Kirchen

Kirchen rufen in Corona-Krise zu Solidarität auf


Auch in der evangelisch-lutherischen Jacobikirche in Hannover fand kein Sonntagsgottesdienst mehr statt.
epd-bild/Friedrich Stark
Während die Kirchenbänke zumeist leer blieben, verfolgten Katholiken und Protestanten die Gottesdienste am 15. März in TV und Internet. Im Fokus der Predigten: die Angst der Menschen vor Corona und die Notwendigkeit, jetzt zusammenzuhalten.

Die Kirchen in Deutschland rufen angesichts der Corona-Epidemie zu Solidarität, Mitgefühl und Nächstenliebe auf. Der Berliner Bischof Christian Stäblein riet, auf die "Grundtugenden des Lebens" zu setzen. Dazu gehöre neben Vorsicht und Gelassenheit vor allem, solidarisch und offen für die Sorgen anderer zu sein und sich selbst etwas zurückzunehmen, sagte der Bischof am 14. März im RBB-Inforadio. Die Menschen müssten "mit dem Herzen und mit den Augen gucken, was braucht der andere". Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki empfahl Menschen, die in Angst und Sorgen seien, zu beten.

Gottesdienste fanden in weiten Teilen des Landes am 15. März nicht statt. Wegen der Ansteckungsgefahr durch das Coronavirus hatten viele evangelische Landeskirchen und katholische Bistümer sie bereits am 13. März abgesagt. Zugleich verwiesen sie auf Rundfunk- und Online-Gottesdienste. Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, forderte die Absage aller Gottesdienste und kritisierte eine "Kleinstaaterei" bei den Kirchen.

"Gute alte Telefonseelsorge"

Der am 15. März live übertragene ZDF-Fernsehgottesdienst fand ohne Publikum statt. In der St.-Ansgar-Kirche in Oldenburg feierten nur die Mitwirkenden und der Chor, dessen Sängerinnen und Sänger mit gebührendem Abstand in den Kirchenbänken Platz genommen hatten. Im Gebet wurde der Wunsch geäußert, "dass wir alle einander beistehen, Ruhe bewahren und die Gesundheitssysteme entlasten", damit wirklich Kranke versorgt werden können. Pastor Nico Szameitat dankte Gott für alle Menschen, die in Pflege und Krankenhäusern helfen: "Gib den Alten, Kranken und Schwachen Stärke und weise uns den Weg zu ihnen", bat er.

Auch der Radiogottesdienst auf WDR 5, der aus der Evangelisch-lutherischen St. Marien-Kirche in Lemgo übertragen wurde, fand ohne Kirchenbesucher statt. Dort rief der Lemgoer Pfarrer Matthias Altevogt angesichts der Coronakrise zu Solidarität und Zusammenhalt auf: "Jetzt sind wir alle gefragt, aufeinander zu achten und für einander Sorge zu tragen." Dazu gehöre etwa, für Menschen in Quarantäne einzukaufen, Einsame aufzumuntern und Ängstliche zu beruhigen.

Kreative Gemeinden

In den Kirchengemeinden gebe es zudem viele kreative Ideen, um mit der schwierigen Lage umzugehen, sagte der Pfarrer. Es gebe Gottesdienste übers Internet und Telefonanrufe statt Hausbesuche. "Und in manchen Gemeinden wird füreinander eingekauft - eine Idee, die gerne geteilt werden darf." Pfarrerinnen und Pfarrer seien nach wie vor ansprechbar, genauso wie die Telefonseelsorge, betonte Altevogt.

Wer allein sei und Hilfe brauche, könne sich an die Kirchengemeinden wenden, sagte Berlins Bischof Stäblein. Er ermutige dazu, sich zu melden und anzurufen, wenn es Schwierigkeiten gebe. Die Kirchengemeinden vor Ort seien die "besten und schönsten Netzwerke" dafür, Trost und Hilfe zu organisieren, "wenn Menschen allein sind und Angst haben", sagte der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Austausch sei auch medial möglich, etwa über die "gute alte Telefonseelsorge".

"Zusammenrücken, innerlich"

Im "Wort zum Sonntag" ermutigte die evangelische Pfarrerin Stefanie Schardien zum Zusammenhalt. "In den nächsten Wochen wird es sehr darauf ankommen, wie wir miteinander umgehen: Ob wir uns im Stich lassen. Oder ob wir es schaffen, mehr zusammenzurücken, innerlich", sagte sie in der am 14. März ausgestrahlten ARD-Sendung. Nächste im christlichen Sinne, die Hilfe brauchen, gebe es derzeit zuhauf. Das seien alle, die heftig erkrankten, aber auch jene, die Unterstützung benötigen etwa bei der Kinderbetreuung oder in Quarantäne.

Zu Vertrauen rief der rheinische Präses Manfred Rekowski die Gläubigen auf. Die Ausbreitung des Virus löse Sorgen und Ängste aus, schrieb er im Präses-Blog. Christen könnten jedoch trotz Furcht und Ungewissheit auf Gott vertrauen, "der uns in seiner guten Hand hält". Der Kölner Erzbischof Woelki sagte im Bistumssender Domradio, er selber bete für alle, die in großer Angst um ihre Gesundheit seien und rat dies auch anderen.

Gestrichen waren die Gottesdienste am 15. März etwa in der Nordkirche, in den Landeskirchen in Niedersachsen, Bremen, Württemberg und Sachsen sowie in den Erzbistümern Hamburg und München und den Bistümern Limburg, Fulda, Mainz und Speyer. In Berlin fielen die Gottesdienste im evangelischen Dom sowie in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche aus. Viele Kirchen blieben aber zum Gebet geöffnet, Seelsorger waren teils vor Ort.

Dabrock: Unverantwortlich

Mancherorts hatten es die Kirchen ins Ermessen der Gemeinden gestellt, liturgische Feiern abzuhalten - etwa in der hessen-nassauischen oder in der Berlin-brandenburgischen Kirche. In Berlin galt dies nach einer Verordnung des Senats vom 14. März aber nur für Veranstaltungen bis zu 50 Personen.

Der Ethikrats-Vorsitzende Dabrock sagte mit Blick auf das hohe Alter vieler Gottesdienstbesucher, er halte es für unverantwortlich, dass die Kirchen Veranstaltungsangebote machen, die Menschen aus der Hochrisikogruppe einer Gefahr der Ansteckung mit dem Corona-Virus aussetzen. Er appelliere eindringlich an die Kirchen: "Sagen Sie mit einer Stimme bis auf weiteres alle Gottesdienste und anderen kirchlichen Veranstaltungen ab, lassen Sie Ihre Fantasie walten und bieten Sie über sämtliche anderen Medien Alternativen an." Jeder müsse die Mahnung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verinnerlicht haben, nur unerlässliche soziale Kontakte wahrzunehmen, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz wies die Kritik Dabrocks zurück. Fast alle Bistümer hätten binnen kürzester Zeit Gottesdienste abgesagt und damit sehr verantwortlichvoll, zügig und im "angemessenen Krisenmodus" gehandelt, sagte ein Sprecher dem epd. "Von Kleinstaaterei kann überhaupt nicht die Rede sein."

Über Maßnahmen für den Umgang mit der Virus-Ausbreitung entscheiden die Landeskirchen und Bistümer, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und katholische Deutsche Bischofskonferenz haben dazu keine Order ausgegeben.



Kirchen in NRW empfehlen Verschieben von Konfirmationen

Die evangelischen Kirchen in NRW empfehlen ihren Gemeinden, wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr Konfirmationen zu verschieben. Die Evangelische Kirche im Rheinland rate ihren 668 Gemeinden dringend eine Verschiebung dieser Gottesdienste, heißt es in einer am 12. März veröffentlichten Handlungsempfehlung der rheinischen Kirche. Auch die westfälische Kirche legt ihren rund 290 Kirchengemeinden nahe, besondere Gottesdienste mit vielen Gästen wie Konfirmationen möglichst zu einem späteren Termin oder in kleinem Rahmen zu feiern, wie ein Sprecher des Landeskirchenamtes in Bielefeld dem Evangelischen Pressedienst (epd) sagte. Die Lippische Landeskirche teilte ebenfalls mit, den Gemeinden in der Region sei angeraten worden, im größeren Rahmen angelegte Konfirmationsgottesdienste auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Gerade bei Konfirmationen kämen viele ältere Menschen wie Großeltern, die zu den besonderen Risikogruppen gehören, in Kontakt mit jungen Menschen, erklärte die rheinische Kirche. Empfohlen werde auch eine Absage von im Vorfeld der Konfirmationen geplanten Fahrten mit Konfirmanden sowie von Freizeiten oder KonfiCamps. Auch auf die Feier des Abendmahls soll in Gemeinden der zweitgrößten deutschen Landeskirche verzichtet werden. Das Abendmahl sei die schwierigste Herausforderung beim Infektionsschutz, hieß es. Über ihre Veranstaltungen und mögliche Absagen entscheiden die Gemeinden in den 37 rheinischen Kirchenkreisen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland eigenverantwortlich.

Die Lippische Landeskirche erklärte am 13. März, man orientiere sich an der Risikobewertung des Robert-Koch-Instituts und dem Ziel der Gesundheitsbehörden, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen.



Coronavirus fordert auch die Kirchen heraus


Gottesdienst-Absage am 15. März an der Tür zur katholischen Kirche St. Marien in Offenbach am Main.
epd-bild/Norbert Neetz
Predigen vor leeren Kirchenbänken: Der Berliner Senat hat wegen der Coronavirus-Pandemie am Wochenende Veranstaltungen mit mehr als 50 Menschen verboten. Die Kirchen versuchen, sich darauf einzustellen.

"Entfällt! Gottesdienst", "Entfällt! Orgelführung", "Entfällt! Benefiz-Klavierkonzert", "Entfällt! Auferstehungsfeier": Die Ansagen auf der Internetseite der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in der City West lassen keinen Raum für Missverständnisse. Wegen einer neuen Verordnung des Berliner Senats zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus seien alle Gottesdienste und Veranstaltungen bis auf weiteres abgesagt, heißt es dort am Sonntagmorgen. "Unsere Kirchengebäude bleiben geschlossen."

Berlin ist an diesem 15. März nicht der einzige Ort In Deutschland, an dem der Gottesdienst ausfällt. In weiten Teilen des Landes sagten evangelische Kirchen und katholische Bistumer wegen der neuen Epidemie die liturgischen Feiern ab. Sie verwiesen die Gläubigen auf Rundfunk- und Online-Gottesdienste.

"Live auf Facebook"

"Kann nicht in der Kirche mitgefeiert werden: Rundfunk-Gottesdienst mit Bischof Dr. Christian Stäblein", heißt es bei der evangelischen St. Marienkirche am Berliner Alexanderplatz: "Bitte verfolgen Sie den Gottesdienst live im Radio." "Absage aller Gottesdienste", meldet der evangelische Berliner Dom auf seiner Webseite: "10-Uhr-Gottesdienst live auf Facebook." Auch im katholischen Berliner Erzbistum wurden Veranstaltungen und Gottesdienste abgesagt.

Der Senat hatte am Abend des 14. März kurzfristig alle Veranstaltungen mit mehr als 50 Beteiligten in der Bundeshauptstadt verboten. Außerdem wurde angeordnet, Kneipen, Clubs, Spielhallen, Kinos, Fitnessstudios und andere Einrichtungen für den Publikumsverkehr zu schließen.

"Für öffentliche und nichtöffentliche Veranstaltungen bis 50 Personen muss der Veranstalter eine Anwesenheitsliste führen, die Name, Adresse, Anschrift und Telefonnummer enthält", heißt es dort weiter: "Diese Liste muss mindestens vier Wochen aufbewahrt werden und auf Verlangen des Gesundheitsamtes vollständig ausgehändigt werden."

Abstandsgebot

Der Rundfunkgottesdienst mit dem Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Christian Stäblein, konnte wegen der Verordnung am 15. März nur mit wenigen Menschen vor Ort gefeiert werden. Rund 30 Personen seien in der Marienkirche gewesen, hieß es. Darunter neben dem Bischof und anderen Beteiligten auch der Chor.

Er könne die Gläubigen zu dem Gottesdienst "hier in der Kirche ja nun nicht mehr" begrüßen, dafür aber an anderen Orten vor den Rundfunkgeräten, sagte Bischof Stäblein: "Was zu tun ist, um die Infektionskette von Covid-19 zu unterbrechen, wird getan." Die Sorge gelte als Erstes denen, die den Schutz der Gemeinschaft brauchen. "Abstand ist die richtige Form der Nähe", betonte Stäblein: "Auch die kirchlichen Feiern schicken sich ins Abstandsgebot."

Kirchengemeinden müssten dennoch "hingucken, wo Menschen uns brauchen", sagte der Bischof. Austausch sei nun auch über den Twitter-Hashtag #wirsindda möglich, betonte Stäblein: "Das ist die moderne Variante des Beieinanderseins." Nun gelte es, diese auch zu nutzen. Die Kirchengemeinden müssten ein fürsorgendes Netzwerk sein, betonte Stäblein: "Wir sind da, bereit für den Nächsten."

"Krise mit Verstand begegnen"

Angst müsse zugelassen werden, der Krise jedoch mit Verstand begegnet werden, sagte der Bischof: "Ich muss nicht hamstern, das forciert nur die Angst." Die Beschränkungen des öffentlichen Lebens könnten nun dazu genutzt werden, einander zuzuhören, mit den Kindern zu spielen, sich um Nachbarn zu kümmern, Bücher zu lesen, zu beten. Die Coronakrise biete auch die Chance, daraus "gestärkt im Füreinander" hervorzugehen.

Und die Kirchenschließungen haben aus Sicht von Gemeindemitgliedern auch positive Aspekte. Dass im Rundfunkgottesdienst in der Marienkirche der Chor am Sonntag ohne Gemeinde gesungen hat, sei nicht verkehrt gewesen, kommentiert eine Zuhörerin: "Der Gesang war viel schöner als sonst."

Yvonne Jennerjahn (epd)


Bedford-Strohm rät zu Besonnenheit und Rücksicht

Der bayerische evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm hat angesichts der Corona-Pandemie zur Liebe, Besonnenheit und Rücksicht aufgerufen. "Die Liebe drängt nach der Umarmung oder zumindest dem Handschlag. Die Besonnenheit lässt uns das freundliche Zunicken vorziehen - oder auch den Stups mit dem Ellenbogen als neue Form der Begrüßung", erklärte Bedford-Strohm am 13. März.

Viele müssten nun schwierige und teilweise auch schmerzliche Entscheidungen treffen, sagte Bedford-Strohm, der auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland ist. Wenn die Menschen jetzt unerwartet mehr Zeit haben durch abgesagte Veranstaltungen oder weil sie zu Hause bleiben müssten, dann könnten sie diese Zeit nutzen - für Besinnung, Auftanken und Gemeinschaft mit lieben Menschen. Er denke aber auch an die Menschen, die gesundheitlich mit den Folgen des Virus kämpfen und die spürbar unter den wirtschaftlichen Konsequenzen zu leiden haben.

Die bayerische Landeskirche und Gemeinden haben bereits umfassend mit Schutzmaßnahmen und Veranstaltungsabsagen auf die Corona-Pandemie reagiert. Die Frühjahrstagung der Landessynode, die vom 22. bis 26. März in Bayreuth hätte stattfinden sollen, wurde abgesagt. Der Landeskirchenrat empfahl den rund 1.540 evangelischen Gemeinden in Bayern am 15. März "dringend", bis auf weiteres auf alle Gottesdienste zu verzichten.



Osterfeierlichkeiten im Vatikan ohne Publikum

Die Osterfeierlichkeiten werden im Vatikan in diesem Jahr unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Bei sämtlichen Liturgien der Karwoche wird nach Angaben der Präfektur des Päpstlichen Hauses vom 15. März wegen der aktuellen Gesundheitskrise auf die "physische Anwesenheit der Gläubigen" verzichtet. Bis zum 12. April werden die Generalaudienzen des Papstes vom Mittwoch und sein Angelusgebet vom Sonntag demnach weiterhin ohne Publikum stattfinden, aber im Internet auf der vatikaneigenen Internetseite "Vaticannews" live ausgestrahlt werden.

Der Papstsegen "Urbi et orbi" (der Stadt und dem Erdkreis) an Ostern und Weihnachten gehört für Katholiken zu den Höhepunkten des Glaubenslebens. Auf dem römischen Petersplatz versammeln sich aus diesem Anlass gewöhnlich Zehntausende Menschen aus aller Welt. Wegen der Coronavirus-Krise ließ der Vatikan den Petersplatz bereits vor einigen Tagen sperren.



Diakonie-Spendenaktion: 75.000 Euro für Seenotrettung


Die Sea-Watch 4 im Hafen von Kiel
epd-bild/Frank Molter

Rund 75.000 Euro werden durch eine Aktion der Diakonie Werk Rheinland-Westfalen-Lippe für die zivile Seenotrettung gespendet. Bei dem Anfang Januar gestarteten Aufruf hätten Spender 35.000 Euro an das Aktionsbündnis "United 4 Rescue" gespendet, teilte der diakonische Landesverband am 11. März in Düsseldorf mit. Die Diakonie RWL habe die Summe nun wie versprochen verdoppelt und noch 5.000 Euro hinzugefügt. "Danke an alle, die sich an unserer Aktion beteiligt und damit ein Zeichen der Humanität gesetzt haben", sagte Vorstand Christian Heine-Göttelmann.

Das Bündnis "United 4 Rescue" hat im Januar ein Schiff für die Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer ersteigert. Das Schiff wird der Seenotrettungsorganisation "Sea-Watch" zur Verfügung gestellt und trägt den Namen "Sea-Watch-4". Im April soll es in See stechen und kann 300 Flüchtlinge aufnehmen. "Das Schiff ist zwar gekauft, aber es werden noch Gelder für den Umbau, Decken, Rettungswesten und Lebensmittel benötigt", sagte Heine-Göttelmann. Die Pflicht zur Seenotrettung sei völkerrechtlich verankert, mahnte er: "Es ist ein Skandal, dass die Länder der EU sich nicht auf eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge einigen können." Gleichzeitig seien über 130 Städte und Kommunen bereit, zusätzliche Schutzsuchende aufzunehmen.

Laut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beteiligen sich an dem Vorhaben bislang rund 150 Organisationen, darunter evangelische Landeskirchen, aber auch die Arbeiterwohlfahrt und die italienische Stadt Palermo (Sizilien). Einige Landeskirchen haben bereits für das Schiff gespendet. Die Evangelische Kirche im Rheinland unterstützt das geplante Rettungsschiff etwa mit 100.000 Euro. Die Evangelisch-reformierte Kirche stellte 15.000 Euro für das Seenotrettungsschiff zur Verfügung, die oldenburgische Kirche gab 20.000 Euro.

Die Initiative geht auf den evangelischen Kirchentag im Juni 2019 zurück. Die EKD griff eine Resolution auf, gründete den Verein "United 4 Rescue" und sammelt seit Anfang Dezember Spenden. Das Schiff ist innerhalb der evangelischen Kirche umstritten. Kritiker wie der Wiener Theologe Ulrich Körtner werfen dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm eine moralisierende Haltung in der Flüchtlingspolitik vor. Befürworter sehen in dem Schiff ein wirksames Zeichen gegen die fehlende staatliche Seenotrettung.



"Wort zum Sonntag"-Sprecherin wehrt sich gegen Kritik


Annette Behnken
epd-bild / Stephan Wallocha

Die evangelische Pfarrerin Annette Behnken hat sich gegen Kritik an ihrem "Wort zum Sonntag" in der ARD verteidigt. Wo "Grundwerte in Gefahr scheinen, müssen wir das als Christen laut sagen", erklärte Behnke am 10. März auf Anfrage. Behnken erlebt nach ihrem Wort zu Flüchtlingen einen Ansturm von kritischen Mails und Reaktionen im Netz. Die AfD warf ihr vor, zur Gewalt aufgerufen zu haben.

"Wir müssen die Parlamente stürmen, in denen Neofaschisten sitzen und uns in Schreckstarre verfallen lassen genauso wie das Corona-Virus", hatte die Theologin in ihrer am 7. März ausgestrahlten Ansprache erklärt. Zur Kritik sagte sie jetzt nach Angaben der Rundfunkarbeit im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP): "Als Europäerin und Christin bin ich von der parlamentarischen Demokratie überzeugt und habe in meinem Wort zum Sonntag an die höchsten Werte europäischer Demokratie appelliert, an Menschlichkeit, an Mitgefühl und auch - wegen der christlichen Wurzeln Europas - an die Barmherzigkeit."

Reaktionen überwiegend positiv

Stephan Born, ARD-Beauftragter von der Rundfunkarbeit im GEP, sagte dem epd, die Reaktionen auf Facebook und Twitter seien überwiegend positiv. Per Mail habe es rund 500 Äußerungen gegeben, 50 seien sehr positiv ausgefallen. Die aus Bielefeld stammende Behnken ist Studienleiterin der Akademie Loccum für religiöse Praxis in der Gegenwartskultur. Zum GEP gehört auch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd).



Lutherbonbons und Waschhandschuhe


Melissa Landefeld vom Komm-webshop.de präsentiert Angebote wie Jesus-Pflaster, Taufhandschuh "gottesgeschenk" oder Regenschirm.
epd-West/G.-M. Hoeffchen
Vom Gemeinde-Schaukasten über Kommunikationskampagnen bis zu den sozialen Medien: Werbung ist auch in der evangelischen Kirche ein wichtiges Arbeitsfeld. Vor 50 Jahren gründeten kirchliche Werbestellen einen evangelischen Werbedienst.

Die Leser der "Bild"-Zeitung staunten nicht schlecht, als im Jahr 1961 wöchentlich Anzeigen mit dem Spruch "Jeder hat ein volles Konto an Liebe" erschienen. Ein Jahr lang stellte der Zeitungsverlag kostenlos Platz zur Verfügung, wo Kirchenvertreter und Werbefachleute zur Nächstenliebe und zum Nachdenken über Alltagsfragen aufriefen. Ob Kirche auch auf Methoden der Werbung setzten sollte, war lange Zeit umstritten. Vor 50 Jahren, im November 1970, wurde ein Verbund gegründet, der die Werbung für kirchliche Anliegen auf eine professionelle Grundlage stellte.

Eine frühe Initiative, der Verein "Vocamus", hatte sich bereits zum Ziel gesetzt, kirchliche Stellen zu beraten und Werbematerial zu gestalten. Eine Finanzierung lehnte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) jedoch zunächst wegen "fehlender gesamtkirchlicher Bedeutung" ab. Daraufhin schlossen sich 1969 Öffentlichkeitsarbeiter aus Landeskirchen wie Bayern, Hamburg, Hannover, Westfalen und Württemberg in eigener Regie zusammen. "Plakatmission, Gestaltung von Schaukästen und Gemeindebriefarbeit waren damals zentrale Themen", sagt Herbert Kirchmeyer vom Amt für Gemeindedienst in Nürnberg, langjähriges Mitglied der "Kooperation Werbedienst".

Werbung und Public Relations anfangs umstritten

Ein Jahr später, im November 1970 gründete sich daraus der "Evangelische Arbeitskreis Werbung und Public Relations". Der Zusammenschluss brachte über mehrere Jahrzehnte die Zeitschrift "Evangelischer Werbedienst" mit Arbeitshilfen, Produktvorstellungen sowie mit fachlicher Beratung heraus. Ein Bestellkatalog mit Werbeartikeln kam hinzu. Der Arbeitskreis war 1974 auch eine Triebfeder für die Gründung des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (GEP) mit Sitz in Frankfurt, das seither die kirchlichen Akteure in den verschiedenen Medien vernetzt.

"Dass das GEP auch einen Fachbereich Werbung und Public Relations erhielt, war umstritten", berichtet Holger Tremel, der viele Jahre diesen Bereich im Gemeinschaftswerk leitete. Manche Theologen vertraten die Ansicht, Werbung komme nicht infrage - die Kirche dürfe nicht sich selbst in den Mittelpunkt rücken. Ab den 1980er-Jahren setzte jedoch ein Sinneswandel ein: "Schwindende Beteiligung am kirchlichen Leben zeigte, dass man Kirche in der Öffentlichkeit einladend präsentieren muss", erläutert Tremel.

Mit Fachdiskussionen, Ausbildungs- und Studiengängen in Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising sowie Modellprojekten förderte das GEP die Professionalisierung und Anerkennung der PR in der Kirche. Eigene Pressestellen und Öffentlichkeitsbeauftragte sind heute von der EKD bis in die Kirchenkreise hinein gang und gäbe.

"Jahr der Taufe" fand große Resonanz

Auch die PR-Branche selbst wandelte sich: Öffentlichkeitsarbeit wurde nicht mehr als Marketing-Instrument verstanden, sondern sollte einen Dialog mit ihren Zielgruppen fördern. "Dieser Ansatz traf sich mit dem Anspruch der Kirche, durch Kommunikation Gemeinschaft zu ermöglichen", sagt Tremel. In den 1980er-Jahren entstanden erste Öffentlichkeitsinitiativen und Kampagnen wie "Brücken bauen" oder "neu anfangen". Auch die evangelische Fastenaktion "Sieben Wochen Ohne" mit inzwischen Millionen Teilnehmern hat ihren Ursprung in dieser Zeit.

Großes Aufsehen erregte 1993 die Kampagne "misch dich ein" des Stadtkirchenverbandes Köln - war sie doch die erste mit einem Millionen-Etat. Mit Aktionszeitungen, Plakaten, Anzeigen und Verkehrsmittelwerbung trat die Kirche in Dialog mit den Bürgern. Auch die EKD entdeckte das Instrument der Kampagne für sich: Gemeinsam mit den Landeskirchen warb sie 1999 und 2007 für den Sonntag als Tag der Ruhe und der Besinnung. Im Vorlauf zum 500. Reformationsjubiläum fanden Themenjahre wie etwa das "Jahr der Taufe" große Resonanz.

Die Fachleute der "Kooperation Werbedienst" haben in Zusammenarbeit mit dem GEP neben der Versorgung der Gemeinden mit Werbemitteln auch diese überregionalen Aktionen kreativ begleitet: Zum "Jahr der Taufe" etwa brachte die westfälische Kirche einen Waschhandschuh mit der Aufschrift "gottesgeschenk" heraus. Seit 2005 sind die Produkte auch über einen Online-Shop bestellbar.

Werbedienst in Bielefeld beheimatet

"Der Werbedienst war und ist eine der Säulen evangelischer Öffentlichkeitsarbeit", sagt der Theologe Michael Stahl, ehemaliger Leiter des Amtes für Öffentlichkeitsdienst der Nordkirche. Neue Produktideen wurden regelmäßig auf den Prüfstand gestellt. Stolz ist Stahl auf die von ihm auf den Weg gebrachten "Lutherbonbons", mit denen Gemeinden seit über zehn Jahren für den Reformationstag werben.

Kurz vor ihrem 50. Geburtstag hat sich die "Kooperation Werbedienst" als Zusammenschluss kirchlicher Werbestellen aufgelöst. Die bisherige Struktur mit mehreren Herausgebern und Produzenten sei zu aufwendig gewesen, erklärt Stahl. Der Werbedienst wird inzwischen in Regie des Evangelischen Presseverbandes Westfalen-Lippe mit Sitz in Bielefeld weitergeführt.

