Kirchen

Kirche will Abschottung Europas nicht hinnehmen


Rettung von Flüchtlingen vor der libyschen Küste
epd-bild/Christian Ditsch
Protestantische Spitzenvertreter laufen Sturm gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik. Sie stellen sich hinter die Seenotretter und mahnen zu Humanität - auch in der Wortwahl.

Der Protest aus der evangelischen Kirche gegen die europäische Abschottung gegenüber Flüchtlingen wird lauter. Der Migrationsexperte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Rekowski, äußerte sich entsetzt über die Kriminalisierung humanitärer Rettungseinsätze im Mittelmeer. Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister sagte, "so hoch kann man Mauern und Zäune gar nicht bauen, dass wir verzweifelte Menschen in Not abhalten können, zu uns zu kommen".

Der rheinische Präses Rekowski sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd): "Seenotrettung ist nach internationalem Recht eine humanitäre Verpflichtung." Der EKD-Migrationsexperte besucht ab 16. Juli das von den maltesischen Behörden festgesetzte Rettungsschiff "Sea-Watch 3" im Hafen Vallettas. "Indem europäische Regierungen Seenotrettungseinsätze von Schiffen wie 'Sea-Watch' im Mittelmeer verhindern, erzwingen sie gewissermaßen eine unterlassene Hilfeleistung", sagte Rekowski.

Mit Nachdruck wies er Vorwürfe zurück, die private Seenotrettung spiele kriminellen Schleusern in die Hände. "Ich bin empört, wie seit einiger Zeit humanitäre Einsätze geradezu kriminalisiert werden", sagte er. "Soll man die in Seenot geratenen Flüchtlinge denn wissentlich ertrinken lassen?" Der hannoversche Landesbischof Meister mahnte, nicht taub zu werden für die einzelnen Geschichten der Not. Es sei "beschämend", dass das Humanitätsideal gegenwärtig auf der Strecke bleibe, sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (13. Juli).

Petition im Internet

Meister rief Politik und Wirtschaft zu einem verstärkten Einsatz auf, um weltweite Armut zu bekämpfen: "Die Alternative wäre, fortwährende Ungerechtigkeit zu akzeptieren, und damit den massenhaften Tod von Menschen." Im Internet findet derzeit eine Petition für eine humane Asylpolitik starke Unterstützung. Bis zum Morgen des 16. Juli unterzeichneten rund 39.000 Menschen den Aufruf, der die Kirchen zu einer deutlicheren Stellungnahme auffordert.

«Die Regierungen in Europa dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen, indem sie Grenzen schließen und Menschen in Not abwehren», heißt es in dem Aufruf. Es sei richtig, durch Grenzkontrollen festzustellen, wer nach Europa einreist. «Aber es ist völkerrechtswidrig, Menschen in Seenot nicht zu retten», wird in dem Schreiben betont.

Gestartet wurde die Petition von drei Mitgliedern des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags: dem Europapolitiker Sven Giegold (Grüne), der Autorin Beatrice von Weizsäcker und dem Historiker Ansgar Gilster, der in diesem Themenfeld auch für die EKD arbeitet. «Menschen, die Flüchtlingen helfen, dürfen nicht kriminalisiert werden», sagte Weizsäcker dem Evangelischen Pressedienst (epd). «Wir verlieren unsere Würde, wenn wir uns entgegen internationalem Seerecht weigern, Schiffbrüchige aufzunehmen, um ihnen so die Flucht zu erschweren», sagte Giegold.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, kritisierte einen menschenverachtenden Grundton in der Asyldebatte. Im Bayerischen Rundfunk (BR) sprach er von einem bespiellosen Verfall der Sprache und Sitten. Er forderte eine verbale Abrüstung: "Auch die Menschen, die abgeschoben werden, sind Menschen, geschaffen nach dem Bilde Gottes."



Präses Rekowski rügt Vorgehen gegen Seenotretter


Manfred Rekowski besucht Flüchtlingshelfer auf Malta. Am 16. Juli wollte der leitende Theologe mit festgesetzten Seenotrettern auf dem Rettungsschiff "Sea-Watch 3" im Hafen von Valletta sprechen.
epd-bild/Stefan Arend
Abschottung pur - so bewertet der rheinische Präses und Migrationsexperte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Rekowski, die derzeitige EU-Flüchtlingspolitik. In einem epd-Gespräch fordert er eine humane und solidarische EU-Flüchtlingspolitik.

Abschottung pur - so bewertet der rheinische Präses und Migrationsexperte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Rekowski, die derzeitige EU-Flüchtlingspolitik. Kurz vor seinem Besuch von Seenotrettern auf der Mittelmeerinsel Malta kritisiert der Theologe das Vorgehen gegen private Helfer als Kriminalisierung und Zwang zur unterlassenen Hilfeleistung. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) fordert er eine humane und solidarische EU-Flüchtlingspolitik.

epd: Sie besuchen in den kommenden Tagen festgesetzte Seenotretter auf Malta. Was erhoffen Sie sich von der Reise?

Rekowski: Seenotrettung ist nach internationalem Recht eine humanitäre Verpflichtung. Indem europäische Regierungen Seenotrettungseinsätze von Schiffen wie Sea-Watch im Mittelmeer verhindern, erzwingen sie gewissermaßen eine unterlassene Hilfeleistung. Ich möchte mir von der Crew und den auf dem Schiff mitarbeitenden Freiwilligen von ihren Erfahrungen berichten lassen. Das Sterben geflüchteter Menschen auf dem Mittelmeer hört nicht auf, nur weil niemand mehr hinschauen kann. Denn auch das Aufklärungsflugzeug Moonbird, das 2017 vermutlich rund tausend Menschen vor dem Ertrinken gerettet hat, darf nicht mehr tätig werden.

epd: Private Seenotrettung im Mittelmeer ist umstritten: Den Helfern wird vorgeworfen, sie spielten durch ihre Aktionen kriminellen Schleusern in die Hände. Wie sehen Sie das?

Rekowski: Ich bin empört, wie seit einiger Zeit humanitäre Einsätze geradezu kriminalisiert werden. Soll man die in Seenot geratenen Flüchtlinge denn wissentlich ertrinken lassen? Die hinlänglich bekannten Ursachen wie Menschenrechtsverletzungen, Bürgerkriege und Hunger und Armut, also fehlende Lebensgrundlagen, treiben Menschen in die Flucht. Viele der Geflüchteten hoffen, dass sie andernorts etwas Besseres als den Tod finden könnten. Rund 70 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Es bedarf eines Masterplans zur Bekämpfung von Fluchtursachen, der den Namen verdient. Aber das ist in den politischen Diskussionen in Deutschland und in Europa derzeit leider kein Thema.

epd: Was ist falsch am Bestreben der EU, ihre Außengrenzen für illegale Migration so weit wie möglich zu schließen?

Rekowski: Diese Politik dreht die Verantwortung um. Als die Europäische Union 2012 den Friedensnobelpreis erhielt, formulierten ihre Repräsentanten unter anderem: "Als Kontinent, der nach den Zerstörungen des Krieges zu einem der stärksten Wirtschaftsräume der Welt wurde, haben wir eine besondere Verantwortung für Millionen von Menschen in Not." Ich wünschte mir, dass sich das politische Handeln in Europa wieder daran orientierte. Das hieße für mich, dass Europa selbstverständlich einen angemessenen Beitrag bei der Aufnahme von Flüchtlingen leistet.

Das heißt aber auch, dass Europa die Länder verstärkt unterstützt, in denen Flüchtlinge heimatnah aufgenommen wurden. Als Christenmenschen haben wir nicht nur das eigene nationale Interesse in den Blick zu nehmen, sondern insbesondere die Interessen Not leidender und Hilfe suchender Menschen. Über die Ausgestaltung einer humanitären Flüchtlingspolitik kann und darf man streiten. Aber es muss einem mehr einfallen als Abschottung pur.

epd: Wie sollte aus Ihrer Sicht eine europäische Lösung des Migrations- und Flüchtlingsproblems aussehen?

Rekowski: Zunächst wünsche ich mir einen rationalen Umgang mit den Fragen von Flucht und Migration, bei dem deutlich wird, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, aber keinesfalls von übergroßen Zahlen überrollt werden. Von verantwortlichen Politikerinnen und Politikern erwarte ich zudem, dass in ihren Äußerungen stets der Grundton der Menschlichkeit wahrgenommen werden kann. Hier gab es manche Entgleisungen.

Ich denke schließlich, zu einer europäischen Flüchtlingspolitik, die die mit der Aufnahme von Flüchtlingen verbundenen Lasten solidarisch trägt, gibt es keine Alternative. Hier erwarte ich einen gemeinsamen politischen Willen der europäischen Regierungen. Ergänzend sollte es nationale Einwanderungs- und Zuwanderungsgesetze gegeben. Eine offene und durchaus kontroverse Diskussion über die Kriterien von Zuwanderung könnte dem gesellschaftlichen Frieden dienen.

epd-Gespräch: Ingo Lehnick


Abschiebungen: Bedford-Strohm beklagt Mangel an Empathie

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, beklagt fehlende Empathie in der Debatte über Abschiebungen. "Immer mehr Menschen, besonders auch in den christlichen Kirchen, wollen den Auszug der Empathie aus den öffentlichen Diskussionen um die Flüchtlingspolitik nicht länger hinnehmen", sagte Bedford-Strohm dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (12. Juli). "Die Entwicklungen der letzten Tage machen dieses Anliegen umso dringlicher."

