Kirchen

Kirchen rufen zu Optimismus trotz Corona-Krise auf


Christvesper in der Dresdner Frauenkirche
epd-bild/Matthias Rietschel
Die kirchlichen Weihnachtsbotschaften waren in diesem Jahr stark von der Corona-Pandemie geprägt. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Bätzing erinnerte an die Menschenwürde und sprach auch die Missbrauchsfälle in den eigenen Reihen an.

Die Kirchen haben an Weihnachten zu Zusammenhalt und Zuversicht in der Corona-Krise aufgerufen. Papst Franziskus forderte in seiner Weihnachtsbotschaft internationale Solidarität, um Impfstoffe und Therapien allen Menschen zugänglich zu machen. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, erklärten in einem ökumenischen "Wort zum Heiligabend", gerade in Krisenzeiten sei die christliche Weihnachtsbotschaft ein Symbol der Hoffnung.

Wegen der Corona-Beschränkungen verkündete der Papst seine Weihnachtsbotschaft und den traditionellen Segen "Urbi et Orbi" am ersten Feiertag nicht wie üblich von der Loggia des Petersdoms aus sondern in der Benediktionsaula im Apostolischen Palast. Um Menschenansammlungen zu verhindern, hatten Sicherheitskräfte den Petersplatz weiträumig abgesperrt.

Aufgrund der hohen Corona-Infektionszahlen hatten auch die Kirchen in Deutschland das Angebot von Präsenzgottesdiensten zu Weihnachten in diesem Jahr stark eingeschränkt. Dafür wurden mehr Gottesdienste im Internet und im Fernsehen übertragen.

Ökumenische Ansprache nach "Tagesschau"

Eine Besonderheit in der Corona-Krise war die ökumenische Ansprache der Bischöfe Bedford-Strohm und Bätzing, die die ARD an Heiligabend im Anschluss an die "Tagesschau" um 20.10 Uhr sendete. Der Limburger Bischof Bätzing rief dazu auf, an Weihnachten die Not und das Elend in der Welt nicht zu vergessen. Der bayerische Landesbischof Bedford-Strohm forderte zu einem neuen Miteinander auf: "Wir brauchen einander, und wir brauchen Nächstenliebe."

In seiner Weihnachtspredigt am 25. Dezember in der Münchner Matthäuskirche sagte der EKD-Ratsvorsitzende, die biblische Botschaft an Weihnachten sei stärker als "alles, was uns jetzt runterziehen will, und auch stärker als jedes Virus". Aus einer Ausnahmesituation wie der Corona-Krise könne eine neue Offenheit der Menschen füreinander entstehen, in der sie die Verletzlichkeit miteinander teilen. Diese gemeinsamen Erfahrungen könnten die Menschen zusammenschweißen und zu Solidarität und umso stärkerem Lebenswillen führen.

Der Limburger Bischof Bätzing verwies auf die universelle Bedeutung des Weihnachtsfests. "Weihnachten ist mithin das Fest der Menschenwürde. Darum betrifft es auch jeden Menschen", sagte er bei der Weihnachtsmesse im Limburger Dom. Bätzing erinnerte an den Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos, an die vielen Corona-Toten in Bergamo sowie an die Verbrechen gegen die Menschenwürde in Hanau, Nizza, Kabul und Trier. Er nannte auch den Anstieg der häuslichen Gewalt während der Kontaktbeschränkungen und die Missbrauchsfälle in Lügde und Bergisch-Gladbach. Zudem verwies er auf den Missbrauch an Kindern in den eigenen Reihen. "Der Missbrauch in der Kirche ist so lange nicht Vergangenheit, wie Betroffene körperlich und seelisch davon schwer gezeichnet unter uns leben und sich selbst als 'Überlebende' bezeichnen", sagte er.

Der Mainzer katholische Bischof Peter Kohlgraf betonte in seiner Predigt am 26. Dezember, es sei zentral für die Kirche, glaubwürdig zu sein und den Kern ihrer Botschaft überzeugend und aktuell zu verkündigen. Dabei dürfe sie nicht mehr nur auf Dogmen setzen, die geglaubt werden müssten. Um nicht zu "letzten Christen" in einem immer säkulareren Land zu werden, sollten die Gläubigen freimütig aus den großen christlichen Quellen schöpfen. Sie sollten nicht verzagen, sagte Kohlgraf.



Kirchen in NRW betonen zu Weihnachten Botschaft der Hoffnung


Weihnachtlich geschmücktes Wohnungsfenster in Dortmund
epd-bild/Friedrich Stark
Die kirchlichen Repräsentanten in Nordrhein-Westfalen haben zu Weihnachten angesichts der Coronakrise zu Solidarität und Zusammenhalt aufgerufen.

Die leitenden Geistlichen der Kirchen in Nordrhein-Westfalen haben zu Weihnachten angesichts der Corona-Pandemie zu Zuversicht und gesellschaftlichen Zusammenhalt aufgerufen. Die Weihnachtsbotschaft der Hoffnung gelte auch in Zeiten der Pandemie, unterstrichen die Repräsentanten von evangelischen und katholischen Kirchen. Der rheinische Präses Manfred Rekowski betonte angesichts der Debatte um Präsenzgottesdienste zur Weihnachtszeit die Aufgabe der Kirche, die Menschen auch in Krisenzeiten zu begleiten. Viele Weihnachtsgottesdienste wurden wegen der Corona-Pandemie online übertragen.

Bischof Genn ist dankbar für neu entwickelte Impfstoff

Der Münsteraner Bischof Felix Genn mahnte Coronakritiker zu mehr Besonnenheit in der Debatte um die Covid-19-Pandemie und die neu entwickelten Impfstoffe. "Ich bin, bei aller Kontroverse, dankbar, dass wir Menschen fähig sind, so etwas wie einen Impfstoff zu entwickeln", sagte Genn am ersten Weihnachtstag in Münster. Die Weihnachtsbotschaft vermittle Zuversicht: "Im kleinen, unscheinbaren Kind, nicht im kleinen, unscheinbaren Virus, sondern in diesem Kind in der Krippe erscheint die ewige Liebe und Wahrheit Gottes."

"Diese Welt wird nicht dem Tod und seinen Helfershelfern überlassen", sagte der rheinische Präses Manfred Rekowski am 24. Dezember in der Düsseldorfer Johanneskirche. Gott stärke und tröste die Menschen. "Er hat das letzte Wort. Nicht der Tod - und auch kein Virus", unterstrich Rekowski.

In einer Anzeige in mehreren Tageszeitungen schrieb die westfälische Präses Annette Kurschus: "Die Pandemie erzwingt Verzicht, sie bedroht die Gesundheit aller und kostet viel zu viele das Leben." Weihnachten hänge aber "nicht an uns und unseren Gewohnheiten", betont die stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD): "Sondern an der Liebe, die uns im Leben und im Sterben trägt." Deshalb werde es auch in diesem Jahr Weihnachten. Kurschus predigte zudem in einem auf YouTube übertragenen Online-Gottesdienst aus der Zionskirche in Bielefeld-Bethel.

Landessuperintendent Arends erinnert an Schicksal von Flüchtlingen

Der Landessuperintendent der Lippischen Landeskirche, Dietmar Arends, mahnte, in der Corona-Krise nicht die Situation der Flüchtlinge und der armen Menschen weltweit zu vergessen. Weitere drängende Probleme blieben die Situation vieler Flüchtlinge, der Klimawandel und die sich weiter verschärfenden Gegensätze von Arm und Reich, mahnte Arends in einem online übertragenen Gottesdienst. Wie die gegenwärtige Krise ausgehe, werde auch davon abhängen, "wie sehr es uns gelingt, in dieser Herausforderung beieinander zu bleiben, füreinander einzustehen, Rücksicht zu nehmen und Leben zu schützen."

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki sah in dem Weihnachtsfest ein Zeichen der Hoffnung. "Wir gehören alle zu dem 'ganzen Volk', von dem im Evangelium dieser Nacht die Rede ist, und dem die Furcht genommen und die Freude geschenkt werden soll", sagte der Kardinal am 24. Dezember in der Christmette im Kölner Dom. In einem persönlichen Wort bat Woelki im Zusammenhang mit der Aufklärung von Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln um Verzeihung und Geduld, bis im März ein unabhängiges Gutachten vorliegt.

Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker rief an Heiligabend dazu auf, das Weihnachtsfest für eine Neuausrichtung des eigenen Lebens zu nutzen. "Wir müssen unserem Leben angesichts der Geburt Jesu eine andere Richtung geben, eine Richtung, die uns Gott in seinem Sohn zeigt", sagte Becker in einem über Live-Stream übertragenen Gottesdienst. Nur so sei es möglich, Konflikte im Großen und Kleinen dauerhaft zu überwinden.

Die westfälische Kirche und die lippische Landeskirche hatten ihren Kirchengemeinden empfohlen, wegen der Corona-Pandemie auf Gottesdienste mit Gemeinde bis zum 10. Januar zu verzichten. In der rheinische Kirche sollten die Gemeinden abhängig von der Situation vor Ort über Präsenzgottesdienste zu Weihnachen entscheiden. In der Debatte um Präsenzgottesdienste habe es so geklungen, "als ginge es da um eine beratungsresistente Institution Kirche, die da auf ihre Rechte pocht", sagte Rekowski dem Kölner "Domradio". Es gehe darum, "dass wir die Menschen begleiten", unterstrich der rheinische Präses.



"Diese Menschen brauchen unseren Respekt"


Überwachungsmonitor für die künstlicher Beatmung eines Patienten auf einer Intensivstation
epd-bild / Werner Krüper
Die Corona-Maßnahmen treffen die verschiedenen Berufsgruppen sehr unterschiedlich. In Online-Gesprächen will die westfälische Präses Annette Kurschus Betroffenen Raum geben und zuhören.

Die zweite Corona-Welle bringt die Klinik an die Belastungsgrenze, schildert Intensivmedizinerin Dagmar Rausch vom Evangelischen Krankenhaus Hamm die aktuelle Lage. "Das Behandlungsteam muss täglich entscheiden: Wer kommt auf einen Intensivplatz, wer wird von der Intensivstation in einen anderen Bereich verlegt." Die Situation sei zwar noch nicht so dramatisch wie in Frankreich und Italien, erzählt die Medizinerin in einem Online-Gespräch, zu der die westfälische Präses Annette Kurschus eingeladen hat. Aber es sei schon belastend, das nehme man auch mit nach Hause.

Von dieser Pandemie habe sie zunächst gedacht, das treffe alle gleichermaßen, sagt die westfälische Präses Annette Kurschus. "Wir merken aber immer deutlicher, wie ungleich dieses Virus uns trifft." Auch die Entscheidung der westfälischen Kirche, die ersehnten Weihnachtsgottesdienste nicht in präsenter Form zu feiern, habe damit zu tun, was aus den Pflegeeinrichtungen, aus den Krankenhäusern und den Intensivstationen zu hören sei. "Ich will heute einfach hören: Was erleben Sie da gerade, wie geht es Ihnen, wie sind Sie unterwegs?"

Situation in den Pflegeheimenen und Kliniken angespannt

Im Paderborner Pflegeheim Perthes-Haus, in dem es vor Inkrafttreten der Hygiene- und Abstandsregeln einen Corona-Ausbruch gab, ist die Sorge vor einer der zweiten Corona-Welle groß, wie die Einrichtungsleiterin Heidemarie Hellweg beschreibt. Eine Bewohnerin war im Krankenhaus positiv auf Corona getestet worden. Das Virus hatte sich unbemerkt ausbreiten können. Mehr als 30 Bewohner und Mitarbeiter waren erkrankt, neun Menschen starben. Seit Pfingsten sei die Einrichtung coronafrei gewesen. Jetzt seien alle besorgt, ob der Corona-Virus wiederkomme, berichtet Hellweg.

Der Chefarzt des Zentrums für Frauenheilkunde am Universitätsklinikum Bielefeld, Werner Bader, plädiert trotzdem für eine Lockerung der strikten Kontaktverbote bei Corona-Patienten. Auch unter leichter Narkose nehme man als Patient die Menschen in der Nähe wahr, berichtet der Mediziner, der selbst eine schwere Corona-Infektion durch einen Patientenkontakt überlebte.

Er könne aus eigener Erfahrung ganz klar sagen, wie extrem wertvoll persönliche Gespräche seien, berichtet Bader. "Sie brauchen die persönliche Fürsprache und Sie brauchen das Handhalten, wenn sie krank sind." Das sollte man den älteren Menschen auch nicht verwehren. Das Ansteckungsrisiko könne durch Masken und Desinfektion wirksam begrenzt werden.

Die Betroffenen dürften nicht alleingelassen werden, sagt denn auch Präses Kurschus am Ende des Gesprächs. "Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Menschen nicht alleine sind." Natürlich müssten Besuche "mit höchster Behutsamkeit und Vorsicht" stattfinden, erklärte Kurschus, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland ist.

Die Entscheidung, in Westfalen auf Präsenzgottesdienste an den Weihnachtstagen zu verzichten, begrüßte Chefarzt Bader: "Ich finde es sehr gut, dass Sie das so machen", sagte Bader. "Aus medizinischer Sicht handeln Sie völlig richtig - größere Menschenmengen sollte man tunlichst vermeiden." Auch er selbst werde Weihnachten in diesem Jahr anders feiern.

Sechs "Lockdown"-Gespräche

Für die Bewohner des Perthes-Hauses sei es schwierig, auf die Weihnachtsgottesdienste zu verzichten, sagte hingegen die Einrichtungsleiterin Hellweg. "Unseren Bewohnern wird es sehr fehlen." Die meisten hätten keine digitale Möglichkeiten.

Das Gespräch mit Ärzten und Pflegekräften ist Teil von insgesamt sechs "Lockdown"-Gesprächen der Präses. Dabei kamen bisher Engagierte in der Flüchtlingsarbeit zu Wort, ebenso Kulturschaffende, Beschäftigte in der Sportbranche sowie Hotel- und Gaststättenbetreiber. Den Abschluss bildete am 22. Dezember ein Austausch mit Menschen aus der Schaustellerbranche. "Ihr Beruf ist eng mit Ihrer Existenz und Ihrem Menschsein verbunden", sagte die leitende Theologin bei dem Online-Gespräch. Jetzt falle das, was diese Existenz ausfülle, weg. "Es ist eben nicht irgendein Job, den Sie machen, sondern dafür leben Sie". Die Menschen vermissen nach Worten von Kurschus die Angebote von Zirkus und der Schaustellerei. "Wir brauchen ja diese Quellen der Freude für unser Leben", sagte die westfälische Präses.

Zirkusunternehmen fehlt es an Rücklagen

"So ein Corona-Jahr haut einen komplett um", berichtete Ann-Kathrin Bichlmaier vom Projektzirkus "Manegentraum". Der Zirkus habe keine großen Rücklagen, könne aber normalerweise nötige Anschaffungen machen. Durch die Corona-Krise seien sie in die Situation gekommen, staatliche Gelder in Anspruch zu nehmen. Das reiche aber kaum aus. "Wir haben große Existenzängste", sagte Bichlmaier. Bei der Debatte um von Corona betroffene Branchen komme der Zirkus nicht vor. Viele Menschen würden nicht sehen, dass Schausteller und Zirkusleute keine Schuld daran hätten, dass sie jetzt ein Berufsverbot bekämen, beklagte auch Florina Sperlich, deren Familie ebenfalls einen Projektzirkus betreibt.

Der Schausteller Andreas Alexius warnte davor, dass mit Auftrittsverboten eine kulturelle Kommunikation lahmgelegt werde. Schausteller lebten davon, dass man sich treffe und austausche. Wenn das noch ein halbes Jahr so weitergehen würde, würde es viele Akteure trotz teilweise jahrhunderterlanger Tradition nicht mehr geben, sagte er. Wichtig sei hier die Schausteller-Seelsorge, hob Alexius hervor. "Das ist Seelsorge für die Menschen - das gibt Halt", sagte er.

Bereits vor der digital tagenden Landessynode im November hatte die Präses die ungleiche Verteilung der Lasten durch die Pandemie beklagt. Die Betroffenen benötigten Respekt und die Unterstützung, betonte sie: "Vor allem verdienen sie es, gehört und wahrgenommen zu werden".

Holger Spierig (epd)


Debatte um Missbrauchsgutachten: Woelki bittet um Verzeihung

Kardinal Rainer Maria Woelki hat im Zusammenhang mit der Aufklärung von Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln um Verzeihung gebeten. In der Christmette am Heiligabend im Kölner Dom bat der Erzbischof zugleich um Geduld, bis im März ein unabhängiges Gutachten vorliegt.

Ohne mögliche eigene Versäumnisse anzusprechen und auf konkrete Vorwürfe einzugehen, sagte Woelki in dem persönlichen Wort an die Gemeinde: "Zu den Sorgen, die Sie alle durch Corona ohnehin schon haben, haben wir, habe ich leider noch eine Bürde hinzugefügt. Was die von sexueller Gewalt Betroffenen und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachten im Zusammenhang mit dem Umgang des Gutachtens zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt in unserem Erzbistum, was sie an der Kritik darüber und insbesondere auch an der Kritik an meiner Person ertragen mussten. Für all das bitte ich Sie um Verzeihung."

Er habe vor zwei Jahren sein Wort gegeben, "dass wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln die Vorgänge aufklären und auch Verantwortliche benennen werden". Das solle "ungeschönt und ohne falsche Rücksichten" geschehen. "Ich stehe weiterhin zu diesem Wort, auch wenn dies öffentlich gerade anders gesehen und angezweifelt wird", sagte der Kölner Erzbischof Woelki.

Der Kardinal steht in der Kritik, weil er ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln wegen "methodischer Mängel" unter Verschluss hält. Er gab stattdessen ein neues Gutachten in Auftrag, das im März veröffentlicht werden soll. Konkret gegen ihn erhobene Vertuschungsvorwürfe in einem Fall sexuellen Missbrauchs will Woelki von Papst Franziskus klären lassen. Im Raum steht ein Verstoß gegen das Kirchenrecht, weil Woelki 2015 nach der Prüfung von Personalakten einen mutmaßlichen Missbrauchsfall nicht an den Apostolischen Stuhl in Rom gemeldet hatte.



Papst genehmigt Seligsprechungen von Widerstandspfarrer und Richter

Papst Franziskus genehmigt die Seligsprechungen eines im Konzentrationslager Dachau umgekommenen italienischen Widerstandspfarrers und eines Anti-Mafia-Richters. Vatikanangaben vom 22. Dezember zufolge erkannte er den heroischen Tugendgrad des kurz nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau gestorbenen Priesters Antonio Seghezzi an. Der Geistliche hatte sich 1943 in seiner Heimatstadt Bergamo den deutschen Besatzern gestellt. Diese hatten nach seinem Verschwinden Repressalien gegen die katholische Kirche angedroht.

Gleichzeitig erkannte der Papst die Ermordung von Rosario Livatino durch die Mafia als Martyrium an. Der Richter wurde 1990 auf offener Straße auf dem Weg zum Gericht in Agrigent erschossen. Zuvor hatte er dazu beigetragen, Korruptionsskandale in Sizilien aufzudecken und Enteignungen von Mafia-Eigentum angeordnet. Livatino sei wegen der konsequenten Übereinstimmung zwischen seinem Glauben und seinem Arbeitseinsatz ein Vorbild für alle Juristen, hatte Franziskus vor einem Jahr bei einem Treffen mit Vertretern eines nach Livatino benannten Studienzentrums betont.



Sternsinger-Aktion startet kontaktlos und digital


Ein Sternsinger schreibt den Segen an eine Tür in Paderborn.
epd-bild/Oliver Krato

Die Sternsinger greifen wegen der Corona-Pandemie auf kontaktlose Segens- und Spendenaktionen zurück. Statt die Kinder von Haus zu Haus ziehen zu lassen, würden unter anderem Segensbriefe und -pakete zugeschickt oder verteilt, erklärten das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" und der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) am 27. Dezember in Aachen. Zudem seien digitale Sternsingerbesuche möglich, und in den Gottesdiensten liege der Segen bereit. Unter dem Motto "Heller denn je – die Welt braucht eine frohe Botschaft!" wird die 63. Aktion Dreikönigssingen am 29. Dezember im Aachener Dom und digital eröffnet.

Die Aktion werde in diesem Jahr um zwei Wochen bis zum 2. Februar verlängert, damit alle länger Zeit haben den Segen zu erhalten, hieß es. Die Mädchen und Jungen in den Ländern der Welt bräuchten zudem dringend die Unterstützung der Sternsinger: "Denn die Folgen der Pandemie betreffen sie ganz besonders: ein Mangel an Lebensmittelversorgung, Schulschließungen, eine unzureichende Gesundheitsversorgung, ein Anstieg ausbeuterischer Kinderarbeit."

Die Sternsinger ziehen traditionell zu Jahresbeginn von Haus zu Haus, bringen Segenswünsche zu den Menschen und sammeln Spenden für Kinder in Afrika, Lateinamerika, Asien, Ozeanien und Osteuropa. Seit ihrem Start 1959 hat sich die Aktion nach Angaben der Veranstalter zur weltweit größten Solidaritätsaktion von Kindern für Kinder entwickelt. 2020 hätten die Mädchen und Jungen aus 10.034 Pfarrgemeinden, Schulen und Kindergärten rund 52,4 Millionen Euro gesammelt. Mit den Mitteln fördert die Aktion Dreikönigssingen weltweit Projekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Pastoral, Ernährung und soziale Integration.



Neujahrsgottesdienst im ZDF wird wegen Corona verlegt

Der traditionelle ZDF-Fernsehgottesdienst zu Neujahr wird aus der Dresdner Frauenkirche nach Frankfurt am Main verlegt. Grund sei die hohe Zahl der Corona-Neuinfektionen in Sachsen, teilte der Medienbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Markus Bräuer, am 23. Dezember dem epd in Frankfurt mit. Die Predigt in der Evangelischen Festeburggemeinde hält der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), der hannoversche Landesbischof Ralf Meister.

Die Liturgie leitet Pfarrerin Angelika Behnke aus der Frauenkirche in Dresden. Musikalisch wird der Gottesdienst gestaltet von einem Vokalquartett unter der Leitung der Landeskirchenmusikdirektorin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Christa Kirschbaum. An der Violine wird Simone Kochsiek, an der Orgel Frank Hoffmann den Gottesdienst begleiten.



Aufruf zur Tat


Eingeritztes Herz am Baum
epd-bild / Stefan Arend
Das neue Jahr steht für Christinnen und Christen in Deutschland unter dem Leitwort der Barmherzigkeit, das gibt die Jahreslosung der Kirchen vor. So verstaubt der Begriff auch klingen mag, seine Bedeutung ist hoch aktuell.

