouTube veröffentlichten Videos stünden ein Interview mit der damals überlebenden Mutter Mevlüde Genç sowie die Gedanken der Jugendlichen zu dem Thema.

Das Medienprojekt Wuppertal ermöglicht Jugendlichen und jungen Erwachsenen seit 1992 die Produktion und Vorführung von Filmen. Das Projekt ist nach eigenen Angaben mittlerweile die größte Jugendvideoproduktion in Deutschland. Vorgeführt werden die Filme unter anderem in Kinos, Schulen oder Jugendeinrichtungen.




Entwicklung

Hilfe für Fortgeschrittene: Bezahlen mit dem Auge


Sameer Abu Ahmed, Direktor des Supermarkts "Tazweed" im Flüchtlingslager Zaatari, und eine Kassiererin mit einem Irisscanner.
epd-bild/Marc Engelhardt
Iris-Scanner im Supermarkt, freies Grundeinkommen oder neue Einkommensquellen aus einem Schiffscontainer: Mit solchen Ideen will das Welternährungsprogramm die Flüchtlingshilfe in Syriens Nachbarländern langfristig sichern, auch bei den Gebern.

Ismail A. hat kein Portemonnaie. Und selbst wenn er eines hätte, es wäre leer: Der syrische Flüchtling lebt in einem jordanischen Camp, Arbeit gibt es nicht. Trotzdem geht der zweifache Familienvater im Supermarkt einkaufen. "Ich suche vor allem nach Grundnahrungsmitteln, Reis, Zucker und Milchpulver für das Baby", sagt er. Mit einem Einkaufswagen rollt er durch die Reihen, vergleicht Preise, rechnet nach. Dann geht der großgewachsene Mann zur Kasse, wo er sich zur Kassiererin hinunterbeugt. Geübt hält sie ein kleines Gerät vor sein Gesicht, es piept und rattert - das war's schon.

"Als ich zum ersten Mal an der Kasse meine Iris scannen sollte, bin ich schon ein bisschen erschrocken", sagt er. Früher zeigte er an der Kasse eine Karte vor, die das Welternährungsprogramm (WFP) ihm ausgestellt hatte. "Einmal habe ich sie verloren, und es hat Wochen gedauert, bis wir eine neue hatten", erinnert er sich. Und schmunzelt. "Mit dem Auge kann das nicht passieren." Das weiß auch Mageed Yahia, Landesdirektor des WFP. "Der Iris-Scan bietet uns absolute Sicherheit, dass nur der Hilfsbedürftige seine Hilfe bekommt - niemand sonst."

Empfehlung von Unternehmensberatern

Die Iris-Scanner an den Supermarktkassen sind ein Beispiel dafür, wie sich die Flüchtlingshilfe in Syriens Nachbarländern verändert hat. Gut 5,5 Millionen Syrer harren in der Türkei, im Libanon, in Jordanien, dem Irak und Ägypten aus. Viele sind seit Jahren dort. Wie aber steht man Millionen Menschen über einen langen Zeitraum bei, ohne die Flüchtlinge, die gastgebende Bevölkerung oder die Geber zu verlieren? Das ist die Herausforderung, die das WFP und andere Organisationen mit moderner Technologie und ungewöhnlichen Ideen bewältigen wollen.

Gut 60.000 syrische Flüchtlinge dürfen inzwischen sogar wählen, ob sie ihre Hilfe in bar erhalten wollen. "Gut die Hälfte macht das so", sagt WFP-Landesdirektor Yahia. Der Feldversuch folgt einer Empfehlung von Unternehmensberatern, die herausfanden, dass Cash die Kaufkraft der Flüchtlinge erhöht. "Die Empfänger suchen sich den billigsten Händler, feilschen, das drückt das Preisniveau - und jeder Dollar hält länger." Das muss er auch, denn jeder syrische Flüchtling in Jordanien muss mit umgerechnet 28 US-Dollar im Monat auskommen. Vorausgesetzt, die Geber zahlen.

2015 war das nicht so. Das WFP musste seine Zahlungen einstellen, auch deshalb flohen Hunderttausende über das Mittelmeer nach Europa. Danach floss zunächst Geld, doch seit gut einem Jahr tröpfeln die Hilfen wieder. Von der großen Geberkonferenz am 24. und 25. April in Brüssel hängt die unmittelbare Zukunft der syrischen Flüchtlinge ab. In Jordanien reichen die Rücklagen noch bis Ende Mai. Auch die Dollars auf den WFP-Konten müssen deshalb möglichst lange halten, im Interesse aller. Jede Innovation zielt deshalb auch darauf, Geld einzusparen.

