Tief versunken in seine Musik stand er auf den Bühnen von verrauchten Nachtclubs, seine Finger flogen in rasender Geschwindigkeit über das Altsaxofon: Weil seine Spielweise frei wirkte wie der Flug eines Vogels, wurde Charlie Parker schon bald unter dem Spitznamen "Bird" bekannt. Der fiebrige, schnelle improvisierte Sound des Bebop, den er mit dem Trompeter Dizzy Gillespie entwickelte, machte ihn populär. Doch das Leben Parkers war auch von privaten Tragödien, Alkohol- und Drogensucht geprägt. Er wurde nur 34 Jahre alt. Vor 100 Jahren, am 29. August 1920, kam Charlie "Bird" Parker in Kansas-City zur Welt.

"Parker war ein Virtuose ersten Ranges", sagt der Jazz-Experte der Essener Folkwang Universität, Peter Herborn, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Spätestens seit Charlie Parker sei instrumentale Virtuosität ein Credo für nahezu alle Jazz-Musiker. "Der durch Parker begründete Bebop ist die universale Sprache des modernen Jazz, ohne deren Kenntnis die nachfolgenden Jazzmusiker kaum ausgekommen sind."

Musikalischer Einfluss wirkt bis heute

Der Beat-Autor Jack Kerouac setzte dem Musiker ein Denkmal mit seinem Gedicht "Mexico City Blues" und der Jazz-Kenner und Filmregisseur Clint Eastwood würdigte ihn in dem Film "Bird" (1988) mit Forest Whitaker in der Hauptrolle.

Parker habe in seinen wenigen Jahren den Jazz ähnlich tiefgreifend transformiert wie es die Revolutionäre Mozart, Chopin oder Gershwin für ihre Musik getan hätten, schrieb vor wenigen Tagen der Musikkritiker der "Chicago Tribune", Howard Reich. Der Saxofonist habe eine musikalische Sprache hervorgebracht, die den Jazz des 20. Jahrhunderts beherrschte und auch im 21. Jahrhundert weiterhin Einfluss habe.

Nach Parkers Überzeugung sollte Jazzmusik nicht nur Begleitmusik zum Tanzen sein, sondern als eine eigene künstlerische Form wahrgenommen werden. Gegen den heiteren Swing seiner Zeit mit zunehmend klischeehaften Arrangements setzte er zusammen mit Gillespie einen neuen Sound, der später Bebop genannt werden sollte. Mitte der 40er Jahre gründeten sie die erste Bebop-Combo.

Dabei sei das melodische Material durch Verwendung von chromatischen Tönen ausgeweitet worden, erläutert Peter Herborn. "Außerdem werden schnelle Tempi, wie sie bis dahin im Jazz und auch in weiten Teilen aller anderen Musik der westlichen Welt, kaum zu hören sind, favorisiert."

Geburt des Bebop

"Es passierte einfach", erklärte Musikerkollege Gillespie in einem Interview im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" 1992 zur Geburt des Bebop: "Wir experimentierten, wir spielten Sachen, die wir irgendwo aufgeschnappt hatten." Dabei hätten sie "gar nicht irgendwie an eine neue Art von Musik" gedacht: "Wir wollten lediglich mit dem, was wir konnten, soweit wie möglich gehen."

Parker hat Berichten zufolge exzessiv geübt. Sein Schlüsselerlebnis soll dabei gewesen sein, dass er in jungen Jahren bei einer Jam Session mit der Count Basie Big-Band so schlecht spielte, dass der Schlagzeuger vor Wut ein Schlagzeugbecken zu Boden geworfen habe.

Nach einem intensiven Studium der Harmonielehre sei er dann wie verwandelt gewesen, schrieb Ross Russell in seiner Biografie "Bird lebt!": Aus einem wenig kompetenten Saxofonisten mit miserablem Ton sei ein fähiger und ausdrucksstarker Musiker geworden, der es nun sogar mit weit erfahreneren Saxofonisten aufnehmen konnte. Parker war auch der erste schwarze Musiker, nach dem am Broadway ein Club benannt wurde - das legendäre Birdland im Jahr 1949.

"Bird lives"

Doch in den 50er Jahren machte sich seine jahrzehntelange Abhängigkeit von Heroin und Alkohol immer stärker bemerkbar. Er verpasste Auftritte oder spielte sichtlich betrunken sein Instrument. Immer häufiger wurden Konzerte abgesagt. Er unternahm in seinen letzten Jahren mehrere Suizidversuche, probierte es mit Entziehungskuren und wurde auch in eine psychiatrische Station eingewiesen.

Die fortschreitende Krise soll durch den Tod seiner zweijährigen Tochter Pree, die seit ihrer Geburt an einem Herzfehler litt, im Jahr 1954 erheblich beschleunigt worden sein. Ein Jahr später starb er mit 34 Jahren in einem Hotel in New York an Herzversagen und Leberzirrhose. Bei der anschließenden Obduktion wurde er zunächst auf über 50 Jahre geschätzt.

Bereits kurz nach seinem Tod tauchte an vielen Orten New Yorks das Graffiti "Bird lives" auf. Parkers Stücke gehörten zum Kernrepertoire des Jazz, erklärt Jazz-Experte Herborn: "Sie dürften täglich irgendwo auf der Welt vor allem von Jazz-Studierenden auf Sessions gespielt werden." Seit 1992 findet jedes Jahr rund um seinen Geburtstag ein Festival zu Ehren Parkers in New York statt. Ausgerechnet zum 100. muss es dieses Jahr wegen der Corona-Pandemie ausfallen.