Zum Jahreswechsel hat der Begriff Hochkonjunktur. In Spendenaufrufen und Gottesdiensten ist derzeit viel von Barmherzigkeit die Rede. Doch viele junge Leute wie die Osnabrückerin Maria Eichholz kennen den Begriff nur aus der Kirche. Im Alltag begegnet er ihr kaum. "Barmherzigkeit ist ein Wort, das ich nie gebrauche", sagt die 24-Jährige. Auch für die Studentin Florentine Isensee (22) aus Oldenburg ist der Begriff alltagsfremd: "Ich benutze dafür eher andere Wörter - zum Beispiel, dass jemand selbstlos oder sozial ist."

Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum bestätigt: Barmherzigkeit ist ein gehobener Begriff, er kommt eher geschrieben als gesprochen vor. Und eben in der Bibel: Die Jahreslosung der christlichen Kirchen für 2021 steht im Lukasevangelium: "Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!" (6. Kapitel, Vers 36).

Mit "mitfühlend" und "Verständnis für die Not anderer zeigend" beschreibt der Duden, was unter dem Adjektiv "barmherzig" zu verstehen ist. Für Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski reicht bloßes Mitgefühl nicht aus. "Ein barmherziger Mensch ist - wie der barmherzige Samariter aus der Bibel - kein Mensch, der nur Mitleid hat, sondern jemand, der auch tätig wird und hilft", erläutert der Professor für Germanistische Linguistik der Leibniz Universität Hannover.

Schlobinski führt das Wort auf die Bibel zurück, aus deren Übersetzung schließlich das althochdeutsche Wort "armherzi" (8. bis 9. Jahrhundert) und das mittelhochdeutsche "barmherze" (11. bis 14. Jahrhundert) entstanden sind. Das Wort "barmherzig" habe sich dabei aus zwei Wörtern zusammengesetzt: aus "arm" im Sinne von schwach oder hilflos und "Herz". Es geht also um ein Herz für Arme.

Bedford-Strohm: Barmherzigkeit ist "eine zentrale Ressource"

Doch wie gut passt Barmherzigkeit in das 21. Jahrhundert? Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, ist sich sicher, dass barmherziges Handeln - auch wenn es für manche wie von gestern klingen mag - im Jahr 2021 dringend gebraucht wird. "In diesem Pandemie-Jahr ist Barmherzigkeit eine zentrale Ressource, an der sich entscheidet, ob wir geschwächt oder gestärkt aus dieser Erfahrung hervorgehen", sagt er. Wie gut die Corona-Pandemie bewältigt werde, hänge maßgeblich davon ab, inwiefern die Gesellschaft zu Barmherzigkeit in der Lage sei.

Die evangelische Theologin Margot Käßmann richtet ihren Blick auf die Politik: "Barmherzigkeit 2021 wird auch bedeuten, im Rückblick auf die Pandemie anderen zuzugestehen, Fehler gemacht zu haben - etwa in der Politik", sagt sie. "Weil Menschen unausweichlich Fehler machen, gerade angesichts dramatischer Herausforderungen."

Sie denke beim Thema Barmherzigkeit auch an Menschen auf den griechischen Inseln, die Geflüchtete versorgten: "Sie haben ein Herz für andere." Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister mahnt: "Wir brauchen Barmherzigkeit mehr denn je. Wir brauchen eine Gesellschaft der offenen Herzen füreinander."

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, hofft, dass das Leid anderer im neuen Jahr stärker von der Gesellschaft wahrgenommen wird. Es brauche zum Beispiel echtes Mitgefühl für die Verunsicherung und Ängste der Menschen in der Corona-Krise. Nach Einschätzung des Bischofs des katholischen Bistums Osnabrück und stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Franz-Josef Bode, wird sich Barmherzigkeit 2021 in konkretem Handeln zeigen - etwa darin, "sich weiterhin den Regeln entsprechend zu verhalten, seine Nächsten zu stärken und all denen den Impfstoff zuerst zukommen zu lassen, die ihn nötiger haben als ich".

Der altmodisch klingende Begriff ist für den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) zweitrangig. Es komme viel mehr auf den Inhalt an, sagt er. "Was Barmherzigkeit ausmacht, ist so aktuell wie wohl seit Jahren nicht mehr. In unübersichtlichen Zeiten, in Krisen zumal, brauchen wir ein solidarisches Miteinander als ganz wesentliche Säule unseres Gemeinwesens."

Bibelspruch vor vier Jahren ausgewählt

Dass die diesjährige Jahreslosung so genau auf die Umstände im Jahr 2021 zutrifft, ist Zufall. Der jeweilige Bibelspruch wird vier Jahre im Voraus von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) ausgewählt. An eine Pandemie war damals noch nicht zu denken, viel mehr vermutete das ÖAB-Gremium, dass Barmherzigkeit im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszuzug nach Europa ein gutes Stichwort sei, erklärt ÖAB-Vorsitzender Wolfgang Baur. Letztlich sei es aber gleich, welches Thema das neue Jahr dominiere. Die Jahreslosung für 2021 rufe die Menschen dazu auf, sozial zu handeln.

2021 sei Mitgefühl gefragt, sagt Bedford-Strohm. Versetze man sich nur mal "in die Lage der 87-Jährigen in ihrem Seniorenheim am Stadtrand von Bremen oder in die Lage der Krankenschwester im Klinikum rechts der Isar, die angesichts der vielen Covid-19-Kranken mit ihrer Kraft am Ende ist". Und eben weil das Wort "Herz" als menschliches Organ ein Bestandteil des Wortes "Barmherzigkeit" ist, will die Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche, Edda Bosse, an diesem Begriff festhalten: "Da bin ich gerne ein bisschen altmodisch."

Patricia Averesch (epd)


Präses Rekowski ruft zu Spenden für "Brot für die Welt" auf

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, ruft zu Spenden für "Brot für die Welt" auf. Die evangelische Hilfsorganisation kämpfe dafür, "dass Kinder zur Schule gehen, Kleinbauernfamilien von ihrer Ernte leben können und Unterdrückte zu ihrem Recht kommen", schreibt Rekowski an einem am 21. Dezember veröffentlichten Brief an die 668 Kirchengemeinden der rheinischen Kirche.

Der Präses erklärte, es schmerze, dass Millionen Menschen in Armut lebten, verfolgt und ausgegrenzt würden. "Man könnte fast verzweifeln angesichts der vielen schrecklichen Nachrichten. Die Geschichte von Weihnachten hat eine andere Botschaft. Statt Verzweiflung und Ohnmacht schenkt sie Hoffnung und lässt uns tatkräftig werden", schreibt Rekowski und appellierte: "Unterstützen Sie die Arbeit von Brot für die Welt bei der Kollekte im Gottesdienst oder auch mit Ihrer Online-Spende, wenn Sie in den kommenden Tagen ein digitales Gottesdienst-Angebot nutzen."

Das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" befürchtet angesichts des Ausfalls vieler Weihnachtsgottesdienste und einer Begrenzung der Teilnehmerzahlen einen Rückgang bei den Einnahmen aus Kollekten. Die Organisation unterstützt als Entwicklungswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland mehr als 1.300 Projekte in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa. Schwerpunkte der Arbeit sind Ernährungssicherung, Bildung und Gesundheit, die Stärkung der Demokratie, Menschenrechte, die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie die Bewahrung der Schöpfung.



Katholischer Leitfaden für Trauerfeiern nach Katastrophen erschienen

Die Deutsche Bischofskonferenz hat eine Arbeitshilfe zum gottesdienstlichen Umgang der Kirche nach Katastrophen veröffentlicht. Sie diene als Handreichung für die Planung und Durchführung von Trauerfeiern und Gottesdiensten und richte sich an alle kirchlichen Akteure - vom Laien bis zum Priester, teilte die Bischofskonferenz am 21. Dezember mit.

Immer wieder erschütterten Katastrophen die Gesellschaft. Naturkatastrophen und Ereignisse aufgrund menschlichen Versagens zählten ebenso dazu wie gezielte Angriffe auf Leib und Leben anderer, so zum Beispiel die Amokläufe von Erfurt (2002) und Winnenden (2009), die Tsunami-Katastrophen von 2004 und 2011, das Loveparade-Unglück 2010 in Duisburg, der Germanwings-Absturz in den französischen Alpen 2015, der Amoklauf von München 2016 und der Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz kurz vor Weihnachten 2016.

"Angesichts solcher Taten und Geschehen ist es selbstverständlich und notwendig, dass die Kirche seelsorgerisch, aber auch betend und liturgisch präsent ist", schreibt der Trierer Bischof Stephan Ackermann als Vorsitzender der Liturgiekommission der Bischofskonferenz im Vorwort zur Broschüre, die auf der Internetseite der Bischofskonferenz zum Download bereitsteht.

Nach traumatisierenden Ereignissen komme auch den zentralen Gottesdiensten eine hohe gesamtöffentliche Bedeutung zu. Die kirchlichen Akteure stünden vor der Aufgabe, adäquat zu reagieren. Dazu gehöre auch die wachsende Erfordernis, bei Gedenk- und Trauerfeiern Angehörige anderer Religionen in geeigneter Weise einzubinden, so Ackermann.

Neben Fragen von Zeitpunkt und Form der Feier geht die Arbeitshilfe auch auf Fragen von Symbolik, Raum und Ritual sowie Angehörige, Notfalldienste und Opfer ein. Elemente einer Feier werden ebenso vorgestellt wie mögliche Räume für Trauergottesdienste. Auf die Corona-Pandemie nimmt die Broschüre nicht direkt Bezug.



Neue kirchliche Anlaufstelle für von Gewalt betroffene Frauen

Die katholische Kirche hat eine zentrale Anlaufstelle für von Gewalt betroffene Frauen eingerichtet. Diese biete ab sofort kostenlose und anonyme Beratung nach geistlichem oder sexuellem Missbrauch in kirchlichen Kontexten einschließlich der Orden, teilte die katholische Deutsche Bischofskonferenz am 22. Dezember in Bonn mit. Die Erst-Anlaufstelle sei über die Internetseite "www.gegenGewalt-anFrauen-inKirche.de" erreichbar. Sie werde getragen von der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz.

"Die neue Anlaufstelle schließt eine Lücke. Sie stellt eine weitere Konsequenz dar, die wir Bischöfe aus dem Missbrauch in seinen vielen Formen ziehen", sagte der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, der Vorsitzender der Unterkommission "Frauen in Kirche und Gesellschaft" der Deutschen Bischofskonferenz ist: "Ich bin sehr froh, dass die Anlaufstelle nun startet. Betroffene Frauen warten dringend auf ein solches Angebot."

Die Einrichtung der Anlaufstelle sei Ergebnis der Tagung "Gewalt gegen Frauen in Kirche und Orden", die Ende September 2019 in Siegburg stattfand, hieß es. "Viele der Frauen berichteten auf der Tagung, dass sie mit ihrem Anliegen, von den Taten zu berichten und Gerechtigkeit einzufordern, immer wieder an neue Personen weiterverwiesen wurden und dies als sehr belastend erlebten", erläuterte Aurica Jax, Leiterin der Arbeitsstelle für Frauenseelsorge.




Gesellschaft

Lebenslange Haft für Synagogen-Attentäter


Der Attentäter muss lebenslang hinter Gitter.
epd-bild/dpa-Zentralbild/Pool/Hendrik Schmidt
Der Synagogen-Attentäter von Halle muss lebenslang hinter Gitter. Einige Nebenkläger sind dennoch nicht ganz zufrieden mit dem Urteil.

Mit seinem Urteil ging das Oberlandesgericht Naumburg an die Grenze des Möglichen: Gut 14 Monate nach dem rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge von Halle ist der Attentäter Stephan B. am 21. Dezember zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Das Gericht verurteilte den 28-jährigen bekennenden Antisemiten unter anderem wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehr als 55 Fällen sowie wegen Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Volksverhetzung. Es wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. "Sie sind für die Menschheit gefährlich, und wenn sie ihre Grundhaltung nicht ändern, werden sie niemals mehr in Freiheit leben", sagte die Vorsitzende Richterin des Staatsschutzsenates, Ursula Mertens, in ihrer Urteilsbegründung.

Zuvor hatte Mertens dem Rechtsterroristen in ihren rund zweistündigen Ausführungen attestiert, dass es während der Tat bei ihm keine Hemmschwellen gab. Ihr fehlten die Worte, "das sachlich zu bewerten", wie es eigentlich ihre Aufgabe sei. Erstmals in ihrer Richterinnen-Tätigkeit habe sie beim Vortragen der Urteilsbegründung Mühe, die Fassung zu behalten.

25 Verhandlungstage

In der Urteilsbegründung sprach die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens von einer "abscheulichen, feigen und menschenverachtenden Tat". An 25 Verhandlungstagen habe man in menschliche Abgründe geschaut: "Dieses Verfahren stellt alles in den Schatten." B. habe aus niedrigsten Beweggründen, "auf allerniedrigster Stufe" und mit Heimtücke gehandelt, geprägt von Rassenhass und Antisemitismus. Sein Ziel sei gewesen, bei dem Anschlag am 9. Oktober 2019 möglichst viele Menschen zu töten. Dafür sei er komplex vorgegangen und habe jedes Hindernis beseitigt, das sich ihm in den Weg stellte.

An den Angeklagten gerichtet sagte Mertens: "Ihr Tatbild weicht von üblichen Mordfällen gravierend ab, deshalb kann ihre Schuld nicht nach 15 Jahren getilgt sein." B. sei ein fanatischer und ideologisch-motivierter Menschenfeind, vor dem die Gesellschaft geschützt werden müsse. Er sei ein Einzeltäter im Sinne des Strafgesetzbuches, der im Internet für seine kruden Verschwörungstheorien Verbündete gefunden habe und keinen "Anflug von Reue" zeige.

B. hatte am 9. Oktober 2019 versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen, um dort ein Blutbad anzurichten. Zu dem Zeitpunkt hielten sich dort 51 Menschen auf, um den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zu feiern. Der Rechtsterrorist scheiterte an der Tür zum Gelände. Darüber frustriert tötete er die zufällig vorbeikommende 40-jährige Passantin Jana L. mit Gewehrsalven in den Rücken. Anschließend fuhr zu einem Döner-Imbiss und erschoss dort den 20-jährigen Kevin S. Weitere Mordversuche scheiterten an einer klemmenden Maschinenpistole. Die Taten streamte der Rechtsterrorist live im Internet. Auf der Flucht vor der Polizei verletzte er weitere Menschen, darunter fünf Polizisten und ein Paar in einem Ort in der Nähe von Halle. Gefasst wurde er schließlich von zwei Polizisten, die sich dafür "kurzfristig in den Dienst versetzt hatten", wie es hieß.

Mit dem Urteil folgte das Oberlandesgericht den Forderungen von Bundesanwaltschaft und Nebenklägern. Der Pflichtverteidiger hatte für eine verminderte Schuldfähigkeit seines Mandanten plädiert und sich gegen eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen.

Lob für hartes Urteil

Politiker und zivilgesellschaftliche Organisationen begrüßten das Urteil, es dürfe jedoch kein Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Geschehnisse sein. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe, das Urteil gebe Trost, "darf uns aber nicht ruhen lassen". Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke, hofft, dass die Betroffenen das Geschehene nun besser verarbeiten können. Der Richterspruch mache deutlich, "dass mörderischer Hass auf Juden auf keinerlei Toleranz trifft", erklärte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sieht in dem Urteil einen Beweis für die Wehrhaftigkeit des Rechtstaates.

Auch die Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, begrüßte das Urteil. Die Höchststrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung sei die "richtige Antwort auf diese verabscheuungswürdige Tat aus antisemitischer Gesinnung", erklärte sie am Montag in Düsseldorf. Das Urteil gebe Vertrauen in die Justiz.

Kritik kam von einigen Nebenklägern. Die Anwältin Kati Lang, die Überlebende aus der Synagoge vertrat, kritisierte ein "entpolitisiertes und blasses" Urteil. Die Nebenklägerin Naomi Henkel-Guembel sagte, es gebe keinen Grund für Behörden und liberale Gesellschaft, sich nach dem Prozess auf die Schultern zu klopfen. Gebraucht werde "Zivilcourage statt Selbstgefälligkeit".



Lübcke-Prozess: Anklage fordert Höchststrafe für Stephan E.


Hauptangeklagter Stephan E.
epd-bild/dpa-Pool/Boris Rössler
Lebenslange Haft, Sicherheitsverwahrung: Die Bundesanwaltschaft fordert für Stephan E. die Höchststrafe. Sie wirft ihm heimtückischen Mord am ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und versuchten Mord am Flüchtling Ahmed I. vor.

Im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat die Bundesanwaltschaft für Stephan E. lebenslange Haft mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld sowie Sicherungsverwahrung gefordert. E. sei eines Mordes und eines versuchten Mordes aus rassistischer Gesinnung schuldig, sagte Bundesanwalt Dieter Killmer am 22. Dezember vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main.

Damit blieb die Bundesanwaltschaft in ihrem Schlussplädoyer bei ihren Anklagepunkten: Stephan E. (47) soll den früheren Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 allein heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen ermordet und den Asylbewerber Ahmed I. im Januar 2016 mit einem Messer versucht haben zu ermorden. Beide Taten seien "rechtsextremistische Anschläge gewesen", sagte Killmer. E bestreitet die Tat an Ahmed I.

Bundesanwalt spricht von rassistischem Weltbild

Der ebenfalls Angeklagte Markus H. (44) habe zur Ermordung Lübckes "psychische Beihilfe" ebenfalls aus niedrigen Beweggründen geleistet, ergänzte Bundesanwalt Daniel Otto am 40. Verhandlungstag. H. habe E. unter anderem in seinem rassistischen Weltbild und Hass immer wieder bestärkt, mit ihm Schießübungen gemacht und den Tod Lübckes billigend in Kauf genommen, hieß es weiter. E. habe die Tat zwar allein ausgeführt: "Aber in seinem Hass war er nicht alleine", sagte Killmer. Zum Ziel geworden sei der Politiker wegen seiner Werte und seines Eintretens für Flüchtlinge. Für die Beihilfe und den illegalen Waffenbesitz forderte Killmer insgesamt neun Jahre und acht Monate Haft für H.

Der Bundesanwalt geht weiterhin davon aus, dass H. bei der Tat gegen Lübcke nicht anwesend war. E. hatte während der Ermittlungen, in drei Vernehmungen bei der Polizei und auch während der 39 Verhandlungstage seine Schilderung der Vorgänge auf der Terrasse immer wieder geändert und sich in Widersprüche verstrickt. Seine letzte Version: Er habe geschossen, H. sei aber dabei gewesen. H. hat dazu bisher geschwiegen.

Killmer hält weiterhin die erste Version, wonach E. in der Tatnacht allein war, für "mehrheitlich glaubhaft". Sie sei lebhaft und mit zahlreichen Details und Täterwissen angereichert. Später habe sich E. hingegen in seinem Aussageverhalten taktierend verhalten und auch, entgegen seiner Ankündigung, die Fragen der Familie Lübcke nicht beantwortet. "Offenheit und Aufklärung sehen anders aus", sagte Killmer.

Zu Beginn seines Plädoyers hatte Killmer die Ermordung des Politikers Lübcke in politische, gesellschaftliche und persönliche Zusammenhänge eingeordnet. Es sei in Deutschland seit 1945 der erste Mord an einem Politiker aus rechtsextremistischen Motiven gewesen, sagte er.

Hetzkampagne gegen Lübcke

Im Zentrum des Hasses hat nach Ansicht der Anklage eine Äußerung des Politikers auf einer Bürgerversammlung zu einem Flüchtlingsheim im Oktober 2015 gestanden, bei der E. und H. waren: "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist." Nach Überzeugung der Anklage hat H. diese Aussage als Videoschnipsel im Internet verbreitet, Folge war eine jahrelange Hetzkampagne gegen Lübcke. Wegen dieses einen aus dem "Zusammenhang gerissenen Satzes" habe Lübcke sterben müssen, sagte Killmer.

Dem viereinhalbstündigen Plädoyer folgte der Angeklagte E. meist mit gesenktem Blick und im Schoß liegenden Händen. H. machte sich Notizen. Wie schon bei vielen Verhandlungstagen zuvor verfolgten auch die Witwe Lübckes und seine beiden Söhnen die Verhandlung.

Auch in der Tat gegen Ahmed I. , die E. bestreitet, sieht Killmer einen heimtückischen Mordversuch aus niederen Beweggründen. Nur durch Zufall sei der Asylbewerber nicht tödlich verletzt worden.

Killmer forderte zudem, gegen H. erneut einen Haftbefehl zu erlassen. In Bezug auf H. hatte der Staatsschutzsenat Anfang Oktober angeordnet, den Haftbefehl aufzuheben. Das Gericht konnte keinen dringenden Tatverdacht mehr erkennen, der eine weitere Untersuchungshaft gerechtfertigt hätte.

Der Prozess hatte Mitte Juni begonnen. Ab dem 12. Januar 2021 sollen Nebenklage und Verteidigung ihre Plädoyers halten, das Urteil ist für Ende Januar geplant.



Autor Anton Kutscher warnt vor Geschichtsvergessenheit

Der Krimi-Autor Volker Kutscher hält Geschichtsvergessenheit für gefährlich. "Ich war mir immer sicher, dass unsere Demokratie stabiler ist als die Weimarer. Heute bin ich es nicht mehr, es sitzen wieder Faschisten in deutschen Parlamenten", sagte der 58-jährige Schriftsteller dem evangelischen Monatsmagazin "chrismon" (Januar-Ausgabe). In solchen Fällen müsse man Zivilcourage zeigen: "Am gefährlichsten ist Gleichgültigkeit."

Er hoffe sehr, dass sich seine Leser die Frage stellten: "Wie konnte es passieren, dass 1933 dieses unvorstellbar brutale Nazi-Regime an die Macht kam?", sagte der im oberbergischen Lindlar geborene Kutscher, der mit seinen Gereon-Rath-Romanen die Vorlage für die TV-Serie "Babylon Berlin" lieferte.

Zu seinem Verhältnis zu Kirche und Religion sagte der Autor, er sei noch nicht aus der Kirche ausgetreten, obwohl er nicht im katholischen Sinne an Gott glaube. "Ich bin rheinisch-katholisch sozialisiert, nicht römisch-katholisch, und das heißt: Lass die reden in Rom, wir machen das so, wie wir es für richtig halten." Wenn er allerdings sehe, wie die Kirche mit den Missbrauchsfällen umgehe, falle es ihm schwer, diese Einstellung durchzuhalten.