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte mit Äußerungen über Abschiebungen nach Afghanistan zum Teil scharfe Kritik geerntet. Zu Beginn der Vorstellung seines "Masterplans Migration" hatte der CSU-Chef am 10. Juli in Berlin gesagt, dass "ausgerechnet" an seinem 69. Geburtstag vor einer Woche 69 Menschen nach Afghanistan zurückgeführt worden seien. "Das war von mir nicht so bestellt", sagte er. Am 11. Juli wurde bekannt, dass einer der Abgeschobenen leblos in einer Zwischenunterkunft in Kabul aufgefunden wurde. Offenbar hatte er sich selbst das Leben genommen.

"Es ist eine Atmosphäre entstanden, in der nicht die Rettung des Lebens von Menschen als Erfolg gesehen wird, sondern ihre Abschiebung in möglichst großer Zahl", sagte Bedford-Strohm. "Als Christen glauben wir, dass jeder Mensch geschaffen ist zum Bilde Gottes." Wer den christlichen Glauben ernst nehme, müsse in seinem öffentlichen Reden und politischen Handeln die damit verbundene Achtung vor jedem Menschen zum Ausdruck bringen, betonte der EKD-Ratsvorsitzende und bayerische Landesbischof.



Evangelische Allianz: Dürfen Sterben nicht zusehen

Angesichts der Flüchtlingskatastrophe auf dem Mittelmeer hat die Deutsche Evangelische Allianz einen Appell an die Europäische Union und die Regierungen der europäischen Länder gerichtet. Es müssten noch entschlossener gemeinsame Lösungen gesucht werden, die sich an der Not der Menschen und dem Rechtsstaatsgebot orientierten, erklärte die Evangelische Allianz am 12. Juli in Bad Blankenburg. Eine Abschottung Europas oder einzelner Länder gegenüber schutz- und hilfsbedürftigen Flüchtlingen könne keine Lösung sein: "Wir sind davon überzeugt, dass auch unser Wohlstand in Europa Gottes Gabe ist, die wir in Verantwortung einzusetzen haben und uns selbstverständlich zur Hilfe und zum Teilen verpflichtet."

In der Erklärung heißt es: "Wir sind erschüttert, dass Tausende von Flüchtlingen auf der Flucht sterben, insbesondere im Mittelmeer vor den Toren Europas ertrinken. Das darf nach Gottes Willen nicht sein. Die Bibel beschreibt durchgehend, dass Gott die Notleidenden unter seinen besonderen Schutz stellt." Weiter heißt es: "Ohne Wenn und Aber müssen Menschen vor dem Ertrinken bewahrt werden und zugleich dem menschenverachtenden Schlepperwesen das Wasser abgegraben werden."

Die Deutsche Evangelische Allianz fungiert als Dachverband für rund 1,3 Millionen evangelikal, pietistisch und charismatisch ausgerichtete Christen aus Landes- und Freikirchen. Ihr Sitz befindet sich im thüringischen Bad Blankenburg.



Schlüter: Kirche muss Zukunftsangst überwinden


Der neue Theologische Vizepräsident der westfälischen Kirche, Ulf Schlüter (von links), mit Präses Annette Kurschus und Albert Henz
epd-bild/Gerd-Matthias Höffchen
Stabübergabe in der westfälischen Landeskirche: Ulf Schlüter wurde als neuer Theologischer Vizepräsident in sein Amt eingeführt. Sein Vorgänger Albert Henz wurde zugleich verabschiedet.

Der neue Theologische Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen, Ulf Schlüter, hat die Kirche aufgerufen, Zukunftsangst und "Nachwuchs-Panik" zu überwinden und ihren Auftrag zu erfüllen. "Erzählen wir, bezeugen wir in Wort und Tat die grenzenlose Liebe Gottes", sagte Schlüter am 9. Juli in Schwerte in seiner Predigt zur offiziellen Amtseinführung. Der 56-jährige Theologe ist Nachfolger von Albert Henz, der zugleich in den Ruhestand verabschiedet wurde.

Neuer Theologische Vizepräsident ins Amt eingeführt

Die Lage der Kirche sei zwar ernst, sagte der frühere Dortmunder Superintendent und verwies auf Nachwuchsmangel bei Pfarrern, Gemeindepädagogen und Kirchenmusikern. Auch die Alterung der Gesellschaft und Gleichgültigkeit setzten der Kirche zu. Doch die Liebe Gottes sei nicht totzukriegen und Gott mache viele Menschen zu seinen Kindern, "wir müssen nur nachkommen".

Schlüter wandte sich auch gegen Nationalismus und rief zum Einsatz für Recht und Gerechtigkeit auf. Das habe "Zukunft bei Gott", sagte der neue Stellvertreter von Präses Annette Kurschus. Schlüter ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und hat in Bielefeld und Bochum Theologie studiert. Er war knapp 20 Jahre lang Pfarrer in Dortmund-Asseln und wurde 2014 zum ersten Superintendenten des Kirchenkreises Dortmund gewählt, der aus der Vereinigung von vier Kirchenkreisen hervorging. Schlüter ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Kinder.

Als Volkskirche im besten Sinne habe die Landeskirche eine Menge Chancen, erklärte Schlüter. "Mir liegt daran, dass wir sie nutzen - in großer Offenheit, als unverwechselbare Kraft in einer pluralen, bunten und vielfältigen Gesellschaft, und nicht beschränkt auf unseren kirchlichen Binnenraum", sagte der neue Vizepräsident. Er wolle den Prozess der Aufgabenklärung leiten, in dem die westfälische Landeskirche stehe. "Ich möchte mithelfen, eine Kirche zu gestalten, die kleiner wird - unter rasant sich ändernden Bedingungen."

Landtagspräsident Kuper dankt Albert Henz

Präses Kurschus würdigte Schlüter als klugen Theologen, der seinen persönlichen Glauben und politische Fragen nie auseinandergerissen und die gesellschaftskritische Dimension des Evangeliums nie verleugnet habe. "Du hast das prophetische Amt der Kirche mitten in der Welt starkgemacht, ohne die seelsorgliche Zuwendung zum einzelnen Menschen gering zu achten", sagte die leitende Theologin der viertgrößten Landeskirche.

NRW-Landtagspräsident André Kuper (CDU) wünschte Schlüter Zuversicht, um "den Weg des Schiffes der Kirche" mit zu verantworten. Dem verabschiedeten Henz dankte Kuper unter anderem für sein Engagement für den Evangelischen Kirchentag, der im Jahr 2019 in Dortmund stattfinden wird.

Henz, der im Oktober 64 Jahre alt wird, war seit 2010 Theologischer Vizepräsident der westfälischen Landeskirche, die knapp 2,3 Millionen Mitglieder hat. Zudem war er Vorsitzender des landeskirchlichen Ausschusses für politische Verantwortung. Vor seinem Wechsel in die Landeskirche stand Henz als Superintendent an der Spitze des Kirchenkreises Iserlohn. Von 1992 bis 2000 leitete er die Westfälische Diakonissenanstalt Sarepta in Bielefeld-Bethel.



Kirche in Dortmund hält trotz Drohungen an Kirchenasyl fest


Demonstration gegen Neonazi-Aufmarsch im April in Dortmund
epd-bild/Friedrich Stark

Der evangelische Kirchenkreis Dortmund hat eine eigene Strategie für ein erfolgreiches Kirchenasyl trotz rechtsextremer Drohungen entwickelt. "Wir gehen in Dortmund einen eigenen Mittelweg", sagte Pfarrer Friedrich Stiller, der in dem Kirchenkreis für die Erstberatung Kirchenasyl zuständig ist, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wegen Drohungen aus der Dortmunder Neonazi-Szene werde die Öffentlichkeit zwar darüber informiert, dass es ein Kirchenasyl im Kirchenkreis gebe. Der Name der Gemeinde werde aber nicht genannt.

Die Evangelische Christuskirchengemeinde in Lütgendortmund hatte seit Februar 2018 einer irakischen Familie Kirchenasyl gewährt. Die konkreten Umstände veröffentlichte der Kirchenkreis erst, nachdem das Kirchenasyl abgeschlossen war. Nach Stillers Worten ist Kirchenasyl grundsätzlich öffentlich gedacht. "Wir wollen ja, dass Menschen sich mit den Geflüchteten solidarisieren, und auf die dahinterliegende Problemlage aufmerksam machen", sagte der Pfarrer, der auch Sprecher des Dortmunder Arbeitskreises Christen gegen Rechtsextremismus ist. In der Ruhrgebietsstadt sei das aber wegen der rechtsextremen Bedrohungslage nicht möglich.