Thomas Krüger (epd)


Staatsleistungen an Kirchen werden Thema im Bundestag


Die Staatsleistungen gehen auf die Säkularisierung kirchlicher Güter vor allem durch den sogenannten Reichsdeputationshauptbeschluss von 1803 zurück.
epd-bild/Andrea Enderlein
Drei Oppositionsparteien haben einen neuen Vorschlag zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen vorgelegt. Bisherige Versuche waren gescheitert. Diesmal spricht die evangelische Kirche selbst von einem "hilfreichen Anknüpfungspunkt".

FDP, Grüne und Linke lassen die Debatte um die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen neu aufflammen. Die religionspolitischen Sprecher der drei Bundestagsfraktionen legten am 13. März in Berlin einen konkreten Entwurf für ein sogenanntes Grundsätzegesetz vor, das den Rahmen für Ablösezahlungen definieren soll. Seit 100 Jahren sei der Gesetzgeber dazu aufgefordert, sagte der FDP-Politiker Stefan Ruppert. Bislang war die Linke mit Vorschlägen, die als ungerecht gegenüber den Kirchen galten, mit dem Vorhaben gescheitert. Dieses Mal zeigen sich auch die Kirchen gesprächsbereit.

Beide Kirchen erhalten die sogenannten Staatsleistungen als Entschädigung für Enteignung und Säkularisierung kirchlicher Güter vor allem Anfang des 19. Jahrhunderts. Das Grundgesetz sieht eine Ablösung der Zahlungen vor, die sich derzeit auf mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr summieren. Über die konkreten Ablösesummen müssen die Bundesländer mit den evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümern verhandeln.

Das 18,6-Fache der jährlichen Zahlungen

FDP, Grüne und Linke schreiben in ihrem Gesetzentwurf, dass die Ablösung am Äquivalenzprinzip orientiert sein müsse. Sie schlagen in ihrem Entwurf vor, sich am Bewertungsgesetz zu orientieren, das für "wiederkehrende Nutzungen und Leistungen" einen Wert angibt, der das 18,6-Fache der jährlichen Zahlungen umfasst.

Das ist mehr als bei vorherigen Vorschlägen. Die Linken hatten 2012 eine Ablösung gegen das Zehnfache der jährlichen Zahlungen vorgeschlagen. Unter Kirchenrechtlern kursierte derweil in der Vergangenheit auch ein höherer Faktor, nämlich das 25-Fache der jährlichen Zahlungen.

In 20 Jahren abgeschlossen

Die Ablösung könne durch einmalige Zahlungen oder Raten erfolgen, heißt es im Entwurf. Auch eine Entschädigung auf andere Weise - etwa die Zurückgabe von Grundstücken - soll laut Entwurf möglich sein. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass die Länder fünf Jahre nach Inkrafttreten eines Rahmens im Bund eigene Gesetze zur Ablösung erlassen sollen und die Ablösung selbst dann binnen 20 Jahren - bei einem Inkrafttreten in diesem Jahr also 2040 abgeschlossen sein soll.

"Das ist kein Schritt gegen die Kirchen", betonte der Grünen-Politiker Konstantin von Notz. Er plädierte für faire Verhandlungen. Die Länder hätten selbst ein Interesse daran, dass die Kirchen ihre Infrastruktur nicht zurückschneiden müssten, die gerade im ländlichen Raum eine wichtige Rolle spielte, sagte er. Die Linken-Abgeordnete Christine Buchholz sagte, man müsse aber endlich dem Anspruch der weltanschaulichen Neutralität des Staates gerecht werden.

Die drei Fraktionen wollen den Entwurf bereits in der nächsten Sitzungswoche des Parlaments diskutieren. Ihnen fehlt aber eine Mehrheit, wenn es zur Abstimmung kommt. In der Koalition herrschte Zurückhaltung. "Wir haben derzeit wichtigere Themen", sagte der SPD-Kirchenpolitiker Lars Castellucci dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er schlug eine Kommission vor, in der alle Betroffenen einen Vorschlag erarbeiten sollen. Der Unionsbeauftragte für die Kirchen, Hermann Gröhe (CDU), wollte den Entwurf nicht kommentieren.

"Solide Grundlage"

Die evangelische Kirche selbst zeigte sich offen für Gespräche. Der vorgelegte Entwurf der Oppositionsparteien biete "einen hilfreichen Anknüpfungspunkt für weitere notwendige Erörterungen", sagte eine Sprecherin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Ähnlich äußerte sich die Bischöfin der Nordkirche, Kristina Kühnbaum-Schmidt. Der Finanzderzernent der mitteldeutschen Kirche, Stefan Große, sagte, der Weg zu einer Einigung werde lang und schwierig sein, "ist aber nicht unmöglich".

Der Kirchenrechtler Hans Michael Heinig bezeichnete den Gesetzentwurf als "eine solide und verfassungskonforme Grundlage, über die man jetzt ernsthaft diskutieren sollte". Er riet dazu, die Bundesländer schnell in die Diskussion einzubeziehen. Sie waren bei dem Thema in der Mehrheit bislang zurückhaltend.



Jurist Heinig: Vorschlag zu Staatsleistungen gute Gesprächsgrundlage


Hans Michael Heinig
epd-bild/Daniel Möller/Georg-August-Universität Göttingen

Der Verfassungsrechtler Hans Michael Heinig begrüßt den Vorstoß von FDP, Grünen und Linken zur Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen. Der Gesetzentwurf sei "eine solide und verfassungskonforme Grundlage, über die man jetzt ernsthaft diskutieren sollte", sagte der Göttinger Experte für Kirchenrecht dem Evangelischen Pressedienst (epd).

"Die Ablösung der Staatsleistungen ist seit 100 Jahren ein Auftrag der Verfassung", betonte der Jura-Professor. Bisher habe es kaum ernsthafte Versuche gegeben, das anzugehen, oder Versuche seien als kirchenfeindlich angesehen worden. "Das hat sich verändert", sagte Heinig.

Die drei Oppositionsparteien hatten am 13. März in Berlin einen Entwurf für ein sogenanntes Grundsätzegesetz zur Ablösung der Staatsleistungen vorgelegt. Es definiert die Regeln, nach denen die Bundesländer dann über die konkreten Summen mit den Kirchen verhandeln sollen. Die evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümer erhalten als Entschädigung für frühere Enteignungen jährlich Leistungen vom Staat, insgesamt mehr als 500 Millionen Euro.

"Gewaltige finanzielle Herausforderung"

In der Weimarer Verfassung wurde ein Auftrag zur Ablösung der Leistungen formuliert, die ins Grundgesetz übernommen, bislang aber nicht umgesetzt wurde. Der Entwurf von FDP, Grünen und Linken sieht vor, dass die Länder für die Ablösung maximal das 18,6-Fache der jährlichen Leistungen zahlen sollen, Entschädigungen aber auch anders, etwa durch die Rückübertragung von Grundstücken, möglich wären.

"Über Details wie den Ablösefaktor und die Zeit, die man den Ländern für die Ablösung einräumt, kann man sicher noch reden", sagte Heinig, der auch Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Für einige Länder sei das eine "gewaltige finanzielle Herausforderung".

"Deswegen muss man die Länder auch schnell ins Boot holen bei Überlegungen zur Ablösung", riet Heinig. Bislang hätten sie gescheut, das Thema anzugehen. Bei den Kirchen sehe er Gesprächsbereitschaft bei diesem Thema, sagte der Jurist.

epd-Gespräch: Corinna Buschow


Das Stichwort: Staatsleistungen an die Kirchen

Die Staatsleistungen an die Kirchen gehen auf die Enteignung und Säkularisierung kirchlicher Güter im Zuge der Reformation und vor allem durch den sogenannten Reichsdeputationshauptbeschluss von 1803 zurück. Damals verpflichteten sich die Landesherren, die Besoldung und Versorgung etlicher katholischer und evangelischer Würdenträger sicherzustellen.

Diese Verpflichtung gilt im Grundsatz bis heute. In Verträgen zwischen den Bundesländern auf der einen sowie den evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümern auf der anderen Seite ist festgehalten, in welcher Form die Entschädigungsleistungen heute erbracht werden.

Die Staatsleistungen summieren sich aktuell auf mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr. In einem Gesetzentwurf von FDP, Grünen und Linken mit einem Vorschlag zur Ablösung dieser Leistungen ist von derzeit 548 Millionen Euro die Rede. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und katholische Deutsche Bischofskonferenz haben nach eigenen Angaben keine aktuelle bundesweite Zahl. Die einzelnen Bundesländer leisten dabei Zahlungen in sehr unterschiedlicher Höhe: Im Saarland wurden für 2019 rund 680.000 Euro veranschlagt, in Bayern waren es 2018 rund 90 Millionen Euro.

Kirchensteuer wichtiger

Die Weimarer Nationalversammlung bemühte sich 1919 um eine finanzielle Entflechtung von Staat und Kirche. Die Weimarer Reichsverfassung sah in Artikel 138 Absatz 1 die Ablösung der Staatsleistungen vor. Möglich wäre dies etwa durch eine einmalige Entschädigung. Dieser Paragraf wurde ins Grundgesetz übernommen, konkret politisch angegangen wurde das Thema aber auch seit 1949 nicht.

Die Ablösung müsste zwischen Kirchen und Ländern verhandelt werden. Einhellige Auffassung unter Experten ist dabei, dass der Bund, der selbst finanziell nicht beteiligt ist, zunächst ein Gesetz mit den Grundsätzen für eine Ablösung verabschieden müsste.

Zu unterscheiden sind die Staatsleistungen in ihrem Entschädigungscharakter von anderen und durchaus wichtigeren Finanzierungsquellen der Kirchen. Aus der Kirchensteuer beispielsweise erhielt die katholische Kirche 2018 insgesamt 6,65 Milliarden Euro, die evangelische Kirche 5,79 Milliarden Euro.



Sascha Flüchter übernimmt Schuldezernat der rheinischen Kirche

Der Pfarrer Sascha Flüchter wird neuer Leiter des Dezernats "Kirchliche Schulen" im Düsseldorfer Landeskirchenamt der rheinischen Kirche. Damit folgt er auf Otmar Scholl, der am 31. Juli dieses Jahres in den Ruhestand geht, wie die Evangelische Kirche im Rheinland mitteilte.

Der 44-jährige Flüchter ist promovierter evangelischer Theologe und hat neben Evangelischer Theologie auch Mathematik und Erziehungswissenschaften studiert. Vor seinem Wechsel in das Landeskirchenamt war der gebürtige Duisburger fünf Jahre lang Lehrbeauftragter für Biblische Theologie am Institut für Evangelische Theologie der Universität Duisburg-Essen. Zudem ist er seit 2009 Schulpfarrer am Theodor-Fliedner-Gymnasium in Düsseldorf-Kaiserswerth, dessen Träger die rheinische Kirche ist.

Flüchter ist Mitglied im Ständigen Ausschuss Erziehung und Bildung der Landeskirche, seit Januar 2018 als Vorsitzender. Zudem sitzt der Landessynodale in der Theologischen Prüfungskommission der rheinischen Kirche und hat den Vorsitz im Fachausschuss Bildung im Kirchenkreis Düsseldorf inne.

Otmar Scholl war sechs Jahre leitender Schuldezernent im Landeskirchenamt. Zu dessen Aufgaben gehört unter anderem die Aufsicht der landeskirchlichen Schulen. Die rheinische Kirche ist Trägerin von zehn allgemeinbildenden Schulen, die rund 7600 Schülerinnen und Schüler besuchen.



Neue Hammer Superintendentin Goldbeck offiziell im Amt

Die neue Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Hamm, Kerstin Goldbeck, ist am 13. März offiziell ernannt worden. Nachdem der öffentliche Gottesdienst zur Amtseinführung wegen der Corona-Epidemie abgesagt worden war, wurde der Theologin die Ernennungsurkunde im Kreiskirchenamt in Hamm übergeben. Damit habe die am 27. Februar von der Kreissynode Hamm gewählte neue Superintendentin ab sofort offiziell ihre Amtsgeschäfte übernommen, teilte der Kirchenkreis mit.

Der Kirchenkreis hatte entsprechend den Empfehlungen der zuständigen Behörden den für Freitag geplanten Gottesdienst mit Empfang abgesagt, um das Risiko zur weiteren Ausbreitung des Corona-Virus zu verringern. Die gottesdienstliche Einführung von Superintendentin Goldbeck soll zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden, wie es hieß.

Goldbeck, die zuvor stellvertretende Superintendentin war, hatte sich als einzige Kandidatin zur Wahl gestellt. Die 55-jährige Theologe ist die erste Frau an der Spitze des Kirchenkreises, zu dem rund 78.500 evangelische Christen gehören. Sie ist Nachfolgerin des im Juni 2019 verstorbenen Frank Millrath. Goldbeck stammt aus Bielefeld und studierte evangelische Theologie in Bethel, Heidelberg und Münster. Seit 1996 war sie Pfarrerin im Kirchenkreis Hamm. 2012 wurde Goldbeck von der Kreissynode zur Synodalassessorin (stellvertretende Superintendentin) gewählt. Die Mutter von drei Töchtern war seit 2015 Inhaberin der kreiskirchlichen Pfarrstelle zur Koordination und Entwicklung der Seelsorge.



Paderborner Sozialkonferenz wird verschoben

Eine für den 21. März in Paderborn geplante Sozialkonferenz von Kirchen und Gewerkschaft ist kurzfristig abgesagt worden. Die Veranstaltung wird aufgrund des Corona-Virus bis auf weiteres zu verschoben, wie der Evangelische Kirchenkreis Paderborn mitteilte. Ein neues Datum nannte Kirchenkreis-Sprecherin Heide Welslau nicht. Der Kirchenkreis ist zusammen mit dem katholischen Dekanat Paderborn, dem Sozialinstitut Kommende Dortmund und der DGB Region Ostwestfalen-Lippe Veranstalter der Tagung.

Unter dem Thema "Unsere digitale Welt - Veränderung von Qualifikation und Arbeit" wollten Experten und Praktiker am 21. März im Audimax der Uni Paderborn darüber diskutieren, ob die bisherigen Vorstellungen der Arbeitswelt noch mit den Ansprüchen der neuen digitalen Welt übereinstimmen. Als Gäste hatten sich unter anderem DGB-Vorstand Annelie Buntenbach und Cosima Steltner, Jugend- und Auszubildendenvertreterin bei Thyssen-Krupp in Essen, angesagt.



Paderborner Ehrendoktorwürde für Fundamentaltheologen Pottmeyer

Der katholische Fundamentaltheologe Hermann Josef Pottmeyer (85) erhält die Ehrendoktorwürde der Theologische Fakultät Paderborn. Damit werde die theologische Grundlagenforschung des emeritierten Bochumer Professors anerkannt, der sich vor allem mit Fragen der Kirche, des Papsttums und II. Vatikanischen Konzils befasst hat, begründete die Theologische Fakultät am 13. März die Entscheidung. Der Festakt sollte am 26. März in Paderborn stattfinden, wurde aber wegen der Corona-Epidemie abgesagt.

Der aus Bocholt stammende Pottmeyer gilt den Angaben nach als einer der weltweit renommiertesten Fundamentaltheologen. Nach dem Studium der katholischen Theologie und der Philosophie in Münster und Rom wurde er 1960 zum Priester geweiht. 1964 wurde Pottmeyer an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom zum Doktor der Theologie promoviert, zehn Jahre später folgte die Habilitation im Fach Dogmatik und Dogmengeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Von 1974 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 war der Westfale als Professor an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum tätig. Für seine wissenschaftliche Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet und geehrt.

Mit dem Erzbistum Paderborn ist der heute 85-Jährige seit langem verbunden, wie es hieß. So ist Pottmeyer unter anderem seit 1982 Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik in Paderborn.



"Goldener Blogger" für Berliner Pfarrerin


Theresa Brückner
epd-bild/Nora Erdmann

Die Berliner Pfarrerin Theresa Brückner ist am 9. März in Berlin mit dem "Goldenen Blogger" in der Kategorie "Beste Flauscher*in des Jahres 2019" ausgezeichnet worden. In der Netzszene bedeutet das Wort "Flausch" Zuneigung und Sympathie. Die 32-Jährige bloggt unter dem Namen @therasaliebt in sozialen Netzwerken wie Instagram und Twitter über Kirchen- und Gesellschaftsthemen, aber auch über Privates. Zudem hat sie einen eigenen Youtube-Kanal, auf dem sie über ihren Alltag und ihre Arbeit als Berliner Gemeindepfarrerin berichtet.

Seit diesem Jahr gehört Brückner dem Content-Netzwerk "yeet" des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP) an, das Blogger und Influencer aus dem Bereich der Kirche zusammenbringt.

Sascha Lobo und Ruprecht Polenz

Vergeben wurde der "Goldene Blogger" in 19 Kategorien, darunter an den "Chef-Digitalerklärer der Nation", Sascha Lobo, für sein Lebenswerk. "Bester Newcomer des Jahres" wurde der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz. Ermittelt wurden die Preisträgerinnen und Preisträger per Online-, Saal- und Akademievoting. Theresa Brückner setzte sich in der Kategorie "Beste*r Flauscher*in" gegen zwei weitere Nominierte in einem Online-Voting durch.

Sie könne das noch gar nicht richtig fassen, schrieb die Theologin anschließend auf Instagram und Twitter und bedankte sich bei ihren Followern für deren Unterstützung, Stimmen, Nachrichten und Kommentare. Die "Goldenen Blogger" werden seit 2007 an "Blogger, Podcaster und all die anderen, die im Internet wundervolle Dinge tun" verliehen, wie es heißt.



Fast Millionär: Pastor will Gewinn aus Quizshow demütig ausgeben

Den Hauptgewinn von zwei Millionen Euro verpasste der evangelische Pastor Lukas Gotter zwar knapp. Dennoch zeigte er sich nach der Quizshow mit dem Ausgang sehr zufrieden und plauderte in einem Podcast locker über seinen Auftritt in der RTL-Sendung.

Mit 750.000 Euro Gewinn konnte der evangelische Pastor Lukas Gotter aus Halle aus der RTL-Sendung "Wer wird Millionär?" gehen. Seine Gemeinde äußerte sich am Tag nach der Ausstrahlung der Sendung stolz, und er selbst erklärte am 11. März auf der Homepage der freikirchlichen Evangeliumsgemeinde, er wolle den Gewinn "ruhig und bedächtig, bescheiden, demütig" ausgeben. "Ich will Gott damit die Ehre geben und ihm nachfolgen", schrieb der 32-Jährige in einem Brief an seine Gemeinde, deren leitender Pastor er erst seit Jahresbeginn ist.

Von seinem Auftritt berichtete Gotter auch in seinem am Mittwoch im Internet veröffentlichten Podcast "Plauderstunde spezial". Dort erzählte er, dass er einen großen Teil seines Gewinns seiner rund 150 Mitglieder zählenden Gemeinde spenden wolle. "Ich möchte das gern ausgeben für Dinge, die das Reich Gottes in Halle bauen", sagte Gotter. Ein weiterer Teil solle Projekten zugutekommen, die ihm am Herzen lägen. Und ein Teil bleibe bei seiner Familie, sagte er. Unter anderem wolle er sein Bafög zurückzahlen.

"Halleluja"-T-Shirt

Der verheiratete Pastor der freikirchlichen Gemeinde sagte weiter, er habe schon während seines Studiums überlegt, bei einer Quizshow mitzumachen. Im vergangenen Jahr habe er sich dann bei "Wer wird Millionär?" beworben und sei nach dem Casting als Kandidat genommen worden. In der Sendung zeigte sich Gotter als Lokalpatriot und gläubiger Christ: Auf seinem T-Shirt stand der Schriftzug "Halleluja", außerdem war die Silhouette der Stadt Halle zu sehen.

Obwohl sein Vater Ralf Gotter als Telefonjoker bei der Zwei-Millionen-Euro-Frage in einer Spezialausgabe des RTL-Quiz die richtige Antwort genannt hatte, stieg der Theologe aus. Bei einer falschen Antwort wäre er auf einen Gewinn von 1.000 Euro zurückgefallen. "Ich habe wirklich keine Ahnung gehabt. Darum habe ich es nicht riskiert", sagte Gotter in seinem Podcast: "Das war gut." Er folge Gott und nicht dem schnöden Mammon.

Richtige Antwort: Schäuble

Für zwei Millionen Euro hatte Moderator Günther Jauch gefragt, wer 1990 den deutschen Einigungsvertrag unterschrieben habe. Aus den vier Antwortmöglichkeiten Wolfgang Schäuble, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Thomas de Maizière wählte Buchhändler Ralf Gotter als Telefonjoker richtig den CDU-Politiker Schäuble aus, der damals Innenminister der Bundesrepublik war. Gotter sagte, hätte er die diesjährige Sendung des "Dschungelcamps" verfolgt, hätte er die Antwort vielleicht gewusst. An der RTL-Show hatte nämlich der zweite Unterzeichner des Einigungsvertrages, Günther Krause, teilgenommen.

Lukas Gotter wäre der erste Zwei-Millionen-Gewinner in der mehr als 20-jährigen Geschichte von "Wer wird Millionär?" in Deutschland gewesen. In den bisherigen 22 "Zocker-Specials" zuvor hatte Jauch erst zweimal die Zwei-Millionen-Euro-Frage gestellt.

Romy Richter (epd)



Gesundheit

Deutschland führt Grenzkontrollen ein


Kontrollen am deutsch-französischen Grenzübergang Goldene Bremm bei Saarbrücken am Morgen des 16. März.
epd-bild/Oliver Dietze
Nach mehreren Grenzschließungen europäischer Länder riegelt auch Deutschland wegen der Corona-Pandemie Zugänge ab. Seit dem 16. März gibt es zu fünf Nachbarländern wieder Binnengrenzen. Pendler sollen aber ein- und ausreisen dürfen.

Wegen der Ausbreitung des Coronavirus schließt Deutschland die Grenzen zu fünf Nachbarstaaten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) teilte am Abend des 15. März in Berlin mit, dass ab dem Morgen des 16. März wieder Binnengrenzen zu Österreich, der Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dänemark eingerichtet werden. Das richte sich nach den vom Robert Koch-Institut ausgewiesenen Risikogebieten.

Die Ausbreitung des Coronavirus schreite "schnell und aggressiv voran", sagte Seehofer. Jeden Tag würden viele neue Erkrankungsfälle gemeldet. Man müsse davon ausgehen, dass der Höhepunkt noch nicht erreicht sei. Die Weitergabe des Virus müsse unterbunden werden. Der Verzicht auf Veranstaltungen reiche nicht aus. Es müssten auch Reisebewegungen eingeschränkt werden, betonte der Minister.

Bundespolizei kontrolliert

Die Regelung zu den Binnengrenzen sieht Seehofer zufolge vor, dass der Warenverkehr und die Ein- und Ausreise von Berufspendlern im Grenzgebiet weiter möglich sein sollen. Selbstverständlich könnten auch Bundesbürger wieder nach Deutschland einreisen, sagte Seehofer. Innenstaatssekretär Hans-Georg Engelke ergänzte, das gelte für alle, die eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland hätten.

Bundespolizeipräsident Dieter Romann sagte, es werde "ausreichend" Personal zur Durchsetzung bereitstehen. Die Beamten seien bereits auf dem Weg. Wie sich Berufspendler an der Grenze ausweisen, ist noch unklar. Seehofer sagte, es gebe den Vorschlag, dass das jeweilige Bundesland in Absprache mit den Arbeitgebern Passagierscheine ausstelle, die möglichst unkomplizierte Kontrollen ermöglichen sollen. Romann sagte, solange es eine entsprechende Regelung nicht gibt, würden die Beamten an der Grenze "großzügig" sein.

Dauer unklar

Die Entscheidung zu Grenzschließungen ist Seehofer zufolge in Absprache mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und den Ministerpräsidenten der betroffenen Bundesländer gefallen. Die Nachbarstaaten und die EU-Kommission seien informiert worden. Das Schengener Abkommen sieht eigentlich offene Grenzen innerhalb Europas vor. Grenzschließungen sind dabei an Bedingungen geknüpft. Seehofer sagte, momentan gehe der Gesundheitsschutz der Bevölkerung vor. Wie lange die Binnengrenzen aufrechterhalten werden, könne er derzeit nicht sagen.



"Kein Rückzug in das Nationale"

Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans hat die Grenzschließungen verteidigt. Das Vorgehen sei auf allen Ebenen mit den Partnern in Frankreich besprochen worden.

Die wegen des Coronavirus seit Montag bestehenden Grenzschließungen zu Frankreich und Luxemburg sind nach den Worten des saarländischen Ministerpräsidenten Tobias Hans (CDU) keine Absage an die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. "Es ist kein Rückzug in das Nationale", sagte er am 15. März in Saarbrücken. Die Maßnahme "dient der Eindämmung der weltweiten Corona-Pandemie, die uns vor große Herausforderungen setzt". Gütertransporte und Grenzgänger, die zur Arbeit müssten, dürften passieren. Letztere müssten jedoch einen Nachweis wie einen Dienstausweis vorzeigen. Ab 17. März sei eine Bescheinigung des Arbeitgebers nötig.

"Wir müssen jetzt ein bisschen mehr Abstand zueinanderhalten", betonte der Ministerpräsident. Die Grenzschließung sei auf allen Ebenen mit den Partnern in Frankreich besprochen worden. Auch mit dem luxemburgischen Premierminister Xavier Bettel stehe er im Kontakt. Hans erklärte, an vielen Behörden und der Staatskanzlei nun neben der europäischen Flagge auch die französische und die luxemburgische zu hissen. Das sei nicht nur ein symbolischer Akt.

Corona-Newsroom gegen Fake News

Der saarländische Ministerpräsident kündigte zudem einen am 16. März startenden Corona-Newsroom im Kampf gegen Falschmeldungen an. "Er ist hier in der Staatskanzlei angesiedelt. Er informiert Bürgerinnen und Bürger zeitnah, vollumfänglich über alle aktuellen Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie", sagte Hans. "Meine dringende Bitte ist: Nutzen Sie diese sicheren, verlässlichen Informationen auch seriöser Medien und staatlicher Stelle. Verbreiten Sie bitte keine Gerüchte aus zweifelhaften Quellen."

Am 15. März habe die Zahl der mit dem Coronavirus-Infizierten im Saarland bei rund 80 gelegen. Diese Zahl ändere sich stündlich. Die Betroffenen hätten sich bisher ausschließlich außerhalb des Saarlandes angesteckt. "Diesen Zustand versuchen wir längstmöglich zu erhalten", betonte Hans. Es gehe darum Zeit zu gewinnen, um Kapazitäten in den Krankenhäusern zu schaffen und neue Testverfahren zu entwickeln.



Coronavirus schränkt öffentliches Leben drastisch ein


Desinfekt​ionsmittel sind in vielen Apotheken und Drogeriemärkten schon seit zwei Wochen vergriffen.
epd-bild/Norbert Neetz
Schulen und Kitas schließen, Gottesdienste fallen aus und der Bundespräsident sagt alle öffentlichen Termine ab: Das Coronavirus versetzt Deutschland in den gesellschaftlichen Ausnahmezustand.

