Kirchen

"Sea-Watch 4" rettet knapp 100 Menschen aus Seenot


"Sea-Watch 4" nimmt erste Gerettete an Bord
epd-bild/Thomas Lohnes
Die "Sea-Watch 4" patroulliert in der Rettungszone vor Libyen. Am Wochenende barg sie 97 Menschen von einem überfüllten Schlauchboot und nahm Gerettete von einem anderen Schiff an Bord.

Bei ihrer ersten Mission im Mittelmeer hat die Crew des deutschen Schiffs "Sea-Watch 4" am 23. August 97 Menschen aus Seenot gerettet. Wie die Organisation Sea Watch mitteilte, waren unter den Migranten 28 unbegleitete Minderjährige und neun Kinder mit mindestens einem Elternteil an Bord. Sieben der Kinder waren unter fünf Jahre alt. Die Menschen waren laut Sea Watch auf einem überfüllten und seeuntauglichen Schlauchboot unterwegs. Die Rettungsaktion fand den Angaben zufolge rund 31 Seemeilen vor der libyschen Küste statt.

Von den 60 Erwachsenen auf dem Schlauchboot waren 13 Frauen. Die Geretteten wurden nach ihrer Bergung von Ärzten untersucht. Die "Sea-Watch 4", die auf eine kirchliche Initiative zurückgeht, setzte danach nach eigenen Angaben ihre Patrouille vor der libyschen Küste fort.

Rettungseinsätze in internationalen Gewässern

Bereits am 22. August hatte das zum Rettungsschiff umgebaute frühere Forschungsschiff sieben Menschen an Bord genommen. Sie wurden zunächst von einem kleineren Schiff gerettet, das die "Sea-Watch 4" um Unterstützung gebeten hatten. An Bord des von Sea Watch und "Ärzte ohne Grenzen" betriebenen Schiffes befinden sich damit inzwischen 104 aus Seenot gerettete Migranten.

Das Schiff war am 15. August vom spanischen Hafen Burriana zu seiner ersten Mission ausgelaufen. Die "Sea Watch 4" will in Seenot geratenen Migranten helfen. Das Schiff wurde überwiegend aus kirchlichen Spenden finanziert. Am 21. August erreichte das Rettungsschiff die sogenannte Such- und Rettungszone vor der libyschen Küste. Die Rettungseinsätze fanden nach Angaben der Schiffsbesatzung jeweils in internationalen Gewässern statt.

Bootsunglück vor Libyen

Vor einer Woche waren vor der Küste Libyens mindestens 45 Menschen ums Leben gekommen. Es handelt sich um das schlimmste Unglück mit Bootsflüchtlingen, das in diesem Jahr bislang bekannt wurde.

Ursprünglich wollte die "Sea-Watch 4" schon im April zu ihrem ersten Einsatz aufbrechen. Der Start hatte sich aber wegen der Corona-Pandemie verzögert. Nach Angaben von Sea Watch sind derzeit kaum Seenothelfer im Mittelmeer unterwegs. Eine staatliche Rettungsmission gibt es nicht.



"Ohne uns würden noch mehr Menschen sterben"


Arnaud Banos
epd-bild/Thomas Lohnes
Der französische Seenotretter Arnaud Banos bekräftigt die Notwendigkeit der zivilgesellschaftlichen Seenotrettung.

"Wenn wir nicht hier sind, ist es niemand. Ohne uns würden noch mehr Menschen sterben", sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) auf dem Seenotrettungsschiff "Sea-Watch 4", das auf seinem ersten Einsatz im Mittelmeer ist. Das Schiff, das unter anderem von den evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen mit unterstützt wird, ist auf dem Weg in die Such- und Rettungszone vor Libyen. Der 47-Jährige Banos begleitet die "Sea-Watch 4".

epd: Herr Banos, Sie sind Seenotretter und sogenannter Cultural Mediator auf der "Sea-Watch 4". Was sind Ihre Aufgaben auf dem Schiff?

Arnaud Banos: Bei unseren Rettungs-Einsätzen nähern wir uns mit zwei Schnellbooten den Schiffsbrüchigen. Ich stehe vorne und bin der erste, der mit den Menschen in Seenot spricht. Das ist wichtig, damit sie nicht in Panik geraten und die Rettung möglichst ruhig und koordiniert abläuft. Ich verteile die Rettungswesten. Mit den Schnellboote bringen wir die Menschen dann auf die "Sea-Watch 4". Auf dem Schiff selbst bin ich im Team für die Kommunikation mit den Geretteten und für das Zusammenspiel zwischen Crew und unseren Gästen verantwortlich. Wir übersetzen, wenn nötig - Englisch, Französisch, ein bisschen Arabisch.

epd: Welche Qualifikation bringen Sie mit für diese Aufgabe?

Banos: Ich bin ausgebildeter Seenotretter in Frankreich und in Griechenland. Als Kultur-Mediator muss ich vermitteln zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen. Auf der "Sea-Watch 4" bin ich zum ersten Mal mit so vielen Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammen. Das Wichtigste an meiner Arbeit ist es, ruhig zu bleiben. Wenn ich gestresst bin, werden es alle sein. Also muss ich derjenige sein, der gelassen bleibt - egal was passiert. Alles muss unter Kontrolle bleiben. Und wenn wir die Kontrolle verlieren, sollten wir das nicht zeigen. Wenn Probleme auftreten, müssen schnell Lösungen her. Das Entscheidende ist, Zuversicht und Vertrauen auszustrahlen.

epd: Was ist der schwierigste Teil einer Seenotrettung?

Banos: Selbst wenn die besten Bedingungen gegeben sind - das Wetter ist gut, die Geretteten sind in einem guten Allgemeinzustand und nicht zu erschöpft nach einer mehrtägigen Odyssee im Meer - gibt es viele sehr schwierige und gefährliche Situationen, die auftreten können. Wenn die Retter kommen und zu schnell anfahren, kann Panik ausbrechen. Die Menschen werden von uns von einfachen Plastik- oder Holzbooten auf Schnellboote und von dort auf das Schiff gebracht. Sie können ins Wasser fallen, manche können nicht schwimmen.

Und wir reden hier ja nicht von einer Person, sondern von teils bis zu 60 Menschen, die wir aufnehmen. Alles muss sicher und geplant ablaufen. Und das alles mit Menschen, die aus unterschiedlichen Ländern kommen, unterschiedliche Sprachen sprechen, die lange Zeit auf See waren, die sehr gelitten haben, die schwach sind und nicht gerade in der besten mentalen Verfassung.

epd: Welche herausfordernde Situationen können auftreten?

Banos: Es gibt schlechte Szenarien, zum Beispiel, wenn die Leute glauben, dass wir nur hier sind, um sicherzustellen, dass sie nach Libyen zurückkehren. Die Retter sehen mit Helm, Overall und Maske auch ziemlich militärisch aus, aber das ist momentan sehr wichtig zum Schutz gegen Corona. Da kann schnell Panik aufkommen. Oder wenn das Wetter schlecht wird, der Wind kommt und hohe Wellen schlagen - das sind alles Situationen, die Angst machen können. Wir müssen auf alle Eventualitäten vorbereitet sein und das sind wir auch.

epd: Wie kamen Sie dazu, Seenotretter zu werden?

Banos: Alles begann 2013. Wie viele europäische Bürger habe ich gesehen habe, dass Europa zwar Menschen aus dem Meer rettet, aber niemand einen Plan hat, wo sie leben können. Viele Jahre habe ich diesen Zustand beobachtet und wusste nichts dagegen zu tun. Über die Jahre dann wurde für mich deutlich, dass die europäischen Regierungen ihre Programme zur Seenotrettung stoppen und aufhören, Menschen zu retten. Man tat also gar nichts mehr! Gleichzeitig kriminalisierte Europa die Zivilgesellschaft und die privaten Seenotretter. Man sagte, dass, wenn die private Seenotrettung aufhört, Menschen nicht mehr flüchten. 2017 war das alles zu viel für mich. Ich konnte das nicht mehr akzeptieren und musste etwas tun.

epd: Wie ging es dann weiter?

Banos: Ich habe mich entschieden, mein altes Leben hinter mir zu lassen. Ich kündigte meinen gut bezahlten Job am "Centre national de la recherche scientifique", dem Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung, meine Familie und ich sind daraufhin von Paris nach Le Havre ans Meer gezogen und ich habe eine einjährige Ausbildung zum Seenotretter in gemacht. Ich habe eine spezielle Qualifikation, mit der ich Menschen auf offener See retten kann. Die Ausbildung dauert mindestens ein Jahr und ich trainiere fünf Tage in der Woche.

Meine Familie habe ich von Anfang an eingebunden. Wir haben einen zweiwöchigen Trip nach Griechenland gemacht und haben die Flüchtlingslager Moria und Kara Tepe besucht. Was wir auf Lesbos gesehen haben war Ungerechtigkeit, Gewalt und Verzweiflung. Nur wenige Menschen helfen, die meisten sind Griechen vor Ort, die einfach überfordert sind. Und das alles in Europa! Nach dieser Erfahrung haben meine Familie und ich zusammen beschlossen, unser Leben zu ändern. Meine Familie weiß, warum ich hier bin und dass ich hier sein muss. Wenn wir nicht hier sind, ist es niemand. Ohne uns würden noch mehr Menschen sterben.

epd: Sind Sie glücklich?

Banos: Ja, das einzige, was ich bedauere, ist, nicht früher mein Leben geändert zu haben. Aber ich fühle mich auch müder, denn ich bin mittendrin, ich weiß, was wirklich passiert und höre nicht nur davon. Ich sehe, wenn die Menschen in Seenot leiden, ich sehe, dass sie Hilfe brauchen, ich sehe die institutionelle Gewalt, der sie ausgesetzt sind. Mein Leben heute ist herausfordernder, aber ich bin glücklicher als zuvor.

epd-Gespräch: Constanze Broelemann und Thomas Lohnes


Tote bei Flüchtlingsunglück vor der libyschen Küste

Bei einem Flüchtlingsunglück vor der libyschen Küste sind zahlreiche Menschen ums Leben gekommen. Der Rote Halbmond barg nach Angaben des Libyen-Verantwortlichen der Internationalen Organisation für Migration (IOM), Federico Soda, 22 Leichen am Strand von Zuara. "Diese schmerzlichen Tode sind das Ergebnis der immer härter werdenden Politik gegenüber Menschen, die vor Konflikten und extremer Armut fliehen", erklärte Soda am 23. August auf Twitter.

Die Organisation Alarm Phone machte erneut auf das Schicksal von 27 geretteten Bootsflüchtlingen auf dem Frachter "Etienne" aufmerksam, die seit 17 Tagen vor Malta auf die Ausschiffung warten. Die Notruf-Initiative geht davon aus, dass die Weigerung Maltas, die Flüchtlinge an Land gehen zu lassen, Frachter davon abhalten soll, die laut Seerecht verpflichtende Hilfe bei in Not geratenen Flüchtlingsbooten zu leisten.



Präses Kurschus: Seenotrettungsschiff wichtiges Zeichen


Annette Kurschus
epd-bild//Bernd Tiggemann

Die westfälische Präses Annette Kurschus hat das Auslaufen des kirchlichen Seenotrettungsschiffs "Sea-Watch IV" begrüßt: "Ich freue mich darüber. Mit diesem Schiff wird das Leben vieler Menschen gerettet werden", erklärte die leitende Theologin am 17. August in Bielefeld. Das Rettungsschiff sei "ein starkes Zeichen", es stehe für "Hoffnung, Courage und Solidarität mit den Schutzbedürftigen", sagte Kurschus, die auch stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist.

Es gebe weiterhin dramatische Nachrichten und Bilder aus dem Mittelmeer mit verunglückten Booten und Menschen, die ohne Hilfe bleiben und ertrinken würden, sagte die leitende Theologin weiter. Es sei ein Skandal, dass staatlichen Behörden zugleich Rettungsschiffe am Auslaufen hindern würden.

Seenotrettung sei zuallererst eine Sache der Humanität und Mitmenschlichkeit, unterstrich Kurschus. Es stehe außerfrage, dass politische Steuerungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Flucht und Migration nötig seien. Unabhängig von allen nötigen grundsätzlichen Überlegungen zur Migrationspolitik in Europa gelte: "In konkreter Not muss zunächst ganz praktisch alles getan werden, um gefährdete Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren und sie in einen sicheren Hafen zu bringen."

Das Seenotrettungsschiff "Sea-Watch 4" war am 15. August zu seinem ersten Einsatz im Mittelmeer aufgebrochen. Das ehemalige Forschungsschiff wurde vom Bündnis "United4Rescue" finanziert, das von der EKD initiiert wurde. Auch die rheinische, westfälische und lippische Landeskirche sowie einzelne Kirchengemeinden und Privatpersonen unterstützen das Bündnis. Die Initiative eines kirchlichen Seenotrettungsschiffs im Mittelmeer geht auf den evangelischen Kirchentag in Dortmund 2019 zurück.



Westfälische Kirche besetzt Bereich Bildung neu


Bibel im Religionsunterricht
epd-bild/Meike Böschemeyer

Die Religionspädagogin Monika Pesch und der Theologe Rainer Timmer haben in der Evangelischen Kirche von Westfalen den Bereich Bildung und Erziehung übernommen. Die beiden Landeskirchenräte treten damit die Nachfolge des Dreier-Teams Werner Prüßner (64), Fred Sobiech und Wolfram von Moritz (beide 65) an, die in den Ruhestand gegangen sind, wie das Bielefelder Landeskirchenamt am 19. August mitteilte.

Noch besetzt werden muss demnach die Stelle eines Juristen im Bildungsbereich, der für die Leitung der Personalverwaltung und Haushaltsangelegenheiten der sieben Schulen der westfälischen Kirche zuständig ist. Der Landeskirchenrat Andreas Heidemann, der erst im Februar seinen Dienst im Bielefelder Landeskirchenamt angetreten hatte, war Anfang Juni im Alter von 44 Jahren plötzlich verstorben.

Die neue Bildungsdezernentin Pesch (51) ist unter anderem für die pädagogische Schulaufsicht der landeskirchlichen Schulen zuständig. Die gebürtige Siegerländerin war zuletzt Schulleiterin am Evangelischen Gymnasium Lippstadt. Pesch ist zudem Vorsitzende des Bundes evangelischer Religionslehrerinnen und Lehrer an Gymnasien und Gesamtschulen in Westfalen und Lippe.

Im Team arbeitet die 51-Jährige mit Rainer Timmer (58) zusammen. Der aus Holzen bei Dortmund stammende Theologe hatte zuvor das Pädagogische Institut der westfälischen Kirche in Schwerte geleitet, das sich pädagogischen, religionspädagogischen und schulpolitischen Themen widmet. Das Institut qualifiziert Lehrerinnen, Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiter durch Fort- und Weiterbildung. Auch Angebote und Projekte in bildungspolitischen Fragen für Schule und Kirche werden dort entwickelt.



Leitungswechsel im Pädagogischen Institut in Schwerte

Neuer Leiter des Pädagogischen Instituts der Evangelischen Kirche von Westfalen in Schwerte wird der Pädagoge Thomas Schlüter. Der 40-Jährige tritt die Nachfolge von Rainer Timmer an, der Anfang August als landeskirchlicher Bildungsdezernent ins Landeskirchenamt nach Bielefeld wechselte, wie die westfälische Kirche am 20. August in Bielefeld mitteilte. Schlüter war bereits seit 2018 ständiger stellvertretender Leiter des Instituts.

Der in Lünen geborene Schlüter studierte unter anderem Evangelische Theologie, Physik und Erziehungswissenschaften auf Lehramt an der Universität Dortmund. Für das Theologiestudium sei er zusätzlich an die Universität Bochum und die Humboldt-Universität zu Berlin gewechselt, hieß es. Nach einer fünfjährigen Tätigkeit für die Evangelische Kirchengemeinde Lünen habe Schlüter sein Referendariat fürs Lehramt der Sekundarstufen I und II am Dortmunder Heisenberg-Gymnasium absolviert.

"Denkfabrik" der westfälischen Landeskirche

An das Pädagogische Institut kam Schlüter den Angaben zufolge bereits 2007: Nachdem er zunächst als Honorarkraft für den Fachbereich "Dienst an den Schulen" gearbeitet habe, sei er im Jahr 2013 zum Dozenten berufen worden. Zu seinen wissenschaftlichen Tätigkeiten gehörten verschiedene Lehraufträge an den Instituten für Evangelische Theologie und für Psychologie an der Technischen Universität Dortmund.

Das Pädagogische Institut in Schwerte versteht sich als "Denkfabrik" der westfälischen Landeskirche für pädagogische, religionspädagogische und schulpolitische Themen. Es fördert den Dialog von Theologie und Pädagogik und qualifiziert Lehrerinnen, Pfarrer und andere kirchliche Mitarbeiter durch Fort- und Weiterbildung. Die Mitarbeiter des Instituts entwickeln Angebote und Projekte in bildungspolitischen Fragen für Schule und Kirche.



Bischöfe bestürzt über mutmaßlich islamistischen Anschlag

Die Berliner Bischöfe von katholischer und evangelischer Kirche haben mit Bestürzung auf den mutmaßlich islamistischen Anschlag auf der Berliner Stadtautobahn reagiert. "Unsere Gedanken und Gebete gelten den Opfern der offenbar bewusst herbeigeführten Unfälle und ihren Angehörigen", erklärten Bischof Christian Stäblein von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Erzbischof Heiner Koch vom Erzbistum Berlin. Zugleich wandten sie sich "gegen jegliche Versuche, die Religion für die Begründung von Terror und Gewalt zu missbrauchen".

Bei der Unfallserie am 18. August gegen 19 Uhr waren zwischen Wilmersdorf und Tempelhof insgesamt sechs Menschen verletzt worden, drei davon schwer. Den Angaben zufolge führte der mutmaßliche Täter, ein 30 Jahre alter Iraker, gezielt mehrere Kollisionen mit anderen Fahrzeugen herbei. Laut Polizei und Staatsanwaltschaft machte er regelrecht "Jagd auf Motorradfahrer". Einer von ihnen wurde bei der Attacke schwerstverletzt.

Die Ermittlungsbehörden sehen Hinweise auf ein islamistisch motiviertes Tatgeschehen, unter anderem wegen seiner Aussagen nach der Attacke. Außerdem gebe es Hinweise auf eine psychische Labilität des Unfallverursachers. Die Staatsanwaltschaft geht von mindestens drei Fällen von versuchtem Mord aus.



Umstrittener Bremer Pastor darf weiter predigen


Olaf Latzel
epd-bild/Alasdair Jardine

Der wegen Volksverhetzung von der Bremer Staatsanwaltschaft angeklagte Pastor Olaf Latzel wird weiter in der St. Martini-Gemeinde in der Innenstadt predigen. Dies sei das Ergebnis eines Dienstgespräches, dass die Kirchenleitung am 18. August mit dem Theologen geführt habe, teilte die Bremische Evangelische Kirche mit. Latzel werde seinen Dienst wieder aufnehmen und habe sich "insbesondere zu einer Mäßigung im Rahmen seines Verkündigungsauftrags verpflichtet", hieß es. Über den sonstigen Inhalt des Dienstgesprächs und der Vereinbarung hätten beide Seiten Vertraulichkeit vereinbart.

Das kirchliche Disziplinarverfahren bleibe von dieser Vereinbarung jedoch unberührt, hieß es weiter. Es bleibe weiterhin ausgesetzt, bis das Strafverfahren gegen den Pastor abgeschlossen ist. Eine Sprecherin des Amtsgerichts Bremen sagte gegenüber dem epd auf Nachfrage, dass über die Annahme der Klage frühestens im September entschieden werde.

Nach der Anklage wegen Volksverhetzung und einem Dienstgespräch Anfang Juli hatte Latzel seinen Urlaub angetreten, der noch bis zum 24. August andauert. Ein Predigtverbot hatte der leitende Kirchenausschuss nicht verhängt. Die Staatsanwaltschaft wirft Latzel Äußerungen vor, die der Pastor im Verlauf eines Ehe-Seminars am 19. Oktober des vergangenen Jahres getätigt hatte. Sie könnten den öffentlichen Frieden stören und zum Hass gegen homosexuelle Menschen aufstacheln, hieß es. Zugleich verletzen die Äußerungen nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft die Menschenwürde.

"Teuflisch und satanisch"

Der konservative evangelische Theologe hatte im Verlauf des Seminars gesagt, Homosexualität stehe gegen die göttliche Schöpfungsordnung. Er warnte vor einer "Homolobby": "Überall laufen die Verbrecher rum vom Christopher Street Day. Der ganze Genderdreck ist ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung, ist teuflisch und satanisch." Das verunsichere Leute, zerstöre Zivilisation und Kultur.

Der leitende Theologe der bremischen Kirche, Bernd Kuschnerus, hatte den Tatvorwurf und die Anklage damals als "schwerwiegend" bezeichnet. Pastorinnen und Pastoren hätten eine Vorbildfunktion und eine Vertrauensposition und trügen durch ihr Amt eine besondere Verantwortung: "Dass Äußerungen eines Pastors Anlass zu einer Anklage wegen Volksverhetzung gegeben haben, erschüttert mich zutiefst."



Staubfrei nach den Ahnen fahnden


Zahlreiche historische Kirchenbücher wurden bereits digitalisiert.
epd-bild / Susanne Hübner
Seit fünf Jahren bietet das Portal "Archion" online den Blick in alte evangelische Kirchenbücher. Für Familienforscher sind die digitalisierten Aufzeichnungen aus vergangenen Jahrhunderten eine Fundgrube.

Wer in Deutschland in die Geschichte seiner Ahnen eintauchen will, kommt an Kirchenbüchern kaum vorbei. Dort sind Taufen, Trauungen und Todesfälle akribisch notiert - und da in früheren Jahrhunderten nahezu alle Bürger auch Kirchenmitglieder waren, findet man in den Büchern sämtliche Namen. Seit fünf Jahren lassen sich viele der historischen Dokumente auch über das Internet einsehen: Das Kirchbuchportal "Archion" mit Sitz in Stuttgart stellt inzwischen 100.000 evangelische Kirchenbücher digital zur Verfügung.

Die Corona-Krise hat das Interesse an der Online-Ahnenforschung noch einmal beflügelt, beobachtet "Archion"-Geschäftsführer Harald Müller-Baur. Die Kirchenbücher lassen sich im Netz gegen Gebühr zu jeder Tages- und Nachtzeit lesen, der Blick hinein ist nicht durch Öffnungszeiten oder Hygieneregeln von Archiven oder Pfarrämtern beschränkt. Außerdem entstehen bei diesem Rechercheweg keine Reisekosten.

Scheidungsskandal von 1780

Kirchenbücher bieten für die Genealogie (Ahnenforschung) verlässliche Basisdaten: Wer wurde wann geboren, hat wen geheiratet, hatte wie viele Kinder, ist wann gestorben. Wie ein Detektiv zieht ein Genealoge Namenslinien über Generationen, entdeckt Querverbindungen und möglicherweise Verwandte, von denen er bislang nichts wusste. Manchmal enthalten die Bücher zudem Notizen, etwa zu den Todesursachen eines Menschen, was dann weitere Rückschlüsse auf die Familiengeschichte ermöglicht.

Akribische Recherche in den langen Namenslisten fördert immer wieder Faszinierendes oder Skurriles zutage. So meldete sich etwa beim Pfarramt im nordhessischen Rengshausen ein Soldat, den das Militär als Gefallenen des deutsch-französischen Kriegs 1870 deklariert hatte. "Da er noch lebe", ließ er seinen persönlichen Fortbestand von drei Bürgern amtlich beglaubigen. Im westfälischen Rahden beantragte 1780 ein Ehepaar die Scheidung, was in jener Zeit einem gesellschaftlichen Skandal gleichkam. Die beiden bereuten ihren Schritt allerdings und heirateten kurz darauf einander zum zweiten Mal.

Startfinanzierung von der EKD

Seit der Gründung ist die Datenmenge bei "Archion" geradezu explodiert. Die 100.000 Kirchenbücher liegen auf 16 Millionen Einzelbildern vor, von denen statistisch im vergangenen Jahr jedes dreieinhalbmal aufgerufen wurde. Deshalb überrascht es nicht, dass die Kosten für die Datenverarbeitung rund ein Drittel des Gesamtbudgets von "Archion" ausmachen. Heute gibt es in dem Unternehmen drei Vollzeitstellen, die von insgesamt sechs Mitarbeitern besetzt werden. Nach einer Startfinanzierung durch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) muss sich die Firma selbst tragen. Die Nutzergebühren decken den laufenden Betrieb, sagt Geschäftsführer Müller-Baur.

Die Digitalisierung aller Kirchenbücher ist allerdings bei weitem noch nicht abgeschlossen. Müller-Baur schätzt, dass bislang weniger als die Hälfte aller evangelischen Bücher erfasst ist. Der Grund: Südliche Kirchen wie Württemberg und Baden konnten schon vor Jahrzehnten staatlich gefördert ihre Bücher auf Mikrofilm archivieren. Andere Kirchen, vor allem im Osten Deutschlands, haben diesen Prozess teilweise erst begonnen.