Suchanzeige im Wild-West-Stil in sozialen Netzwerken

Als die rechtsextreme Szene in Dortmund von dem Kirchenasyl erfuhr, veröffentlichten Anhänger eine Suchanzeige im Wild-West-Stil in den sozialen Netzwerken. Sie hätten sogar 500 Euro Belohnung für sachdienliche Hinweise geboten, berichtet Stiller. "Dieses Vorgehen ist typisch für die Dortmunder Rechtsextremisten." Sie verfolgten eine Strategie der Provokation und indirekten Bedrohung. "Erstens bleiben wir im Ungewissen, ob und was sie umsetzen", sagte der Pfarrer. Zweitens wirkten die Inhalte zwar bedrohlich, seien aber nicht strafrechtlich relevant. Dazu komme die tatsächliche Gewalt der rechtsextremen Szene in Dortmund. Die Polizei Dortmund zählte im vergangenen Jahr 259 Straftaten mit rechtsextremistischen Hintergrund.

Bislang habe es weder Übergriffe auf Angehörige der Kirchen noch auf andere Flüchtlingshelfer gegeben, sagte Stiller. "Aber die Helferinnen und Helfer wissen, dass Gewalt ein Mittel für die Rechtsextremisten ist." Durch das Vorgehen bei Kirchenasylen in Dortmund sei die Gemeinde geschützt. Das Leitungsgremium und der Unterstützerkreis der jeweiligen Gemeinde entschieden, wer wann informiert werde. "Das ist ein Weg, der sich bewährt hat", sagte Stiller.

Der Kirchenkreis Dortmund ist mit rund 200.000 Mitgliedern in 28 Gemeinden der größte Kirchenkreis der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2015 hat der evangelische Kirchenkreis Dortmund insgesamt drei Kirchenasyle erfolgreich beendet.

epd-Gespräch: Jana Hofmann


Pfarrer bringt Spenden aus Westfalen nach Syrien

Ein Thüringer Pfarrer hat Spenden ins Kriegsgebiet nach Syrien gebracht. Der Pfarrer Christian Kurzke habe Spendengelder in Höhe von insgesamt 12.000 Euro sowie Medikamente überreicht und sei acht Tage in Syrien unterwegs gewesen, um Projektpartner zu treffen, wie die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) am 12. Juli in Erfurt mitteilte. Die EKM fördert gemeinsam mit dem Kirchlichen Entwicklungsdienst Hilfsprojekte in Syrien, im Irak und im Libanon.

Die überreichten Spendengelder stammten von einer Kollekte der Westfälischen Landeskirche sowie einem Benefizlauf der Christlichen Gemeinschaftsschule Gera. Die EKM unterstützt die Hilfsprojekte der Kirchengemeinde Rüdersdorf-Kraftsdorf jährlich mit 80.000 Euro. Dieses Jahr werden damit Bildungsprojekte im Nordirak, im Libanon und in Syrien gefördert.

Kurzke reiste unter anderem nach Kessab zu einem Seifenproduzenten, der im Krieg seine Existenz verloren hat. Um ihm einen Neuanfang zu ermöglichen, verkauft die Kirchengemeinde seine Seifen. In Aleppo hat die Thüringer Kirchengemeinde bereits 2016 einen Zahnarztstuhl für das Kirchenzentrum "Church of Christ" der armenisch-evangelischen Gemeinde finanziert und bezahlt nun den Generatorenstrom. Der Pfarrer überbrachte auch Geld für einen Notfonds für Patienten, die Medikamente nicht zahlen können, sowie Spenden für ein Gymnasium. In Homs überreichte Kurzke an eine maronitische Gemeinde 7.000 Euro für die Fertigstellung eines Freizeitheims.



EKD-Präses Schwaetzer fordert neue Abrüstungsinitiativen


Irmgard Schwaetzer
epd-bild / Jürgen Blume

Die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Irmgard Schwaetzer, hat neue Anläufe für Abrüstung und Frieden gefordert. Die Welt brauche keine Vorbereitungen "für den Albtraum von einem beherrschbaren Atomschlag", wie dies von Atommächten diskutiert werde, sondern neue Abrüstungsinitiativen, sagte Schwaetzer am 9. Juli in einer Predigt im brandenburgischen Gadow bei Wittstock. Abrüstung in einer Welt mit Atomwaffen, autonomen Waffensystemen und Cyberwar erfordere neben dem Willen zum Frieden auch den Aufbau von Vertrauen und "Verträge jenseits aller Naivität".

Anlass des Gottesdienstes war der neunte Jahrestag der Aufgabe des "Bombodroms" bei Wittstock durch die Bundeswehr. Nach einem jahrelangen Prozessmarathon und einer von der Bürgerinitiative "Freie Heide" organisierten Protestkampagne hatte das Bundesverteidigungsministerium am 9. Juli 2009 den Verzicht auf die militärische Nutzung des ehemaligen sowjetischen Militärgeländes im Nordwesten Brandenburgs bekanntgegeben. An der Kampagne gegen das "Bombodrom" hatten sich auch zahlreiche Vertreter der evangelischen Kirche beteiligt.

Dass man mit dem Friedensappell der biblischen Bergpredigt durchaus Politik machen könne, zeige auch das Aus für die Militärpläne bei Wittstock, sagte die frühere FDP-Bundesministerin Schwaetzer laut Manuskript. "Freie Heide, das ist die Rückgewinnung eines Stückes wunderbarer Natur von menschengemachter Zerstörung" und "ein kraftvolles Statement für friedliches Zusammenleben und gegen den Krieg als Mittel zur Austragung von Konflikten", betonte sie. Das Aus für das "Bombodrom" sei "ein sichtbares Zeichen für die Kraft von zivilgesellschaftlichem Engagement gegen die Logik von Politik, aber auch für die Veränderbarkeit von Politik".



Bischof Manzke begrüßt Öffnung katholischer Kommunion


Bischof Manzke ist Catholica-Beauftragter der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands.
epd-bild/Norbert Neetz
Der Catholica-Beauftragte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands sieht einen "Durchbruch in der ökumenischen Entwicklung in Deutschland".

Der lutherische Ökumene-Bischof Karl-Hinrich Manzke begrüßt die Orientierungshilfe der katholischen Kirche in Deutschland zur Teilnahme protestantischer Ehepartner am Abendmahl. "Dass sie veröffentlicht worden ist, ist wirklich ein Durchbruch in der ökumenischen Entwicklung in Deutschland", sagte Manzke dem Evangelischen Pressedienst (epd) im niedersächsischen Bückeburg. Zweimal schon sei die Diskussion im Sande verlaufen. Mit der Orientierungshilfe liege jetzt endlich ein konkreter Text vor. Allerdings blieben noch viele Fragen offen, sagte der schaumburg-lippische Landesbischof und Catholica-Beauftragte der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).

Dem Text der katholischen Deutschen Bischofskonferenz zufolge soll evangelischen Christen mit katholischem Ehepartner in Ausnahmefällen ein Weg pastoraler Begleitung offenstehen, bei dem auch der Empfang der katholischen Kommunion möglich werden kann. Mehrere deutsche katholische Bistümer haben bereits erklärt, dass sie nach der Orientierungshilfe handeln wollen. Andere betrachten die Handreichung mit Skepsis.

"Entlastung der Gewissen der Gläubigen"

Laut Manzke trägt die Orientierungshilfe auch "zur Entlastung der Gewissen der Gläubigen" bei. Es gebe in Deutschland zahlreiche konfessionell gemischte Ehepaare, die den Wunsch hätten, gemeinsam zum katholischen Abendmahl zu gehen. Und es gebe viele, die das auch praktizierten. Viele katholische Ehepartner wollten dies aber nicht gegen den erklärten Willen ihrer Kirche tun, erläuterte der Catholica-Beauftragte. Für sie sei die Orientierungshilfe ein Signal, "dass dieser Wunsch von ihrer Kirche anerkannt und positiv beschrieben wird".

Wie Manzke erläuterte, wird die mögliche Öffnung der Kommunion zunächst nur in Einzelfällen und Notsituationen zur Anwendung kommen, etwa wenn ein Angehöriger eines konfessionsverschiedenen Ehepaares im Sterben liegt. Nach einem Seelsorge-Gespräch könne dann ein katholischer Priester den evangelischen Ehepartner zum gemeinsamen Empfang der Eucharistie zulassen. "Und zukünftig offenbar nicht nur in extremen Ausnahmefällen." Eine allgemeine Einladung an Protestanten zum katholischen Abendmahl sei damit allerdings nicht ausgesprochen.

Der Bischof beurteilte die Orientierungshilfe als "Etappe in einem für Deutschland ökumenisch sehr wichtigen Thema". Allerdings bleibe der ausdrückliche "Einladungscharakter" für evangelische Christen undeutlich. Offen bleibe auch, ob Katholiken aus Sicht der katholischen Kirche zum protestantischen Abendmahl gehen dürfen.

epd-Gespräch: Michael Grau


Badischer Landesbischof: Versöhnung entsteht nicht von selbst

Der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh hat für Verständigung und Versöhnung über Grenzen hinweg geworben. "Versöhnung gelingt nur, wenn einer den ersten Schritt tut, wenn ich den ersten Schritt tue", sagte der evangelische Theologe am 15. Juli in einem vom ZDF übertragenen Gottesdienst in Kehl. Es müssten Wege gefunden werden, die aus dem Teufelskreis "Wie du mir, so ich dir" herausführten, erklärte Cornelius-Bundschuh in dem deutsch-französischen Versöhnungs-Gottesdienst. Anlass war das Ende des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren.