Interner Brief: Seehofer drängte auf schärfere Regeln für Seenotretter


Horst Seehofer (Archivbild)
epd-bild/ddp-Pool/Andreas Gora

Ein internes Schreiben des Bundesinnenministeriums hat die zivilen Seenotretter der Hilfsorganisation Sea-Eye auf den Plan gerufen. Das Schriftstück belege, wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Anfang Mai überzeugen wollte, deutsche Seenotretter unter Druck zu setzten, teilte die Regensburger Organisation Sea-Eye am 24. Dezember mit. Der Innenminister mache sich laut Sea-Eye darin die Argumentation der italienischen Behörden zu eigen.

In dem Brief bitte Seehofer den Bundesverkehrsminister darum, der italienischen Perspektive zu folgen, "um so schließlich die Seenotrettung unter deutscher Flagge zu erschweren", sagte Sea-Eye-Vorsitzender Gorden Isler. Sea-Eye rekonstruierte den zeitlichen Ablauf ihrer sechswöchigen Mission im April und brachte nun das Schreiben vom 7. Mai mit dem Einsatz ihres Schiffes "Alan Kurdi" in Verbindung. Der Name des Schiffes wurde in dem Schreiben zwar geschwärzt, es könne sich aber nur um dieses Schiff handeln, da es zu dieser Zeit im Mittelmeer im Einsatz war.

Seehofer argumentiere, dass er um die internationalen Beziehungen zu Italien besorgt sei. "Es besteht nach meiner Auffassung eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Anforderungen an die Ausrüstung von Frachtschiffen, welche im vorliegenden Falle an das Schiff angelegt werden, und den tatsächlichen Erfordernissen, welche in der selbsterklärten Mission des Schiffes liegen", schrieb der Innenminister in dem Brief, der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Da das Schiff regelmäßig viele Menschen rette, müssten strengere Regeln gelten als für normale Frachtschiffe. So seien die Abwassertanks nur für die Besatzung ausgelegt, nicht aber für die hohe Zahl an Flüchtlingen an Bord.

Zurzeit liegt die "Alan Kurdi" in einem spanischen Hafen und wird überholt, um die behördlichen Auflagen zu erfüllen. Die zivilen Seenotretter sprechen von einer "gezielten Kampagne". Der Brief belege, "dass der Bundesinnenminister keine Anstrengungen unternimmt, um Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren", sagte Sea-Eye-Vorsitzender Isler. "Wer um die Sicherheit der Menschen besorgt ist, der schickt Schiffe und diskutiert nicht mit Seenotrettern über Sanitäranlagen."



NRW zahlt Kommunen mehr für Flüchtlinge und Geduldete


Joachim Stamp
epd-bild/Hans-Jürgen Bauer
Mehr Geld sollen die Kommunen in NRW vom Land für Flüchtlinge und Geduldete erhalten. Ein guter Schritt, sagen die Städte und zeigen sich erleichtert über die Einigung nach zähem Ringen. Doch die Kosten würden noch immer nicht vollständig gedeckt.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich mit den Städten auf eine neue Kostenverteilung bei der Unterbringung von Flüchtlingen geeinigt. Auch bei der Kostenerstattung für Geduldete wolle das Land sich deutlich stärker als in der Vergangenheit an den Kosten für die Kommunen beteiligen, teilte Flüchtlings- und Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) am 21. Dezember in Düsseldorf mit. Mit den kommunalen Spitzenverbänden sei im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen zur Migrationspolitik und der Neuregelung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes (FlüAG) vor allem die Pauschale des Landes für die Unterbringungskosten der Flüchtlinge angehoben worden.

Auf der Grundlage eines Gutachtens wird die Pauschale der Unterbringungskosten von Flüchtlingen von derzeit 10.392 auf 10.500 Euro für kreisangehörige Gemeinden und auf 13.500 Euro für kreisfreie Städte angehoben, wie Minister Stamp erläuterte. Zudem erhalten Kommunen für künftig Geduldete, also Ausreisepflichtige, die aber etwa aus Krankheitsgründen nicht abgeschoben werden können, eine Einmalpauschale von 12.000 Euro. Diese Pauschale entspreche einer Verlängerung des Zahlungszeitraums von derzeit maximal drei auf 14 Monate nach Eintritt der Ausreisepflicht, erklärte der Minister.

Zahl der "Bestandsgeduldeten" soll erheblich reduziert werden

Land und Kommunen vereinbarten zudem, dass die Zahl der sogenannten Bestandsgeduldeten erheblich reduziert werden soll. Dabei wolle das Land die Kommunen bei der Rückführung noch intensiver unterstützen, hieß es. Zugleich würden die kommunalen Ausländerbehörden die Möglichkeiten, gut integrierten Geduldeten ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erteilen, "konsequent prüfen und die vorhandenen Spielräume ausschöpfen".

Das Land unterstützt die Kommunen zur Finanzierung der Bestandsgeduldeten mit jeweils 175 Millionen Euro in den kommenden zwei Jahren. Anfang 2023 erfolge dann eine Neubewertung der Situation, hieß es. Bereits jetzt aber sage das Land den Kommunen für die Jahre 2023 und 2024 eine Unterstützung von jeweils 100 Millionen Euro zu.

Der Vorsitzende des Städtetags NRW, der Bielefelder Oberbürgermeister Pit Clausen (SPD), begrüßte, dass sich das Land auf die Kommunen zubewegt habe. Die Kommunen seien zudem froh, nach langen Verhandlungen endlich eine Neuregelung erreicht zu haben. Doch einige wichtige Forderungen der Städte würden nicht erfüllt, kritisierte Clausen. Das Land stelle zwar, auch unter Berücksichtigung der Belastungen aus den vergangenen Jahren, ab kommendem Jahr bis 2024 insgesamt 550 Millionen Euro für langjährig Geduldete zur Verfügung, bilanzierte der Städtetags-Vorsitzende. Doch selbst mit diesem Betrag würden die finanziellen Lasten nicht vollständig ausgeglichen.

Einmalige Pauschale von 12.000 Euro

Positiv bewertet der kommunale Spitzenverband die neue einmalige Pauschale von 12.000 Euro vom Land für neu hinzukommende geduldete Flüchtlinge. Diese neue Pauschale habe einen deutlich längeren Versorgungszeitraum der Geduldeten ab der Ausreisepflicht im Blick als die bislang berücksichtigten drei Monate. Als bedauerlich hingegen bewertet der Städtetag NRW, dass die Landesregierung lediglich bei zwei Pauschalen bei der Wohnkostenunterbringung für Flüchtlinge geblieben sei. Dabei habe von den kommunalen Spitzenverbänden ein Alternativkonzept vorgelegen, das bei den Wohnkosten "feiner zwischen den Kommunen differenziert" und die tatsächliche Belastung der Städte besser hätte abbilden können.

Die Städte bekräftigten ihre Forderung, dass das Land künftig Rückführungen in andere EU-Länder beziehungsweise Abschiebungen in Herkunftsländer zentral organisieren solle. "Nur wenn das Land da deutlich mehr Verantwortung übernimmt, kann der einheitliche und effektive Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen sichergestellt werden", erklärte Clausen. Nur dann könnten die Rückführungszahlen entscheidend gesteigert werden.

Bis zum 30. Juni bezifferte das Integrationsministerium die Rückführungen und Abschiebungen seit Jahresbeginn auf 1.315. Betroffene Hauptherkunftsländer waren vor allem Albanien, Serbien, Georgien und Marokko. Die Zahl der Ausreisepflichtigen belief sich Ende Juni in NRW auf insgesamt 73.923, davon besitzen 63.202 eine Duldung.



Asylverfahren in Ankerzentren dauern länger als im Durchschnitt

Asylverfahren in sogenannten Ankerzentren dauern entgegen den politischen Absichten derzeit länger als im Durchschnitt. Zwischen Antragstellung und Entscheidung der Behörde in einem Ankerzentrum lagen demnach zwischen Januar und November 2020 durchschnittlich 8,5 Monate, wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Die durchschnittliche Dauer aller Asylverfahren in diesem Zeitraum lag bei 8,3 Monaten.

Insgesamt ist die durchschnittliche Dauer von Asylverfahren in diesem Jahr gestiegen. 2019 lag sie den Angaben nach noch bei 6,1 Monaten. Das Innenministerium begründete diese Entwicklung in erster Linie mit der Corona-Pandemie. So sei zwischenzeitlich die Zustellung von ablehnenden Bescheiden fast gänzlich eingestellt worden, weil während der Pandemie die Möglichkeiten der Antragstellenden begrenzt gewesen seien, gegen die Entscheidung vorzugehen. Zum anderen seien 2020 viele Altfälle abgeschlossen worden, die den Schnitt der Verfahrensdauer nach oben getrieben hätten. Zuerst hatten die Zeitungen der Funke Mediengruppe (25. Dezember) darüber berichtet.

"Anker" steht für Ankunft, kommunale Verteilung, Entscheidung und Rückführung. Die im Jahr 2018 eingerichteten Zentren sind ein wichtiger Bestandteil der Flüchtlingspolitik von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Seiner Idee nach sollen Asylsuchende dort bleiben, bis sie einen Aufenthaltsstatus haben oder nach Ablehnung des Asylantrags das Land verlassen. Neben dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Ausländerbehörden sind auch die Bundesagentur für Arbeit und andere für die Integration relevante Behörden in den Zentren vertreten. Flüchtlingsorganisationen kritisieren die Einrichtungen, in denen auch Kinder mit ihren Eltern untergebracht werden.

Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Jelpke, bezeichnete die überdurchschnittlich lange Verfahrensdauer in den Ankerzentren als eine "desaströse Bilanz" für Innenminister Seehofer. "Angeblich sollten Asylverfahren in sogenannten Ankerzentren erheblich schneller sein. Doch das Gegenteil ist richtig, wie sich jetzt zeigt", sagte sie den Funke-Zeitungen. Die wahre Funktion der Lager sei Abschreckung, kritisierte sie: "Asylsuchende werden auf engstem Raum zusammengepfercht, sie sollen von unabhängigen Beratungsstrukturen und der unterstützenden Zivilgesellschaft abgeschnitten werden."



EU: Zahl der Asylanträge um ein Drittel gesunken

Die Zahlen der Asylbewerber in Deutschland sowie in der Europäischen Union sind in diesem Jahr um etwa ein Drittel gesunken. In Deutschland wurden von Januar bis Ende November 93.710 Erstanträge auf Asyl registriert, wie aus Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat hervorgeht. Im ganzen Jahr 2019 waren es noch 142.450 gewesen, im Jahr davor 161.885. Für alle 27 EU-Staaten zusammen ergibt sich aus der Statistik ein ähnlicher Rückgang: Bis Ende November gibt die EU-Statistikbehörde 370.745 Anträge an, im Vorjahr waren es 675.535. Über die Auswertung hatten zuerst die Zeitungen der Funke Mediengruppe (25. Dezember) berichtet.

Die Bundesrepublik bleibe auch 2020 das wichtigste Zielland von Asylbewerbern in Europa mit rund 24 Prozent aller Erstanträge in den ersten neun Monaten, berichteten die Funke-Zeitungen. Dahinter rangierten Spanien mit fast 23 Prozent (70.655) der Anträge und Frankreich mit 19 Prozent (58.468). Auf die drei EU-Staaten Deutschland, Frankreich und Spanien entfielen zusammen zwei Drittel aller Erstanträge auf Asyl in den 27 EU-Staaten. Die wenigsten Asylbewerber in der EU meldete Ungarn mit lediglich 70 Erstanträgen von Januar bis Ende September.

Grund für den Rückgang der Asylbewerber-Zahlen sei offenkundig die Corona-Krise, hieß es. Vor dem Lockdown im März war noch ein Anstieg festgestellt worden. Mit dem Lockdown brachen die Zahlen dramatisch ein.



Schrittmacher für Wirtschaft und Kultur


Innenraum der Synagoge in Köln
epd-bild/Herby Sachs
Im Jahr 2021 geht es mit zahlreichen Veranstaltungen um 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Am Anfang stand ein Edikt des römischen Kaisers.

Die Juden in Köln dürften kaum begeistert gewesen sein: Im Jahr 321 verfügte der römische Kaiser Konstantin, dass sie fortan von städtischen Verwaltungsämtern nicht mehr befreit sein sollten. Mit diesen Ämtern verbunden war die Pflicht, dem Kaiser als Gott zu opfern - für fromme Juden war das verbotener Götzendienst. Aus heutiger Sicht ist die Urkunde aus einem anderen Grund etwas Besonderes: Sie gilt als erster Nachweis für jüdisches Leben nördlich der Alpen und ist Anlass für das Themenjahr "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland".

Mit zahlreichen Veranstaltungen wird es 2021 in Nordrhein-Westfalen, aber auch bundesweit begangen. "Gerade in Zeiten eines wieder wachsenden dumpfen Antisemitismus ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass jüdisches Leben über viele Jahrhunderte hinweg die Gesellschaft, Kultur und Wissenschaft in Deutschland bereichert haben", betonte Matthias Löb vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe bei der Präsentation des NRW-Veranstaltungsprogramms.

Blütezeit jüdischen Lebens im Mittelalter

Das Edikt des Kaisers spricht dafür, dass Juden vor 1.700 Jahren in Köln schon eine gewisse Bedeutung für das öffentliche Leben hatten: "Es muss Juden gegeben haben, die so angesehen und finanzkräftig waren, um diese Ämter auszufüllen", erklärt die Frankfurter Judaistin Elisabeth Hollender. Denn für ein Amt im römischen Imperium bekam man kein Geld - im Gegenteil, so eine Tätigkeit war teuer.

Eine Blütezeit erlebte das Judentum in Deutschland im Mittelalter. Die Aschkenasim, wie die Juden in Deutschland hießen, waren in Bischofs- und Reichsstädten gerngesehene Bewohner. Die Oberhirten wie die Könige verliehen ihnen Handelsprivilegien. Wirtschaftlich und kulturell brachten Juden das mittelalterliche Europa ungemein voran. Viele von ihnen arbeiteten im 11. Jahrhundert als Fernhändler und hatten Kontakte in den Orient. Auch für die Entwicklung der Städte waren Juden Schrittmacher: Vieles von dem, was sie als Händler erwirtschafteten, machte die Städte wohlhabend.

In den Schum-Städten - so werden Speyer, Worms und Mainz nach ihren hebräischen Anfangsbuchstaben zusammengefasst - entstanden ab dem Jahr 1000 wichtige Gelehrtenschulen. Die Unesco entscheidet 2021 darüber, ob die drei Städte in die Welterbe-Liste aufgenommen werden. Die geistige Offenheit des abendländischen aschkenasischen Judentums, die nationale, religiöse und kulturelle Grenzen überschritten habe, könne heute ein Vorbild für die Gesellschaften in Europa sein, sagt der Judaist Werner Transier.

Pogrome

Beim Beginn der Kreuzzüge wurden Juden in Deutschland ab 1096 erstmals Opfer flächendeckender systematischer Gewalt. Fanatisierte Kreuzfahrer plünderten jüdische Gemeinden im Rheingebiet, ermordeten deren Mitglieder oder zwangen sie zur Taufe.

Die wirtschaftliche Bedeutung der Juden in den Städten stieg in den nächsten Jahrhunderten weiter, gleichzeitig aber auch die Missgunst christlicher Nachbarn: Verleumdungen über angeblichen Hostienfrevel oder Ritualmorde machten ab dem 13. Jahrhundert die Runde, wieder gab es Pogrome. Richtig schlimm wurde die Gewalt mit dem Ausbruch der Pest ab 1347, Juden wurden zu Sündenböcken gestempelt. Rund 300 der knapp 360 jüdischen Gemeinden in Deutschland erloschen.

Auch die Reformation brachte den Juden keine Erleichterung. Martin Luther (1483-1546) wetterte gegen das Judentum und warnte die Obrigkeiten, dass sie den Zorn Gottes auf sich ziehen würden, wenn sie Juden in ihren Territorien duldeten. Städte und Fürsten vertrieben während der Frühen Neuzeit die Juden zwar meist nicht, erließen aber Judenordnungen, die mit Einschränkungen verbunden waren.

Emanzipationsschub und Bürgerrechte

Ein Emanzipationsschub kam Anfang des 19. Jahrhunderts von außen: Als Napoleon halb Europa eroberte, bekamen Juden volle Bürgerrechte. Aber nachdem er 1815 besiegt war, kassierten die Fürsten und Städte diese Rechte wieder zum Großteil ein. Erst mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 wurden Juden überall in Deutschland zu vollständig gleichberechtigten Bürgern.

Zugleich wuchs der Antisemitismus. Deutschlands Wirtschaft industrialisierte sich schnell, das produzierte viele Verlierer unter Bauern und Arbeitern. Auf der Suche nach Schuldigen kam man schnell auf die Juden.

Die Verfolgung und systematische Ermordung von Juden durch die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 war ein beispielloses Verbrechen in der deutschen Geschichte. Die Nationalsozialisten drängten zunächst Juden aus dem öffentlichen Leben, boykottierten ihre Geschäfte, verhängten Berufsverbote. Mit den Rassegesetzen 1935 nahmen sie ihnen bürgerliche Rechte. Ab 1941 begann der Massenmord an den europäischen Juden im industriellen Tötungssystem der sogenannten Konzentrationslager, insgesamt rund sechs Millionen Männer, Frauen und Kinder wurden getötet.

Heute leben rund 95.000 Juden in Deutschland

Nach dem Krieg lebten nur noch etwa 23.000 Juden in Deutschland, die meisten im Westen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts wanderten dann viele Juden aus der ehemaligen UdSSR nach Deutschland ein. Heute leben rund 95.000 Juden in Deutschland. Die Judenfeindlichkeit allerdings nimmt laut einem Lagebild des Verfassungsschutzes vom August zu und ist besonders unter Rechtsextremisten vertreten. Die Zahl der antisemitischen Gewalttaten hat sich zwischen 2017 und 2019 nahezu verdoppelt.

"Jüdische Menschen waren Teil dieses Landes, und sie sind es heute wieder", sagt Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. "Damit das so bleibt, bleibt noch viel zu tun. Aber: 1.700 Jahre gemeinsame Tradition darf man feiern - ebenso wie die gemeinsame Gegenwart und Zukunft."

Nils Sandrisser (epd)


"Wir haben nach wie vor einen Exotenstatus" - Jüdische Blicke auf das Leben in Deutschland

Mit zahlreichen Veranstaltungen wird 2021 an 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland erinnert. Im Jahr 321 hatte der römische Kaiser Konstantin Juden den Zugang zu Ämtern in der Kurie und der Stadtverwaltung Köln erlaubt. Dieses Edikt gilt als die früheste erhaltene schriftliche Quelle für jüdisches Leben nördlich der Alpen. Der Evangelische Pressedienst (epd) hat jüdische Frauen und Männer unterschiedlicher Generationen nach ihrer persönlichen Sicht auf das Leben von Juden in Deutschland und das Jubiläumsjahr gefragt.

* ANNA STAROSELSKI (geb. 1996), Präsidentin Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD): "Jüdinnen und Juden in Deutschland prägten die deutsche Gesellschaft über Jahrhunderte und trieben sie mit voran. Jüdisches Leben in Deutschland bedeutet mehr als die Jahre zwischen 1933 und 1945. Wir haben genug vom Opfernarrativ und wollen nicht bloß mit der Schoah und dem Antisemitismus assoziiert werden. Dabei war der Judenhass jedoch nie besiegt. Er gehört nachweislich bei 20 Prozent der Deutschen zu ihrem Gedankengut."

* CHARLOTTE KNOBLOCH (geb. 1932), Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und frühere Präsidentin des Zentralrates der Juden: "Jüdisches Leben in Deutschland, das sind Jahrhunderte des Miteinanders, ein unendlich tiefer Bruch und ein sehr langsames Wieder-Zusammenfinden. Für mich persönlich ist es vor allem die Geschichte des Ankommens und davon, in der eigenen Heimat wieder zu Hause zu sein. Jüdische Menschen waren Teil dieses Landes, und sie sind es heute wieder. Damit das so bleibt, bleibt noch viel zu tun. Aber: 1700 Jahre gemeinsame Tradition darf man feiern - ebenso wie die gemeinsame Gegenwart und Zukunft!"

* ANETTA KAHANE (geb. 1954), Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin: "Zuletzt saß ich in einem Online-Meeting mit lauter jungen, jüdischen Leuten, verteilt in ganz Deutschland. Ursprünglich kommen die meisten aus der ehemaligen Sowjetunion oder aus Rumänien. Beim Anblick dieser Menschen, die allesamt ein selbstbewusstes und vitales Judentum repräsentieren, habe ich mich sehr gefreut. Gleichzeitig habe ich mich erinnert an die Zeit, als ich jung war. Als junge Jüdin in der DDR aufzuwachsen, brachte ein ganz anderes Lebensgefühl mit sich: Es war beklemmend und eng. Jüdisches Leben wurde zwar nicht geächtet, aber auch tabuisiert, man hat einfach nicht darüber gesprochen. Heute können Juden und Jüdinnen zwar offen mit ihrer Identität umgehen, müssen sich dann aber auch oft rechtfertigen: für zum Beispiel die israelische Politik. Insgesamt beobachte ich noch immer eine große Hemmung von Nicht-Juden im Umgang mit Juden. Wir haben nach wie vor einen Exotenstatus."

* BEN SALOMO (JONATHAN KALMANOVICH), (geb. 1977), Rapper und Autor: "Wenn ich an jüdisches Leben in Deutschland denke, fallen mir sofort diese Zeilen aus meinem neuen Song 'Deduschka' ein: 'Wie viele Mahnmale braucht es noch, bis uns die letzte Träne aus den Augen tropft? Jüdisches Leben? Genau genommen, Synagogen, Museen, wie ausgestopft. Oder hinter schusssicherem Panzerglas, bereit für den Nächsten, der einen Anschlag plant! Warten auf das nächste Massaker, als Israelkritik getarnt, das darf man ja ...'."

* ARKADIJ KHAET (geb. 1991), Regisseur und Drehbuchautor ("Masel Tov Cocktail"): "Nach dem Lutherjahr jetzt das Judenjahr. Was für ein Viertel der antisemitisch denkenden Deutschen wie eine Drohung klingen mag, ist eine gut gemeinte Initiative. Aber während jüdische Einwanderinnen und Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion noch immer im Rentenrecht benachteiligt werden und geradewegs in die Altersarmut steuern, klopft Deutschland sich auf die Schulter: für Artenschutz und die stabile Eichentür. Danke Kaiser Konstantin."

