Bei den in den Social-Media-Kanälen neuen Trend-Clips von Jugendlichen mit obdachlosen Menschen geht es nach Worten der Münsteraner Kommunikationswissenschaftlerin Carla Schieb nur vordergründig um Provokation. Vielmehr spiegele sich hier eine Aggression wider, die aus verfestigten Stereotypen und Vorurteilen resultiert, sagte Schieb dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Dafür spricht, dass die Jugendlichen nur wenig oder keine Empathie zeigen", sagte die Kommunikationswissenschaftlerin.

Bei den den sogennanten Pranks (deutsch: Streiche) filmen Jugendliche ungefragt wohnungslose oder scheinbar süchtigen Menschen, ärgern sie und führen sie vor. Solche Video-Clips tauchen neuerdings auf der angesagten App "TikTok" oder auf Instagram auf.

Obdachlose und drogenabhängige Menschen oft negativ dargestellt

"Sicherlich spielt es eine Rolle, Aufmerksamkeit für den eigenen Kanal zu bekommen, eine hohe Reichweite erzielen zu können, weil die Aufmerksamkeitslogik durch diesen Tabubruch bedient wird", sagt die Forscherin weiter. Doch der Erklärungsansatz "Wunsch nach hohen Klickzahlen" greife zu kurz. "Die zugrundeliegenden Ursachen liegen meiner Einschätzung nach in der lebensweltlichen Umgebung verankert."

Bei der Entstehung und Verfestigung sozialer Ungleichheit spielen ihrer Ansicht nach auch medial vermittelte Stereotype eine entscheidende Rolle. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigten, dass obdachlose und drogenabhängige Menschen oft negativ dargestellt werden. "Als psychisch krank, verwahrlost oder kriminell", sagt Schieb, die unter anderem über Straßenzeitungen und verrohte Sprache im Internet geforscht hat.

"Ignorieren schlägt in aggressives Verhalten um"

"Wer zur eigenen Gruppe gehört, wird positiv bewertet, wird als kompetent, freundlich, warmherzig wahrgenommen", führt sie weiter aus. Obdachlose dagegen würden weder als kompetent, noch als freundlich oder vertrauenswürdig empfunden. "Aus dieser Bewertung resultieren negative Emotionen, nämlich Ekel und Verachtung." Meist würden diese sozialen Gruppen in der Folge gemieden oder aus dem Stadtbild ausgeschlossen. "In bestimmten Situationen schlägt das Ignorieren in aggressives Verhalten um, was sich in den 'TikTok'-Videos widerspiegelt", sagt Schieb.

Von einer Verrohung der "Generation Internet" will die Kommunikationswissenschaftlerin aber nicht sprechen. Die Frage, ob die soziale Medien solch ein aggressives Verhalten unter jungen Menschen begünstigen, sei in der Forschung umstritten. Zwar sei eine "Enthemmung online" in Form von Hasskommentaren und Cybermobbing zu beobachten. Doch nur ein geringer Bruchteil der Internetnutzer verhalte sich laut Studien tatsächlich so: "Also andere mobbt, Hasskommentare verfasst oder eben Videos dreht, die Feindseligkeit gegenüber gesellschaftliche Randgruppen abbilden."