Umgebauter Schiffscontainer

Doch das allein reicht nicht. Jordanien ist ein Wüstenstaat, Flüchtlinge und Einwohner konkurrieren um die knappen Ressourcen. Im armen Nordosten des Landes, wo Nomaden Schafe und Ziegen durch die karge Halbwüste treiben, wird das besonders deutlich. Ein umgebauter Schiffscontainer soll dazu beitragen, dass aus dem Gegen- ein Miteinander wird. Der junge Projektmanager Moath Jafar zeigt stolz, wie es im Inneren des Containers aussieht. "Mit Strom aus Sonnenkollektoren pumpen wir Wasser in eine Wand von Schubladen, in denen Samen in einer Nährlösung wachsen."

Nur 20 Liter Wasser am Tag reichen aus, um die aus lokal verfügbarem Material gebaute Hydrokulturfarm zu betreiben und wöchentlich eine Tonne Gerste zu ernten. Die Idee hatte ein Flüchtling im Süden Algeriens, jetzt steht die Anlage auf einem Versuchsfeld unweit des zweitgrößten Flüchtlingslagers des Landes in Al-Asrak. Betrieben wird die Anlage von einem lokalen Bürgerbündnis, gefördert vom WFP. Das Ziel: Die Gerste aus der Hydrokultur soll einen Teil des Viehfutters ersetzen, das derzeit auf Lastwagen in die dürre Gegend gebracht werden muss.

Züchter Agil Al-Sajadi, ein alter, gebückt gehender Mann, freut sich schon: "Futter ist sehr teuer, und wenn es hier produziert und dadurch billiger wird, kann ich meine Herde vergrößern." Er lacht. Auch das WFP ist mit dem Projekt zufrieden, an dem Flüchtlinge zu gleichen Teilen beteiligt werden sollen. Dass aus Konkurrenten Kooperationspartner werden, hält auf lange Sicht den Frieden. Denn an ein schnelles Ende des Syrienkonflikts glaubt derzeit niemand - gut, wenn man sich aneinander gewöhnt.

Marc Engelhardt (epd)


Syrien-Geberkonferenz sammelt 4,4 Milliarden Dollar für 2018


Kinder in Ost-Ghuta bei Damaskus (Bild vom Februar 2018)
epd-bild/Mohammad Alissa

Bei der Brüsseler Geberkonferenz für die Opfer des Syrien-Konfliktes sind 4,4 Milliarden US-Dollar (rund 3,6 Milliarden Euro) für das laufende Jahr zusammengekommen - deutlich weniger als von der EU erhofft. Das Ergebnis gab EU-Hilfskommissar Christos Stylianides zum Abschluss des von EU und Vereinten Nationen veranstalteten Treffens am 25. April in Brüssel bekannt. Für "nächstes Jahr und darüber hinaus" gebe es Zusagen von 3,4 Milliarden US-Dollar (rund 2,8 Milliarden Euro), sagte Stylianides.

Über 85 Delegationen mit Vertretern von Staaten wie Deutschland, Frankreich, Kanada, Japan, Russland und Iran sowie von internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaft hatten an dem zweitägigen Treffen teilgenommen. Die EU hatte auf Zusagen in derselben Höhe wie im vergangenen Jahr gehofft. Bei der ersten Brüsseler Syrien-Konferenz im April 2017 hatte die internationale Gemeinschaft rund sechs Milliarden US-Dollar (damals 5,6 Milliarden Euro) für 2017 sowie 3,7 Milliarden US-Dollar (damals 3,5 Milliarden Euro) für 2018 bis 2020 zugesichert.

Löwenanteil aus Deutschland

Deutschland trägt einen Löwenanteil an den neuen Zusagen. Die Bundesregierung werde für 2018 und die Folgejahre eine Milliarde Euro zusätzlicher Mittel zur Verfügung stellen, kündigte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) in Brüssel an. Zusammen mit Zusagen aus den Vorjahren belaufe sich die Summe auf 1,7 Milliarden Euro. "Allein in Syrien sind nach wie vor mehr als 13 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Millionen, die in die Türkei, nach Jordanien und Libanon geflohen sind, brauchen weiter Unterstützung und Zukunftsperspektiven in ihrer Heimatregion", erklärte Maas.

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini versprach in Brüssel zusätzliche 560 Millionen Euro aus dem EU-Budget für 2019 und bekräftigte eine frühere Zusage derselben Höhe für das laufende Jahr. UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock lobte: "Ich möchte besonders der EU, Deutschland und dem Vereinigten Königreich danken, die heute außergewöhnlich große Zusagen gemacht haben."