Elisa Makowski (epd)


Fast 300 politisch motivierte Gewaltstraftaten mit Corona-Bezug

Ein Blick in die Kriminalstatistik weist auf zahlreiche politische Gewaltdelikte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hin. Doch vieles bleibt im Dunkeln, vor allem die Entwicklung der "Querdenken"-Bewegung.

Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hat das Bundeskriminalamt seit März fast 300 politisch motivierte Gewaltstraftaten verzeichnet. Die Täter kommen sowohl aus dem rechten wie auch dem linken Spektrum, wie das Bundesinnenministerium auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilte, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. In dem am 22. Dezember bekanntgewordenen Schreiben vermeidet die Bundesregierung konkrete Aussagen zur Radikalisierung der "Querdenken"-Bewegung und verweist auf die Zuständigkeit der Landesämter für Verfassungsschutz.

Als erstes Bundesland hatte Baden-Württemberg Anfang des Monats mitgeteilt, dass das dortige Landesamt Teile der "Querdenken"-Bewegung beobachtet. Es gebe Anhaltspunkte für eine extremistische Bestrebung, hieß es zu Begründung.

In der Antwort auf die Anfrage der Linken schreibt das Bundesinnenministerium, bei den "Querdenkern" träten auch Extremisten, "Reichsbürger" und Personen mit ähnlicher Gesinnung in Erscheinung. Doch habe sich das "heterogene Demonstrationsgeschehen" gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bislang nicht insgesamt radikalisiert. Jedoch ließen "sich aber immer wieder einzelne Aspekte einer zunehmenden Radikalisierung von Teilen des Teilnehmerspektrums erkennen", heißt es wörtlich.

Zunächst hatte die "Neue Osnabrücker Zeitung" über die Gewaltstraftaten mit Corona-Bezug berichtet. Dazu zählen vor allem Angriffe gegen den Staat und öffentliche Einrichtungen in Form von Landfriedensbruch, aber auch Übergriffe gegen Polizisten. Allerdings ist die Statistik nur bedingt aussagekräftig. Zum Protest gegen staatliche Corona-Eindämmungsmaßnahmen gebe es keine bundesweite Begrifflichkeit, nach der Delikte gemeldet werden könnten, schreibt das Ministerium.

Statistik nur bedingt aussagekräftig

In der Statistik würden Fälle nur mit dem Begriff "Corona" vermerkt und dann dem Feld "links", "rechts" und "nicht zuzuordnen" zugeordnet. Somit fielen zum Beispiel Taten aus der "Querdenken"-Bewegung und von Kritikern der Corona-Eindämmungsmaßnahmen genauso in diese Kategorie wie etwa die Taten von linken Gegendemonstranten, die gegen die Veranstaltungen von "Querdenken" auf die Straße gehen. Die Innenexpertin der Linken, Ulla Jelpke, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "So wie die Bundesregierung bei ihrer Antwort rumeiert, scheint sie vom Phänomen der sogenannten Querdenker schlicht überfordert zu sein."

Den Angaben nach hat das Bundeskriminalamt rund um das Thema Corona-Pandemie von Anfang März bis Ende November bundesweit 297 Gewaltstraftaten erfasst. Der größte Teil der politisch motivierten Delikte, nämlich 160, wurde dabei dem linken Spektrum zugeordnet. 48 Taten wurden aus dem rechten Spektrum heraus verübt, 89 waren keinem der beiden Bereiche zuzuordnen. Darunter fielen ein versuchtes Tötungsdelikt, 82 Körperverletzungen, drei Sprengstoffdelikte, 136 Fälle von Landfriedensbruch und 65 Widerstandsdelikte.

Zudem vermerkte die Statistik von März bis Ende November 200 Fälle von Sachbeschädigung. Dazu kamen 277 politisch motivierte Straftaten mittels Internet. Wie das Innenministerium erläutert, ist mit Nachmeldungen in der Statistik zu rechnen. Zudem stehe zu befürchten, dass sich angesichts der Verschärfung der Schutzmaßnahmen gegen Corona weitere Menschen radikalisieren.



Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Staatsanwalt

Dass gegen den Vertreter einer Staatsanwaltschaft ermittelt wird, kommt selten vor - in Oldenburg ist es jetzt der Fall. Hintergrund ist eine Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt.

Nachdem ein Staatsanwalt vor dem Landgericht Oldenburg in einem Plädoyer aus religiösen Gründen eine milde Strafe wegen Kindesmisshandlung gefordert haben soll, wird nun straf- und disziplinarrechtlich gegen ihn ermittelt. Das strafrechtliche Verfahren werde aus Neutralitätsgründen von der Staatsanwaltschaft in Osnabrück geführt, sagte eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft in Oldenburg am 23. Dezember dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Laut Generalstaatsanwaltschaft ist mittlerweile ein behördeninternes Disziplinarverfahren gegen den Anklagevertreter eingeleitet worden. Das Verfahren ruht aber, weil zwischenzeitlich auch die Strafanzeige einer Privatperson wegen Strafvereitelung im Amt eingegangen ist. Zu dem Ermittlungsverfahren sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft in Osnabrück, zunächst müssten die Akten ausgewertet werden, die allerdings noch nicht vollständig in Osnabrück eingetroffen seien.

Nach einem Bericht der "Oldenburger Nordwestzeitung" vom Oktober hat sich der Staatsanwalt für einen 55-jährigen Familienvater eingesetzt, der nachweislich seine Kinder geschlagen hatte. Der Ankläger habe sich dabei auf den Bibelsatz berufen "Wer sein Kind liebt, der züchtigt es", berichtete das Blatt. Der Staatsanwalt relativierte die Taten des Familienvaters nach Angaben der Zeitung auch mit den Worten, es sei noch gar nicht so lange her, da sei das Schlagen der eigenen Kinder erlaubt gewesen. Die Vorsitzende Richterin habe fassungslos auf diese Argumente reagiert.

"Religiöse Begründungen gehören nicht in ein Plädoyer", erklärte daraufhin die Oldenburger Staatsanwaltschaft in einer Stellungnahme. Es dürfe kein Zweifel an staatlicher Neutralität gegenüber den Religionen aufkommen. "Und schon gar nicht dürfen religiöse Erwägungen sich gegen gesetzliche Vorgaben wenden und begangenes Unrecht relativieren."

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft in Oldenburg, Matthias Hirschmann, hatte im Oktober dem epd gesagt, vor Gericht sei zu den Äußerungen zwar kein Wortprotokoll geführt worden, aber "sinnhaftig wird das nicht in Abrede gestellt". In seiner Erklärung zu dem Plädoyer schrieb er, Kinder hätten ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperverletzungen gegen Kinder seien im besonderen Maße Unrecht und dies müsse auch in einem Plädoyer deutlich werden: "Der hier vermittelte Eindruck, Gewalt als Mittel der Kindererziehung sei akzeptabel oder als Bagatellvergehen zu behandeln, ist falsch."



Laschet bittet Angehörige von Corona-Opfern um Verzeihung

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat Angehörige von Menschen, die während der coronabedingten Isolation in Heimen gestorben sind, um Verzeihung gebeten. "Im Frühling sind viele Menschen allein gestorben, weil die Heime abgeriegelt wurden", sagte Laschet dem Magazin "Spiegel". "Das ist ein Schaden, den wir nicht wiedergutmachen können. Irreparabel. Nicht korrigierbar", sagte er. "Da können wir Verantwortlichen in der Politik die Angehörigen nur um Verzeihung bitten."

Laschet bekräftigte trotz hoher Infektionszahlen in Alten- und Pflegeheimen, dass die Einrichtungen für Besucher offen gehalten werden sollten, besonders über die Weihnachtstage: "Menschen in Heimen sterben nicht nur am Virus. Manche sterben auch, weil sie den Lebensmut verloren haben, sie sterben aus Einsamkeit."



Schulen: Land NRW setzt im neuen Jahr auf Stufenmodell

Mit einem "Stufenmodell" will das NRW-Schulministerium auch im kommenden Jahr dafür sorgen, dass der Präsenzunterricht an den Schulen der Regelbetrieb bleibt. Die Pläne stoßen auf ein geteiltes Echo.

Mit einem "Stufenmodell" in den Schulen möchte das NRW-Schulministerium den Unterrichtsstart auch bei weiterhin anhaltenden Corona-Infektionen im kommenden Jahr sicherstellen. In der ersten Stufe findet landesweit Präsenzunterricht unter Berücksichtigung der aktuellen Vorgaben des Corona-Infektionsschutzes statt, wie Ministerin Yvonne Gebauer (FDP) am 21. Dezember in Düsseldorf erklärte. In Stufe 1+ seien Erweiterungen für besonders vom Infektionsgeschehen betroffene Schulen in Kommunen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz ab 200 vorgesehen. Das könne dann zum Beispiel ein Wechselmodell von Präsenz- und Distanzunterricht ab der Jahrgangsstufe 8 sein, allerdings mit Ausnahme der Abschlussklassen.

Stufe 2 greift bei einem erhöhten Infektionsgeschehen und macht eine Grundsatzentscheidung der Landesregierung erforderlich. Sie kann landesweit einen eingeschränkten Schulbetrieb beispielsweise mit einem Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht ab der Jahrgangsstufen 8 (außer bei den Abschlussklassen) vorsehen. Bei einer besonders kritischen Infektionslage könne es zudem notwendig werden, dass die Landesregierung über noch weitergehende Einschränkungen entscheiden müsse. Sie hoffe aber, diese verschärften Maßnahmen nicht gefällt werden müssen, betonte die Ministerin.

Schulbetrieb soll am 11. Januar starten

Gebauer geht davon aus, dass auf Basis des Stundenplans der Schulbetrieb ab dem 11. Januar wiederaufgenommen werden kann. Zuvor gebe es noch eine Kultusministerkonferenz am 4. Januar zu dem Thema und am 5. Januar eine Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs mit der Bundeskanzlerin. "Mit unserem derzeitigen Stufenmodell kommen wir dem Wunsch vieler Schulen nach größtmöglicher Planungssicherheit und einer frühzeitigen Information nach", betonte sie. Am 7. Januar sollten die Schulen über das weitere Vorgehen informiert werden. Die vom Deutschen Kinderschutzbund geforderte Verlängerung der Weihnachtsferien bis Ende Januar lehnte Gebauer als "nicht praktikabel" ab.

Nach Ansicht von Gebauer hat sich die Entscheidung des Ministeriums bewährt, in den Schulen unter Berücksichtigung der Hygieneregeln auf Präsenzunterricht zu setzen. So hätten im bisherigen ersten Schulhalbjahr zwischen 95 und 99 Prozent der Schülerinnen und Schüler den analogen Unterricht besucht. Bei den Lehrkräften hätten lediglich drei bis sieben Prozent in den Distanzunterricht gewechselt.

SPD spricht von einer "180-Grad-Wende"

Bei den Lehrerverbänden stießen die Pläne der Ministerin auf ein geteiltes Echo. Es sei gut, dass für die Jüngeren weiter Präsenzunterricht gelte, sagte der Präsident des nordrhein-westfälischen Lehrerverbands, Andreas Bartsch, der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (22. Dezember). "Schüler ab Klasse 8 bekommen auch selbstständig den Wechselunterricht hin." Deutliche Kritik äußerte dagegen die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in NRW. Das Ministerium ignoriere den "Ernst der Lage" und vermeide "klare und mutige Entscheidungen", erklärte die Gewerkschaft. Inhaltlich böten "die Szenarien nichts Neues und schränken die Handlungsmöglichkeiten der Verantwortlichen vor Ort eher ein."

Die SPD im Düsseldorfer Landtag sprach von einer "180-Grad-Wende". "Damit schwenke Schulministerin Gebauer endlich auf Alternativmodelle wie den Solinger Weg ein, die sie bisher so vehement abgelehnt hätte, erklärte der Vizefraktionsvorsitzende Jochen Ott. Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Sigrid Beer, monierte, dass der Stufenplan "hinter den drängenden Notwendigkeiten" zurückbleibe. "Ministerin Gebauer bewegt sich nur zögerlich und in Trippelschritten", sagte Beer.



Gericht: Ausgangssperre in Solingen ist zulässig

Die nächtliche Ausgangsbeschränkung für die Stadt Solingen ist laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zulässig. Die entsprechende Allgemeinverfügung der Stadt, mit der im gesamten Stadtgebiet eine Ausgangssperre für die Zeit zwischen 22 und 5 Uhr angeordnet wird, sei rechtmäßig, erklärte die 26. Kammer des Verwaltungsgerichts in einem Beschluss vom 22. Dezember und lehnte damit den Eilantrag eines Solinger Bürgers ab (AZ: 26 L 2603/20). Nach Ansicht der Richter ist die Entscheidung der Kommune durch die Voraussetzungen des Infektionsschutzgesetzes gedeckt.

Demnach liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in Solingen seit Wochen oberhalb von 200. Die bisher geltenden Coronaschutz-Auflagen hätten nicht dazu geführt, diese Inzidenz auch nur annähernd auf den vom Gesetzgeber angestrebten Wert von maximal 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen zu reduzieren. Da die Infektionswege nicht lokalisierbar seien, sei es "konsequent, persönliche Kontakte der Menschen auf das absolut notwendige Maß zu beschränken". Bei der in Solingen greifenden Ausgangsbeschränkung handele es sich um Zeiten, in denen sich der "Normalbürger" üblicherweise in seiner Wohnung aufhalte.

Gegen den Beschluss kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster eingelegt werden.




Soziales

Impfungen gegen Coronavirus gestartet


Eine Medizinerin der Johanniter zieht den Impfstoff im Evangelischen Pflegezentrum Lore Malsch in Riemerling in die Spritze auf.
epd-bild/Klaus Honigschnabel
Der Impfstart gegen Covid-19 in Deutschland und vielen Ländern der EU gilt als Hoffnungszeichen im Kampf gegen die Pandemie. Zahlreiche Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sprachen von einem Lichtblick.

Die Impfungen gegen das Coronavirus haben am 27. Dezember bundes- und EU-weit begonnen. "Der Impfstart heute macht Hoffnung und gibt Zuversicht", erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu auf Twitter: "Die Impfung ist der Schlüssel raus aus der Pandemie. Dass dieser Impfstoff in Deutschland für uns und für die Welt entwickelt wurde, erfüllt mich mit Stolz." Laut Impfplan werden in Deutschland zunächst Menschen in Alten- und Pflegeheimen sowie gefährdetes Personal in Krankenhäusern geimpft. Neben mobilen Impfteams stehen bundesweit über 400 Impfzentren bereit.

Einen Tag vor dem offiziellen deutschlandweiten Impfstart war am 26. Dezember eine 101-jährige Seniorin in einem Pflegeheim in Halberstadt in Sachsen-Anhalt als erste Person in Deutschland gegen Covid-19 geimpft worden. Minister Spahn zeigte sich überrascht über den vorgezogenen Impfstart. Spahn wünsche der Seniorin alles Gute, wie ein Ministeriumssprecher in der "Bild am Sonntag" betonte. "Allerdings hatten wir mit allen Partnerländern der EU und mit den 16 Bundesländern vereinbart, am Samstag an alle auszuliefern und ab Sonntag gemeinsam mit den Impfungen zu beginnen", sagte Spahns Sprecher der "Bild".

Landespolitiker bei Impfstarts dabei

In Berlin bekam eine 101 Jahre alte Seniorin in einem Pflegeheim am 27. Dezember die erste Spritze mit dem Impfstoff der Firmen Biontech und Pfizer. In Hessen bekamen Bewohner und Mitarbeiter mehrerer Altenpflegeheime sowie eine Krankenschwester der Frankfurter Uniklinik das Serum der Mainzer Pharmafirma Biontech verabreicht.

In Nordrhein-Westfalen sagte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) bei einem Besuch im Pflegeheim St. Josef Stift in Emsdetten: "Das Impfen ist ein Aufbruch, um das Virus beherrschen zu können." In NRW wurden insgesamt 9.750 Dosen des Impfstoffs des US-Herstellers und seines Mainzer Partners Biontech angeliefert. Vor Silvester sollen laut NRW-Gesundheitsministerium 270.000 weitere Dosen folgen. Im Januar würden dann etwa jede Woche 140.000 Impfdosen geliefert. So sollen 70.000 Menschen pro Woche mit einer ersten Dosis geimpft werden können. Nach vier Wochen werde dann die zweite Dosis verimpft.

NRW-Minister Laumann: Impfstoff ist "Glück und ein Segen"

Das Tempo des Verimpfens werde von der verfügbaren Menge des Impfstoffs bestimmt, erklärte Laumann. Die verfügbaren Dosen müssten "effektiv und zeitnah" verimpft werden. Der Minister bezeichnete den Impfstoff als "ein Glück und ein Segen". Er sei froh, "dass seine Entwicklung in vergleichsweise kurzer Zeit gelungen ist. Er wird tausende Leben retten."

Priorität ist es dem NRW-Gesundheitsminister zufolge, den 2.300 Altenheimen im Bundesland ein Impfangebot zu machen. Gleichzeitig werde es Anfang Januar auch Impfangebote an die Ärzte und Pflegekräfte in Krankenhäusern geben. Auch die 1,2 Millionen Menschen über 80 in NRW werden besonders priorisiert.

Als Licht am Ende des Tunnels bezeichnete Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) den Corona-Impfstoff. Zum Auftakt der Impfungen im Land besuchte sie das Alten- und Pflegeheim Seniorenquartier Schwerin. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat am 27. Dezember den Einsatz eines der ersten Corona-Impfteams im Land begleitet. "Ich freue mich, dass wir am Ende dieses Jahres einen echten Lichtblick haben werden", sagte Weil vor dem privaten Pflegezentrum Schlüter in Bad Rothenfelde.

Am Morgen des 27. Dezember war Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) in Lübeck beim Start der Impfungen in dem Bundesland dabei. In Baden-Württemberg sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne): "Wir werden nun schrittweise impfen, denn zunächst müssen wir die Menschen schützen, die das höchste Risiko für einen schweren Verlauf der Infektion haben. Und die, die ein besonderes berufliches Risiko tragen, sich oder schutzbedürftige Personen anzustecken."

In Rheinland-Pfalz erklärten Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (beide SPD) am 27. Dezember in Koblenz: "Mit dem Beginn der Corona-Schutzimpfungen in Deutschland und hier bei uns in Rheinland-Pfalz sind wir einen großen Schritt in der Pandemiebekämpfung nach vorne gekommen." Dies sei ein großer Lichtblick.

Impfzentren im Saarland nehmen Arbeit auf

Im Saarland haben die Corona-Impfzentren am 28. Dezember den Betrieb aufgenommen. "Mit dem Impfstoff sehen wir endlich ein Licht am Horizont", erklärte Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) bei Twitter zur Eröffnung des Impfzentrums in Saarbücken. "Nachdem wir gestern mit den Impfungen in den Pflegeeinrichtungen begonnen haben, starten heute die Impfungen in unseren drei Impfzentren im Saarland." Neben Saarbrücken gibt es in Neunkirchen und Saarlouis zwei weitere Impfzentren.

Wegen der begrenzten Menge des Impfstoffs werden nach Angaben des Saar-Gesundheitsministerium vom Wochenende zuerst Menschen geimpft, die ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe haben, sowie das Personal, das engen Kontakt mit diesen Menschen habe.



Zwischen Hoffnung und Skepsis


Impfung mit dem von Pfizer-Biontech entwickekten Covid-19 Impfstoff
epd-bild/dpa-Pool/Andreas Arnold
Die Impfstoffe gegen das Coronavirus wecken Hoffnungen und Ängste zugleich: Die einen sind zuversichtlich, dass sie mit den Mitteln immun werden und die Gesellschaft wieder zurückfindet zu ihrem gewohnten Gang. Andere trauen dem Serum nicht.

Die neuen Corona-Impfstoffe wurden in Rekordzeit entwickelt. Werden sie wirklich wirken? Sind sie sicher? Permanent klingelt bei der Deutschen Gesundheitshilfe in Frankfurt am Main derzeit das Telefon und Patienten melden sich mit solchen Fragen. Eine eindeutige, rundum beruhigende Antwort kann der Geschäftsführer des Vereins, Patrick Heinz, nicht geben. Doch er rät Anrufern, Vertrauen zu haben in die Politik und die Impfstoffhersteller. "Denn bestimmt will niemand, dass es durch die Impfung zu Schäden kommt", sagt er.

Nicht mehr unter Quarantäne gestellt zu werden, weil man "positiv" ist, endlich keine Angst mehr haben zu müssen, dass man krank wird oder als Virusträger andere krank machen kann: Die mit dem Impfstoff verbundenen Hoffnungen sind riesig. Gleichzeitig sinkt allerdings die Impfbereitschaft. Das geht aus Daten des Gemeinschaftsprojekts "Covid-19 Snapshot Monitoring" der Uni Erfurt hervor. Hätten sich im April noch 79 Prozent der Befragten impfen lassen, waren es am 15. September nur noch 56 Prozent. Inzwischen liegt der Wert unter der 50-Prozent-Marke. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen erst in dieser Woche Wissenschaftler aus Heidelberg.

Am 27. Dezember sind auch in Nordrhein-Westfalen die Impfungen gegen das Coronavirus gestartet. Als erstes sind nach Angaben des Gesundheitsministeriums mobile Impfteams zu Alten- und Pflegeheimen unterwegs, um über 80-jährige Bewohner sowie Pflegepersonal zu impfen. Bis zum Jahresende sollen den Angaben zufolge 280.000 Impfdosen in NRW eintreffen. Im Januar werden zunächst wöchentlich rund 140.000 weitere Impfdosen erwartet.

Sicherheit hat bei der Entwicklung von Impfstoffen einen extrem hohen Stellenwert. In Deutschland ist das im hessischen Langen ansässige Paul-Ehrlich-Institut zuständig für die Zulassung von Impfstoffen. Zum Thema "Sicherheit" erreichten das Institut vor der Impfstoffzulassung laut Pressesprecherin Susanne Stöcker "unzählige Anfragen". Das Institut reagierte darauf, indem es seine Corona-FAQs um Fragen zur Sicherheit ergänzte.

Angst vor gravierenden Nebenwirkungen

Trotz massiver Aufklärung besteht die Angst, dass die Impfung ein Pyrrhus-Sieg über das Virus werden könnte - nämlich dann, wenn gravierende Nebenwirkungen auftreten. Der Münchner Kinderarzt Steffen Rabe teilt diese Ängste. "Kein Corona-Impfstoff hat das reguläre Zulassungsverfahren durchlaufen", sagt der Initiator des 2006 gegründeten Vereins "Ärzte für individuelle Impfentscheidung" mit nach eigener Angabe derzeit 1.300 Ärzten als Mitgliedern.