Das Coronavirus schränkt zunehmend das öffentliche Leben in Deutschland ein. Alle Bundesländer kündigten am 13. März an, Schulen und Kindertagesstätten für die kommenden Wochen zu schließen, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen. Auch zahlreiche weitere Veranstaltungen, darunter für das Wochenende geplante Gottesdienste, wurden abgesagt. Derweil sicherte die Bundesregierung bedrohten Unternehmen weitreichende Hilfen zu.

Bundesländer schließen Schulen

Seit dem 16. März bleiben die Schulen und Kitas flächendeckend in Bayern, Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Saarland, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Thüringen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg zu. Brandenburg folgt am 18. März. Der Betrieb bleibt in den meisten Fällen bis zum Ende der Osterferien ausgesetzt, also für vier bis sechs Wochen.

Um insbesondere für Pflegekräfte, ärztliches Personal sowie Beschäftigte bei Polizei und Justiz die Kinderbetreuung sicherzustellen, öffneten die Schulen noch einmal am 16. und 17. März, sagte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am in Düsseldorf. Für Kindertagesstätten gelte ab 16. März sogar ein Betretungsverbot. Ausnahmen würden vor Ort organisiert. Die Betreuung von Kindern, deren Eltern im Gesundheitswesen und in der öffentlichen Daseinsvorsorge tätig sind, wird nach den Worten von Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) gesichert.

Laschet: Land steht vor einer riesigen Bewährungsprobe

"Unser Land steht vor einer riesigen Bewährungsprobe", betonte Laschet. "Wir haben es mit einem unsichtbaren Gegner zu tun, dessen Bekämpfung unser Land an den Rand seiner Kräfte führen wird." Um die Schwächsten der Gesellschaft zu schützen, seien entsprechende Maßnahmen nötig. An jeden Bürger appellierte der Ministerpräsident, die sozialen Kontakte in der nächsten Zeit ruhen zu lassen.

Die saarländische Gesundheitsministerin Monika Bachmann (CDU) erklärte, dass zurzeit eine Unterlassungsverfügung für große Kinos, Discos, Clubs und Tanzveranstaltungen geprüft werde. Feststehe, dass die Spielhallen im Saarland geschlossen würden. Auch müsse überlegt werden, ob Saunen, Indoorspielhallen und das Prostitutionsgewerbe weiterlaufen könnten wie bisher, erklärte sie. Die Landesregierung bitte zudem Vereine, zu überdenken, ob Angebote aufrechtzuerhalten seien oder eingeschränkt werden könnten, sagte Bachmann. Ab 16. März stellt das Saarland auch den öffentlichen Personennahverkehr nach Frankreich ein.

Die Bundespolitik in Berlin stand am 13. Määrz ganz im Zeichen von Soforthilfen und Beschlüssen zum Umgang mit den Folgen der Corona-Pandemie. Bundestag und Bundesrat beschlossen im Eilverfahren ein Gesetz zur Erleichterung von Kurzarbeit für Betriebe, denen Aufträge wegbrechen. Die Bundesregierung kündigte unbegrenzte Kredite für Unternehmen an, die in Zahlungsschwierigkeiten kommen.

Bundespräsident sagt Termine ab

Wegen der Ausbreitung des Virus zieht sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von öffentlichen Veranstaltungen zurück. Mit Veranstaltungspartnern sei besprochen worden, bis auf weiteres öffentliche Termine abzusagen oder zu verschieben, teilte das Bundespräsidialamt in Berlin mit. "Der Bundespräsident beschränkt sich zunächst auf interne Termine, Telefonkonferenzen und Gespräche", heißt es in der Mitteilung weiter.

In vielen Kirchengemeinden in Deutschland werden am kommenden Wochenende keine Gottesdienste stattfinden. Davon sind vor allem Gläubige im Norden und der Mitte Deutschlands betroffen - in Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachen, Bremen und Teilen Hessens. Aber auch in Bielefeld findet beispielsweise kein Gottesdienst statt.

Gemeinde in Köln ruft Nachbarschaftshilfe ins Leben

Um besonders gefährdeten Menschen den Alltag zu erleichtern, startete die Evangelische Gemeinde Köln unterdessen eine Hilfsaktion. Mit Plakaten und im Internet frage der Gemeindebezirk "Christuskirche und Thomaskirche" in der Kölner Innenstadt, wer Unterstützung brauche, teilte der Evangelische Kirchenverband Köln und Region mit. Einkäufe oder sonstige Erledigungen zählten zu den Hilfsangeboten. Auch die evangelische Kirche in Bonn will konkrete Nachbarschaftshilfe organisieren.



Welche Kinder in NRW weiter in Kitas und Schulen dürfen

Eltern, die im Gesundheitswesen oder bei der Polizei arbeiten, dürfen ihre Kinder weiter in Kindertageseinrichtungen betreuen lassen. Die Notbetreuung in der Kindertagespflege und schulischen Gemeinschaftseinrichtungen ist laut einer veröffentlichten Leitlinie der nordrhein-westfälischen Landesregierung für Beschäftigte in insgesamt zehn Sektoren nach Absprache möglich. Zudem müssen die Eltern mit einem Schreiben des Arbeitgebers nachweisen, dass sie unabkömmlich sind. Zur sogenannten kritischen Infrastruktur zählen demnach:

- Energie: Strom, Gas, Kraftstoffversorgung

- Wasser, Entsorgung - Ernährung, Hygiene, vor allem Produktion, Groß- und Einzelhandel

- Informationstechnik und Telekommunikation

- Gesundheit, neben Kliniken und Ärzten unter anderem auch Apotheken und Arzneimittelhersteller

- Finanz- und Wirtschaftswesen

- Personal der Bundesagentur für Arbeit und Jobcenter (Auszahlung des Kurzarbeitergeldes)

- Transport und Verkehr, insbesondere öffentlicher Personennah- sowie Personenfern- und Güterverkehr; Flug- und Schiffsverkehr

- Medien, vor allem im Bereich Nachrichten, Information, Risiko- und Krisenkommunikation

- staatliche Verwaltung, darunter Justiz, Polizei, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Justizvollzug, Veterinärwesen, Lebensmittelkontrolle, Asyl- und Flüchtlingswesen, Verfassungsschutz und Gesetzgebung sowie Parlament

- Schulen, Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe



Medizinerin warnt vor Gefahren des Coronavirus für Senioren


Flur eines Pflegeheims
epd-bild/Jürgen Blume

Die Altersmedizinerin Corinna Drebenstedt warnt vor den Gefahren des Coronavirus für ältere Menschen. Nach jetzigem Kenntnisstand seien Senioren zwar nicht empfänglicher für das Virus als andere Altergruppen, würden aber bei einer Infektion schwerer krank, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Drebenstedt ist Chefärztin der Klinik für Geriatrie am katholischen St.-Marien-Hospital in Friesoythe bei Cloppenburg. Sie gehört zudem zum Vorstand der in Köln ansässigen Deutschen Gesellschaft für Geriatrie.

Senioren über 70 sollten nach Möglichkeit die Orte meiden, wo viele Menschen aufeinanderträfen, erläuterte Drebenstedt. "Auch Enkel sollten, so traurig das auch ist, Oma und Opa vorerst nicht mehr besuchen", sagte die Medizinerin. Lieber sollten die erwachsenen Kinder für sie einkaufen gehen, damit die alten Menschen sich im Supermarkt nicht infizierten.

Keine Familienbesuche

Obwohl die vom Coronavirus ausgelösten Krankheit generell einer Grippe ähnlich sei, verlaufe sie bei Kindern anders. Infizierten sich diese, hätten sie meist nur so etwas wie einen Schnupfen. "Kinder merken nicht, dass sie ansteckend sind." Der Kontakt zu ihnen könne die alten Menschen in Lebensgefahr bringen.

Aus demselben Grund sollten nach Meinung der Fachärztin auch die Familienbesuche in Altenheimen vorerst unterbleiben. "Wer dort wohnt, ist meistens gesundheitlich schon sehr geschwächt." Die Verantwortung liege deshalb vor allem beim Pflegepersonal und den Besuchern. Alle Personen, die aus beruflichen oder privaten Gründen ein Altenheim betreten müssten, sollten auf Reisen in die Gebiete verzichten, die vom Coronavirus stark betroffen seien. Bestehe der Verdacht, dass eine Pflegekraft sich infiziert habe, solle sie in häuslicher Quarantäne bleiben.

Impfung empfohlen

Um sich vor einer möglichen Infektion zu schützen, empfahl die Expertin grundsätzlich allen Menschen ab 60 Jahren, sich wenigstens gegen Grippe oder gegen eine Lungenentzündung impfen zu lassen. Eine solche Impfung trainiere das Immunsystem. "Damit geben die Menschen ihrem Körper zwar nicht die Waffe gegen die Krankheit in die Hand, aber den Bauplan für die Waffe", erläuterte Drebenstedt.

"Je älter die Menschen werden, desto mehr Krankheiten haben sie bereits", betonte die Medizinerin. Ihr Immunsystem sei ebenfalls gealtert. Deshalb seien sie anfälliger für Infektionen. Vor allem bei chronischen Krankheiten, die das Herz oder die Lungen beträfen, werde es bei einer Ansteckung mit dem Coronavirus für sie gefährlicher. Laut einer Prognose der Berliner Charité könnten bis zu 25 Prozent der Hochbetagten wegen einer solchen Infektion sterben.

epd-Gespräch: Cristina Marina


Besuchszeiten in Pflegeheimen stark eingeschränkt

Krankenhäuser und Altenpflegeeinrichtungen in Deutschland schränken wegen der drohenden Ausbreitung des Coronavirus ihre Besuchszeiten stark ein. In Nordrhein-Westfalen hat das Gesundheitsministerium eine Regelung erlassen, wonach jeder Bewohner eines Alten- und Pflegeheims pro Tag nur einen Besucher empfangen darf. Wie aus dem am Wochenende online gestellten Dokument hervorgeht, darf der Besuch maximal eine Stunde dauern und nur im Zimmer stattfinden, nicht in Gemeinschaftsräumen. Es gibt einige wenige Ausnahmen für nahestehende Personen, etwa zur Begleitung Sterbender.

Jeder Gast soll demnach registriert werden, um Infektionsketten nachweisen zu können. Auch in Krankenhäusern werden die Besuche aufs Notwendigste beschränkt, Kantinen und Cafeterien nur noch für das Personal zugänglich sein. Ähnliche Maßnahmen wurden bereits am Freitag in Bayern und Baden-Württemberg beschlossen.

Sie dienen dem Schutz alter Menschen vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Das Risiko an einer Covid-19 Erkrankung zu sterben, erhöht sich im Alter, besonders für 80-Jährige oder noch ältere Patienten beziehungsweise Menschen mit Vorerkrankungen.



Patientenschützer: Quarantäne- und Schutzpläne fehlen

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert dringend Quarantäne- und Schutzpläne für die insgesamt 28.000 Alten- und Pflegeheime sowie ambulanten Pflegedienste. Bislang hätten Bundesgesundheitsministerium und Robert-Koch-Institut noch keine aktuellen Empfehlungen für die ambulanten und stationären Dienste vorgelegt, sagte Vorstand Eugen Brysch am 15. März in Dortmund. Quarantäne- und Schutzkonzepte seien "überfällig". Schließlich orientierten sich die örtlichen Gesundheitsämter und kommunalen Heimaufsichten an solchen Leitlinien.

Es müsse unverzüglich geklärt werden, dass Pflegeheime nicht in der Lage seien, Corona-Patienten innerhalb der Einrichtung zu isolieren, erklärte der Stiftungsvorstand. Es fehle schlichtweg an Pflegekräften, Ärzten und Räumlichkeiten. "Machen wir uns klar, dass notfalls Einrichtungen und mobile Dienste ihre Arbeit unterbrechen müssen", sagte Brysch. "Hier geht es nicht um Panikmache. Vielmehr braucht es einen realistischen Blick auf die örtlichen Möglichkeiten." Den Angaben zufolge gibt es bundesweit 14.480 Pflegeheime und etwas mehr als 14.000 ambulante Dienste.

Brysch verwies darauf, dass am 15. März im Allgäu eine am Virus leidende Pflegeheimbewohnerin in einem Krankenhaus gestorben ist. Angesichts der Einschränkungen beim Besuchsrecht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen unterstrich er, dass es wichtig sei, bei Demenzkranken und Sterbenden Ausnahmen zu ermöglichen.



Armutsforscher: Krise trifft sozial Benachteiligte hart


Christoph Butterwegge
epd-bild/Guido Schiefer

Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge befürchtet, dass die Folgen der Corona-Pandemie Menschen mit niedrigem Einkommen härter treffen als Besserverdienende. "Wirtschaftliche Krisen treffen zuerst die Einkommensschwachen. Das gilt für prekär Beschäftigte, Leiharbeiter ebenso wie für Soloselbstständige, die über zu geringe finanzielle Rücklagen verfügen, um eine ökonomische Durststrecke überstehen zu können", sagte der Armutsforscher dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Auch bei der Betreuung von Kindern, die wegen Kita-und Schulschließungen zu Hause bleiben müssen, sieht der Kölner Wissenschaftler Menschen mit besser bezahlten Jobs im Vorteil. "Je höher die berufliche Position ist, umso leichter lässt sich das Betreuungsproblem durch Homeoffice lösen, weil es dann eher um eine Schreibtischtätigkeit geht", sagte er. Alleinerziehende, die zur Betreuung ihrer Kinder gerne auf die Großeltern zurückgreifen, könnten wegen der höheren gesundheitlichen Gefährdung älterer Menschen in der Corona-Krise auf diese Unterstützung derzeit nicht zählen.

Gefahr der sozialen Isolation für ältere arme Menschen

Butterwegge sieht außerdem die ältere Generation stark belastet. "Besonders jene alten Menschen, die arm sind, haben in der Regel wenige Sozialkontakte. Gerade für sie wäre es deshalb wichtig, öffentliche Plätze, Einrichtungen und Veranstaltungen aufsuchen zu können, um nicht völlig zu vereinsamen." Wenn nun Besuche im Seniorenheim ausfallen, wachse die Gefahr der sozialen Isolation.

Laut Butterwegge sind sozial Benachteiligte stärker als Bessersituierte auf öffentliche Einrichtungen angewiesen, die für sie Beratungs- und Betreuungsdienstleistungen erbringen. Für sie könne etwa die Schließung des Jobcenters problematisch sein, "weil ihnen die Anlaufstelle fehlt".

Butterwege für Erhöhung der Sozialhilfe

Der Sozialforscher schlägt eine zeitlich begrenzte Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes und der Sozialhilfe vor: "Da es jetzt noch wichtiger ist, Obst und Gemüse zu essen, wäre die befristete Gewährung eines Ernährungszuschlags von circa 100 Euro monatlich auf den Regelbedarf sinnvoll."

Die Corona-Pandemie bietet nach Butterwegge Auffassung aber auch Chancen. "Beispielsweise könnte sich die Erkenntnis verbreiten, dass Solidarität der Bevölkerung mehr nützt als Wettbewerbswahn und Ellenbogenmentalität. Dann hätte der Virus am Ende auch etwas Gutes bewirkt", sagte Butterwegge.

Markus Jantzer (epd)


Tafeln schließen wegen der Ausbreitung des Coronavirus

Wegen der Ausbreitung des Coronavirus schließen immer mehr Tafeln. Etwa 30 der knapp 950 Tafeln in Deutschland hatten bis zum Mittag des 13. März ihre Lebensmittelausgabe bereits vorübergehend eingestellt, wie der Tafelverband in Berlin mitteilte. Die Organisation rief die Bevölkerung zu "einer Welle der Solidarität" für die 1,6 Millionen bedürftigen Tafel-Nutzerinnen und -Nutzer auf. Von der Politik erwarten die Tafeln finanzielle Unterstützung.

In den Tafeln kommen viele Menschen in teils engen Räumen zusammen. Besonders herausfordernd sei es für die Tafeln, dass rund 90 Prozent der 60.000 Ehrenamtlichen zu den älteren Menschen und damit zur besonders schützenswerten Gruppe gehören. Der Bundesvorsitzende des Hilfsorganisation, Jochen Brühl, sagte, "die Menschen, die zu uns kommen, brauchen die Unterstützung. Doch genau die kann jetzt auch zur Gefahr für die Gesundheit werden." Brühl appellierte an die jüngere Bevölkerung, kurzfristig ältere Helfer zu ersetzen.

Weniger Spenden

Nach wie vor bekämen Tafeln weniger Lebensmittel gespendet. "Noch immer scheinen sich die Vorratskäufe der Menschen auszuwirken", erklärte der Verband.

Für die Tafeln bedeuten Schließungen auch wirtschaftliche Probleme, denn sie finanzieren sich neben Spenden auch über die kleinen Beträge, die Nutzerinnen und Nutzer für die Lebensmittel zahlen. Auch wenn die Tafeln geschlossen haben, laufen Kosten wie Miete für Ausgabestellen und Lager, Versicherung für die Fahrzeuge weiter. "Wir erwarten, dass die Politik unsere gemeinnützige Organisation jetzt unterstützt, um langfristige Schließungen der Tafeln zu verhindern", sagte Jochen Brühl.



Hamburg: 300 Obdachlose unter Quarantäne


Ein Mitarbeiter der Einrichtung trägt Schutzanzug und Atemmaske.
epd-bild/Stephan Wallocha

In Hamburg sind zahlreiche Obdachlose unter Quarantäne gestellt worden, nachdem es einen positiven Test auf das Coronavirus in einer Unterkunft gab. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine Weitergabe des Erregers in der Einrichtung in der Friesenstraße stattgefunden habe, teilte die Sozialbehörde am 14. März mit. Auf Anordnung des Gesundheitsamtes Hamburg-Mitte wurde für alle dort untergebrachten Personen eine "häusliche Isolation" eingeleitet. Medienberichten zufolge soll es sich um rund 300 Betroffene handeln. Damit wird die üblicherweise nur zur Übernachtung genutzte Unterkunft für die kommenden 14 Tage zum dauerhaften Aufenthaltsort der obdachlosen Menschen.

Isolationsplätze in Notunterkünften

Die Maßnahmen sollen "die bestmögliche Versorgung der besonders schutzbedürftigen Menschen sicherstellen", erklärte die Hamburger Behörde. Personen mit Symptomen würden dem üblichen Verfahren gemäß getestet und innerhalb der Einrichtung isoliert untergebracht. Die jeweils angezeigte Behandlung werde gegebenenfalls unverzüglich eingeleitet. Der betroffene Standort Friesenstraße wurde demnach "bis auf weiteres" für den Publikumsverkehr geschlossen.

Für künftige Verdachtsfälle und Infizierte stehen laut Sozialbehörde im Winternotprogramm weitere Isolationsplätze in Notunterkünften bereit. Darüber hinaus bestünden zusätzliche Kapazitäten in Erstaufnahmeeinrichtungen, in denen Menschen aus dem Winternotprogramm einzeln untergebracht werden könnten.



Der globale Virusjäger


Tedros Adhanom Ghebreyesus
epd-bild/John Zarocostas
Tedros Adhanom Ghebreyesus führt den internationalen Kampf gegen die Corona-Pandemie. Der eskalierende Notstand hat dem Äthiopier die Unbekümmertheit genommen.

Dr. Tedros verzieht keine Miene. Er rückt seine Brille zurecht, vermeidet es, mit den Fingern sein Gesicht zu berühren. Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation nimmt die Kameras fest in den Blick. Im Krisenzentrum der WHO beginnt er langsam zu sprechen.

Schon der erste Satz ist dramatisch, es geht um die Ausbreitung der Atemwegserkrankung Covid-19: "In den vergangenen zwei Wochen ist die Zahl der Covid-19-Fälle außerhalb Chinas um das dreizehnfache gestiegen, die Zahl der betroffenen Länder hat sich verdreifacht." Nach dem Einstieg braucht Tedros noch fünf Sätze, dann kommt ein Wort über seine Lippen: "Pandemie."

Lässiges Lachen

Dem WHO-Chef blieb angesichts der eskalierenden Corona-Krise keine andere Wahl, als den Ausbruch als Pandemie einzustufen. Eine Pandemie gilt als die ernsthafteste Form einer sich global ausbreitenden Infektionskrankheit.

Im WHO-Krisenreaktionszentrum verfolgt Tedros seit Wochen auf den Monitoren wie das Corona-Virus um sich greift. Wie es ein Land nach dem anderen befällt. Gefährlich ist das Virus vor allem für alte Menschen und solche mit Vorerkrankungen.

Der eskalierende Notstand nimmt dem Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus, wie er mit vollem Namen heißt, seine Unbekümmertheit. Das lässige Lachen, das zu den Markenzeichen des fünffachen Familienvaters gehört, zeichnet sich kaum noch auf seinem Gesicht ab.

Keine Anweisungen

Corona markiert die erste ganz große Bewährungsprobe für den WHO-Chef, der das Amt Mitte 2017 übernahm: Der frühere Außenminister und Ex-Gesundheitsminister aus Addis Abeba koordiniert als globaler Virenjäger den Kampf gegen Covid-19. Er und seine Experten beraten und unterstützen die mehr als 190 WHO-Mitgliedsländer.

Der Immunologe Tedros, der einen Doktortitel in "Community Health" erwarb, kann den Staaten jedoch keine Anweisungen geben. Er verschreibt die Medizin, die Medizin schlucken müssen andere. Bislang haben Tedros und seine WHO im Kampf gegen Covid-19 nach Meinung vieler Experten eine gute Figur gemacht. "Der WHO-Generaldirektor hat die richtige Balance zwischen Information, Aufklärung und Warnung gefunden", urteilt Christoph Bonsmann, Vorstand des Deutschen Medikamenten-Hilfswerks action medeor. Tedros habe weder zu spät noch panikartig reagiert.

Dass Tedros den Corona-Ausbruch erst dann zu einer Pandemie erklärte, nachdem weit über 100 Länder betroffen waren, löste jedoch einige Diskussionen aus. Es war "sicher nicht zu früh", sagt der Epidemiologe Marcel Salathé aus dem Schweizer Lausanne. Es gebe keinen perfekten Zeitpunkt, eine Pandemie auszurufen, gibt er zu bedenken.

Lob für China, Sorge um Afrika

Für einiges Kopfschütteln sorgte zu Beginn der Krise das penetrante Lob für Chinas Führung aus dem Munde des WHO-Chefs. "China setzt derzeit neue Maßstäbe bei der Reaktion auf einen Ausbruch", hatte Tedros im Januar versichert. Als Chinas Präsident Xi Jinping den WHO-Chef empfing, vermittelten Bilder den Eindruck eines Besuchs bei Hofe. Xi der Herrscher, Tedros der Bote.

Die "größte Sorge", die den ersten afrikanischen WHO-Chef umtreibt, betrifft seinen eigenen Kontinent: Was passiert, wenn das Corona-Virus die Menschen in Afrika flächendeckend angreift? Inzwischen meldeten über zehn afrikanische Staaten Infektionen. Die meisten Länder Afrikas und ihre Einwohner leiden unter schwachen Gesundheitssystemen - das Virus könnte dort und auch in anderen armen Regionen besonders viele Todesopfer fordern.

Wie zermürbend eine Kampagne gegen eine Epidemie gerade in Afrika sein kann, weiß Tedros nur zu gut. Mitte 2018 brach die hochansteckende Krankheit Ebola im gewaltgeplagten Nordosten der Demokratischen Republik Kongo aus. Tedros beorderte ein Großaufgebot von Ärzten und Seuchenexperten in das Gebiet, reiste selbst regelmäßig hin. In diesen Tagen, nachdem rund 2.260 Menschen starben, klingt die Ebola-Epidemie aus. Wenn bis zum 12. April kein neuer Fall auftaucht, wird der Ausbruch offiziell als beendet erklärt. Das wäre ein Erfolg für Tedros, ein Erfolg in schwierigen Zeiten.

Jan Dirk Herbermann (epd)


Coronavirus trifft das Heilige Land


Geburtskirche in Bethlehem (Archivbild)
epd-bild / Norbert Neetz
In Israel lösen die Maßnahmen gegen den Coronavirus die schlimmste Tourismus-Krise der vergangenen Jahre aus. Auch die Geburtsstätte Jesu Christi in Bethlehem ist davon betroffen.

In Israel leidet vor allem die Tourismusbranche unter den Auswirkungen des Coronavirus. Wer in Israel einreist, muss zwei Wochen in Quarantäne. Touristen müssen nach Ankunft am Ben-Gurion-Flughafen ein Dokument vorweisen, in dem sie die Miete einer isolierten Unterkunft nachweisen können. Sonst werden sie nicht ins Land gelassen. Bisher hatte diese Vorschrift bloß für Touristen aus Ländern gegolten, die mit dem Coronavirus stark belastet sind. Dazu gehörten unter anderem Deutschland, Österreich und die Schweiz.

Die Corona-Krise trifft auch Bethlehem im Westjordanland. Die palästinensischen Behörden haben die Stadt abgeriegelt. Damit ist auch die Geburtskirche für Touristen in den nächsten 30 Tagen nicht erreichbar. Für Christen in Bethlehem gilt, dass sie sich nur in kleinen Gruppen von bis zu 15 Menschen zum Gebet versammeln sollen. Das katholische Lateinische Patriarchat von Jerusalem hat die Priester angewiesen, die Messe über soziale Medien zu verbreiten, damit die Gläubigen nicht in die Kirche gehen müssen.

Hotels vor dem Aus

Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus treffen die israelische und die palästinensische Tourismuswirtschaft kurz vor Ostern und dem jüdischen Passahfest brutal. Zu dieser Zeit hat die Branche sonst Hochkonjunktur mit einer sehr hohen Auslastung der Hotels. Jetzt stehen sie praktisch leer, und Dutzende von Hotels stehen vor dem Aus.

Amir Hayek, Präsident des Branchenverbandes, beziffert den erwarteten Schaden für den israelischen Fremdenverkehr auf 1,7 Milliarden Dollar im laufenden Jahr. Er rechnet mit "massiven" Entlassungen. Betroffen sind in Israel vor allem Jerusalem und Tel Aviv, wo die Auslastung in den vergangenen Wochen unter 40 Prozent fiel. Nach dem allgemeinen Einreiseverbot wird sie weiter fallen.

Ausgangssperre

Viele Airlines haben ihre Flüge nach Tel Aviv drastisch reduziert oder gar eingestellt. Dazu gehören auch die Lufthansa-Gruppe, Air France, Alitalia, Iberia und Wizz Air. Die israelische Fluggesellschaft El Al will Destinationen in Europa, in den USA und in Afrika weiter bedienen, will das Angebot aber an der Nachfrage ausrichten, will heißen: stark reduzieren. Die Eröffnung der neuen Route nach Düsseldorf wird auf Sommer verschoben.

In Israel waren am 10. März 50 Coronavirus-Infektionen bekannt, in den palästinensischen Gebieten waren es 25. Mehrere Zehntausend Israelis sind zur Isolation verpflichtet. In Bethlehem gilt die Ausgangssperre, Lehranstalten sind geschlossen, alle Hotelreservationen und Konferenzen wurden annulliert. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas hat für 30 Tage den Notstand ausgerufen.

