Selbst bei leichten Minusgraden kann man Bernd Gerber auf nackten Füßen spazieren gehen sehen. Der 47-jährige Reutlinger hat vor acht Jahren das Barfußlaufen entdeckt. Als Sportler schafft er inzwischen 35 Kilometer ganz ohne Schuhe, bei einem 24-Stunden-Lauf hat er 117 Kilometer in primitiven Laufsandalen absolviert. Und im vergangenen Jahr erklomm er barfuß die Zugspitze.

Was auf den ersten Blick etwas fanatisch wirkt, erweist sich bei näherer Betrachtung als kühle Überlegung. Gerber hat sich inzwischen tief in die Fußforschung eingegraben. Schuhe und Strümpfe verhindern den unmittelbaren Kontakt zum Untergrund, wie er erklärt, und berauben den Körper wichtiger Signale, die er beim Gehen und Stehen empfängt. Absätze bringen den Körper zudem aus dem Lot, die Schrägstellung muss ausgeglichen werden. Die Folgen: Probleme in Knie, Hüfte, Wirbelsäule und Nacken.

"Füße sind die besseren Schuhe", erklärt auch die Techniker Krankenkasse. Der Gang ohne Schuhe kräftige Bänder und Muskeln, die Fußgelenk würden stabiler, Verletzungen seltener.

Neugierige Bewunderung

In dieser Hinsicht hat Gerber heute keine Beschwerden mehr. Das fiel auch seinen Laufkollegen auf, wie er erzählt: Der einzige, der nie mit Verletzungen zu kämpfen hat, sei er - seit er barfuß oder in Laufsandalen rennt. Der anfängliche Spott ("Ist Dir das Geld für Schuhe ausgegangen?") sei inzwischen neugieriger Bewunderung gewichen, sagt er.

Bedenken gegen das Gehen auf nackten Sohlen kennt Gerber zur Genüge. Zu kalt, zu schmutzig, zu gefährlich für die Füße. Vieles ist seiner Ansicht nach eine Sache der Umstellung. So reguliere sich der Wärmehaushalt mit der Zeit von alleine - und dann sei man wirklich nur noch bei Frost auf isolierende Treter angewiesen. Auch kleine gymnastische Übungen sorgten dafür, dass mehr Blut und damit wohlige Wärme an die Zehen gelange.

Natürlich muss jeder aufpassen, dass beim Barfußlaufen keine Scherben, spitzen Steine oder Nägel in die Füße eindringen. Und besonders vorsichtig sollten Diabetiker sein, die häufig ein verändertes Schmerzempfinden an den Füßen haben.

Gerbers Fuß kann man die Jahre der Schuhlosigkeit ansehen. Zwischen großem und zweitem Zeh ist der Abstand zur Form eines "V" gewachsen. Die Haut seiner Sohle wirkt lederartig, aber weich. "Der Körper unterfüttert die Haut, um die stärkere Belastung abzufangen", sagt er. Hornhaut sieht man an seinen Füßen nicht.

Scharfkantige Steine

Dabei hat der Reutlinger Zehen, Ferse und Ballen schon einiges zugemutet. Im vergangenen Jahr bestieg er die 2.962 Meter hohe Zugspitze ohne Schuhe. "Ich wolle einfach mal ausprobieren, ob das geht." Am härtesten traf ihn ein Geröllfeld, über dessen teilweise scharfkantigen Steine er sich quälte. Einen Gletscher passierte er in Neoprensocken, um sich vor Erfrierungen zu schützen.

Auf die Idee konsequenter Barfüßigkeit brachte ihn ein Spendensammler, der sich als Pumuckl verkleidet hatte. Das war 2010, als Gerber den ersten Deutschen begleitete, der mit Down-Syndrom einen Marathonlauf absolvierte. Bei einem Vorbereitungslauf in Freiburg traf Gerber den Pumuckl, der immer ohne Schuhe unterwegs ist, und sagte sich spontan: "Das probiere ich auch aus."

Nicht gesellschaftsfähig

Selbstverständlich gibt es Lebenssituationen, in denen man ohne Schuhe nicht gesellschaftsfähig ist. Das weiß auch Gerber, der hauptberuflich im Verkauf von regenerativen Energiesystem arbeitet. Für diese Zwecke trägt er dann sogenannte Barfußschuhe. Diese Schuhe haben keine Absätze und sind vorne vergleichsweise breit, die Schuhsohle lässt sich leicht biegen.

Aus der Begeisterung ist für Gerber eine Nebentätigkeit geworden. Er hat eine Ausbildung zum Barfußcoach absolviert. Damit hilft er Menschen beim Umstieg aufs Barfußlaufen. Prinzipiell könne man das auch alleine schaffen, sagt Gerber, der selbst ohne Unterstützung umgestiegen ist. Fehler beim Übergang führten allerdings häufig zu Fehlbelastungen und Schmerzen, so dass manche das Experiment dann wieder abbrechen.

Wer zu abrupt auf viel Barfußlaufen umsteige, könne seinen Füßen schaden, warnt auch Medizinerin Ursula Marschall von der Barmer Krankenkasse. Sehnenreizungen oder Achillessehnenentzündungen könnten die Folge sein. Man solle daher langsam starten und zunächst nur kurze Strecken zurücklegen. Orthopäden raten auch Menschen, die aufgrund einer Fußfehlstellung medizinische Einlagen tragen, zur Vorsicht.

Selbst in der Familie Gerber folgen dem Vater von zwei Kindern nicht alle auf nackten Füßen. Inzwischen haben aber alle Familienmitglieder Barfußschuhe im Schrank.