Die Ökumene funktioniert bei den Online-Kirchenbüchern allerdings nicht. Zwar hat "Archion" aus der Pfalz auch katholische Dokumente archiviert, weil diese teilweise im Landesarchiv in Speyer lagern. Doch für andere Regionen sieht es dünn aus. Auf katholischer Seite hat das österreichische Portal "Matricula" die Marktführerschaft übernommen, dort wurden jüngst zum Beispiel 900 Kirchenbücher aus dem Bistum Augsburg hochgeladen.

Sütterlin-Kenntnisse Pflicht

Auch wenn inzwischen eine Fülle dieser historischen Dokumente digital vorliegt - allzu einfach darf man sich die Ahnenforschung via Kirchenbuch nicht vorstellen. Wichtigste Voraussetzung ist, alte Schriftarten wie die Sütterlin-Schrift lesen zu können. Ohne diese Fähigkeit ist man beim Blick auf Tauf- und Sterberegister verloren. Doch gibt es im Internet dazu kostenlose Kurse.

Die alte Schrift verhindert bislang auch eine effektive Texterkennung durch den Computer. Das bedeutet: Die Recherche findet tatsächlich nur durch das Ansehen der fotografierten Buchseiten statt. Eine Namenssuche wie bei Google ist noch nicht möglich. Von den 6.000 Menschen, die "Archion" im vergangenen Jahr genutzt haben, kamen 84 Prozent aus Deutschland, der Rest überwiegend aus den USA.

Ab und zu entdeckt auch der studierte Archivwissenschaftler Harald Müller-Baur erstaunliche Perlen der Alltagsgeschichte in den alten Büchern: So heiratete ein evangelischer Pfarrer in Mehrstetten auf der Schwäbischen Alb im späten 17. Jahrhundert eine gebürtige Muslimin, die in den Türkenkriegen aus Belgrad verschleppt worden war. Die Frau musste allerdings zum Christentum übertreten, bevor sie den Theologen ehelichen konnte.

Marcus Mockler (epd)


"Es wäre dieses Mal wirklich eine Stille Nacht"


Christvesper
epd-bild/Jens Schulze
Bereits jetzt im Sommer planen viele Pfarrer den Weihnachtsabend im Corona-Jahr 2020. Gesang und dichtgefüllte Reihen darf es wohl nicht geben. Für ein "Unterwegs-Weihnachten" im Freien plädiert der Mainzer Theologie-Professor Kristian Fechtner.

"Wenn es regnet", sagt Walter Becker, "dann haben wir ein riesiges Problem." Während die ganze Republik noch unter Trockenheit und Sommerhitze ächzt, denkt der Pfarrer aus der Südwestpfalz bereits an einen scheinbar weit entfernten Termin, der ihm dennoch viel Kopfzerbrechen bereitet. Wenn es nämlich regnet, würde es kompliziert werden mit dem Heiligabend-Gottesdienst auf dem Dorfplatz. In gut vier Monaten ist Weihnachten, und selbst in normalen Jahren beginnen Kirchengemeinden meist lange im Voraus mit den Vorbereitungen. Chöre und Bläsergruppen starten mit den Proben für ihre Auftritte, Texte für das Krippenspiel werden gesichtet. Doch 2020 ist nichts normal.

Wegen der Coronavirus-Pandemie müssen sich die Kirchen unter ganz anderen Bedingungen auf die Adventszeit und Heiligabend vorbereiten - ohne, dass jemand weiß, wie sich die Corona-Krise bis Dezember noch weiterentwickeln wird. Der rheinische Präses Manfred Rekowski warnte schon im Juli, Weihnachten werde 2020 "sicherlich nicht so sein wie in all den Jahren zuvor".

Zehn Gottesdienste hintereinander?

Hilfreiches Material und Tipps aus der Praxis für die Praxis in besonderen Zeiten: Unter diesem Motto betreibt das Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur (ZfGP) in Wittenberg seit Beginn der Corona-Krise im Internet die Ideenplattform "kirchejetzt.de". Das Angebot ist eine Kooperation mit den landeskirchlichen Gottesdienstarbeitsstellen und -instituten. Auch zu den anstehenden Festen von Erntedank bis Weihnachten werden wieder gute Ideen für Gottesdienst und Gemeinde gesammelt und auf kirchejetzt.de Pfarrerinnen und Pfarrern sowie anderen Verantwortlichen in den Gemeinden zur Verfügung gestellt.

"Wie wir alle wissen, lassen sich so gut wie keine Aussagen über den weiteren Verlauf der Pandemie und die damit verbundene Einschränkungen machen. Die Situation wird lokal verschieden sein und die behördlichen sowie die damit verbundenen landeskirchlichen Vorgaben entsprechend unterschiedlich", sagt die Theologische Referentin für Gottesdienstberatung, Pfarrerin Susanne Mathis-Meuret. "Die Verantwortlichen in den Gemeinden werden selber am besten beurteilen können, was von dem Material auf der Ideenplattform kirchejetzt.de dann jeweils zur aktuellen Situation vor Ort passt oder sich gut adaptieren lässt."

Manche Pfarrerinnen und Pfarrer haben bereits mit Entsetzen ausgerechnet, dass sie wohl zehn oder mehr Heiligabend-Gottesdienste nacheinander feiern müssten, wenn die üblichen Besuchermengen coronakonform in ihren Kirchen platziert werden sollen. Die zuletzt wieder gestiegenen Neuinfektionszahlen dämpfen den Optimismus, neue Erkenntnisse zur Verbreitung der Viren stimmen die Verantwortlichen zusätzlich skeptisch. Wenn Aerosole tatsächlich so gefährlich sind, wie Forscher vermuten, brauche man über gemeinsames Singen nicht weiter nachzudenken, sagt Jens-Peter Iven, Sprecher der rheinischen Landeskirche: "Und es wäre dieses Mal wirklich eine Stille Nacht, Heilige Nacht."

"Waldweihnachten"

Populär sind Überlegungen für Freiluft-Gottesdienste. Die hessen-nassauische Landeskirche empfiehlt ihren Gemeinden in einem aktuellen Papier, auch Markt- und Sportplätze könnten für Open-Air-Gottesdienste infrage kommen. Eine mögliche Alternative wären auch "Waldweihnachten", die mit Forstämtern und Pfadfinder-Gruppen zusammen organisiert werden könnten. Anderenorts sind die Verantwortlichen sogar schon weiter: Der Kirchenkreis Cottbus hat bereits erste Vorgespräche über die Anmietung des örtlichen Fußballstadions geführt.

"Weihnachten ist ein Fest, das einer Rückreise in vertraute Kindheitszeiten gleichkommt", erklärt Kristian Fechtner, Professor für Praktische Theologie an der Universität Mainz. Das Gefühl von Vertrautheit werde sich in Stadien aber nur schlecht einstellen, gibt er zu bedenken. Was ihm als Lösung für das Fest-Dilemma vorschwebt, nennt er "Unterwegs-Weihnachten".

Posaunenchöre könnten durch die Wohngebiete ziehen. Anstelle des einen zentralen Krippenspiels könnten mehrere über den Ort verteilte Stationen aufgebaut werden, an denen die Kirchgänger vorbeikommen. Die Kirche selbst könnte auf die üblichen Großgottesdienste komplett verzichten, stattdessen den ganzen Tag über mit den Besuchern "kleinere liturgische Feiern" abhalten und sie mit einer kleinen Weihnachtsgabe wieder gehen lassen. Auf jeden Fall sollten Familien, die zu Hause Weihnachten feiern, einen Anreiz bekommen, das Haus zu verlassen. "Der Gang zur Krippe wäre für mich ein Leitmotiv", sagt der Theologe.

Von Karsten Packeiser (epd)


Theologe Reinmuth wird neuer Superintendent im Kirchenkreis Herford

Der Herforder Gemeindepfarrer Olaf Reinmuth leitet künftig den Evangelischen Kirchenkreis Herford. Die Kreissynode wählte den 57-jährigen Theologen am Mittwochabend zum Superintendenten, wie der Kirchenkreis mitteilte. Reinmuth tritt im September die Nachfolge von Michael Krause an, der eine Aufgabe bei den von Bodelschwinghschen Stiftungen im Bereich "Bethel im Norden" übernimmt. Zweiter Kandidat bei der Wahl für das Amt des Superintendenten war Albrecht Philipps, Oberkirchenrat der Union Evangelischen Kirchen (UEK) im Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover, gewesen.

Der im baden-württembergischen Bad Wimpfen geborene Reinmuth studierte Theologie in Tübingen, Münster, München und Wien. Der promovierte Theologe engagierte sich den Angaben zufolge in der Stadtkirchen- und Kulturarbeit der Offenen Kirchen. Reinmuth ist außerdem im Kirchenkreis Herford Vorsitzender des kreiskirchlichen Finanzausschusses sowie Mitglied der Landessynode. Der Superintendent ist leitender Theologe des Kirchenkreises, die Amtszeit beträgt acht Jahre.



KD-Bank-Stiftung wird 25 Jahre alt

Die Stiftung der Bank für Kirche und Diakonie begeht in diesem Jahr ihr 25-jähriges Jubiläum. Mit fast drei Millionen Euro habe die KD-Bank-Stiftung seit ihrer Gründung immer wieder Projekte ermöglicht, die aus anderen Mitteln nicht oder nur teilweise finanzierbar gewesen wären, würdigte der rheinische Präses Manfred Rekowski die Stiftungsarbeit. Die Spendengelder seien unter anderem für die Erhaltung von Kirchen geflossen oder der Telefonseelsorge, Inklusion, Kinder- und Jugendarbeit, Integration von Flüchtlingen oder Digitalisierung von Kirche zugutegekommen. "Das ist beeindruckend und sorgt dafür, dass kirchliches Handeln sichtbar ist und Diakonie als lebendig und hilfreich von den Menschen erfahren wird", erklärte Rekowski, der Vorsitzender des Stiftungsvorstands ist.

Die KD-Bank hatte die Stiftung 1995 in Leben gerufen, um kirchliche und diakonische Projekte zu fördern. Sie ist eine rechtlich selbstständige kirchliche Stiftung des bürgerlichen Rechts mit Sitz in Duisburg. Der Vorstand setzt sich aus Vertretern der Kunden und Mitglieder der Bank sowie dem Aufsichtsrats- und dem Vorstandsvorsitzenden der Bank zusammen. Das Stiftungskapital beträgt rund 8,1 Millionen Euro. Die Erträge aus diesem Kapital werden als Spenden ausgezahlt. Einmal jährlich entscheidet der Vorstand der KD-Bank-Stiftung über die Vergabe und legt Förderschwerpunkte für das Folgejahr fest.

Anträge für die nächste Ausschüttung im Sommer 2021 können bis zum 31. Dezember dieses Jahres online eingereicht werden. Die begünstigten Zwecke lauten: Nachhaltiges Handeln in Gemeinden und Einrichtungen/Erhaltung kirchlicher Bausubstanz, Kinder stärken und Schuldnerberatung.

Internet: www.KD-Bank.de/stiftung

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Spendenlauf erbringt 4.100 Euro für Hilfsprojekt in Namibia

Die Aktion "Lauf solo in den Sommer" der Evangelischen Kirche im Rheinland hat 4.100 Euro für ein Corona-Hilfsprojekt der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) erbracht. An dem Spendenlauf hatten sich 137 Läuferinnen und Läufer beteiligt, wie die rheinische Kirche am 19. August in Düsseldorf mitteilte. Da eine gemeinsame Laufveranstaltung wegen der Corona-Schutzmaßnahmen nicht möglich war, absolvierten die Teilnehmer jeweils eine individuelle Strecke allein. Für die zurückgelegten Kilometer wurden dabei Spenden im Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis gesammelt.

Das Geld fließt den Angaben zufolge an die Evangelisch-Lutherische Kirche in der Republik Namibia (ELCRN), eine Partnerkirche der rheinischen Kirche. Durch die Corona-Krise hätten viele Menschen ihre Arbeit verloren, Familien seien von Hunger bedroht, hieß es. Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sowie Mitarbeitende der ELCRN verteilten regelmäßig Grundnahrungsmittel für 350 Haushalte.



Buch dokumentiert Weg des "Mahnenden Mühlsteins" gegen Missbrauch

Die langjährige Reise des "Mahnenden Mühlsteins", Mahnmal gegen sexuellen Missbrauch, lässt sich nun in einem Buch verfolgen. Unter dem Titel "Nur ein Stein - und doch so bewegend" werden auf rund 400 Seiten die Stationen anhand von Fotos und Redebeiträgen aus den Jahren 2008 bis 2019 dokumentiert, wie das Bistum Münster am 19. August mitteilte. Die dahinter stehende Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen berichte darin auch, wie die Menschen an den verschiedenen Orten in Deutschland auf die Aktion reagierten.

Mit dem "Mahnenden Mühlstein" sollten nach Worten des Vorsitzenden der Initiative, Johannes Heibel, ein Zeichen gesetzt werden. Der 800 Kilogramm schwere Mühlstein symbolisiere hier die große Last der Opfer. Erwachsene sollten so an ihre Verantwortung gegenüber Heranwachsenden erinnert und Diskussionen angestoßen werden, erklärte er: "Die Würde und Unversehrtheit von Kindern und Jugendlichen darf niemals verletzt werden." Es gehe der Initiative aber ausdrücklich nicht um die Wiedereinführung der Todesstrafe, betonte Heibel.

Kunst-Aktion endete auf Petersplatz in Rom

Die Kunst-Aktion wurde 2008 ins Leben gerufen. Zehn Jahre lang rollte das mobile Mahnmal gegen Missbrauch durch Deutschland, es war unter anderem 2012 in Bonn und 2018 in Münster zu sehen. Zum Abschluss wurde der "Mahnende Mühlstein", der einen Durchmesser von 1,4 Metern hat, im vergangenen November an Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom übergeben. Der Papst würdigte den Angaben zufolge die Aktion als "ein starkes Zeichen". Die bundesweite Initiative gegen Gewalt und sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen mit Sitz im rheinland-pfälzischen Siershahn unterstützt seit 1993 Betroffene.




Gesellschaft

Greta Thunberg: "Klimakrise als Krise behandeln"


Nach dem Treffen mit Kanzlerin Merkel: Luisa Neubauer, Greta Thunberg und Anuna de Wever (v.l.).
epd-bild /Christian Ditsch
Auf den Tag vor zwei Jahren hat Greta Thunberg erstmals alleine für Klimaschutz gestreikt. Die schwedische Schülerin löste damit eine weltweite Bewegung aus. Nun diskutierten sie und andere Aktivistinnen mit der Bundeskanzlerin.

Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg und weitere prominente Mitstreiterinnen haben von der Bundesregierung größere Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel gefordert. Deutschland, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, müsse sich seiner Verantwortung stellen und "die Klimakrise als Krise behandeln", sagte Thunberg am 20. August in Berlin nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Politische Entscheider sollten "sich aus ihrer Komfortzone bewegen" und couragiert genug sein, langfristig und an künftige Generationen zu denken.

An dem rund 90-minütigen Gespräch im Kanzleramt nahmen auch die deutsche "Fridays for Future"-Vertreterin Luisa Neubauer sowie die Belgierinnen Anuna de Wever und Adélaïde Charlier teil. Nach Angaben der Bundesregierung wurde bei dem Treffen über die klimapolitischen Schwerpunkte während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gesprochen.

"Pariser Abkommen in konkrete Politik übersetzen"

Dazu zählten die angestrebte Klimaneutralität Europas bis 2050 und ein mögliches verschärftes Zwischenziel für die Treibhausgas-Emissionen bis 2030, hieß es in einer Erklärung der Bundesregierung. Auch über die Bedeutung der CO2-Bepreisung sowie über nationale Maßnahmen der Klimapolitik sei gesprochen worden. Beide Seiten seien sich einig, dass im Kampf gegen die Erderwärmung die Industriestaaten eine besondere Verantwortung haben. "Basis dafür ist die konsequente Umsetzung des Pariser Klimaabkommens", betonte die Bundesregierung.

Die deutsche Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer sagte nach dem Gespräch, es sei verständlich, dass Bundesregierung und Klimaaktivisten unterschiedliche Perspektiven haben: "Was wir fordern, ist nicht mehr oder weniger, als dass das Pariser Klimaabkommen in konkrete Politik übersetzt wird." Auch über das geplante EU-Mercosur-Abkommen mit südamerikanischen Ländern sei mit Merkel gesprochen worden, welches von "Fridays for Future" in seiner bisherigen Form abgelehnt wird.

Sofortiger Ausstieg aus fossilen Brennstoffen

Hintergrund des Treffens war nach Angaben der Klimaaktivistinnen ein Ende Juli von "Fridays for Future" veröffentlichter offener Brief an die internationalen Staats- und Regierungschefs. Unter dem Titel "Face the Climate Emergency" enthält er einen Sieben-Punkte-Forderungskatalog und wurde den Angaben zufolge bislang von rund 125.000 Menschen unterschrieben. Zu den Erstunterzeichnern zählen zahlreiche Prominente wie Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, Musikerin Billie Eilish, Schauspieler Leonardo DiCaprio, Autorin Margaret Atwood und der Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber.

"Fridays for Future" fordert in dem offenen Brief umgehend Maßnahmen zur Eindämmung der Klimakrise. Nötig sei unter anderem der sofortige Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen. Zudem sollte der "Ökozid" als Verbrechen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verfolgt werden können.

Vor zwei Jahren, am 20. August 2018, hatte Greta Thunberg vor dem schwedischen Parlament ihren "Schulstreik für Klima" begonnen. Sie löste damit eine weltweit Klimaschutzbewegung aus. In Berlin betonte die 17-Jährige: "Man muss nicht Premierminister, Kanzler oder Präsident sein." Jeder könne seine demokratische Verantwortung wahrnehmen und sich der Klimakrise stellen.



Rekord-Eisverluste in Grönland

Der Grönländische Eisschild hat nach Angaben des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts im vergangenen Jahr besonders viel Masse verloren. Zu diesem Ergebnis kam ein Team aus internationalen Forscherinnen und Forschern durch Auswertungen von Satellitenbeobachtungen und Modelldaten, wie das Institut am 20. August mitteilte. Die Gesamtmassenverluste fielen mit 532 Milliarden Tonnen höher aus als im bisherigen Rekordjahr 2012 (464 Milliarden Tonnen). Das entspreche einem global gemittelten Meeresspiegelanstieg von 1,5 Millimetern.

Die Eisverluste überstiegen in 2019 den Zuwachs durch Schneefall um mehr als 80 Prozent, heißt es in der Studie, die im Fachjournal "Communications Earth & Environment" erschienen ist. "Nach zwei Jahren Atempause sind in 2019 die Massenverluste wieder stark angestiegen und übertreffen alle Jahresverluste seit 1948, wahrscheinlich sogar seit über 100 Jahren", sagte Ingo Sasgen vom Alfred-Wegener-Institut: "Immer häufiger haben wir stabile Hochdruckgebiete über dem Eisschild, die den Einstrom von wärmerer Luft aus den mittleren Breiten und damit das Schmelzen begünstigen."



Klimaziel für 2020 könnte wegen Pandemie erreicht werden

Das deutsche Klimaziel für 2020 könnte wegen der Corona-Pandemie doch noch erreicht werden. Es gebe die berechtigte Hoffnung, dass das Ziel wieder in die Nähe rücke, sagte ein Sprecher des Bundesumweltministeriums am 19. August. Dem Ministerium zufolge lässt sich zwar derzeit nicht beziffern, inwieweit die CO2-Emissionen in den vergangenen Monaten wegen der Kontaktbeschränkungen tatsächlich zurückgegangen seien. Wenn sie aber deutlich niedriger ausfallen als prognostiziert, könnte das Ziel von minus 40 Prozent CO2-Ausstoß im Vergleich zu 1990 noch erreicht werden, hieß es. Zuletzt ging die Bundesregierung davon aus, dass dieses Ziel verfehlt wird.

Am Vormittag hatte das Kabinett den Klimaschutzbericht 2019 beschlossen. Demnach sanken die Treibhausgasemissionen seit 1990 bis zum vergangenen Jahr um 35,7 Prozent. 2018 lag die Minderung bei rund 32 Prozent, 2017 bei 27,5 Prozent. Erst der nächste Klimaschutzbericht soll seinen Blick auf das Jahr 2030 richten und dabei Auswirkungen des im vergangenen Jahr beschlossenen Klimaschutzgesetzes sowie von Covid-19 einbeziehen.



Wegen Corona: "Erdüberlastungstag" drei Wochen später

Erstmals seit Jahrzehnten ist der "Erdüberlastungstag" um drei Wochen nach hinten gerückt. Nach Berechnungen der Umweltorganisation Global Footprint Network fiel der Tag in diesem Jahr auf den 22. August. Im vergangenen Jahr war es bereits der 29. Juli. Der Tag markiert jährlich den Zeitpunkt, an dem die Weltbevölkerung so viele natürliche Ressourcen verbraucht hat, wie die Ökosysteme des Planeten im gesamten Jahr erneuern können. Zuletzt fiel der "Erdüberlastungstag" (englisch: "Earth Overshoot Day") vor acht Jahren auf den 22. August.

Durch die Corona-Krise sei das Tempo der Übernutzung in diesem Jahr gesunken, teilten die Umwelt- und Entwicklungsorganisationen Germanwatch, BUNDjugend, FairBindung und Naturschutzjugend in Berlin mit. Dieser Effekt könnte schon im kommenden Jahr wieder verpufft sein, wenn der Weg aus der Corona-Krise nicht ressourcenschonend gelinge, warnten sie. Der Ressourcenverbrauch müsse sinken.

1,6 Planeten

Um ihren Ressourcenbedarf nachhaltig zu decken, bräuchte die Weltbevölkerung den Angaben zufolge derzeit rechnerisch 1,6 Planeten. Würden alle Länder so wirtschaften wie Deutschland, wären sogar drei Erden nötig.

Berechnet werden dafür die biologische Kapazität der Erde zum Aufbau von Ressourcen, zur Aufnahme von Müll und Emissionen sowie der Bedarf an Wäldern, Flächen, Wasser, Ackerland und Fischgründen, den die Menschen derzeit für ihre Lebens- und Wirtschaftsweise verbrauchen. In den 1970er Jahren lag der Tag wegen des geringeren Ressourcenverbrauchs noch im Dezember.



BUND fordert Schließung von Regionalflughäfen


Blick aus dem Flugzeug
epd-bild / Gustavo Alabiso
Eine neue Studie stellt den Regionalflughafen ein schlechtes Zeugnis aus. Sieben sollten schließen, darunter Saarbrücken. Der saarländische Ministerpräsident Hans sieht das anders und rät zum Abwarten.

Eine Studie des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) und des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) empfiehlt die Schließung von sieben Regionalflughäfen, darunter Saarbrücken. Dieser leiste keinen relevanten Beitrag zur Vernetzung der Region mit den internationalen Flugverkehrsnetzen, verliere Fluggäste und sei von Subventionen abhängig, heißt es in der am 19. August veröffentlichten Studie. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sprach sich für eine Anbindung an die Drehkreuze München und Hamburg aus und riet zum Abwarten, welche Trends auch wegen Corona noch kämen.

Die Studie "Regionalflughäfen: Ökonomisch und klimapolitisch unverantwortliche Subventionen" stellt den 14 deutschen Regionalflughäfen insgesamt ein ernüchterndes Zeugnis aus. Kein Airport habe in allen drei bewerteten Kategorien Wirtschaftlichkeit, Verkehrsentwicklung und Anbindung an den internationalen Flugverkehr eine positive Bewertung geschafft, teilte der BUND Hessen mit. Die sieben zu schließenden Flughäfen hätten sogar in allen drei Kategorien versagt: Erfurt-Weimar, Frankfurt-Hahn, Kassel-Calden, Niederrhein-Weeze, Paderborn/Lippstadt, Rostock-Laage und Saarbrücken.

Betriebe wenig wirtschaftlich

Die Wirtschaftlichkeit der Flughäfen wurde laut BUND auf der Grundlage der Geschäftsberichte aus den Jahren 2014 bis 2018 bewertet. Trotz insgesamt 206 Millionen Euro Subventionen in diesem Zeitraum habe es bis 2019 nur an drei von 14 bewerteten Flughäfen einen klaren Fluggastzuwachs gegeben: in Memmingen, Dortmund und Karlsruhe/Baden-Baden. Zudem wurde die jährliche Klimalast der Flughäfen ermittelt, die laut Studie bei 4,2 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten liegt.

FÖS und BUND forderten: "Statt Urlaubsflüge mit Billigfluglinien zu unterstützen, muss ein übergreifendes Zug-Flug-System vorangetrieben werden, um die Regionen noch besser an die Großflughäfen anzubinden und so die Klimaschäden zu reduzieren." Außerdem müsse die Bundesregierung während ihrer EU-Präsidentschaft eine grundlegende Reform des bisher unwirksamen EU-Emissionshandels im Luftverkehr auf den Weg bringen.

Der Flughafenverband ADV kritisierte die Studie: Ein pauschales Urteil zur Daseinsberechtigung von kleineren Flughäfen auf Grundlage rein betriebswirtschaftlicher Kennzahlen sei "voreilig und greift zu kurz". Entscheidend seien die wirtschaftlichen Effekte in der Region, die durch den Flughafen erzielt werden. Viele der Regionalflughäfen seien für die Anbindung ihrer Region unverzichtbar und stellten einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Ein leistungsfähiger Regionalflughafen verbessere die Erreichbarkeit einer Region für Geschäftsreisende, Touristen und Luftfahrtgüter.