"Die deutsch-französische Versöhnung gelang, weil es viele Partnerschaften vor Ort gab und gibt und vor allem viele Begegnungen zwischen Jugendlichen", unterstrich Cornelius-Bundschuh. Durch Austausch und Freiwilligendienste würden Menschen mutiger und trauten sich mehr zu. "Sie lernen, sich in Andere hineinzuversetzen, auch wenn sie ihnen ganz fremd sind", sagte der Bischof.

"Froh sind wir heute an der deutsch-französischen Grenze", sagte Cornelius-Bundschuh. Froh darüber, wie selbstverständlich es geworden sei, dass Menschen im Elsass wohnen und in Kehl arbeiten können. Und auch über Grenzen hinweg heiraten könnten. Der Gottesdienst unter dem Motto "Frieden feiern - Frieden stiften" wurde auf Deutsch und Französisch gehalten.



Evangelische Akademie nimmt Rechtspopulismus in den Fokus

Die Evangelische Akademie Villigst befasst sich auf ihren Tagungen bis zum Jahresende unter anderem mit Rechtspopulismus, Afghanistan und der Asylpolitik. Der Umgang mit Rechtspopulisten ist am 28. und 29. September Thema einer Tagung, wie die Leiterin der Akademie, Sabine Federmann, am 9. Juli in Schwerte bei der Vorstellung des Programms für das zweite Halbjahr 2018 ankündigte.

Rechtspopulismus sei nicht allein ein Thema der Gesellschaft, sagte Federmann. Auch innerhalb der Kirche gebe es Mitglieder, die mit Rechtspopulisten sympathisierten. Deshalb sei die Kirche aufgerufen, Konzepte für einen angemessenen Umgang mit rechtspopulistischen Strömungen zu entwickeln.

Die jährlich stattfindende Afghanistan-Tagung werde sich vom 23. bis 25. November mit der erst kürzlich entstandenen Friedensbewegung von Frauen in Afghanistan befassen, kündigte die Akademieleiterin weiter an. Das Asylpolitische Forum 2018, das allen nordrhein-westfälischen Akteuren in der Flüchtlings- und Asylarbeit ein Forum zum Austausch bieten soll, findet im Dezember statt.

Auf dem Akademie-Programm steht zudem eine Studienreise nach Hongkong vom 13. bis 26. Oktober. Dort stehe die Lebenssituation vieler Migranten aus Indonesien und den Philippinen im Zentrum, erklärte Federmann. Wegen der hohen Mieten litten Migranten dort unter besonders schlechten Wohnbedingungen.

Insgesamt bietet das neu gestaltete Programmheft 48 Veranstaltungen im zweiten Halbjahr. Eingeteilt in neun Themenblöcken werden Tagungen, Diskussionsabende und Weiterbildungen angeboten.



Kurschus beglückwünscht Absolventen der Evangelistenschule

Die westfälische Präses Annette Kurschus hat die Absolventen der Evangelistenschule Johanneum Wuppertal für ihren künftigen Dienst ermutigt. Mit der Gewissheit, dass Gott immer wieder mit dem Menschen neu anfange, könnten sich die Absolventen auf ihre Wege begeben, sagte Kurschus am 15. Juli im Einsegnungsgottesdienst für die fünf Frauen und zehn Männer zum Abschluss ihrer Ausbildung. Das würden Wege der Neugier und des Entdeckens sowie Wege der Trauer und des Glücks sein. "Wir brauchen Sie alle auf dem Weg in die Zukunft unserer Kirche", erklärte die leitende Theologin der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Das "theologische Seminar für missionarische Jugend- und Gemeindearbeit" bildet junge Leute für den hauptamtlichen Verkündigungsdienst in der evangelischen Kirche aus. Das Johanneum ist seit seiner Gründung 1886 ein "freies Werk innerhalb der Evangelischen Kirche" und bildet für den Dienst in der Kirche und ihren Werken aus. Das Studium ist kirchlich anerkannt und bereitet unter anderem auf die Arbeit als Jugendreferent in einer Gemeinde, Gemeindediakon, Gemeindepädagoge oder Mitarbeiter in evangelischen Jugendwerken wie CVJM vor.



Kirche verlängert Umfrage über Mitgliedschaft und Austritte

Die Evangelische Kirche von Westfalen hat ihrer Umfrage, warum Menschen in der Kirche bleiben oder austreten, verlängert. An der Internetumfrage beteiligten sich bislang über 1.000 Menschen, wie das Landeskirchenamt am 16. Juli in Bielefeld mitteilte. Wegen der großen Nachfrage können Interessierte nun noch bis Ende Mitte Juli mitmachen. Unter dem Titel "Bleiben oder gehen?" solle die Motivation von Menschen erforscht werden, die weiter der Kirche angehören oder aus ihr ausgetreten sind, erklärte die Landeskirche.

Das Thema scheine viele Menschen sehr zu interessieren, denn sie hätten auch persönlich Kontakt per Mail, Telefon oder Brief aufgenommen, erklärte Tobias Faix von der CVJM-Hochschule Kassel, der die Studie zusammen mit Ulrich Riegel von der Universität Siegen leitet. "Hier scheint ein großer Redebedarf zu sein", sagte Faix. Die Studie richte sich zum einen an die Gruppe der Ausgetretenen, "weil wir wissen wollen, warum sie wirklich ausgetreten sind", sagte Faix dem Evangelischer Pressedienst (epd). Aber eben auch an die Menschen, die bewusst in der Kirche blieben.

Die westfälische Kirche wolle sich unter rasant ändernden Bedingungen weiterentwickeln, erklärte Landeskirchenrat Dieter Beese, der das Projekt in der Landeskirche betreut. Die Landeskirche werde die Aufbereitung der Umfrage durch ihre Öffentlichkeitsarbeit vornehmen, sagte Beese dem epd. Wieweit die Ergebnisse in kirchliche Angebote einfließen, darüber würden die Leitungsorgane wie Presbyterien, Synoden und Vorstände entscheiden.

Unter www.kirchenstudie.de können Kirchenmitglieder und Ausgetretene schreiben, weshalb sie in der Kirche sind oder diese verlassen haben. Wissenschaftler der CVJM-Hochschule Kassel und des Religionspädagogischen Instituts der Universität Siegen werten die Daten aus. Die Ergebnisse sollen voraussichtlich im Oktober veröffentlicht werden. Die Umfrage baut auf einer Studie des Bistums Essen auf. Es hatte im vergangenen Jahre Katholiken zu ihrer Kirchenbindung interviewen lassen.



Neue Schulleiterin für das Söderblom-Gymnasium Espelkamp

Das Söderblom-Gymnasium der westfälischen Kirche in Espelkamp erhält zum 1. Februar 2019 eine neue Schulleiterin. Die Kirchenleitung hat am 12. Juli entschieden, dass Marie-Luise Schellong die Nachfolge von Ernst-Friedrich Brandt antritt, wie das Bielefelder Landeskirchenamt mitteilte. Der 65-jährige Pädagoge, der seit fast 40 Jahre am Söderblom-Gymnasium unterrichtet und seit fünf Jahre dessen Schulleiter ist, geht in den Ruhestand. Schellong ist derzeit Qualitätsprüferin für evangelische Schulen in der Bezirksregierung Detmold, wie es hieß.

Das Gymnasium ist Teil des Evangelischen Schulzentrums Espelkamp, zu dem auch eine Sekundarschule gehört. Schellong (55) kündigte eine verstärkte Zusammenarbeit der beiden Schulformen an. Durch eine enge Kooperation mit der Sekundarschule könne ein breites Spektrum individueller Lernwege angeboten werden, erklärte sie. Der kollegiale Austausch der Lehrkräfte über die jeweilige Schulform hinaus erweitere das eigene Handeln, führe zu neuen Schwerpunkten und pädagogischen Kompetenzen.

Die gebürtige Gütersloherin ist ausgebildete Pfarrerin und Pädagogin. Nach Lehramts- und Theologiestudium in Göttingen, Heidelberg und Berlin arbeitete Schellong unter anderem als Schulpfarrerin an einem Berufskolleg in Recklinghausen. 2002 wechselte sie als Lehrerin an das Gymnasium Bethel der v. Bodelschwinghschen Stiftungen in Bielefeld. Berufsbegleitend absolvierte sie einen Studiengang für die Sekundarstufe II in den Fächern Religionslehre und Latein. Am Gymnasium Bethel war sie ab 2013 für die Koordination des diakonischen Profils, ab 2016 für die Schulentwicklung und -programmarbeit zuständig. 2017 ging sie zur Bezirksregierung Detmold. Marie-Luise Schellong ist verheiratet und hat zwei Kinder.



Doktortitel für Landesbischof Ulrich

"Landesbischof Dr. Gerhard Ulrich" darf sich der ranghöchste Theologe der evangelischen Nordkirche gegen Ende seiner Amtszeit nennen. Die Theologische Fakultät der Kieler Christian-Albrechts-Universität verleiht ihm am 1. Februar 2019 die Ehrendoktorwürde. Am 9. März wird Ulrich in den Ruhestand verabschiedet. Die Universität würdige damit Ulrichs Einsatz für Kirche und Theologie in einer modernen Gesellschaft und die besondere Qualität seiner theologischen Aussagen, teilte die Universität am 13. Juli mit.