Pierre Heumann (epd)


Ewige Stadt im Dornröschen-Schlaf: Rom in Zeiten von Corona

Noch bevor die Regierung den Katastrophenfall ausruft, ist das öffentliche Leben in der Altstadt von Rom fast zum Erliegen gekommen. Die meisten Geschäfte schließen bereits vor der Anweisung - als Reaktion auf die Massenflucht der Touristen.

Als der italienische Ministerpräsident die Schließung aller nicht lebensnotwendigen Geschäfte im ganzen Land anordnet, hat die römische Altstadt sich bereits fast vollständig geleert. Nachdem die meisten Städtereisenden die Ewige Stadt bereits verlassen haben, lassen die Besitzer der überwiegend auf Touristen spezialisierten Geschäfte die Rollläden herunter. Vereinzelte Urlauber treffen sich in der warmen Frühlingssonne in einem der wenigen noch geöffneten Eiscafés hinter der Piazza Navona. Vor dem abgesperrten Petersplatz nehmen einheimische Spaziergänger die letzten verbliebenen Touristen in Augenschein.

"Gemeinsam schaffen wir das", versichert Ministerpräsident Giuseppe Conte mit belegter Stimme am späten Abend in einer Videobotschaft an die Bürger des Landes. Zuvor hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in bewegenden Worten auf Italienisch ihre Solidarität geäußert. Die weitere drastische Einschränkung des öffentlichen Lebens war nötig geworden, denn viele Bürger hatten sich trotz Verbots auch zum Joggen und Spazierengehen auf Straßen und in Parks versammelt.

"Kein Licht am Ende des Tunnels"

Die Anordnung zeigt bereits am nächsten Morgen Wirkung. Am Vortag hatten noch einzelne Touristen Selfies mit dem Petersdom im Hintergrund gemacht. Am Straßenrand sogar warteten mehr Souvenirstände und Getränkeverkäufer als gewöhnlich auf sie. Wenige Stunden nach Contes neuer Ankündigung eilen nur wenige Römer auf dem Weg zur Arbeit ohne einen Blick auf den Petersdom über den Platz.

Nur der Kiosk breitet Souvenirs und Rom-Kalender aus, denn er verkauft auch Zeitungen, die nicht von der Schließung betroffen sind. "Kein Licht am Ende des Tunnels", sagt der Mann, der seinen Kiosk am liebsten schon vor Tagen geschlossen hätte. "Hoffen wir, dass es diesmal wirkt", sagt er voller Zweifel, dass die weiteren Einschränkungen des öffentlichen Lebens die Ausbreitung des Virus endlich stoppen werden.

In den späten Stunden verebbt schließlich auch das Nachtleben auf den Plätzen der Altstadt, auf denen sich trotz Verbots junge Leute getroffen hatten. "Es heißt, dass sich nur alte Leute anstecken", sagt ein junger Mann, der mit seiner Freundin Arm in Arm wenige Stunden vor Contes neuerlichem Dekret mit erweiterten Schließungen spazieren geht. "Schließlich müssen wir positiv denken, deshalb gehen wir ein bisschen Luft schnappen."

Juve-Spieler infiziert

Fast gleichzeitig mit der Schließung aller Geschäfte für nicht lebensnotwendige Waren wird bekannt, dass das Coronavirus auch vor jungen Leuten in körperlicher Höchstform nicht halt macht. Waren die Appelle des Ministerpräsidenten, zu Hause zu bleiben, teilweise ins Leere gelaufen, erzielt die Nachricht, dass sich ein Spieler des Fußball-Erstligisten Juventus Turin infiziert hat, offenbar die nötige Wirkung: keine Jogger und fröhlichen Spaziergänger mehr auf den Straßen.

"Atemmasken sind seit einem Monat ausverkauft", sagt die Apothekerin hinter der Piazza Navona mit einem Achselzucken. Dennoch tauchen auch in Rom plötzlich immer mehr Menschen mit einfachem oder mit Filter versehenem Mundschutz auf. Wie ernst die Lage ist, zeigt, dass keine Eltern mit Kindern mehr auf den Straßen zu sehen sind. Familien betreuen ihre Kinder in den kommenden Wochen zu Hause. In der ganzen Stadt scheint dauerhaft ein früher Frühlingsmorgen zu herrschen mit Stille, wo ansonsten Verkehrschaos herrscht und nervöse Autofahrer versuchen, sich den Weg frei zu hupen.

Von Bettina Gabbe (epd)


NRW bündelt Informationen zu Corona online

Die nordrhein-westfälische Landesregierung bündelt Informationen und Maßnahmen rund um das Coronavirus auf einer Internet-Plattform. Auf der neuen Seite "land.nrw/corona" könnten sich Bürger über aktuelle Entwicklungen rund um das Virus informieren, teilte die Staatskanzlei am 16. März in Düsseldorf mit. Dort würden alle Maßnahmen der Landesregierung erläutert, die der Eindämmung des Coronavirus dienen. Erlasse, Dokumente und Informationen aus allen Ressorts seien abrufbar. Die Plattform werde fortlaufend aktualisiert, hieß es. Zentrale Informationen würden auch auf Türkisch und Arabisch eingestellt. Zudem gibt ein Bürgertelefon Auskunft unter 0211/9119-1001.

Bürgertelefon

Seit 16. März sind in NRW nahezu alle Freizeit-, Sport-, Unterhaltungs- und Bildungsangebote eingestellt. Auch Bars, Clubs, Diskotheken, Theater, Kinos und Museen bleiben geschlossen. Ab 17. März ist dann laut Erlass des NRW-Gesundheitsministeriums auch der Betrieb von Fitnessstudios, Schwimm- und Spaßbädern sowie Saunen untersagt. Auch sonstige Sport- und Freizeiteinrichtungen sowie der Besuch von Angeboten in Volkshochschulen, Musikschulen und sonstigen öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen im außerschulischen Bereich ist nicht mehr gestattet. Banken und Einzelhandelsbetriebe, Apotheken und Drogerien bleiben geöffnet. Die Regelungen sollen zunächst bis zum 19. April gelten, also bis einschließlich der Osterferien.

Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) erklärte, alle Freizeitaktivitäten und nicht unbedingt notwendige soziale Kontakte müssten unverzüglich vermieden werden: "So sehr das für viele Menschen ein Opfer und eine Einschränkung bedeutet, so wichtig ist es jetzt, besonnen, aber auch entschlossen unser Leben zu entschleunigen."



WDR baut Bildungsprogramm aus: "Sendung mit der Maus" täglich

Angesichts geschlossener Schulen und Kitas wegen des Coronavirus will der WDR Kindern und Jugendlichen zusätzliche Angebote machen. Unter anderem soll "Die Sendung mit der Maus" ab 18. März täglich vormittags im WDR Fernsehen ausgestrahlt werden, wie der Kölner Sender ankündigte. Außerdem stehe die Sendung in der App und in der Mediathek zur Verfügung.

Darüber hinaus könnten Schülerinnen und Schüler im Schulfernsehangebot planet-schule.de von WDR und SWR umfassende Hintergrundinformationen zu lehrplanrelevanten Themen wie etwa Klimawandel oder Beethoven finden, hieß es. Filmbeiträge, Multimedia-Elemente, animierte Erklärclips, Lernspiele, Simulationen oder Apps stünden kostenfrei und auch zum Download zur Verfügung. Für Lehrkräfte biete schuledigital.wdr.de digitales Unterrichtsmaterial wie etwa das Augmented Reality-Projekt "Meine Freundin Anne Frank" oder einen Programmierkurs mit der Maus.

epd-West es




Gesellschaft

Den Menschen sehen und nicht die Hautfarbe


Tyfanie Nzila-Balley im Gemeindezentrum Pfingstweide in Ludwigshafen
epd-bild/KUNZ / Gaby Kunz
Mehr als eine Million schwarze Menschen leben in Deutschland. Gegen rassistische Anfeindungen wegen ihrer Herkunft oder Hautfarbe setzen sie sich zur Wehr. Erstmals soll ein "Afrozensus" mehr über ihre Lebenssituation herausfinden.

Tyfanie Nzila-Balley ist eine starke Frau, die Rassisten die Stirn bietet. Wie viele andere schwarze Menschen in Deutschland wird auch die Ludwigshafenerin immer wieder angefeindet und muss sich rassistische Sprüche wegen ihrer afrikanischen Herkunft und ihrer dunklen Hautfarbe anhören. "Angst zu haben, ist nie gut", sagt die 38-jährige gebürtige Kongolesin. Man sollte gegen Rassismus seine Stimme erheben. Die Vereinten Nationen haben den 21. März zum Welttag gegen Rassismus erklärt.

"Wir müssen einfach den Menschen sehen und nicht seine Hautfarbe", erklärt Balley, die seit 1997 in Deutschland lebt. Als eine Botschafterin der Evangelischen Kirche der Pfalz wirbt sie in einem Filmspot für eine vielfältige Kirche, die "dynamischer, frischer, jünger" wird, wie sie sagt.

Zehn Jahre arbeitete sie als Filialleiterin im Einzelhandel. Dass manche weiße Menschen ihr zunächst diesen Job nicht zutrauten, "zerrte am Selbstbewusstsein", erinnert sie sich. Um sich durch Rassismuserfahrungen nicht zu tief verletzen zu lassen, habe sie sich "antrainiert", auf andere zuzugehen, auch manchen boshaften oder gedankenlosen Spruch mit Humor zu nehmen.

"Strukturelles Problem"

Schwarze Menschen in Deutschland sind im vergangenen Jahrzehnt sichtbarer geworden, ist die Einschätzung von Tahir Della von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland mit Sitz in Berlin. Sie machten selbstbewusst auf sich aufmerksam, wollten besser wahrgenommen werden und widersetzten sich rassistischen Strukturen, die sie ausgrenzten. "Deutschland hat ein strukturelles Problem mit Rassismus", konstatiert Della, der in München geboren wurde.

Laut Statistischem Bundesamt lebten 2018 rund eine Million Menschen in Deutschland, die selbst oder deren Eltern in Afrika geboren wurden. Hinzu kommen schwarze Deutsche oder schwarze Menschen aus Ländern wie den USA oder Frankreich. Um mehr über ihre Lebenssituation herauszufinden, startet der Berliner Verein "Each One Teach One" gemeinsam mit dem Think Tank "Citizens For Europe" im April einen ersten "Afrozensus" - eine Online-Befragung. Ziel ist es, Strategien gegen rassistische Diskriminierung und zur Unterstützung schwarzer Menschen zu entwickeln.

Rassismus gegen schwarze Menschen trete heute offener zutage als noch vor einigen Jahren, konstatiert Janice Rößler aus dem südpfälzischen Steinfeld. Ihr Vater ist ein schwarzer US-Amerikaner, die Mutter stammt aus Frankfurt am Main. Vor allem in den sozialen Netzwerken werde gehetzt, sagt die 47-Jährige. Viele Vertreter der bürgerlichen Mitte trauten sich nun, ihrem Hass freien Lauf zu lassen.

Hakenkreuze und Beschimpfungen

Ihr Auto wurde mit Hakenkreuzen beschmiert, sie erhielt anonyme Anrufe, ihre Kinder wurden rassistisch beschimpft. Meist gingen die staatlichen Behörden Anzeigen wegen Rassismus nicht mit dem nötigen Nachdruck nach, kritisiert sie. Im Kampf gegen Rassismus seien Aufklärung und Bildung das Wichtigste. Bei Elternabenden an Schulen oder Ausflügen zu Gedenkstätten sollte über das Thema Rassismus informiert werden, fordert sie.

Meist trete Rassismus nicht offen, sondern verdeckt auf, ist die Erfahrung des 53-jährigen Bakkarr Kamara aus Gambia, der mit seiner weißen deutschen Frau und zwei Kindern im badischen Weingarten bei Karlsruhe lebt. Schwarzen Diskothekenbesuchern werde unter fadenscheinigen Gründen der Eintritt verwehrt. Und die Polizei kontrolliere vor allem schwarze Menschen besonders genau. Die Gesetze gegen Rassismus müssten verschärft werden, sagt er.

Zwar lege man sich "eine dicke Haut zu", sagt Bakkarr. Und doch nagten rassistische Anfeindungen tief im Innern: "Weiße wissen nicht, wie schwer es ist, wenn man als Mensch wegen seiner Hautfarbe verletzt wird." Um schwarzen Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, sei es nötig, deren Gefühle und Wünsche wahrzunehmen und auf rassistische Sprache zu verzichten. "Warum muss man das Schimpfwort 'Neger' verwenden, das Schwarze verletzt?"

Sein 20-jähriger Sohn Noah pflichtet ihm bei: Manche nicht schwarze Menschen verhielten sich taktlos - auch um ein "Machtgefälle" deutlich zu machen, sagt der Informatikstudent. Er versuche, rassistische Sprüche an sich abperlen zu lassen. Klar nerve es, wenn man zum x-ten Mal "wo kommst Du her?" gefragt werde. Oft seien weiße Menschen auch unsicher und hätten Angst, sich falsch zu verhalten. Seine Schwester, die 14-jährige Salima, ergänzt: "Es tut doch keinem weh, wenn man Schokokuss sagt."

Mit dem Besen verjagt

Fridah Vogel (39), die im badischen Bruchsal-Heidelsheim lebt, lässt sich von Rassisten nicht einschüchtern. Hart habe sie kämpfen müssen, um sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, sagt die Mutter von zwei Kindern, die aus Kenia stammt. Sie arbeitet in einem Altenpflegeheim, schließt gerade eine Ausbildung zur Altenpflegerin ab.

Geschockt war ihre Familie, als ein alter Mann vor einigen Jahren ihren Sohn mit dem Besen verjagte: "Ich kann so ein Verhalten nicht verstehen, Afrikaner sind gastfreundschaftlich." Bei ihrer Arbeit im Pflegeheim komme es immer wieder vor, dass Senioren ihre Haut berührten. "Sie sagen mir, dass sie noch nie mit einem Menschen mit dunkler Hautfarbe gesprochen haben." Es gebe Leute, die ihr vertrauten, sagt sie: "Das geht mir ins Herz."

Alexander Lang (epd)


Verfassungsschutz: AfD-"Flügel" ist erwiesen rechtsextremistisch

"Erwiesen rechtsextremistisch" lautet das Urteil des Bundesamtes für Verfassungsschutz über das AfD-Netzwerk "Der Flügel". Die Behörde will Vertreter künftig beobachten. Der Thüringer Verfassungsschutz stuft die Landes-AfD zum Verdachtsfall hoch.

Die AfD-Gruppierung "Der Flügel" um den Thüringer Landesvorsitzenden Björn Höcke ist in den Augen des Verfassungsschutzes eindeutig rechtsextremistisch. Das parteiinterne Netzwerk sei als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft worden, teilte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, am 12. März in Berlin mit. Der Thüringer Verfassungsschutz stufte gleichzeitig den Landesverband der AfD vom Prüf- zum Verdachtsfall hoch, wie das Landesamt in Erfurt mitteilte.

Der Bundesamt für Verfassungsschutz schätzt die Zahl der Mitglieder des "Flügels" auf 7.000 - um soviel Personen erhöhte die Behörde auch ihre Schätzung für das Potenzial der Szene. 32.000 Menschen in Deutschland gelten damit als Teil der rechtsextremen Szene, 13.000 von ihnen als gewaltorientiert.

"Rechtsextremisten"

Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz begründete die Hochstufung des "Flügels", der seit Anfang 2019 als Verdachtsfall behandelt wurde, unter anderem mit fortlaufend neuen Verstößen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung und das Prinzip der Menschenwürde im Grundgesetz. Minderheiten würden von Vertretern des "Flügels" pauschal ausgegrenzt und herabgewürdigt, der Parlamentarismus verächtlich gemacht, erklärte der Leiter der Abteilung Rechtsextremismus, Joachim Seeger.

Haldenwang begründete die neue Einstufung auch mit einer gestiegenen Bedeutung zentraler Figuren des "Flügels", darunter Höcke und der Brandenburger AfD-Politiker Andreas Kalbitz. "Beide Personen sind Rechtsextremisten", sagte Haldenwang.

Beobachtung von Personen möglich

Die Einstufung als extremistische Bestrebung ermöglicht dem Verfassungsschutz nun, Personen mit nachrichtendienstlichen Mitteln, etwa Observationen und Telefonüberwachungen, zu beobachten. Ob davon auch Abgeordnete wie Höcke und Kalbitz selbst betroffen sind, wollte Haldenwang nicht sagen. Für die Beobachtung von Parlamentariern gelten nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts besondere Hürden.

Das Thüringische Amt für Verfassungsschutz sieht hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung durch die Thüringer AfD. Daher hat das Amt den Landesverband zum Verdachtsfall erklärt. Dies sei das Ergebnis einer 18 Monate dauernden intensiven Sammlung, Prüfung und Auswertung ausschließlich öffentlich zugänglicher Informationen, teilte das Landesamt mit. Für das Thüringer Amt sei es jetzt die dringlichste Frage, ob der "Flügel" mit seinen zentralen Thüringer Führungspersonen und Veranstaltungen auch den AfD-Verband im Freistaat maßgeblich bestimme, sagte Präsident Stephan Kramer.

Jugendorgansisation nicht hochgestuft

Die "Junge Alternative", die vom Bundesamt für Verfassungsschutz ebenfalls geprüft wurde, ist nicht hochgestuft worden. Für eine Einstufung als rechtsextremistische Bestrebung fehlten noch "weitere verdichtende Anhaltspunkte", die beim "Flügel" gegeben seien, sagte Haldenwang. Die Beobachtung gilt auch nicht für die Gesamtpartei.

Haldenwang schloss sich der Aussage von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) an, wonach der Rechtsextremismus derzeit die größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland sei und deutete an, dass auf das Verbot der Vereinigung "Combat 18" weitere Verbote folgen könnten.



Flüchtlingskinder könnten umverteilt werden


Flüchtlingslager Moria auf Lesbos im Februar 2020
epd-bild/Jörn Neumann
Von zwei großen Herausforderungen der EU sprach der Vorsitzende des EU-Innenministerrates am 13. März: Corona und Migration. Mit Blick auf die Migration zeichnet sich zumindest für zahlreiche Flüchtlingskinder eine Lösung ab.

Die ersten Flüchtlingskinder könnten möglicherweise in dieser Woche aus Griechenland auf andere EU-Staaten umverteilt werden. Sie hoffe dies, es sei aber kein Versprechen, erklärte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am 13. März nach einem Treffen der europäischen Innenminister in Brüssel. Dort hatten eine Reihe von Ländern ihre Bereitschaft zur Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger bekräftigt.

Darunter ist Deutschland, wo die Regierungsparteien ihre Teilnahme an einer "Koalition der Willigen" beschlossen hatten. Hilfsorganisationen klagen seit Jahren über die unmenschlichen Bedingungen, unter denen insbesondere Kinder in den griechischen Lagern leben.

"Mindestens 1.600 Aufnahmen"

Am 12. März hatte Johansson bekanntgemacht, dass bislang sieben Mitgliedstaaten mitmachen wollen. Unter ihnen sind etwa Frankreich und Finnland. Bei dem Treffen am 13. März hätten weitere signalisiert, dass sie zur Aufnahme bereit seien oder sie erwägen, sagte die Kommissarin. Es gehe um "mindestens 1.600" Aufnahmen.

Johansson bezog sich nicht nur auf "unbegleitete Minderjährige", sondern auch auf "Kinder und andere verwundbare Gruppen". Es könnte demnach zum Beispiel auch um kranke aber von den Eltern begleitete Kinder gehen. Zudem sprach die Innenkommissarin auch von Umverteilungen aus Malta oder Zypern.

Die EU-Kommission will für die Verteilung mit den nationalen Behörden und der Internationalen Organisation für Migration zusammenarbeiten. Es werde auch geklärt, ob mit Blick auf den Corona-Virus besonderes Handeln nötig sei, sagte Johansson.

Verknüpfung mit Corona-Thema

Der Vorsitzende des EU-Innenministerrats, Kroatiens Innenminister Davor Bozinovic, hatte die Themen schon vorher verknüpft. Man müsse berücksichtigen, was eine Aufnahme angesichts der Verbreitung des Virus in ganz Europa bedeute, sagte Bozinovic vor dem Ministertreffen, bei dem es auch unabhängig von den Flüchtlingen um den Umgang mit Corona ging.

Der Europaabgeordnete Erik Marquardt (Grüne) würdigte die Aufnahmebereitschaft der Koalition der Willigen, mahnte aber zugleich: „Die Mitgliedstaaten dürfen ihre eigentliche Verantwortung nicht hinter einigen Kinderaugen verstecken." Allein im für 3.000 Menschen konzipierten Flüchtlingslager Moria "leben rund 22.000 Schutzsuchende in Schlamm und Elend", erklärte Marquardt, der sich derzeit auf Lesbos aufhält.



Diakonie: Deutschland sollte mehr Kinder aufnehmen


Ulrich Lilie
epd-bild/Jürgen Blume

Der Beschluss der Bundesregierung zur Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Griechenland geht laut der Diakonie nicht weit genug. Der Präsident des evangelischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Lilie, forderte, "sehr viel mehr Menschen aufzunehmen, als derzeit in Rede steht". Andernfalls lasse sich keine "wesentliche Änderung der Situation" in den überfüllten Lagern erreichen, sagte Lilie dem Evangelischen Pressedienst (epd).

In der Nacht zum 9. März hatte die Bundesregierung beschlossen, kranke und unbegleitete Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern zu holen, wenn auch andere EU-Länder zur Aufnahme bereit sind. Im Beschlusspapier des Koalitionsausschusses ist von 1.000 bis 1.500 Kindern die Rede.

Einschränkung "nicht akzeptabel"

Lilie betonte, dass Deutschland in der Lage sei, weit mehr kranken oder unbegleiteten minderjährige Flüchtlingen aus Griechenland eine neue Zukunft zu bieten. Zahlreiche Kommunen, aber auch soziale Träger wie die Diakonie, seien bereit, hier aktiv zu werden.

Zu den von der Regierung genannten Aufnahmekriterien sagte Lilie: "Grundsätzlich ist die Einschränkung auf unbegleitete Minderjährige nur bis zum Alter von 14 Jahren nicht akzeptabel." Auch 15- bis 18-jährige Jugendliche gehörten zu den besonders vulnerablen Gruppen, die man aus den Lagern holen müsse. Das gelte besonders auch für Mädchen und junge Frauen.

Lilie forderte, dass Eltern und Geschwister von schwer kranken Kindern ebenfalls mitkommen dürfen. "Das müsste die Regierung in ihrer Aufnahmeanordnung klären." Zudem stellte er klar, dass Familienzusammenführungsfälle nicht auf die deutsche Aufnahmequote angerechnet werden dürften. "Das ist nicht zulässig, weil ein Recht auf Familienzusammenführung besteht."

Unbürokratisches Auswahlverfahren

Um Kinder und Jugendliche zügig aus den Lagern zu holen, sei die Bundesregierung gefordert. "Das Bundesinnenministerium muss in Absprache mit den Ländern eine Aufnahmeanordnung erstellen, die die Anzahl der Personen und das Verfahren klärt." Dabei sollte unbedingt darauf geachtet werden, dass über die Unterbringung der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nicht nach dem bundesweiten Verteilungsschlüssel entschieden wird. Sie sollte da erfolgen, wo Kapazitäten vorhanden sind: "Hier müssen flexible Lösungen ermöglicht werden."

Lilie warb für ein unbürokratisches Auswahlverfahren in den Lagern durch das UNHCR unter Kooperation mit dem European Asylum Support Office (EASO) und der EU-Kommission. "Wie lange das letztlich dauern wird, hängt davon ab, wie aufwendig das Verfahren gestaltet wird. Das ist schwer vorherzusehen und kann durchaus noch Wochen dauern."

epd-Gespräch: Dirk Baas


Städte erneuern Appell zur Aufnahme von Flüchtlingen

Die NRW-Städte Köln, Düsseldorf und Hamm sowie zwei weitere Kommunen haben in einem offenen Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ihre Bereitschaft bekräftigt, Flüchtlinge aus griechischen Auffanglagern aufzunehmen. Die Stadtoberhäupter aus Köln, Düsseldorf, Hamm, Hannover und Potsdam appellieren damit an die Bundesregierung, Deutschland möge eine Initiative ergreifen und mit weiteren europäischen Partnern gemeinsam einen schnellen und wirksamen Beitrag leisten, wie die Stadt Köln am 12. März mitteilte. Erklärtes Ziel sei es, "die humanitäre Katastrophe an Europas östlicher Außengrenze zu beenden".

Auf europäischem Boden spielten sich Szenen ab, die mit den gemeinsamen Grundwerten der Europäischen Union unvereinbar seien, hieß es. "Unsere Städte sind bereit und in der Lage, zusätzliche geflüchtete Menschen aufzunehmen", schreiben die Unterzeichnenden. Sie verweisen auf die nahende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands im zweiten Halbjahr 2020 und die damit verbundene Führungsverantwortung der Bundesrepublik. Diese Führungsrolle gelte es im Sinne der Humanität jetzt zu übernehmen und so zu ermöglichen, "dass insbesondere die besonders schutzbedürftigen Minderjährigen auf sicherem Wege nach Deutschland kommen können".

Bereits in der vergangenen Woche hatte ein überparteiliches Bündnis von Oberbürgermeistern aus sieben deutschen Städten von der Bundesregierung sofortige Schritte zur Aufnahme von Kindern aus den griechischen Flüchtlingslagern gefordert. Unterzeichnet wurde der Appell von den Stadtoberhäuptern von Köln, Düsseldorf, Potsdam, Hannover, Freiburg im Breisgau, Rottenburg am Neckar und Frankfurt (Oder).



Integration junger Flüchtlinge im Alltag schwierig

Während junge Flüchtlinge sich dank umfangreicher Unterstützung an Schulen integrieren können, fehlt ihnen diese Hilfe häufig im Alltag. Das Einleben in Deutschland werde ihnen oft durch Herausforderungen wie Behördenalltag, Wohnraum, Mobilität und Gesundheitsversorgung erschwert, erklärte die Universität Duisburg-Essen am 10. März. In den Internationalen Förderklassen in den Berufskollegs in NRW erführen Flüchtlinge etwa durch Lehrkräfte und Sozialpädagogen engagierte Hilfe. Für den Alltag fehle aber derartige Unterstützung.

Alltägliche Probleme werden oft als gesamtgesellschaftliche Herausforderung wie etwa bei den Themen Wohnen und Mobilität wahrgenommen, wie aus einem Report des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Hochschule hervorgeht. Oder Hürden, die die Lebenssituation betreffen, würden als privat eingeordnet, wie etwa die soziale Einbettung und familiäre Bindungen.

Wohnungslosigkeit droht

"Junge Geflüchtete erleben teilweise erhebliche Einschränkungen, weil Angebote fehlen", erklärten die IAQ-Forscherinnen Karola Köhling und Marina Ruth. Sie seien auf das Engagement von Mitarbeitern in verschiedenen Institutionen oder Betrieben und aus der Zivilgesellschaft angewiesen. Zudem werde die Hilfe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge lokal sehr unterschiedlich geregelt und oft nur bis zum Alter von 18 Jahren gewährt.

