Die Vereinnahmung Friedrich Nietzsches (1844-1900) durch das NS-Regime war laut dem Schweizer Philosophen Andreas Urs Sommer ein Missbrauch des Denkers. Nietzsche hätte sich "von Anfang an angewidert abgewendet", sagte Sommer dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dumpf-völkisches Getue alter und neuer Nazis stehe im völligen Gegensatz zu seinem Denken. Nietzsche starb vor 120 Jahren, am 25. August 1900 in Weimar nach langer seelischer Krankheit.

Die NS-Vereinnahmung könne sich ohnehin nur auf wenige Aspekte von Nietzsches Werk beziehen, fügte Sommer hinzu, der Philosophie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg lehrt und die Forschungsstelle "Nietzsche-Kommentar" der Heidelberger Akademie der Wissenschaften leitet. Nietzsche habe sich dezidiert als "Anti-Antisemit" verstanden, er habe diesen Ausdruck benutzt, um sich gegen die Zumutung eines damaligen führenden Antisemiten, Theodor Fritsch (1852-1933), zu wenden, der Nietzsche schon damals in Anspruch nehmen wollte.

"anti-antisemitische" Tradition

"Anstatt sich darüber zu freuen, dass jemand positiv auf ihn reagiert, schreibt er einen hohnerfüllten Brief an diesen Fritsch und verbittet sich jede antisemitische Instrumentalisierung", sagte Sommer. Leider sei Nietzsches "anti-antisemitische" Tradition durch seine Schwester verdeckt worden. Elisabeth Förster-Nietzsche verwaltete seinen Nachlass und hatte beste Beziehungen zu Benito Mussolini und auch zu Adolf Hitler, der sie mehrfach in Weimar besuchte und auch bei ihrer Trauerfeier 1935 zugegen war.

Gegen jegliche Nähe zur NS-Ideologie spreche auch Nietzsches radikale anti-deutsche Einstellung, die "wir schon in den frühen Schriften der 1870er-Jahre und dann noch verstärkt im Spätwerk finden". Sommer: "Alles Preußisch-deutsch-Militaristische war ihm verhasst." Nietzsche sei ein Freund des Südens, des Mediterranen gewesen, er habe sich als einen französischen Schriftsteller gesehen, der sich aus Versehen gerade der deutschen Sprache bedient.

Auf der anderen Seite sei natürlich klar, dass sich Stichworte wie "Übermensch", "Umwertung aller Werte" in alle möglichen Ideologien einpassen lassen, sagt Sommer. Die Rezeption Nietzsches ziehe sich durch eine ganz große Bandbreite des politischen Spektrums. Anarchisten und Kommunisten nähmen Nietzsche genauso für sich in Anspruch wie Neonazis.