Dass nicht mehr Geld zusammengekommen sei, erklärte der UN-Nothilfekoordinator damit, dass eine Reihe wichtiger Geber ihre internen Haushaltsverhandlungen noch nicht abgeschlossen hätten. Darunter seien die USA, die in der Vergangenheit für Syrien und die Region pro Jahr mehr als eine Milliarde Dollar (rund 820 Millionen Euro) gespendet hätten. "Was wir heute hatten, war ein guter Start", resümierte Lowcock kurz vor Ende der Konferenz.

Kritik von NGOs

Ein Bündnis aus neun Nichtregierungsorganisationen übte Kritik. "Diese Konferenz ging nicht einmal annähernd weit genug, um den Millionen bedürftigen Syrern adäquate Hilfe bereitzustellen", hieß es in einer unter anderen von Care, World Vision und Save the Children unterzeichneten Erklärung.

Die Konferenz sollte nicht nur dem Sammeln von Hilfsgeldern dienen, sondern auch einen Anstoß zur Wiederbelebung des politischen Prozesses für eine Lösung des Konflikts geben. Außenminister Maas sagte nach dem Treffen, es gebe "eine Vielzahl von Bemühungen, sehr ernsthaft, sehr konstruktiv, den politischen Prozess wiederaufzusetzen".

Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer erklärte hingegen, die EU agiere "in den entscheidenden Fragen einer Syrien-Strategie nach wie vor völlig hilf- und planlos". Da der syrische Diktator Baschar al-Assad den Bürgerkrieg gewinne, "gibt es einen Weg nach vorne nur mit diesem Mörder seines eigenen Volkes", erklärte der Vorsitzende der europäischen Grünen-Partei.



Müller: "Grüner Knopf" für fair produzierte Kleidung ab 2019


Gerd Müller
epd-bild/Meike Boeschemeyer
Die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in Asien zu verbessern, ist ein mühsames Unterfangen. Entwicklungsminister Müller holt nun seinen Vorschlag eines Siegels für faire Produktion wieder aus der Schublade. Und erntet prompt Kritik.

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat für das kommende Jahr die Einführung eines staatlichen Siegels für fair produzierte Kleidung angekündigt. Der "Grüne Knopf" werde das erste staatliche Siegel dieser Art sein, sagte Müller aus Anlass des fünften Jahrestags des Einsturzes der Rana-Plaza-Textilfabrik in Bangladesch der "Frankfurter Rundschau" (24. April). Die Initiative stieß jedoch auf Kritik, sowohl bei der deutschen Textilbranche als auch bei Aktivisten.

"An unserer Haltung hat sich nichts geändert", sagte eine Sprecherin des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Auch vier Jahre nach Ankündigung eines Textilsiegels sind die bisher bekannten Planungen des Ministers vage und absolut realitätsfern", fügte sie mit Blick auf frühere Ankündigungen Müllers hinzu. Der Verband repräsentiert Firmen, die in Deutschland und im Ausland produzieren, aber nicht die großen Handelsketten.

Zukunftsmusik

Auch das Südwind-Institut in Bonn reagierte mit Skepsis. "Ein 'Grüner Knopf', der anfangs nur Teile der textilen Kette umfassen würde und auf privaten Standards beruhen würde, ist nicht das, was wir uns vom Minister erhofft haben", sagte die Südwind-Textilexpertin Sabine Ferenschild. Ein Siegel für die gesamte Lieferkette dagegen "scheint zum aktuellen Zeitpunkt Zukunftsmusik zu sein". Wenn das Siegel nur für die Mitgliedschaft im Textilbündnis stehe, sei es auf keinen Fall akzeptabel, weil das Bündnis viel zu wenig Wirkung auf Arbeits- und Sozialstandards zeige.

Müller versicherte hingegen: "Wer Kleidung mit dem 'Grünen Knopf' kauft, kann sich zu 100 Prozent sicher sein, dass sie fair und nachhaltig produziert wurde." Das garantiere sein Ministerium. Nur Hersteller, die dem deutschen Textilbündnis angehören und sich dessen Regeln unterwerfen, dürften das Siegel nutzen. "Faire Kleidung wird den Bio-Boom noch überholen, da bin ich ganz sicher", zeigte er sich überzeugt: "Fair ist schick." Die Hersteller könnten es sich daher gar nicht leisten, Produkte ohne "Grünen Knopf" anzubieten.