Für junge Männer sei die Wohnsituation schwierig, vor allem, wenn sie nicht aus einer Gemeinschaftsunterkunft ausziehen könnten und dort Rückzugs- und Lernorte fehlten. Schwierige lokale Wohnungsmärkte könnten zudem dazu führen, dass junge Flüchtlinge mit der Volljährigkeit wohnungslos würden, etwa weil die Jugendhilfeleistungen enden. Frauen drohen den Forscherinnen zufolge durch einer Schwangerschaft ausgeschlossen zu werden, da begonnene Sprachkurse und Schulbesuche abgebrochen würden.

Grundlage des IAQ-Reports sind Ergebnisse des IAQ-Forschungsprojekts "Kooperation von Akteuren vorbeugender Sozialpolitik. Eine Analyse am Beispiel der Berufsorientierung jugendlicher Flüchtlinge". Es wurden qualitative Experten-Interviews in 19 Kommunen mit insgesamt 70 Fachleuten aus verschiedenen Institutionen geführt. Ergänzend wurden im Rahmen einer Masterarbeit sieben Vertreter von berufsbildenden Schulen in Bayern und NRW und im Rahmen eines Praktikums sieben Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak interviewt.



Jüdische Gemeinde würdigt langjährigen Verwaltungsdirektor

Der scheidende Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise, ist am 11. März für seine Verdienste um die Erweiterung der Gemeinde und die Integration jüdischer Kontingentflüchtlinge aus Russland gewürdigt worden. In seiner Ära von 33 Jahren sei die Gemeinde von 1.200 auf mehr als 6.000 Mitglieder gewachsen, hob Düsseldorfs Oberbürgermeister Thomas Geisel (SPD) hervor. Die Kindertagesstätte sei für mehr als 160 Kinder die größte der Landeshauptstadt.

Szentei-Heise hatte sich auch für die Gründung der Yitzhak-Rabin-Grundschule sowie des Albert-Einstein-Gymnasiums, nach Frankfurt des zweiten jüdischen Gymnasiums in Deutschland, eingesetzt. Geisel verwies auch darauf, dass Szentei-Heise den "Toleranzwagen" für den Düsseldorfer Rosenmontagszug angeregt, mit Wagenbauer Jacques Tilly konzipiert und mit Vertretern anderer Religionen gestaltet habe.

Michael Rubinstein tritt Nachfolge an

Szentei-Heises Nachfolger wird Michael Rubinstein (47), der bislang den Landesverband der Jüdischen Gemeinden Nordrhein leitet. Der gelernte Medienwirt, der unter anderem in der Künstler-Agentur des ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, arbeitete, ist in Düsseldorf aufgewachsen und leitete die Jüdische Gemeinde Duisburg.

Szentei-Heise, der einer Familie ungarischer Holocaust-Überlebender entstammt, erinnerte an einen der für ihn bewegendsten Momente seiner Arbeit. Dieser habe sich nicht in Düsseldorf, sondern in Berlin ereignet. Unweit des Hauses der Wannseekonferenz, wo Nationalsozialisten 1942 die Vernichtung des europäischen Judentums beschlossen hatten, habe er einen frommen amerikanischen Juden beten sehen und sei überwältigt gewesen, schilderte er.

Besorgt über rechte Kräfte in Deutschland

Szentei-Heise hatte sich im WDR kurz vor seiner Verabschiedung noch skeptisch geäußert, ob er auf Dauer in Deutschland leben wolle. Für eine Bundestagswahl im Jahr 2025 befürchte er, dass rechte Kräfte an einer Regierung beteiligt werden könnten. Oberbürgermeister Geisel ging in seiner Rede auf dem Düsseldorfer Festakt auf einen "Rekord ein, auf den wir gar nicht stolz sind": "Düsseldorf steht auf der Liste antisemitischer Vergehen an vorderer Stelle." Geisel sagte zu, die "Werte der Zivilisation in der Stadt hochzuhalten".

Auch der Direktor der Düsseldorfer Diakonie, Thorsten Nolting, würdigte Szentei-Heises Engagement für die Integration jüdischer Sowjetbürger, die heute rund 90 Prozent der jüdischen Gemeindemitglieder ausmachen. Dass sie in Düsseldorf gut integriert sind, sei nicht zuletzt das Werk des Verwaltungsdirektors der Gemeinde mit 200 Mitarbeitern, sagte Nolting. Damit habe er eine Düsseldorfer Tradition fortgesetzt. "Wenn es um Zivilisation geht, haben Jüdinnen und Juden in dieser Stadt eine zentrale Rolle gespielt."



Bündnis fordert Rüstungsexportstopp für Jemen-Militärkoalition

Ein Bündnis von 32 Organisationen aus der Entwicklungs-, Friedens- und Menschenrechtspolitik fordert einen Rüstungsexportstopp für alle Länder, die sich an der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition im Jemen-Krieg beteiligen. "Es braucht ein umfassendes, rechtlich verbindliches und zeitlich nicht befristetes Rüstungsexportverbot für alle Mitglieder der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition", erklären die Unterzeichner in einem am Freitag veröffentlichten Brief an den Bundessicherheitsrat. Hintergrund des Schreibens ist, dass das von der Bundesregierung verhängte Rüstungsexportmoratorium gegen Saudi-Arabien am 31. März endet.

Unterzeichnet wurde der Brief unter anderem von Care, der Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden, Brot für die Welt, Greenpeace Deutschland, Amnesty International Deutschland und Terre des Hommes. Der Beginn des Bürgerkrieges im Jemen jähre sich 2020 zum fünften Mal, heißt es in dem Brief. Im vergangenen Jahr habe es mehr als 3.000 direkte Todesopfer in dem Land gegeben.

24 Millionen Menschen, davon 12,3 Millionen Kinder, seien auf humanitäre Hilfe angewiesen. Zehn Millionen Menschen litten an Hunger, 3,2 Millionen seien akut mangelernährt. "Gleichzeitig genehmigte die Bundesregierung von 2015 bis 2019 für Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Jordanien und weitere Mitglieder der von Saudi-Arabien angeführten Militärkoalition Rüstungsexporte in Höhe von insgesamt mehr als sechs Milliarden Euro", kritisieren die Organisationen.

Jeden Tag träten die Kriegsparteien im Jemen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht mit Füßen, heißt es in dem Brief. Rüstungsexportgenehmigungen in Länder, die an der Militärkoalition im Jemen beteiligt sind, stünden deshalb "im eklatanten Widerspruch zu selbst gesetzten Vorgaben der Bundesregierung sowie nationalen, europäischen und internationalen rechtlichen Verpflichtungen".

Im Jemen kämpft die Regierung seit 2015 mit Hilfe der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition gegen die Huthi-Rebellen, die Unterstützung aus dem Iran erhalten. UN-Ermittler werfen allen Konfliktparteien vor, Kriegsverbrechen zu begehen. Der Angriff auf zivile Ziele ist laut Völkerrecht verboten.



Strafecht: Regierung will diskriminierende Begriffe ersetzen

Die Bundesregierung will veraltete und heute als diskriminierend verstandene Begriffe wie "Abartigkeit" aus dem deutschen Strafrechtskatalog tilgen. Wie das Bundesjustizministerium in Berlin mitteilte, hat das Kabinett am 11. März einen Entwurf auf den Weg gebracht, der für zeitgemäße Formulierungen in Gesetzbüchern sorgen soll.

Insbesondere sollen im Paragrafen 20 im Strafgesetzbuch, in dem es um die Schuldunfähigkeit aufgrund seelischer Störungen geht, Veränderungen her. Die Begriffe "Schwachsinn" und "Abartigkeit" sollen den Angaben zufolge durch die Worte "Intelligenzminderung" und "Störung" ersetzt werden. "Unsere Rechtsordnung darf niemanden diskriminieren. Das muss auch in der Wortwahl der Gesetze zum Ausdruck kommen", sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).

Auch im Ausland strafbar

Zudem will die Justizministerin den Begriff "Schriften" im Strafrecht ablösen, weil die Verbreitung krimineller Inhalte wie Volksverhetzung oder Missbrauchsdarstellungen von Kindern nicht mehr nur über gedruckte, sondern vielmehr über digitale Ausspielwege erfolgt. Als Ersatz für Schriften soll im Strafgesetzbuch dann von "Inhalten" oder "Verkörperungen eines Inhalts" die Rede sein.

Dem Entwurf zufolge sollen Straftaten wie das Verbreiten von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder Volksverhetzungen künftig auch bei Handlungen im Ausland strafbar sein, etwa wenn Deutsche aus dem Ausland im Internet solche Inhalte verbreiten. Der Bundestag muss über die geplanten Änderungen noch beraten.



UN: Klimawandel schreitet ungebremst voran


Hitzewellen und Trockenheit haben der deutschen Landwirtschaft in den vergangenen Sommern zugesetzt.
epd-bild/Stephan Krems
Der Januar 2020 ist laut den Vereinten Nationen der wärmste jemals erfasst erste Monat in einem Jahr gewesen.

Der Klimawandel schreitet einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge ungebremst voran. Die Zeitspanne von 2015 bis 2019 sei der wärmste jemals gemessene Fünfjahreszeitraum und die Zeitspanne von 2010 bis 2019 sei das wärmste jemals erfasste Jahrzehnt, teilte die Weltwetterorganisation der UN am 10. März in New York mit. Das Jahr 2019 weise die zweithöchste erfasste durchschnittliche Temperatur auf, sie habe um 1,1 Grad Celsius über den geschätzten vorindustriellen Werten gelegen.

Nur 2016 sei eine noch höhere durchschnittliche Temperatur als 2019 gemessen worden. Allerdings habe 2016 das sehr starke Wetterphänomen El Niño den Anstieg der Temperatur zusätzlich vorangetrieben.

Weit vom Ziel des Pariser Abkommens entfernt

UN-Generalsekretär António Guterres betonte in dem Vorwort des Reports, dass die Welt weit von der Erreichung der Temperaturziele des Pariser Klimaabkommens entfernt sei. Das Klimaabkommen setzt das Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius, wenn möglich sogar auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen.

Da die Konzentration der klimaschädlichen Treibhausgase in der Atmosphäre weiter steige, würden auch die Temperaturen weiter steigen, hieß es von der Weltwetterorganisation. Das führe zu einem weiteren Schmelzen der Gletscher und Eisschichten, zu einem Anstieg des Meeresspiegels sowie zu Dürren und Hitzewellen.



Zu hohe Stickstoffdioxidbelastung in Hagen und Dortmund


Auspuff mit Autoabgasen
epd-bild/ Heike Lyding

Die Belastung mit Stickstoffdioxid (CO2) liegt an drei Stellen in Dortmund und Hagen noch über dem EU-Grenzwert. Insgesamt seien die Werte im Regierungsbezirk Arnsberg aber deutlich zurückgegangen, erklärte die Bezirksregierung am 10. März in Arnsberg. Nur an drei Messstellen in Dortmund und Hagen habe man höhere Werte als den zulässigen EU-Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter gemessen. Es werde aber auch dort - voraussichtlich bereits 2020 - davon ausgegangen, dass der Grenzwert eingehalten werde.

2018 hätten neben Hagen und Dortmund mit Bochum, Herne, Schwerte, Siegen und Witten noch sieben Städte über dem zulässigen Grenzwert gelegen. Die an den Messstellen des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) gemessene Belastung sei 2019 zwischen drei und zehn Mikrogramm pro Kubikmeter zurückgegangen. Der höchste gemessene Wert lag den Angaben zufolge bei 45 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Die gesunkene Belastung sei Folge verschiedener Maßnahmen: Die Kommunen beschränkten etwa das Tempo, sperrten Strecken für Lastkraftwagen und rüsteten Fahrzeuge mit Filtersystemen nach. Zudem würden die Elektromobilität sowie alternative Verkehrsangebote ausgebaut und gefördert, darunter der öffentliche Nahverkehr sowie Rad- und Fußverkehr.



Wölfin "Gloria" darf vorerst in NRW bleiben

Die Wölfin "Gloria" darf vorerst im Kreis Wesel bleiben. Sie werde weder aus dem niederrheinischen Wolfsgebiet Schermbeck entfernt noch vertrieben, teilte das nordrhein-westfälische Umweltministerium am 9. März in Düsseldorf mit. Das habe der für das Gebiet zuständige Kreis Wesel entschieden, nachdem er einen Antrag auf Entnahme und Vergrämung des Wildtieres geprüft hatte. Unter den gegebenen Umständen sei das nicht zu rechtfertigen, erklärte Landrat Ansgar Müller (SPD). Mit Maßnahmen zum Schutz von Herdentieren wie Schafen gebe es zumutbare Alternativen zur Entnahme oder Vertreibung der Wölfin.

Besserer Herdenschutz

Die Tierhalter in dem Gebiet zwischen Niederrhein und westfälischen Münsterland verbesserten zudem immer mehr den Herdenschutz, sagte Thomas Delschen, Präsident des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV). Die Nutztiere, die gerissen worden seien, hätten auf Weiden gestanden, an denen die Empfehlungen des Bundesamtes für Naturschutz zur Prävention nicht berücksichtigt worden seien. Zuletzt hatte die Wölfin den Angaben zufolge in der Nacht zum 19. Dezember und an Heiligabend Schafe getötet.

Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) erklärte, in NRW sei künftig mit weiteren Wolfsansiedlungen zu rechnen. "Ziel unserer Naturschutzpolitik ist, zu lernen, mit dem Wolf zu leben und unsere Weidetierhaltung dafür bestmöglich vorzubereiten", stellte sie klar.

Bisher gibt es in NRW die drei Wolfsgebiete Schermbeck, Senne und Eifel. Entsprechend der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ist der Wolf nach dem Bundesnaturschutzgesetz streng geschützt. Die Tiere waren in Deutschland über 150 Jahre lang ausgestorben. In den 1990er Jahren wurde wieder der erste Wolf in Deutschland, im Jahre 2000 wieder ein Rudel nachgewiesen. 2009 gab es den ersten Nachweis eines Wolfs in Nordrhein-Westfalen.




Soziales

Ethikrat befürwortet Einsatz von Robotik in der Altenpflege


Roboter "Robby" könnte in Altenheimen eingesetzt werden (Archivbild).
epd-bild/Guido Schiefer
Maschinen, die Menschen pflegen: Das ist ein Horrorszenario, wenn es um Roboter-Technik in der Altenpflege geht. Der Deutsche Ethikrat hebt die Chancen der digitalen Assistenz hervor, wenn sie nicht dazu missbraucht wird, Menschen zu ersetzen.

Der Deutsche Ethikrat befürwortet den Einsatz von mehr Roboter-Technik in der Altenpflege, sofern der Mensch im Mittelpunkt steht. In seiner am 10. März in Berlin vorgestellten Stellungnahme "Robotik für gute Pflege" sprechen die Expertinnen und Experten Empfehlungen aus. Technik dürfe niemals Pflegepersonal oder die zwischenmenschliche Beziehung in der Pflege ersetzen. Sei das gewährleistet könne Robotik pflegebedürftigen Menschen zu einer höheren Lebensqualität verhelfen und die Arbeit von Pflegekräften und Angehörigen erleichtern, erklärt der Ethikrat.

Viele Befürchtungen seien berechtigt, es dürften über den Risiken aber nicht die Chancen übersehen werden, erklärte der Ethikrats-Vorsitzende Peter Dabrock: "Menschlichkeit und Technik müssen kein Gegensatz sein." Die Expertise stieß bei Parteien und Verbänden auf Zustimmung.

Entlastung bei anstrengenden Tätigkeiten

Roboter dürften nicht gegen den Willen der Gepflegten oder der Pflegenden eingesetzt werden und auch nicht, um die Effizienz einer Pflegeeinrichtung zu steigern. Vielmehr bestehe dann die Gefahr einer noch stärkeren Arbeitsverdichtung. Robotik in der Altenpflege sei kein Weg, um Personalengpässe zu beseitigen, stellt der Ethikrat fest.

So könnten Assistenz-Roboter Pflegekräfte und Angehörige bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten wie dem Heben von Patienten entlasten und unter Umständen den Umzug in ein Heim hinauszögern. Auch Monitoring-Techniken zur Überwachung von Körperfunktionen oder Sensoren, die einen Sturz melden, könnten dazu beitragen, dass pflegebedürftige Menschen länger zu Hause bleiben können - allerdings nur, wenn dies nicht zu sozialer Isolation führe. Begleit-Roboter in Gestalt von Tieren wie die Robbe "Paro" könnten demenzkranke Menschen aktivieren oder beruhigen. Das sei inzwischen erwiesen, erklärte die Berliner Gerontologin Adelheid Kuhlmey, die der Technik selbst skeptisch gegenüberstand. Es sei aber nicht vertretbar, die emotionalen Bedürfnisse von Menschen durch Maschinen stillen zu lassen.

Soziale Ungleichheit nicht vergrößern

Der Ethikrat fordert, hilfsbedürftige Menschen und Pflegekräfte in die Entwicklung neuer robotischer Hilfsmittel einzubeziehen. Für eine gute Pflege gehe nicht darum, was technisch machbar sei, sondern was gebraucht werde. Die Finanzierung und der Einsatz von Robotik dürfe nicht dazu führen, dass in anderen Bereichen der Pflege Mittel gekürzt würden. Pflegeeinrichtungen sollten in ihren Leitlinien bestimmen, wo und in welchem Umfang Roboter-Technik zum Einsatz kommen kann - und wo nicht.

Bei der Zulassung zur Finanzierung durch die Kranken- und Pflegekassen müssten der Gesetzgeber und die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen sicherstellen, dass alle Patienten gleichermaßen Zugang zu den neuen technischen Hilfsmitteln erhalten. Pflege-Robotik dürfe die soziale Ungleichheit nicht vergrößern, erklärte der Leiter der Robotik-Arbeitsgruppe, der Heidelberger Gerontologe Andreas Kruse.

Der Deutsche Caritasverband begrüßte die Stellungnahme und erklärte, es müssten konkrete Kriterien für den Einsatz von Robotern in der Pflege entwickelt werden. Die Linksfraktion im Bundestag forderte die Bundesregierung auf sicherzustellen, dass nicht die Pflegebedürftigen selbst für die Einführung neuer Technik aufkommen müssen. Die Grünen erneuerten ihre Forderung nach einem Innovationsfonds für die Pflege.

In Deutschland leben rund 3,5 Millionen pflegebedürftige Menschen, von denen zwei Drittel von ihren Angehörigen versorgt werden. Bis zum Jahr 2050 wird mit mindestens fünf Millionen Pflegebedürftigen gerechnet. Eine Bestandsaufnahme der bereits verfügbaren Roboter-Technik und ihrer Anwendung in Pflegeheimen und Privathaushalten ist nicht Bestandteil der Expertise des Ethikrats.



Nach Sterbehilfe-Urteil: Ärztekammern fordern klare Regeln


Eine Schwester reinigt den Mund eines schwerstkranken Patientenmit einem kleinen Schwamm.
epd-bild / Werner Krüper
Das Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts und seine Folgen für die Mediziner beschäftigt derzeit intensiv die Ärzteschaft. In einer epd-Umfrage hoben die Landesärztekammern vor allem hervor, dass Ärzte auch nach dem höchstrichterlichen Urteil nicht zur Beihilfe zum Suizid verpflichtet sind.

"Diese Diskussionen werden sicherlich zu einer Grundsatzdebatte auf dem Deutschen Ärztetag im Mai in Mainz führen", teilte die Ärztekammer Nordrhein dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Düsseldorf mit. Inwieweit das Karlsruher Urteil eine Anpassung des ärztlichen Berufsrechts erforderlich mache, wird nach Angaben der Bundesärztekammer (BÄK) in deren Gremien beraten.

In der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer heißt es in Paragraf 16: "Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten."

Selbstbestimmungsrecht

Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende Februar das Verbot organisierter Sterbehilfe zum Suizid gekippt. Die Richter erklärten die bisherige Regelung in Paragraf 217 Strafgesetzbuch für verfassungswidrig, weil sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht einschränke. Damit ebneten sie den Weg dafür, Beihilfe zur Selbsttötung straffrei zu stellen. In der Urteilsbegründung heißt es wörtlich: "Paragraf 217 Strafgesetzbuch verletzt Grundrechte von Personen und Vereinigungen, die Suizidhilfe leisten möchten." Geklagt hatten schwerstkranke Menschen, Sterbehilfe-Vereine und Ärzte, weil sie im bisherigen Recht eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Berufsfreiheit sehen.

In einer Umfrage des Evangelischen Pressedienstes hoben Landesärztekammern hervor, dass auch zukünftig kein Arzt zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden könne. So hat etwa die Ärztekammer Sachsen-Anhalt "positiv die Feststellung des Gerichts aufgenommen, dass Ärztinnen und Ärzte keine Verpflichtung zur Suizidhilfe trifft".

Die Ärztekammer Nordrhein betonte, Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten sei es, unter Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen. "Die Beihilfe zum Suizid gehört damit auch in Zukunft ganz grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten."

An der Grenze zwischen Leben und Tod

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe forderte klarere Regeln des Gesetzgebers. So müsse künftig deutlicher unterschieden werden zwischen dem Sterbewunsch eines nicht kranken Menschen und Situationen, in denen schwer kranke Patienten an der Grenze zwischen Leben und Tod durch Ärzte palliativmedizinisch begleitet würden, erklärte die Kammer auf epd-Anfrage. "Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, hier für Klarheit zu sorgen - auch im Sinne eines klaren Handlungsrahmens für Ärztinnen und Ärzte."

Die Landesärztekammer Niedersachsen sieht nach dem Urteil den Gesetzgeber und die Abgeordneten des Deutschen Bundestags "erneut aufgefordert, das zu regeln, was sie eigentlich regeln wollten: das Verbot der sogenannten Sterbehilfevereine, welche geschäftsmäßig Suizidbeihilfe anbieten". Aus Sicht der sächsischen Ärztekammer sollte der Gesetzgeber "insbesondere Regelungen schaffen, die Sterbehilfeeinrichtungen verhindern".

Die Landesärztekammer Rheinland-Pfalz sieht die Politik gefordert, die Selbstbestimmung über das Ende des eigenen Lebens und mögliche Einschränkungen rechtssicher zu gestalten. "Die Gesellschaft als Ganzes muss zudem Mittel und Wege finden, die verhindern, dass die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung des Suizids führt", hieß es.

Nach der Auffassung der Landesärztekammer Sachsen-Anhalt "legen Patienten fast ausnahmslos ihren Sterbewunsch ab, wenn sie palliativmedizinisch versorgt werden". Daher sei es wichtig, dass eine ausreichende Palliativversorgung aller Patienten gewährleistet werde.



Angespartes Pflegegeld muss für Berufsbetreuer ausgegeben werden

Unter Betreuung stehende Menschen müssen ihr angespartes Pflegegeld grundsätzlich für die Bezahlung ihres Berufsbetreuers einsetzen. Der Einsatz eines angesparten Vermögens stellt keine besondere Härte dar, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in einem am 12. März veröffentlichten Beschluss in Karlsruhe. (AZ: XII ZB 500/19) Damit kann dem Betreuten lediglich noch ein Schonvermögen verbleiben.

Im jetzt entschiedenen Fall ging es um eine aus Köln stammende Frau, die seit Jahren unter Betreuung steht und auf Sozialhilfeleistungen angewiesen ist. Die Betreuung übt eine Berufsbetreuerin aus, für deren Vergütung die Landeskasse aufkam. Doch nun sollte sich die betreute Frau an der Finanzierung beteiligen.

Denn sie hatte aus ihrem monatlichen Pflegegeld ein Vermögen angespart. Dieses müsse oberhalb des Schonbetrags von 5.000 Euro für die Berufsbetreuervergütung verwendet werden, erklärte die Landeskasse. Konkret sollte die Frau 1.105 Euro zahlen. Die Berufsbetreuerin hielt dies für rechtswidrig und zog für die Frau vor Gericht.

Der BGH entschied jedoch, dass oberhalb des Schonvermögens die bestehenden Mittel für die Berufsbetreuervergütung verwendet werden müssten. Woher das Vermögen stamme, sei hier unerheblich.

Der Zweck von Pflegegeld sei es, im laufenden Monat Pflegemaßnahmen bezahlen zu können. Sei der Pflegebedarf von dem Pflegegeld in einem Monat aber bereits gedeckt worden, stelle der so verbliebene und angesparte Betrag Vermögen dar, das für die Betreuervergütung eingesetzt werden müsse. Die betreute Klägerin könne lediglich einen Schonbetrag in Höhe von 5.000 Euro behalten



Frauen verdienen 20 Prozent weniger als Männer


In den meisten Familien bleiben immer noch die Mütter zu Hause und kümmern sich um das Kind.
epd-bild/Maike Glöckner

In diesem Jahr fällt der Equal Pay Day auf den 17. März. Bis zu diesem Tag müssen Frauen über das alte Jahr hinaus arbeiten, um dasselbe Gehalt zu erzielen, das Männer bereits im Jahr 2019 verdient haben. Die Gehaltslücke von rund 20 Prozent lässt sich nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung nur zum Teil damit erklären, dass die Entgelte in Berufen mit einem hohen Frauenanteil oft geringer ausfallen als in traditionellen Männerdomänen wie den technischen Berufen. Wie die gewerkschaftsnahe Stiftung am 13. März in Düsseldorf mitteilte, hinkt das Gehalt von Frauen dem Verdienst von Männern oft auch dann hinterher, wenn beide dem gleichen Beruf nachgehen und dort den gleichen Erfahrungsschatz gesammelt haben.

Gehaltslücke zwischen Filialleitern und Filialleiterinnen besonders groß

Mit 18 Prozent ist die Lücke laut Statistik zwischen Filialleitern und Filialleiterinnen besonders groß: Hier verdienen Männer mit zehn Jahren Berufserfahrung im Vollzeitjob durchschnittlich 3.220 Euro brutto im Monat, Frauen hingegen nur 2.640 Euro. Deutlich kleiner ist nach den Angaben mit sechs Prozent der Abstand für Erzieherinnen und Erzieher. Sozialpädagoginnen haben einen Rückstand von sieben Prozent gegenüber Sozialpädagogen. Für andere in Deutschland weit verbreitete Berufe - beispielsweise Bürokaufleute, Juristen und Industriekaufleute - beträgt der sogenannte Gender Pay Gap bei gleicher Berufserfahrung jeweils zehn Prozent oder mehr.

Unbezahlte Sorgearbeit zu Hause

Ein wesentlicher Grund für den Gehaltsrückstand von Frauen sei die ungleiche Aufteilung der unbezahlten Sorgearbeit zu Hause - etwa bei der Kinderbetreuung. "Frauen weichen deshalb im Job oft auf Teilzeit aus, was langfristig mit deutlichen Einbußen bei den Stundenlöhnen verbunden ist", erklärt Karin Schulze Buschoff vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Auch blanke Diskriminierung von Frauen durch einzelne Arbeitgeber spiele eine Rolle. "Dazu kommt es insbesondere dann, wenn es im Betrieb keine klaren und transparenten Regeln zur Entgeltstruktur gibt", sagt Schulze Buschoff. Das Entgelttransparenzgesetz sollte dem zwar entgegenwirken, es werde aber in der Praxis bisher nur wenig genutzt und habe deshalb bisher keine spürbaren Effekte gezeigt.