Impfstoffen könne man in Deutschland trauen, erklärt hingegen das bayerische Gesundheitsministerium: "Schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen nach Impfungen sind sehr selten." Die Anwendung der neuen Corona-Impfstoffe würden "engmaschig überwacht und bewertet, um auch sehr seltene Nebenwirkungen zu erfassen", heißt es.

Trotz solcher beruhigender Worte scheint Skepsis die Oberhand zu gewinnen. Besorgte Patienten schlagen in Apotheken und Arztpraxen auf. "Wir Hausärztinnen und Hausärzte merken seit Wochen in unseren Praxen, wie groß die Verunsicherung ist,", berichtet Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbands. Durch "gute Argumente" werde versucht, die Impfbereitschaft zu fördern. Zu diesen Argumenten gehört laut Weigeldt, dass die bisherige Studienlage zeigt: "Der neue Impfstoff ist sicher, und er schützt in einem hohen Maße vor Erkrankung."

Keine Impfpflicht

Weigeldt betont, dass sich jeder Patient gegen eine Corona-Impfung entscheiden darf. Auch Impfgegner würden selbstverständlich von den Hausärzten behandelt, sollten sie sich mit dem Virus infizieren. Niemandem dürften die Therapie oder das Beatmungsgerät versagt werden, weil er oder sie sich nicht impfen ließ.

Weil Skepsis und Unsicherheit einer hohen Impfbeteiligung aktuell im Wege stehen, scheint der Ruf nach einer Impfpflicht lauter zu werden. Das sieht die Deutsche Gesundheitshilfe kritisch, so Geschäftsführer Patrick Heinz: "Zumindest nach heutigem Stand brauchen wir dies nicht." Schließlich tangiert eine Impflicht das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit.

Pat Christ (epd)


Sozialethiker Dabrock sieht "moralische Impfpflicht" bei Corona


Peter Dabrock
epd-bild/Peter Roggenthin

Der Ethiker und Theologe Peter Dabrock hält die Bereitschaft, sich gegen Corona impfen zu lassen, für ein Gebot der Solidarität. Er sei zurückhaltend bei einer rechtlichen Impfpflicht, sehe aber eine "moralische Impfpflicht", sagte der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es kann doch keiner wollen, dass die Situation weiter so bleibt oder sogar eskaliert", sagte Dabrock. Mit der Impfung könne jeder etwas dafür tun, dass sich die Zeit bis zu einer Normalisierung des Alltags verkürze.

Der Theologe ergänzte, der Start der Impfungen müsse unterfüttert werden mit einer Informationskampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Es sei noch immer nicht jedem bekannt, wie der neuartige mRNA-Impfstoff wirke und dass er wahrscheinlich viel sicherer sei als frühere Vakzine.

Wer sich gegen Corona impfen lasse, übertrage das Virus im besten Fall nicht mehr auf andere, sagte Dabrock. Zumindest aber falle ein Geimpfter dem Gesundheitssystem nicht zur Last, weil die Impfung nach bisherigem Wissensstand schwere Krankheitsverläufe verhindere. Mit der Abwägung zwischen Risiko und Chance einer Impfung müsse sich jeder befassen. "Wer sich nicht Rechenschaft darüber ablegt, wie proportional gering das eigene Risiko im Verhältnis zu dem von anderen und der Gesellschaft ist, handelt fahrlässig und unsolidarisch", sagte er.

Vergleich mit sonstigen Lebensrisiken

Dabrock riet, das Risiko einer Impfung mit sonstigen Lebensrisiken abzugleichen. Der Test an Zehntausenden Geimpften habe gezeigt, dass die Nebenwirkungen ähnlich wie bei einer Grippe-Impfung seien. "Ich sollte also den statistischen Wahrscheinlichkeiten trauen wie ich es bei der Gondel tue, mit der ich auf einen Berg in den Alpen fahre. Da denke ich auch nicht, dass jeden Moment das Seil reißt", sagte der Erlanger Theologieprofessor.

Er selbst wolle sich impfen lassen, sobald er dran sei, sagte Dabrock und ergänzte, er finde es richtig, dass auch führende Politiker abwarten und sich nicht als erste impfen lassen: "Das ist eine starke Botschaft gegen das Vorurteil 'Die denken ja nur an sich'". In Deutschland sollen laut erlassener Verordnung zunächst vor allem Risikogruppen wie Hochaltrige geimpft werden.

Zur Diskussion über eine "Impfpflicht durch die Hintertür", bei der Unternehmen oder Veranstalter eine Impfung von Besuchern oder Kunden verlangen, sagte Dabrock, es werde wohl so kommen, dass Menschen durch den Impfpass oder Immunitätsausweis wieder mehr ihre grundrechtlich verbürgte Freiheit erfolgreich einklagen werden, wenn ausgeschlossen ist, dass sie andere anstecken können. "Wichtig ist aber, dass für alle Menschen ein diskriminierungsfreier Zugang gewährleistet wird", sagte er.

Dies könne man erreichen, indem in Hotels, Restaurants, vor Bundesligaspielen oder einem Konzert jeder, der nicht geimpft ist, einen Schnelltest machen kann. "Diese Tests müsste im Sinne des diskriminierungsfreien Zugangs der Veranstalter zahlen", sagte Dabrock.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Kirche und Diakonie für Zurückhaltung bei Besuchen in Heimen


Bewohner eines Pflegeheims
epd-bild/Andrea Enderlein
Angesichts hoher Infektionszahlen in Heimen rufen Kirchen in NRW zu zurückhaltenden Besuchen auf. NRW-Ministerpräsident Laschet warnt hingegen, dass durch Abschottung viele Menschen auch aus Einsamkeit sterben könnten.

Die evangelischen Kirchen und die Diakonie in Nordrhein-Westfalen appellieren in der Corona-Pandemie an die Landesregierung, die Besuchsvorschriften in Alten- und Pflegeheimen an die Lage vor Ort anzupassen. Der Pflegeverband VDAB forderte Einschränkungen bei den Besuchen. Mit den neuen Besuchsregelungen werde das Leben der Bewohner aufs Spiel gesetzt. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (beide CDU) warnten hingegen vor sozialer Isolation der Menschen in Heimen. Laumann kündigte personelle Unterstützung für Besucher-Schnelltests in Pflegeheimen an.

Besonders rund um Weihnachten sei der Kontakt der Bewohner zu ihren Familien wichtig, erklärte der Vizepräses der rheinischen Kirche, Christoph Pistorius, am 23. Dezember in Düsseldorf. Jeder Besuch stelle jedoch auch ein Infektionsrisiko für andere Bewohner, das Personal und die eigenen Angehörigen dar. Deshalb sollten Besuche "maßvoll und zurückhaltend" erfolgen.

Hoher organisatorischer Aufwand bei angespannter Personalsituation

Aktuell dürfen laut den Verordnungen die Bewohner der etwa 2.300 Alten- und Pflegeheime in NRW pro Tag zwei Besuche durch jeweils maximal zwei Personen erhalten. Die Angehörigen haben Anspruch auf mindestens eine Stunde Besuchszeit, nachdem ein "Kurzscreening" mit Fiebermessung durchgeführt wurde. Sie müssen FFP2-Masken tragen und einen Mindestabstand von 1,5 Metern einhalten.

"All das sind sinnvolle Maßnahmen, aber wir befürchten, dass sie in der derzeitigen dramatischen Situation nicht ausreichen, um die alten und kranken Menschen zu schützen", sagte der Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ulf Schlüter, in Bielefeld. "Darüber hinaus stelle der hohe organisatorische Aufwand in der stark angespannten Personalsituation vor Ort eine enorme Herausforderung dar. "Die Alten- und Pflegeheime brauchen mehr Freiheit, selbst über die Anzahl der Besuche zu entscheiden", mahnte Schlüter.

An die Angehörigen appellierten die Kirchenvertreter gemeinsam mit dem Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe, ihre Besuche gut abzuwägen. "Halten Sie bei der Planung Ihrer Weihnachtsbesuche enge Rücksprache mit den Einrichtungen", riet Diakonie-Vorstand Thomas Oelkers. "Unsere Pflegekräfte sind schon jetzt am Ende ihrer Kraft, denn zusätzlich zur täglichen Pflege lenken, testen und begleiten sie die Besucherströme."

Alten- und Behindertenhilfe schlägt Alarm

Auch der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe schlug Alarm. Wenn auch Besucher ohne Corona-Test zugelassen seien, werde das Leben der Bewohner aufs Spiel gesetzt, kritisierte der Vorsitzende des Landesverbands Nordrhein-Westfalen, Bernd Uhlenbruch. Angesichts steigender Inzidenzzahlen sei das "ein Freifahrtschein für das Coronavirus direkt hinein in die Einrichtungen". Eine solche Umsetzung sei für jede gewissenhafte Einrichtungsleitung unverantwortlich. Die komplette Abschottung einer Einrichtung müsse die absolute Ausnahme bleiben. Bereits jetzt seien jedoch viele Einrichtungen mit den Besuchs- und Testregeln am Limit.

Gesundheitsminister Laumann erklärte, dass sich viele Menschen zu Weihnachten danach sehnten, Familie und Freunde zu sehen. "Die Corona-Pandemie ist besonders für die Pflegeeinrichtungen eine ganz besonders schwierige Ausnahmesituation", sagte Laumann am 23. Dezember. Auch über Weihnachten habe der Infektionsschutz oberste Priorität, unterstrich er. Besuchsverbote bedeuteten jedoch eine soziale Isolierung von Menschen, die im hohen Alter ganz besonders auf soziale Kontakte angewiesen seien. Laumann kündigte für die Feiertage eine personelle Unterstützung für die Pflegeeinrichtungen an: Hilfsorganisationen sollen bei den Schnelltests für Besuchern helfen.

Auch Ministerpräsident Laschet warnte vor den Folgen von Kontaktsperren: "Menschen in Heimen sterben nicht nur am Virus", sagte Laschet dem Magazin "Spiegel". Einige würden auch sterben, weil "sie den Lebensmut verloren haben, sie sterben aus Einsamkeit."



NRW untersagt Testverweigerern Besuche in Heimen

Die NRW-Landesregierung untersagt nun doch Besuchern, die einen Schnelltest ablehnen, den Zugang zu Alten- und Pflegeheimen. Die Allgemeinverfügungen Pflege und Eingliederungshilfe würden mit Wirkung vom Donnerstag entsprechend geändert, sagte eine Sprecherin von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am 24. Dezember dem Evangelischen Pressedienst (epd). Damit reagierte das Gesundheitsministerium auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen vom Tag davor, wie die Sprecherin sagte. Zuerst hatte die Düsseldorfer "Rheinische Post" (24. Dezember) über die geänderten Richtlinien berichtet.

Ausnahmen soll es laut der Sprecherin geben, wenn medizinische Gründe der Durchführung dieser Testung entgegenstehen. Auch wenn nachgewiesen werde, dass innerhalb von 72 Stunden vor dem beabsichtigten Besuch bereits eine Testung mit negativem Ergebnis durchgeführt worden sei, sind Besuche möglich.

Das Verwaltungsgericht Aachen hatte in einer Eilentscheidung festgelegt, dass ein Pflegeheim Besucher zurückweisen kann, wenn diese einen Schnelltest verweigern. Damit hatte das Gericht dem Eilantrag eines Pflegeheims aus Würselen stattgegeben. Das Pflegeheim hatte sich mit dem Antrag gegen eine Regelung in der Allgemeinverfügung "Pflege und Besuche" des NRW-Gesundheitsministeriums gewandt. Das Pflegeheim hatte sich darauf berufen, dass das Robert-Koch-Institut (RKI) eine Testpflicht für Besucher einer Pflegeeinrichtung ausdrücklich empfehle.

Dass Besuche auch bei einer Verweigerung von Schnelltests möglich sein sollten, war von Pflegeverbänden scharf kritisiert worden. Damit werde das Leben der Bewohner aufs Spiel gesetzt, kritisierte der nordrhein-westfälische Landesverband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe. Eine solche Umsetzung sei für jede gewissenhafte Einrichtungsleitung unverantwortlich.

Aktuell dürfen laut den Verordnungen die Bewohner der etwa 2.300 Alten- und Pflegeheime in NRW pro Tag zwei Besuche durch jeweils maximal zwei Personen erhalten.



3,6 Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen haben Patientenkontakt

Millionen Beschäftigte im Gesundheitswesen haben direkten Patientenkontakt und sind dadurch dem erhöhten Risiko einer Corona-Ansteckung ausgesetzt. Wie das Statistische Bundesamt am 23. Dezember in Wiesbaden mitteilte, standen im Jahr 2018 rund 3,63 Millionen der insgesamt 5,65 Millionen Beschäftigten im Gesundheitsbereich im direkten Kontakt zu Patientinnen und Patienten. Insgesamt arbeiteten 73.000 (plus 1,3 Prozent) mehr Beschäftigte als im Vorjahr im Gesundheitswesen. Davon waren 76 Prozent Frauen.

Besonders unter Druck steht vielerorts das Personal in Krankenhäusern, welches an Covid-19 Erkrankte betreut. Etwa ein Fünftel des gesamten Gesundheitspersonals war zuletzt in Krankenhäusern tätig (1,17 Millionen), weitere 836.000 Beschäftigte arbeiteten in anderen stationären oder teilstationären Einrichtungen. In Arztpraxen arbeitete jede beziehungsweise jeder achte Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen (700.000). Knapp ein Fünftel des Gesundheitspersonals (1,11 Millionen) war in Berufen der Gesundheits- und Krankenpflege, in Rettungsdienst und Geburtshilfe tätig. Etwa die Hälfte von ihnen (538.000) arbeitete in Krankenhäusern.

Vor allem Ärztinnen und Ärzte sollen die Impfungen vornehmen. 465.000 Humanmedizinerinnen und -mediziner sowie Zahnmedizinerinnen und -mediziner gab es nach den Angaben im Jahr 2018 in Deutschland, davon 391.000 im Bereich Humanmedizin, die übrigen 74.000 im Bereich Zahnmedizin.

Auch im Gesundheitswesen gehört ein Teil der Beschäftigten aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe für einen schwereren Covid-19-Krankheitsverlauf. Mit einem Anteil von zwölf Prozent war nahezu jeder achte Beschäftigte im Gesundheitswesen mindestens 60 Jahre alt, 41 Prozent waren 50 Jahre und älter, hieß es weiter.

Das Personal in ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen soll ebenfalls mit hoher Priorität gegen das Coronavirus geimpft werden. Ende 2019 waren in Pflegeheimen 796.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Mit einem Anteil von knapp 13 Prozent war nahezu jede bzw. jeder achte Beschäftigte in Pflegeheimen mindestens 60 Jahre alt, 43 Prozent waren 50 Jahre und älter.

In ambulanten Pflege- und Betreuungsdiensten arbeiteten Ende 2019 rund 422.000 Menschen. Die Altersstruktur ist ähnlich wie in den Pflegeheimen: 60 Jahre und älter waren zwölf Prozent der Beschäftigten (51.000) der ambulanten Dienste, 41 Prozent waren 50 Jahre und älter (173.000).



Mehr Kinder aus armen Familien fühlen sich einsam


Kind am Fenster
epd-bild / Jens Schulze
Die Corona-Pandemie macht Kinder einsam. Vor allem wenn sie aus Familien kommen, in denen das Geld knapp ist. Das Deutsche Jugendinstitut fordert mehr Hilfen für Familien mit Kindern: von Kitas und Schulen, aber auch von Beratungsstellen.

Kinder aus Familien in schwieriger finanzieller Lage hat die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 besonders stark getroffen. Unter ihnen fühlten sich mehr Kinder einsam (48 Prozent) als solche aus Familien, die angaben, von ihrem Einkommen gut leben zu können (22 Prozent), wie eine am 21. Dezember in München veröffentlichte Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) zeigt. Außerdem hatte ein größerer Anteil der Kinder aus ärmeren Familien in auffälligem Maße mit emotionalen Problemen wie Niedergeschlagenheit, Ängsten und Sorgen (44 im Vergleich zu 18 Prozent) sowie Hyperaktivität (39 im Vergleich zu 22 Prozent) zu kämpfen - und zwar umso mehr, je angespannter die Eltern ihre wirtschaftliche Situation empfanden.

"Familien mit finanziellen Sorgen haben sich an unserer Studie nur unterdurchschnittlich stark beteiligt. Dennoch zeigen die Daten, dass sie mehr unter der Pandemie leiden", sagte Studienleiterin Alexandra Langmeyer. Sie fordert deshalb politische Maßnahmen, die Familien finanziell entlasten und sozialen Unterschieden entgegenwirken.

Auch der Bildungsgrad der Eltern spielt laut Umfrage eine Rolle dabei, wie Kinder Kontaktbeschränkungen bewältigen: Bei der DJI-Befragung gaben mehr Eltern mit maximal mittlerem Bildungsabschluss an, dass ihre Kinder Schwierigkeiten hatten, als Eltern mit hohem Bildungsabschluss (42 Prozent im Vergleich zu 29 Prozent).

Die Studienergebnisse machen laut DJI deutlich, was zu einer guten Krisen-Bewältigung betragen kann: Der Anteil der Kinder, die mit der Situation gut zurechtkamen, war unter denjenigen höher, die in regelmäßigem Kontakt mit ihren Großeltern standen. Unter den Kindern in der Sekundarstufe hatten diejenigen Vorteile, die mit Lehrkräften im Austausch blieben. Alle Kinder und Jugendlichen fühlten sich durch häufige Kontakte zu pädagogischen Fachkräften und Lehrkräften zudem weniger einsam.

Konfrontation mit Ängsten

Kinder und Jugendliche machten den Studienergebnissen zufolge insbesondere die Trennung von Freunden, das Fehlen des gewohnten (Schul-)Alltags und der Mangel an Freizeitaktivitäten zu schaffen. Aus den Interviews geht zudem hervor, dass sie durch Corona verstärkt mit Ängsten konfrontiert sind. Mehr gemeinsame Zeit mit der Familie und einen weniger eng getakteten Alltag erlebten viele hingegen positiv. Gemeinsame Aktivitäten und Mahlzeiten sowie mehr Zeit mit den Vätern hoben viele Kinder in diesem Zusammenhang hervor.

Insgesamt kamen die meisten gut mit den Kontaktbeschränkungen zurecht, immerhin ein Drittel hatte aber Schwierigkeiten. Waren zu Hause Konflikte und Chaos an der Tagessordnung, waren es noch weitaus mehr (53 Prozent). Mehr Konflikte gehen auch mit verstärkten Gefühlen der Einsamkeit und Verhaltensauffälligkeiten bei den Kindern sowie einer stärker empfundenen Belastung der Eltern einher. Deshalb sei es wichtig, Familien in dieser Zeit vermehrt Beratung anzubieten.

Die wichtige Rolle der Familie komme ganz besonders zum Tragen, wenn Kinder - durch eine eigene Infektion oder durch Infektionsfälle in der Kita-Gruppe oder Klasse - in Quarantäne müssen, schreiben die Studienautorinnen und -autoren in ihrem Fazit. Zur besseren Unterstützung fordern sie Informationen der Gesundheitsämter für Eltern darüber, wie sie die Zeit der Quarantäne ihrer Kinder gestalten können.

An der Online-Befragung "Kind sein in Zeiten von Corona" des DJI hatten sich zwischen Ende April und Ende Mai bundesweit mehr als 12.000 Eltern von Kindern im Alter von drei bis 15 Jahren beteiligt haben. Außerdem wurden in 21 Familien ein Kind im Alter von sechs bis 14 Jahren und jeweils ein Elternteil ausführlich interviewt.



Mieterbund fordert erhöhten Kündigungsschutz für 2021

Der Deutsche Mieterbund (DMB) warnt angesichts harter Corona-Maßnahmen vor einer Zunahme von zahlungsunfähigen Mietern im kommenden Jahr. "Wir gehen davon aus, dass spätestens im Frühjahr Tausende Menschen ihre Miete nicht mehr zahlen können", sagte DMB-Präsident Lukas Siebenkotten dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Aktuell seien viele Mieter, die durch die Corona-Krise ihren Job verloren hätten oder in Kurzarbeit gehen mussten, zwar noch in der Lage, ihre Miete mit Ersparnissen zu decken. "Je länger die Situation aber andauert, desto mehr wird sich die Lage verschärfen", mahnte Siebenkotten.

Nach seiner Einschätzung setzen die meisten Mieter momentan alles in Bewegung, "um wenigstens die Miete noch bezahlen zu können. Aber auch das Ersparte wird irgendwann aufgebraucht sein, und dann droht jedem, der die Miete nicht mehr zahlen kann, die fristlose Kündigung", mahnte der 63-Jährige, der seit 2019 Präsident der Mietervereinigung ist.

Siebenkotten fordert die Bundesregierung auf, den Corona-Kündigungsschutz aus dem Frühjahr erneut für mindestens sechs Monate einzuführen. "Wir stehen womöglich vor einem längeren Lockdown, was dazu führen wird, dass immer mehr Arbeitnehmer nicht mehr ihr normales Entgelt bekommen werden", sagte Siebenkotten. "Vor diesem Hintergrund ist ein neuer Kündigungsschutz dringend erforderlich."

Im Frühjahr hatte der Bundestag ein Kündigungsmoratorium beschlossen, das Mieter vor dem Verlust ihrer Wohnung schützte, wenn sie Corona-bedingt nicht in der Lage waren, ihre Miete zu zahlen. Der erhöhte Kündigungsschutz galt allerdings nur bis 30. Juni. Seither gilt das gewöhnliche Kündigungsrecht, nach dem die Wohnung gekündigt werden kann, wenn der Mieter mit mehr als einer Monatsmiete im Verzug ist.

DMB-Präsident Siebenkotten rät Mietern, die aktuell Zahlungsschwierigkeiten haben, zuerst das Gespräch mit dem Vermieter zu suchen, um sich auf eine gemeinsame Lösung wie etwa eine Mietstundung oder Ratenzahlung zu einigen. Zusätzlich sollten sie versuchen, einen Antrag auf Wohngeld zu stellen. Die Bundesregierung habe den Zugang zum Wohngeld in der Corona-Krise vereinfacht und die Prüfungszeit verringert, erklärte Siebenkotten. Anspruch auf den staatlichen Mietzuschuss haben Menschen mit niedrigem Einkommen, die weder Arbeitslosengeld noch Sozialhilfe beziehen.

epd-Gespräch: Patricia Averesch


Steuererleichterungen für Ehrenamtliche in NRW

Zum Jahreswechsel gibt es auch in Nordrhein-Westfalen steuerliche Veränderungen, die unter anderem finanzielle Entlastungen für Ehrenamtliche mit sich bringen. "Ehrenamtlich Tätige halten unsere Gesellschaft zusammen, sie sind unverzichtbar - insbesondere in dieser äußerst schwierigen Zeit der Pandemie", sagte NRW-Finanzminister Lutz Lienenkämper (CDU) am 28. Dezember in Düsseldorf. "Nun endlich können zum Beispiel rund sechs Millionen ehrenamtliche Helfer in Nordrhein-Westfalen von einer besseren steuerlichen Unterstützung profitieren."