Müller kündigte zudem an, sich auf EU-Ebene für eine gesetzliche Regelung einzusetzen, um Unternehmen auf faire Produktionsbedingungen in der gesamten Lieferkette zu verpflichten. "Allerdings dauert das Jahre und wegen der unterschiedlichsten Interessen in Brüssel werden wir eine Verordnung bekommen, die nicht so gut ist wie unser Bündnis", sagte er. Daher sei es gut gewesen, erst auf Freiwilligkeit zu setzen. Auch national schloss er gesetzliche Regeln nicht aus.

"Luftschlösser"

Der Grünen-Politiker Uwe Kekeritz warf Müller indes vor, dass das 2014 gegründete Textilbündnis keine messbaren Erfolge bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen gebracht habe. Statt mit einem "Grünen Knopf" weitere Luftschlösser zu bauen, sollte der Minister endlich verpflichtende Regeln erarbeiten, drängte der entwicklungspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion.

Beim Einsturz des Rana-Plaza-Hochhauses in Bangladesch am 24. April 2013 waren mehr als 1.100 Beschäftigte von Textilfirmen getötet worden. Mehr als 2.400 wurden verletzt. Die Produktion war trotz bekannter Baumängel fortgesetzt worden. In Reaktion auf die Katastrophe rief Müller ein Jahr später das deutsche Textilbündnis ins Leben, an dem Unternehmen, Gewerkschaften und Entwicklungsorganisationen mitwirken. Ziel sind freiwillige Selbstverpflichtungen auf soziale Standards. Derzeit sind dort Modefirmen Mitglieder mit insgesamt etwa 50 Prozent Marktanteil.



"Spirale in die Hölle"


Die Kakao-Kooperative Kallari in Ecuador produziert selbst Edelschokolade
epd-bild/Regine Reibling
Sklaverei-ähnliche Verhältnisse auf der einen Seite, Genuss auf der anderen. Wer die Lieferkette der Schokolade zurückverfolgt, landet oft in Westafrika, wo die Kakaobauern in bitterer Armut leben. Internationale Akteure versprechen, das zu ändern.

Esapa Patrick unterscheidet sich von den anderen Besuchern der Tagung im Berliner Nobelhotel Maritim. Der Kameruner mischt sich unter die vielen Anzugträger im traditionellen langen Gewand. Auf der Weltkakaokonferenz repräsentiert er die Kakaobauern einer Kooperative in seinem Land. "Die Bauern werden immer ärmer, die Industrie immer reicher", fasst er die Lage zusammen. Mit seinem Verband der südwestlichen Farmer kämpft er für bessere Löhne. Dabei hat er mit Exporteuren zu kämpfen, die direkt zu den Plantagen gehen. "Sie übergehen die Kooperativen und kaufen die Kakaobohnen direkt vom Feld", ärgert er sich. Die Kameruner Regierung gehe dagegen nicht vor. "Der Kakaoanbau ist bei uns noch nicht einmal als Beruf anerkannt."

Um die Armut der Kakaobauern zu bekämpfen, sind internationale Akteure aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu der viertägigen Veranstaltung zusammengekommen. Es geht darum, den Kakaosektor nachhaltiger zu gestalten, was bedeutet, die Bauern sollen an dem gewinnbringenden Handel mit Kakao und Schokolade mitverdienen können. Besonders dramatisch ist die Situation in Westafrika, wo der Großteil des weltweit gehandelten Kakaos herkommt. Kamerun ist dabei ein kleinerer Akteur, das wichtigste Anbauland ist die Elfenbeinküste.

Überproduktion

Bislang verdient dort kaum ein Bauer so viel, dass es existenzsichernd ist. Dennoch gibt es gerade dort für viele Menschen kaum andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen. So werden Wälder illegal gerodet und neue Plantagen errichtet. Das hat dramatische Folgen: Ende 2016 führte dies zu einer Überproduktion, die für einen weiteren Preissturz sorgte. Bis heute haben sich die Preise davon nicht maßgeblich erholt. Ein Teufelskreis.

"Da läuft etwas grundlegend schief", fasst der Geschäftsführer der Internationalen Kakao-Organisation (ICCO), Jean-Marc Anga, zusammen. Er projiziert ein Diagramm an die Leinwand im großen Konferenzsaal, die die Werteverteilung in der internationalen Kakaowirtschaft deutlich machen soll. Von den Einnahmen von rund 100 Milliarden US-Dollar seien 2017 nur sechs Prozent an die Landwirte gegangen. 15 Prozent wiederum hätten die Verbraucherstaaten, also beispielsweise die USA oder Deutschland, an Steuern aus dem Schokoladensektor eingenommen. Der Rest der Wertschöpfung sei an alle anderen Beteiligten gegangen, an Händler oder weiterverarbeitende Unternehmen. "Einige nutzen ihre Machtposition sehr effizient aus, während andere da ihre Schwierigkeiten haben", sagt Anga.