Der beste Weg zu fairen und für alle transparenten Löhnen seien Tarifverträge, sagt Malte Lübker, Experte für Tarif- und Einkommensanalysen am WSI. "Tarifverträge unterscheiden nicht zwischen Männern und Frauen." Die WSI-Forscher beobachten deshalb mit Sorge, dass in Deutschland die Tarifbindung auf zuletzt 54 Prozent (2018) gesunken ist. Im Jahr 2000 betrug der Anteil der Beschäftigten in tarifgebundenen Betrieben noch 68 Prozent.



Osterpostamt startet trotz Corona-Krise in neue Saison


Deutschlands ältestes und größtes Osterpostamt steht in Zeven bei Bremen.
epd-bild /Deutsche Post

Trotz Corona-Krise hat Deutschlands ältestes und größtes Osterpostamt am 16. März in Zeven bei Bremen seine Arbeit aufgenommen und lädt Kinder dazu ein, dem Osterhasen zu schreiben. Es seien bereits mehr als 5.000 Briefe aus vielen Ländern der Welt eingetroffen, sagte der Leiter der Aktion, Hans-Hermann Dunker, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Darunter sei auch Post aus Ländern wie China und Italien, die besonders vom Coronavirus betroffen seien. Postsprecher Stefan Laetsch ergänzte, gerade wegen der Corona-Krise sei das Team im Osterpostamt besonders motiviert: "Wir wollen den Kindern eine Freude machen."

Denn nach wie vor gilt das Versprechen: Wer dem Osterhasen Hanni Hase unter der Adresse Am Waldrand 12 in 27404 Ostereistedt schreibt, der bekommt garantiert vor dem Fest eine Antwort. Die Briefe sollten allerdings bis zum 6. April im Osterpostamt eintreffen und mit einem Absender versehen werden, hieß es. Noch sei Corona in den Briefen der Kinder kein großes Thema, sagte Dunker. "Aber ein Mädchen hat sich und ihrer Familie angesichts der Epidemie vom Osterhasen bereits Gesundheit gewünscht."

Verschärfte Hygieneregeln

Die Antwortschreiben bearbeitet ein Team von zwölf Ehrenamtlichen, in diesem Jahr im Alter zwischen Mitte 20 und 90. "Das machen wir diesmal unter verschärfter Einhaltung der Hygieneregeln", erläuterte Dunker, der selbst schon 81 Jahre alt ist. "Zur Begrüßung geben wir uns nicht die Hand, nehmen uns auch nicht in die Arme, sondern stupsen uns höchstens mit den Ellbogen an", beschrieb er die Situation und ergänzte: "Das ist schon komisch." Dunker leitet das Osterpostamt in diesem Jahr zum letzten Mal. Künftig übernimmt seine Kollegin Doris Kröger (60).

Die Aktion wird seit 38 Jahren von der Post organisiert. Im vergangenen Jahr erreichten den Angaben zufolge mehr als 40.500 Sendungen das Postamt, oft verbunden mit einem Wunschzettel für den Osterhasen. Sie kamen zumeist aus Deutschland und Europa, fast 1.500 stammten aus dem Ausland.

Seit 1982 senden in der Mehrzahl Kinder oft bunt bemalte Briefe und Karten an den Osterhasen in Ostereistedt. Heute gibt es dort gar kein Postamt mehr. Die Sendungen werden deshalb im benachbarten Zeven bearbeitet



Der digitale Marktplatz soll neues Leben ins Dorf bringen


Ortseingang von Gemünden im Taunus.
epd-bild/Dirk Baas
Mit einem neuen Projekt will die Diakonie dörfliche Gemeinschaften beleben. Fünf Standorte erproben "digitale Marktplätze": Aus Vernetzungen im Internet sollen reale Begegnungen werden. Im Hintertaunus ist man voller Hoffnung.

An der Einfahrt ins Dorf Gemünden grüßt neben dem Sattelbach am Straßenrand ein fast mannshohes Schild aus Holz: "Willkommen" ist aus einer Silhouette von Kirche und Fachwerkhäusern herausgeschnitzt. Die einst weiße Farbe der gotischen Buchstaben ist einem verwitterten Grau gewichen. Auch von der einst bunten Bemalung der üppigen Sonnenblumen und des Ortswappens ist nicht mehr viel übrig - Sinnbild besserer Tage, als in der Dorfgemeinschaft von Landflucht und Überalterung noch nicht die Rede war.

Gemünden mit seinen knapp 500 Einwohnern gehört zur Gemeinde Weilrod im hessischen Hintertaunus. Hier gibt es eigentlich nur eins: Landschaft. Deshalb will die Diakonie helfen, dem schwächelnden Dorfleben hier und anderswo neuen Elan zu geben - mit der Technik des 21. Jahrhunderts. In einem Modellprojekt mit insgesamt fünf diakonischen Trägern in mehreren Bundesländern wird ein Jahr lang getestet, wie sich das dörfliche Miteinander via Internet zu neuer Blüte führen lässt. Hoffnungsvoller Titel: "Dörfer mit Zukunft".

Es soll eine "digitale Dorfgemeinschaft" entstehen. Dazu kooperiert die Diakonie mit der Internetplattform "nebenan.de", die nach eigenen Angaben rund 1,3 Millionen aktive Nutzer hat. Lokale "Reallabore" testen, ob sich via Internet Kontakte zwischen den Dörflern anbahnen lassen.

"Persönliche Begegnungen bleiben Dreh- und Angelpunkt"

Es gehe um eine professionell angeleitete Vernetzung aller Akteure im Dorf: Bürger, Vereine, Gewerbetreibende und Kirchengemeinden, sagt Maria Loheide, Vorständin der Diakonie in Berlin. Aber sie betont: "Dreh- und Angelpunkt bleiben persönliche Begegnungen." Diese sollen durch die Internetplattform erleichtert werden. Die digitale Vernetzung in der Nachbarschaft könne auch in Notsituationen hilfreich sein, wie sich im Umgang mit dem Coronavirus zeige, erklärt Loheide: "Nachbarschaften solidarisieren sich in den sozialen Medien, bieten schnelle Hilfe für alte und immungeschwächte Menschen an."

Für Streetworker Maurice Hellbaum von der Evangelischen Jugendhilfe Münsterland, die ebenfalls Projektteilnehmer ist, ermöglicht das Projekt "eine neue Perspektive auf den Nahraum". Durch soziale Medien bestehe zwar die Möglichkeit, Menschen aus aller Welt kennenzulernen, "aber kennt man auch noch seine Nachbarn?"

Ende März ist der Projektauftakt in Gemünden geplant. Dort hängt am Eingang neben den Toren des Feuerwehrgerätehauses ein Schild: "Aktivitätenhaus/Familienzentrum Weilrod" des Diakonischen Werkes Hochtaunus. Hier arbeitet Kathrin Ehrmann, die das Digitalprojekt mit Verve koordiniert.

Mangelnde Kommunikation

Abgehängte oder gar sterbende Dörfer? Solche Begriffe kommen der schnellsprechenden Diplom-Pädagogin mit den halblangen braunen Haaren nicht über die Lippen. Die klängen zu negativ, sagt sie, und sie entsprächen auch nicht der Realität. In Weilrod gebe es "weit mehr engagierte Leute als ich selbst je vermutet hätte". Als sie 2018 für die Diakonie begann, ein Familienzentrum aufzubauen und die soziale Dorfentwicklung zu fördern, sei sie regelrecht baff gewesen, was es alles gab: Sportvereine, Feuerwehr, Flüchtlingshilfe, Landfrauen, Schützenvereine und Angebote der Kirchen.

Aber, erklärt Ehrmann: "Oft weiß Person A nichts von Person B. Die Bewohner kriegen einfach nicht mit, wer wann zu was einlädt." Es fehlten schlicht die Kommunikations- und Informationskanäle: "Die Presse bringt die Texte einmal, das war's. Dann bleibt nur noch der Aushang beim Rewe-Markt. Das kann es doch nicht sein."

Monika Nickel-Schuhmacher ist Rentnerin und stammt aus Gemünden. Sie pendelte jahrelang zur Arbeit bei der DHL ins nahe Rhein-Main-Gebiet, jeden Tag 60 Kilometer. "Es gab früher ein reges Vereinsleben und viele Menschen, die sich gerne in die Gemeinschaft eingebracht haben", erinnert sich die Kirchenvorsteherin. Da sei man selbst automatisch reingewachsen. "Heute fehlt der Zusammenhalt, weil jeder sein eigenes Ding macht", befindet die Rentnerin: "Die Egomanie ist groß geworden."

Von der digitalen in die analoge Welt

Doch Resignation sei keine Lösung, betont Nickel-Schuhmacher: "Als Mensch und als Christin sagt mir mein Gefühl, dass wir die Situation im Dorf ändern müssen und das auch können." Das Internet biete dazu gute Möglichkeiten, die müsse man nutzen: "Ich will eingreifen, wo ich etwas bewegen kann."

"Wenn sich die Bürger bei nebenan.de anmelden, können sie privat oder auch als Verein Such- und Kontaktanfragen veröffentlichen und Infos austauschen", erklärt Kathrin Ehrmann. Für Senioren werde es spezielle Schulungen geben. Vereine, Gruppen und Verbände könnten auch die Dorfgrenze überwinden und sich auf einer ganz neuen Ebene präsentieren. Knackpunkt: Es müssen möglichst viele Bürger mitmachen, damit die Kontaktbörse interessant wird.

Sozialpädagogin Maike Tepper leitet das diakonische Familienzentrum im schleswig-holsteinischen Ratzeburg, ein weiterer Projektteilnehmer. Sie hofft, "dass Menschen, die heute verstärkt digital unterwegs sind, auch in die analoge Welt starten", wie sie sagt. Der digitale Marktplatz sei auch optimal, um Tauschbörsen, digitale und analoge Flohmärkte oder Spielabende zu organisieren. Schließlich gehe es darum, Isolierung zu überwinden - und Jung und Alt zu verbinden.

Und Maurice Hellbaum sagt: "Ich wünsche mir, dass zum Projektende eine nachhaltig belebte Nachbarschaft entstanden ist, sowohl im digitalen als auch im physischen Raum." Jeder könne über nebenan.de seine eigenen Ressourcen bekanntmachen. "Dadurch können die Menschen ihre Gemeinsamkeiten entdecken, nachbarschaftliche Hilfen anbieten oder auch erhalten." Doch für Vorständin Maria Loheide ist auch klar: "Die Dörfer sind gefragt, sich selbst zu organisieren."

Dirk Baas (epd)


Mit Werkswohnungen gegen den Fachkräftemangel

Der Fachkräftemangel weckt bei Arbeitgebern die Fantasie: Weil Sozialbetriebe im Raum München für offene Stellen keine neuen Mitarbeiter finden, bieten sie ihnen nun zusätzlich zum Job bezahlbaren Wohnraum an. Als Genossen auf dem Wohnungsmarkt.

"Suche preisgünstige Zwei-Zimmer-Wohnung": Solche Mietgesuche finden sich oft an den Laternenmasten im Landkreis Dachau. In München und Umgebung gestaltet sich die Wohnungssuche für Menschen mit kleineren bis mittleren Einkommen als Problem – zum Beispiel für jene in Sozialberufen. Nun kümmert sich eine neue Genossenschaft um Wohnraum für Pflegerinnen und Pfleger. Das Ungewöhnliche: Die Genossen sind die Arbeitgeber. "Wir verstehen das auch als Modellprojekt für andere Regionen", sagt Bernhard Seidenath, Initiator und CSU-Landtagsabgeordneter.

Er sieht in dem von ihm angeschobenen Projekt mit dem Namen "Habt ein Herz für soziale Berufe – Wohnungsvermittlung für Menschen in Sozial- und Gesundheitsfachberufen im Landkreis Dachau" viele Vorteile: Auf diese Weise finden Menschen in Sozialberufen eine bezahlbare Wohnung. Die Vermieter haben in der Genossenschaft einen verlässlichen Ansprech- und Vertragspartner. Arbeitgeber, die Mitarbeitern Wohnraum bieten, steigern ihre Attraktivität. Und die Region profitiert von den personell gut ausgestatteten Sozialdiensten. Denn das größte Problem bei der Suche nach Arbeitskräften sei das Wohnungsproblem, erklärt der Landtagsabgeordnete. Und das bei etwa 1.800 leerstehenden Wohnungen im Landkreis Dachau.

Drogeriekette baut Wohnungen

Die Genossenschaft der Sozialträger versucht also, durch das Angebot bezahlbaren Wohnraums das Problem des Fachkräftemangels zu lösen. In der Landeshauptstadt München gehen die kommunalen Behörden einen ähnlichen Weg und treten als Mieter auf, um Wohnungen für Verwaltungsangestellte zu rekrutieren. In Hamburg hat eine Drogeriemarktkette sogar damit begonnen, Wohnungen für ihre Mitarbeiter zu bauen. Auch die Aufbaugemeinschaft Espelkamp bei Minden will für junge Fachkräfte mit "Wunsch-Wohnungen" in einer extra gebauten Wohnanlage Anreize schaffen, aufs Land zu ziehen.

Für den Landkreis Dachau wurde im vergangenen Juli die Genossenschaft gegründet, die bayerische Staatsregierung gab dazu einen Zuschuss von 55.000 Euro. Die Genossen der Genossenschaft sind drei regionale Arbeitgeber der Sozialbranche: die Helios Amper-Kliniken Dachau und Indersdorf, das Pflegeheim Kursana und der Pflegedienst miCura.

Auszug bei Kündigung

Sabine Appel, Vorstand der (nicht gemeinnützigen) Genossenschaft, erklärt, wie die Genossenschaft funktioniert: Sie tritt gegenüber dem Wohnungsvermieter als Mieter auf und mietet die Räumlichkeiten. Dann überlässt sie ihren Genossen über einen Überlassungsmietvertrag die Wohnungen. Die Genossen, also die Arbeitgeber, schließen mit ihren Mitarbeitern einen Werksmietvertrag ab. Der ist allerdings an das Beschäftigungsverhältnis gebunden. Das heißt: Kündigt die in der Wohnung wohnende Angestellte den Job oder wird ihr gekündigt, muss sie ausziehen.

Inzwischen gibt es laut Appel eine Bestandsaufnahme, was die Arbeitgeber-Genossen an Wohnraum benötigen: Derzeit sind es acht Ein- und Zweizimmerwohnungen. Und es haben sich auf Zeitungsinserate auch schon Vermieter gemeldet. Ein Angebot betrifft etwa eine Zweizimmerwohnung mit 57 Quadratmetern für rund 1.000 Euro Warmmiete. "Etwas teuer", sagt Appel. Aber, erklärt Seidenath: "Wenn die Miete für die Pflegekraft oder die Krankenschwester zu hoch ist, kann sie auch vom Arbeitgeber gesponsert werden."

Rudolf Stumberger (epd)


LWL-Messe für Inklusionsunternehmen um ein Jahr verschoben

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hat eine weitere Veranstaltung wegen des sich ausbreitenden Corona-Virus abgesagt. Die geplante LWL-Messe der Inklusionsunternehmen in Dortmund wird um ein Jahr verschoben, wie der Landschaftsverband am 10. März in Münster mitteilte. Die Messe, zu der sich in diesem Jahr auch internationale Besucher angekündigt hatten, soll nun am 17. März 2021 in der Messe Dortmund stattfinden.

Die Gesundheit aller Messebesucher und Mitarbeitenden habe höchste Priorität, erklärte LWL-Sozialdezernent Matthias Münning. "Zudem nehmen wir mit dieser Maßnahme Rücksicht auf die besonderen Schutzbedürfnisse der Menschen mit Behinderung, die die wichtigste Zielgruppe der Messe sind."

Die LWL-Messe der Integrationsunternehmen sollte am 18. März erstmals in Dortmund stattfinden. Rund 130 Aussteller aus dem In- und Ausland hatten sich in diesem Jahr dazu angemeldet.

In Integrationsbetrieben arbeiten Menschen mit Behinderung mit anderen Kollegen am selben Arbeitsplatz zusammen. In Westfalen gibt es laut LWL 170 solcher Unternehmen. Der Landschaftsverband unterstützt diese Firmen mit Mitteln aus der Ausgleichsabgabe, die Unternehmen leisten müssen, die nicht mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen besetzen.



NRW fördert Projekt für muslimische und alevitische Sozialarbeit

Nordrhein-Westfalen unterstützt ein Projekt zum Aufbau von Kooperationen zwischen muslimischen sowie alevitischen Gemeinden und Akteuren der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege. Für die "Dialog- und Lernplattform zur Unterstützung und Stärkung Muslimischer und Alevitischer Sozialarbeit vor Ort" ständen bis 2022 rund 2,2 Millionen Euro zur Verfügung, teilte die Bezirksregierung Arnsberg am 11. März mit. Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW sei eingebunden, die Federführung habe der Landesverband des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands.

"In den muslimischen und alevitischen Gemeinden hat sich bereits in der Vergangenheit eine eigenständige ehrenamtliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie in Feldern der sozialen Arbeit entwickelt", hieß es. Über das Projekt solle diese unter anderem stärker wahrgenommen und anerkannt werden. Muslimisch und alevitisch geprägte Organisationen und Initiativen sollten zudem unterstützt werden, eigenständige Angebote im Bereich der sozialen Arbeit zu entwickeln. Das Projekt starte zunächst in sechs Kommunen und werde dann ausgeweitet.



Ermittlungen gegen Behördenmitarbeiter im Fall Lügde eingestellt

Die Staatsanwaltschaft zieht einen Schlussstrich unter den massenweisen Missbrauch von Kindern in Lügde. Nach der Verurteilung der Haupttäter wurden alle weiteren Verfahren gegen Behörden und Polizei eingestellt.

Im Fall des hundertfachen Missbrauchs von Kindern auf einem Campingplatz in Lügde sind die weiteren Ermittlungen gegen insgesamt acht Behördenmitarbeiter und zwei Polizisten eingestellt worden. Im Fall der beiden Polizisten ließ sich nicht nachweisen, dass sie vorsätzlich Hinweise nicht weitergegeben hatten, wie die Staatsanwaltschaft Detmold am 11. März mitteilte. Bei den Behördenmitarbeitern gab es laut Staatsanwaltschaft kein vorsätzliches Versäumnis der Fürsorgepflicht. Die beiden Haupttäter waren im vergangenen Jahr rechtskräftig zu Freiheitsstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden.

Einem inzwischen pensionierten Beamten der Kreispolizeibehörde Lippe war laut Staatsanwaltschaft vorgeworfen worden, einen bereits im Jahr 2016 eingegangenen Hinweis nicht an das zuständige Kriminalkommissariat weitergeleitet zu haben. Anhand von Akten der Jugendämter konnte festgestellt werden, dass der Beamte einen Vermerk über die Gespräche gemacht hatte. Warum der Vorgang zwar zeitnah an die beteiligten Jugendämter, aber im Kriminalkommissariat dazu kein Vorgang angelegt worden sei, lasse sich wegen des Zeitablaufs und eines damaligen Computerausfalls nicht mehr aufklären, hieß es.

Staatsanwaltschaft sieht keinen Vorsatz

Auch bei einer Polizeibeamtin sah die Staatsanwaltschaft keinen Vorsatz einer Strafvereitelung oder einer Beihilfe zum Missbrauch. Ihr wurde vorgeworfen, nach einem Hinweis einer Mitarbeiterin eines Jobcenters im November 2016 nicht ermittelt zu haben. Die beschuldigte Beamtin habe jedoch aufgrund des Hinweises Telefonate mit Mitarbeiterinnen der Jugendämter in Hameln und Lippe geführt. Sie sei danach überzeugt gewesen, dass es keinen Missbrauch gegeben habe, erklärte die Staatsanwaltschaft.

Das Verschwinden von 155 CDs und DVDs, die in den Räumen der Lipper Kreispolizeibehörde als Beweismittel gesichtet werden sollten, bleibt vorerst ungeklärt. Nach den Angaben eines mit der Sichtung beauftragten Kommissaranwärters habe es sich überwiegend um ältere Computerprogramme, Musik-CDs und Spielfilme gehandelt, erklärte die Staatsanwaltschaft. Dateien mit pornografischem Inhalt seien nicht darunter gewesen. Ein Anfangsverdacht gegen einen Polizeibeamten habe sich in diesem Fall nicht ergeben.

Hinweise an Jugendamt Hameln-Pyrmont weitergeleitet

Die Mitarbeiterinnen der Jugendämter waren nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht von einem sexuellen Kindesmissbrauch ausgegangen, weil das Kind bei der Betreuung keine Verhaltensauffälligkeiten gezeigt habe. Die Mitarbeiterin des Jugendamtes Lippe hatte demnach ihr berichtete Hinweise auf Missstände an das Jugendamt Hameln-Pyrmont weitergeleitet.

Zudem machte sie nach Hinweisen auf eine Kindeswohlgefährdung durch die Unterbringung des Kindes auf dem Campingplatz einen Hausbesuch. Die Wohnsituation habe sie zwar als grenzwertig, nicht aber als derart schlimm eingeschätzt, dass Kind dort herausgeholt werden müssten. Über eine weitere Meldung der Jobcentermitarbeiterin habe sie das Jugendamt unverzüglich informiert.

Im Fall des Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde waren beide Haupttäter im September des vergangenen Jahres zu Freiheitsstrafen von 13 und zwölf Jahren mit anschließender Sicherheitsverwahrung verurteilt worden (AZ: 23 KLs 14/19). Laut Gericht hatten sich ein Mann, der auf einem Campingplatz im lippischen Lügde nahe der Landesgrenze zu Niedersachsen lebte, und der Mitangeklagte in rund 400 Fällen des Kindesmissbrauchs schuldig gemacht. Unter den Opfern war auch das Pflegekind des Hauptangeklagten.

Ein Mitangeklagter aus Stade wurde wegen Anstiftung zum schweren Missbrauch zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass ein weiterer Mann aus dem Kreis Northeim im Verdacht des sexuellen Missbrauchs an Kindern steht, der Kontakt zu einem der Haupttäter hatte.




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Elisabeth von Lutzau lässt ihr Smartphone derzeit zu Hause.
epd-bild/Michael Schick
Jugendliche können sich ein Leben ohne Social Media oft nicht vorstellen. Das ständige Klicken und Scrollen kann aber auch belasten. Manche verzichten darum für einige Zeit bewusst darauf - oder ganz aufs Handy. Wie Elisabeth (11) in der Fastenzeit.

Seit Aschermittwoch ist Elisabeth allein unterwegs - ohne ihr geliebtes Smartphone. Das liegt ausgeschaltet zu Hause in ihrem Zimmer, wie die 11-Jährige aus Niedernhausen nahe Frankfurt am Main erzählt. Die Idee zu "Digital Detox" kam der Fünftklässlerin im Religionsunterricht. Dort sprachen sie übers Fasten. Vor einigen Jahren hatte die Schülerin schon einmal auf etwas verzichtet, Süßigkeiten, wie sie erzählt. Die Trennung vom Handy sei aber schwieriger, zieht Elisabeth eine erste Zwischenbilanz.

Ziel von "Digital Detox" - "digitaler Entgiftung" - ist es, für einige Tage oder Wochen auf das Smartphone, auf bestimmte Apps oder soziale Medien zu verzichten. Seit 2013 steht der Begriff im Oxford Dictionary of English. "Digital Detox"-Ratgeber und -Programme boomen. Dort lernen Smartphone-geplagte Teilnehmer ein Leben ohne ständige Ablenkung durch soziale Medien.

Instagram-Hashtag #digitaldetox

Viele Influencer wie die Kölnerin Farina Opoku alias "novalanalove" oder der Berliner Blogger Ricardo Simonetti machten es vor. Die beiden hatten Anfang des Jahres zeitweise auf Storys und Postings verzichtet. Auf Instagram erscheinen unter dem Hashtag "#digitaldetox" mehr als 150.000 Beiträge. Männer und Frauen aus der ganzen Welt berichten dort über ihren Social-Media-Entzug. Einige halten Plakate in die Kamera mit Worten wie "offline ist the new luxury" (Offline ist der neue Luxus).

In ihrer Klasse ist Elisabeth die einzige, die ihr Handy während der vierzigtägigen Fastenzeit liegen lässt. "Als ich das erzählt hab, meinten alle: Boah, echt? Ich könnte das nie!", erinnert sich das Mädchen. "Ich wollte was machen, was nicht alle machen", betont sie.

Krankenkassen empfehlen Handy-Pausen

Teenager und Jugendliche seien sich zunehmend darüber bewusst, dass sie durch ihr Handy suchtgefährdet sind, sagt der Tübinger Medienwissenschaftler Guido Zurstiege. Er rät zu "kleinen Ritualen der Entnetzung" - zum Beispiel für einige Stunden oder zumindest im Urlaub auf Social Media zu verzichten.

Auch Krankenkassen wie die KKH Kaufmännische Krankenkasse empfehlen regelmäßige Pausen vom Smartphone. Dazu gehörten zum Beispiel "offline Mittagspausen" oder Handy-freie Zonen wie der Esstisch oder das Schlafzimmer. Wer permanent am Handy hänge, riskiere Dauerstress und soziale Isolation.

Für viele ist ein Verzicht auf soziale Medien sicher schwer vorstellbar. Laut einer DAK-Studie verbringen Jungen und Mädchen zwischen zwölf und 17 Jahren durchschnittlich rund zweieinhalb Stunden täglich mit Social Media. Demnach sind 2,6 Prozent der Befragten bereits süchtig nach sozialen Medien - Mädchen mit 3,4 Prozent etwas häufiger als Jungen (1,9 Prozent). Die beliebtesten Plattformen in Deutschland sind der ARD/ZDF-Onlinestudie 2019 zufolge WhatsApp, Facebook und Instagram.

Lesen statt Youtube

Elisabeth ist Youtube-Fan, wie sie erzählt. An den Wochenenden habe sie manchmal stundenlang Clips auf der Videoplattform geschaut, erzählt die Schülerin: "Immer so Unterhaltungskram, irgendwas Witziges." Das vermisst sie jetzt. "Aber dann lese ich halt stattdessen oder spiele mit unseren Katzen." Oft habe sie jetzt ohne ihr Smartphone aber das Gefühl, etwas zu verpassen, WhatsApp-Nachrichten zum Beispiel. "Fomo" - fear of missing out - heißt dieses Phänomen.

Viele Menschen merkten, wie sehr das Handy ihren Alltag bestimme, sagt Zurstiege. Sie wollten sich die Kontrolle zurückholen. Den Wunsch zurück in ein selbstbestimmtes Leben beobachtet der Professor auch bei seinen Studenten. "Man trifft sich und baut einen Handy-Turm. Also alle Handys in die Mitte, damit Ruhe ist."

"Zeitverschwendung"

Auch Fiona hatte keine Lust mehr, ständig Zeit auf Instagram zu verbringen. Schon vergangenen Sommer hat die 27-jährige Frankfurterin die App von ihrem Handy gelöscht. Und als sie schon einmal dabei war, hat sich Studentin auch von der mobilen Facebook-Version verabschiedet - bis heute. "Ich hab so viel sinnlos Zeit vergeudet, das hat mich krass gestört", erzählt die junge Frau. Es ging von einem Clip zum nächsten, manchmal habe sie das Zeitgefühl verloren.