Der saarländische Ministerpräsident Hans sieht die Bedeutung der Studie ebenfalls kritisch: "Das macht mich jetzt nicht fertig, so ein Gutachten zu lesen." Gutachten seien so alt wie der Saarbrücker Flughafen. Eines bescheinige, dass dieser nicht "in" sei, ein anderes erkläre, dass kleine Flughäfen besser seien. Man dürfe nicht unterschätzen, dass es für viele Familien gerade mit Kindern eine große Wohltat sei, ab Saarbrücken fliegen zu können.

Niemand brauche jede halbe Stunde einen Flug von Frankfurt mit dem A321 in Richtung Berlin, räumte Hans ein. Von Saarbrücken aus reichten drei Flugverbindungen nach Berlin pro Tag. Wenig Freude bereite es aber, erst nach Berlin zu fliegen, um dann nach Madrid weiterzureisen. Dafür brauche es unter anderem die Anbindung an München. Mit besseren Anbindungen im Schienenverkehr sei Frankreich vorbildlich und Deutschland hinke hinterher. Für das Saarland brauche es einen Sprinter nach Frankfurt und eine Verbindung nach Luxemburg. "Das, was wir im Moment haben, was sich mehr wie Nahverkehr anfühlt, das ist nichts", betonte er.



Muschelsterben durch Hitzestress und Parasiten

Das massenhafte Muschelsterben im nordfriesischen Wattenmeer hat nach Einschätzung von Biologen natürliche Ursachen. Wahrscheinlichste Gründe seien Hitzestress und Parasitenbefall, teilte die Schutzstation Wattenmeer am 18. August in Husum mit. Durch die hohen Temperaturen werden die im Wattboden lebenden Herzmuscheln veranlasst, an die Oberfläche zu kommen. Dort verbrennen sie quasi im starken Sonnenschein und sterben.

Rund um die Halbinsel Eiderstedt sind derzeit große Flächen mit toten oder sterbenden Tieren bedeckt. Tote Herzmuscheln werden aber auch von Pellworm, Süderoog und aus Friedrichskoog an der Elbmündung gemeldet. Der Wattboden hatte sich durch die in den letzten Tagen in den Mittags- und Nachmittagsstunden liegenden Niedrigwassertermine besonders stark erwärmt.

Saugwürmer-Befall

Die Sommerwärme ist den Experten zufolge aber nicht der einzige Grund für das Muschelsterben. Vermutlich sei ein Parasitenbefall in Kombination mit den hohen Temperaturen für das Phänomen verantwortlich, so die Schutzstation. Herzmuscheln würden mit steigendem Alter von immer mehr Saugwürmern befallen. Sie lauern in den Muscheln darauf, in einen Vogeldarm zu gelangen, ihren eigentlichen Wohnort.

Trotz der großen Verluste ist der Herzmuschelbestand den Biologen zufolge nicht bedroht. Regelmäßig könne es auch im Winter zu einem großflächigen Muschelsterben kommen. Durch ihre enorme Fähigkeit zur Vermehrung würden die Tiere dies normalerweise wieder ausgleichen.



Gedenken an Anschlagsopfer von Hanau in 30 Städten


Wegen Corona gab es nur eine kleine Aktion in Hanau.
epd-bild/Peter Jülich

Tausende Menschen haben am 22. August in rund 30 deutschen Städten - darunter Berlin, Hamburg, Hannover, Frankfurt am Main, Köln, Leipzig, Stuttgart und München - an die Opfer des rechtsextremistisch motivierten Anschlags vom 19. Februar in Hanau gedacht. Die zentrale Demonstration in Hanau selbst, zu der die Organisatoren bis zu 5.000 Menschen erwartet hatten, war allerdings am Abend zuvor von der Stadt untersagt worden. Lediglich eine Kundgebung "im kleinen Rahmen" mit maximal 249 Personen war gestattet.

Auf der Kundgebung auf dem Hanauer Freiheitsplatz wies Nevros Duman von der "Initiative 19. Februar Hanau" Forderungen nach einem Zurück zur Normalität zurück. Zuvor müsse der alltägliche Rassismus überwunden werden. Duman kritisierte zugleich das Verbot der Demonstration durch die Stadt Hanau. "Wir dürfen hier nur mit 249 Menschen trauern, während um uns herum in der Fußgängerzone Tausende Menschen in aller Ruhe einkaufen oder draußen sitzen und Wein trinken", rief sie aus.

"Keine Corona-Rebellen"

Mehrere Rednerinnen und Redner in Hanau forderten rückhaltlose Aufklärung der Tat, Unterstützung für die Angehörigen der Toten und warfen den Behörden Versagen vor. "Warum wurde dieser Mann, der schon so oft aufgefallen war, nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen?", fragte die Schwester eines der Toten. Eine Angehörige eines anderen Opfers erklärte: "Es wird immer so getan, als bekämen wir alle erforderliche Hilfe. aber nichts davon ist wahr."

Grund für die Absage der Demonstration seien die "Entwicklungen der Corona-Zahlen", erklärte die "Initiative 19. Februar Hanau". Das habe Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) der Initiative mitgeteilt. Man bedauere die Entscheidung, weil es wegen des späten Zeitpunkts keine Möglichkeit zur ihrer rechtlichen Überprüfung mehr gebe. "Dennoch sind wir keine Corona-Rebellen und folgen der Entscheidung" versicherten die Organisatoren.

Kundgebungen im Internet

Auf der Internetseite der Stadt erklärte Oberbürgermeister Kaminsky: "Sobald die Infektionsfälle wieder deutlich zurückgegangen sind, holen wir diese Trauerbekundung selbstverständlich nach." Die Zahl der Neuinfizierten je 100.000 Einwohner im Sieben-Tage-Rückblick sei in Hanau auf 49 hochgeschnellt. Tags zuvor habe diese Zahl noch bei 36 gelegen.

In Hanau hatte der 43-jährige Tobias R. in den späten Abendstunden des 19. Februar zwei Bars angegriffen und neun Menschen mit ausländischen Wurzeln erschossen. Er und seine Mutter wurden im Anschluss in ihrer Wohnung tot aufgefunden. Der Generalbundesanwalt sprach von einer "zutiefst rassistischen Gesinnung" des Täters.

Die Kundgebungen in Hanau und anderen Städten wurden live im Internet übertragen.



Höchster Stand rechtsextremer Straftaten im Saarland


Demonstration gegen Corona-Maßnahmen - rechtsextreme Gruppen versuchen, die Proteste zu unterlaufen.
epd-bild/Theo Klein
Der saarländische Verfassungsschutz warnt vor Rechtsextremen und Islamisten. Verfassungsschutzchef Albert blickt auf beide Richtungen sorgenvoll. Er warnt auch vor den Gefahren von Verschwörungsmythen.

Das Saarland hat 2019 insgesamt 260 rechtsextremistisch motivierte Straftaten verzeichnet. "So viele hatten wir noch nicht", sagte der Leiter der Abteilung Verfassungsschutz im Innenministerium, Helmut Albert, am 21. August in Saarbrücken. 2018 waren es noch 215 registrierte Straftaten. 85 Prozent der Taten seien Propagandadelikte und Volksverhetzung gewesen. Das so genannte Personenpotenzial im Bereich Rechtsextremismus liegt dem "Lagebild Verfassungsschutz 2019" zufolge bei 330 und umfasst damit 20 Menschen mehr als 2018.

Täter kommen aus Mitte der Bevölkerung

Zwar sei die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten von 18 auf 11 gesunken, jedoch kämen die Täter aus der Mitte der Bevölkerung, erklärte der saarländische Verfassungsschutzchef. In der organisierten Szene habe sich die Gewaltbereitschaft nicht erhöht. "Es ist ein Beleg dafür, wie weit dieses Gift des Antisemitismus, des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit in die Bevölkerung schon hineingedrungen ist", betont er.

Dabei spielten organisierte Parteien weniger eine Rolle. Die NPD habe weder Überzeugungskraft noch Einfluss in der Szene. Stattdessen gebe es lose Gruppen im Internet. Während Linksextremisten bisher immer gescheitert seien etwa die Friedensbewegung zu kapern, sei der Rechtsextremismus erfolgreicher, sein Gedankengut in die Gesellschaft einsickern zu lassen.

Neben dem Rechtsextremismus bereite ihm auch der Islamismus Sorge, erklärte der Verfassungsschutzchef. Ihr Personenpotenzial sei um 20 auf 380 gestiegen. Dabei müsse sich der Verfassungsschutz auch immer wieder mit Menschen beschäftigen, die seit der Flüchtlingsbewegung von 2015 nach Deutschland gekommen seien. In den meisten Fällen könnten sie Hinweise entschärfen, sagte Albert. Auch wenn die Straftaten von 14 auf 3 zurückgegangen seien, spiegele das nicht die Gefährdung wider, da Gefahr- und Verdachtsfälle nicht erfasst würden, bis die Polizei übernehme.

Europa sei nach wie vor im Zielspektrum der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), auch wenn diese mittlerweile ausgedünnt sei. Wie beim Rechtsextremismus gehe es auch hier um Einzeltäter, die in keinem "realweltlichen Netzwerk", sondern in einer "virtuellen Ideenwelt" unterwegs seien. Bei den meisten Attentaten in Europa sei im Nachhinein eine Steuerung durch den IS festgestellt worden. "Die Gefahr des islamistischen Terrorismus ist nach wie vor real", sagte er.

Zwar sei der Salafismus dynamisch wachsend, jedoch seien nur zehn Prozent der Salafisten im Saarland auch als gewaltorientiert einzuschätzen, die meisten wollten politisch überzeugen und bekehren. Als vor Jahren viele junge Menschen aus Deutschland zum IS gingen, habe der saarländische Verfassungsschutz Kontakt zu den Salafisten gesucht. Diese hätten es sich dann zur Aufgabe gemacht, gegen die Terrormiliz Stellung zu beziehen. "Wir haben das mit einem Erfolg gemacht, den man statistisch messen kann", betonte Albert. Aus dem Saarland sei kein einziger Jugendlicher zum IS gegangen.

Verfassungsschutzchef besorgt über Verschwörungsmythen

Beim Linksextremismus ist das "Personenpotenzial" wie im Vorjahr bei 350 Menschen geblieben. Vor allem die sogenannten Autonomen beschäftigten den Verfassungsschutz. Ihr Versuch Fridays for Future zu kapern sei nicht gelungen, das hätten die Klimaaktivsten sofort unterbunden. Es gebe aber eine starke Überschneidung mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Bei Straftaten aus dem linksextremistischen Spektrum ging die Zahl um drei auf insgesamt fünf zurück.

Beim sogenannten Ausländerextremismus, zudem nicht der Islamismus zählt, ist die Zahl der Anhänger seit 2016 mit 475 konstant. Die größte Aufmerksamkeit habe hier die PKK mit 300 Mitgliedern, erklärte der Verfassungsschützer. Diese habe ein Mobilisierungspotential von 1.000 Menschen. Allerdings seien ihre Demonstrationen größtenteils friedlich, auch wenn sie verbotene Symbolik zeigten und damit Straftaten begingen. Im vergangenen Jahr waren es 36, 2018 waren es noch 21. Darunter waren drei Gewalttaten.

Mit Blick auf die Corona-Pandemie warnte der saarländische Verfassungsschutzchef auch vor den Folgen von Verschwörungsmythen. "Wir müssen hier sorgfältig hingucken, denn ich sehe darin ein erhebliches Gefährdungspotenzial", sagte Albert. Verschwörungsmythen entwickelten sich etwa mit Blick auf die Proteste gegen die Anti-Corona-Maßnahmen zu einem Bindeglied zwischen Rechtsextremisten und zu im Kern bürgerlichen Protestbewegungen. Auch bei den Attentätern von Christchurch, Halle und Hanau hätten am Anfang der Radikalisierung Verschwörungsmythen gestanden.



Klein: "Es gibt keine harmlose Form von Antisemitismus"


Felix Klein
epd-bild/Christian Ditsch
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung erläutert im epd-Gespräch, was im Kampf gegen Judenhass noch fehlt und wie er auf den Jahrestag des antisemitischen Anschlags in Halle blickt.

Seit gut zwei Jahren ist Felix Klein Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. Äußerungen von ihm beispielsweise über den Kameruner Historiker Achille Mbembe haben in diesem Jahr eine neue Debatte über die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus ausgelöst. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagt er, warum er so klar Stellung bezogen hat, was im Kampf gegen Judenhass noch fehlt und wie er auf den Jahrestag des antisemitischen Anschlags in Halle blickt.

epd: Herr Klein, in den vergangenen Monaten hat sich eine heftige Debatte um das Thema Antisemitismus entzündet. Es geht um die Definition, um Israelkritik und die Frage, was sagbar ist. Was ist da nach ihrem Eindruck passiert?

Felix Klein: Unterschiedliche Auffassungen sind offen zutage getreten, die bisher nicht diskutiert wurden. Im Zentrum steht die Frage, wo die Trennlinie zwischen zulässiger Israelkritik und israelbezogenem Antisemitismus verläuft. Die Heftigkeit der Debatte hat mich überrascht. Das zeigt aber, dass sie notwendig ist. Ich will sie gern führen, denn alle Stimmen, die sich beteiligt haben, wollen eine Welt ohne Antisemitismus und Rassismus.

epd: Die Vorwürfe richteten sich auch gegen Sie selbst. In einem offenen Brief an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben Ihnen namhafte deutsche und israelische Wissenschaftler und Publizisten vorgeworfen, den Begriff Antisemitismus inflationär zu gebrauchen. Was entgegnen Sie?

Klein: Ich weise das zurück. Es gibt keine harmlose Form von Antisemitismus. Der Antisemitismus, über den jetzt gestritten wird, ist in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig: Es geht um den Israel-bezogenen Judenhass. Wir sind uns einig beim Kampf gegen Antisemitismus von Rechtsextremen. Aber auch den Antisemitismus in der gesellschaftlichen Mitte müssen wir klar benennen und dagegen angehen.

epd: Für Wirbel sorgte vor allem ihre Kritik am Kameruner Historiker Achille Mbembe. War es richtig, ihn von der Ruhrtriennale auszuladen?

Klein: Es ging um die Eröffnungsrede eines Kulturfestivals, das aus öffentlichen Geldern finanziert wird. Da stelle ich mir die Frage: Müssen wir jemanden einladen, auf Staatskosten einfliegen und dann israelfeindliche Thesen verbreiten lassen? Ich hätte nicht so argumentiert, wenn es eine private Veranstaltung gewesen wäre.

epd: Einer ihrer Kritiker, Micha Brumlik, hat gesagt, Antisemitismus ist einer der schwersten Vorwürfe, die man in Deutschland überhaupt machen kann. Wie lange überlegen Sie, bevor sie eine Aussage, eine Person als antisemitisch bezeichnen?

Klein: Um es noch mal deutlich zu sagen: Ich habe Herrn Mbembe nicht als Antisemiten bezeichnet, sondern habe Textpassagen aus seinem Werk kritisiert, die problematisch sind, weil er damit antisemitische Klischees bedient. Bevor ich so etwas mache, überlege ich mir das sehr gut. Aber gerade vor dem Hintergrund unserer geschichtlichen Erfahrung ist es wichtig, dass wir in Deutschland besonders wachsam sind.

epd: Wenn wir auf die inzwischen auf Eis gelegten Annexionspläne Israels im Westjordanland blicken: Wo verläuft die Grenze zwischen legitimer Israelkritik und Antisemitismus?

Klein: Völkerrechtswidriges Verhalten kann natürlich kritisiert werden. Die Grenze zu legitimer Kritik ist aber überschritten, wenn der Holocaust relativiert wird, indem beispielsweise Gaza als Konzentrationslager bezeichnet wird, oder wenn Israel als Täter- oder Apartheidsstaat bezeichnet wird. Solche Vergleiche sind unzulässig, weil sie Israel delegitimieren. Zulässig wäre hingegen zu sagen, Israel befinde sich auf dem Weg in apartheidsähnliche Zustände.

epd: Auch deutsche Juden werden regelmäßig mit dem Nahost-Konflikt konfrontiert. In welcher Zwickmühle ist die jüdische Gemeinschaft?

Klein: Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland ist sehr heterogen. Es gibt viele Kritiker der derzeitigen israelischen Regierung, auch viele Befürworter. Nach dem, was ich wahrnehme, ist es aber für alle extrem belastend, sich immer wieder rechtfertigen zu müssen, egal, wie sie zum Nahost-Konflikt stehen. Die Gleichsetzung von Juden und Israel müssen wir aufbrechen. Es geht um deutsche Staatsbürger. Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass für alle Juden auf der ganzen Welt Israel eine besondere Rolle hat. Für viele ist Israel die Lebensversicherung. Ich sehe es daher auch als meine Aufgabe an, das Verständnis für dieses besondere Verhältnis zu stärken.

epd: Israelfeindlichkeit gibt es auch bei muslimischen Zuwanderern aus arabischen Ländern. Müssen Tabus der Deutschen auch für Zuwanderer gelten?

Klein: Ich spreche lieber von roten Linien. Die gelten für unsere Gesellschaft als Ganzes und damit auch für Zuwanderer. Es ist eine wichtige Aufgabe unserer Integrationspolitik klarzumachen, dass Antisemitismus in Deutschland in keiner Form akzeptiert wird. Das gehört zum Grundkonsens wie demokratische Werte und Frauenrechte. Darüber hinaus müssen wir in unserer Erinnerungskultur Angebote etwa für Muslime machen. Es gibt gute Ansätze: So könnte beispielsweise die Geschichte des ägyptischen Arztes Mohamed Helmy stärker verbreitet werden. Er ist der einzige Araber, der als Gerechter unter den Völkern von Yad Vashem geehrt wird.

epd: Helmy hatte seine jüdischen Freunde vor den Nazis versteckt und beschützt.

Klein: Diese Geschichte zeigt: Muslime waren auch Helden und sind nicht die Feinde der Juden. Gerade in Schulklassen, die einen hohen Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben, sollten Lehrer solche Geschichten erzählen. Aber auch negative Geschichten müssen in den Blick genommen werden, wie die des Großmuftis von Jerusalem, Mohammad Amin al-Husseini, der Hitler 1941 besucht hat und einer der größten Antisemiten war.

epd: Sie fordern, dass die Sicherheitsbehörden sensibler werden müssen für Antisemitismus. Tut sich da etwas?

Klein: Ich glaube, ja. Das Attentat von Halle hat noch einmal gezeigt, wie wichtig das ist. So hat beispielsweise die Polizei ihr Bewusstsein für jüdische Feiertage geschärft, dass die Sicherheitsanforderungen an solchen Tagen andere sind. Nun müssen wir dafür sorgen, dass Polizeibeamte, Staatsanwaltschaften und Gerichte Antisemitismus auch immer erkennen können. Zu häufig stufen Gerichte etwas als nicht antisemitisch ein, obwohl es das aus meiner Sicht ganz deutlich ist.

epd: Der antisemitische Anschlag in Halle jährt sich im Oktober. Gibt es Pläne für den Tag?

Klein: Es gibt Planungen in Halle selbst und mit der Landesregierung von Sachsen-Anhalt. Da bin ich auch eingebunden. Nach Halle kann die tödliche Dimension von Antisemitismus von niemandem mehr verneint werden. Halle zeigt außerdem in besonders drastischer Weise, dass jeder Opfer eines antisemitischen Anschlags werden kann. Die beiden Toten von Halle waren bekanntlich keine Juden. Über den Jahrestag dieses Anschlags kann man nicht hinweggehen. Ich wünsche mir aber noch eine zweite Botschaft: Dass es ein Wunder ist, nach 1945 wieder aufstrebendes jüdisches Leben in Deutschland zu haben, und dass es zur Vielfalt in Deutschland gehört.

epd: Sie haben mehrmals Kirchen dafür kritisiert, dass sie Antisemitismus in den eigenen Reihen zu wenig Beachtung schenken. Hat sich da etwas getan?

Klein: Ich begrüße es sehr, dass die evangelische Kirche mit Christian Staffa einen eigenen Antisemitismusbeauftragten berufen hat. Mit ihm arbeite ich gut zusammen. Das schließt aber nicht aus, dass noch Dinge verbessert werden könnten. Ein aktuelles Beispiel ist, dass die Kirchen, die an der Freigabe von Religionsbüchern beteiligt sind, sensibler sein müssen, wenn über das Judentum informiert wird. Da gibt es zum Beispiel ein Schulbuch in Baden-Württemberg, in dem unter der Überschrift "Judentum heute" das Berliner Holocaust-Mahnmal zu sehen ist. Hier wünsche ich mir mehr Sensibilität.

epd-Gespräch: Corinna Buschow und Mey Dudin


Prozess um tödliche Attacke im Frankfurter Hauptbahnhof


Trauer an Gleis 7 nach dem Tod des Jungen: Der Frankfurter Hauptbahnhof Ende Juli 2019.
epd-bild/Heike Lyding
Rund ein Jahr nach der tödlichen Gleis-Attacke im Hauptbahnhof Frankfurt am Main hat am 19. August der Prozess gegen den Tatverdächtigen begonnen.

Der Mann hatte Ende Juli 2019 einen achtjährigen Jungen vor einen einfahrenden ICE gestoßen, der Junge kam dabei ums Leben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 41-jährigen Beschuldigten Totschlag, versuchten Totschlag und Körperverletzung in zwei Fällen vor, wie die Oberstaatsanwältin Nadja Niesen dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Das Gericht habe bereits erklärt, dass auch die Vorwürfe Mord beziehungsweise versuchter Mord infrage kämen.

Ein psychologisches Gutachten stellte fest, dass der Familienvater aus der Schweiz mit eritreischer Staatsangehörigkeit an einer schizophrenen Psychose leidet. Es sei deshalb davon auszugehen, dass er nicht schuldfähig war, sagte Niesen. Die Staatsanwaltschaft habe deshalb den Antrag gestellt, den Mann dauerhaft in der Psychiatrie unterzubringen. Für den Prozess seien zunächst sechs Verhandlungstage angesetzt. Die Familie des Getöteten nehme als Nebenkläger teil.

Familie seelsorglich betreut

Der kurz nach der Tat gefasste Mann hatte nicht nur den achtjährigen Jungen, sondern auch dessen Mutter vor den Zug gestoßen. Sie konnte sich rechtzeitig von den Schienen retten. Auch versuchte der Täter, eine 78-Jährige auf das Gleis zu stoßen. Sie stürzte jedoch auf den Bahnsteig und brach sich den Arm. Der Täter floh, wurde aber von Passanten und Polizisten verfolgt und wenig später gefasst.

"Seit dem tragischen Verlust unseres kleinen Sohns und Bruders geht es uns nicht gut", zitierte der evangelische Propst für Rhein-Main, Oliver Albrecht, am 19. August aus einer Mitteilung der Familie. "In den vergangenen Monaten stand einzig die Erinnerung und Trauer um unseren kleinen Leo im Vordergrund." Albrecht hatte die Trauerfeier zur Beerdigung des Jungen geleitet. Die Familie werde weiter psychologisch und seelsorglich betreut, sagte er. Sie kritisiere die mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen der Bahn: "Schreckliche Taten wie diese sowie tragische Unfälle dürfen in Zukunft nicht mehr geschehen und hingenommen werden."

Psychiatrische Behandlung

Der Täter ist nach Angaben von Staatsanwaltschaft und Bundespolizei verheiratet und hat drei Kinder. Er lebte seit 2006 in der Schweiz, hatte den Angaben zufolge dort Asyl erhalten, Arbeit gefunden und als gut integriert gegolten. Der 41-Jährige sei bereits an seinem Wohnort in psychiatrischer Behandlung gewesen. Zum Tatzeitpunkt sei er per Haftbefehl gesucht worden. Er soll eine Woche zuvor seine Frau und seine drei Kinder in der Wohnung eingesperrt und eine Nachbarin mit einem Messer bedroht haben. Die deutsche Polizei habe keine Informationen über ihn gehabt.

Die Tat erregte damals bundesweit Aufsehen. Wochenlang legten Passanten Kerzen, Blumen und Stofftiere am Ende von Gleis sieben ab. An einer ökumenischen Andacht auf dem Bahnhofsvorplatz nahmen mehrere Hundert Menschen teil. Am Rande störten Rechts- und Linksradikale das Gedenken.



Kinderporno-Sonderermittler wird neuer Chef des Landeskriminalamtes

Nordrhein-Westfalens oberster Bekämpfer von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch wird Leiter des Landeskriminalamts. Der 54-jährige Ingo Wünsch wird nach Beschluss des Landeskabinetts Nachfolger von Frank Hoever, der im April als Polizeipräsident nach Bonn gewechselt war, wie das nordrhein-westfälische Innenministerium am 21. August in Düsseldorf mitteilte. Die Landesregierung sei damit einem Vorschlag von Innenminister Herbert Reul (CDU) gefolgt.

Wünsch war zuletzt Leiter der Stabsstelle zur Revision der kriminalpolizeilichen Bearbeitung von sexuellem Missbrauch an Kindern und Kinderpornografie im Innenministerium. Zuvor war er Sonderermittler des Ministers im Fall Lügde.