Ulrich habe sich unter anderem durch seine Überlegungen zu den Beziehungen zwischen Kirche und Theater profiliert und die Erinnerungskultur durch die Unterstützung herausragender Projekte mitgefördert. "Außerdem hat Gerhard Ulrich das Theologiestudium in einem das übliche Maß weit überschreitenden Umfang gefördert, unter anderem durch die großzügige Gewährung von Stipendien", betonte Alt-Dekan Andreas Müller. "Die Theologische Fakultät zu Kiel hat sich stets in besonderer Weise durch den Landesbischof unterstützt gefühlt."

Ulrich habe sich immer auch als Botschafter der theologischen Forschung verstanden, hieß es weiter. Seine Publikationen zeugten "von einem hohen theologischen Niveau".



Wieder Roggenernte auf ehemaligem Todesstreifen


Roggenernte an der Kapelle der Versöhnung
epd-bild/Jürgen Blume

An der Kapelle der Versöhnung auf dem einstigen Todesstreifen der Berliner Mauer ist am 10. Juli die traditionelle Roggenernte eingebracht worden. Wie in den Vorjahren kam ein Mähdrescher vom Versuchsgut Domäne Dahlem zum Einsatz. Das Korn des knapp einen halben Hektar großen Getreidefeldes an der Bernauer Straße in Berlin-Mitte soll für verschiedene Projekte eingesetzt werden, wie die Stiftung Berliner Mauer ankündigte. Unter anderem sollen aus dem Mehl Oblaten für kirchliche Abendmahls-Feiern hergestellt oder zu besonderen Anlässen Brot gebacken werden.

Der Getreideanbau auf dem ehemaligen Todesstreifen und heutigen Mauer-Gedenkstättenareal geht zurück auf ein temporäres Kunstprojekt im Jahr 2005, aus dem dann eine dauerhafte Einrichtung wurde. Die evangelische Versöhnungsgemeinde und die benachbarte Stiftung Berliner Mauer sehen in der jährlichen Roggenernte "ein symbolkräftiges Zeichen für das Leben und damit für die Überwindung von Angst und Gewalt an diesem historischen Ort", wie es heißt.

Bereits im Frühjahr 1990 säten den Angaben zufolge einige Ostberliner auf dem ehemaligen Todesstreifen erstmals Lupinen aus. Später übernahmen Mitglieder der Kirchengemeinde die Aussaat, damit auf dem Gelände wieder etwas wächst. Mittlerweile wird seit dreizehn Jahren Getreide gesät, geerntet und nachhaltig verarbeitet. Betreut und gepflegt wird der Acker von der lebenswissenschaftlichen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität, die auch Ernte und Aussaat übernimmt.



Potsdamer Garnisonkirche bekommt wissenschaftlichen Beirat

Die Bildungs- und Gedenkarbeit der Stiftung Garnisonkirche Potsdam wird in Zukunft von einem wissenschaftlichen Beirat begleitet. Als kommissarischen Vorsitzenden präsentierte die Stiftung am 13. Juli in Potsdam den Historiker und Präsidenten der Evangelischen Akademie zu Berlin, Paul Nolte. Ihm zur Seite stehen weitere namhafte Wissenschaftler. Der Beirat soll im Herbst seine Arbeit aufnehmen. Der Wiederaufbau des Turms der 1945 zerstörten und 1968 in der DDR abgerissenen Garnisonkirche hatte im vergangenen Herbst begonnen.

Die Garnisonkirche stehe für die vielfältigen Sedimente und Schichten der deutschen Geschichte und deren Bruchzonen, sagte Nolte. Das Spannende am geplanten Wiederaufbau sei, dass keine ursprüngliche Nutzung angestrebt werde, sondern ein Projekt der Versöhnung und Verantwortung.

Der Vorsitzende des Kuratoriums der Stiftung Garnisonkirche, Altbischof Wolfgang Huber, betonte, der wissenschaftliche Beirat solle das inhaltliche Konzept für die Garnisonkirche weiterentwickeln und profilieren. Seine Stellvertreterin, die Präses der EKD-Synode, Irmgard Schwaetzer, erklärte, sie erwarte, dass der Beirat die vielfältige Geschichte des Ortes kritisch reflektiere und dabei helfe, mit der Friedens- und Versöhnungsarbeit am Gedenkort eine "Schule des Gewissens" zu etablieren. Paul Nolte ist Professor für Zeitgeschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin.

Beirat will zwei- bis dreimal im Jahr tagen

Unterstützt wird Nolte künftig von derzeit acht Beiratsmitgliedern. Darunter sind unter anderem die Philosophin Susan Neiman, Direktorin des Einstein Forum Potsdam, der Theologe Christian Polke von der Universität Göttingen, die Historikerin Christiane Kuller von der Universität Erfurt sowie die Geschichtsdidaktikerin Christine Gundermann von der Universität Köln. Weitere Beiratsmitglieder sind der neue Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, der Historiker Axel Drecoll, die Friedensforscherin Ines-Jacqueline Werkner von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft Heidelberg sowie der Historiker Eckart Conze von der Universität Marburg. Auch der langjährige Leiter des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, Rainer Eckert, ist Mitglied des wissenschaftlichen Beratungsgremiums, das zwei- bis dreimal im Jahr tagen soll, wie Nolte sagte. Zudem könnten bis zu drei weitere Beiratsmitglieder berufen werden.

Koordiniert wird das Gremium durch eine Geschäftsstelle. Künftig sollen Veranstaltungen geplant, aber auch eigene Forschung initiiert werden, sagte Nolte. Er sehe den Beirat als Ort für Debatten, betonte der designierte Vorsitzende. Der wissenschaftliche Beirat soll in seiner Arbeit unabhängig sein. Alle Beiratsmitglieder seien "Garanten für eine wissenschaftlich fundierte, kritische und weiterführende Begleitung unseres wichtigen Projekts", sagte Huber.

Beim Wiederaufbau des Turmes der Garnisonkirche ist zunächst für rund 26 Millionen Euro eine Grundvariante ohne Turmaufsatz und Schmuckelemente geplant. Dafür stellt der Bund zwölf Millionen Euro zur Verfügung. Für die nach Stiftungsangaben rund 38 Millionen Euro teure Errichtung des gesamten Kirchturms fehlen weiter mehrere Millionen Euro. Das Bauprojekt ist wegen der preußischen Militärgeschichte der Garnisonkirche und ihrer Bedeutung in der NS-Zeit umstritten. 1933 gab Adolf Hitler in der Kirche eine Regierungserklärung ab.

Im Juni war mit einem Gedenkgottesdienst an die Sprengung der Garnisonkirche vor 50 Jahren erinnert worden. Auf Teilen des Areals wurde in der DDR ein Rechenzentrum errichtet. Das Rechenzentrum wird derzeit als Kunst- und Kreativhaus genutzt und befindet sich neben der Baustelle.




Gesellschaft

Kippa-tragender Professor in Bonn angegriffen


Mann mit Kippa
epd-bild / Norbert Neetz
Ein junger Mann mit palästinensischen Wurzel hat einen jüdischen Professor in Bonn attackiert. Bei dem folgenden Einsatz der Polizei hielten die Einsatzkräfte den Angegriffenen irrtümlich für den Täter und verletzten ihn im Gesicht. Das Opfer erhebt schwere Vorwürfe gegen die Beamten.

Nach dem tätlichen Angriff eines arabischstämmigen Mannes auf einen israelischen Professor in Bonn ist erneut eine Debatte um den Umgang mit antisemitischen Straftaten in Deutschland entbrannt. Zudem sorgt der Vorfall für Schlagzeilen, weil die herbeigerufene Polizei das Opfer zunächst für den Angreifer hielt und bei dem Einsatz verletzte, wie die Polizei am 12. Juli mitteilte. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) bezeichnete den Vorfall in der in Essen erscheinenden "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (13. Juli) als "abscheulich". Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, zeigte sich in der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (13. Juli) "zutiefst empört" über den Angriff.

Polizei verletzt das Opfer bei Einsatz

Der 20-jährige mutmaßliche Täter - ein Deutscher mit palästinensischen Wurzeln - hatte dem in den USA lebenden Professor am 11. Juli im Bonner Hofgarten die jüdische Kopfbedeckung Kippa heruntergeschlagen und ihn zudem geschubst und geschlagen. Dabei soll der offenbar psychisch verwirrte junge Mann unter anderem "Kein Jude in Deutschland" gerufen haben. Als die von der Begleiterin des Angegriffenen alarmierte Polizei vor Ort erschien, flüchtete der Angreifer. Der Professor verfolgte ihn und wurde von der Polizei fälschlicherweise für den Angreifer gehalten. Da er laut Polizei deren Aufforderungen nicht nachkam, wurde er von den Beamten überwältigt. Als sich der Wissenschaftler wehrte, schlugen ihm die Polizisten ins Gesicht.

