Berlin/Köln (epd). SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz lehnt ein bedingungsloses Grundeinkommen ab. "Das wäre Neoliberalismus. Und wenn man fair und richtig rechnet, ist das auch unbezahlbar", sagte der Bundesfinanzminister den Zeitungen der Funke Mediengruppe (21. August). Er habe die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens schon immer falsch gefunden: "Das würde viele Errungenschaften des Sozialstaates wie die Renten- oder die Arbeitslosenversicherung gefährden." Ein in dieser Woche gestartetes Forschungsvorhaben zum Grundeinkommen stößt indes nach Angaben der Initiatoren auf sehr großes Interesse.
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und der Verein "Mein Grundeinkommen" starteten am 18. August das Projekt, bei dem die Wirkung des bedingungslosen Grundeinkommens erstmals in der Praxis untersucht werden soll. Von Frühjahr 2021 an sollen 120 Menschen jeweils drei Jahre lang ein Grundeinkommen in Höhe von 1.200 Euro pro Monat erhalten.
Große Resonanz
Die Studienteilnehmer sollten aus bis zu einer Million Bewerberinnen und Bewerbern ausgewählt werden, die Frist zur Bewerbung im November enden. Wie der Verein "Mein Grundeinkommen" am 21. August mitteilte, war die Bewerberzahl aber bereits innerhalb von drei Tagen erreicht. Mehr als eine Million Menschen haben sich demnach bereits um eine Teilnahme beworben.
Aufgrund der hohen Resonanz solle die Zahl der Plätze jetzt erhöht werden, teilte der Verein mit. Am Forschungsprojekt beteiligt sind auch das Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern und die Universität Köln.
Erste Langzeitstudie dieser Art
Das Experiment ist die erste Langzeitstudie in Deutschland zum bedingungslosen Grundeinkommen. Ziel ist laut Initiator Michael Bohmeyer vom Verein "Mein Grundeinkommen", die Wirkung der Zahlung auf den Einzelnen und Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben zu erforschen.
Für den Soziologen und DIW-Forscher Jürgen Schupp steht im Zentrum, ob und wie sich die Zahlung auf die Berufstätigkeit der Testpersonen auswirkt. Führt das Geld und die Sicherheit, die damit verbunden ist, zu Veränderungen im Empfinden und Verhalten der Teilnehmer? Geben sie etwa einen ungeliebten Job auf und machen sich selbstständig? Arbeiten sie weniger? Und wie verbringen sie die gewonnene Zeit? Man werde auch erfassen, ob sich Teilnehmer einfach aufs Sofa legen und mehr fernsehen, kündigte Schupp bei der Vorstellung der Versuchsanordnung an. Schupp war jahrelang Leiter des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW, einer Langzeit-Befragung Zehntausender Haushalte, deren Daten grundlegend sind für die Sozial- und Wirtschaftsforschung in Deutschland.
Eine Forschungsgruppe des Max-Planck-Instituts untersucht die psychologischen Aspekte, etwa ob ein Grundeinkommen hilft, Stress zu verringern und in der Folge die Lebenszufriedenheit und gesellschaftliches Engagement zu erhöhen, wovon Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens wie Bohmeyer überzeugt sind. Erfahrungsberichte der Menschen, die ein Jahr lang das von seinem Verein regelmäßig verloste Grundeinkommen von 1.000 Euro monatlich bezogen haben, legten das nahe, berichtete Bohmeyer. Häufig wichen Ohnmachtsgefühle einem Aufbruchsgefühl, sagt er. Die Universität zu Köln untersucht zudem verhaltensökonomische Aspekte wie mögliche Veränderungen bei Entscheidungen und Handlungen der Teilnehmer.
In Deutschland wird die Wirkung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Praxis erstmals untersucht. Ähnliche Experimente mit verschiedenen Grundeinkommen gab es seit den 1970er Jahren in mehreren Ländern, zuletzt in Finnland. Das deutsche Modellprojekt wird allein aus den Spenden von rund 150.000 Privatleuten finanziert. Die Ergebnisse sollen 2024 veröffentlicht werden. Rechtlich gesehen erhalten die Teilnehmer eine Schenkung von 1.200 Euro im Monat, die sie nicht versteuern müssen. Anders sieht es bei Grundsicherungsempfängern (Hartz IV) aus. Als Projektteilnehmer müssen sie sich entscheiden, weiter von Sozialleistungen oder den 1.200 Euro zu leben. Für sie gibt es das Grundeinkommen nicht obendrauf.
Der Verein "Mein Grundeinkommen" mit Sitz in Berlin verlost seit 2014 bedingungslose Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat für jeweils ein Jahr, sobald 12.000 Euro an Spenden zusammengekommen sind. Er hat nach eigenen Angaben bisher mehr als 650 Grundeinkommen vergeben.