Der neue Direktor Wünsch sei ein ausgezeichneter Kriminalist mit exzellenten Führungsqualitäten, der sich auf allen Behördenebenen des Landes bestens auskenne, sagte Reul. "Seine herausragenden Fähigkeiten, analytisch und strukturell zu arbeiten, werden unser Landeskriminalamt weiter nach vorn bringen."

Wünsch kündigte an, er wolle die Kompetenz und Innovationskraft des Landeskriminalamtes weiterentwickeln. Das gelte besonders für die Schwerpunkt der Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs, der organisierten Kriminalität und der Clankriminalität sowie des Rechtsextremismus und des islamistischen Terrorismus. Auch der Kampf gegen Kriminalität im Internet solle ausgeweitet werden. Dafür sei es wichtig, die digitalen Ermittlungskompetenzen der Polizei und die behördenübergreifende Zusammenarbeit zu stärken und fortlaufend weiter zu entwickeln.



Kommunalwahlen: Wohlfahrtsverbände rufen zum Urnengang in NRW auf

Wohlfahrtsverbände in Nordrhein-Westfalen rufen die Wahlberechtigten auf, am 13. September ihre Stimme bei den Kommunalwahlen abzugeben. In den Kommunen werde mit den Wahlen darüber entschieden, wer in den kommenden fünf Jahren die Interessen der Menschen vertritt, erklärten die Mitglieder der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege NRW am 19. August in Düsseldorf. Die Folgen der Corona-Pandemie-Auflagen müssten auf der kommunalen Ebene von allen bewältigt werden. "Daher ist es entscheidend, dass diejenigen politischen Kräfte, die sich für ein solidarisches Miteinander in den Kommunen stark machen, auch Rückhalt durch Stimmen dafür erhalten."

Die Themen, die auf der kommunalen Ebene bewegten, seien so vielfältig wie die Menschen, erklärten der Landesjugendring, der Landesintegrationsrat, die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, der Sozialverband SoVD und die Landesseniorenvertretung. Gute, gleichwertige Lebensverhältnisse müssten erreicht und erhalten werden. Die Corona-Pandemie weise deutlich auf Defizite und Mängel im Land hin. "Besonders in diesen Zeiten, in denen die Corona-Pandemie unser aller Leben bestimmt, ist es wichtig, solidarisch für ein Miteinander unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, Lebenslagen und Lebensweisen zu streiten."

WDR bietet Internetportal mit Kandidatencheck

Der WDR lässt auf einem eigens eingerichteten Internetportal zur Kommunalwahl über 1.200 Menschen verschiedener Parteien und Parteilose zu Wort kommen, die sich als Bürgermeister, Oberbürgermeister oder als Landräte zur Wahl stellen. Über die Eingabe der Postleitzahl können die entsprechenden Kandidaten gefiltert werden. WDR-Intendant Buhrow wertete das Angebot als ein "großes Stück demokratischer Grundversorgung". Darüber hinaus bietet ein Dossier zu den diesjährigen Kommunalwahlen Informationen zu Abläufen, Änderungen im Vergleich zu vorangegangenen Wahlen und zur parallel stattfindenden Integrationsratswahl.



Integrationsräte in NRW wollen Landesbeauftragten für den Islam

Die Integrationsräte in Nordrhein-Westfalen appellieren an die Landesregierung, einen Landesbeauftragten für den Islam zu benennen. Der Bedarf an einem Ansprechpartner für die Muslime, die einen bedeutsamen Teil der religiösen Vielfalt in NRW ausmachten, sei groß, heißt es in einer am 22. August in Köln veröffentlichten Resolution der Integrationsräte. Um den Dialog mit den Muslimen auf vielen Ebenen im Land zu verbessern, reiche das Format der Deutschen Islamkonferenz auf Bundesebene oder der Jungen Islamkonferenz in NRW nicht aus, erklärten sie. Nötig sei eine unabhängige Stelle, die sowohl Ansprechpartner für die Muslime sein solle als auch die Gesellschaft für ihre Belange sensibilisieren solle.

Es gebe in Nordrhein-Westfalen neun Beauftragte für bestimmte Gruppen oder Themen, hieß es weiter. Es sei jedoch offenkundig, dass ein weiterer Beauftragter als Schnittstelle zwischen der muslimischen Bevölkerung und der Politik nötig sei. Die Einsetzung einer solchen Stelle sei nicht nur ein positives Zeichen für die Muslime, sondern ein wichtiges Signal für die Gesellschaft insgesamt, erklärten die NRW-Integrationsräte, die in Köln zu ihrer Mitgliederversammlung zusammengekommen waren.

Bundesweit gibt es nach Angaben der Integrationsräte bis 4,7 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland. Mit den höchsten Anteil an der Gesamtbevölkerung hätten Muslime in NRW. Damit bilde der Islam nach dem Christentum die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Deutschland.



Pfarrer Kossen und Mario Götze mit NRW-Verdienstorden ausgezeichnet

Für ihr Engagement erhielten 13 Männer und Frauen den NRW-Verdienstorden. Unter ihnen war der katholische Pfarrer Kossen, der sich seit Jahren gegen menschenunwürdige Bedingungen von Arbeitsmigranten beispielseise in der Fleischindustrie einsetzt.

Der sozial engagierte Lengericher Pfarrer Peter Kossen und der Fußballprofi Mario Götze sind am 23. August mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt worden. Kossen, der seit Jahren unwürdige Bedingungen von Arbeitsmigranten anprangert, habe vielen Menschen Menschenwürde, Gerechtigkeit und Menschlichkeit gebracht, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bei der Verleihung in Köln. Götze habe mit seiner Popularität und seinem Vorbild seit langem auf die schwierige Situation von Kindern in aller Welt aufmerksam gemacht. Insgesamt zeichnete Laschet in der Kölner Flora 13 Frauen und Männer für ihr außergewöhnliches Engagement aus.

Laschet würdigt Einsatz für Menschenwürde und Gerechtigkeit

Für Kossen sei der Kampf für die Menschenwürde auch gegen große Widerstände ein Gebot der Menschlichkeit, sagte Laschet. Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe schlagartig die menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen zahlreicher Arbeitnehmer in deutschen Fleischfabriken endlich ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Durch den Corona-Ausbruch im Mai bei Westfleisch in Coesfeld und im Juni bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück erhielt der Einsatz Kossens bundesweit mediale Aufmerksamkeit.

Kossen selbst wertete die Auszeichnung als "eine große Wertschätzung unserer Arbeit", die allen gelte, "die sich in diesem Zusammenhang für Menschenwürde und Gerechtigkeit stark machen." In einem persönlichem Gespräch nach der Ordensverleihung erörterten Kossen und Laschet nach Angaben des Bistums Münster die aktuelle Situation vieler Leiharbeiter. "Immer mehr Familien bleiben langfristig hier. Sie zu integrieren, das ist unsere Herausforderung", sagte Kossen. Ein Heimatgefühl könne man niemandem überstülpen, "aber wir können die Menschen teilhaben lassen, damit sie nicht in einer Parallelwelt leben", betonte der Theologe.

Götze, der unter anderem bei Borussia Dortmund und Bayern München spielte, wurde für sein soziales Engagement für bessere Bildungs- und Lebenschancen von Kindern geehrt. Mit seinem Engagement motiviere Götze andere dazu, sich selber zu engagieren oder zu spenden, würdigte Laschet.

Weitere Landesverdienstorden gingen unter anderem an den Kosmonauten und Astronautikprofessor Reinhold Ewald, den Leiter des Museums Küppersmühle für Moderne Kunst in Duisburg, Walter Smerling, und den Leiter des Leber- und Infektionszentrums an der Universitätsklinik Düsseldorf, Dieter Häussinger. Ausgezeichnet wurden auch der dienstälteste Chorleiter Deutschlands, Helmut Brühl aus Bornheim, und Maria Prinzessin zur Lippe und Stephan Prinz zur Lippe, die sich für das Deutsche Rote Kreuz und verschiedene soziale und kulturelle Stiftungen einsetzen.

Laschet dankte allen Ordensempfängern für ihren herausragenden Einsatz für das Land. In einer Zeit, die von Unsicherheit und Polarisierung gezeichnet sei, stünden sie für gesellschaftlichen Zusammenhalt, für eine liebenswerte Heimat und für eine starke und lebendige Demokratie.



Bundesverfassungsgericht: "Containern" bleibt strafbar

Das sogenannte Containern bleibt strafbar. Eine Verurteilung wegen Diebstahls von Lebensmitteln aus dem verschlossenen Supermarkt-Abfallcontainer sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, teilte das Bundesverfassungsgericht am 18. August in Karlsruhe mit. Dies verstoße auch nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Gesetzgeber dürfe das zivilrechtliche Eigentum grundsätzlich auch an wirtschaftlich wertlosen Sachen strafrechtlich schützen. Zwei dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerden nahm das höchste deutsche Gericht daher nicht zur Entscheidung an. (AZ: 2 BvR 1985/19, 2 BvR 1986/19)

Die beiden Beschwerdeführerinnen aus Bayern hatten Lebensmittel aus einem verschlossenen Abfallcontainer eines Supermarktes entwendet. Darin wurden Lebensmittel mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum entsorgt sowie Waren, die wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht mehr verkauft werden.

Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügten die Beschwerdeführerinnen die Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts sowie die Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit. Zudem habe der Supermarkt kein schutzwürdiges Interesse an den weggeworfenen Lebensmitteln, argumentierten die beiden Frauen. Die massenhafte und in vielen Fällen vermeidbare Verschwendung von Lebensmitteln durch Vernichtung sei in besonderer Weise sozialschädlich.

Acht Stunden gemeinnützige Arbeit

Ob der Gesetzgeber im Hinblick auf andere Grundrechte oder Staatszielbestimmungen auch eine alternative Regelung hinsichtlich des Umgangs mit entsorgten Lebensmitteln treffen könnte, sei in diesem Fall ohne Bedeutung, entschied das Bundesverfassungsgericht.

Zunächst hatte das Amtsgericht Fürstenfeldbruck die Beschwerdeführerinnen wegen Diebstahls verwarnt und acht Stunden gemeinnützige Arbeit bei einer Einrichtung der Tafel angeordnet. Das Unternehmen sei Eigentümer der Lebensmittel und deren Wegnahme daher strafbar, hatte das Gericht entschieden. Die dagegen gerichtete Revision wies das Bayerische Oberste Landesgericht als unbegründet zurück.

Nach ihrer erfolglos eingelegten Verfassungsbeschwerde erklärte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) in Berlin: "Die Entscheidung zeigt, dass die Politik endlich tätig werden muss." Dass Menschen bestraft werden, die genießbare Nahrung vor der Entsorgung bewahren, widerspreche dem Ziel der Bundesregierung, Lebensmittelverschwendung zu stoppen, sagte Vorstandsmitglied Boris Burghardt. Nach Angaben der GFF werden in Deutschland jährlich etwa 18 Millionen Tonnen Lebensmittel vergeudet.



Kabinett beschließt Einführung der Nährwertampel

Eine erweiterte Nährwertampel vom grünen A bis zum roten E soll Verbrauchern in Deutschland künftig beim Einkauf Orientierung bieten. Das Bundeskabinett beschloss am 19. August eine Verordnung zur Einführung der freiwilligen "Nutri-Score"-Kennzeichnung. Mit der Plakette auf der Vorderseite der Verpackung sehen Kunden anhand der Farben Grün, Hellgrün, Gelb, Orange oder Rot auf einen Blick, ob die Lebensmittel im Supermarktregal eher zu einer gesunden Ernährung beitragen oder nicht. Berücksichtigt werden dabei unter anderem Zucker, Salz, ungesättigte Fettsäuren und Fette.

Spätestens im November soll die Verordnung in Kraft treten und damit die Kennzeichnung in den Läden zu finden sein. "Nutri-Score" soll aber nicht die Nährwerttabelle auf der Rückseite der Produkte ersetzen, sondern ist eine zusätzliche Information. Das Bundeslandwirtschaftsministerium will mit einer Informationskampagne für die Plakette werben, damit das Kennzeichen möglichst flächendeckend genutzt wird. "Nutri-Score" gibt es bereits in Frankreich und in Belgien.

EU-weite Regelung gefordert

Die Verbraucherzentrale Bundesverband begrüßte das Vorhaben, forderte aber eine einheitliche und verbindliche Einführung in ganz Europa. Gerade Maßnahmen, die eine gesunde Ernährung förderten und Übergewicht und Fehlernährung verhindern sollten, bräuchten deutlich mehr Verbindlichkeit. Versuche der Wirtschaft, den "Nutri-Score" zu verwässern, müssten konsequent abgewehrt werden.

Laut Ernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) ist die verpflichtende nationale Einführung der Plakette nach geltendem EU-Recht nicht möglich. Sie kündigte an, während der aktuellen EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands die Entwicklung einer EU-weit einheitlichen erweiterten Nährwertkennzeichnung voranzutreiben.




Gesundheit

Nur jedes zweite Kleinkind vollständig geimpft


Impfpass eines Kindes
epd-bild/Christoph Boeckheler
Die Zahl der Kinder, die vollständig geimpft sind, nimmt nach einer Auswertung der TK-Krankenkasse nur langsam zu. Noch immer sei fast jedes zweite Kind ohne Impfschutz.

Nur knapp jedes zweite im Jahr 2017 geborene Kind (49 Prozent) hat offenbar in den ersten beiden Lebensjahren alle empfohlenen Impfungen erhalten. Die Quote habe sich im Vergleich zu den 2016 Geborenen nur leicht verbessert, wie aus einer Auswertung von Versichertendaten der Techniker Krankenkasse (TK) hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Von ihnen waren nach zwei Jahren nur rund 47 Prozent komplett gegen Masern, Keuchhusten und andere Krankheiten geimpft.

3,5 Prozent der 2017 geborenen Kinder sind laut Krankenkasse bis zu ihrem zweiten Geburtstag gar nicht geimpft worden. Der Wert entspreche dem des Vorjahres, erklärte die Krankenkasse. Knapp 48 Prozent der 2017er Gruppe seien unvollständig geimpft. Bei der ein Jahr zuvor geborenen Gruppe waren es noch rund 50 Prozent, heißt es in der TK-Auswertung, über die die Zeitungen der Funke Mediengruppe (22. August) zuerst berichtet hatten.

Manche Eltern ließen ihre Kinder jedoch nachimpfen, erklärte die Krankenkasse. So sei bei den 2016 geborenen Kindern die Quote der nur teilweise gegen Masern geimpften innerhalb von drei Jahren von fast elf Prozent auf 6,4 Prozent gesunken. Die der gar nicht gegen Masern geimpften Kinder sank im gleichen Zeitraum von 7,3 Prozent auf 5,3 Prozent. Auch bei den 2017 geborenen Kinder waren laut Krankenkasse nach zwei Jahren noch rund zehn Prozent unvollständig geimpft. Diese hatten die zweite Masernimpfung noch nicht erhalten.

NRW hat Impfquote von 54,8 Prozent

Die besten Impfquoten haben der Auswertung zufolge Kinder in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils fast 60 Prozent. Die meisten Kinder, die bis zu ihrem zweiten Geburtstag gar keine Impfung erhalten haben, leben demnach in Sachsen (6,8 Prozent) und Bayern (4,7 Prozent). In Nordrhein-Westfalen lag die Quote bei 54,8 Prozent.

Die Zahlen zeigten eine leicht positive Entwicklung, sagte der TK-Vorstandsvorsitzende Jens Baas. Ob dabei eine Rolle spiele, dass das Thema Impfen in der Öffentlichkeit sehr präsent gewesen sei, lasse sich nur vermuten. Es sei aber weiterhin wichtig, dass die Kinder auch alle Impfungen komplett erhielten: "Denn nur dann sind sie sicher immunisiert", unterstrich Baas. Für die ersten beiden Lebensjahre empfiehlt die Ständige Impfkommission 13 Impfungen, darunter solche gegen Masern, Tetanus oder Keuchhusten.

Für die Auswertung der Impfraten wurden die 2017 geborenen und bei der TK versicherten Kinder über einen Zeitraum von zwei Jahren sowie die 2016 geborenen und bei der TK versicherten Kinder über einen Zeitraum von drei Jahren in Bezug auf die derzeit 13 von der Impfkommission empfohlenen Impfungen für diese Altersgruppe untersucht.



Merkel fordert Einhalten der Corona-Regeln


Menschen mit Symptomen einer Coronainfektion warten in einem Fieberzentrum der Diakonie darauf, getestet zu werden.
epd-bild/Steffen Schellhorn
Bundeskanzlerin Merkel hat sich besorgt über die steigenden Corona-Fallzahlen gezeigt. Bei ihrem Besuch in NRW warb sie um das Einhalten der Regeln. Ministerpräsident Laschet stimmte zu und forderte von der EU mehr gemeinsames Agieren.

Angesichts steigender Corona-Fallzahlen appelliert Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an die Bundesbürger, sich an die Schutzmaßnahmen zu halten. "Wir müssen die Regeln einhalten und über die Regeln informieren", sagte Merkel am 18. August nach einem Besuch bei der nordrhein-westfälischen Landesregierung. Stärkere Kontrollen beim Einhalten der Maskenpflicht und der Abstandsregeln seien deshalb notwendig. Priorität habe aktuell die Sicherung des Wirtschaftslebens und der Arbeitsplätze sowie das Offenhalten von Schulen und Kitas. Dem stimmte NRW-Ministerpräsident Laschet zu. Beschränkungen dürften nicht mehr bei Kindern und Bildung beginnen.

"Wir stehen mitten in der Pandemie. Das Virus ist da", sagte Merkel, die an einer NRW-Kabinettsitzung teilnahm. Gestiegene Mobilität und mehr Kontakte hätten zu einer Verdoppelung der Fallzahlen in den vergangenen drei Wochen in Deutschland geführt. "Das ist eine Entwicklung, die so nicht weitergehen sollte und die wir eindämmen sollten", betonte die Kanzlerin. Reiserückkehrer insbesondere aus Risikogebieten und private "sorglose" Feiern hätten zu dem Anstieg beigetragen.

Laschet will sich mit Länderchefs abstimmen

Die Quarantäneregeln zur Eindämmung des Virus seien maßgeblich, betonte die Kanzlerin. Wer aus einem Risikogebiet zurückkomme, müsse sich zwingend testen lassen. Quarantäne sei "kein Kann, sondern ein Muss", sagte Merkel. Wer etwa seine Quarantäne verlasse, weil er trotz positiver Testung keine Symptome zeige, gefährde massiv andere Menschen. Nur wenn die Infektionszahlen rückläufig seien, könnten Einschränkungen im öffentlichen Leben weiter gelockert werden: "Nehmen sie zu, können weitere Lockerungen nicht stattfinden." Eine Überlastung des Gesundheitssystems bestehe derzeit nicht.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Laschet kündigte an, dass sich die Länderchefs und Merkel in den nächsten Tagen über den weiteren Umgang mit der Corona-Pandemie abstimmen werden. "Unser Grundprinzip ist, wenn Infektionszahlen sinken, müssen Grundrechtseingriffe zurückgenommen werden und wenn Infektionszahlen wieder steigen, wie in diesen Tagen, müssen Schutzvorkehrungen verstärkt werden", unterstrich er.

Insgesamt lobt Laschet die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung während der bisherigen Corona-Pandemie. "Bund und Land standen hier in den letzten Monaten vor einer Bewährungsprobe ohne Vorbild", erklärte Laschet. Jedoch habe sich das föderale System in einem konstruktiven Miteinander bewährt. Der Lockdown habe aber tiefe Spuren auch in der Wirtschaft hinterlassen. Die Einbrüche seien stärker als bei der Weltfinanzkrise.

Mit Blick auf die Europäische Union forderte er die Mitgliedsländer auf, gemeinsam Konzepte zum Umgang mit der Pandemie zu entwickeln, damit es nicht mehr zu Grenzschließungen komme. Wer Grenzen offen halte, müsse kooperieren, betonte der CDU-Politiker. "Leider hat die Pandemie dazu geführt, dass viele Mitgliedsstaaten zurückgefallen sind in nationalstaatliche Alleingänge."



Bundestagsabgeordnete sollen Masken tragen

Die Bundestagsabgeordneten sollen nach der Sommerpause in den Parlamentsgebäuden eine Maske zum Schutz vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus tragen. Die Pressestelle des Bundestages bestätigte am 19. August in Berlin, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) habe sich mit einer entsprechenden "dringenden Empfehlung" an die Fraktionen gewandt. "Der Spiegel" hatte zuerst von einem Brief Schäubles an die Fraktionen berichtet, worin er die Abgeordneten zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung vom 1. September an auffordere. Vom 9. September an kommt das Parlament wieder zu Sitzungen zusammen.

Dem "Spiegel"-Bericht zufolge schreibt Schäuble, einstweilen könne im Plenarsaal, in Konferenzräumen und in den Büros vom Maskentragen noch Abstand genommen werden, sobald man seinen Platz mit dem erforderlichen Abstand eingenommen habe oder das Wort ergreifen wolle. Zugleich schloss der Bundestagspräsident weitergehende Maßnahmen nicht aus.



Gericht bestätigt Maskenpflicht im Unterricht


Unterricht mit Maskenpflicht
epd-bild / Jens Schulze

Die in der Coronaschutzverordnung angeordnete Maskenpflicht im Schulunterricht ist nach einer Eilentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Münster voraussichtlich rechtens. Die Verpflichtung, auch während des Unterrichts grundsätzlich eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen, sei verhältnismäßig, erklärte das Gericht am 21. August in Münster (Az: 13 B 1197/20.NE). Das Tragen einer Maske solle dazu beitragen, die Weiterverbreitung des Coronavirus unter Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften zu reduzieren und damit die Ausbreitung in der Bevölkerung insgesamt einzudämmen.

Die Maskenpflicht im Unterricht könne nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen auch bei Verwendung privat hergestellter textiler Mund-Nase-Bedeckungen die Verbreitung der Viren eindämmen, erklärte das Gericht weiter. Dass das Tragen der Alltagsmaske Gesundheitsgefahren für die Schüler bedeute, sei nicht feststellbar. Die auf Ende August befristete Maskenpflicht auch im Unterricht sei für die Kinder und Jugendlichen fraglos eine erhebliche Belastung. Diese sei jedoch in der Abwägung mit den damit verfolgten Zielen gleichwohl zumutbar.

Der weitgehende Präsenzunterricht bei der Wiederaufnahme des regulären Schulbetriebs trage dem Anspruch auf schulische Bildung und Erziehung Rechnung, erklärte das Gericht. Das Land könne jedoch zu Recht davon ausgehen, dass damit auch erhebliche Gefahrensituationen einhergingen. So habe es in den vergangenen Monaten auch in Nordrhein-Westfalen immer wieder Corona-Ausbrüche an Schulen gegeben. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor sei, dass kurz vor Beginn des neuen Schuljahres eine große Zahl an Schülern und Lehrern von Reisen auch aus sogenannten Risikogebieten zurückgekehrt sei.

Gegen die Maskenpflicht im Unterricht hatten sich den Angaben zufolge drei Kinder und Jugendliche von weiterführenden Schulen im Kreis Euskirchen gewandt. Die Antragsteller im Alter zwischen zehn und 15 Jahren hätten den Eilantrag damit begründet, dass der Nutzen der Alltagsmaske wissenschaftlich nicht belegt sei. Zudem führe ihrer Ansicht nach das Tragen einer Maske durch eine Erschwerung der Atmung zu Gesundheitsbeeinträchtigungen bei den Schülern. Bei längerer Tragedauer könne das Tragen der Maske zudem zu Kopfschmerzen und Konzentrationseinbußen führen.

In Nordrhein-Westfalen gilt als einzigem Bundesland eine Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler an den weiterführenden und berufsbildenden Schulen. Sie gilt nicht nur im Schulgebäude und auf dem Gelände, sondern auch im Unterricht. Grundschüler dürfen die Maske aber im Klassenraum abnehmen.



Charité-Forscher für volle Konzertsäle mit Maskenpflicht


Bald wieder Konzerte mit Publikum? Die Elbphilharmonie in Hamburg
epd-bild/Stephan Wallocha

Forscher der Berliner Charité haben sich für wieder voll besetzte Säle bei Klassikkonzerten und Opervorstellungen bei gleichzeitiger Maskenpflicht ausgesprochen. Unter der Maßgabe, dass ein Mund-Nasen-Schutz von allen Besuchern korrekt getragen wird, "ist eine Vollbesetzung der Sitzplätze möglich", heißt es in einer am 17. August in Berlin veröffentlichten "Stellungnahme zum Publikumsbetrieb von Konzert- und Opernhäusern während der Covid-19 Pandemie" der Charité Institute für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie für Hygiene und Umweltmedizin.

"Das Publikum von Klassikveranstaltungen ist diszipliniert und hat ein aufgeklärtes Verständnis für gesundheitliche Zusammenhänge", sagte der Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie der Charité, Stefan Willich, dem RBB-Inforadio. Zudem werde während der klassischen Konzerte nicht gesprochen. Deshalb habe das Institut ein spezifisches Konzept für Klassikveranstaltungen in Coronazeiten entwickelt. "Der Wunsch des Publikums nach dem direkten Konzerterlebnis ist groß. Mit einer strengen Maskenpflicht sowie den weiteren Schutzmaßnahmen ist ein sicherer Konzert- und Opernbetrieb auch in voll besetzten Sälen möglich", zitierte der Sender den Forscher weiter.