Dem Ministerium zufolge wird der Steuerfreibetrag für Einnahmen zum Beispiel aus der Tätigkeit als Übungsleiter ab dem 1. Januar von 2.400 auf 3.000 Euro angehoben, der Freibetrag für die Ehrenamtspauschale von 720 auf 840 Euro. Gemeinnützige Vereine müssen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe erst dann Körperschaft- oder Gewerbesteuer zahlen, wenn ihre Bruttoeinnahmen 45.000 Euro übersteigen. Bislang liegt die Freigrenze bei 35.000 Euro im Jahr. Für kleinere Vereine wird die Pflicht zur zeitnahen Mittelverwendung bei jährlichen Einnahmen von bis zu 45.000 Euro abgeschafft.

Im Rahmen des zweiten Familienentlastungsgesetzes wird zudem das Kindergeld pro Kind um 15 Euro pro Monat erhöht. Verbesserungen gibt es auch beim Pflegepauschbetrag. Dieser wird bei der häuslichen Pflege von Personen mit den Pflegegraden 4 und 5 oder bei Hilflosigkeit auf 1.800 Euro erhöht. Gleichzeitig wird ein Pflege-Pauschbetrag bei der Pflege von Personen mit den Pflegegraden 2 (600 Euro) und 3 (1.100 Euro) eingeführt.



Hoher Frauenanteil im Einzelhandel

Fast zwei Drittel aller Erwerbstätigen im deutschen Einzelhandel sind Frauen. Wie das Statistische Bundesamt am 22. Dezember in Wiesbaden mitteilte, betrug ihr Anteil im vergangenen Jahr 64 Prozent.

Wiederum 45 Prozent aller Beschäftigten im Einzelhandel arbeiteten 2019 in Teilzeit. Davon waren die überwiegende Mehrheit Frauen (84 Prozent). Über alle Branchen hinweg waren nur 29 Prozent der Erwerbstätigen in Teilzeit beschäftigt. Auch dabei stellten Frauen mit einem Anteil von 78 Prozent die deutliche Mehrheit.

Zum Alltag im Einzelhandel gehört dem Bundesamt zufolge die Arbeit an Samstagen. 64 Prozent der Erwerbstätigen arbeiteten im Jahr 2019 samstags. Das waren anteilig fast doppelt so viele wie bei den Erwerbstätigen in allen Branchen (34 Prozent).

Für Sonn- und Feiertage dagegen ergibt sich ein umgekehrtes Bild. Wegen der Ladenöffnungsgesetze kann die Mehrheit der Erwerbstätigen im Einzelhandel regelmäßig einen freien Tag genießen. Nur elf Prozent mussten 2019 an Sonn- und Feiertagen arbeiten. Von den Erwerbstätigen aller Branchen leisteten dagegen 21 Prozent Sonn- und Feiertagsarbeit.



Rekord: Christkindpostfiliale erhält über 150.000 Wunschzettel

Eine Rekordzahl an Anschriften vermeldet die Christkindpostfiliale in Engelskirchen in diesem Jahr. In den vergangenen sechs Wochen wurden dort mehr als 150.000 Wunschzettel von Kindern aus 49 Ländern beantwortet, wie die Deutsche Post DHL Group am 22. Dezember mitteilte. Die Briefe kamen unter anderem aus Tadschikistan, Südafrika, Neuseeland, Mexiko oder Thailand. Über 7.000 Briefe aus dem Ausland hätten das Postamt erreicht.

Großes Thema bei den Kindern war den Angaben zufolge in diesem Jahr die Corona-Krise: "Liebes Christkind, mach das Corona-Virus weg!" oder "Ich wünsche mir, dass es bald einen Impfstoff gibt" hieß es in einigen Briefen. Auch die Hoffnung, bald wieder mit Freunden zu spielen und die Großeltern zu besuchen, wurde geäußert. Während einige Kinder in den vergangenen Jahren über die Schule und Hausaufgaben klagten, freuten sie sich in diesem Jahr auf den Unterricht.

Insgesamt fielen die Wünsche der Kinder bescheidener aus und handelten in der Hauptsache von Spielzeug, Büchern und Sportartikeln, wie es hieß. Hula-Hoop-Reifen, Rollschuhe und Kinderkameras seien "groß im Trend". Auch Wünsche nach persönlichen Veränderungen wurden geäußert, etwa zum Sitznachbarn in der Schule, zu Streitigkeiten mit der Schwester oder zur eigenen Zukunft als Millionär.

Seit 35 Jahren richtet die Deutsche Post eine Christkind-Schreibstube im oberbergischen Engelskirchen ein. Dort werden Antworten in zehn verschiedenen Sprachen, unter anderem Chinesisch und Russisch, verfasst sowie in Blindenschrift.



NRW-Statistik: An Heiligabend werden jährlich rund 300 Kinder geboren

In Nordrhein-Westfalen kommen jedes Jahr an Heiligabend rund 300 Kinder zur Welt. Im vergangenen Jahr wurden am 24. Dezember 332 Babys geboren, wie das statistische Landesamt in Düsseldorf mitteilte. 2018 waren es 283 Mädchen und Jungen und 2017 insgesamt 332 Kinder. Die meisten Heiligabend-Geburten in den letzten 20 Jahren zählten die Statistiker im Jahr 2003: Damals kamen 372 Babys zur Welt.

Mehr als 100.000 Menschen in Nordrhein-Westfalen haben den Angaben zufolge an den Weihnachtsfeiertagen Geburtstag. Ende Juni 2020 lebten in NRW rund 35.400 Personen, die an einem 24. Dezember geboren wurden. Einen Tag später, am 25. Dezember, könnten rund 35.000 und am 26. Dezember etwa 36.300 Personen Geburtstag feiern, hieß es weiter.



"Lichtblicke"-Spendentag bringt 1,2 Millionen Euro ein

Die Hilfsaktion "Lichtblicke" der NRW-Lokalradios hat bei einem am 23. Dezember ausgerufenen Spendentag ein Rekordergebnis von 1,2 Millionen Euro erzielt. Die 45 NRW-Lokalradios stellten ihr Programm in den Dienst der guten Sache und sammelten bei ihren Hörern Spenden für Kinder und Familien in Not, wie Radio NRW in Oberhausen mitteilte. Damit liegt das Spendenergebnis um 400.000 Euro über dem Vorjahreswert. Seit dem Start der aktuellen "Lichtblicke"-Hilfsaktion wurden rund 2,2 Millionen Euro gesammelt.

Mit verschiedenen Programmaktionen hatten die NRW-Lokalradios die Spendensumme erhöht. Da aufgrund von Corona die klassischen "Lichtblicke-on-Tour-Konzerte" nicht möglich waren, fanden am vergangenen Wochenende drei Live-Streaming-Konzerte statt. Tom Gregory, Campino von den "Toten Hosen" und Milow unterstützen die Aktion mit ihren Auftritten im Dampfgebläse-Haus in Bochum und sammelten so über 40.500 Euro.

Die "Aktion Lichtblicke" wurde 1998 ins Leben gerufen und ist eine gemeinsame Spendenaktion der Radio NRW GmbH, des Verbandes Lokaler Rundfunk für die 45 Lokalradios in NRW sowie der kirchlichen Hilfswerke Diakonie und Caritas. Besondere Berücksichtigung bei der Spendenkampagne finden Familien, die sich in einer Notsituation befinden und auf dringende finanzielle Hilfe angewiesen sind.



Hopp-Stiftung hat über eine Milliarde Euro ausgeschüttet

Die Dietmar-Hopp-Stiftung hat seit ihrer Gründung vor 25 Jahren mehr als eine Milliarde Euro in Projekte gegeben. Gefördert worden seien vor allem die Bereiche Medizin, Bildung, Soziales, Jugendsport und Klimaschutz, teilte die Stiftung am 21. Dezember in St. Leon-Rot bei Heidelberg mit. Der heute 80-jährige Unternehmer Hopp war 1972 Mitbegründer des Software-Unternehmens SAP.

Ursprünglich wollte Hopp den Angaben zufolge mit seiner Stiftung vor allem die medizinische Forschung voranbringen - aus Sorge, einer seiner beiden Söhne könnte eines Tages an Krebs erkranken. So stand am Anfang der Förderung das Neugeborenen-Screening, bei dem mit einem Tropfen Blut aus der Ferse des Kindes Stoffwechselschäden erkannt werden können. Es gehöre mittlerweile zur Standarduntersuchung bei Neugeborenen, hieß es in der Mitteilung. Derzeit baut die Stiftung mit anderen Stiftern ein Kindertumorzentrum in Heidelberg und gibt dazu 85 Millionen Euro.

Weitere Gelder gab es für Betreuungs- und Begegnungsstätten für Senioren und Menschen mit Beeinträchtigung ebenso wie für generationenübergreifende Initiativen und Inklusionsprojekte. Außerdem profitierten Schulen und Kitas durch naturnahe Pausenhöfe und Außenanlagen von den Ausschüttungen. 2014 hat die Stiftung die "Klimaarena" in Sinsheim ins Leben gerufen. Sie wolle Bürger zur Beteiligung ermutigen und Informationen geben, wie jeder in seinem Alltag verantwortungsbewusster und ressourcenschonender leben kann. Die Stiftung beschäftigt in der Zentrale in St. Leon-Rot neun Mitarbeiter.



Schäuble: Neuregelung der Sterbehilfe wohl noch in dieser Wahlperiode

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich optimistisch gezeigt, dass es noch vor der Bundestagswahl zu einer Neuregelung bei der Sterbehilfe kommen wird. "Ich bin zuversichtlich, dass es in dieser Wahlperiode noch eine fraktionsübergreifende gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe geben wird, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit Augenmaß umsetzt", sagte Schäuble dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (23. Dezember). Er gehöre zu denjenigen, die über das Urteil nicht glücklich seien, betonte er.

Das Bundesverfassungsgericht habe ein Gesetz des Bundestags verworfen, das nach einer außergewöhnlich langen, nicht durch Fraktionszugehörigkeit geprägten Auseinandersetzung mit dem Thema beschlossen worden sei, sagte der Bundestagspräsident. "Dieses Gesetz ist von den Verfassungsrichtern überraschend auf der Grundlage einer Interpretation des Grundgesetzes verworfen worden, die man so vornehmen kann, aber nicht so vornehmen muss", erklärte der Jurist. Nun sei der Gesetzgeber gehalten, eine Lösung zu finden, worum sich Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen bemühten.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar im Wesentlichen den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen recht gegeben, die sich gegen das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung richteten. Die Karlsruher Richter erklärten das Gesetz für nichtig und begründeten dies mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaube. Ärzten ist es bislang aber im Standesrecht verboten.




Umwelt

Lebenstraum Schäfer


Schäfermeister Klaus-Dieter Menke
epd-bild/Detlef Heese
Der Beruf des Schäfers gehört zu den ältesten der Menschheit. Auch heute noch leisten die Hirten mit ihren Tieren einen wichtigen Beitrag für die Umwelt.

Mit gemächlichen Schritt folgt Schäfermeister Klaus-Dieter Menke seiner Herde. Vor ihm: 740 Schafe, etliche Ziegen und ganz weit vorn seine Kollegin, Schäferin Katrin Müller, mit braunem Filzhut und Hirtenstab. Links, rechts und hinter der Herde flitzen drei Hunde mit atemberaubendem Tempo den Zug entlang, immer auf der Hut, dass kein Schaf auf die Idee kommt, aus der Herde auszubrechen. Menke lässt seinen Blick über die Tiere schweifen, über die Landschaft, das Freistätter Moor an der Grenze zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Seit mehr als 30 Jahren ist der 58-Jährige bereits Schäfer. "Ich möchte nicht einen Tag davon missen", sagt er.

Wer Schafe hüten will, dürfe nicht zimperlich sein, sagt Menke. "Wir müssen jeden Tag raus, nach den Tieren sehen und mit ihnen weiterziehen." Bei jedem Wetter allein mit den Tieren draußen zu sein, das müsse man schon mögen, stimmt seine Kollegin zu: "Die Schäferei ist ein Lebenskonzept." Ein Leben am Schreibtisch ist für die 43-Jährige unvorstellbar. "Mein Vater war auch Schäfer - ich bin eigentlich von jeher Schäferin."

Online-Netzwerk für Hirtenvölker

Während Menke und Müller geregelte Arbeitszeiten haben, blieben die Hirten von einst Tag und Nacht bei ihren Herden. "So wie die Hirten in der Weihnachtsgeschichte", sagt Menke. Heute gebe es kaum noch Wanderhirten - und jene, die mit ihren Herden bei Wind und Wetter ganzjährig in einsamen Landschaften umherziehen, seien dank des Internets weit weniger einsam als ihre Vorfahren. Denn die Hirtenvölker seien weltweit, bis in die Mongolei und nach Afrika, über das Netzwerk "www.pastoralpeoples.org" miteinander verbunden, berichtet Menke.

Er und seine Herde, die täglich ein eingezäuntes Areal von 100 mal 100 Metern abgrast, gehören zur diakonischen Einrichtung "Bethel im Norden" der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel (Bielefeld). 1899 gründete Friedrich von Bodelschwingh (1831-1910) die Diakonie Freistatt als Betheler Zweiganstalt im Wietingsmoor bei Diepholz. "Er kaufte Land für Menschen, die niemand wollte" berichtet Menke. Auf 1.010 Hektar sollten arme Wanderarbeiter unter dem Motto "Arbeit statt Almosen" das Moor entwässern und urbar machen. Wer in Freistatt unterkommen wollte, musste sich unter anderem zu regelmäßiger Arbeit und Teilnahme am Gottesdienst verpflichten.

Heute bemüht sich die Diakonie wieder um die Renaturierung des Moores. Dafür sind Menke und seine Kolleginnen mit insgesamt 1.500 Schafen, 100 Ziegen und 20 Wasserbüffeln in mehreren Herden bei Hitze und Kälte auf 1.200 Hektar in der Region unterwegs. "Unsere Tiere haben die Aufgabe, den jungen Birken die Blätter abzufressen, damit sie eingehen", erläutert er. Das sei durchaus erwünscht, denn Birken entziehen dem Boden das Wasser und lassen das Moor austrocknen.

Psalm 23 berichtet vom guten Hirten

Der Beruf des Hirten gehört zu den ältesten der Menschheit. Er steht für Schutz und Vertrauenswürdigkeit. Die Bibel nennt den Sohn von Adam und Eva, Abel, als den ersten Hirten. Auch Moses und der spätere König David waren Schäfer. Der Psalm 23 berichtet vom guten Hirten. Selbst Jesus wird mal als der gute Hirte, mal als unschuldiges Lamm Gottes beschrieben. Da wundert es wenig, dass der Beruf "Pastor" aus dem Griechischen übersetzt nichts anderes bedeutet als Hirte.

"In der Bibel stehen Schafe und Ziegen als Zeichen von Reichtum, Macht und Schönheit", sagt die Berner katholische Theologieprofessorin Silvia Schroer. Sie ist Expertin für die biblische Tierwelt. Im Hohelied des Alten Testaments beschreibe ein Verliebter das Haar seiner Geliebten schwelgerisch mit einer "Herde Ziegen, die herabsteigen vom Gebirge Gilead". Und er fügt gar noch hinzu: "Deine Zähne sind wie eine Herde geschorener Schafe, die aus der Schwemme kommen; alle haben sie Zwillinge, und es fehlt keiner unter ihnen."

Die Schäfer und Hirten hatten bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts neben dem Hüten der Tiere noch eine weitere wichtige Aufgabe, verrät Schäfermeister Menke: Laut biblischer Weihnachtsgeschichte waren es die Hirten, die von der Geburt Jesu als erste erfuhren und die die gute Nachricht weiter verbreiteten. "So eine Art Nachrichtenagentur der Antike", sagt er schmunzelnd.

Dabei fällt ihm ein, dass er noch ein weit verbreitetes Missverständnis ausräumen muss: Nämlich, dass das sprichwörtliche "Schäferstündchen" nicht allzu viel mit Erotik zu tun hat. Viel mehr gehörten die unentwegt umherziehenden Hirten in den Zeiten vor den Massenmedien zu den bestinformierten Menschen überhaupt: "Als die Wanderhirten von einst durch die Lande zogen, kehrten sie am Abend oft bei einem Bauern ein, bei dem sich dann das ganze Dorf zum 'Schäferstündchen' traf", berichtet Menke. "Und dabei ging's natürlich vor allem darum, den neuesten Klatsch und Tratsch aus dem Nachbardorf zu erfahren."

Jörg Nielsen (epd)


NRW will Ausstoß von Treibhausgasen bis 2050 senken

Nordrhein-Westfalen verschärft seine Ziele beim Klimaschutz. Das Landeskabinett verabschiedete dazu am 21. Dezember den Entwurf für ein novelliertes Klimaschutzgesetz. Es sieht vor, den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) bis 2050 auf null zu setzen. Im bisherigen, 2013 von der rot-grünen Vorgängerregierung auf den Weg gebrachten Gesetz, galt als Ziel für 2050 ein Rückgang um 80 Prozent gegenüber dem CO2-Ausstoß im Jahr 1990.

Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sprach von einer "großen Herausforderung" durch den fortschreitenden Klimawandel. Daher sei das bestehende Klimaschutzgesetz überholt. NRW sei bei den Zielen zur Reduzierung von Treibhausgasen schon jetzt auf einem guten Weg. So werde die für 2020 festgelegte Einsparung von 25 Prozent gegenüber 1990 mit einem erwarteten tatsächlichen Minus von weit über 40 Prozent weit übertroffen.

Pinkwart: Teil zur Erreichung der Pariser Klimaziele beitragen

Ziel sei zugleich, NRW "zum modernsten und klimafreundlichsten Industriestandort Europas weiterzuentwickeln und unseren Teil zur Erreichung der Pariser Klimaziele beizutragen", erklärte Pinkwart. Schon jetzt sei NRW im bundesweiten Vergleich das Bundesland mit der größten installierten Leistung von Windkraftanlagen. In einer klimaneutralen Zukunft werde neben erneuerbaren Energien auch das Thema Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen.

Ergänzend verständigte sich das Landeskabinett auf den Entwurf eines bundesweit ersten eigenständigen Klimaanpassungsgesetzes. Es soll den Weg dafür bereiten, die Folgen und Gefahren des Klimawandels für NRW abzufedern und beherrschbar zu machen. Die Schäden für Natur und Gesellschaft müssten so weit wie möglich minimiert werden, sagte Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU).

Hitze, Trockenheit und Extremwetter-Ereignisse

Die Ministerin betonte, die Hitze, Trockenheit und Extremwetter-Ereignisse der jüngsten Vergangenheit hätten die Wirkung des Klimawandels auch in NRW gezeigt. Daher reiche Klimaschutz allein nicht mehr aus: "Wir müssen auch gegen die Symptome ankämpfen." Inzwischen gebe es in NRW elf mehr Sommertage mit Temperaturen über 25 Grad als vor 100 Jahren. In den Städten bildeten sich im Sommer Hitzeinseln, wo es dann rund zehn Grad wärmer sei als im Umland. Davon seien schon jetzt knapp sieben Millionen Menschen betroffen. Bei einem weiteren Anstieg der Temperaturen könnten es bis zu elf Millionen Menschen werden.

Auch der Zustand der Wälder in NRW zeige schon heute die Folgen des Klimawandels, betonte Heinen-Esser. "Nur noch jeder fünfte Baum ist gesund. Die Wälder sind nicht unbegrenzt belastbar." Klimaschutz und Klimaanpassung seiend deshalb "zwei Seiten einer Medaille". Der Klimawandel bleibe "die zentrale Herausforderung unserer Zeit".



Kosten in Milliardenhöhe: Experten berechnen Umweltschäden

Durch einen konsequenten Umweltschutz können nach Berechnungen des Umweltbundesamtes mehrere Milliarden Euro eingespart werden. Durch Treibhausgase, Stickstoffemissionen und andere Umweltbelastungen hervorgerufene Schäden ließen sich in Geldwerten ausdrücken, sagte der Präsident des Bundesumweltamtes, Dirk Messner, am 21. Dezember in Dessau-Roßlau. Die Behörde habe dafür die Kostensätze von Umweltbelastungen aktualisiert und um Kosten für Stickstoff- und Phosphoremissionen, Treibhausgase in der landwirtschaftlichen Lieferkette und Baustoffe erweitert.

Zu den Kosten zählen laut Umweltbundesamt zum Beispiel die Wiederherstellung beschädigter Gebäude und anderer Infrastrukturen, der Marktwert von Ernteverlusten und Produktionsausfällen, aber auch Geldbeträge, die Menschen bereit wären, für die Vermeidung von Gesundheitsschäden zu bezahlen. Gegenüber den bisherigen Kostensätzen seien die finanziellen Ansätze an das Jahr 2020 angepasst worden. So sei der Kostensatz für Kohlendioxid-Emissionen wegen der steigenden Schäden und der Inflation von 180 Euro pro Tonne im Jahr 2016 auf 195 Euro im Jahr 2020 gestiegen.

Aus der Ausbringung von einem Kilogramm Stickstoff in der Landwirtschaft ergäben sich konservativ geschätzt Umweltschadenskosten von 6,30 Euro, bei einem Kilogramm Phosphor von 4,44 Euro. Bei einem mittleren Stickstoffüberschuss von 94 Kilogramm je Hektar und einer landwirtschaftlich genutzten Fläche von etwa 16,5 Millionen Hektar ermittelten die Experten des Umweltbundesamtes jährliche Gesamtkosten von 11,5 Milliarden Euro allein in Deutschland.




Medien & Kultur

Experte zum Rundfunkbeitrag: Gute Chancen im Hauptsache-Verfahren


Der Rundfunkbeitrag beträgt zunächst weiter 17,50 Euro im Monat.
epd-bild/Heike Lyding
Eigentlich sollte der Rundfunkbeitrag zum Jahreswechsel um 86 Cent steigen - bis sich Sachsen-Anhalt dagegenstellte. Einen Eilantrag auf eine Durchsetzung der Erhöhung lehnt das Bundesverfassungsgericht ab. In der Hauptsache könnte sich das ändern.