Einige Minister der westafrikanischen Staaten, die zu den Hauptanbauländern gehören, äußern sich enttäuscht über die bisherige Nachhaltigkeitspolitik. Internationale Standards wie Rückverfolgbarkeit und Transparenz in der Lieferkette, seien nicht erfolgreich gewesen, sagen sie und setzen daher vor allem darauf, in der Region zusammenzuarbeiten. Ihr Ziel ist eine Art Opec der Kakao-Anbauländer, um mehr Gewicht gegenüber den internationalen Großkonzernen zu bekommen. Es gehe darum die Entwicklung zu überwinden, die den Bauern als "Spirale in die Hölle" erscheine, sagt Kameruns Handelsminister Luc Magloire Mbarga Atangana.

Zertifikate

Mit Zertifikaten für fairen Handel versuchen internationale Organisationen bislang, die Situation der Bauern zu verbessern. Der Kameruner Esapa Patrick hält das im Prinzip für sinnvoll, beklagt aber, dass die Bauern zunächst viel Geld in die Zertifizierung ihrer Produkte aufwenden müssten. Die Nachfrage nach zertifizierten Kakaobohnen, sei aber gering. So werde ein Teil der teuer zertifizierten Ware am Ende doch zum geringeren Weltmarktpreis verkauft.

Zum Abschluss der Weltkakaokonferenz, an der etwa 1.500 Teilnehmer aus mehr als 60 Ländern teilnehmen, sollte eine Berliner Erklärung verabschiedet werden mit Leitlinien für die Zukunft des Sektors. Farmer Esapa Patrick bleibt trotz der bisher negativen Erfahrungen optimistisch: "Veränderung ist möglich, aber nur, wenn wir alle ehrlich sind." Er fügt hinzu: "Sind wir das nicht, verschwenden wir hier unsere Zeit."

Von Mey Dudin (epd)


Misereor sieht Rohstoffgewinnung für Solar- und Windenergie kritisch

Das katholische Hilfswerk Misereor macht auf kritische Umstände bei der Gewinnung metallischer Rohstoffe für Wind- und Sonnenenergie in Lateinamerika, Afrika und Asien aufmerksam. "Damit erneuerbare Energien auch wirklich 'sauberen' Strom liefern, muss auch die Rohstoffbeschaffung frei von Menschenrechtsverletzungen sein", forderte Misereor-Chef Pirmin Spiegel am 27. April in Aachen. Er appellierte an Politik und Unternehmen, dafür Sorge zu tragen. Eine neue Studie zeige, dass es in dieser Hinsicht bei den Herstellern von Windkraft- und Photovoltaikanlagen, Zuliefererbetrieben und Stromanbietern noch Nachholbedarf gebe.

Für die Herstellung von Windrädern und Photovoltaikanlagen werden den Angaben zufolge hohe Mengen an Eisenerz aus Brasilien, Kupfer aus Peru und Chile, Silber aus Mexiko und Argentinien, Bauxit aus Guinea sowie seltene Erden aus China benötigt. Die Misereor-Studie zeige, dass es auch beim Abbau dieser Rohstoffe häufig zu schweren Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden komme. "Umweltschützer und Menschenrechtsverteidiger werden oft kriminalisiert, verfolgt und manchmal ermordet", erklärte Spiegel.



"Brot für die Welt"-Vorstand Warning wechselt zu Ministerium

Das "Brot für die Welt"-Vorstandsmitglied Claudia Warning wechselt ins Entwicklungsministerium. Die 55-Jährige promovierte Geographin werde am 1. Mai eine Abteilungsleitung im Ministerium übernehmen, hieß es am 26. April aus dem Entwicklungsressort. Weitere Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt.

Warning ist seit 2012 Mitglied im Vorstand des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung in Berlin, zu dem "Brot für die Welt" gehört. Als Leiterin des Bereichs Internationale Programme ist sie für rund 2.000 Entwicklungsprojekte in etwa 90 Ländern zuständig. Sie verantwortet auch die Inlandsförderung, zu der das Stipendienprogramm gehört.

Warning war zuvor im Vorstand des Evangelischen Entwicklungsdienstes, der mit dem Diakonischen Werk fusionierte. 2012 wurde sie zur Honorarprofessorin an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg berufen.




Ausland

Atempause für Tausende Flüchtlinge in Israel


Afrikanische Asylbewerber warten vor der Migrantenbehörde in Bnei Berak bei Tel Aviv.
epd-bild/Debbie Hill
Zwischen Härte und Solidarität: Die Regierung Netanjahu sucht weiter nach Aufnahmeländern für rund 40.000 Afrikaner. Sie sollen nicht auf Dauer in Israel bleiben dürfen. Die Bevölkerung ist gespalten.