Autoren der Stellungnahme sind neben Willich auch Anne Berghöfer vom Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie sowie Miriam Wiese-Posselt und Petra Gastmeier von Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité.



Virologe Streeck: Corona ist "Teil unseres Alltags" geworden

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck wirbt um pragmatische Lösungen im Umgang mit der Corona-Pandemie. Die derzeit wieder steigenden Zahlen bei den Neuinfektionen machten deutlich, dass das Virus "Teil unseres Alltags" geworden sei und nicht wieder verschwinde, sagte Streeck am 19. August in Münster. Die Bevölkerung dürfe sich nicht von Angst leiten lassen, die Krankheit aber auch nicht unterschätzen.

Vielmehr gehe es im Umgang mit dem Virus darum, "zu lernen, mit Risiken intelligent umzugehen", sagte der Wissenschaftler weiter. Als Beispiel nannte er Großveranstaltungen. "Wenn ein Veranstalter mit einem guten Hygienekonzept vorschlägt, ein Konzert auszuprobieren, so ist es einen Gedanken wert, zu überlegen, ob man dies nicht versuchen sollte - vielleicht auch wissenschaftlich begleitet", gab der Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn zu bedenken. Überdies warnte er vor einer "medial aufgeheizten Panik", wenn die Zahlen der Neuinfektionen wieder anstiegen.

Kritik an "Politisierung des Virus"

Zugleich kritisierte Streeck, der vor allem für seine Studie zum Corona-Infektionsgeschehen im rheinischen Kreis Heinsberg bekanntgeworden ist, vor einer "Politisierung des Virus". Einen Wettstreit der Bundesländer darum, wer das Virus am besten bekämpft, ist seiner Meinung nach nicht ratsam. Politik müsse auch Fehler machen dürfen, um daraus zu lernen, erklärte der Virologe. Auch in der Wissenschaft sei ein "vorurteilsfreier Diskurs" nötig, um weitere Erkenntnisse im Kampf gegen das Virus zu gewinnen. "Bislang gibt es eben nicht den einen und einzig richtigen Weg zur Bekämpfung des Virus", sagte Streek.

Der Wissenschaftler sprach im Rahmen der "Domgedanken" im St.-Paulus-Dom in Münster. Die Vortragsreihe des Bistums Münster steht in diesem Jahr unter dem Motto "Zurück zum Leben mit Corona - Fünf Abende der Hoffnung" und findet noch bis zum 9. September jeweils mittwochs statt. Weitere Referenten sind der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln, Michael Hüther, die Kölner Medizinethikerin Christiane Woopen und das Vorstandsmitglied für Innovation und Technologie bei der Deutschen Telekom, Claudia Nemat.



BVB-Saisoneröffnungsgottesdienst findet wegen Corona im Freien statt

Wegen der Corona-Pandemie findet der ökumenische Saisoneröffnungsgottesdienst von Borussia Dortmund (BVB) dieses Jahr in einem etwas anderen Rahmen statt. Der Gottesdienst zur neuen Fußballsaison beginnt am 8. September um 19.09 Uhr auf dem Platz vor der Dreifaltigkeitskirche und nicht - wie bislang üblich - in der Kirche, wie das Erzbistum Paderborn am 20. August mitteilte. Pfarrerin Carola Theiling und Gemeindereferent Karsten Haug erwarten die Fans auf dem Platz, wo rund 150 Stühle und eine Bühne aufgestellt werden. Der Gottesdienst findet zudem nur bei gutem Wetter statt.

Üblichweise finden die Saisongottesdienste des BVB vor dem ersten Spieltag der neuen Saison statt - jeweils an einem Donnerstag. In der Vergangenheit predigten unter anderem schon der Moderator Jörg Thadeusz und der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen. In diesem Jahr wird Monsignore Michael Bredeck aus Paderborn die Predigt halten.



Gericht: Abi-Feiern nicht generell durch Corona-Verordnung verboten

Abi-Feiern sind laut einer Gerichtsentscheidung nicht generell durch Corona-Schutzverordnungen verboten. Das Verwaltungsgericht Münster hat in einer einstweiligen Anordnung eine für 22. August in Emsdetten geplante Abiturfeier mit 95 Teilnehmern zuzüglich DJ und Bewirtungspersonal erlaubt (Az: 5 L 708/20). Die Feier sei als einmaliges Ereignisses des Schulabschlusses durch den Erhalt der Zeugnisse ein "herausragender Anlass" gemäß der Verordnung, hieß es. Zudem gebe es eine hinreichend enge zeitliche und sachliche Verbindung mit dem Schulabschluss.

Nach der Corona-Schutzverordnung seien private Veranstaltungen nicht durchweg verboten, sondern sie müssten einem besonderen Schutzkonzept folgen, erläuterte das Gericht. Für bestimmte Ausnahmefälle, sogenannte herausragende Ereignisse, seien einfache Schutzkonzepte ausreichend. Die Durchführung der Abschlussfeier sei daher mit geeigneten Vorkehrungen zur Hygiene und einfacher Rückverfolgbarkeit zulässig. In Einzelfällen könnten die zuständigen Behörden über die Corona-Verordnung hinaus Schutzmaßnahmen anordnen. Dafür sei jedoch eine einzelfallbezogene Begründung für eine besondere Gefährdungslage, die von einer konkreten Veranstaltung ausgehe.

Die Antragstellerin hatte sich nach Gerichtsangaben als Vertreterin des Abiturjahrgangs an die Stadt Emsdetten gewandt, um die Einzelheiten der geplanten Feier abzustimmen. Die Stadt Emsdetten habe die Auffassung vertreten, dass die Abiturfeier nach der Corona-Schutzverordnung nicht mehr zulässig sei. Die Stadt verwies den Angaben zufolge darauf, dass die Regelung über selbstorganisierte Feste von Schulabgangsklassen im Rahmen der aktualisierten Verordnung vom 11. August gestrichen worden sei. Das Verwaltungsgericht folgte dieser Argumentation nicht.

Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Gegen den Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden.



Flughafen Düsseldorf: Bisher rund 30.000 Corona-Tests

Am Flughafen Düsseldorf sind bis Stand 17. August nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein rund 30.000 Menschen auf das aktuelle Corona-Virus getestet worden. Bis dahin lagen 23.000 Befunde vor, von denen 605 positiv waren, wie die KV als Vertretung der niedergelassenen Ärzte am 19. August in Düsseldorf mitteilte. Dies entspreche einer Quote von 2,6 Prozent.

Seit dem 24. Juli sei binnen weniger Tage am Düsseldorfer Flughafen ein Testzentrum für Urlaubsrückkehrer beziehungsweise Einreisende aus ausländischen Risikogebieten eingerichtet worden, hieß es. Derzeit seien dort bis zu 40 Mitarbeiter täglich in zwei Schichten im Einsatz. Am Flughafen Weeze wurden den Angaben nach seit dem 3. August 490 Tests vorgenommen. Von den bislang 130 vorliegenden Befunden waren alle negativ.

Freiwillige Tests in Kitas

Die KV Nordrhein verweist auch auf die Testungen, die seit dem 3. August Schul- und Kita-Beschäftigte alle 14 Tage freiwillig in Anspruch nehmen können. Auch hierfür seien die niedergelassenen Vertragsärzte die primären Ansprechpartner. Mit Stand 16. August wurden demnach 2.500 Tests bei Erzieherinnen in Kitas gemacht, von den 2.300 vorliegenden Befunden waren lediglich 0,7 Prozent positiv. Von den bislang vorliegenden 12.900 Befunden von Test bei Lehrerinnen und Lehrern waren 0,4 Prozent positiv.

Die KV Nordrhein spricht von einem anspruchsvollem Programm, das die Mitgliedsärzte leisteten und das es neben der regulären Patientenversorgung zu stemmen gelte. Ärzte müssten sich auch mit einer immer weiter ausufernden Bürokratie und rechtlichen Konstellationen beschäftigen, kritisierte die Vereinigung. Die KV bemühe sich, die Ärzte zu unterstützen, hieß es. "Wir brauchen aber selber Unterstützung, etwa bei der Finanzierung der erheblichen Mengen von Schutzmaterial, die für die Tests benötigt werden und das teilweise immer noch oder wieder Mangelware ist, etwa bei Kitteln und Overalls", betonte der Vorstandsvorsitzende Frank Bergmann. Er forderte Zusagen der Politik, hierfür vollständig die Kosten zu übernehmen.



Corona: Kostenlose Tests für Jugendhilfe-Mitarbeiter im Saarland

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe und der Jugendhilfeeinrichtungen im Saarland können sich ab sofort auch kostenlos auf das Coronavirus testen lassen. "Gezielte Testungen von Personengruppen sind wichtig, um einem möglichen Infektionsgeschehen vorzubeugen, aber auch um im Falle einer Infektion schnell und gezielt handeln zu können", sagte Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) am 21. August in Saarbrücken. Da mittlerweile wieder mehr Angebote für Kinder und Jugendliche verfügbar seien, diene die Testausweitung der weiteren Corona-Eindämmung.

Wie bei den Testungen für Lehrkräfte und für Beschäftigte in Bildungseinrichtung gilt laut Ministerium, dass zunächst ab sofort eine Testung möglich ist und eine weitere Ende des Jahres. Das Gesundheitsministerium will das Terminbuchungssystem und Informationen zum Ablauf unter www.testzentrum.saarland.de veröffentlichen.



Corona-Entwarnung in Bethel-Einrichtung

Die v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel haben nach einem Corona-Fall in einer ihrer Einrichtungen Entwarnung gegeben. Sämtliche aktuelle Covid-19-Abstriche der getesteten Bewohnerinnen, Bewohner und Mitarbeitenden der Bielefelder Einrichtung Bethabara seien negativ, teilte Bethel am 21. August in Bielefeld mit. Am 19. August war eine Mitarbeiterin des Hauses, bei der erste Symptome aufgetreten waren, positiv gestestet worden. Zur Sicherheit habe Bethel bei allen Bewohnern und Mitarbeitenden des Hauses Testungen vorgenommen. Insgesamt waren es 53 Abstriche. Im Haus Bethabara leben Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen.

Die Mitarbeiterin habe ihre letzten Dienst in der Einrichtung zwei Tage vor Auftreten der Symptome gehabt, erklärte Bethel. Bei ihren Dienst habe die Mitarbeiterin, die sich unwissentlich infiziert habe, wie alle anderen Mitarbeitenden auch durchgängig eine FFP2-Schutzmaske getragen.




Soziales

Scholz gegen bedingungsloses Grundeinkommen


Demonstrant für Grundeinkommen (Archivbild)
epd-bild / Norbert Neetz
Ein Forschungsprojekt hat das bedingungslose Grundeinkommen wieder ins Gespräch gebracht. Mehr als eine Million Menschen bewarben sich in den vergangenen Tagen um eine Teilnahme. SPD-Kanzlerkandidat Scholz lehnt ein Grundeinkommen indes strikt ab.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz lehnt ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. "Das wäre Neoliberalismus. Und wenn man fair und richtig rechnet, ist das auch unbezahlbar", sagte der Bundesfinanzminister den Zeitungen der Funke Mediengruppe (21. August). Er habe die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens schon immer falsch gefunden: "Das würde viele Errungenschaften des Sozialstaates wie die Renten- oder die Arbeitslosenversicherung gefährden." Ein in dieser Woche gestartetes Forschungsvorhaben zum Grundeinkommen stößt indes nach Angaben der Initiatoren auf sehr großes Interesse.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und der Verein "Mein Grundeinkommen" starteten am 18. August das Projekt, bei dem die Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens erstmals in der Praxis untersucht werden soll. Von Frühjahr 2021 an sollen 120 Menschen jeweils drei Jahre lang ein Grundeinkommen in Höhe von 1.200 Euro pro Monat erhalten.

Große Resonanz

Die Studienteilnehmer sollten aus bis zu einer Million Bewerberinnen und Bewerbern ausgewählt werden, die Frist zur Bewerbung im November enden. Wie der Verein "Mein Grundeinkommen" am 21. August mitteilte, war die Bewerberzahl aber bereits innerhalb von drei Tagen erreicht. Mehr als eine Million Menschen haben sich demnach bereits um eine Teilnahme beworben.

Aufgrund der hohen Resonanz solle die Zahl der Plätze jetzt erhöht werden, teilte der Verein mit. Am Forschungsprojekt beteiligt sind auch das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und die Universität Köln.

Erste Langzeitstudie dieser Art

Das Experiment ist die erste Langzeitstudie in Deutschland zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ziel ist laut Initiator Michael Bohmeyer vom Verein "Mein Grundeinkommen", die Wirkung der Zahlung auf den Einzelnen und Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben zu erforschen.

Für den Soziologen und DIW-Forscher Jürgen Schupp steht im Zentrum, ob und wie sich die Zahlung auf die Berufstätigkeit der Testpersonen auswirkt. Führt das Geld und die Sicherheit, die damit verbunden ist, zu Veränderungen im Empfinden und Verhalten der Teilnehmer? Geben sie etwa einen ungeliebten Job auf und machen sich selbstständig? Arbeiten sie weniger? Und wie verbringen sie die gewonnene Zeit? Man werde auch erfassen, ob sich Teilnehmer einfach aufs Sofa legen und mehr fernsehen, kündigte Schupp bei der Vorstellung der Versuchsanordnung an. Schupp war jahrelang Leiter des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW, einer Langzeit-Befragung Zehntausender Haushalte, deren Daten grundlegend sind für die Sozial- und Wirtschaftsforschung in Deutschland.

Eine Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts untersucht die psychologischen Aspekte, etwa ob ein Grundeinkommen hilft, Stress zu verringern und in der Folge die Lebenszufriedenheit und gesellschaftliches Engagement zu erhöhen, wovon Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens wie Bohmeyer überzeugt sind. Erfahrungsberichte der Menschen, die ein Jahr lang das von seinem Verein regelmäßig verloste Grundeinkommen von 1.000 Euro monatlich bezogen haben, legten das nahe, berichtete Bohmeyer. Häufig wichen Ohnmachtsgefühle einem Aufbruchsgefühl, sagt er. Die Universität zu Köln untersucht zudem verhaltensökonomische Aspekte wie mögliche Veränderungen bei Entscheidungen und Handlungen der Teilnehmer.

In Deutschland wird die Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Praxis erstmals untersucht. Ähnliche Experimente mit verschiedenen Grundeinkommen gab es seit den 1970er Jahren in mehreren Ländern, zuletzt in Finnland. Das deutsche Modellprojekt wird allein aus den Spenden von rund 150.000 Privatleuten finanziert. Die Ergebnisse sollen 2024 veröffentlicht werden. Rechtlich gesehen erhalten die Teilnehmer eine Schenkung von 1.200 Euro im Monat, die sie nicht versteuern müssen. Anders sieht es bei Grundsicherungsempfängern (Hartz IV) aus. Als Projektteilnehmer müssen sie sich entscheiden, weiter von Sozialleistungen oder den 1.200 Euro zu leben. Für sie gibt es das Grundeinkommen nicht obendrauf.

Der Verein "Mein Grundeinkommen" mit Sitz in Berlin verlost seit 2014 bedingungslose Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat für jeweils ein Jahr, sobald 12.000 Euro an Spenden zusammengekommen sind. Er hat nach eigenen Angaben bisher mehr als 650 Grundeinkommen vergeben.



Regelsatz für Hartz-IV-Empfänger steigt


Hartz-IV-Antrag
epd-bild/Norbert Neetz
Eigentlich eine gute Nachricht: Die Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger steigen. Doch die Anhebung ist aus Sicht sämtlicher Sozialverbände zu gering, um das Existenzminimum abzudecken. Sie werfen der Regierung vor, die Sätze kleinzurechnen.

Das Bundeskabinett hat am 19. August eine Erhöhung der Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger beschlossen. Sozialexperten und -verbände erklärten einhellig, die Steigerung falle zu gering aus, um eine würdevolle Existenz zu sichern. Die Diakonie kritisierte, Fehler der Vergangenheit würden wiederholt, Armut festgeschrieben und Menschen vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen. Im Zentrum der Kritik stand die Berechnungsmethode. Die Diakonie prangerte willkürliche Streichungen an.

Das Arbeitsministerium wies die Vorwürfe zurück. Eine Sprecherin von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte, die Berechnungsmethode werde den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts gerecht und sei "transparent und nachprüfbar". Heil selbst erklärte, es gehöre zum Kern des Sozialstaats, allen Menschen ein Existenzminimum und Teilhabe am sozialen Leben zu garantieren.

Sieben Euro mehr

Der Regelsatz für Grundsicherungsempfänger wird etwa alle fünf Jahre neu berechnet. Grundlage ist die jeweils aktuelle Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts, die Auskunft gibt über die Einkommen, Schulden und Konsumausgaben privater Haushalte sowie deren Wohnsituation. Für die Berechnung der Hartz-IV-Sätze werden die Ausgaben der einkommensschwächsten 20 bzw. 15 Prozent der Haushalte herangezogen und davon wiederum Beträge abgezogen, etwa für einen Weihnachtsbaum, Grabschmuck, Speiseeis, chemische Reinigung oder einen Gaststättenbesuch.

Der Gesetzentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium legt die künftigen Regelsätze auf Basis der EVS von 2018 fest. Danach steigen Anfang 2021 die monatlichen Leistungen für einen Hartz-IV-Empfänger um mindestens sieben auf 439 Euro. Kleinkinder bekommen 278 Euro und damit 28 Euro mehr. Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren erhalten 39 Euro mehr, ihre Bezüge steigen auf 367 Euro. Der Satz von 308 Euro für sechs-bis 13-jährige Kinder wird nicht erhöht. Ehegatten und Partner erhalten im kommenden Jahr 395 Euro und damit pro Monat sechs Euro mehr. Von dem Geld müssen alle Ausgaben außer Miete und Heizung gedeckt werden. Die Beträge können sich geringfügig erhöhen, weil die jährliche Anpassung an die Preis- und Lohnentwicklung noch nicht berücksichtigt ist.

Nullrunde bei 6- bis 13-Jährigen

Das Deutsche Kinderhilfswerk erklärte, auf den ersten Blick sehe die Anhebung der Beträge für Kinder bis zu sechs Jahren und Jugendliche ab 14 Jahren gut aus, doch werde "lediglich ein Stück weit das nachgeholt, was den Kindern und Jugendlichen durch politisches Herunterrechnen der Regelsätze seit Jahren vorenthalten wird", erklärte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann: "Und dass die Sechs- bis 13-Jährigen mit einer Nullrunde abgespeist werden sollen, ist ein armutspolitischer Skandal."

Ähnlich äußerten sich der Sozialverband VdK, die Nationale Armutskonferenz (NAK), die AWO, die Caritas und Politiker der Grünen und Linken. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte, sieben Euro bedeuteten 23 Cent mehr am Tag: "Armut bekämpfen wir damit ganz sicher nicht." Die Caritas kritisierte, die Menschen hätten zu wenig Geld für Strom und warmes Wasser. Es sei seit Jahren bekannt, dass ihre Ausgaben doppelt so hoch seien wie die Pauschalen im Regelsatz.

Mit dem Gesetz werden zugleich die Regelsätze für Sozialhilfeempfänger, Rentner und Asylbewerber festgelegt. Sie müssen noch vom Bundestag und Bundesrat beschlossen werden. Der sozialpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Sven Lehmann, kündigte an, seine Partei werde ein alternatives Konzept zur Regelsatzermittlung ins Parlament einbringen, wonach die Sätze auf rund 600 Euro steigen müssten. Das soziokulturelle Existenzminimum von sieben Millionen Menschen sei nicht gedeckt, kritisierte Lehmann. Linken-Chefin Katja Kipping warf Heil eine Politik der "Verarmung und Vereinsamung" vor.



"Bildungsurlaub ist kein Benefit, sondern ein Recht"

Arbeitnehmer haben Anspruch auf Bildungsurlaub - auch wenn dieser inhaltlich nichts mit dem Job zu tun hat. Kaum jemand macht jedoch von diesem Recht Gebrauch. Das Berliner Startup Bildungsurlauber.de will dies ändern.

Fastenwandern in Brandenburg wird jetzt deutlich häufiger geklickt als Sprachkurs in Barcelona. Zu den beliebten Angeboten auf Bildungsurlauber.de gehören auch Rückenfit mit Yoga und Pferden, das japanische Waldbaden Shinrin-yoku oder Feldenkrais auf Sylt. Die meisten Buchungen verzeichne das Portal, das aktuell 2.840 Angebote mit rund 10.000 Kursterminen listet, in der Kategorie "Erholung, Gesundheit, Stressbewältigung", sagt Mitgründerin Lara Körber, gefolgt von persönlicher und beruflicher Weiterbildung wie Mediation oder Mitarbeiterführung.

Nach der ersten "Schockstarre" durch die Corona-Pandemie "kommt jetzt wieder Bewegung rein", betont die 33-Jährige. Anbieter entwickelten zudem Onlinekurse. Das 2019 gegründete Berliner Startup will Bildungsurlaub bekannter und einfacher zugänglich machen und so die Nutzungsquote erhöhen. Das Portal bündelt das riesige Angebot anerkannter Kurse von Design über Politische Bildung bis zu Wissenschaft und Lehre, macht es durch Filter übersichtlich und automatisiert den Antragsprozess, indem Interessierte direkt den Antrag für ihr Bundesland herunterladen können. Diesen müssen sie nur noch unterschreiben und dem Arbeitgeber vorlegen. Infos gibt es auch zu Zuschüssen durch die Krankenkasse oder das Absetzen von der Steuer.

Schwerer Weg

"Bildungsurlaub ist kein Benefit, sondern ein Recht", betont Körber: "Aber der Weg dorthin ist für viele zu schwer." Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) sind 77 Prozent der Beschäftigten an Fortbildungen interessiert, aber nur ein bis zwei Prozent nehmen Bildungsurlaub, obwohl es außer in Bayern und Sachsen überall einen gesetzlichen Anspruch darauf gibt. Meist dürfen fünf Tage pro Jahr oder zehn Tage in zwei Jahren genommen werden.

Jahrelang hatten auch Körber und ihre Mitgründer Anian Schmitt (33) und Sven Regenhardt (40) nicht von der Möglichkeit Bildungsurlaub gewusst. Auf das Thema aufmerksam wurden sie erst, als Schmitts Mutter ankündigte, einen Tai-Chi-Kurs als Bildungsurlaub zu machen. Es folgten viele Fragen, Recherchen und die Erkenntnis, dass es eine Plattform wie Bildungsurlauber.de noch nicht gab. Zusammen bewarben sich die drei, die aus der Tech-Branche, der Unternehmensberatung und dem Marketing kommen, für das Berlin Startup Stipendium - und erhielten die Förderung.

Geld verdienen sie durch Provisionen: Für jeden Teilnehmer, der seine gebuchte Weiterbildung erfolgreich absolviert hat, fließt ein Anteil der Kurskosten an die Plattform. Anbieter können sich selbst auf der Webseite registrieren. Eine Statistik auf der Homepage weist aktuell 1.568 Teilnehmer, 4.134 Kurse, 7.840 Kurstage und 156 Standorte aus.

"Gute Arbeitskultur wird wichtiger"

Mittlerweile können die Gründer auch den Corona-Folgen Positives abgewinnen. Mit dem Schlagwort "New Work" verbundene Themen wie Homeoffice, Arbeitszeit und Work-Life-Balance seien gesamtgesellschaftlich stärker auf die Agenda gerückt, erklärt Körber. Viele Beschäftige dächten darüber nach, wie sie in Zukunft leben und arbeiten wollten: "Eine gute Arbeitskultur wird wichtiger, auch bei Arbeitgebern." Davon könnte "als ein Puzzlestück" auch der Bildungsurlaub profitieren.

Bisher haben es allerdings auch weder sie noch ihre Mitgründer in den Bildungsurlaub geschafft, räumt Körber ein. Da ihre Förderung ausgelaufen ist, steht derzeit die Investorensuche oben auf der Agenda. Geplant sind zudem ein eigenes Seminarangebot sowie eine Petition für Bildungsurlaub auch in Bayern und Sachsen. Außerdem ist das Startup an einer Studie der Humboldt-Universität zu Berlin zur Auswirkung von Bildungsurlaub auf Mitarbeiter beteiligt. So bald wie möglich soll es aber auch für Körber zum Fastenwandern nach Brandenburg gehen.

Von Nadine Emmerich (epd)


Sozialverbände in NRW fordern Gremienarbeit per Videoschalte

Sozialverbände in Nordrhein-Westfalen fordern von der Landesregierung, für die behindertenpolitischen Beteiligungsgremien des Landes eine barrierefreie Teilnahme an Telefon- und Videokonferenzen zu ermöglichen. Mittlerweile liege zwar aus dem Gesundheitsministerium eine erste Rückmeldung für den Fachbeirat Partizipation vor, dass sich die Mitglieder nun per Telefonkonferenz einwählen können, erklärten die Verbände SoVD, VdK und die LAG Selbsthilfe NRW am 19. August in Düsseldorf. Doch sei es weiterhin nicht nachvollziehbar, dass die gesetzlich vorgeschriebene Beteiligung von Verbänden und Organisationen an Fach- und Inklusionsbeiräten angeblich an fehlenden technischen Möglichkeiten scheitere.