Täter hatte palästinensische Wurzeln

Erst nachdem die Begleiterin die Beamten über den Irrtum aufgeklärt hatte, konnte der eigentliche Tatverdächtige ermittelt und festgenommen werden. Der 20-Jährige sei der Polizei wegen Gewalt- und Drogendelikten bereits bekannt, hieß es. Zum Tatzeitpunkt stand er nach Polizeiangaben offenbar unter dem Einfluss von Drogen. Aufgrund "psychischer Auffälligkeiten" kam in eine Fachklinik. Gegenüber der Polizei hatte er seine antisemitischen Äußerungen wiederholt, sich ansonsten aber nicht zur Sache geäußert. Der Staatsschutz wurde in die weiteren Ermittlungen eingeschaltet.

Professor widerspricht Polizei

Der jüdische Professor selbst wirft den Polizisten in Bonn "brutale Polizeigewalt" vor. Die Beamten hätten ihn zu Boden geworfen und ihm mehrmals ins Gesicht geschlagen, sagte der in den USA lebende Philosophieprofessor den Zeitungen der "Funke Mediengruppe" (14. Juli). "Ich war geschockt, und ich rief: Ich bin die falsche Person", berichtete der Mann.

Der Professor bestreitet zudem, dass er Gegenwehr geleistet habe. "Ich war nicht zu 100, sondern zu 500 Prozent passiv, ich habe nichts gemacht", erklärte er. Die Polizei gab an, den Professor aus Baltimore mit dem Angreifer verwechselt zu haben. Deswegen sei er zunächst festgehalten worden. Die Polizei hatte erklärt, dass der Wissenschaftler geschlagen worden sei, nachdem er sich gewehrt habe. Der Professor sagte dazu: "Ganz sicher habt ihr ein Problem mit dem Antisemitismus, aber ihr habt auch ein Problem mit brutaler Polizeigewalt." Das sei ein "abscheuliches Polizeiverhalten".

Ermittlungen wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt

Gegen die Beamten, die den Wissenschaftler bei dem Einsatz verletzt hatten, wird nun wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt. Aus Neutralitätsgründen übernahm das Polizeipräsidium Köln die Ermittlungen. Die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa entschuldigte sich persönlich bei dem betroffenen Professor. "Ein schreckliches und bedauerliches Missverständnis im Einsatzgeschehen, für das ich bei dem betroffenen Professor ausdrücklich um Entschuldigung gebeten habe. Wir werden genau prüfen, wie es zu dieser Situation kam und alles Mögliche dafür tun, um solche Missverständnisse zukünftig vermeiden zu können", sagte sie.

Landesinnenminister Reul kündigte in der "WAZ" eine harte Linie an: "Wir werden nicht zulassen, dass in Deutschland wieder Hatz auf Juden gemacht wird." Zugleich entschuldigte sich der Minister wegen des Umgangs der Polizei mit dem Betroffenen: "Es wird neutral ermittelt, ob in diesem Fall angemessen gehandelt wurde."

Bonner Superintendent betont Solidarität mit Opfer

Der Bonner Superintendent Eckart Wüster sprach den jüdischen Mitbürgern in Bonn und der Synagogen-Gemeinde seine Solidarität aus. "Die jüngste antisemitische Attacke sollte uns zudem einmal mehr nachdenklich machen, wie wir auch in Deutschland in öffentlichen Debatten derzeit über Menschen sprechen. Denn Worte bereiten Gewalt vor", sagte Wüster am 13. Juli.

Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Klein, sprach sich in der "Rheinischen Post" dafür aus, dass nun "rasch ein Ermittlungsverfahren" gegen den mutmaßlichen Täter eingeleitet werde. "Wir müssen zeigen, dass jede Form von Antisemitismus in Deutschland sofort sanktioniert wird", sagte er der Zeitung. Zugleich begrüßte es der Antisemitismusbeauftragte, dass die Polizei sich für die Verwechslung von Opfer und Täter entschuldigt habe.



Schuster fordert Meldepflicht bei antisemitischen Vorfällen


Der syrische Angeklagte beim Prozess um die Attacke auf einen Kippa-Träger im Juni in Berlin
epd-bild/Christian Ditsch
Immer wieder kommt es zu antisemitischen Vorfällen und Straftaten. Der Zentralrat der Juden fordert dafür eine Meldepflicht. Körperverletzung aus politischem Hass sollte härter bestraft werden, sagt der Antisemitismusbeauftragte Klein.

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fordert eine Meldepflicht für antisemitische Übergriffe. Dies könne helfen, ein besseres Gesamtbild zu bekommen, sagte Schuster dem Berliner "Tagesspiegel" (15. Juli) und verwies auf eine hohe Dunkelziffer von Fällen. Nicht nur strafrechtlich relevante Taten sollten laut Schuster registriert werden. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, befürwortet ein Erfassungssystem für antisemitische Straftaten. Er sprach sich zudem für härtere Strafen für bestimmte Straftaten aus.

"Wir sollten überlegen, Körperverletzung, die aus dem Motiv des politischen Hasses heraus begangen wurde, schärfer als üblich zu bestrafen", sagte Klein der Zeitung "Welt am Sonntag". Darüber werde er mit Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) nach der Sommerpause sprechen. Anlass für den Vorstoß ist das nach Ansicht von Klein "sehr milde" Urteil für einen Syrer, der in Berlin einen Kippa-Träger geschlagen und dafür vier Wochen Arrest erhalten hatte.

Hohe Dunkelziffer

"Es gibt eine hohe Dunkelziffer von Vorfällen, die nie zur Anzeige kommen. Dafür braucht es niedrigschwellige Angebote", begründete Zentralratspräsident Schuster seinen Vorschlag einer Meldepflicht. Er verwies auf ein entsprechendes Meldesystem in Bayern für jüdische Gemeinden, das gerade installiert werde. "Für viele Menschen ist es einfacher, wenn sie sich nicht an eine Behörde wenden müssen", sagte er.

Auch Klein verwies darauf, dass es eine hohe Dunkelziffer von Fällen gebe, die nicht gemeldet werden. Daher sei ein Erfassungssystem für antisemitische Straftaten notwendig, sagte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, der seit Anfang Mai im Amt ist. Antisemitisch motivierte Straftaten durch Muslime seien indes seit der Flüchtlingskrise nicht gestiegen, sagte Klein. Das sei der eindeutige Befund der Kriminalstatistik.

Schuster sieht auch Defizite bei den Strafverfolgungsbehörden. Diese gingen bei Straftaten gegen Minderheiten generell nicht konsequent genug vor. Der Münchner NSU-Prozess habe gezeigt, dass noch Handlungsbedarf bestehe. "Ich glaube, dass die Strafverfolgungsbehörden eine stärkere Sensibilität für solche Übergriffe entwickeln müssen", sagte der Zentralratspräsident.

Schuster wie auch Klein sprachen sich dafür aus, stärker gegen antisemitische Vorfälle und Mobbing an Schulen vorzugehen. Lehrkräfte müssten im Umgang mit Antisemitismus geschult werden, forderte Zentralrats-Präsident Schuster. "Ich habe das Gefühl, dass viele Lehrer nicht genügend dafür sensibilisiert sind", sagte er. Auch der Antisemitismusbeauftragte will, dass die Abwehr von Antisemitismus und Rassismus Gegenstand der Lehrerausbildung wird. "Antisemitismus an Schulen darf nicht mehr vertuscht werden", mahnte Klein.



Antisemitismusbeauftragter fordert "Kultur des Hinschauens"

Der neue bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) fordert eine Kultur des Hinschauens. "Wenn Juden angegangen werden, wenn sie beschimpft werden oder wenn das Wort 'Jude' als Schimpfwort verwendet wird, dann müssen wir von staatlicher Seite dem entgegentreten", sagte der frühere bayerische Kultusminister dem Evangelischen Pressedienst (epd). In Kürze soll es daher auch ein niederschwelliges Meldesystem geben, an das sich Bürger wenden und antisemitische Vorfälle melden können. Spaenle war Mitte Mai zum ersten Antisemitismusbeauftragten der Staatsregierung ernannt worden.

"Mir schwebt vor, dass neben strafrechtlich relevanten Vorfällen auch Niederschwelliges gemeldet wird - Beleidigungen oder Beschimpfungen, Diskriminierung im Alltag", sagte Spaenle weiter. So wolle er sich einen aussagefähigen Überblick über Antisemitismus in Bayern verschaffen. Bislang könne er sich nur auf Zahlen der Staatsregierung berufen, wonach es im vergangenen Jahr rund 150 Straftaten gegen jüdische Bürger und Einrichtungen gegeben habe - meist Volksverhetzung oder Sachbeschädigungen. Mit seinem Meldesystem wolle er aber auch Vorfälle erfassen, die keine Straftaten sind.

Wichtig sei ihm in seinem neuen Amt auch die Bildungs-, Erinnerungs- und Gedenkstättenarbeit. "Sie muss auf Höhe der Zeit sein und keine formale Rückwärtsbetrachtung", betonte Spaenle. Denn es gebe immer weniger Zeitzeugen, außerdem seien an den Schulen immer mehr Kinder aus Zuwandererfamilien - an Münchner Schulen machten sie bereits rund 50 Prozent der Schülerschaft aus. Daher brauche es eine gute Erinnerungsarbeit, denn viele Zuwandererkindern fragten sich, warum sie sich für den Holocaust verantwortlich fühlen sollten, sagte der Antisemitismusbeauftragte.

