Die Kritik an der Kreuz-Pflicht in bayerischen Behörden reißt nicht ab. FDP-Chef Christian Lindner warf Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine Entwürdigung des Kreuzes vor. Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) betonte, das Kreuz als christliches Symbol dürfe nicht Gegenstand staatlicher Verordnung werden. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) kritisierte eine Ausgrenzung von Millionen von Muslimen, Atheisten und Juden. Auch Vertreter der evangelischen Kirche äußerten sich kritisch.

Lindner sagte der "Passauer Neuen Presse" (29. April), Feinde der Religion seien nicht die Kritiker von Söder, Feind der Religion sei Söder selbst. Denn er habe das Kreuz zu einem Symbol der Kultur und der Staates hierzulande erklärt, habe es damit profanisiert und von seiner christlichen Bedeutung getrennt. Zuvor hatte CSU-Generalsekretär Markus Blume die Kritiker der bayerischen Kabinettsentscheidung, dass in allen bayerischen Behörden Kreuze hängen sollen, als Religionsfeinde bezeichnet.

Der FDP-Vorsitzende kritisierte, dass der bayerische Ministerpräsident sich mit seiner "populistischen Symbol-Wahlkampfaktion zwischen alle Stühle gesetzt" habe. "Gläubige Christen muss es empören, dass er aus ihrem Symbol ein Symbol des Staates macht", sagte er. Die säkularen, liberalen Bürgerinnen und Bürger, die Religion für ein persönliches Bekenntnis, aber nicht für eine Sache der Politik hielten, dürften "entsetzt sein über dieses Manöver im Vorwahlkampf zur Bayern-Wahl".

"Unchristlich und unanständig"

Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Roth, sagte, Söder instrumentalisiere nicht nur eine Religion, sondern grenze auch Millionen Muslime, Atheisten und Juden aus. Er mache "einen riesengroßen Fehler, wenn er glaubt, dass die Rückgewinnung der absoluten Mehrheit jedes Mittel heiligt", sagte die Grünen-Politikerin den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (30. April). Der Ministerpräsident missbrauche das Kreuz für seinen Wahlkampf und vermische bewusst Religion und Politik. "Das finde ich in hohem Maße unchristlich, unanständig sowieso", sagte Roth.

Der Katholik Thierse kritisierte ebenfalls den bayerischen Kabinettsbeschluss. Das Kreuz sei das zentrale Symbol christlichen Glaubens und dürfe nicht Gegenstand staatlicher Verordnung werden, sagte Thierse, der auch dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) angehört. Er verstehe zwar, dass Markus Söder das Kreuz als Zeichen der Identität sehen wolle, sagte im RBB-Inforadio. Dies rechtfertige jedoch nicht, es in den Zusammenhang eines Wahlkampfes zu rücken: Der Staat sei "weltanschaulich religiös neutral, dass heißt er ist offen für alle Bekenntnisse".

Die Reformationsbotschafterin der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, sagte am 29. April bei einer Veranstaltung in Heidelberg: Ein "Irrsinn mag dieses Kreuz den Menschen sein, aber es ist eben gerade kein Zeichen von Macht, Herrschaft und Durchsetzungsvermögen". Vielmehr sei das Kreuz ein Zeichen von "Ohnmacht, Leid und dem Schrei nach Barmherzigkeit", sagte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende. "Das müsste auch der evangelische Christ Markus Söder wissen."

Westfälischer Altpräses Buß skeptisch

Auch der frühere Präses der westfälischen Landeskirche, Alfred Buß, äußerte sich skeptisch. Das Kreuz Kreuz symbolisiere das schiere Gegenteil von "Gesten der Dominanz und des 'Mia san mia'", sagte der evangelische Theologe im "Wort zum Sonntag" am 28. April im Ersten. Im Zeichen des Kreuzes gelte es, "Frieden zu stiften unter Widersachern, zu trösten, die da Leid tragen, und satt zu machen, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit".

"Kulturelle Prägung Bayerns"

Unterdessen geriet in München Landtagspräsident Barbara Stamm (CSU) in die Kritik, weil sie auf offiziellem Briefpapier einen katholischen Hochschulpfarrer wegen dessen Kritik an dem Kreuz-Beschluss anging. Oppositionspolitiker warfen ihr vor, die Autorität ihres Amts für Parteipolitik zu nutzen. Stamm wies dies zurück, wie sie dem epd mitteilte.

Die bayerische Staatsregierung hatte in ihrer Kabinettssitzung am 24. Mai die allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaats geändert. Demnach muss ab 1. Juni Im Eingangsbereich aller staatlichen Dienstgebäude als Ausdruck der "geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns" deutlich wahrnehmbar ein Kreuz als sichtbares Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung angebracht werden. Diese Anordnung hat in den vergangenen Tagen bereits für teils scharfe Kritik von Juristen, Parteien und Kirchenvertretern gesorgt.