Gerade Menschen mit Behinderung könne nicht zugemutet werden, sich im Rahmen ihrer Interessensvertretung der Ansteckungsgefahr mit dem Corona-Virus in öffentlichen Verkehrsmitteln und bei Sitzungen vor Ort aussetzen zu müssen, erklärten die Verbände. Diese hatten sich am 14. August mit einem Schreiben an Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) gewandt. Aus Sicht der Verbände und Organisationen sei es keine Lösung, einfach wieder zu stationären "normalen" Sitzungen überzugehen, hieß es.



Präses Kurschus führt Theologischen Vorstand der Perthes-Stiftung ein

Die westfälische Präses Annette Kurschus hat Jens Beckmann als Theologischen Vorstand der Perthes-Stiftung in Münster sein ein Amt eingeführt. Der promovierte Theologe, der seit Anfang August im Amt ist, leitet gemeinsam mit dem Kaufmännischen Vorsitzenden des Vorstandes, Wilfried Koopmann, die Perthes-Stiftung. Beckmann ist Nachfolger von Rüdiger Schuch, der Anfang des Jahres als Beauftragter zum evangelischen Büro beim nordrhein-westfälischen Landtag und der Landesregierung gewechselt war.

Kurschus wünschte dem neuen stellvertretenden Vorsitzenden des Vorstands Gottes Segen für die verantwortungsvolle Arbeit in der Leitung des westfalenweit agierenden diakonischen Trägers, wie die Stiftung in Münster mitteilte. Beckmann erklärte in seiner Kurzpredigt: "Gottes Gegenwart ist uns verheißen, so können wir diakonisch handeln, so können wir unser Handeln, unsere Zuwendung als diakonisch verstehen."

Beckmann leitete zuvor das Zentrum kirchlicher Dienste mit Sitz in Neumünster. Der gebürtige Bielefelder hat evangelische Theologie in Bethel, Berlin, Hamburg und Bochum studiert. Die im Jahr 1965 gegründete Perthes-Stiftung ist ein Träger diakonischer Einrichtungen an über 80 Standorten in Westfalen. Rund 9.000 Mitarbeitende sind in den Arbeitsfeldern Menschen im Alter, Menschen mit Behinderungen sowie in besonderen sozialen Schwierigkeiten, mit Suchterkrankungen oder in der letzten Lebensphase tätig.



Corona-Hilfen für Inklusionsbetriebe in NRW

NRW unterstützt Inklusionsbetriebe bei der Bewältigung der finanziellen Folgen der Corona-Pandemie. Rechtlich selbstständige Unternehmen, die in Folge der Pandemie unverschuldet in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, können Zuschüsse von bis zu 75.000 Euro erhalten, erklärte das nordrhein-westfälische Arbeitsministerium am 17. August in Düsseldorf. Das neue Förderprogramm solle eine Lücke für Betriebe schließen, die bisher keine Soforthilfen des Bundes in Anspruch nehmen konnten.

Inklusionsbetriebe mit bis zu zehn Beschäftigte mit Behinderungen können pro Arbeitsplatz 5.000 Euro, maximal aber 30.000 Euro erhalten. Bei Inklusionsbetrieben bis zu 25 Beschäftigten sind es pro Arbeitsplatz 3.000 Euro und maximal 50.000 Euro. Inklusionsbetriebe mit mehr als 25 Beschäftigten können 2.000 Euro erhalten, die Maximalsumme liegt bei 75.000 Euro. Anträge können bei den Inklusionsämtern der Landschaftsverbände Rheinland (LVR) oder Westfalen-Lippe (LWL) gestellt werden. Der Förderzeitraum ist begrenzt auf die Zeit bis Dezember 2020.

"Inklusionsbetriebe bieten Menschen mit schweren Behinderungen einen Zugang zu einer Beschäftigung im allgemeinen Arbeitsmarkt", sagte Arbeits- und Sozialminister Karl Josef Laumann (CDU). Sie stellten damit einen wichtigen Teil der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen. "Wir dürfen daher nicht zulassen, dass die Betriebe aufgrund von Corona in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraden."



Hebammenausbildung in NRW wird künftig duales Studium an Hochschulen


Eine Hebamme untersucht in einem Geburtshaus eine schwangere Frau.
epd-bild / Dethard Hilbig

Die NRW-Landesregierung hat die Einrichtung von jährlich 300 Studienplätzen für Hebammenkunde beschlossen. Im Zuge der Akademisierung der Hebammenausbildung sollten die bestehenden Ausbildungskapazitäten nach und nach von den Hebammenschulen an die Hochschulen verlagert werden, kündigten Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) am 19. August in Düsseldorf an. Die Auswahl geeigneter Hochschulen solle zum Herbst erfolgen. Der Start des dualen Studiums ist den Angaben zufolge überwiegend zum Wintersemester 2021/2022 vorgesehen.

Grundlage für die Umstellung der Ausbildung ist das Hebammenreformgesetz des Bundes, das Anfang 2020 in Kraft getreten ist. Bis zum 31. Dezember 2022 besteht eine Übergangszeit, in der noch eine berufspraktische Ausbildung an Hebammenschulen begonnen werden kann. Danach wird die Hebammenausbildung bundesweit von einer fachpraktischen Ausbildung auf einen Bachelorstudiengang umgestellt.



NRW sucht Tierschutzbeauftragten

Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat die Stelle einer oder eines Tierschutzbeauftragten öffentlich ausgeschrieben. Die Bewerbungsfrist endet bereits am 26. August, wie das Umweltministerium in Düsseldorf mitteilte. Die oder der künftige Tierschutzbeauftragte habe eine "Beratungs-, Vernetzungs- und Informationsrolle zwischen Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und den Überwachungsbehörden", erläuterte Ministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). "Um tragfähige Veränderungen im Tierschutz und insbesondere in der Nutztierhaltung zu etablieren, müssen wir mit allen Beteiligten einen konstruktiven Dialog führen."

Zu den Aufgaben gehören den Angaben zufolge die Beratung der Ministerin, der Tierschutzverbände, der Tierärztekammern, der für den Tierschutz zuständigen Behörden sowie der Tierhalter und betroffener Wirtschaftsbetriebe. Außerdem soll die oder der Beauftragte Bürgeranliegen zu relevanten Tierschutzfragestellungen beantworten und als Vorsitzender des Tierschutzbeirates dem ehrenamtlichen Tierschutz in Nordrhein-Westfalen eine Stimme geben. Einstellungsvoraussetzung ist eine Fachtierarztqualifikation für den Tierschutz sowie aktive berufliche und ehrenamtliche Tätigkeit im Tierschutz.




Medien & Kultur

Pop Art mit politischer Aussage


Keith-Haring-Ausstellung im Museum Folkwang
epd-bild/Friedrich Stark
Seine poppig bunten Strichmännchen kennt jeder. Das krabbelnde Baby, der bellende Hund und tanzende Figuren zieren heute nicht nur Kunstdrucke und Poster, sondern auch Bettwäsche und Geschenkpapier. In Essen erinnert eine Ausstellung an Keith Haring.

Tanzende Männchen und fliegende Untertassen, ganze Labyrinthe aus farbigen Figuren und grafischen Mustern - Keith Harings Bilder sind unverwechselbar. Die an Graffitis, Pop Art oder Comics erinnernden Motive wirken dynamisch und unbekümmert, vielfach wollte der US-amerikanische Künstler damit aber auch politische Aussagen transportieren. Das Museum Folkwang in Essen widmet ihm seit dem 21. August eine Retrospektive.

Bis zum 29. November sind rund 200 großformatige Gemälde, Zeichnungen, Plakate, Fotografien und Videos zu sehen, die das gesellschaftliche und politische Engagement von Keith Haring (1958-1990) widerspiegeln. Die Ausstellung zeige ihn nicht nur als Künstler, sondern auch als Performer, Aktivisten und Netzwerker, erklärte Museumsdirektor Peter Gorschlüter. Mit seinen Werken habe Haring immer wieder auf drängende Themen seiner Zeit wie Rassismus, Homophobie, Drogensucht, Umweltzerstörung oder Kapitalismus reagiert und universellen Erfahrungen wie Geburt, Tod, Liebe oder Gewalt Ausdruck verliehen. "Seine Werke und Aussagen sind heute so aktuell wie zur Zeit ihrer Entstehung", sagte Gorschlüter.

Comic und chinesische Kalligraphie

Haring, 1958 in Reading im US-Staat Pennsylvania geboren, studierte zunächst zwei Semester Werbegrafik in Pittsburgh, bevor er nach New York ging. Dort entstanden ab 1980 erste Arbeiten im öffentlichen Raum auf Gehwegen oder in U-Bahn-Gängen, unter anderem von der Graffiti-Kunst inspirierte Figuren wie das krabbelnde Baby oder der bellende Hund. Die Strichmännchenfiguren fielen mit ihrer witzig und provokant gestalteten Aussage auf, so dass sie schon bald zu bekannten Kunstwerken im öffentlichen Raum wurden.

Inspiration für diese ikonische Malweise mit klaren Linien und Flächen habe Haring nicht nur in Comics und Graffitis, sondern auch in der expressionistischen und zeitgenössischen Kunst sowie in chinesischer Kalligraphie gefunden, so die Ausstellungsmacher. Das begrenzte Figurenarsenal habe ein schnelles Arbeiten ermöglicht und zudem über eine hohe Wiedererkennbarkeit eine erhöhte Aufmerksamkeit erzielt.

Haring habe bewusst nicht nur die Grenzen der Leinwand, sondern auch der Kunstinstitutionen gesprengt, sagte Gorschlüter. "Kunst ist für alle und überall." Dabei habe sein expansiver Drang zur Kunst vor nichts Halt gemacht: "Motorhauben, Häuserfassaden, U-Bahn-Stationen, Mode, Alltagsprodukte, menschliche Körper und vieles mehr dienten ihm, um seine so fantasievollen wie politischen Botschaften in die Welt zu tragen." Als Teil der New Yorker Künstler-, Club- und Schwulenszene habe er nicht nur mit anderen Künstlern, sondern auch mit Größen aus Musik und Mode zusammengearbeitet.

Aids-Aktivist

In der Ausstellung zu sehen sind Videos mit Madonna oder dem Tänzer Bill T. Jones und Kleidungsstücke aus der "Witches"-Collection von Vivienne Westwood und Malcom McLaren, die Haring mitgestaltete. Außerdem zeigt das Museum erstmals die neu erworbene Serie "Apocalypse" aus zehn großformatigen Siebdrucken und zehn Texttafeln, die gemeinsam mit dem Beat-Autor William S. Burroughs entstand. In ungewöhnlichen Motiven wird das Thema des Weltuntergangs behandelt, das Haring mit seinem eigenen Leben und seiner Aidserkrankung verbindet. Dazu fügte er Motive aus verschiedenen Zeiten und Kulturen zusammen.

Ergänzt wird die Schau durch seltenes Archivmaterial wie Flugblätter, Manuskripte, Film- und Fotoaufnahmen, die das politische Engagement des Künstlers veranschaulichen. Unter anderem engagierte er sich mit seiner Kunst für die Enttabuisierung der Immunschwächekrankheit Aids, an der er 1990 selbst starb.

Parallel zur Keith-Haring-Schau zeigt das Museum Folkwang die Ausstellung "Rettet die Liebe! Internationale Plakate gegen Aids". In der HIV-Präventionsarbeit hätten Plakate von Anfang an eine zentrale Rolle gespielt, hieß es. Zu sehen sind rund 200 Plakate aus fünf Kontinenten, die den unterschiedlich Umgang mit HIV-Infektionen in den verschiedenen kulturellen und religiösen Gemeinschaften widerspiegeln. Aktivisten wie die New Yorker Gruppe Act Up um Keith Haring hätten dazu beigetragen, eine andere öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema zu erreichen.

Peter Noçon (epd)


Deutsches Historisches Museum hinterfragt Beethoven-Kult


Neuer Beethoven-Schwerpunkt im Deutschen Historischen Museum
epd-bild/Rolf Zöllner
Nach einer spektakulären Sonderausstellung in der Berliner Staatsbibliothek zum 250. Geburtstag Ludwig van Beethovens widmet nun auch das Deutsche Historische Museum dem Komponisten mehr Aufmerksamkeit.

Ludwig van Beethoven (1770-1827) und die politische Vereinnahmung des Komponisten im Laufe der Geschichte stehen im Mittelpunkt eines neuen Schwerpunktes in der Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin. Gezeigt werden seit dem 20. August rund 60 Exponate und 20 Medien- und Hörstationen, die entlang eines markierten "Themenpfades" aufgebaut sind. Am Beispiel Beethovens solle gezeigt werden, "welcher Stellenwert künstlerischer Freiheit damals wie heute in verschiedenen politischen Systemen zukommt", sagte Museumschef Raphael Gross zur Eröffnung von "Beethoven - Freiheit".

Während der Komponist in der NS-Zeit etwa als Repräsentant des genialen deutschen Künstlers galt, war er in der DDR als bürgerlich-humanistischer Wegbereiter des Sozialismus mit musikalischen Mitteln bekannt, erklärte Ausstellungskurator Christian Kämpf.

Taubheit thematisiert

Der "Themenpfad", der neben neuen Exponaten auch Objekte aus der Dauerausstellung einschließt, soll zunächst bis zum 30. Juni 2021 zu sehen sein. Anlass ist der 250. Geburtstag des Musikers im Dezember. Das DHM hatte erst kürzlich mit der Überarbeitung der Dauerausstellung im Bereich Kolonialismus für eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte geworben.

Zum Beethoven-Schwerpunkt gibt es eine App mit Audiobeschreibungen von Exponaten und Musikbeispielen. Bodenmarkierungen weisen sehbehinderten Menschen den Weg. Außerdem sind über einen QR-Code an den Texttafeln Gebärdensprachenvideos abrufbar. So solle möglichst vielen Menschen ermöglicht werden, "Beethoven mit allen Sinnen zu begegnen", sagte Gross.

Im Mittelpunkt steht eine Ohrmuschel-förmige Installation von Exponaten. Sie sollen einen Eindruck geben über die Rezeption Beethovens, aber auch über seine Krankheitsgeschichte und beginnende Taubheit, die seine künstlerische Freiheit bedrohte. Zu sehen sind Aufführungsplakate aus verschiedenen Epochen, Beethoven-Devotionalien, aber auch Hörrohre, Konversationshefte für schriftliche Gespräche und Metronome, die den Takt nicht nur hör- sondern für den ertaubenden Komponisten auch sichtbar machten.

Unterschiedlicher Freiheits-Begriff

Zuvor nicht gezeigte Exponate aus DHM-Beständen sind etwa eine Notenhandschrift der "Marseillaise", der 1792 komponierten, späteren französischen Nationalhymne, oder eine Einladungskarte zu Beethovens Begräbnis. Diese Exponate sollen die Brücke zu den Objekten der Dauerausstellung und somit vom Komponisten zu seinen historischen Umständen schlagen. An jeder Station ist die Vertonung eines Beethoven-Werkes nachhörbar: von der Befreiungsoper "Fidelio" bis hin zur "Ode an die Freude" aus der 9. Symphonie, der heutigen Europa-Hymne.

Ziel der Kuratoren war es, die Verknüpfung von Beethovens Leben und Werk mit dem Begriff der "Freiheit" zu problematisieren. "Die heutigen Forderungen nach individueller, gesellschaftlicher oder künstlerischer Freiheit entsprechen nicht der Lebenswirklichkeit und dem Freiheitsverständnis Beethovens und seiner Zeit", heißt es in der Ausstellung. Der Musiker sei schon früh als "über seiner Zeit stehendes Genie und kompromissloser Revolutionär wahrgenommen" worden. Darauf beruht bis heute das gängige Beethoven-Verständnis.

Ludwig van Beethoven wurde 1770 in Bonn geboren und zog im Alter von 22 Jahren nach Wien, wo er 1827 starb. Er ist auch heute noch als einer der weltweit meist gespielten Komponisten. Anlässlich seines 250. Geburtstages findet ein Festjahr unter dem Motto "Beethoven neu entdecken" mit bundesweit Tausenden Veranstaltungen statt, darunter auch in Bonn, Heimatstadt des Komponisten. Auf dem Programm stehen Konzerte, Ausstellungen und touristische Angebote.



"Spektakulär schön"


Neue Dauerausstellung im Jüdischen Museum Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Auf 3.500 Quadratmetern zeigt die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis in die Gegenwart.

Mehr Gegenwart, weniger Exponate: Das Jüdische Museum Berlin hat seine neue Dauerausstellung eröffnet. Fast 20 Jahre sind vergangen, seit der spektakuläre Zickzack-Bau des US-amerikanischen Architekten Daniel Libeskind im September 2001 öffnete. Umgehend wurde das Museum der 1.700-jährigen Geschichte der Juden in Deutschland mit seiner Metall-Fassade damals zu einem der Besuchermagneten in der Hauptstadt. Bis zu ihrer Schließung im Dezember 2017 zog die Dauerausstellung über elf Millionen Menschen an.

Die alte Schau wurde damals innerhalb von 18 Monaten entwickelt, an der neuen tüftelte das 20-köpfige Team um Chefkuratorin Cilly Kugelmann seit 2015. Herausgekommen ist eine Präsentation, die angenehm puristisch daherkommt. Die Zahl der Exponate wurde drastisch reduziert von 3.900 auf etwa 1.000, die Erklärtexte sind kurz und knapp, die Ausstellungsarchitektur und das Design beziehen stärker als zuvor den Libeskind-Bau mit ein. Kugelmann selbst spricht von einer "spektakulär schönen" Ausstellung.

"Perspektive geändert"

"Es war an der Zeit für eine neue und andere museale Darstellung von jüdischer Kultur", sagt die Direktorin des Museums, Hetty Berg. Die Geschichte der Juden habe sich nicht geändert – "aber unsere Perspektive darauf". Viel stärker als ihre Vorgängerin stelle die neue Ausstellung das Judentum als lebendige Kultur dar.

"Wir setzen andere Schwerpunkte als vor 20 Jahren", sagt Kugelmann. So rücken die Beziehungen von Juden zur ihrer nichtjüdischen Umwelt in den Fokus und werden stärker Themen jüdischer Kultur und Religion aufgegriffen. Praktisch alle Exponate sind neu, 70 Prozent stammen aus der museumseigenen Sammlung, die in den vergangenen Jahrzehnten durch private Schenkungen und Familiennachlässe auf einen beträchtlichen Umfang anwuchs. Ein Glücksumstand, wie Kugelmann betont, weil durch Zweiten Weltkrieg und Holocaust praktisch kein Markt für historische Judaica-Artefakte existiert.

Die Ausstellung erzählt die Geschichte der Juden in Deutschland vom Mittelalter bis heute. Das beginnt mit den Anfängen jüdischen Lebens in Aschkenas - die Bezeichnung in der mittelalterlichen rabbinischen Literatur für Deutschland - und führt über die Emanzipationsbewegung im 19. Jahrhundert und deren gewaltsames Ende durch den Nationalsozialismus bis zum jüdischen Leben in Deutschland heute. Anders als zuvor wird aber nicht streng chronologisch erzählt.

Spielarten des Antisemitismus

Auf acht Themen-Inseln beispielsweise kann sich der Besucher in jüdische Kultur und Religion vertiefen und liturgischen Gesängen, Purim-Rasseln und Popmusik lauschen oder in Interviews erfahren, ob, wie und warum Juden heute den Geboten folgen.

Zwei Dinge ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Ausstellungskapitel: Jüdische Identität und Judenfeindlichkeit in ihren unterschiedlichsten Ausprägungen. Wann ist beispielsweise Musik "jüdisch", wenn sie nicht liturgisch ist? Woran macht sich eine jüdische Identität fest? Antworten liefern unter anderem eine unscheinbare Küchenreibe, eine Wasserflasche und ein Flamencokleid.

Durchdekliniert werden auch die vielen Spielarten des Antisemitismus, die den deutschen Juden im Laufe der Jahrhunderte entgegenschlugen. Und ihre Ambivalenzen. Zum Beispiel die Verehrung vieler deutscher Juden für den Komponisten Richard Wagner (1813-1883), einem eingefleischten Antisemiten. So hörte der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl (1860-1904), Wagners "Tannhäuser" gern, um zu entspannen.

962 NS-Gesetze

Die Nazi-Zeit wird mit Installationen aus den 962 Gesetzen erzählt, die nach 1933 gegen die Juden erlassen wurden. Die Räume sind auch hier hell, die Wände aus kaltem Aluminium. Sie halte nichts davon, den Besuchern durch dunkle Räume die Dramatik einer Erzählung zu signalisieren, kommentiert Kugelmann. Für die Zeit nach 1945 stehen Themen wie Wiedergutmachung, das Verhältnis zu Israel und die russischsprachige Einwanderung ab 1990 im Mittelpunkt.

Hier hätte sie auch gerne den Konflikt um das Jüdische Museum selbst thematisiert, in dessen Folge im Juni 2019 der renommierte Judaist Peter Schäfer als Museumsdirektor zurücktrat und das vom Bund finanzierte Haus in schwere Turbulenzen geriet. "Das wollten aber meine Kollegen nicht", bedauert Kugelmann, die von 2002 bis 2017 Programmdirektorin des Museums war.

Markus Geiler (epd)


Philosoph Sommer: Nietzsche war Feind jeglicher Nazi-Ideologie


Andreas Urs Sommer vor einer Büste von Friedrich Nietzsche
epd-bild/Urs Sommer

Die Vereinnahmung Friedrich Nietzsches (1844-1900) durch das NS-Regime war laut dem Schweizer Philosophen Andreas Urs Sommer ein Missbrauch des Denkers. Nietzsche hätte sich "von Anfang an angewidert abgewendet", sagte Sommer dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dumpf-völkisches Getue alter und neuer Nazis stehe im völligen Gegensatz zu seinem Denken. Nietzsche starb vor 120 Jahren, am 25. August 1900 in Weimar nach langer seelischer Krankheit.

Die NS-Vereinnahmung könne sich ohnehin nur auf wenige Aspekte von Nietzsches Werk beziehen, fügte Sommer hinzu, der Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg lehrt und die Forschungsstelle "Nietzsche-Kommentar" der Heidelberger Akademie der Wissenschaften leitet. Nietzsche habe sich dezidiert als "Anti-Antisemit" verstanden, er habe diesen Ausdruck benutzt, um sich gegen die Zumutung eines damaligen führenden Antisemiten, Theodor Fritsch (1852-1933), zu wenden, der Nietzsche schon damals in Anspruch nehmen wollte.

"anti-antisemitische" Tradition

"Anstatt sich darüber zu freuen, dass jemand positiv auf ihn reagiert, schreibt er einen hohnerfüllten Brief an diesen Fritsch und verbittet sich jede antisemitische Instrumentalisierung", sagte Sommer. Leider sei Nietzsches "anti-antisemitische" Tradition durch seine Schwester verdeckt worden. Elisabeth Förster-Nietzsche verwaltete seinen Nachlass und hatte beste Beziehungen zu Benito Mussolini und auch zu Adolf Hitler, der sie mehrfach in Weimar besuchte und auch bei ihrer Trauerfeier 1935 zugegen war.

Gegen jegliche Nähe zur NS-Ideologie spreche auch Nietzsches radikale anti-deutsche Einstellung, die "wir schon in den frühen Schriften der 1870er-Jahre und dann noch verstärkt im Spätwerk finden". Sommer: "Alles Preußisch-deutsch-Militaristische war ihm verhasst." Nietzsche sei ein Freund des Südens, des Mediterranen gewesen, er habe sich als einen französischen Schriftsteller gesehen, der sich aus Versehen gerade der deutschen Sprache bedient.

Auf der anderen Seite sei natürlich klar, dass sich Stichworte wie "Übermensch", "Umwertung aller Werte" in alle möglichen Ideologien einpassen lassen, sagt Sommer. Die Rezeption Nietzsches ziehe sich durch eine ganz große Bandbreite des politischen Spektrums. Anarchisten und Kommunisten nähmen Nietzsche genauso für sich in Anspruch wie Neonazis.

epd-Gespräch: Stephan Cezanne


Köln prüft Rückgabe eines Steinkopfes an Kambodscha

Die Stadt Köln prüft derzeit die Rückgabe des Kopfes einer Steinskulptur der hinduistischen Gottheit Vishnu an Kambodscha. Der Kopf ist seit 1986 Teil der Sammlung des Rautenstrauch-Joest-Museums (RJM) und wurde mit hoher Wahrscheinlichkeit in den 1960er Jahren illegal außer Landes gebracht, wie die Stadtverwaltung am 21. August mitteilte. Das Museum informierte den Kunst- und Kulturausschuss der Stadt Köln darüber, dass man sich über Wege zur Rückführung des Objektes mit den kambodschanischen Verantwortlichen austauschen möchte.

Das Museum ist in diesem Fall von sich aus tätig geworden, eine Restitutionsanfrage aus Kambodscha liegt den Angaben zufolge bislang nicht vor. Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) begrüßte die Initiative des Museums: "Wir können Ungerechtigkeiten der Vergangenheit nicht durch Rückgaben von Objekten ungeschehen machen, aber wir können versuchen, sie aufzuklären, und uns um Heilung bemühen."

