Gedimmtes Licht aus Kronleuchtern, Discoscheinwerfer in Orange und Lila, Stehtische mit lila Hussen, an denen Menschen lehnen und bei Spezi und Sprizz lachen und quatschen. Dass das hier mehr wird als ein Kneipenfeierabend, zeigen Keyboard, Gitarren und Mikroständer auf der Bühne des Theaterzelts "Schloss" am Rande des Münchner Olympiaparks. "16. Münchner Rudelsingen" projiziert ein Beamer an die Wand, dann brandet auch schon Jubel und Applaus auf, als kämen "Die Toten Hosen" selbst in die Arena. Es sind aber bloß Volker Beck und Uli Wurschy aus Frankfurt, die musikalischen Vorturner des Abends. Denn der Star ist das Publikum, das jetzt zum eingeblendeten Text lauthals "An Tagen wie diesen" singt, röhrt und rockt.

"Ich singe gern laut", sagt Daniela, die schon zum zweiten Mal beim Rudelsingen mitmacht. Für den Chor sei sie aber zu schlecht, meint die 55-Jährige mit den kurzen roten Haaren und lacht: "Jedenfalls ist meine Familie dieser Meinung." Ihre Freundin Roswitha ist heute zum ersten Mal dabei, aber jetzt schon überzeugt: "Ich fand das gleich 'ne gute Idee", sagt die 59-Jährige. Etwa ein Drittel der Gäste an diesem Abend sind neu. Für sie erklärt Sänger Wurschy die Regeln: 50 Prozent der Lieder sind deutsch, jedes Lied soll wenigstens für die Hälfte der Gäste bekannt sein, und das Wichtigste: "Das ist hier total ungezwungen. Wer singen will, singt. Hauptsache, die Leute gehen hinterher beschwingt nach Hause."

"Wilde Mischung"

Dreimal acht Lieder haben die Profimusiker für diesen Abend vorbereitet, dazwischen Pausen für Essen, Trinken, Reden. Die Mischung ist wild: Nach den "Toten Hosen" kommt "Supertramp", und gleich danach "was ganz Krasses", wie Wurschy ins Mikro raunt. "Zwei Apfelsinen im Haar", heißt der Schlager, den France Gall im Jahr 1968 auf Deutsch eingesungen hat und der die Stimmung im Publikum jetzt zum Kochen bringt.

Die meisten Gäste sind zwischen 40 und 60, und die paar jüngeren der Generation Smartphone stehen gerade mit ratlosem Blick daneben. "Es sind immer zwei oder drei Lieder dabei, die mir nichts sagen", sagt Georg, Baseballkappe, Vollbart und schwarz gerahmte Brille. Der 28-Jährige singt gern, hat aber nicht genug Zeit für einen Chor. "Da muss man ja auch mal am Wochenende hin und so", sagt er. Also geht er lieber ab und zu zum Rudelsingen. Seine Begleiterin Petra, 27 Jahre, ergänzt mit leuchtenden Augen: "Wenn so viele Leute singen, klingt das einfach immer toll - egal wie schlecht man selber singt."

Beim nächsten Kracher können wieder alle mit: Die Textzeilen von "Maria" der Rockröhre "Blondie" erscheinen an der Wand. Als Tribut ans bayerische Publikum kommt ein 70er-Jahre-Hit des Österreichers Peter Cornelius - das gibt der hessische Dialekt von Frontmann Wurschy zwar nicht her, aber der Münchner Zufallschor vor der Bühne macht es wieder wett. "In Hamburg würden wir da eher 'Hamburg, meine Perle' spielen", erklärt Pianist Beck.

Von Volkslied bis Heavy Metal

Das Konzept der Reihe, die 2011 in Münster startete, kommt an mittlerweile mehr als 100 Aufführungsorten zwischen Bremerhaven und München, Chemnitz und Aachen gut an, neue Städte kommen laufend hinzu. "Der Erfolg war von Anfang an da", sagt Rudelsingen-Erfinder David Rauterberg. Zwischen 300 und 1.500 Besucher füllen die Hallen, bei den Sommer-Open-Airs sind es schon mal 3.000. Elf Teams touren mit der bunten Mischung von Volkslied bis Heavy Metal durch Deutschland.

"Es überrascht mich manchmal, wie viel Freude das gemeinsame Singen den Leuten bereitet", sagt Wurschy. In der Menge würden viele ihre Hemmungen verlieren. Wurschy und Beck betreiben seit 20 Jahren eine Musikschule in Frankfurt und versorgen als "Team Odenwald" den Süden der Republik mit den Rudelgesängen. Ihre Qualifikation als Musiklehrer stellen sie beim Vokalhit "Don't worry, be happy" von Bobby McFerrin unter Beweis, als sie den Saal zweistimmig singen lassen. "Ngugu, ngugu", singen, summen und brummen alle - und ein glückliches Staunen hängt in der Luft, als das Experiment gelingt und das Zelt erfüllt ist vom Klang aus 300 Kehlen.