Auch die Zuwanderung von mehr als einer Million Menschen aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens in den vergangenen Jahren habe dem Antisemitismus eine neue Färbung gegeben, sagte Spaenle. "Wenn es zur Erziehung gehört, dass Eltern ihren Kindern sagen, Israel sei ein Verbrecherstaat, der von der Landkarte getilgt werden müsse, dann können wir das nicht akzeptieren." Es sei aber klar, dass Kritik am Staat Israel möglich sein müsse, diese dürfe aber nicht antisemitisch sein. "Und man muss sich mal klar machen, dass die Juden hierzulande keine Verantwortung dafür tragen, was in Israel passiert."

epd-Gespräch: Christiane Ried


NSU-Opfer: Urteil darf nicht Ende der Aufklärung bedeuten

Nach dem Urteil im NSU-Prozess haben Angehörige und Rechtsanwälte weitere Aufklärung über die Hintergründe der zehn rechtsextremistisch motivierten Morde gefordert. Die Rolle der Verfassungsschutzbehörden und die Verstrickung von sogenannten V-Leuten sei in dem fünfjährigen Gerichtsverfahren weitgehend ungeklärt geblieben, sagte Rechtsanwalt und Opfervertreter Mehmet Daimagüler am 12. Juli in Berlin.

Auch habe die Beweisaufnahme gezeigt, dass die bis zuletzt vertretene These der Generalbundesanwaltschaft, es handele sich beim NSU um ein isoliertes Trio, falsch gewesen sei. Allein vor Gericht seien 24 Zeugen angehört worden, die neben den Mitangeklagten von Beate Zschäpe die untergetauchten Rechtsterroristen unterstützten, sagte Daimagüler.

Der Opferanwalt will jetzt mit einer Staatshaftungsklage das Versagen der Ermittlungsbehörden feststellen lassen. Eine entsprechende Klage auf Schadensersatz von bislang drei betroffenen Familien sei beim Landgericht Nürnberg eingereicht worden, sagte Daimagüler. Dabei sprach er auch von "institutionellem Rassismus" wegen einseitiger Ermittlungen in Migrantenkreisen.

Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt

Das Münchner Oberlandesgericht hatte im Prozess gegen den sogenannten Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) am 11. Juli die 43 Jahre alte Hauptangeklagte Beate Zschäpe wegen Mordes in zehn Fällen zu lebenslanger Haft verurteilt. Dazu kamen unter anderem weitere Vorwürfe wie mehrfacher versuchter Mord und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Gericht verurteilte zudem die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Holger G., André E. und Carsten S. zu mehrjährigen Haftstrafen. Die Urteile sind noch nichts rechtskräftig, es wird ein Revisionsverfahren am Bundesgerichtshof erwartet. Die rechtsextrem motivierte Mordserie des NSU war 2011 aufgedeckt worden.

Den Taten von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Zschäpe fielen zwischen 2000 und 2007 nach Behördenerkenntnissen in acht Städten neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin zum Opfer. Zschäpe stand als einzige Überlebende des Trios vor Gericht, ebenso wie vier Helfer der Gruppe. Böhnhardt und Mundlos hatten sich 2011 auf der Flucht vor der Polizei das Leben genommen.

Rechtsanwätlin Seda Basay kritisierte, das Urteil habe keine Gerechtigkeit für die Opfer gebracht. Lehren aus dem "NSU-Komplex" seien nicht gezogen worden. Zudem sei das Gericht nicht auf das Leid der Angehörigen der Ermordeten eingegangen. Kerim Simsek, Sohn des ersten bekannten NSU-Mordopfers Enver Simsek aus Nürnberg, zeigte sich "sehr enttäuscht" über die zum Teil in seinen Augen zu milden Strafen. Mit keinem Wort sei der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Manfred Götzl darauf eingegangen, "dass unser Leben zerstört wurde", sagte Simsek.



Baltische Staaten und Pfadfinder mit Friedenspreis geehrt

Der Preis des westfälischen Friedens würdigt das Engagement der drei baltischen Staaten und der Pfadfinderjugend für ein friedliches Europa. Bundespräsident Steinmeier und NRW-Ministerpräsident Laschet nahmen in Münster die Ehrung vor.

Die baltische Staaten und die Jugendorganisation der Pfadfinder sind am 14. Juli in Münster mit dem Internationalen Preis des Westfälischen Friedens ausgezeichnet worden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte die baltischen Staaten "ermutigende Beispiele europäischer Gesinnung". Die Vertreter der baltischen Staaten unterstrichen, dass Frieden immer wieder errungen werden müsse. Der alle zwei Jahre vergebene Preis ist mit insgesamt 100.000 Euro dotiert.

In seiner Laudatio für die drei EU-Staaten an der Ostsee, die früher Teilrepubliken der Sowjetunion waren, würdigte Steinmeier deren "unbeugsame Liebe zur Freiheit". Als Beispiel nannte er die baltische friedliche Revolution im Jahr 1989. "Die baltischen Staaten haben über Jahrhunderte das Schicksal kleinerer Nationen getragen, von den großen Mächten als Vorfeld ihrer Ansprüche betrachtet zu werden", sagte Steinmeier.

Steinmeier: Nur gemeinsam sind wir stark

Der Bundespräsident hob auch das deutliche Bekenntnis der Länder zur Europäischen Union und zur Nato hervor. "Sie wissen: Nur gemeinsam sind wir stark", sagte Steinmeier. "Wir brauchen einander als Partner und als Freunde!". Es bleibe die gemeinsame Hoffnung, "dass das auch auf der anderen Seite des Atlantik nicht vergessen" werde, sagte er mit Blick auf die Kritik von US-Präsident Donald Trump an EU und Nato. Dass die Länder für Versöhnung mit den Deutschen stünden, die so furchtbare Verbrechen in den Ländern verübt hätten, "das erfüllt uns mit Dankbarkeit", unterstrich der Bundespräsident.

Bei dem Festakt im Münsteraner Rathaus nahmen die litauische Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite, die estnische Staatspräsidentin Kersti Kaljulaid und der lettische Präsident Raimonds Vejonis die Auszeichnungen entgegen. Grybauskaite unterstrich, dass Frieden immer wieder erkämpft werden müsse. Vejonis erklärte, angesichts von militärischen und humanitären Krisen liege die Zukunft in einem geeinten und starken Europa. Auch die estnische Staatspräsidentin Kaljulaid unterstrich die Notwendigkeit des Zusammenhalts in Europa.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) würdigte in seiner Laudatio die Verdienste der Pfadfinder als weltgrößte Jugendbewegung. Sie hätten sich selbst zum Ziel gesteckt, Frieden auf der Welt zu schaffen und dafür zu arbeiten. "Ihr seid ein gutes Beispiel dafür, wie man unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder sozialer Schicht friedlich zusammenleben und sich gegenseitig respektieren kann", betonte Laschet. Den deutschen Pfadfinderverbänden gehören derzeit rund 220.000 Mitglieder an.

Mit dem Friedenspreis werden Menschen und Organisationen ausgezeichnet, die ein Vorbild für Ausgleich und Frieden in Europa und in der Welt sind. Unter den bisherigen Preisträgern der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan sowie die Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und Helmut Kohl (CDU). 2016 wurden Jordaniens König Abdullah II und die Aktion Sühnezeichen ausgezeichnet.

Der Westfälische Friedenspreis wurde 1998 zum 350. Jubiläum des Westfälischen Friedens von der Wirtschaftlichen Gesellschaft für Westfalen und Lippe gestiftet. Seitdem wird er alle zwei Jahre an zwei Preisträger verliehen.



UNHCR: Kaum ein Flüchtling hat Chance auf EU-Umsiedlung


Flüchtlingslager Zaatari in Jordanien
epd-bild / Rein Skullerud / WFP
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR ruft Deutschland und Europa auf, die Neuansiedlung von Flüchtlingen aus Asien und Afrika in die Länder der Europäischen Union stärker zu unterstützen.

In Europa wird derzeit viel darüber diskutiert, wer welche Flüchtlinge auf- beziehungsweise zurücknimmt. Über die Flüchtlingspolitik der Europäer und der Deutschen sprach der Evangelische Pressedienst (epd) mit dem Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) in Deutschland, Dominik Bartsch.

epd: Herr Bartsch, in den vergangenen Wochen haben die europäischen Staaten Maßnahmen für eine Absicherung der EU-Außengrenzen beraten. Das UNHCR wirbt für die Möglichkeit, Flüchtlinge aus Afrika oder Asien über das sogenannte Resettlement-Verfahren - zu Deutsch: die dauerhafte Neuansiedlung - nach Europa kommen zu lassen. Wie viele bekommen denn tatsächlich diese Chance?

Dominik Bartsch: Wenn wir weltweit von derzeit 68 Millionen Vertriebenen reden, dann ist das höchstens ein Promille. Das ist natürlich viel zu wenig. Deutschland hat für dieses und nächstes Jahr zusammen die Aufnahme von 10.200 Flüchtlingen über diesen Weg zugesagt. Würde man hier noch zusätzlich die Neuansiedlung von Flüchtlingen mit Hilfe privater Sponsoren oder Hilfsorganisationen möglich machen, dann könnten wir die Zahlen steigern. Es ist unser dringender Appell an Länder wie Deutschland, dieses Programm weiter auszubauen.

epd: Welche Menschen haben Sie bei diesem Verfahren besonders im Blick?