Tausende afrikanische Flüchtlinge in Israel können aufatmen. Sie müssen vorerst keine Zwangsverschickung nach Uganda oder Ruanda fürchten. Die Regierung beugt sich einem Urteil des Obersten Gerichts, wonach eine Ausweisung nur dann möglich ist, wenn eine geregelte Aufnahme in einem Drittland garantiert ist. Die geplanten Abkommen mit Uganda und Ruanda waren aber geplatzt. Doch es gibt auch eine schlechte Nachricht für die Flüchtlinge: Die Regierung will das vor wenigen Wochen geschlossene Haftlager Holot wieder öffnen.

Rund 40.000 Flüchtlinge, zumeist aus dem Sudan und Eritrea, leben heute in Israel. Für einen Staat, der innerhalb kürzester Zeit eine Million russische Immigranten aufgenommen hat, ist das eine relativ kleine Zahl. Dennoch wollen die national-religiösen und die ultra-orthodoxen Koalitionspartner von Regierungschef Benjamin Netanjahu einem unbefristeten Aufenthalt der Schutzsuchenden unter keinen Umständen zustimmen, da sie eine Gefährdung "des jüdischen Charakters Israels" befürchten.

Zickzackkurs

Seit Monaten verfolgt Netanjahu, der von "Arbeits-Infiltranten" spricht, einen zermürbenden Zickzackkurs. Zunächst hieß es, die Hilfesuchenden sollten zwischen "freiwilliger" Ausreise oder Gefängnis wählen. Dann verkündete Netanjahu Anfang April überraschend, Israel sei mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zu der Einigung gekommen, dass innerhalb von fünf Jahren "16.250 von westlichen Staaten, wie Kanada und Deutschland" aufgenommen würden. Und der gleichen Anzahl von Flüchtlingen werde Aufenthalt und Arbeit in Israel gestattet. Auch daraus wurde nichts.

Netanjahu kehrte zum ursprünglichen Plan der beschleunigten Ausweisung zurück. Das Prozedere zielte zunächst auf alleinstehende Männer, die mit 3.500 US-Dollar Prämie gelockt werden sollten, ein One-Way-Ticket in die Ungewissheit zu akzeptieren. Problematisch für den Plan war, dass Ruanda und Uganda die Freiwilligkeit der Flüchtlinge voraussetzten. Diese Lücke machten sich mehrere Menschenrechtsorganisationen zu nutze, um vor den Obersten Gerichtshof zu ziehen.

Im Ergebnis musste die Regierung den Plan aufgeben und die letzten 200 Häftlinge aus dem Flüchtlingsgefängnis Saharonim freilassen. Das Haftlager Holot war bereits im März geschlossen worden. Noch bis Sonntag rang eine israelische Sonderdelegation um die Zustimmung der Regierungen in Ruanda und Uganda - ohne Erfolg.

Haftlager

Regierungschef Netanjahu und Innenminister Arie Deri, Chef der orthodoxen Partei Schass, kündigten nun am 24. April an, das Haftlager Holot zu reaktivieren, das Platz für bis zu 4.000 Männer hat. Zugleich soll eine Gesetzreform vorangetrieben werden, mit der die Regierung den Obersten Gerichtshof umgehen könnte.

Die Debatte über die Flüchtlinge spaltet die 8,5 Millionen Israelis. Während vor allem der national-religiöse Sektor Härte zeigt, gibt es im weltlich-liberalen Lager große Solidarität. Rund 25.000 Demonstranten zogen in Tel Aviv auf die Straße und forderten die Regierung zur Aufnahme der Flüchtlinge auf.

Susanne Knaul (epd)


Held auf zwei Rädern

Der diesjährige Giro d'Italia ehrt mit dem Start in Jerusalem einen seiner legendären Gewinner: Radrennfahrer Gino Bartali. Während des Zweiten Weltkriegs versteckte er im Fahrradrahmen Papiere, die Hunderten Juden das Leben retteten.

Er war ein stiller Held. Gino Bartali (1914-2000) hat nie viel über seinen Einsatz für verfolgte Juden gesprochen. "Fahrradfahren war mein Beruf, und ich musste ihn machen", sagte die italienische Radsportlegende. "Ich habe ihn damals denen zur Verfügung gestellt, die es brauchten."