Es handelt sich bei dem Sammlungsstück um den Kopf einer Steinskulptur aus der Khmer-Zeit (9. bis 15. Jahrhundert). An das Kölner Museum war der Kopf im Jahr 1984 zunächst als Leihgabe eines Sammlers für die Sonderausstellung "Das zeitlose Bildnis – Plastische Kunst der Khmer und Thai" gelangt, zwei Jahre kaufte das Museum den Kopf. Seit 2010 ist das Exponat Teil der Dauerausstellung "Der Mensch in seinen Welten".

Sonderausstellung "Die Schatten der Dinge #1"

Die Ausstellung "Tatort Kambodscha" war 2017 der Anlass, sich mit der Khmer-Sammlung des Hauses näher auseinanderzusetzen. Bei den Ermittlungen zu dem Vishnu-Kopf deute nun vieles darauf hin, dass er illegal erworben wurde, hieß es. So verschwanden durch Plünderungen während der gewaltsamen politischen Auseinandersetzungen Mitte der 1960er Jahre viele Skulpturen, Reliefs und andere Kunstobjekte aus der Region Angkor. Über den asiatischen Kunstmarkt und Sammler gelangten sie bis in international renommierte Museen. Als eine Drehscheibe im internationalen Kunsthandel fungiert dabei bis heute die thailändische Hauptstadt Bangkok.

Bis es zu einer möglichen Rückgabe an Kambodscha ist der Vishnu-Kopf ab September noch Teil der Sonderausstellung "Die Schatten der Dinge #1", die bis zum 3. Januar zu sehen ist. Die Schau des Kölner Museums nähert sich den Biografien von vier Objekten aus Kambodscha, Kanada, Neuseeland und Nigeria an und erzählt dabei auch von ihrer Herkunft.



Forscherin: Bei Lach-Clips über Obdachlose geht es nicht nur um Likes


Wohnungsloser Mann
epd-bild/Heike Lyding

Bei den in den Social-Media-Kanälen neuen Trend-Clips von Jugendlichen mit obdachlosen Menschen geht es nach Worten der Münsteraner Kommunikationswissenschaftlerin Carla Schieb nur vordergründig um Provokation. Vielmehr spiegele sich hier eine Aggression wider, die aus verfestigten Stereotypen und Vorurteilen resultiert, sagte Schieb dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Dafür spricht, dass die Jugendlichen nur wenig oder keine Empathie zeigen", sagte die Kommunikationswissenschaftlerin.

Bei den den sogennanten Pranks (deutsch: Streiche) filmen Jugendliche ungefragt wohnungslose oder scheinbar süchtigen Menschen, ärgern sie und führen sie vor. Solche Video-Clips tauchen neuerdings auf der angesagten App "TikTok" oder auf Instagram auf.

Obdachlose und drogenabhängige Menschen oft negativ dargestellt

"Sicherlich spielt es eine Rolle, Aufmerksamkeit für den eigenen Kanal zu bekommen, eine hohe Reichweite erzielen zu können, weil die Aufmerksamkeitslogik durch diesen Tabubruch bedient wird", sagt die Forscherin weiter. Doch der Erklärungsansatz "Wunsch nach hohen Klickzahlen" greife zu kurz. "Die zugrundeliegenden Ursachen liegen meiner Einschätzung nach in der lebensweltlichen Umgebung verankert."

Bei der Entstehung und Verfestigung sozialer Ungleichheit spielen ihrer Ansicht nach auch medial vermittelte Stereotype eine entscheidende Rolle. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass obdachlose und drogenabhängige Menschen oft negativ dargestellt werden. "Als psychisch krank, verwahrlost oder kriminell", sagt Schieb, die unter anderem über Straßenzeitungen und verrohte Sprache im Internet geforscht hat.

"Ignorieren schlägt in aggressives Verhalten um"

"Wer zur eigenen Gruppe gehört, wird positiv bewertet, wird als kompetent, freundlich, warmherzig wahrgenommen", führt sie weiter aus. Obdachlose dagegen würden weder als kompetent, noch als freundlich oder vertrauenswürdig empfunden. "Aus dieser Bewertung resultieren negative Emotionen, nämlich Ekel und Verachtung." Meist würden diese sozialen Gruppen in der Folge gemieden oder aus dem Stadtbild ausgeschlossen. "In bestimmten Situationen schlägt das Ignorieren in aggressives Verhalten um, was sich in den 'TikTok'-Videos widerspiegelt", sagt Schieb.

Von einer Verrohung der "Generation Internet" will die Kommunikationswissenschaftlerin aber nicht sprechen. Die Frage, ob die soziale Medien solch ein aggressives Verhalten unter jungen Menschen begünstigen, sei in der Forschung umstritten. Zwar sei eine "Enthemmung online" in Form von Hasskommentaren und Cybermobbing zu beobachten. Doch nur ein geringer Bruchteil der Internetnutzer verhalte sich laut Studien tatsächlich so: "Also andere mobbt, Hasskommentare verfasst oder eben Videos dreht, die Feindseligkeit gegenüber gesellschaftliche Randgruppen abbilden."

epd-Gespräch: Katrin Nordwald


Videospiel klärt über Rechtsextremismus auf


Rechtsextreme bei einer Kundgebung in Köln (Archivbild)
epd-bild/Meike Böschemeyer

Mit dem Videospiel "Leons Identität - Ein exploratives Abenteuer" wollen das nordrhein-westfälische Innenministerium und die Staatskanzlei Rechtsextremismus vorbeugen. Das Spiel soll Kinder und Jugendliche ab dem zwölften Lebensjahr "über extremistische Einflüsse im Internet aufklären, ihre Medienkompetenz stärken und nicht zuletzt Spaß machen", sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am 21. August in Düsseldorf. Entwicklung und Produktion des Videospiels haben den Angaben zufolge insgesamt 225.000 Euro gekostet.

In dem als detektivisches Abenteuerspiel angelegten Videospiel schlüpfen die Spieler in die Rolle von Jonas, der sich auf die Suche nach seinem vermissten Bruder Leon macht. Jonas sucht in dessen Jugendzimmer nach Hinweisen und geht den Umständen seines mysteriösen Verschwindens auf den Grund, wobei er Leons langsames Abdriften in die rechtsextreme Szene nachzeichnet. Die Spieldauer hänge davon ab, wie der Spieler mit gefunden Hinweisen umgehe, hieß es. Jeder Spieler habe die Chance "Leon" vom weiteren Abstieg in die rechtsextreme Szene zu retten.

"Das Netz ist die Dunkelkammer eines extremistischen Weltbildes und die Radikalisierungsmaschine des 21. Jahrhunderts", erklärte Innenminister Reul. Deshalb sei es wichtig, dass der Staat maßgeschneiderte Angebote mache. "Die Überzeugungen junger Menschen dürfen nicht von Populisten und Radikalen geprägt werden, da müssen und wollen wir mitmischen", betonte er. Die Digitalisierung des Extremismus sei die größte Herausforderung für alle Sicherheitsbehörden.

"Medienkompetenz stärken gegen Hetzte und Hass"

Der nordrhein-westfälische Staatskanzleichef Nathanael Liminski (CDU) bezeichnete das Videospiel als bundesweit vermutlich ersten Versuch dieser Form, "junge Menschen vor dem Abrutschen in die rechte Szene zu bewahren". Indem man ihre Medienkompetenz stärke, mache man sie hoffentlich immun gegen Hetze und Hass.

Zum Spiel gehört eine Internetseite, auf der die fiktiven im Spiel vorkommenden Elemente wie Magazine, Musik und rechtsextreme Treffen ihren realen Gegenstücken gegenübergestellt werden. So können sich Spieler weiter informieren und Quellen sichten. Entwickelt wurde das Spiel gemeinsam mit der Produktionsfirma bildundtonfabrik (btf), unter anderem mehrfacher Gewinner des Grimmepreises und des Deutschen Computerspielpreises 2019. Der NRW-Verfassungsschutz hat das Projekt in seiner knapp einjährigen Entstehungsphase von der Idee bis zur Realisierung begleitet.



Frei wie ein Vogel


Am Broadway in New York stand von 1949 bis 1965 der legendäre Jazz-Club "Birdland", benannt nach Charlie Parker. Das jährliche Festival zum Geburtstag des Musikers muss wegen der Corona-Krise am Big Apple ausfallen.
epd-bild / Bernd Obermann
Das Leben des Saxofonisten Charlie Parker war geprägt von Rausch und Exzessen. Mit der fiebrigen, schnellen Spielweise des Bebop führte er den Jazz in eine revolutionäre Richtung. Sein früher Tod mit 34 Jahren ließ ihn zur Legende werden.

Tief versunken in seine Musik stand er auf den Bühnen von verrauchten Nachtclubs, seine Finger flogen in rasender Geschwindigkeit über das Altsaxofon: Weil seine Spielweise frei wirkte wie der Flug eines Vogels, wurde Charlie Parker schon bald unter dem Spitznamen "Bird" bekannt. Der fiebrige, schnelle improvisierte Sound des Bebop, den er mit dem Trompeter Dizzy Gillespie entwickelte, machte ihn populär. Doch das Leben Parkers war auch von privaten Tragödien, Alkohol- und Drogensucht geprägt. Er wurde nur 34 Jahre alt. Vor 100 Jahren, am 29. August 1920, kam Charlie "Bird" Parker in Kansas-City zur Welt.

"Parker war ein Virtuose ersten Ranges", sagt der Jazz-Experte der Essener Folkwang Universität, Peter Herborn, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Spätestens seit Charlie Parker sei instrumentale Virtuosität ein Credo für nahezu alle Jazz-Musiker. "Der durch Parker begründete Bebop ist die universale Sprache des modernen Jazz, ohne deren Kenntnis die nachfolgenden Jazzmusiker kaum ausgekommen sind."

Musikalischer Einfluss wirkt bis heute

Der Beat-Autor Jack Kerouac setzte dem Musiker ein Denkmal mit seinem Gedicht "Mexico City Blues" und der Jazz-Kenner und Filmregisseur Clint Eastwood würdigte ihn in dem Film "Bird" (1988) mit Forest Whitaker in der Hauptrolle.

Parker habe in seinen wenigen Jahren den Jazz ähnlich tiefgreifend transformiert wie es die Revolutionäre Mozart, Chopin oder Gershwin für ihre Musik getan hätten, schrieb vor wenigen Tagen der Musikkritiker der "Chicago Tribune", Howard Reich. Der Saxofonist habe eine musikalische Sprache hervorgebracht, die den Jazz des 20. Jahrhunderts beherrschte und auch im 21. Jahrhundert weiterhin Einfluss habe.

Nach Parkers Überzeugung sollte Jazzmusik nicht nur Begleitmusik zum Tanzen sein, sondern als eine eigene künstlerische Form wahrgenommen werden. Gegen den heiteren Swing seiner Zeit mit zunehmend klischeehaften Arrangements setzte er zusammen mit Gillespie einen neuen Sound, der später Bebop genannt werden sollte. Mitte der 40er Jahre gründeten sie die erste Bebop-Combo.

Dabei sei das melodische Material durch Verwendung von chromatischen Tönen ausgeweitet worden, erläutert Peter Herborn. "Außerdem werden schnelle Tempi, wie sie bis dahin im Jazz und auch in weiten Teilen aller anderen Musik der westlichen Welt, kaum zu hören sind, favorisiert."

Geburt des Bebop

"Es passierte einfach", erklärte Musikerkollege Gillespie in einem Interview im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" 1992 zur Geburt des Bebop: "Wir experimentierten, wir spielten Sachen, die wir irgendwo aufgeschnappt hatten." Dabei hätten sie "gar nicht irgendwie an eine neue Art von Musik" gedacht: "Wir wollten lediglich mit dem, was wir konnten, soweit wie möglich gehen."

Parker hat Berichten zufolge exzessiv geübt. Sein Schlüsselerlebnis soll dabei gewesen sein, dass er in jungen Jahren bei einer Jam Session mit der Count Basie Big-Band so schlecht spielte, dass der Schlagzeuger vor Wut ein Schlagzeugbecken zu Boden geworfen habe.

Nach einem intensiven Studium der Harmonielehre sei er dann wie verwandelt gewesen, schrieb Ross Russell in seiner Biografie "Bird lebt!": Aus einem wenig kompetenten Saxofonisten mit miserablem Ton sei ein fähiger und ausdrucksstarker Musiker geworden, der es nun sogar mit weit erfahreneren Saxofonisten aufnehmen konnte. Parker war auch der erste schwarze Musiker, nach dem am Broadway ein Club benannt wurde - das legendäre Birdland im Jahr 1949.

"Bird lives"

Doch in den 50er Jahren machte sich seine jahrzehntelange Abhängigkeit von Heroin und Alkohol immer stärker bemerkbar. Er verpasste Auftritte oder spielte sichtlich betrunken sein Instrument. Immer häufiger wurden Konzerte abgesagt. Er unternahm in seinen letzten Jahren mehrere Suizidversuche, probierte es mit Entziehungskuren und wurde auch in eine psychiatrische Station eingewiesen.

Die fortschreitende Krise soll durch den Tod seiner zweijährigen Tochter Pree, die seit ihrer Geburt an einem Herzfehler litt, im Jahr 1954 erheblich beschleunigt worden sein. Ein Jahr später starb er mit 34 Jahren in einem Hotel in New York an Herzversagen und Leberzirrhose. Bei der anschließenden Obduktion wurde er zunächst auf über 50 Jahre geschätzt.

Bereits kurz nach seinem Tod tauchte an vielen Orten New Yorks das Graffiti "Bird lives" auf. Parkers Stücke gehörten zum Kernrepertoire des Jazz, erklärt Jazz-Experte Herborn: "Sie dürften täglich irgendwo auf der Welt vor allem von Jazz-Studierenden auf Sessions gespielt werden." Seit 1992 findet jedes Jahr rund um seinen Geburtstag ein Festival zu Ehren Parkers in New York statt. Ausgerechnet zum 100. muss es dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie ausfallen.

Holger Spierig (epd)


Forscher bescheinigen ARD und ZDF "Tunnelblick" während Corona-Krise


ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin-Mitte
epd-bild/Christian Ditsch
Medienwissenschaftler untersuchen die Corona-Berichterstattung von ARD und ZDF. Sie kommen zum Schluss: Es wird nicht genug differenziert, ein "Tunnelblick" entsteht. Die öffentlich-rechtlichen Sender wehren sich.

ARD und ZDF haben nach Ansicht von Wissenschaftlern in den ersten Monaten der Corona-Pandemie mit ihren Sendungen einen massenmedialen "Tunnelblick" erzeugt. "Sondersendungen wurden zum Normalfall und gesellschaftlich relevante Themen jenseits von Covid-19 ausgeblendet: Es war eine Verengung der Welt", sagte der Medienforscher Dennis Gräf vom Lehrstuhl für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Passau dem Evangelischen Pressedienst (epd). Gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Hennig hat Gräf mehr als 90 Sendungen von "ARD Extra" und "ZDF Spezial" untersucht und sie im Zeitraum von Mitte März bis Mitte Mai analysiert.

Die Wissenschaftler kamen zum Schluss, dass Journalismus differenzierter sein und Maßnahmen in der Corona-Pandemie auch grundsätzlich hinterfragen müsse. Dies sei in den Beiträgen der Öffentlich-Rechtlichen aber nicht geschehen, resümierten sie. Gräf sagte, vielmehr überwiege das Bild: "Individuelles Wohl wird eingeschränkt für das überwiegende Wohl".

"Qualität der Berichterstattung im Vordergrund"

ARD-Chefredakteur Rainald Becker wies dies auf epd-Anfrage zurück. "Dass das Informationsbedürfnis zur Corona-Pandemie außerordentlich hoch war und ist, belegt nicht zuletzt das große Interesse der Zuschauerinnen und Zuschauer an unseren Sendungen zum Thema", erklärte er. Für die ARD habe zu jeder Zeit die journalistische Qualität der Berichterstattung im Vordergrund gestanden. "Auch im Nachhinein halte ich Umfang und Inhalt unseres Informationsangebots für angemessen und ausgewogen." Der Vorwurf eines "Tunnelblicks" gehe an der programmlichen Realität im Ersten und an der Lebensrealität der Menschen vorbei.

Ein ZDF-Sprecher erklärte: "Die "Tunnelblick"-These der Forscher ignoriert, dass Corona als dominantes Berichterstattungsthema der vergangenen Monate alle Lebensbereiche prägte und entsprechend umfangreich in den Berichterstatter-Blick geriet." Dass in den "ZDF spezial"-Ausgaben die aktuelle Entwicklung der Krise mit all ihren vielfältigen Aspekten im Vordergrund gestanden habe, "ist angesichts einer außergewöhnlichen Pandemie-Lage nicht überraschend, sondern sogar Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Informationsangebots". Es habe gerade in den ersten Wochen großen Informations- und Erklärungsbedarf gegeben, "dem das ZDF Rechnung getragen hat". Dabei sei die Gewichtung von Corona- und anderen Themen ein täglicher Abwägungsprozess in den Redaktionen.

Krisenszenario

Nach Angaben der Medienwissenschaftler Gräf und Hennig vermittelte schon die Häufigkeit der Sondersendungen Zuschauern ein permanentes Krisen- und Bedrohungsszenario. Die Inhalte hätten dies noch verstärkt: Fußgängerzonen ohne Fußgänger seien gezeigt worden, leere Geschäfte, begleitet von Spekulationen über eine langanhaltende Krise, die aber noch gar nicht da sei. "Solche Bilder kennen wir aus Endzeiterzählungen und Zombiegeschichten", sagte Gräf.

Hennig fügte hinzu, dass Normalbürger "immer aus der Perspektive von Leistung inszeniert" wurden. "Immer wieder wurde von Helden des Alltags gesprochen, die ihre Berufsrolle ins Extreme übersteigern, Tag und Nacht für die Gesellschaft da sind und sich im übertragenen Sinne aufopfern für ein höheres Wohl." Als Beispiele nannte er Pflegekräfte oder DHL-Zusteller sowie die "Glorifizierung" des Virologen Christian Drosten. Home-Office bei gleichzeitiger Kinderbetreuung sei indes vor allem als problematisch dargestellt worden, weil "der üblichen Produktivität nicht nachgekommen werden" könne.

Hennig erläuterte ferner, die Sondersendungen konstruierten eigenständige Modelle der Welt, vermittelten gewisse Werte und arbeiteten mit Zuspitzungen. Wenn aber Inszenierungsstrategien verwendet würden, "die wir von Hollywood-Blockbustern" über gefährliche Viren kennen, würden die eigentlich als Dokumentationen gedachten Sendungen fast zum fiktionalen Format.

Mey Dudin (epd)


RBB schafft Sommerinterview-Reihe aus Brandenburg ab

Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) stellt seine Sommerinterview-Reihe "Politik am See" mit brandenburgischen Spitzenpolitikern ein. Der Sender werde das Konzept der Interviewserie im Nachrichtenmagazin "Brandenburg aktuell" im kommenden Jahr nicht mehr verfolgen, sagte RBB-Sprecherin Eva Marock dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 19. August in Berlin. Hintergründige Interviews mit Politikerinnen und Politikern, auch im Sommer, werde es jedoch im RBB "selbstverständlich weiter geben".

Der Sender stand zuletzt wegen eines unkritischen Interviews mit Brandenburgs früherem AfD-Chef Andreas Kalbitz in der Kritik, das im Juli in der Gesprächsreihe gesendet worden war. "Es zwingt uns niemand, ein solches Konzept zu verfolgen", sagte RBB-Chefredakteur Christoph Singelnstein der Zeitung: "Nicht nur ich halte das gesamte Format für veraltet."

Das Gespräch mit Kalbitz hätte besser vorbereitet werden müssen, erklärte Singelnstein. Der RBB habe enorme Expertise im Bereich Rechtsextremismus und erfahrene Rechercheure, aber dieses Wissen sei nicht genutzt worden. "Es treibt mich noch sehr um, dass uns das passieren konnte", sagte der Chefredakteur. Die AfD habe jedoch in der Interview-Reihe als zweitstärkste Kraft im brandenburgischen Landtag berücksichtigt werden müssen.



ARD berechnet Bezüge der Intendanten anders

Die ARD hat klargestellt, dass sich aus den jüngst veröffentlichten Zahlen zu den Bezügen der Intendanten keine eindeutigen Rückschlüsse auf die Entwicklung der Gehälter im Senderverbund ziehen lassen. Wie eine Sprecherin der ARD am 18. August auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) mitteilte, hat sich die Grundlage der Berechnungen seit den 2017 veröffentlichten Zahlen verändert. Im Gegensatz zu 2017 weise der Senderverbund nun nur noch die Grundvergütungen der Intendanten aus. Detailliertere Informationen zu einzelnen Vergütungen lägen nicht zentral vor.

Die Grundvergütung von WDR-Intendant Tom Buhrow lag nach der von der ARD jetzt veröffentlichten Tabelle 2019 um rund 23.000 Euro über der von 2016. Erhielt Buhrow 2016 laut WDR-Geschäftsbericht 371.700 Euro, so waren es im vergangenen Jahr 395.000 Euro. Die Grundvergütung des an zweiter Stelle liegenden Intendanten des BR, Ulrich Wilhelm, lag laut ARD 2019 bei 388.000 Euro, rund 21.000 Euro über der von 2016. Laut BR-Geschäftsbericht lag diese 2016 bei 366.656 Euro.

Die öffentlich-rechtlichen Sender sind verpflichtet, die Bezüge der Intendantinnen und Intendanten offenzulegen.



Senta Berger erhält Tutzinger Toleranz-Preis

Die Schauspielerin Senta Berger (79) erhält den Toleranz-Preis der Evangelischen Akademie Tutzing. Sie werde geehrt "als Charakterdarstellerin für ihr Lebenswerk als glaubwürdige Persönlichkeit", teilte die Akademie am 18. August mit. Ihre Offenheit für die Welt und andere Kulturen seien der Schlüssel, um dem Fremden mit Toleranz und Verständnis, Charme und Humor zu begegnen. Mit dem Preis würdigt die Akademie Persönlichkeiten, die sich für die Verständigung zwischen Menschen, Nationen, Religionen und Kulturen einsetzen.

Bisherige Preisträger waren unter anderen der französische Staatspräsident Emmanuel Macron (2018) sowie die früheren Bundespräsidenten Roman Herzog und Christian Wulff. Der aktuelle Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erhielt die Auszeichnung in seiner Zeit als Bundesaußenminister. Außerdem wurden der Schriftsteller Henning Mankell und der Musiker Peter Maffay mit dem Preis geehrt. Die nicht dotierte Auszeichnung wird seit 2000 alle zwei Jahre vergeben.



Kirchliches Filmfestival eröffnet mit Doku über Politikerinnen

Das ursprünglich für März geplante und wegen der Corona-Pandemie verschobene Kirchliche Filmfestival Recklinghausen findet nun in kleinerem Rahmen als Sonderedition vom 25. bis 27. September statt. Statt 16 werden nur sieben Spiel- und Dokumentarfilme gezeigt, wie die Veranstalter am 20. August in Recklinghausen ankündigten. Als Eröffnungsfilm und Weltpremiere ist die Dokumentation "Die Unbeugsamen" über Pionierinnen der bundesrepublikanischen Politik zu sehen. Regisseur und Autor Torsten Körner wird als Gast erwartet.

Weitere Höhepunkte des Festivals sind den Angaben zufolge die Verleihung des Ökumenischen Filmpreises für das Drama "Gipsy Queen" an Regisseur Hüseyin Tabak und des Kinderfilmpreises "Der grüne Zweig" an Markus Dietrich für den Superheldinnenfilm "Invisible Sue - Plötzlich unsichtbar". Regisseurin Yulia Lokshina stelle zudem ihren Dokumentarfilm "Regeln am Band. Bei hoher Geschwindigkeit" über die Arbeitswelt osteuropäischer Leiharbeiter vor und diskutiere mit Pfarrer Peter Kossen, der sich gegen menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie einsetzt.

Veranstalter des Festivals ist der Arbeitskreis "Kirche & Kino" des evangelischen Kirchenkreises Recklinghausen und des katholischen Kreisdekanats Recklinghausen. Partner sind die Stadt Recklinghausen, das Cineworld Recklinghausen und das Institut für Kino und Filmkultur.



Festjahr Jüdisches Leben in Deutschland: Steinmeier wird Schirmherr

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Schirmherrschaft für das Festjahr "2021 JLID - Jüdisches Leben in Deutschland" übernommen. Das Staatsoberhaupt setze damit "ein starkes Signal für die Verbundenheit Deutschlands mit der 1.700-jährigen deutsch-jüdischen Geschichte sowie für eine Zukunft jüdischen Lebens in unserem Land", erklärte Abraham Lehrer, Vorsitzender des Trägervereins für das Festjahr und Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, am 19. August in Köln.

Anlass für das Festjahr ist die erste schriftliche Erwähnung der jüdischen Gemeinde in Köln im Jahr 321. Mit 1.700 Jahren gilt sie als älteste nördlich der Alpen. Mit rund tausend Veranstaltungen will der Verein jüdisches Leben in Deutschland sichtbar und erlebbar machen und ein Zeichen gegen den Antisemitismus setzen. Geplant sind unter anderem Konzerte, Theater, Tanz, Lesungen, Vorträge und Diskussionen.



Bibelmuseum in Münster öffnet wieder


Die Original-Lutherbibel von 1546 ist das Schmuckstück in der Sammlung des Bibelmuseums der Universität Münster.