Viele Social-Media-Apps seien so konzipiert, die User zu verführen, immer weiterscrollen zu wollen, erklärt Medienexperte Zurstiege. Diesem "inneren Zwang" könne man sich kaum entziehen. Mittlerweile gibt es Apps, die helfen sollen, den Handygebrauch einzuschränken. "Quality Time", "Menthal" oder "Offtime" zeichnen auf, wie häufig der Nutzer sein Smartphone aktiviert und was er damit macht.

Kontrolle auf Laptop besser als auf Smartphone

Das braucht Fiona nicht mehr. "Ich fühle mich entspannter", sagt die Studentin und ergänzt: "Ich vermisse nichts." Vollkommen möchte die junge Frau aber nicht auf Facebook und Instagram verzichten. Gerne holt sich die Frankfurterin Dekorations-Tipps für ihre Wohnung. Sie nutzt die Seiten aber nur noch auf dem PC oder am Laptop. "Da habe ich das besser unter Kontrolle", ist Fiona überzeugt.

Elisabeth will es zumindest bis zum Ende der Fastenzeit ohne Smartphone aushalten. Nur im Notfall möchte sie es anmachen, wie sie erzählt. Für WhatsApp zum Beispiel: "Wenn ich mal eine Frage zu den Hausaufgaben habe oder so." Außerdem hofft sie, dass sie auch nach der Fastenzeit weniger aufs Handy schaut. Kater Kasimir maunzt im Hintergrund.

Carina Dobra (epd)


Lutz Seiler erhält Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse

Die Leipziger Buchmesse wurde virusbedingt abgesagt, doch die renommierten Literaturpreise wurden trotzdem vergeben: Die Jury verkündete die Gewinner in den drei Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung im Radio.

Der Schriftsteller Lutz Seiler ist mit dem renommierten Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Belletristik geehrt worden. Er erhielt die Auszeichnung für sein Werk "Stern 111", das im Suhrkamp Verlag erschien, wie die Jury am 12. März im Sender Deutschlandfunk Kultur bekanntgab. Der Roman handelt von einer Berliner Familie in der Zeit kurz nach dem Mauerfall 1989.

In der Kategorie Sachbuch/Essayistik wurde Bettina Hitzer für ihr Werk "Krebs fühlen. Eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts" ausgezeichnet (Klett-Cotta Verlag). Der Preis für die beste Übersetzung ging an Pieke Biermann für ihre Übertragung des Werks "Oreo" von Fran Ross aus dem amerikanischen Englisch (dtv). Die Gewinnerinnen und Gewinner erhalten jeweils 15.000 Euro Preisgeld. Zudem bekommt jeder der insgesamt 15 Nominierten 1.000 Euro.

Urkunde kommt mit der Post

Die Leipziger Buchmesse hatte eigentlich am 12. März beginnen und bis zum 15. März dauern sollen, war jedoch wegen des Coronavirus abgesagt worden. Die Verkündung der Preise wurde daher ins Radio verlegt. Die Sieger der drei Kategorien wurden nach der Bekanntgabe telefonisch zugeschaltet. Eine ordentliche Preisverleihung findet in diesem Jahr nicht statt. Ihre Urkunden erhalten die Gewinner auf dem Postweg.

Zur Auszeichnung von Seilers "Stern 111" erklärte Jurorin Wiebke Porombka: "Dieser Roman leuchtet auf jeder Seite." Es sei ein kunstvolles Buch, das von dem "sich binnen kurzem verändernden Herzschlag der Mitte Berlins" erzähle. Der Juryvorsitzende Jens Bisky sagte, es handle sich in mehrfacher Hinsicht um einen Roman über das Aufbrechen. "Ich habe ungeheuer häufig schmunzeln müssen", erklärte er.

Ins Studio zugeschaltet, dankte Seiler seinem Verlag und seiner Lektorin. Zur Auseinandersetzung mit dem Stoff seines Romans sagte er, es sei ein Stück weit unbeantwortbar, warum man etwas schreibe. Das sei schlicht "etwas, was man machen muss", erklärte der Preisträger. Seiler wurde 1963 im thüringischen Gera geboren und lebt heute in Berlin und Stockholm. Für sein literarisches Werk hat er unter anderen bereits den Ingeborg-Bachmann-Preis, den Bremer Literaturpreis und 2014 den Deutschen Buchpreis bekommen.

"Emotionsgeschichte"

Zur Ehrung von Hitzers Werk "Krebs fühlen. Eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts" erklärte Bisky, die Autorin habe die Geschichte der Erkrankung so umfassend nachgezeichnet wie es bisher nicht geschehen sei. Hitzer schreibe damit "Gesellschafts-, Emotions- und Mediengeschichte zugleich". Die Historikerin vertrete einen "fruchtbaren Ansatz der Geschichtswissenschaft" und behandle intensiv die Frage, wie sich der Umgang mit unseren Gefühlen verändert hat, sagte Bisky. Hitzer lebt in Berlin und lehrt an der dortigen Freien Universität.

Zum Übersetzungspreis erklärte Juror Tobias Lehmkuhl, Biermann habe die "enorme Herausforderung" der Übertragung von "Oreo", das zahlreiche jüdische und Slangausdrücke enthalte, "bravourös gelöst". Die Übersetzerin habe das halsbrecherische Tempo des Originals "in ein Deutsch gebracht, das eine solch schrill-schöne Vielgestaltigkeit auf so engem Raum selten gesehen hat". Biermann wurde 1950 geboren und arbeitet seit 1976 als freie Schriftstellerin und Übersetzerin. Sie lebt in Berlin.



Katholischer Jugendbuchpreis geht an Susan Kreller

Die Autorin Susan Kreller erhält den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2020 für ihr Buch "Elektrische Fische". An den Romanfiguren zeige sich, "wie unterschiedliche Menschen den Begriff Heimat für sich definieren und mit dem Verlust des Zuhauses umgehen", erklärte der Jury-Vorsitzende, der Trierer Weihbischof Robert Brahm, am 11. März in Bonn. Ausgewählt wurde Krellers Buch aus 231 Titeln, die von 71 Verlagen eingereicht wurden. Die Jury empfiehlt das Buch für Jugendliche ab 13 Jahren. Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert.

In "Elektrische Fische" (Carlsen Verlag) erzähle Kreller die Geschichte von Emma, die mit ihrer Familie das vertraute Dublin verlassen muss und zu ihren deutschen Großeltern in ein kleines Dorf in Mecklenburg-Vorpommern zieht, teilte die katholische Deutsche Bischofskonferenz weiter mit. Nur wenige Stunden nach der Ankunft in Deutschland sei für Emma klar, dass sie nach Hause zurück will. Die Leser erlebten Emmas "Dazwischen-Sein, ihr Fremdfühlen an dem Ort, der ab nun ihr Zuhause sein soll".

Promotion zu Übersetzungen von Kinderlyrik

Die 1977 im sächsischen Plauen geborene Kreller studierte Germanistik und Anglistik und promovierte über deutsche Übersetzungen englischsprachiger Kinderlyrik. Sie lebt den Angaben zufolge mit ihrer Familie in Bielefeld und arbeitet als freie Journalistin und Autorin. Ihr wurde 2015 auf der Frankfurter Buchmesse der mit je 10.000 Euro dotierte Deutsche Jugendliteraturpreis in der Sparte Jugendbuch für "Schneeriese" verliehen.

Der Katholische Kinder- und Jugendbuchpreis wird in diesem Jahr zum 31. Mal vergeben, hieß es weiter. Der Vorsitzende der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Gebhard Fürst (Rottenburg-Stuttgart), will die Preisträgerin am 27. Mai in Mainz auszeichnen.



Studie: In fünf Jahren 120 Angriffe auf Journalisten


Bei rechten Demonstrationen wie hier eine Pegida-Kundgebung in Dresden sind Journalisten besonders gefährdet, Opfer von Gewalt zu werden.
epd-bild/Matthias Schumann
Journalistische Arbeit ist gefährlich, insbesondere auf Demonstrationen und besonders in Sachsen: So lautet das Ergebnis einer fünfjährigen Untersuchung zu Attacken auf Medienvertreter. Im Jahr 2020 bestätigt sich der Trend bisher nur zum Teil.

Flaschenwürfe, Einschüchterungen, Handgreiflichkeiten: "Journalismus bleibt ein Wagnis, auch in Deutschland." Zu diesem Ergebnis kommt eine am 11. März veröffentlichte Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) mit Sitz in Leipzig. Ihr zentrales Ergebnis: Seit 2015 sind in Deutschland 119 Journalisten gewaltsam angegriffen worden. MDR Aktuell hatte vorab über die Zahlen berichtet.

Laut der Studie lassen sich zwei Haupttrends festhalten: Regionaler Schwerpunkt der Attacken ist Sachsen, wo mit 55 fast die Hälfte aller Fälle registriert wurde. Zum anderen sind mehr als drei Viertel (77 Prozent) der Angriffe dem rechten Spektrum zuzuordnen, erfolgten häufig aus Demonstrationen heraus. "Bis heute sind politische Demonstrationen der gefährlichste Arbeitsplatz für Journalistinnen und Journalisten in Deutschland", resümierten die Autoren der Studie.

Schulterschluss von Neonazis und "bürgerlich" auftretenden Personen

Dabei stellten sie einen Zusammenhang zwischen politischen Ereignissen und der Häufigkeit von Angriffen auf Pressevertreter fest. So wurden besonders viele Attacken im Zuge des Flüchtlingszuzugs nach Deutschland im Herbst 2015 (44 Fälle) gezählt sowie während der rechtsextremen Mobilisierungen infolge eines tödlichen Streits zwischen zwei Asylbewerbern und einem Deutschen in Chemnitz im August 2018.

Die hohe Fallzahl von Chemnitz ist laut Studie auch ursächlich für die gesunkene Gesamtzahl an Übergriffen von 2018 auf 2019. Indes seien mit elf der 14 Attacken des vergangenen Jahres besonders viele aus dem rechten Lager heraus verübt worden. Als Beispiele führten die Autoren Vorfälle bei einem Neonazi-Festival im sächsischen Ostritz vor einem Jahr und bei einer Demonstration der rassistischen "Pegida"-Bewegung in Dresden im Juli auf.

Täterbild und Tatabläufe seien dabei zunehmend schwer zu erfassen, hieß es weiter. Durch den Schulterschluss von Neonazis und "bürgerlich" auftretenden Personen sei inzwischen nicht mehr abzusehen, "wer als nächstes angreift und wer zum Ziel wird", schrieben die Autoren.

Meiste Fälle in Sachsen

Neben den 55 Fällen in Sachsen hat das ECPMF laut der Studie seit 2015 die meisten Fälle in Berlin (14) registriert. Dahinter folgen Bayern mit zehn und Nordrhein-Westfalen mit acht Attacken. In Sachsen-Anhalt und Thüringen seien jeweils sieben, in Niedersachsen fünf und in Brandenburg vier Angriffe gezählt worden. Keine Angriffe wurden demnach in Hessen und Schleswig-Holstein registriert.

Den Befund, dass der Großteil der Angriffe dem politisch rechten Spektrum zuzuordnen sei, scheine indes das laufende Jahr infrage zu stellen, schrieben die Autoren. So seien drei der bislang registrierten Fälle auf einer linken Demonstration gegen das Verbot der Online-Plattform linksunten.indymedia.org in Leipzig gezählt worden. Die übrigen drei Fälle seien in ihrer politischen Ausrichtung nicht eindeutig zuordenbar.

Insgesamt sei der Spitzenwert von 44 Fällen seit 2015 "glücklicherweise" nicht mehr erreicht worden, erklärten die Autoren. Zugleich resümierten sie: "Wenn aber im Durchschnitt mehr als zwanzig Journalistinnen und Journalisten in jedem Jahr seit 2015 geschlagen, geschubst, getreten, mit Laserpointen geblendet oder bespuckt werden, dann hat sich dieses Level messbarer Aggressivität als neue Normalität etabliert."

Johannes Süßmann (epd)


Werkschau von Martin Noël im Kunstmuseum Bonn

Das Kunstmuseum Bonn würdigt den Maler Martin Noël (1956-2010) anlässlich seines zehnten Todesjahres mit einer Werkschau. Der Künstler gilt als Erneuerer des Holz- und Linolschnitts.

"Hier ist eine Linie schöner als die andere", schwärmte Martin Noël, als er 1998 die Risse in der Pflasterung zwischen den Türmen des World Trade Centers in New York sah. Viele Stunden verbrachte der Künstler danach auf den Knien, um die Linien auf den Platten abzuzeichnen. Entstanden waren die Risse 1993 bei dem heute fast vergessenen ersten Anschlag auf das World Trade Center. 72 Zeichnungen der Platten-Risse brachte Noël aus New York mit nach Hause in sein Bonner Atelier. Daraus entstanden Linolschnitt-Serien und Buchprojekte sowie Bild-Objekte. Letztere sind nun zusammen mit insgesamt knapp großformatigen 30 Werken im Kunstmuseum Bonn zu sehen.

Den Linien auf der Spur

Mit der Ausstellung "Martin Noël. paintprintpaint" würdigt das Kunstmuseum den früh verstorbenen Künstler, der nach Ansicht von Kurator Wenzel Jacob bislang nicht die ihm zustehende Beachtung fand. Noël spiele in einer Liga mit Künstlern wie Anselm Kiefer oder Georg Baselitz und sei "eine Stimme im Konzert der Großen", betont der Gründungsdirektor der Bundeskunsthalle.

Die Schau zeichnet die nur knapp 25-jährige künstlerische Karriere Noëls nach - von seiner frühen wilden Malerei über sein druckgrafisches Werk bis zu seinen späten ungegenständlichen Gemälden. Wie ein roter Faden zieht sich die Suche nach dem Verhältnis zwischen Linie und Fläche sowie die Dialektik zwischen Körper und Entkörperung durch sein Schaffen. Auch scheinbar abstrakte Bildinhalte fußen bei Noël auf der Beobachtung seiner Umgebung oder auf kunsthistorischen Vorbildern.

Das Gemälde "Sander" von 1988 etwa basiert auf August Sanders berühmter Fotografie "Jungbauern" von 1914: Drei junge Männer in dunklen Sonntagsanzügen mit Hut. Noël zeigt nur die Beine der jungen Männer. Die fehlenden Köpfe werden durch einen durch rote Linien angedeuteten Haarschopf ersetzt, der quer durchs Bild verläuft.

Die Auseinandersetzung mit dem Bildhauer Alberto Giacometti leuchtet in durch wenige Linien angedeuteten länglichen Kopfformen durch. Die Farbfeld-Malerei Otto Freundlichs, einer der ersten Vertreter der abstrakten Kunst, löst Noël in Linien auf. Auch aus Werken Rembrandts zitiert der Maler, indem er sich einzelne Linien oder Details herausgreift und sie isoliert und stark vergrößert reproduziert. So wird etwa eine Knopfleiste zur abstrakten Figur, die auch an eine Pflanze mit Blüten erinnert.

Wiederentdeckung des Holz- und Linolschnitts

Martin Noël habe den Standpunkt vertreten, dass es alle Linien und Formen bereits gebe, sagt seine Witwe, Margarete Noël. Dennoch arbeitete er daran, aus dem Fundus des Vorhandenen etwas Eigenes zu schaffen. "Man sieht, was das für eine heftige Auseinandersetzung war", stellt Margarete Noël mit Blick auf die Bonner Ausstellung fest.

Ein wichtiger Bezugspunkt für Noël war das Werk des Expressionisten Ernst Ludwig Kirchner, einer der bedeutenden Erneuerer des Holzschnitts zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In den 1960er und 70er Jahren ging das Interesse am Holz- und Linolschnitt zurück, der gegenüber der Video- oder Aktionskunst allzu altmodisch wirkte. Noël gilt als einer der Künstler, die das Medium Ende der 80er Jahre wiederentdeckten. Die Drucktechnik kam Noël entgegen, da der Dialog von Linie und Fläche in seinen Werken zunehmend zum zentralen Bildelement wurde.

Noël entwickelte die traditionell kleinformatigen und schwarz-weißen Drucke jedoch weiter. Seine Holzschnitte sind großformatig und farbig. "Die Linien sehen zwar abstrakt aus, waren aber vorgegeben", erklärt Jacob. Auch hier fand der Künstler seine Linien in Werken Rembrandts oder in seiner Umgebung, in gesprungenen Glasscheiben, Mauerrissen oder eben in den geborstenen Pflasterplatten des World Trade Centers. Häufig druckte Noël auf große Papierbahnen, die er zuvor farbig oder schwarz grundierte. Die Maserung des Holzes wird teilweise bewusst sichtbar gemacht.

Gattungsgrenzen aufbrechen

Holzschnitt und Linoldruck wurden für Noël auch zum Mittel, die Gattungsgrenzen zwischen Malerei, Druckgrafik und Objekt-Kunst aufzubrechen. So machte er die Druckstöcke teilweise zu eigenen Kunstwerken, bearbeitete sie weiter, bemalte sie oder füllte die eingekerbten Formen mit Gips oder Wachs wieder aus.

Die letzte Schaffensperiode Noëls war von seiner Krankheit geprägt. Da er mit der rechten Hand nicht mehr arbeiten konnte, kamen Holzschnitt oder Linoldruck für ihn nicht mehr infrage. Er kehrte zurück zur Malerei und begann, mit der linken Hand zu malen. Er malte völlig von vorgegebenen Linien losgelöste Bilder. Anders als seine Gemälde aus den 80er Jahren, in denen er viel mit Grau- und Schwarztönen arbeitete, leuchten nun bunte Farben auf hellem Grund. Teilweise malte er pures Licht aus unterschiedlichen Weißtönen.

"Er war dabei überaus glücklich. Und das in dem Wissen, dass er bald nicht mehr da ist", erinnert sich Margarete Noël. Martin Noël starb am 18. November 2010 an einem Hirntumor. Im Laufe seiner kurzen Karriere hatte er zahlreiche Preise erhalten, darunter von der Kunststiftung NRW und vom Deutschen Studienzentrum in Venedig. Er ist mit seinen Arbeiten unter anderem in der Bundeskunstsammlung vertreten.

Claudia Rometsch (epd)


Zwischen Luxus und Landraub


In der Ausstellung "Wir Kapitalisten"
epd-bild/Meike Böschemeyer
Trotz niedriger Arbeitslosigkeit und relativ hohen Wohlstands ist der Kapitalismus in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend in die Kritik geraten. Die Bundeskunsthalle in Bonn nähert sich dem Thema nun aus kulturhistorischer Perspektive.

Der Arbeiter im grauen Kittel, der im Ausstellungssaal der Bundeskunsthalle mit seiner Leiter hantiert, ist nicht gut auf seine Arbeitsbedingungen zu sprechen. "Wir machen alles und am Ende reicht es kaum zum Monatsende", klagt er, während sein Kollege auf einer Kiste sitzt und missmutig vor sich hin stiert. Die beiden vom US-Künstler Duane Hanson geschaffenen Arbeiter sehen täuschend echt aus. Richtig sprechen können sie zwar nicht. Doch die Besucher der Ausstellung "Wir Kapitalisten. Von Anfang bis Turbo" können per Smartphone mit den beiden Männern über die Ungerechtigkeiten des Arbeitslebens chatten. Ein "Kapitalismus Game" macht es möglich.

Die Bundeskunsthalle nimmt den Kapitalismus in einer Zeit unter die Lupe, in der vielen Deutschen Zweifel an dem Wirtschaftssystem gekommen sind. Anfang des Jahres ließ eine Studie des "Edelman Trust Barometer" aufhorchen, wonach 55 Prozent der befragten Menschen in Deutschland finden, dass Kapitalismus der Welt mehr schadet als nutzt. Und eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach ergab, dass nur 48 Prozent eine gute Meinung vom Wirtschaftssystem in Deutschland haben.

DNA des Kapitalismus

Möglicherweise ist es Zeit, dem Phänomen Kapitalismus einmal auf den Grund zu gehen. Die Bundeskunsthalle tut das mit einer breit angelegten kulturhistorischen Perspektive anhand von rund 250 Objekten aus Kunst, Geschichte und Alltagskultur. Dabei geht die Ausstellung, die bis zum 12. Juli zu sehen sein soll, nicht chronologisch vor. Sie beleuchtet stattdessen die Hauptmerkmale, welche die "DNA" des Kapitalismus bilden. Dazu gehören Themen wie Rationalisierung, Individualisierung, Geld, Beschleunigung und wirtschaftliches Wachstum.

Die Ausstellung startet mit einem Blick auf die Grundlage des Kapitalismus: Die Rationalisierung von Arbeitsprozessen. Das Streben danach, zufällige Verfahren durch geplante und berechenbare Vorgehensweisen zu ersetzen, begann nicht erst mit der Industrialisierung. Basis des Kapitalismus waren etwa buchhalterische Methoden wie die doppelte Buchführung. Eine Abbildung im "Trachtenbuch" von Matthäus Schwarz zeigt den Hauptbuchhalter der einflussreichen Kaufmannsfamilie Fugger in seinem Kontor. Er hatte die Methode aus Genua mitgebracht, wo sie schon Mitte der 14. Jahrhunderts angewendet wurde.

Land als Produktionsmittel

Im Bereich der Mechanik waren Wassermühlen lange das Mittel der Wahl, die sogar noch in Zeiten der Industrialisierung genutzt wurden. In Gemälden wie Arthur Brusenbauchs "Alte Mühle" (1920) wird die Kraft des Wassers immer wieder gerne thematisiert. Vom vergleichsweise idyllischen Mühlrad geht es dann zum Fließband, an dem zum Beispiel die Arbeiterinnen des Berliner Glühlampenwerks "Rosa Luxemburg" 1975 ihre monotone Arbeit verrichten. Die Produktionsprozesse werden standardisiert. Sowohl Möbel als auch Häuser werden in Serie aus vorgefertigten Bauteilen zusammengesetzt. Beispiele sind der berühmte Thonet Bistro-Stuhl oder auch die Reihenhäuser der Bauhaussiedlung in Dessau.

Eine entscheidende Triebfeder des Kapitalismus ist das Gewinnstreben. Auch Land wird als Produktionsmittel betrachtet, aus dem das meiste Kapital geschlagen werden soll. So vertrieben in Deutschland mitunter Lehnsherren Kleinbauern, wenn sich eine gewinnträchtigere Nutzung des Landes anbot, etwa der hohe Wollpreis die Haltung großer Schafherden lukrativ machte. Ähnliches geschieht auch im 21. Jahrhundert noch, wie der österreichische Filmemacher Kurt Langbein dokumentiert. Er lässt frühere Bauern in Kambodscha zu Wort kommen, denen ihr Land für den Anbau von Zuckerrohr geraubt wurde. Der Zucker wird nun gewinnbringend nach Europa exportiert.

Zeit ist Geld

Der Kapitalismus basiert nicht nur auf Geldwirtschaft, sondern hat auch Zeit zu einer Währung gemacht. Während zum Beispiel bei der Akkord-Arbeit in Fabriken Zeit zu Geld wird, bringt die Beschleunigung von Innovationsprozessen neuen Gewinn. Deutlich wird das zum Beispiel an dem kleinen Siemens-Handy, das Bundeskanzlerin Angela Merkel 2003 benutzte. Das damalige Spitzenmodell wirkt im Zeitalter der Smartphones nur 17 Jahre später schon antiquiert.

Die rasende Innovation und der damit verbundene Energie- und Rohstoffverbrauch hat seinen Preis. Die Ausstellung entlässt die Besucher mit Überlegungen zu einem entschleunigten Kapitalismus der Zukunft.

Die Frage nach dem eigenen kapitalistischen Verhalten können die Besucher mit Hilfe des "Kapitalismus-Game" klären. Bei dem Spiel können sie Punkte sammeln und im Laufe der Ausstellung in "Kaufgesprächen" mit einzelnen Exponaten in Kontakt treten. Am Ende erhalten sie ein Feedback zum eigenen Konsumverhalten.

Claudia Rometsch (epd)


RTL wirft Xavier Naidoo nach Rassismusvorwürfen aus DSDS-Jury

Xavier Naidoo wurde mehrfach vorgeworfen, rechtspopulistisches Gedankengut zu verbreiten und Hass zu schüren. Nachdem ein Video mit kruden Äußerungen über Zuwanderer aufgetaucht ist, fliegt er aus der Jury von "Deutschland sucht den Superstar".

Der Fernsehsender RTL hat den Sänger Xavier Naidoo nach Rassismusvorwürfen aus der Jury von "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS) geworfen. In einem selbst gedrehten Video, das am 11. März in sozialen Netzwerken geteilt wurde, singt Naidoo über angebliche Gefahren, die von Migranten ausgehen. Auch nach einer Stellungnahme bleibe der 48-Jährige dem Sender viele Antworten schuldig, teilte RTL in Köln mit.

Zudem seien "weitere Videos aufgetaucht, die in eine ähnliche Richtung gehen". "Das hat RTL bewogen, ihn am Samstag aus der Jury von 'Deutschland sucht den Superstar' zu nehmen", erklärte der Sender vor dem Beginn der Live-Shows bei der Casting-Sendung, in denen die besten sieben Sängerinnen und Sänger gegeneinander antreten.

"Massiv irritiert"

In dem Liedtext heißt es unter anderem: "Ich habe fast alle Menschen lieb, aber was, wenn fast jeden Tag ein Mord geschieht, bei dem der Gast dem Gastgeber ein Leben stiehlt?" An einer anderen Stelle singt Naidoo: "Eure Töchter, eure Kinder sollen leiden. Sollen sich mit Wölfen in der Sporthalle umkleiden, und ihr steht seelenruhig nebendran."

RTL-Geschäftsführer Jörg Graf erklärte: "Die jetzt aufgetauchten Videos von Xavier Naidoo haben uns massiv irritiert." Die Bitte des Senders, über seine Äußerungen live bei RTL persönlich und öffentlich zu diskutieren, habe der Sänger bislang unbeantwortet gelassen. "Gerade diese Diskussion fänden wir wichtig, da für uns die Aussagen im Video und seine Kommentierung danach überhaupt nicht zusammen passen", sagte Graf und fügt hinzu: "Daher haben wir uns entschieden, ihn für die kommende Liveshow von DSDS auszuschließen."

Laut dem Sänger stammt der Text aus dem Jahr 2018. Naidoo erklärte, er setze sich "aus tiefster Überzeugung gegen Ausgrenzung und Rassenhass ein". "Das bedeutet für mich aber auch, dass alle in der Verantwortung sind, wachsam gegenüber Angriffen auf ein friedliches Miteinander aller Menschen zu sein, egal aus welcher politischen Richtung und ungeachtet der Herkunft", heißt es in der Stellungnahme, in der sich der Musiker selbst als Christ bezeichnet.

Rechtspopulistisches Gedankengut

Auch seine Familie sei als Gast nach Deutschland gekommen und habe sich "natürlich an Recht und Moralvorstellungen des Gastgebers gehalten". "Diese Selbstverständlichkeit sollte für alle gelten - auch wenn nur ein sehr kleiner Teil dies missverstanden hat. Aber gerade dieser kleine Teil belastet alle anderen", fügte Naidoo hinzu. Diese würden in "Sippenhaft" genommen und durch eine erschreckende Zunahme von Gewalttaten in Gefahr gebracht.