Was er meinte: Während der deutschen Besetzung Italiens rettete Bartali Hunderte Juden vor der Deportation, indem er auf angeblichen Trainingstouren gefälschte Papiere an Kontrollposten vorbeischmuggelte. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem erklärte ihn zu einem "Gerechten unter den Völkern".

Nun startet ihm zu Ehren das wichtigste italienische Radrennen, der Giro d'Italia, am 4. Mai in Jerusalem - erstmals außerhalb von Europa. In Zeiten, in denen Dopingskandale den Radsport in Verruf gebracht haben, wollen die Organisatoren des Rennens mit Hilfe des großen Namens wohl auch an die alte Tradition anknüpfen, als sportliche Höchstleistungen mit Heldentum verbunden waren. Gino Bartali gewann drei Mal den Giro d'Italia und zwei Mal die Tour de France, das erste Mal 1938.

Dann unterbrach der Zweite Weltkrieg seine Sportlerkarriere. Als Mechaniker verdiente der fromme Katholik in einer Fahrradwerkstatt nahe Florenz notdürftig seinen Unterhalt, als sich Erzbischof Elia Angelo Dalla Costa bei ihm meldete.

Als Training getarnt

Gemeinsam mit dem Oberrabbiner von Florenz, Nathan Cassuto, hatte Dalla Costa 1943 im deutsch besetzten Italien eine Untergrundorganisation gegründet, die Juden mit Hilfe von gefälschten Papieren vor der Deportation bewahrte. Und dafür wurde Bartalis Hilfe gebraucht: Der Erzbischof bat ihn, gefälschte Dokumente für Florentiner Juden aus einer Druckerei in Assisi in die Toskana zu schmuggeln.

Und Bartali fuhr: Rund 180 Kilometer von Florenz aus über die Hügel der Toskana in das hoch oben im malerischen Grün Umbriens liegende Assisi. Dort holte er Ausreisepapiere und fuhr wieder zurück - am selben Tag. Das Ganze war getarnt als Trainingstouren. Die Papiere versteckte Bartali im Fahrradrahmen, unter dem Sattel oder im Lenkrad. So verhalf er rund 800 Juden zur Ausreise.

Auf einer Fahrt nach Assisi wurde er angehalten und festgenommen. Doch einer der Soldaten erkannte den berühmten Radrennfahrer. Er wurde umgehend wieder freigelassen - und fand sein Fahrrad unberührt.

Seinen Kindern verbot Bartali später, über seine Rolle im Untergrund zu sprechen. "Wenn du darüber redest, nutzt du das Unglück anderer für dich aus", warnte er seinen Sohn Andrea. Er wolle wegen seiner sportlichen Leistungen in Erinnerung bleiben. Wahre Helden seien andere. "Ich bin nur ein Radfahrer."

Nach dem Krieg gewann er 1946 den Giro d'Italia und 1948 ein zweites Mal die Tour de France. Und machte sich darüber hinaus durch seine Fairness einen Namen. Das berühmteste italienische Foto aus dem Radsport zeigt, wie Bartali bei einem Rennen seinem ewigen Rivalen Fausto Coppi eine Wasserflasche reicht - ein Symbol für Solidarität, die die Grenzen der Konkurrenz sprengt.

Der Glanz der sportlichen Leistungen und menschlichen Größe verhalf dem Radsport in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Bedeutung, die auf politische und gesellschaftliche Konflikte Einfluss nahm. Auch daran möchte der Giro mit der Israel-Etappe als Zeichen für Frieden und Aussöhnung in einer Zeit wachsender Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern anknüpfen.

Beruhigender Tour-Sieg

Beim ersten Giro d'Italia nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Teilnehmer des Rennens noch mit Steinen beworfen, als sie auf dem Weg in das damals von Italien und Jugoslawien beanspruchte Triest waren. Unter dem Schutz von US-Soldaten fuhren daraufhin einige dennoch bis in die Hafenstadt. Für die einen vermied das Sportereignis somit eine gewaltsame Eskalation der Spannungen zwischen Italienern und Slowenen in Triest. Für andere bekräftigte es Italiens Ansprüche auf die Stadt, die bis 1954 als freies Territorium unter internationalem Schutz weder zu Italien noch zu Jugoslawien gehörte.

Und als Italien nach einem Attentat auf den Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, Palmiro Togliatti, im Juli 1948 am Rand eines Bürgerkriegs stand, gewann Bartali überraschend die Tour de France. Togliatti rief seine Anhänger zur Mäßigung auf - aber der Sieg Bartalis in Frankreich, so erzählt man sich in Italien, habe damals wesentlich zur Beruhigung der explosiven politischen Lage beigetragen.