Das Bibelmuseum der Universität Münster eröffnet nach coronabedingter Pause am 25. August mit einer Ausstellung über die alttestamentarische Geschichte vom Turmbau zu Babel. In der neuen Sonderschau "Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen (Gen. 11)" sind archäologische Exponate unter anderem aus dem Berliner Pergamonmuseum zu sehen, wie die Westfälische Wilhelms-Universität Münster am 18. August mitteilte. Hinzu kämen künstlerische und theologische Bezüge in Bildern, Filmen, Bibeln und Handschriften.

Mythos Babylon

Die Erzählung vom Turm zu Babel ist eine der bekanntesten des Alten Testaments, die für die Überheblichkeit des Menschen steht. In Anlehnung an einen Ziegelstein aus der Museumssammlung, der 1913 vom deutschen Bauforscher Robert Koldewey (1855-1925) am möglichen Standort des Turms zu Babel im heutigen Irak entdeckt wurde, begibt sich die Ausstellung auf die Spuren der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem antiken Bauwerk, wie es hieß. Themen sind unter anderem der historisch-theologische Babel-Bibel-Streit über den Ursprung der Bibel, an dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts auch der letzte deutsche Kaiser Wilhelm II. beteiligt war, sowie die historische und moderne Rezeption des "Mythos Babylon".

Minecraft-Bauwettbewerb

Zur Ausstellung wird ab dem 25. August zweimal täglich eine einstündige Führung je um 10 und um 15 Uhr angeboten, zu der sich Interessierte vorher anmelden müssen. Für das jüngere Publikum gibt es zur Ausstellung online einen Minecraft-Bauwettbewerb zur Bibelstelle Genesis 11.

Das Museum beleuchtet die Geschichte des "Buches der Bücher" von ihren handschriftlichen Anfängen bis heute. Ausgestellt sind mehr als 1.500 Exponate in wechselnden Ausstellungen. Mit einer "digitalen Besucherführung" können sich Besucherinnen und Besucher per Tablet über die Exponate informieren. Einzelne Objekte können zudem mit Hilfe einer 3D-Brille genauer betrachtet werden. Das Haus gehört zum Institut für Neutestamentliche Textforschung (INTF) der Westfälischen Wilhelms-Universität. Ein Team arbeitet an einer Rekonstruktion des Urtextes des griechischen Neuen Testaments.



Comedia Theater Köln wird "Zentrum der Kultur für Junges Publikum"

Mit Beginn der Spielzeit 2020/21 wird aus dem Comedia Theater Köln das "Zentrum der Kultur für junges Publikum Köln und NRW". "Damit geht ein lange gehegter Traum für uns in Erfüllung", sagte Jutta Staerk, künstlerische Leiterin des Theaters, am 20. August in Köln bei der Vorstellung des Projekts. Das neue Zentrum wird zukünftig mit insgesamt rund 1,4 Millionen Euro jährlich aus öffentlichen Mitteln gefördert, davon 920.000 Euro von der Stadt Köln und 500.000 Euro Zuschuss vom Land NRW. Beide Geldgeber verdoppelten damit ihre bisherigen Fördergelder.

"Eigentlich ist das kein Zuschuss, sondern eine Investition", betonte NRW-Kulturstaatssekretär Klaus Kaiser. "Ein Theater für Kinder und Jugendliche ist immer auch eine Schule der Demokratie." Neben der Erstellung von professionellen Kinder- und Jugendtheaterstücken wie bisher soll sich das Haus künftig auch neuen inhaltlichen Schwerpunkten widmen. Dazu gehören nach Worten des stellvertretenden künstlerischen Leiters Manfred Moser vor allem der Bereich kulturelle Bildung, partizipative Theaterprojekte mit Kindern und Jugendlichen, inklusive und interkulturelle Projektarbeit und Familienworkshops.

Bekannt war die Comedia bisher nicht nur als Kinder- und Jugendtheater, sondern auch als Haus für Kabarettvorstellungen. Deren Zahl wird mit der kommenden Spielzeit von 220 auf 100 mehr als halbiert. Dafür wird es 400 Kinder- und Jugendvorstellungen geben.

Die Kölner Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach zeigte sich erfreut über die Entwicklung des größten Kindertheaters der Stadt, das mit dem Ausbau zum "Zentrum der Kultur für junges Publikum" seine professionelle künstlerische Arbeit künftig noch besser mit kultur- und bildungspolitischen Aufgaben verbinden könne.




Entwicklung

Bedrückende Gegenwart, ungewisse Zukunft: Rohingya in Bangladesch


Rohingya-Flüchtlingslager Kutupalong bei Cox's Bazar (Bild vom Februar 2020 anlässlich eines Besuchs von Bundesentwicklungsminister Müller).
epd-bild/BMZ Pool/Ute Grabowsky/photothek.net
Vor drei Jahren wurden bei einer brutalen Militäroffensive mehr als 740.000 muslimische Rohingya aus Myanmar nach Bangladesch vertrieben. Seitdem leben die Menschen unter prekären Bedingungen in Camps. Corona macht alles noch schlimmer.

Heftige Winde zerren an den Hütten aus Bambus und Planen, Böden verwandeln sich in Schlammpisten. Für die etwa eine Million Rohingya-Flüchtlinge im Bezirk Cox's Bazar im Südosten von Bangladesch ist die Regenzeit besonders hart. Nachdem im Mai der erste Fall einer Covid-19-Infektion festgestellt wurde, ist das Leben im weltweit größten Flüchtlingslager noch prekärer geworden. Bis Mitte August gab es dort zwar nur rund 80 bestätigte Infektionen, eine vergleichsweise geringe Zahl. In den umliegenden Gemeinden, eng mit dem aus mehreren Camps bestehenden Lager verbunden, wurden dagegen an die 3.700 Corona-Fälle registriert. Dutzende Menschen sind gestorben.

Bereits Monate vor Ausbruch der gefährlichen Infektionskrankheit hatte Bangladesch erklärt, Mobilfunk- und Internetsperren in den Camps zu verhängen - wegen Sicherheitsbedenken. Inmitten der Krise schüre der sehr eingeschränkte Zugang zu Informationen Gerüchte und Angst, warnt aber Ishaat Nabila, leitende Ärztin im Corona-Behandlungszentrum von "Save the Children" in einem Blog: "Menschen haben Angst, dass sie, wenn sie auf Covid-19 getestet werden, ihren Familien weggenommen werden. Frauen glauben, dass ihre Babys bei der Geburt aus ihrer Obhut genommen werden."

Weniger Helferinnen und Helfer

Es ist eine weitere Angst für die entwurzelten und oftmals traumatisierten Menschen. Drei Jahre ist es her, dass Myanmars Armee im westlichen Bundesstaat Rakhine eine brutale Offensive gegen die Rohingya begann. Mehr als 740.000 Angehörige der muslimischen Minderheit flüchteten nach Bangladesch. UN und Menschenrechtler werfen Myanmar Völkermord vor.

Wegen Corona sei auch noch die Präsenz humanitärer Helfer um bis zu 80 Prozent verringert worden, sagt die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks in Cox's Bazar, Louise Donovan, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Lebensnotwendige Aktivitäten wie das Verteilen von Nahrungsmitteln und medizinische Versorgung gingen zwar weiter. Es werde zunehmend getestet und die Hygienemaßnahmen würden verstärkt: "Das hat die Ausbreitung des Virus verlangsamt."

Deutlich beeinträchtigt sei jedoch die Bildung. Im Frühjahr schlossen die "Lernzentren", in denen Kinder zumindest provisorischen Unterricht erhalten sollten. Laut "Save the Children" sind etwa 325.000 Rohingya-Kinder davon betroffen.

Im Kampf gegen Corona sind die Organisationen in Cox's Bazar jetzt mehr denn von je auf Helfer unter den Flüchtlingen angewiesen. Über 1.440 Freiwillige haben allein das UNHCR und seine Partner dafür ausgebildet. Sie klären die Menschen auf und sorgen dafür, dass sich jene mit Symptomen testen lassen. Zudem werden Informationen in den Camps und umliegenden Gemeinden per Radio oder Videobotschaften verbreitet - in Rohingya-Sprache, Bengali und Birmanisch.

Rückkehr nicht in Sicht

Eine Rückkehr der Flüchtlinge nach Myanmar ist weiter nicht in Sicht, zu unsicher ist die Lage dort. Ende Mai übergab Myanmar einen ersten Bericht an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag. Dieser hatte verfügt, dass das Land die muslimische Minderheit schützen müsse. Zwar habe das Büro des Präsidenten "hochtrabende" Erklärungen zum Schutz der Rohingya und anderer Bevölkerungsgruppen abgegeben. An Gewalt und systematischer Diskriminierung habe sich aber nichts geändert, kritisiert die Rohingya-Aktivistin Wai Wai Nu. Sieben Jahre hatten sie und ihre Familie unschuldig hinter Gittern gesessen.

Zudem hat sich im Rakhine-Staat seit Ende 2018 ein weiterer Konflikt verschärft, in dem das Militär gegen die buddhistischen Rebellen der "Arakan Army" kämpft. Leidtragende sind Zivilisten aller Glaubensrichtungen, Hunderte wurden getötet.

Die Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch hätten deutlich gemacht, sie gingen nur dann zurück, wenn für ihre Sicherheit garantiert werde, betont UNHCR-Sprecherin Louise Donovan. Dem epd sagten Geflüchtete, sie forderten die Staatsbürgerschaft. Die ist den Rohingya in Myanmar bislang verwehrt. Auch müssten alle Täter, die für Verbrechen wie Morde, Massenvergewaltigungen und Vertreibungen verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden.

Nicola Glass (epd)


Hetzjagd auf ein zehnjähriges Mädchen

In Brasilien ist ein schwangeres Mädchen wegen einer Abtreibung zur Zielscheibe massiver Anfeindungen geworden. Dabei soll das Vergewaltigungsopfer eigentlich per Gesetz geschützt sein. Der Fall löst eine heftige Debatte aus.

Der Fall eines zehnjährigen Mädchens, das nach einer Vergewaltigung schwanger wurde, spaltet ganz Brasilien. Familienministerin Damares Alves, die auch evangelikale Pastorin und strikte Abtreibungsgegnerin ist, gab mit ihren Kommentaren in den sozialen Medien den Startschuss für eine regelrechte Hexenjagd auf das Kind. Sie bedauerte öffentlich, dass die Justiz dem Mädchen einen Schwangerschaftsabbruch zugestanden hatte. Sie beklagte den Tod des ungeborenen Lebens. Doch die Anführerin einer rechtsextremen Gruppe ging noch weiter.

Alves veröffentlichte den Namen des Mädchens und nannte auch die Klinik. In der Folge versammelte sich am 16. August eine aufgebrachte Menschenmenge vor dem Krankenhaus in Recife im Nordosten des Landes. Die Zehnjährige gelang nur unter Polizeischutz in die Klinik. Die aggressiven Szenen schockierten viele Brasilianerinnen und Brasilianer. Sie sahen das vergewaltigte Mädchen erneut zum Opfer gemacht, diesmal in einem ideologischen Streit.

Tabuthema Vergewaltigung

In Brasilien gibt es seit 1940 ein Gesetz, das Frauen nach einer Vergewaltigung eine Abtreibung erlaubt. Das gilt auch, wenn das Leben der Mutter in Gefahr oder der Fötus nicht lebensfähig ist. Dafür muss eine richterliche Entscheidung eingeholt werden. Auf illegale Abtreibungen stehen bis zu drei Jahre Haft für die Frau und denjenigen, der die Schwangerschaft unterbrochen hat.

Radikale Evangelikale wollen das Gesetz abschaffen. Sie haben in Präsident Jair Bolsonaro und seiner Ministerin Alves die größten Unterstützer. Im Parlament sind sie eine der stärksten Gruppen und bestimmen die gesellschaftliche Debatte. "Schlimmer als Vergewaltigung ist der Mord an einem hilflosen Wesen", sagte der evangelikale Pastor Silas Malafaia, der auch ein enger Berater Bolsonaros ist. Auch der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz in Brasilien, Walmor Oliveira de Azevedo, betonte, nichts rechtfertige einen Schwangerschaftsabbruch.

Der Fall berührt ein weiteres Tabuthema. Statistisch werden in Brasilien jede Stunde vier Mädchen vergewaltigt. In den meisten Fällen ist der Täter ein Verwandter. Im vergangenen Jahr brachten nach Angaben des staatlichen Gesundheitssystems 26.000 Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren ein Kind zur Welt. Gleichzeitig wurden pro Tag rund sechs legale Schwangerschaftsabbrüche an Mädchen gleichen Alters vorgenommen. Sexuelle Gewalt gegen Kinder ist in Brasilien trauriger Alltag.

Ärzte exkommuniziert

Experten beklagen, dass Vergewaltigungsopfer kaum Schutz genießen - sie müssen oft eine Odyssee durch die Bürokratie durchleiden. So erging es auch dem zehnjährigen Mädchen, dessen Fall jetzt die Brasilianer aufwühlt. Sie lebt bei ihrer Großmutter in armen Verhältnissen und gab vor Gericht an, dass sie bereits seit dem sechsten Lebensjahr von einem Onkel vergewaltigt wurde. Das Krankenhaus in ihrer Stadt São Mateus im Bundesstaat Espíritu Santo lehnte den Eingriff indes ab und überwies sie in das mehr als 1.800 Kilometer entfernte Recife. Jetzt muss sich das Krankenhaus für sein Vorgehen juristisch rechtfertigen.

Vor dem Hospital in Recife hatten sich bei Ankunft des Kindes schon aufgebrachte Abtreibungsgegner versammelt, die den Eingang versperrten. Das Mädchen, seine Oma und der Klinikchef kamen nur mit Hilfe der Polizeischutz in das Gebäude. Ihnen wurden Rufe wie "Mörder" und "Kriminelle" entgegengeschrien. "Wenn der Staat eine vergewaltigte Frau gegen ihren Willen zwingt, schwanger zu bleiben, ist das Folter. Das akzeptiere ich nicht", betonte aber Klinikleiter Olímpio Barbosa de Morais Filho. Viele seiner Kollegen wurden schon angefeindet. Die katholische Kirche hat mehrfach Ärzte, die legale Abtreibungen vornahmen, und ihre Familien exkommuniziert.

In Lateinamerika sind Schwangerschaftsabbrüche nur in fünf Ländern und Gebieten ohne Restriktionen zulässig: in Kuba, Uruguay, Guyana, Französisch-Guayana und Puerto Rico (USA). In Ländern wie El Salvador, Honduras, Nicaragua, Haiti und der Dominikanischen Republik steht dagegen jegliche Abtreibung unter Strafe und wird mit hohen Strafen geahndet. In den anderen Ländern sind Schwangerschaftsabbrüche nur unter strengen Auflagen erlaubt.

Susann Kreutzmann (epd)


Kongress in Brasilien kippt Präsidenten-Veto gegen Maskenpflicht

In Brasilien hat der Kongress das Veto von Präsident Jair Bolsonaro gegen eine allgemeine Maskenpflicht in öffentlichen Einrichtungen gekippt. In Geschäften, Kirchen, Schulen, öffentlichem Nahverkehr, Taxis und anderen öffentlichen Einrichtungen gilt demnach landesweit eine Maskenpflicht, wie die Tageszeitung "Folha de São Paulo" am 19. August berichtete.

Gegen Maskenverweigerer soll ein Bußgeld erhoben werden. Die Höhe wurde allerdings nicht festgelegt. Bolsonaro, der in der Regel selbst das Tragen einer Maske verweigert, sagte, die Effizienz dieser Maßnahme sei "fast null". Allerdings steht diese Aussage in Widerspruch zu allen Gesundheitsexperten. Brasilien ist mit fast 3,5 Millionen Corona-Infizierten das Land, das nach den USA am schwersten von der Pandemie betroffen ist.

Der Kongress beschloss auch, dass in den besonders von der Pandemie betroffenen indigenen Gemeinden Wasser, Hygieneartikel und Aufklärungsmaterial zum Schutz vor einer Covid-19-Infektion verteilt werden sollen. Das staatliche Gesundheitswesen muss zudem sicherstellen, dass ausreichend Intensivbetten für infizierte Ureinwohner zur Verfügung stehen.

Hohe Dunkelziffer

Auch gegen diese Maßnahmen hatte Bolsonaro sein Veto eingelegt. Das Coronavirus hat sich in den Gemeinden der brasilianischen Ureinwohner ungebremst ausgebreitet. Laut dem katholischen Indianermissionsrat Cimi sind bereits 678 Indigene an den Folgen einer Infektion gestorben. Die Sterberate unter den Ureinwohnern ist unter anderem wegen fehlender Gesundheitsversorgung 2,5 Mal höher als im Vergleich zur Gesamtbevölkerung.

Nach Angaben des brasilianischen Gesundheitswesens gibt es erstmals seit April vorsichtige Anzeichen, dass sich die Ausbreitung des Virus in Brasilien verlangsamt. Erstmals lag die Reproduktionszahl mit 0,98 unter 1,00. Die Gesundheitsbehörden meldeten allerdings zuletzt in 24 Stunden 1.170 Tote (Stand 19. August). Damit stieg die Gesamtzahl der nach einer Corona-Infektion Gestorbenen auf mehr als 111.000.

Rund 3,5 Millionen Menschen in Brasilien haben sich offiziellen Angaben zufolge infiziert. Die Dunkelziffer liegt Experten zufolge aber um ein Vielfaches höher, da die Testkapazitäten in Brasilien sehr gering sind.



Hunderte humanitäre Helfer 2019 verletzt und entführt

Die Zahl der Angriffe auf humanitäre Helfer hat 2019 laut einer Studie einen Höhepunkt erreicht. Im vergangenen Jahr seien auf 483 Helfer schwere Angriffe verübt worden, heißt es in einem am 17. August in London vorgestellten Bericht der Beratungsgesellschaft Humanitarian Outcomes.

Seit Beginn der Erfassungen 1997 habe es nicht so viele schwere Attacken in einem Jahr gegeben wie 2019, hieß es in dem Bericht, der mit Blick auf den Welttag der humanitären Hilfe am Mittwoch veröffentlicht wurde.

Im laufenden Jahr sind laut Caritas international bereits mehr als 50 Helfer getötet worden. Der Zugang zur notleidenden Bevölkerung werde immer schwieriger, beklagte Caritas.

Im vergangenen Jahr wurden laut Humanitarian Outcomes 125 Helfer getötet und weitere 234 verletzt. Zudem seien 2019 124 Helfer das Opfer von Entführungen geworden. Die Autoren des Berichts registrierten die meisten Angriffe auf Helfer in Syrien, im Südsudan, in der Demokratischen Republik Kongo, in Afghanistan und in der Zentralafrikanischen Republik.

Mitarbeiter bei der Essensausgabe

In Mali und im Jemen habe sich jeweils die Zahl der schweren Angriffe auf humanitäres Personal verdoppelt. Bei den Helfern handelt sich etwa um Ärzte, Sanitäter, Fahrer, Mitarbeiter in Flüchtlingslagern oder bei der Essensausgabe.

Unterdessen beklagte das Rote Kreuz vermehrte verbale und körperliche Attacken gegen Gesundheitspersonal, das im Rahmen der Corona-Pandemie im Einsatz sei. In den vergangenen Monaten seien in verschiedenen Ländern vermehrt Opfer zu verzeichnen gewesen. Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) mahnte, humanitäre Helfer nicht aufgrund ihrer Arbeit zu stigmatisieren und Angriffe auf sie zu stoppen.

Die UN begingen am 19. August den Welttag der humanitären Hilfe. Der Welttag bezieht sich auf den Angriff auf UN-Einrichtungen am 19. August 2003 in Iraks Hauptstadt Bagdad, bei dem 22 Menschen getötet wurden.



Ver.di: Lieferkettengesetz muss Gewerkschaften absichern


Im Juli vorgestelltes Kampagnenposter für ein Lieferkettengesetz
epd-bild/Christian Ditsch

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die der Linkspartei nahestehende Rosa-Luxemburg-Stiftung fordern von der Bundesregierung, gewerkschaftliche Rechte zum Bestandteil eines Lieferkettengesetzes zu machen. Sie legten am 20. August in Berlin eine Studie über schwere Arbeitsrechtsverletzungen auf südafrikanischen Weinfarmen vor, die deutsche Supermärkte beliefern. Danach zahlen die Farmen meist zu niedrige Löhne und behindern den gewerkschaftlichen Zusammenschluss. Verbesserungen könnten nur dort erreicht werden, wo sich die Beschäftigten gewerkschaftlich organisieren können, hieß es.

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollen dem Bundeskabinett bis Ende August Eckpunkte für ein Lieferkettengesetz vorlegen. Ein solches Gesetz würde deutsche Firmen für ausbeuterische Praktiken ihrer Geschäftspartner haftbar machen. Umfragen des Auswärtigen Amts unter den großen deutschen Firmen hatten ergeben, dass weniger als ein Fünftel von ihren ausländischen Partnern die Einhaltung der Menschenrechte verlangen.

Nur 1,4 Prozent des Preises für Beschäftigte

Die für die Studie von Ver.di und der Luxemburg-Stiftung untersuchten Farmen beliefern deutsche Supermärkte mit dem besonders billigen Tankwein, Wein, der in Containern und nicht in Flaschen exportiert wird. Bereits frühere Untersuchungen, etwa von Oxfam, hatten gezeigt, dass Tankwein-Lieferanten dem Preisdruck am stärksten ausgesetzt sind.

Der Studie zufolge zahlen deutsche Importeure den südafrikanischen Anbietern pro Liter Tankwein 60 Cent. Bei den Farm-Beschäftigten verbleiben den Angaben zufolge nur 1,4 Prozent des Preises, den deutsche Kunden für südafrikanischen Wein im Discounter bezahlen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter würden außerdem Herbiziden ausgesetzt, die in der EU verboten seien. Die Corona-Krise habe zudem die Not der Leiharbeiter verschärft, da sie als erste von den massiven Entlassungen im südafrikanischen Weinsektor betroffen seien.



Vermittlungen nach Militärputsch in Mali begonnen

Internationale Vermittler sollen nach einem Militärputsch in Mali zwischen der Junta und der abgesetzten Regierung vermitteln. Tausende Menschen bejubeln unterdessen bei Kundgebungen das Militär.

Nach dem Militärputsch in Mali haben internationale Vermittlungen begonnen, um die Krise zu lösen. Eine Delegation unter Führung des früheren nigerianischen Präsidenten Goodluck Jonathan habe am 22. August Gespräche mit der Militärjunta und der abgesetzten Regierung aufgenommen, berichtete der französische Sender RFI. Das Militär hatte am 18. August Präsident Ibrahim Boubacar Keïta festgenommen und zum Rücktritt gezwungen.

Die Delegation traf im Auftrag der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) mit einer Gruppe von etwa 20 früheren Regierungsfunktionären, die vom Militär gefangen gehalten werden, zusammen, darunter Präsident Keïta und Ministerpräsident Boubou Cissé. Auch mit der Militärjunta, die sich selbst als "Nationalkomitee zum Wohl des Volkes" bezeichnet, haben dem Medienbericht zufolge bereits Gespräche stattgefunden. Zum Inhalt der Gespräche wurde nichts bekannt. Weitere Treffen soll es unter anderem mit Richtern des Verfassungsgerichts geben.

Sanktionen gegen Putschisten

Ecowas hatte sich am 20. August auf die Verhängung von Sanktionen gegen die Putschisten und die sofortige Entsendung einer Vermittlungsdelegation geeinigt. Die westafrikanischen Staaten sprachen den neuen Machthabern jegliche Legitimität ab und forderten die Rückkehr von Präsident Keïta in sein Amt. Die Militärjunta dagegen erklärte, sie wolle eine Übergangsregierung einsetzen.

In mehreren Städten feierten die Menschen die Absetzung der Regierung. Tausende Menschen bejubelten am 21. August Medienberichten zufolge bei Kundgebungen das Militär. Zu den Kundgebungen aufgerufen hatte das Oppositionsbündnis M5-RFP, das seit mehreren Wochen Massenproteste gegen die Regierung von Präsident Keïta organisiert. Die Bewegung beklagte bei Massenprotesten in den vergangenen Wochen Wahlfälschung bei der Parlamentswahl im Frühjahr, die schlechte wirtschaftliche Lage und die zunehmende Gewalt im Land.

Auch Bundeswehr im Land

Präsident Keïta war seit 2013 im Amt und wurde 2018 wiedergewählt. Seit einem Aufstand des Militärs und dem Ausbruch eines Bürgerkriegs 2012 kommt das westafrikanische Land nicht zur Ruhe. An einem internationalen Militäreinsatz zur Stabilisierung Malis ist auch die Bundeswehr beteiligt.

Von Oppositionsführer Soumaïla Cissé, der Ende März entführt wurde, gibt es unterdessen ein Lebenszeichen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) habe mehrere Briefe Cissés bekommen und an seine Familie weitergeleitet, heißt es in einer IKRK-Mitteilung, die am Samstag auf Cissés Facebook-Seite veröffentlicht wurde. Zum Zustand oder dem Aufenthaltsort des früheren Finanzministers wurden keine Angaben gemacht. Cissé war kurz vor den Wahlen Ende März wahrscheinlich von Islamisten verschleppt worden.