Im Streit um die Erhöhung des Rundfunkbeitrages haben die Sender nach Expertenmeinung trotz der Ablehnung ihres Eilantrages durch das Bundesverfassungsgericht gute Chancen auf einen Erfolg im Hauptsache-Verfahren. Dafür gebe es "gute Gründe, die sich gerade aus der bisherigen Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben", sagte Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der Technischen Universität Dortmund, am 22. Dezember dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten tags zuvor gegen einen Eilantrag von ARD, ZDF und Deutschlandradio wegen der Blockade der Beitragserhöhung um 86 Cent durch das Land Sachsen-Anhalt entschieden.

Vorheringe Entscheidungen des Gerichts regelten "einigermaßen detailliert", wann Landesparlamente von Finanzierungsvorschlägen der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) abweichen dürften, sagte Gostomzyk. Grund sei, dass "der öffentlich-rechtliche Rundfunk gerade nicht Spielball parteipolitischer Auseinandersetzungen werden soll".

Die Rundfunkanstalten konnten nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichtes nicht ausreichend darlegen, warum ihnen durch einen gleichbleibenden Rundfunkbeitrag irreversible Nachteile entstünden. Bleibe der Beitrag bei 17,50 Euro, habe dies eher schleichende Auswirkungen, sagte Gostomzyk. Zurückzuführen sei dies unter anderem auf die digitale Umstrukturierung des Rundfunks und allgemeine Preissteigerungen. Das Argument des Gerichtes, die Beitragserhöhung könne bei Erfolg der Sender in der Hauptsache zurückgezahlt werden, "ist hier zu wenig", kritisierte der Medienrechtler.

Ein Sprecher des Deutschlandradios sagte dem epd, die Rundfunkanstalt werde "nun zeitnah kurzfristig umsetzbare Sparmaßnahmen beschließen". Bleibe die Beitragsanpassung aus, fehlten dem Deutschlandradio in den kommenden vier Jahren insgesamt rund 66,5 Millionen Euro. Einsparungen in dieser Größenordnung hätten "unweigerlich erhebliche Folgen für die Programmgestaltung". Ähnlich hatte sich bereits der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow nach der Entscheidungsverkündung geäußert.

ver.di befüchtet Verlust von Arbeitsplätzen

Auch die Gewerkschaft ver.di äußerte die Befürchtung, dass es zu Einschnitten ins Programm sowie einem Verlust von Arbeitsplätzen kommen könnte. Ver.di werde sich gegen Reduzierungen der Beschäftigung sowohl in der laufenden Berichterstattung als auch von Freien und Projektbeschäftigten in Fernsehproduktionen einsetzen, sagte Bundesvorstandsmitglied Christoph Schmitz. "Die Vielfalt und Aktualität der Programminhalte dürfen nicht zum Opfer der kurzfristigen Sparprogramme der Rundfunk-Intendantinnen und - Intendanten werden", erklärte er.

Wann genau das Bundesverfassungsgericht eine inhaltliche Entscheidung trifft, lasse sich nur schwer prognostizieren, sagte Medienrechtler Gostomzyk. Erfahrungsgemäß könne dies Jahre dauern. Zudem seien die zu beantwortenden Rechtsfragen gerade wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks folgenreich. "Von mindestens zwei bis drei Jahren dürfte man deshalb schon ausgehen", sagte er.

Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD) regten derweil Reformdebatten über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an. Schleswig-Holstein dränge seit Jahren auf eine Überarbeitung von ARD, ZDF und Deutschlandradio, sagte Günther der Zeitung "Die Welt". Vorschläge, die etwa mehr Eigenverantwortung der Sender vorgesehen hätten, seien aber durch andere Länder abgelehnt worden.

Weil sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland", ein vielfältiges, vertrauenswürdiges Angebot in Audio, Video und im Internet sei wichtiger denn je. Innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens brauche es aber eine Debatte über die weitere Modernisierung der Öffentlich-Rechtlichen.



Hacker-Angriff auf Funke Mediengruppe


Zentrale der Funke Mediengruppe in Essen
epd-bild/Stefan Arend

Nach der Cyberattacke auf die Funke Mediengruppe erscheinen die meisten Tageszeitungen des Hauses seit 28. Dezember wieder in größerem Umfang. In Nordrhein-Westfalen plane man mit 24 Seiten, statt der achtseitigen Notausgabe am Tag nach Angriff, erklärte eine Funke-Sprecherin in Essen. An vielen anderen Standorten würden die Zeitungen mit 20 Seiten erscheinen. Die Paywalls der Online-Nachrichten blieben weiter deaktiviert.

WAZ-Chefredakteur: "Ansatzweise normales Arbeiten aktuell nicht möglich"

Es seien wegen des Angriffs weiter alle "Redaktionssysteme und die gesamte Technik für die Zeitungsproduktion ausgeschaltet, ein ansatzweise normales Arbeiten ist aktuell nicht möglich", schreibt der Chefredakteur der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (WAZ), Andreas Tyrock, in der Zeitung (Montag). Die Attacke habe eine "ungeheure Dimension", die Täter hätten dabei die Daten auf den IT-Systemen verschlüsselten und vorerst unbrauchbar gemacht. Betroffen seien potenziell über 6.000 infizierten Rechner.

Die Produktionsprozesse hätten kurzfristige umorganisiert werden können, sagte die Unternehmenssprecherin. Dutzende Mitarbeiter hätten über das Weihnachtsfest Tag und Nacht daran gearbeitet, die IT-Systeme wiederherzustellen und sie nach und nach in eine neue, "saubere" Infrastruktur zu bringen. Die Polizei Essen und der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC NRW) bei der Kölner Staatsanwaltschaft ermitteln nach einer Anzeige des Medienhauses.

Nach Angaben des Unternehmens waren bundesweit alle großen Standorte der Mediengruppe in Bayern, Berlin, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen betroffen. Der Ausfall betreffe mehrere zentrale IT-Systeme, über die die verschiedenen Standorte, Redaktionen und Druckereien miteinander verbunden seien.

Zu den Zeitungen der Funke Mediengruppe gehören "Berliner Morgenpost", "Hamburger Abendblatt", "Bergedorfer Zeitung", "Westdeutsche Allgemeine Zeitung", "Neue Ruhr Zeitung/Neue Rhein Zeitung", "Westfälische Rundschau", "Westfalenpost", "Braunschweiger Zeitung", "Harz Kurier", "Thüringer Allgemeine", "Ostthüringer Zeitung" und "Thüringische Landeszeitung".



Corona bringt Kirchenchöre in Bedrängnis

Der Verband Evangelischer Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in Deutschland (VEM) erwartet drastische Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Kirchenchöre. "Wenn ein Chor ein Jahr lang nicht mehr regelmäßig singt, dann sinkt das Niveau - deutlich hörbar", sagte Vizepräsident Peter Ammer dem Evangelischen Pressedienst (epd) im baden-württembergischen Nagold. Zudem hätten ältere Sängerinnen und Sänger die Corona-Zeit als Anlass gesehen, sich endgültig vom Chor zu verabschieden.

"In manchen Dörfern kommen nur noch zwei statt 25 Leuten zur Probe, weil die Angst grassiert - oder der Chorleiter selbst gehört zur Risikogruppe, und deshalb finden keine Proben mehr statt", sagte der Kirchenmusikdirektor, der im neuen Jahr als Präsident an die Spitze des VEM rückt: "Außerdem motiviert eine Probe in einer acht Grad kalten Kirche und mit 2,5 Metern Abstand auch nicht wirklich. Irgendwann ist die Motivationsgrenze erreicht."

"Alle wünschen sich die Zeit vor der Pandemie zurück", sagte Ammer. Für ihn sei bereits seit April klar, dass nicht mehr an den früheren gewachsenen Standard angeknüpft werden könne. "Wir müssen unsere kirchenmusikalische Arbeit in vielem völlig neu aufstellen", sagte er.

Probleme hätten auch nebenberufliche Kirchenmusiker, "die teils keine feste Anstellung haben und dann auch nichts verdienen". Das könne zu finanziellen Problemen führen. "Andererseits leiden die Kirchenmusiker aber auch, weil sie eine unglaublich hohe Identifikation mit den ehrenamtlichen Chorsängerinnen und Chorsängern haben und auch nach der Pandemie noch einen Chor leiten wollen", sagte er.

Außerdem beobachtet Ammer, dass nun in vielen Köpfen seit der Pandemie stecke, dass Singen gefährlich sei: "Ich hoffe, dass viele - auch für sich persönlich - erkennen, dass Singen nicht per se gefährlich ist, sondern vor allem Körper und Seele guttut."

epd-Gespräch: Judith Kubitscheck


Corona-Pandemie dominiert Suche nach Unwort 2020

Die Corona-Pandemie dominiert die Suche nach dem Unwort des Jahres 2020. Zu den bisherigen Einsendungen aus diesem Kontext gehörten die Wörter systemrelevant (134 Nennungen), Covidiot (25), Öffnungsdiskussionsorgien (37) und querdenken(39)/Querdenker (63), sagte die Sprecherin der Unwort-Jury, Nina Janich, am 21. Dezember in Darmstadt dem Evangelischen Pressedienst (epd). Höchst unwortverdächtig seien auch die Begriffe Systemling, Übersterblichkeit, Wirrologen sowie aus dem Themenkreis Migration die Formulierungen Abschiebepatenschaft und Schutz/Sicherung der Außengrenzen.

Insgesamt sind nach den Worten der Sprachwissenschaftlerin Janich bis zum 20. Dezember 1.332 Einsendungen mit 519 unterschiedlichen Vorschlägen eingegangen. Weitere Nennungen sind noch bis zum 31. Dezember möglich. Bekanntgegeben wird das Unwort 2020 am 12. Januar kommenden Jahres in Darmstadt. Unwörter waren zuletzt Klimahysterie (2019), Anti-Abschiebe-Industrie (2018), alternative Fakten (2017), Volksverräter (2016), Gutmensch (2015) und Lügenpresse (2014).

Die sprachkritische Aktion lenkt den Blick auf Wörter oder Formulierungen, die gegen die Prinzipien der Menschenwürde und der Demokratie verstoßen, einzelne gesellschaftliche Gruppen diskriminieren oder euphemistisch, verschleiernd oder irreführend sind. Sie wurde 1991 von dem Frankfurter Germanistikprofessor Horst Dieter Schlosser initiiert. Janich ist seit 2011 Jury-Sprecherin. Weitere Mitglieder sind die Sprachwissenschaftler Jürgen Schiewe (Universität Greifswald), Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der freie Publizist Stephan Hebel. Gastjurorin in diesem Jahr ist die Bloggerin und Autorin Kübra Gümüsay.



Mit der Kamera das Leben festhalten


Jim Rakete im Jahr 2017
epd-bild/Jürgen Blume
Er setzt den Menschen hinter der Maske ins Bild: Jim Rakete porträtiert Rockstars, Politiker, Schauspieler. Und ist immer am Puls der Zeit, ob als Chronist der 68er oder Musikmanager. Sein jüngstes Projekt: ein Film über "Fridays For Future". Am 1. Januar wird er 70 Jahre alt.

Die Fotos von Jim Rakete halten die Zeit fest und wirken doch oft so dynamisch, als seien sie Bilder in Bewegung. Seine Werke schmücken Plattencover, prägen Titelblätter von Zeitschriften und Magazinen. Er porträtierte Stars der Rockmusik wie Mick Jagger, Jimi Hendrix und Nina Hagen, Schauspieler wie Sophie Rois und Otto Sander und begleitete Politiker wie Helmut Schmidt und Martin Schulz mit der Kamera. Kaum ein Fotograf schafft es wie er, den Menschen hinter der Maske ins Bild zu setzen.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert ist er mit der Kamera unterwegs. Am 1. Januar wird Jim Rakete 70 Jahre alt. Er kam 1951 in Berlin zur Welt, wo er auch heute lebt. Sein Nachname, erzählt er, verweist auf seine hugenottische Herkunft. Die eingedeutschte Bedeutung könnte besser nicht passen: Wie eine Rakete katapultierte er sich in die Spitzenriege der deutschen und internationalen Fotokunst. 2018 erhielt er das Bundesverdienstkreuz.

Lieblingsapparat ist bis heute eine Leica

Bereits als Vierjähriger bekommt Jim Rakete seine erste Kamera geschenkt. Eine Kleinbildkamera der Marke Praktika begleitet seine ersten Versuche als Fotograf, sein Lieblingsapparat ist bis heute eine Leica. Noch in der Schulzeit beginnt er, für eine Agentur zu arbeiten, sammelt erste Erfahrungen als freier Fotoreporter bei Tageszeitungen und Magazinen. Sein erstes Pressefoto, erzählt er, schoss er als 13-Jähriger: Dafür kletterte er während einer Mai-Kundgebung am Reichstag auf die Absperrung und schoss ein Bild von Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von West-Berlin. Den Print schenkte er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Noch in der Schulzeit beginnt Jim Rakete ein Praktikum in einer Agentur. Mit 17 wird er zum Chronisten der Studentenrevolte in West-Berlin. In der Folgezeit fotografiert er Protagonisten der Bewegung wie Rainer Langhans, Uschi Obermaier und Otto Schily - zum 50. Jahrestag der 68er-Bewegung im Jahr 2018 holt er sie dann noch einmal vor die Kamera. Zu seinen frühen Arbeiten als freier Fotograf gehören auch Strecken über den irischen Dramatiker Samuel Beckett und die britische Rockgruppe Rolling Stones, die er im Auftrag der "BZ" fotografierte.

Musikerporträts werden Raketes Markenzeichen als Fotograf. Sein Faible für den Sound der Zeit führt ihn zu dann auch einer zweiten Karriere: Musikmanager. 1977 gründet er die legendäre "Fabrik" in einem Kreuzberger Hinterhof, betreut und fördert Rockbands zu Stars wie die Nina Hagen Band, später auch Spliff, Nena, Interzone, Die Ärzte und Prima Klima. Ein Jahrzehnt tourt Jim Rakete mit den Musikern durch Europa. Doch dann verlegt er sich wieder ganz aufs Fotografieren. Mit ikonischen Aufnahmen von Jimi Hendrix, Ray Charles, David Bowie und Herbert Grönemeyer schreibt er Musikgeschichte.

Dialog mit dem Gegenüber

Als Porträtist ist Jim Rakete bis heute gefragt. Wichtig ist ihm der Dialog mit seinem Gegenüber, um den richtigen Moment für die Aufnahme zu finden. 2010 fotografiert er die Berliner Philharmoniker: Im Tageslicht, vor grauem Hintergrund, lichtet er die 123 Musiker als Einzelpersönlichkeiten mit ihrem Instrument ab. Hier wie auch in seinen anderen Arbeiten ist es das Individuum und nicht der Star, der aus den Bildern spricht.

Gesichter sind für Jim Rakete wie eine Landkarte, in der sich das Leben des Menschen einschreibt. Der Spaß und die Neugierde, die Enttäuschungen und freudigen Erlebnisse eines Lebens lassen sich in einem Gesicht ablesen. Das Persönliche herauszuarbeiten ist die Herausforderung, die den Fotografen fasziniert. Und es ist das, was seinen Bildern ihre Tiefe gibt.

Seine Kunst, sein Gegenüber im Augenblick des Klicks mit der Kamera zu erfassen, stellt der Fotograf nicht nur in Porträts von Popstars, Wirtschaftsbossen und Politikern unter Beweis. 2016 widmet er sich einem ganz besonderen Auftrag: Aus Anlass des 150-jährigen Bestehens der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel fotografiert er 50 Menschen aus der diakonischen Einrichtung, Frauen und Männer mit Behinderungen, mit psychischen Leiden, mit Suchterfahrungen.

"Wir sind viele" heißt die Ausstellung, die auch im Paul-Löbe-Haus in Berlin zu sehen war. Entstanden ist keine Sozialreportage, sondern es sind eindringliche Porträts auf Augenhöhe. Sie zeigen die Männer und Frauen in ihrer Verletzlichkeit aber auch in ihrer Stärke, fröhlich lachend, staunend, nachdenklich – eben in ihrem Menschsein.

Als Fotograf wie als Mensch ist Jim Rakete immer auch ein kritischer Zeitgenosse, den aktuelle Themen umtreiben wie beispielsweise der Klimawandel. In diesem Herbst sollte sein erster Kinofilm "Now" herauskommen. Beeindruckt von der "Fridays for Future"-Bewegung hat er die Akteure, Jugendliche wie Wissenschaftler, von den ersten Berliner Demos bis zum UN-Gipfel in einer Langzeit-Dokumentation begleitet. Der Kinostart wurde – pandemiebedingt – auf das Frühjahr 2021 verschoben. Der Film will aufrütteln. Jim Raketes Botschaft: keine Zukunft ohne Verzicht.

Sigrid Hoff (epd)


Die Geburt des Kinos


In der Corona-Krise feierte das Auto-Kino eine Renaissance.
epd-bild/Christine Süß-Demuth
Selten ist es den Kinos so schlecht gegangen wie in diesem Corona-Jahr 2020. Niemand weiß, wann sie wieder öffnen können. Doch ihre Faszinationskraft bleibt stark. Das war schon vor 125 Jahren so, bei der ersten öffentlichen Filmvorführung in Paris.

"Ganz Paris, um den herkömmlichen Ausdruck zu gebrauchen, pilgert nach dem Boulevard de la Madeleine, um das neue Wunder, die Überraschungen der Kinematographie zu sehen." Enthusiastische Nachrichten wie diese aus den "Frankfurter Nachrichten" machten zu Beginn des Jahres 1896 die Runde. Sie kündeten von der Geburt einer neuen Kunstform, die das 20. Jahrhundert geprägt hat wie keine andere: des Films. Und von einem neuen Ort der Unterhaltung: dem Kino.

Kurz vor Silvester, am 28. Dezember 1895, hatten die Brüder Auguste und Louis Lumière zum ersten Mal ihren "Cinématographe" der Öffentlichkeit präsentiert, im "Salon Indien" des Grand Café. Von hier aus trat der Apparat seinen Siegeszug an.

"Es grenzt ans Wunderbare"

"Ein kleines Theater, eine nur zwanzig Minuten dauernde Vorstellung", heißt es in dem Zeitungsbericht über die legendären Vorführungen in Paris weiter. "Aber in diesem engen Raume, in dieser Spanne Zeit sieht man eine ganze Welt an sich vorüberziehen. Nicht etwa in starren Bildern ohne Leben und Bewegung, sondern eine Welt, die leibt und lebt, webt und schafft, ganz wie die Wirklichkeit. (...) Es grenzt ans Wunderbare."

Der Eintrittspreis zu den ersten Kinovorstellungen der Lumières betrug einen Franc, gezeigt wurde ein etwa 20 Minuten dauerndes Programm aus zehn kurzen Filmen. Die meisten waren dokumentarische Aufnahmen.

Bestandteil dieses Programms war auch der berühmte Film "Arbeiter verlassen die Fabrik Lumières", der erste Film, den die Lumières im März 1895 vor der väterlichen Fabrik in Lyon gedreht hatten. Er gilt als Geburtsstunde des Dokumentarfilms überhaupt: Zu sehen sind Arbeiterinnen und Arbeiter, die das Werkstor passieren. Heute wissen wir, dass auch dieser Dokumentarfilm "inszeniert" war, weil die Menschen hinter dem Tor warten mussten, um es auf Zuruf zu durchqueren.

Ende des 19. Jahrhunderts lag die Erfindung des Films quasi in der Luft. Angefangen mit optischen Spielzeugen und Projektionstechniken, die seit dem 17. Jahrhundert bekannt waren, führte der Weg über Reihenfotografien von Ottomar Anschütz und Eadweard Muybridge hin zur Kinematographie. Schon zwei Monate zuvor, am 1. November 1895, hatten die Brüder Skladanowsky im Berliner Varieté Wintergarten mit ihrem "Bioskop" Filme projiziert - allerdings mit Hilfe eines technisch rückständigen Verfahrens.

Zu den Vorläufern der Lumières gehörten auch Edisons "Guckkästen", die aber mehrere gravierende Nachteile hatten: Hineingucken in ein solches "Kinetoskop" konnte immer nur einer, die Kameras waren schwer, und mit einer Aufnahmegeschwindigkeit von 48 Bildern in der Sekunde (heute: 24) fraßen sie sehr viel Filmmaterial.

Es soll Auguste Lumière gewesen sein, der nach einer Besichtigung des Kinetoskops in Paris die Idee hatte, dass diese bewegten Bilder auch größeren Zuschauermengen gezeigt werden müssten. Louis Lumière konstruierte dafür einen Greifermechanismus, der in ein kleines Kästchen passte. Der "Cinématographe Lumière" war ein vielseitiger Apparat: Er konnte aufnehmen und projizieren und auch für die Vervielfältigung von Filmen verwendet werden.

Nur wenige ihrer ersten knapp einminütigen Filme haben die Lumières selbst gedreht. Aber sie eröffneten erste Kinos und sorgten für die Ausbreitung des Films als Massenmedium in Europa: Ihre Kameramänner bereisten die Welt und nahmen Landschaften und politische oder militärische Ereignisse auf. Wir verdanken ihnen die ersten Filmaufnahmen deutscher Städte wie Hamburg, Berlin, Stuttgart und Frankfurt. 2.113 Filme umfasste ihr Katalog aus dem Jahr 1903.

Die Besucher strömten zuerst nur zögerlich in die Vorführungen in Paris, doch schon nach wenigen Tagen standen sie Schlange, um die "lebenden Photographien" zu sehen. Die Lumières, hineingewachsen in den photochemischen Betrieb ihres Vaters, begründeten so den Film als Wirtschaftszweig, als Industrie.

Premiere am 20. April 1896 in Köln

Auch die Einführung des Films in Deutschland ist ihnen zuzuschreiben. Sie vergaben das Alleinverwertungsrecht für den "Cinématographe" an die "Deutsche Automaten-Gesellschaft" in Köln, ein Tochterunternehmen der Firma Stollwerck, und stellten den Apparat in einer öffentlichen Premiere erstmals am 20. April 1896 in Köln vor.

Aus heutiger Sicht kaum zu glauben: Die Brüder hielten den Film schon bald für eine Erfindung ohne Zukunft und konzentrierten sich auf die Fotografie. Ihre kinematographischen Geräte verkauften sie nach und nach an andere Filmemacher. Aber es sollten andere kommen, Jahrmarktsreisende, Künstler, Unternehmer, die das Heft übernahmen.

Auguste Lumière entwickelte - ganz ohne entsprechende Ausbildung - ein ganz anderes Interesse: die Medizin. Während des Ersten Weltkriegs baute er aus eigenen Mitteln einen röntgenmedizinischen Dienst in Lyon und gründete aus dem photochemischen Betrieb heraus ein medizinisches Fotolabor und Pharmaunternehmen. Am 10. April 1954 starb Auguste Lumière in Lyon, sechs Jahre nach seinem Bruder Louis.