Bettina Gabbe (epd)


Muezzins in Tunesien lernen singen


Muezzins in Tunesien lernen singen
epd-bild/Sarah Mersch
Die meisten hatten noch nie mit Musik zu tun. Aber damit die Lobpreisung Gottes bei den Gläubigen wirklich ankommt, nehmen Muezzins in Tunis Gesangsstunden im Konservatorium.

"Allah Akbar" (Gott ist groß) schallt es vielstimmig über den Innenhof des tunesischen Musik-Instituts Rachidia in der Altstadt von Tunis. Doch der Gebetsruf bricht mittendrin ab. "Hier, bei der letzten Silbe, da müsst ihr eine Stufe runtergehen", korrigiert Fethi Zghonda die Männer, die vor ihm in einem kleinen Unterrichtsraum sitzen. Ein gutes Dutzend Muezzins ist an diesem Vormittag zur Fortbildung gekommen. Bei dem 69-jährigen Musikwissenschaftler und Dirigenten Zghonda lernen sie, den Stil ihres Gebetsrufs zu verbessern.

Die Idee, den Muezzins Gesangsunterricht zu geben, kam Hedi Mouhli, dem Leiter des Instituts Rachidia, als er zum Gebet in die Moschee um die Ecke ging. "Deren Muezzin hat eine schöne Stimme, singt in tunesischem Stil und fehlerfrei." Doch das sei leider längst nicht bei allen der Fall. Der tunesische Religionsminister Ahmed Adhoum habe daher die Idee der Gesangsstunden begeistert aufgegriffen. Seit Ende März läuft die erste Ausbildungsrunde in Tunis. Weitere sollen in anderen Landesteilen folgen.

"Ich habe früher einfach spontan zum Gebet gerufen, wie es mir gefallen hat", erzählt Abdelmounem Othmani, Muezzin einer Moschee in Denden, einem Vorort im Westen der Hauptstadt Tunis. Der Gebetsruf sei zwar verständlich gewesen, aber wahrscheinlich nicht besonders schön anzuhören, mutmaßt er heute.

Weit über 90 Prozent der elf Millionen Tunesier sind sunnitische Muslime. Die überwiegende Mehrheit von ihnen gehört der malikitischen Rechtsschule an, die vor allem in Nord- und Westafrika verbreitet ist und als relativ liberal und tolerant gilt.

Nebenjob

Die Gebetsrufer in den mehr als 5.000 Moscheen Tunesiens sind in der Regel Laien, die nur als Nebenjob gegen eine kleine Aufwandsentschädigung die Gläubigen zu den fünf täglichen Gebeten rufen. Eine Gesangsausbildung hat keiner von ihnen. "Der Gebetsruf transportiert eine Botschaft der Einheit Gottes, eine Lobpreisung des Propheten und einen Aufruf zur Arbeit. Aber wenn man morgens um vier eine schiefe Stimme hört, dann kommt diese Botschaft nicht an", sagt Mouhli.

Während der Text des muslimischen Gebetsrufes festgelegt ist, gibt es je nach Region unterschiedliche musikalische Interpretationen. Tunesische Radio- und Fernsehsender übertragen zu den Gebetszeiten oft Versionen aus der Türkei oder den Golfstaaten. Im Rachidia-Institut, dessen Auftrag es ist, die klassische tunesische Musik wie beispielsweise den andalusisch beeinflussten Malouf zu fördern, lege man Wert darauf, tunesische modale Tonleitern zu nutzen, sagt Mouhli. "Wenn man die hört, dann weiß man sofort, dass das tunesisch ist. Warum sollte der Gebetsruf nicht seine eigene tunesische Identität haben?"

Tunesische Modi

Um seinen Schülern die schwierigen tunesischen Modi näherzubringen, hat Zghonda eine Leiter auf ein Blatt Papier gemalt. Darauf zeigt er seinen Schülern an, ob sie mit der Stimme hoch- oder heruntergehen müssen. Für den erfahrenen Lehrer ist der Muezzin-Kurs eine Herausforderung.

"Das ist viel schwieriger, als wenn ich Leute vor mir habe, die Noten lesen können und Tonleitern gelernt haben", stöhnt er. "Meine Teilnehmer hatten vor dem Kurs noch nie mit Musik zu tun." Gerade bei den älteren Muezzins habe er am Anfang Vorbehalte gespürt. Doch die Bedenken haben sich auf beiden Seiten schnell gelegt. "Wenn ich jetzt zum Gebet rufe, klingt das viel flüssiger und ist auch für die Gläubigen angenehmer anzuhören", sagt Abdelmounem Othmani - nicht ohne Stolz.

Sarah Mersch (epd)