Dem Sänger war bereits mehrmals vorgeworfen worden, seine Musik enthalte rechtspopulistisches Gedankengut. Vor dem Eurovision Song Contest 2016 wurde Naidoo beschuldigt, in Liedern gegen Juden und Homosexuelle zu hetzen. Der NDR wollte Naidoo für Deutschland zu dem Wettbewerb schicken. Nach einer Protestwelle nahm der Sender die Entscheidung zurück.

2017 sorgte der Song "Marionetten" von Naidoos Band "Söhne Mannheims" für Diskussionen. Darin werden beispielsweise "Volksvertreter" als "Volks-in-die-Fresse-Treter" bezeichnet, die wie Marionetten von "dunklen Mächten" gesteuert würden. Naidoo sprach von einer "zugespitzten Zustandsbeschreibung gesellschaftlicher Strömungen".



RTL schränkt Live-Event zur Passion Jesu wegen Coronavirus ein


Die Hauptrolle übernimmt der Musicaldarsteller Alexander Klaws.
epd-bild/Friedrich Stark

Wegen der Corona-Pandemie schränkt der Privatsender RTL seine TV-Inszenierung zur Kreuzigung Jesu deutlich ein. Die für Karmittwoch (8. April) vorgesehene Live-Aufführung der Passionsgeschichte in der Essener Innenstadt werde nach jetzigem Stand ohne Publikum stattfinden, sagte eine Sprecherin der Mediengruppe RTL am 13. März in Köln dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zudem werde eine für 800 Teilnehmer geplante Prozession ohne Publikum starten und auf 30 bis 40 Kreuzträger reduziert. An der Besetzung als solches ändere sich ansonsten aber nichts. Allerdings seien die Planungen von der weiteren Entwicklung in Sachen Corona und eventuellen Auflagen der Stadt abhängig, erklärte die Sprecherin.

Die Passionsgeschichte soll auf dem Essener Burgplatz gegenüber dem Dom in Szene gesetzt werden. Die Hauptrolle als Jesus übernimmt der Sänger, Musicaldarsteller und Schauspieler Alexander Klaws. Als Judas ist Mark Keller ("Alarm für Cobra 11") zu sehen. Als Erzähler fungiert TV-Moderator Thomas Gottschalk. An der Hauptbühne auf dem Burgplatz hatte RTL mit rund 4.500 Besuchern gerechnet. Außerdem gibt es eine Live-Schalte zu einer Passions-Prozession, bei der ein großes, leuchtendes Kreuz durch die Innenstadt zur Hauptbühne am Burgplatz getragen wird. RTL-Moderatorin Nazan Eckes begleitet den Kreuzweg.

Das erzählerische Konzept der Passionsgeschichte hat RTL vom niederländischen Fernsehen übernommen. Dort ist das Event schon seit zehn Jahren zu Ostern fest im Programm und erzielt regelmäßig herausragende Quoten. Allein 2016 schalteten über 40 Prozent der Zuschauer ein.



Chor-Musical über Martin Luther King kommt nach Lemgo


Szenenbild des Chormusicals
epd-bild/Friedrich Stark

Das neue Chor-Musical "Martin Luther King - Ein Traum verändert die Welt" gastiert auf seiner Deutschland-Tournee auch im lippischen Lemgo. Am 6. März 2021 soll das Stück mit einem großen Chor von rund 500 Stimmen in der dortigen Phoenix-Contact-Arena aufgeführt werden, wie die Lippische Landeskirche am 12. März in Detmold ankündigte. Dafür würden ab sofort Sängerinnen und Sänger gesucht. Mitsingen könne jeder. Die Lieder seien so angelegt, dass auch Ungeübte sie gut einstudieren können, hieß es.

Das Musical über den US-amerikanischen Baptistenpastor und Bürgerrechtler Martin Luther King (1929-1968) ist seit Beginn des Jahres auf Tournee. Herzstück der Aufführung ist ein Projektchor, der gemeinsam mit professionellen Musical-Solisten und einer Band auf der Bühne steht. Bei der Inszenierung spielen Gospel-Hymnen wie "Go down, Moses" oder "We shall overcome" eine tragende Rolle.

Hinter dem Projekt steht die Stiftung Creative Kirche in Witten. Außerdem sind die Komponisten Hanjo Gäbler und Christoph Terbuyken beteiligt. Die Liedtexte stammen von dem Autoren und freikirchlichen Theologen Andreas Malessa.

Anmeldung zum Chorprojekt in Lemgo unter www.king-musical.de/lemgo oder Telefon 02302/28 222 22. Ein kostenloser Informationsabend mit den Autoren und Veranstaltern findet am 12. Mai von 18.30 bis 20 Uhr in der Phoenix-Contact-Arena in Lemgo statt. Als erster gemeinsamer Probentermin ist der 3. Oktober vorgesehen, der in der Realschule Lemgo stattfinden soll.




Entwicklung

Ein Jahr nach "Idai": Ausharren in Ruinen


Aufbauarbeiten ein Jahr nach "Idai"
epd-bild/Stefan Ehlert
Nach dem verheerenden Zyklon "Idai" gewinnt der Aufbau in Mosambik zwar an Schwung. Aber viele Menschen leiden noch immer, haben kein Dach über dem Kopf. Und dem Welternährungsprogramm geht das Geld aus.

Luiza Kangeru steht auf einem Maniokfeld und pflückt Blätter für Gemüse. Die 42-Jährige hat sechs Kinder zu versorgen - und leidet noch immer unter den Folgen von "Idai". Der Zyklon zog in der Nacht vom 14. auf den 15. März vergangenen Jahres mit bis zu 195 Stundenkilometern über Zentralmosambik. Auch in Madagaskar, Malawi und Simbabwe richtete "Idai" schwere Schäden an. Mehr als 1.000 Menschen kamen ums Leben, die meisten in der Provinz Sofala in Mosambik, dort, wo Luiza Kangeru versucht, wieder auf die Beine zu kommen.

Den Maniok, den sie in der Hand hält, hat die Dorfkooperative angebaut. Den Reis zum Gemüse erhält die hagere Frau vom Welternährungsprogramm (WFP). Jeden Monat bekommt sie einen Gutschein über 2.500 Meticais, umgerechnet 33 Euro. Davon kann sie wie Hunderte weitere Familien das kaufen, was sie nicht oder nicht ausreichend selbst anbauen kann. Bedingung für die Unterstützung: Die Familien mussten ihre Anbauflächen gegen "Schocks" wie Dürren, Stürme oder Überflutungen rüsten, wie WFP-Regionalchef Espinola Caribe bei der Vorstellung des Projektes in Mafambize bei Beira erklärte.

Hilfe muss eingestellt werden

Mitte März droht die Hilfe aber zu versiegen, denn dann gehen Caribe die Mittel aus. Wie andere UN-Programme in Mosambik hat das WFP laut Caribe nur einen Bruchteil der nötigen Finanzmittel erhalten. "Wir müssen die Hilfe für 525.000 Menschen einstellen." Nach Angaben des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) sind derzeit 1,3 Millionen Menschen in Mosambik auf Hilfe angewiesen, davon mehr als 65.000 in der Nordprovinz Cabo Delgado, wo im April 2019 Zyklon "Kenneth" auf Land traf. Zudem sind dort Zehntausende aus Angst vor Angriffen islamistischer Kämpfer aus ihren Dörfern geflüchtet.

Ein Jahr nach "Idai" ist auch das Wohnproblem für viele weiter nicht geklärt: Fast zwei Millionen Menschen waren es vor einem Jahr, die ohne Obdach dastanden. Die 600.000-Einwohner-Stadt Beira war ein Trümmerhaufen, ein Ort ohne Dächer. Das ist sie auch heute noch an vielen Stellen - und wieder vom Regen überflutet. Es stinkt nach Müll und Exkrementen. Für Bürgermeister Daviz Simango steht derzeit aber der Küstenschutz an erster Stelle. "Als Kommune müssen wir die Interessen aller berücksichtigen", erklärt er, warum die Stadt nicht beim Dachdecken mehr unter die Arme greift.

Stadtviertel müssen weichen

Mit Hilfe der Weltbank, der Niederlande, aber auch Deutschlands will Simango Beira sturmfest machen. Buhnen sollen helfen, Sand festzuhalten und ein Abreißen der Küste verhindern. Ganze Viertel müssten umziehen, sagt Simango und deutet vom Dach seines Rathauses auf die Hütten von Praia Nova, das den letzten Wall darstellt zwischen dem Meer und dem Rathaus. Hier wohnen Beiras Fischer - die wiederum nicht weichen wollen. Sie bräuchten das Meer, sagt Sprecher Alberto Machave.

Der Wiederaufbau, für den die Weltgemeinschaft vergangenes Jahr 1,3 Milliarden Euro zusagte, ist für 2020 als Wachstumsmotor in die Wirtschaftsprognosen Mosambiks eingepreist. In diesem Jahr können Ausschreibungen, Investitionen und Bauarbeiten losgehen, hoffen Entwicklungshelfer in der Hauptstadt.

Ausharren in Ruinen

Auf die Sorgen zumindest mancher Haus- und Hüttenbesitzer geben die Vereinten Nationen derweil eine Antwort: Sie leisten besonders Armen Materialhilfe und zeigen, wie gebaut werden muss, damit das Blechdach nicht beim nächsten Sturm wieder abgerissen wird. "Die hölzernen Dachsparren liegen enger beieinander, die Bleche sind an viel mehr Stellen verschraubt als früher", erklärt Silvia Scholl, Architektin des UN-Siedlungsprogramms Habitat. Das Prinzip erklären UN-Mitarbeiter auch Hüttenbesitzern wie Chindende Muege Sera. "Ich hätte mir Balken und Bleche nie leisten können", sagt der 60 Jahre alte Witwer.

Die Sturmopfer sind geschwächt nach einem Jahr des Ausharrens in Ruinen. Rund 2.300 Haushalte will die Internationale Organisation für Migration (IOM) in diesem Jahr in Beira endlich mit einem UN-Dach-Kit ausstatten, vom Hammer bis zum Blech. Doch andere gehen leer aus. "Was ist mit meinem Haus?", ruft eine Frau, als die IOM an einem Tag Ende Februar Balken anliefern lässt. "Wer hilft mir? Ich habe auch kein Dach!"

Stefan Ehlert (epd)


Wirtschaftlich unabhängig dank der Sonne


Solaranlage in Tunesien
epd-bild/Sarah Mersch
Tunesien will in den kommenden zehn Jahren den Anteil erneuerbarer Energien verzehnfachen. Davon soll nicht nur das Klima, sondern vor allem auch die tunesische Wirtschaft profitieren. Das erste Solarkraftwerk ist mit deutscher Hilfe nun am Netz.

Von weitem sieht man die Solarpanele schon in der Sonne glitzern, ansonsten nichts als Sand. Die Anlage steht mitten in der kargen Landschaft Südtunesiens an der Ausfallstraße, die von der Kleinstadt Tozeur an die algerische Grenze führt. "Das ist die erste leistungsstarke Solarzentrale in Tunesien", sagt Moncef Harrabi, Generaldirektor des staatlichen Energieversorgers Steg. "Sie ist auch der erste Schritt unserer neuen Energiestrategie."

In erneuerbare Energien zu investieren ist für Tunesien gleich doppelt interessant: Es senkt nicht nur die Emissionen und hilft, die Klimaziele zu erreichen, auf die sich das Land verpflichtet hat. Es erleichtert außerdem mittelfristig den Staatshaushalt.

Noch 90 Prozent Erdgas

Tunesien gewinnt seine Elektrizität derzeit zu mehr als 90 Prozent aus Erdgas und musste im vergangenen Jahr mehr als die Hälfte seines Energiebedarfs importieren. Ein Minusgeschäft, das Löcher in der Staatskasse hinterlässt. Dass Tunesien erst jetzt in größere Solaranlagen zur Stromgewinnung investiert, habe vor allem finanzielle Gründe, erläutert Harrabi. "Wir mussten um die Finanzierung wirklich kämpfen. Vor fünf Jahren war die Technik für uns noch zu teuer." Die Wirtschaftskrise, die das Land seit dem politischen Umbruch 2011 fest im Griff hat, hat auch bei dem überschuldeten staatlichen Energieversorger Spuren hinterlassen.

30 Prozent des tunesischen Energieverbrauchs soll bis 2030 aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Das kündigte Umweltminister Mokhtar Hammami zuletzt anlässlich der Weltklimakonferenz im Dezember in Spanien an. Derzeit stammen gerade einmal drei Prozent aus alternativen Quellen. Dabei sind die natürlichen Bedingungen dafür eigentlich hervorragend. An der Nordküste bläst der Wind relativ verlässlich, und in der Sahara im Süden des Landes gibt es mehr als genug Sonne und Fläche für große Solarparks.

Kredit der KfW

Das Solarkraftwerk in Tozeur wurde in weiten Teilen mit zwei Darlehen der staatlichen KfW-Entwicklungsbank in Höhe von 11,5 und 12 Millionen Euro finanziert. Der erste Block ist bereits seit Sommer 2019 in Betrieb, der zweite soll bald ans Netz gehen. Die beiden Kraftwerke haben zusammen eine Leistung von 200 Megawatt. Sie sparen 17.000 Tonnen CO2 jährlich ein und decken ein Drittel des Stromverbrauchs der Region, wo etwa 100.000 Menschen leben.

Doch dabei soll es nicht bleiben. "Wir haben mit diesem Pilotprojekt gezeigt, dass es möglich ist, solche Anlagen in Tunesien zu betreiben", sagt der Leiter des Energieversorgers, Harrabi. "Jetzt zieht die Privatwirtschaft nach." Direkt neben den beiden staatlichen Solarparks soll im kommenden Jahr ein privater dritter Park gebaut werden. Noch weiter südlich, in der Nähe von Tataouine, haben Privatleute nach Angaben des Stromkonzerns jüngst 100 Hektar Land kostenlos für eine weitere Solaranlage zur Verfügung gestellt. Laut einer Machbarkeitsstudie der Weltbank könnte dort ein Kraftwerk entstehen, das eine doppelt so hohe Leistung erbringt wie das in Tozeur.

Hoffnung auf Arbeit

Das Interesse an Solaranlagen ist in der Region groß. "Die Anwohner stehen diesen Projekten sehr aufgeschlossen gegenüber und hoffen natürlich auch auf Beschäftigungsmöglichkeiten", sagt Harrabi. "Und wir werden quasi jede Woche von Universitäten angefragt, die das Kraftwerk besichtigen möchten."

Gerade junge Leute erhoffen sich in den abgelegenen, industriearmen Regionen Arbeitsplätzen dank der neuen Technik. Mortaja Ben Khalifa, ein 30-jähriger Elektroingenieur, der durch das Kraftwerk führt, stammt eigentlich von der Küste. Jetzt kümmert er sich um die Anlage in Tozeur. Er hat sich selbst im Bereich erneuerbarer Energien fortgebildet und ist nun eine gefragte Fachkraft.

An der Fachhochschule von Tozeur bildet Zaher Khantouch im einzigen Studiengang Tunesiens dieser Art Photovoltaiktechniker aus. Der Dozent ist überzeugt, dass seine Studenten als Installateure oder in der Wartung von Solaranlagen gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben: "Die Energietechnik ist ein Beruf der Zukunft."

Sarah Mersch (epd)


Dagmar Pruin wird neue Präsidentin von "Brot für die Welt"


Dagmar Pruin
epd-bild/privat/Brot für die Welt/Diakonie Katastrophenhilfe
Die Theologin leitet als Co-Geschäftsführerin die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Sie tritt die Nachfolge von Cornelia Füllkrug-Weitzel an, die in den Ruhestand tritt.

Die evangelische Pfarrerin Dagmar Pruin wird zum 1. März 2021 neue Präsidentin der Hilfswerke "Brot für die Welt" und Diakonie Katastrophenhilfe. Die 49-jährige Theologin tritt die Nachfolge von Cornelia Füllkrug-Weitzel an, die dann in den Ruhestand tritt, wie der Aufsichtsratsvorsitzende des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung (EWDE), Altbischof Markus Dröge, am 10. März in Berlin mitteilte. Pruin leitet seit sieben Jahren als Co-Geschäftsführerin die Aktion Sühnezeichen Friedensdienste mit 40 Mitarbeitenden, 180 Freiwilligen und Büros in 13 Ländern.

Füllkrug-Weitzel (64) steht seit dem Jahr 2000 an der Spitze von "Brot für die Welt" und Diakonie Katastrophenhilfe, die beide zum EWDE gehören. Dröge würdigte die Nachfolgerin Pruin als ausgewiesene Theologin, die Erfahrung in der Leitung eines Spendenwerkes, im Aufbau von internationalen Partnerschaften und in der Zusammenarbeit mit kirchlichen und politischen Partnern habe. Die Entscheidung für sie sei im EWDE-Aufsichtsrat am 26. Februar einstimmig gefallen.

Alttestamentlerin mit Auslandserfahrung

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, begrüßte Pruin als international sehr erfahrene und höchst kompetente künftige Präsidentin von "Brot für die Welt". "Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit!", erklärte er. Auch der EWDE-Vorstandsvorsitzende und Diakonie-Präsident Ulrich Lilie gratulierte Pruin: "Wir heißen Sie herzlich willkommen."

Pruin ist promovierte Alttestamentlerin, die unter anderem als Direktorin des Programms "Germany Close Up - American Jews meet Modern Germany" tätig war. Sie ist auch Gründungsmitglied des Forschungsbereichs "Religion und Politik" an der Humboldt-Universität Berlin. Studienaufenthalte und Lehrtätigkeiten führten sie nach Jerusalem, Washington und Stellenbosch (Südafrika). Die Theologin ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie freue sich auf die Aufgabe, den evangelischen Auftrag für eine globale, gerechte und nachhaltige Entwicklung der einen Welt mitzugestalten, erklärte sie.

Für das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung sind am Hauptsitz in Berlin sowie in Außenstellen im In- und Ausland 800 Mitarbeitende tätig. Zu den Trägern des EWDE gehören die EKD, die Landeskirchen, Freikirchen und Diakonieverbände.



Präsident Bolsonaro bezeichnet Corona-Krise als "Fantasie"

In Brasilien schnellt die Zahl der Corona-Infektionen auf über 30 hoch, während es fast 900 Verdachtsfälle gibt. Das Gesundheitsministerium ist alarmiert, doch der Präsident hält die Corona-Krise für eine Erfindung der Medien.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hält die weltweite Corona-Krise nach eigenen Worten für völlig übertrieben und für eine Erfindung der Medien. Die Corona-Krise sei eine "Fantasie", die von den Medien weltweit verbreitet werde, sagte der Rechtspopulist am 10. März im US-Staat Florida, wie das Portal "Globonews G1" berichtete. Seiner Einschätzung nach handele es sich nur um eine "kleine Krise".

Das Virus werde wahrscheinlich aus wirtschaftlichen Gründen überbewertet, sagte Bolsonaro bei einer Veranstaltung vor Unternehmern in Miami. Dabei spielte er offenbar auf den Einbruch der weltweiten Aktienkurse am Montag an. Auch die Börse in São Paulo erlebte die größten Verluste der vergangenen 20 Jahre.

Kuba zog Ärzte ab

Unterdessen schnellte die Zahl der bestätigten Corona-Infektionen in Brasilien bis zum Morgen des 11. März auf 34 hoch, wie das Gesundheitsministerium mitteilte. 29 der Infizierten waren ins Ausland gereist, vor allem nach Italien. Zudem gebe es rund 900 Verdachtsfälle. Nach Ministeriumsangaben verlaufen bislang die meisten Corona-Infektionen leicht. (Stand 15.3.: 121 Corona-Fälle laut WHO)

Zugleich kündigte das Ministerium an, noch in dieser Woche 5.000 Stellen für Ärzte im Kampf gegen Corona auszuschreiben. Die Mediziner sollen im öffentlichen Gesundheitswesen in dem Programm "Mehr Ärzte" arbeiten. In dem von der ehemaligen linksgerichteten Präsidentin Dilma Rousseff (2011-2016) geschaffenen Programm arbeiteten mehr als 11.000 kubanische Ärzte in unterversorgten Regionen.

Dafür überwies die brasilianische Regierung an den kubanischen Staat rund 25 Millionen US-Dollar pro Jahr. Das sozialistische Kuba zog nach dem Amtsantritt von Bolsonaro im Januar 2019 im Streit seine Ärzte ab, was zu einer großen Lücke der Gesundheitsversorgung vor allem in ärmeren ländlichen Regionen führte.



Uno: Syrer sind größte Flüchtlingsgruppe der Welt


Zerstörte Stadt in Syrien
epd-bild/Sebastian Backhaus
Neun Jahre dauert der Krieg in Syrien schon. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Besonders schlimm betroffen von Gewalt und Vertreibung sind Kinder.

Zum Jahrestag des Kriegsbeginns in Syrien machen UN-Organisationen auf die dramatische Situation der Menschen in dem Bürgerkriegsland aufmerksam und rufen zu humanitärer Hilfe auf. Syrer sind nach Angaben der Uno-Flüchtlingshilfe die größte Flüchtlingsgruppe der Welt. Unicef beklagt besonders das Leid der Kinder.

Der anhaltende Krieg in Syrien hat nach Angaben der Uno-Flüchtlingshilfe Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Jeder zweite syrische Mann, jede Frau und jedes Kind seien seit Beginn des Konflikts 2011 gewaltsam vertrieben worden, oft mehr als einmal, erklärte die deutsche Partnerorganisation des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR), am 13. März in Bonn. Mehr als zwölf Millionen Syrer mussten fliehen, rund 6,7 Millionen davon in ein anderes Land. Damit seien die Syrer die größte Flüchtlingsgruppe der Welt.

Hilfsmaßnahmen weiterhin unterfinanziert

Die Hilfsmaßnahmen in Syrien seien dagegen weiterhin unterfinanziert, beklagte Peter Ruhenstroth-Bauer, Geschäftsführer der Uno-Flüchtlingshilfe. Bislang seien nur neun Prozent der benötigten Gelder eingetroffen. "Trotz aller Ohnmacht und der weiterhin fehlenden Aussicht auf Frieden bleibt der Appell, die Menschen in Syrien und die syrischen Flüchtlinge in den Nachbarländern nicht zu vergessen."

Unicef Deutschland verwies auf die dramatische Situation der Kinder. Zu Beginn des zehnten Kriegsjahres bestimmten immer noch Tod, Angst und nackte Not das Aufwachsen von unzähligen syrischen Kindern, teilte das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen am Freitag in Köln mit. Rund 9.000 Mädchen und Jungen seien seit 2011 bei Angriffen und Bombardierungen in Syrien getötet oder verletzt worden. Alle zehn Stunden sterbe ein Kind an den Folgen des Krieges. Schätzungsweise 5.000 Kinder seien zwangsrekrutiert worden, darunter sogar erst Siebenjährige.

Provinz Idlib besonders betroffen

Besonders schlimm sei die Lage derzeit im Nordwesten des Landes in der Provinz Idlib, hieß es. Seit Anfang Dezember seien dort über 900.000 Menschen vor Bombardierungen und Bodenkämpfen geflohen, davon seien schätzungsweise 60 Prozent Kinder. Zwischen den Fronten litten sie unter Gewalt, Obdachlosigkeit und akuter Not.

Aber auch in Gebieten, in denen es keine akuten Kämpfe gebe, sei die Lage der Kinder und ihrer Familien schwer. Über die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen und jede dritte Schule seien außer Betrieb. Unicef schätzt, dass 2,8 Millionen Mädchen und Jungen keine Schule besuchen. Familien, deren Existenz zerstört wurde, könnten ihre Kinder nicht mehr versorgen. Sie müssten ihren Haushalt verkaufen oder ihre Kinder arbeiten schicken.

"Vier von fünf Mädchen und Jungen sind heute auf humanitäre Hilfe angewiesen", erklärte Unicef-Geschäftsführer Christian Schneider. "Wir dürfen sie nicht allein lassen." Sie brauchten warme Kleidung, Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Nahrungsmittel, vor allem aber Schutz und Sicherheit.

Anlässlich des Jahrestages des Kriegsbeginns rief Unicef alle Konfliktparteien in Syrien dazu auf, die lebensnotwendige Infrastruktur wie Schulen, Krankenhäuser oder Wasserwerke zu schützen, die Waffenruhe im Nordwesten Syriens einzuhalten und einen besseren Zugang zu humanitärer Hilfe zu ermöglichen. An den UN-Sicherheitsrat appellierte das Kinderhilfswerk, eine politische Verhandlungslösung zu unterstützen, die den Krieg endgültig beende.



Streit um Präsidentschaft in Afghanistan

In Afghanistan beanspruchen zwei Politiker das Präsidentenamt für sich. Am 9. März fanden zwei getrennte Zeremonien zur Amtseinführung für Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah statt. Das verschärft die politische Krise im Land zusätzlich.

Zwei getrennte Präsidentschaftsfeiern haben die politische Krise in Afghanistan verschärft. Trotz internationaler Vermittlungsversuche fanden am 9. März in Kabul separate Zeremonien zur Amtseinführung für den gewählten Präsidenten Aschraf Ghani und dessen politischen Rivalen Abdullah Abdullah statt, wie der TV-Sender "Tolo News" berichtete. Beide Politiker beanspruchen das Präsidentenamt für sich. Nur gut eine Woche nach dem historischen Friedensdeal zwischen den aufständischen Taliban und den USA verstärken die Machtkämpfe das politische Chaos weiter. In dieser Woche sollten eigentlich die innerafghanischen Gespräche zwischen den Taliban und der Regierung starten, um den Konflikt am Hindukusch beizulegen.

Abdullah erkannte das Ergebnis nicht an

Mitte Februar war Amtsinhaber Ghani von der Wahlkommission des Landes zum Sieger der Präsidentschaftswahl vom September 2019 erklärt worden. Nach monatelangem erbittertem Streit um die Gültigkeit mehrerer Hunderttausend Stimmen waren nur noch 1,8 Millionen Wahlzettel bei der Auszählung berücksichtigt worden. Abdullah erkannte das Ergebnis nicht an. Nach der Präsidentschaftswahl 2014 hatten Ghani und Abdullah bereits monatelang um die Richtigkeit der Wahlergebnisse gestritten und am Ende auf internationalen Druck hin eine Regierung der nationalen Einheit gebildet, die Ghani das Präsidentenamt und Abdullah die neu geschaffene Rolle des Regierungsgouverneurs gab.

Noch am 8. März hatte US-Sonderbotschafter Zalmay Khalilzad erfolglos versucht, mit Ghani und Abdullah einen neuen Kompromiss auszuhandeln. Abdullah erklärte, niemand solle seine "Verpflichtung zur echten Demokratie" unterschätzen. Der 59-Jährige und seine Anhänger versammelten sich im Sapedar-Palast im Botschaftsviertel von Kabul. Ghanis Unterstützer kamen im Präsidentenpalast im Zentrum von Kabul zusammen, um seiner Amtseinführung beizuwohnen. Eine im Februar geplante Amtseinführungsfeier für den 70-jährigen Ghani war auf Drängen der USA verschoben worden, die vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens mit den Taliban eine politische Krise in Kabul vermeiden wollten. Das Abkommen von Ende Februar sieht unter anderem einen vollständigen Abzug der US-Truppen vom Hindukusch innerhalb von 14 Monaten vor. Die afghanische Regierung war nicht an den Friedensgesprächen beteiligt, die nur zwischen den Taliban und den USA geführt wurde.