Rudolf Worschech (epd)


Programm für das digitale Filmfestival Max Ophüls Preis jetzt online

Das vollständige Filmprogramm des 42. Filmfestivals Max Ophüls Preis ist ab sofort auf der Festival-Website abrufbar. Das Festival findet vom 17. bis 24. Januar wegen der Corona-Pandemie erstmals online statt, wie die Veranstalter am 23. Dezember in Saarbrücken mitteilten. Ingesamt werden den Angaben zufolge 98 Filme auf einer eigenen Streaming-Plattform gezeigt.

50 Filme treten im Wettbewerb um 16 Preise mit einem Gesamtwert von 118.500 Euro an - darunter zwölf Spielfilme, zehn Dokus, zehn mittellange Filme und 18 Kurzfilme. Außerhalb des Wettbewerbs präsentieren die beiden Reihen MOP-Watchlist und MOP-Shortlist eine Auswahl der besten deutschsprachigen langen und kurzen Nachwuchsfilme aus dem zurückliegenden Produktionsjahr.

Eröffnet wird das Filmfestival vom Dokumentarfilm "A Black Jesus". Der Debütfilm von Luca Lucchesi beleuchtet die Verehrung einer schwarzen Jesus-Statue in seinem sizilianischen Heimatdorf und die Spannungen, als eine Gruppe dort untergebrachter Geflüchteter aus Afrika an der religiösen Tradition teilhaben möchte. Die Eröffnungsveranstaltung wird am 17. Januar ab 19.30 Uhr kostenfrei über die Streaming-Plattform verfügbar sein. "A Black Jesus" ist dann ab 20 Uhr kostenpflichtig abrufbar.

Nach der Eröffnung gehen alle Filme am 18. Januar um zehn Uhr online. Sie sind nach Veranstalterangaben nur während der Festivalwoche in Deutschland verfügbar. Zudem gebe es jeweils nur eine begrenzte Zahl an Tickets. Der Vorverkauf beginnt am 10. Januar, bis zum Festivalstart am 17. Januar gebe es dann direkt auf der Streaming-Plattform bereits Informationen über Schwerpunkte und Highlights des Filmprogramms.

Benannt ist das Festival nach dem in Saarbrücken geborenen Regisseur Max Ophüls (1902-1957). Es gilt als eines der wichtigsten Filmfestivals für deutschsprachige Nachwuchsfilmemacher. Den undotierten Ehrenpreis für seine Verdienste um den jungen Film erhält dieses Mal der Regisseur Wim Wenders.



Deutscher Krimipreis für Zoë Beck

Der Deutsche Krimipreis 2020 für die besten Neuerscheinungen deutscher Autorinnen und Autoren geht an die Berliner Schriftstellerin Zoë Beck für ihren düsteren Zukunfts-Thriller "Paradise City". Den zweiten Platz der undotierten Auszeichnung vergab die Jury aus Krimikritikern und Buchhändlerinnen an Max Annas für "Der Fall Melchior Nikoleit", der sich um den Mord an einem Punker in Jena zu DDR-Zeiten dreht, wie das Bochumer Krimi Archiv am 28. Dezember erklärte. Frank Göhre kam mit "Verdammte Liebe Amsterdam" auf Platz drei.

Internationale Gewinnerin des Deutschen Krimipreises ist den Angaben zufolge die schottische Krimiautorin Denise Mina mit ihrem Roman "Götter und Tiere" aus der Reihe um die Glasgower Kriminalermittlerin Alex Morrow. Den zweiten Platz belegt der australische Schriftsteller Garry Disher für den Band "Hope Hill Drive" aus der Constable Hirschhausen-Reihe. Platz drei geht an den Südkoreaner Young-ha Kim für "Aufzeichnungen eines Serienmörders". Eine öffentliche Preisverleihung findet in diesem Jahr nicht statt. Der Deutsche Krimipreis wird seit 1985 jährlich vergeben.



Rosenmontagszug in Köln wird als Puppenspiel inszeniert

Nach der Corona-bedingten Absage des Kölner Rosenmontagszuges 2021 wird der närrische Umzug nun im Puppenspielformat inszeniert. Dazu soll der Rosenmontagzug mit den Original-Figuren des Hänneschen-Theaters in der Wagenbauhalle des Festkomitees Kölner Karneval im Format von 1:3 nachgebaut und aufgezeichnet werden, erklärten die Veranstalter am 22. Dezember in Köln. Dabei sollen die Persiflagewagen den von Zugleiter Holger Kirsch und seinem Team geplanten Originalen für den Rosenmontagszug exakt entsprechen. Der WDR prüft den Angaben zufolge derzeit die Möglichkeit für eine Übertragung der Aufzeichnung an Rosenmontag.

Die Idee des Miniaturzuges in Kombination mit einem Puppenspielszenario sei "eine großartige Chance, einen der wichtigsten Eckpfeiler des kölschen Fasteleers trotz Pandemie einem großen Publikum zu präsentieren und den Menschen auch ein bisschen Freude und Hoffnung ins heimische Wohnzimmer zu bringen", sagte Zugleiter Kirsch. Zudem sei es gerade in Corona-Zeiten wichtig, mit der Durchführung des Umzugs "der Obrigkeit den Spiegel vorzuhalten". Die Aufzeichnung in der Wagenbauhalle biete ausreichend Platz, um eine Bühne für die Teilnehmer des Zuges und die Festwagen zu schaffen und die Hygienevorgaben einzuhalten.

Die Intendantin der Puppenspiele der Stadt Köln, Frauke Kemmerling, betonte, mit der Darstellung des Rosenmontagszuges durch das Hänneschen-Theater könne man den Zuschauern am Bildschirm klarmachen, "wie verwurzelt das Hänneschen in der Kulturgeschichte ist und welche kulturelle Bedeutung diese Symbiose zwischen Puppenspiel und Karneval hat".



SR bringt neue App mit mehr Nachrichten und Videos heraus

Der Saarländische Rundfunk (SR) hat kurz vor Weihnachten eine neue App für iPhones und Android-Handys herausgebracht. Herzstück der neuen SR App sei der Newsfeed, in dem deutlich mehr Nachrichten und Hintergründe ihren Platz finden, teilte der SR am 21. Dezember mit. Neben den Texten seien darin Audios und Videos gleich mit vorhanden, ein umständlicher Wechsel in den Browser sei nicht nötig.

Neu ist den Angaben zufolge in der App die Kategorie "SRland", die regionale Kultur-, Unterhaltungs- und Ratgeber-Themen präsentiert. Direkt integriert sind nun auch Livestreams der Hörfunkwellen und des Fernsehens sowie Podcasts. Nutzer könnten sich in der App ihre Lieblings-Artikel oder Beiträge abspeichern, um sie jederzeit sofort wiederzufinden, hieß es weiter.

Die Nutzerinnen und Nutzer seien eingeladen, direkt in der App Rückmeldung zu geben, wie sie das Angebot finden und was sie sich wünschen. Die Veröffentlichung erfolgt demnach zunächst als offene Beta-Version, damit das Feedback von Usern in die Weiterentwicklung einfließen kann. Die App werde zudem noch mit den Behindertenverbänden abgestimmt, hieß es.




Entwicklung

Unicef-Foto des Jahres zeigt Kinder in Moria


Siegerfoto von Angelos Tzortzinis
epd-bild/Angelos Tzortzinis/AFP
Unter die Haut gehend und motivierend zugleich - die von Unicef prämierten Kinderfotos bewegen jedes Jahr aufs Neue. Diesmal gab es allerdings keine Auszeichnung vor Ort, lediglich Videostatements.

Ein Foto von Kindern aus dem brennenden Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist das Unicef-Foto des Jahres 2020. Der griechische Fotograf Angelos Tzortzinis, der die Kinder Anfang September auf der Flucht vor dem verheerenden Brand fotografierte, erhielt am 22. Dezember in Berlin die Auszeichnung der Kinderhilfsorganisation.

Tzortzinis sei mitten im Chaos ein Bild gelungen, "dass wirklich unter die Haut geht", sagte Unicef-Schirmherrin Elke Büdenbender in einer Videobotschaft. Das Bild halte einen Moment fest, "in dem Tapferkeit, Fassungslosigkeit und Hilfsbereitschaft von Kindern angesichts von Not und Gefahr zusammentreffen", sagte die Ehefrau von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Das Bild motiviere, "mit dem Herzen hinzuschauen und für eine Verbesserung der Lebenssituation von Moria einzutreten".

1.800 Einsendungen

Am 9. September dieses Jahres zerstörte im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos ein Feuer die Unterkünfte von rund 13.000 Menschen, darunter 4.000 Kinder. Tzortzinis ist den Angaben zufolge überwiegend als freier Fotograf tätig. Seine Arbeiten wurden unter anderem in der "New York Times" und "Newsweek" veröffentlicht. Er wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, hieß es. Wegen des bundesweiten Lockdowns fand die Auszeichnung in diesem Jahr ohne Präsenzveranstaltung und Pressekonferenz statt.

Der zweite Preis ging den Angaben zufolge in diesem Jahr an den indischen Fotografen Supratim Bhattacharjee. Sein Bild zeigt zwei Kinder in den offenen Kohlefeldern von Jharia im indischen Bundesstaat Jharkhand. Mit dem dritten Preis wurde der in Deutschland lebende Fotograf Evgeny Makarov ausgezeichnet. Sein Bild zeigt Ballettschülerinnen in einem Armenviertel von Rio de Janeiro, der Favela Manguinhos.

Unicef Deutschland mit Sitz in Köln hat damit zum 21. Mal Bilder renommierter Fotojournalisten ausgezeichnet, die die Persönlichkeit und die Lebensumstände von Kindern auf herausragende Weise dokumentieren. In diesem Jahr wurden demnach rund 1.800 Bilder eingereicht, die vom Leben im Krieg und auf der Flucht, vom Aufwachsen in Armut, aber auch von der enormen Widerstandskraft von Kindern erzählen. Eine Jury von Fotoexperten wählte die Siegerfotos aus. Die prämierten Arbeiten sind im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin bis Ende Januar ausgestellt.



Amnest beklagt Repression in Corona-Pandemie


Markus Beeko
epd-bild/Amnesty International
"Die Corona-Krise ist auch eine Krise für die Menschenrechte", sagte Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty Deutschland.

Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich nach Angaben von Amnesty International in vielen Ländern die Unterdrückung verschärft. "Die Corona-Krise ist auch eine Krise für die Menschenrechte", sagte Markus N. Beeko (53), Generalsekretär des deutschen Zweigs der Menschenrechtsorganisation dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Regierungen seien in diesem Jahr ihrer Schutzpflicht für die Bevölkerung nicht nachgekommen. Oder sie hätten die Pandemie missbraucht, um skrupellos ihren Machterhalt zu sichern. "Am schlimmsten wurde es da, wo schon vorher die Rechte systematisch mit Füßen getreten wurden."

Zugleich seien in diesem Jahr aber auch viele Menschen weltweit für ihre Rechte auf die Straße gegangen oder vor die Gerichte gezogen. Beeko nannte als Beispiele die Demokratiebewegung in Hongkong und Belarus sowie die Proteste gegen Polizeigewalt in Nigeria und weltweit gegen Rassismus im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung. Der gebürtige Kölner Beeko hat Betriebswirtschaft studiert und ist seit 2004 für Amnesty tätig, seit 2016 als Generalsekretär der deutschen Sektion.

China, Hongkong und Vietnam sind nach seinen Worten eklatante Beispiele dafür, wie Staaten die Überwachung verschärft haben. In vielen afrikanischen Ländern seien Ernährung, Sicherheit, Bildung und Gesundheitsfürsorge für einen Großteil der Bevölkerung nicht gesichert. "Wo Aktivisten, Gewerkschafter oder Journalisten auf Mängel oder Misswirtschaft hingewiesen haben, wurden sie verfolgt oder Repressalien ausgesetzt", sagte Beeko und verwies auf Niger, Kenia, Angola, Nigeria und Simbabwe.

"Viele Regierungen befürchten politische Instabilität. Um das zu verhindern, setzen sie auf Gewalt und Repression", erläuterte der Amnesty-Generalsekretär. Wo vor der Pandemie schon Bevölkerungsgruppen unterdrückt worden seien, "waren die Hemmschwellen sehr niedrig, in der Pandemie mit massiver Gewalt vorzugehen." Zumal in vielen afrikanischen Ländern wie Tansania, Burundi und Elfenbeinküste gewählt worden sei.

Zugleich beklagte Beeko besonders in Entwicklungsländern gravierende soziale Folgen der Pandemie. "Corona hat die Schwachen schwächer gemacht", sagte er. Viele Jobs seien ohne Ausgleich weggefallen, Hilfsprogramme seien gestoppt worden und der Zugang zu Bildung schwerer geworden. "Entwicklungsfortschritte stehen auf der Kippe", warnte Beeko. "Geld, das jetzt in die Pandemie-Bekämpfung fließt, fehlt an anderer Stelle in der Gesundheitsversorgung oder in der Armutsbekämpfung."

epd-Gespräch: Elvira Treffinger


UN-Hochkommissarin prangert Kriegsführung in Äthiopien an

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, hat die Kriegsführung in Äthiopiens Tigray-Region als grausam angeprangert. Es gebe Berichte über Artilleriebeschuss auf Wohngebiete, gezielte Angriffe auf Zivilisten, willkürliche Tötungen und weit verbreitetes Plündern, kritisierte Bachelet am 22. Dezember in Genf. Die Kriegsparteien scherten sich nicht um den Schutz von Zivilisten.

Die Kämpfe zwischen Äthiopiens Armee und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) dauerten an. Bachelet verlangte von der äthiopischen Regierung, humanitären Helfern freien Zugang zur Bevölkerung in Tigray zu gewähren. Zudem verlangte sie eine unabhängige Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und Verstößen gegen das Völkerrecht in Tigray.

Die nationale Wahlkommission Äthiopiens kündigte an, die in diesem Jahr wegen Corona abgesagten Parlaments- und Regionalwahlen für Ende Mai oder Anfang Juni 2021 zu planen. Sprecherin Soliana Shimelis sagte dem britischen Rundfunksender BBC, die Vorbereitungen dazu liefen. Oppositionsparteien kritisierten, wegen der Repressalien der Regierung könnten sie sich nicht auf Wahlen vorbereiten. Die Oromo-Befreiungsfront (OLF) erklärte, praktisch alle ihre Führungspersönlichkeiten und Partei-Offiziellen seien in Haft, ihre Büros geplündert, geschlossen oder unter staatlicher Kontrolle. Ministerpräsident Abiy Ahmed hatte bereits bei seinem Amtsantritt 2018 faire und freie Wahlen versprochen.

Vertreibung von Zehntausenden befürchtet

Unterdessen befürchtet das Flüchtlingshilfswerk UNHCR die Vertreibung von weiteren Zehntausenden Menschen aus Tigray ins Ausland. Bis Mitte kommenden Jahres könnten insgesamt 115.000 Kinder, Frauen und Männer vor der Gewalt über die Grenzen fliehen, teilte ein Sprecher des Hilfswerks UNHCR mit. In den vergangenen sechs Wochen seien bereits 52.000 Menschen aus Tigray in den Sudan geflüchtet, erklärte der UNHCR-Sprecher Andrej Mahecic. Auch Dschibuti und Eritrea könnten zum Ziel für Flüchtlinge werden.

Anfang November begannen die Kämpfe zwischen der äthiopischen Armee und der Volksbefreiungsfront von Tigray, welche die regionale Regierung stellte. Die Region ist weitgehend abgeschottet. Unabhängige Berichte dazu gibt es nicht. Die Tigray-Minderheit hatte im Vielvölkerstaat Äthiopien lange Zeit eine entscheidende Stellung in Politik und Armee, seit dem Machtantritt von Ministerpräsident Abiy hat sie an Einfluss verloren. Abiy ist der erste Regierungschef, der der größten Volksgruppe der Oromo angehört.



Menschenrechtler: Corona trifft Indigene besonders stark

Indigene Völker waren nach Angaben von Menschenrechtlern in diesem Jahr weltweit deutlich stärker von der Corona-Pandemie betroffen als die Gesamtbevölkerung in den jeweiligen Ländern. "Die ständigen Herausforderungen indigener Völker, wie relative Armut, mangelnde politische Repräsentation und ein erschwerter Zugang zur Gesundheitsversorgung, haben sich in der Pandemie als besonders fatal erwiesen", sagte Yvonne Bangert von der Gesellschaft für bedrohte Völker am 22. Dezember in Göttingen. In vielen Ländern sei die Corona-Sterblichkeitsrate unter Indigenen darum bis zu doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung.

"In Brasilien wird die Misere durch einen Präsidenten befeuert, der die Pandemie kleinredet und aktiv gegen indigene Interessen arbeitet", fügte Bangerts Kollegin Juliana Miyazaki mit Blick auf den rechtsextremen Staatschef Jair Bolsonaro hinzu. Viele Gemeinschaften hätten in Brasilien eigene Kontrollpunkte eingerichtet, um Ankommende zur Quarantäne zu verpflichten oder an der Einreise in ihre Gebiete zu hindern. Doch illegal eindringende Holzfäller oder Goldschürfer, oft sogar medizinisches Personal, brächten auch das Virus mit. Bis Mitte Dezember seien in Brasilien mehr als 42.000 Infektionen und fast 900 Tote unter Indigenen bestätigt worden.

Auch in anderen Staaten Lateinamerikas und der Karibik sind der Gesellschaft zufolge die Zahlen alarmierend. Kolumbien habe bis vor einem Monat etwa 35.000 Infektionen unter Indigenen und über 1.200 Tote gemeldet, Mexiko schätze die Zahl der infizierten Indigenen auf gut 9.000 und die Zahl der Toten auf rund 1.100. Zumeist könnten die tatsächlichen Zahlen aber noch höher liegen, weil vergleichsweise wenig und unsystematisch getestet werde, sagte Miyazaki. Indigene in Ecuador hätten die Tests selbst organisieren und finanzieren müssen.

Auch in Nordamerika seien Ureinwohner ebenfalls wesentlich stärker von der Pandemie betroffen und hätten einen schlechteren Zugang zu Informationen und medizinischer Versorgung. In den USA hätten sie die Auszahlung ihrer Corona-Nothilfe vor Gericht einklagen müssen.

Die indigenen Völker der Arktis, vor allem in Russland, seien dem Virus oft durch Großbaustellen für Ölförder- und Bergbauprojekte ausgesetzt, berichtete Bangert: "Dort tummeln sich Hunderte Menschen aus allen Landesteilen, die Belegschaft wechselt zudem häufig - ideale Bedingungen für die Ausbreitung also." Zudem habe die russische Regierung in den vergangenen Jahren zahlreiche kleinere medizinische Einrichtungen geschlossen. Im Falle einer Infektion seien die Indigenen auf sich allein gestellt.



"Ocean Viking" darf nach fünf Monaten wieder aufs Mittelmeer

Die italienischen Behörden haben nach rund fünf Monaten das Rettungsschiff "Ocean Viking" freigegeben. Das von der europäischen Organisation SOS Méditerranée betriebene Schiff war seit dem 22. Juli festgehalten worden. Wie SOS Méditerranée am 21. Dezember in Berlin mitteilte, soll die "Ocean Viking" in Kürze von Sizilien aus nach Marseille fahren, um in Frankreich eine Rettungscrew und ein medizinisches Team an Bord zu nehmen. Nach einer zehntägigen Corona-Quarantäne sei für Januar der nächste Einsatz zur Rettung von Flüchtlingen im zentralen Mittelmeer geplant.

Ähnlich wie in anderen Fällen ziviler Rettungsschiffe hatten italienische Behörden mehrfach technische Mängel an der "Ocean Viking" beanstandet. Am 21. Dezember habe die italienische Küstenwache die dritte Inspektion innerhalb von fünf Monaten vorgenommen und im Anschluss das Schiff freigegeben, erklärte SOS Méditerranée. Geschäftsführer David Starke sagte: "Hunderte Menschen sind in den vergangenen Monaten im Mittelmeer ertrunken, von denen wir und andere blockierte Seenotrettungsorganisationen viele hätten retten können." Fünf Schiffe von zivilen Organisationen können laut SOS Méditerranée aufgrund von Festsetzungen durch Behörden weiterhin nicht im Einsatz sein.

Nach Angaben der Organisation hatte Italien die "Ocean Viking" im Sommer festgesetzt, obwohl sie seit August 2019 unter hohen Sicherheitsstandards im Rettungseinsatz gewesen sei. Im Hafen von Augusta auf Sizilien sei nun die geforderte zusätzliche Notfallausrüstung an Bord montiert worden. Zu den bisherigen Notfallrettungsinseln seien acht große weitere installiert worden, die im Falle einer Havarie des Schiffes jeweils 100 Menschen aufnehmen können. Außerdem sei das Schiff mit zusätzlichen Rettungswesten und Notfall-Überlebensanzügen bestückt worden.



Gedenken an die Opfer der Tsunami-Katastrophe vor 16 Jahren

Mit Gebeten und Gedenkveranstaltungen haben Menschen in Südost- und Südasien an die Opfer der Tsunami-Katastrophe vor 16 Jahren erinnert. In der indonesischen Provinz Aceh, wo die meisten Menschen gestorben waren, wurde wegen der Corona-Pandemie eine der Zeremonien am 26. Dezember live im Internet übertragen.

Am 26. Dezember 2004 hatte ein Seebeben der Stärke 9,1 vor der Nordwestküste Sumatras einen Tsunami ausgelöst. Dabei waren in den Anrainerstaaten des Indischen Ozeans mehr als 230.000 Menschen ums Leben gekommen. Allein in Aceh wurden etwa 170.000 Tote registriert. Auf Sri Lanka, wo mindestens 35.000 Menschen starben, entzündeten Bewohner Kerzen und hielten zwei Schweigeminuten ab. Auch in Indien sowie an Thailands Andamanenküste hatten die Flutwellen Tod und Verwüstung hinterlassen.

In Thailand zählten die Strände und Küstenabschnitte der Ferieninsel Phuket sowie der Provinz Phang Nga, darunter das Fischerdorf Ban Nam Khem, zu den am schwersten zerstörten Regionen. Offiziell wurden in dem südostasiatischen Land über 5.000 Tote bestätigt. Fast die Hälfte waren ausländische Urlauber, darunter mehr als 500 Deutsche. Weit über 3.000 weitere Tsunami-Opfer gelten weiter als vermisst.