Bartsch: Es sind Flüchtlinge, die besonderen Schutz benötigen - auch in ihrem Erstaufnahmeland. Da wäre zum Beispiel die alleinerziehende Mutter, die sexuelle Gewalt in einem Lager erlebt hat und dort nicht mehr weiterleben kann. Ihr würden wir damit eine Möglichkeit geben, ihr Leben langfristig neu aufzubauen.

epd: In der Diskussion über Flüchtlinge heißt es vielfach, man müsse die Fluchtursachen bekämpfen. Geschieht das denn?

Bartsch: Wir definieren die Fluchtursachenbekämpfung anders, als es in der deutschen Debatte der Fall ist. Uns geht es vor allem um die Ursprungsländer und dort den politischen Ansatz, den Konflikt zu beenden. Die hiesige Diskussion bezieht sich wiederum auf die Anrainerstaaten des Konfliktlandes, aus denen sich die Flüchtlinge wegen der ebenfalls sehr schwierigen Bedingungen auf den Weg weiter nach Europa machen. Aber auch die Unterstützung für diese Länder ist sehr wichtig. Im Fall von Syrien wären das zum Beispiel Jordanien und der Libanon, wo wir eine Finanzierungslücke von mehr als zwei Milliarden Dollar (rund 1,7 Milliarden Euro) haben. Aber da haben wir von den benötigten Finanzmitteln erst die Hälfte zugesagt bekommen. Noch dramatischer sieht es bei der Hilfe für Flüchtlinge aus dem Südsudan aus: Hier sind es weit unter 50 Prozent.

epd: Wie muss die Hilfe vor Ort aussehen?

Bartsch: Es geht nicht nur um humanitäre Nothilfe, sondern darum, Menschen eine Perspektive zu bieten. Aus unserer Sicht ist Schulbildung ganz wichtig. Viele, die sich 2015 auf den Weg nach Europa gemacht haben, haben sich dazu entschlossen, weil das Geld ausging, um Grundschulen in den Lagern weiter zu betreiben. Als Kinder nicht mehr am Schulunterricht teilnehmen konnten, war auch die Perspektive weggebrochen. Das hat zu einer solchen Verzweiflung geführt, die die Menschen zu diesem Schritt bewegt hat.

epd: Die EU streitet derweil über die künftige Asylpolitik. Sind die Dublin-Regeln, die besagen, welches Land für welchen Flüchtling zuständig ist, überhaupt noch zeitgemäß?

Bartsch: Wenn man die Wirkung der Dublin-Regeln ganz nüchtern analysiert, ist klar, dass da einige Länder sich benachteiligt fühlen. Aus der Perspektive von Ländern wie Italien oder Griechenland, die sehr viele Schutzsuchende aufgenommen haben, ist dieses System nicht unbedingt effektiv. Von daher ist es wichtig, ein gemeinsames europäisches Asylsystem aufzubauen. Das ist in der momentanen Gemengelage innerhalb Europas allerdings besonders schwierig.

epd: In Deutschland hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) seinen "Masterplan" für die künftige Asylpolitik vorgestellt. Es geht um sogenannte Transit- und Ankerzentren für schnellere Verfahren und Abschiebungen. Wie bewerten Sie diese Vorhaben?

Bartsch: Unsere Sorge ist, dass es um Abgrenzung geht, um restriktive Handhabe und damit das Konzept des Flüchtlingsschutzes verloren geht. Gleichzeitig sehen wir gerade die geplante Beschleunigung der Verfahren positiv. Es ist menschlich ganz schwierig, wenn jemand, dessen Verfahren sich über Monate oder Jahre hingezogen hat, am Ende keinen Schutzstatus bekommt und das Land wieder verlassen muss.

epd: Sie haben Zugang zu dem großen Flüchtlingslager im bayerischen Manching, das als Vorbild für die künftig geplanten Ankerzentren dient. Was ist Ihr Eindruck?

Bartsch: Die Unterbringung in der ehemaligen Kaserne ist sehr einfach. Für einen Kurzzeitaufenthalt ist das machbar. Aber wenn Menschen über Monate oder Jahre so hausen müssen, ist das sicher nicht im Sinn der menschlichen Unterbringung. Kinder haben in solchen Zentren bislang keine Möglichkeit, die Schule regulär zu besuchen. Bedenken haben wir außerdem, was mögliche Gewalt angeht, wenn Menschen mit ganz unterschiedlichen Bleibeperspektiven unter einem Dach leben. Sehr wichtig wäre noch der Zugang zu einer unabhängigen Rechtsberatung. Nach unserem Verständnis sollten die Schutzsuchenden auch künftig dort nicht interniert werden, sie sollten tagsüber das Gelände verlassen können, damit Integration zumindest im Ansatz gelingen kann.

epd: In der Integrationspolitik wurde immer von Fördern und Fordern gesprochen. Die aktuelle Debatte über Asylpolitik vermittelt aber den Eindruck, dass nur noch gefordert wird. Wie hilfreich ist eine solche Diskussion für Integration?

Bartsch: In unserer Erfahrung ist es immer der Austausch zwischen Einzelnen, zwischen deutschen Bürgern und Flüchtlingen, der zu einem Umdenken führt. Wir hoffen, dass durch das tägliche Zusammenleben, wenn aus dem Flüchtling der Kollege oder der Nachbar wird, einige der Spannungen, die sich aufgebaut haben, sich wieder abbauen lassen.

epd: Asyl-Tourismus, Anti-Abschiebungsindustrie sind Worte, die derzeit fallen. Wie schätzen Sie die Wirkung solcher Begriffe ein?

Bartsch: Die Sprache verroht ganz sicher. Sie zeigt auf, dass die einzelnen Menschen oftmals quasi als Objekte gesehen werden. Von daher macht uns der Sprachgebrauch große Sorgen, weil er das Menschliche, den menschlichen Zugang verbaut.

epd: Sie haben schon in vielen Ländern gearbeitet, in Indien, Afghanistan, Irak zum Beispiel. Kommen solche Wortschöpfungen dort auch vor?

Bartsch: Die Art, wie solche Begriffe entstehen und benutzt werden, hat schon eine bestimmte deutsche Spezifität. Ich habe in anderen Ländern erlebt, dass beleidigende Spitznamen erfunden wurden, aber eine Wortschöpfung wie Asyl-Tourismus ist schon etwas Besonderes: Sie impliziert, dass der Einzelne sich aussucht, wo er denn jetzt mal hingeht. Es wird völlig ausgeblendet, dass es sich in vielen Fällen um Menschen handelt, die vor Verfolgungen fliehen und um ihr Leben rennen.

epd-Gespräch: Mey Dudin


Seehofer präsentiert "Masterplan"


Bundesinnenminister Seehofer stellte den "Masterplan Migration" vor.
epd-bild/Christian Ditsch
Am 10. Juli präsentierte Innenminister Seehofer seinen "Masterplan Migration". Die angestrebten Verschärfungen des Asylrechts stoßen bei Organisationen auf Widerstand. Seehofer opfere die letzte Humanität im Asylrecht, kritisierte auch die Linke.

Mit der Unterstützung von Herkunftsländern und Verschärfungen im deutschen Asylrecht will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Zuwanderung nach Deutschland regulieren. Am 10. Juli präsentierte Seehofer in Berlin seinen "Masterplan Migration". 63 Punkte enthält das Papier, darunter Pläne für Einschränkungen von Sozialleistungen für Flüchtlinge und ein schärferes Vorgehen gegen Ausreisepflichtige, etwa durch Ausweitung der Abschiebehaft. Der Plan stieß auf ein geteiltes Echo. Hilfsorganisationen kritisierten die geplanten Verschärfungen. Die für die nationalen Maßnahmen notwendige Unterstützung der SPD blieb zunächst fraglich.

23 Seiten hat der "Masterplan". Unter anderem geht es um die Verbesserung der Situation in Herkunfts- und Transitstaaten, um Flucht zu verhindern, sowie Regelungen auf Ebene der Europäischen Union. Der Fokus liegt aber auf nationalen Maßnahmen. Bereits ab Punkt 26 geht es um den Schutz der deutschen Grenzen, Qualität in Asylverfahren, Mitwirkungspflichten von Asylsuchenden, die geplanten Anker-Zentren und mögliche Kürzungen der Sozialleistungen. Anderthalb Seiten beschäftigten sich mit dem Themenfeld Integration, drei mit dem Thema Rückkehr und Abschiebung.

Seehofer sagte, gebraucht werde eine "Balance zwischen Hilfsbereitschaft und den tatsächlichen Möglichkeiten" der Aufnahme von Flüchtlingen. Hilfsorganisationen warfen dem Minister einen Mangel an Humanität vor. "Der Plan konzentriert sich nur auf Verschärfungen bei der Verwaltung und in Verfahrensfragen und vernachlässigt das Wichtigste: den Menschen", sagte der deutsche Repräsentant des Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Dominik Bartsch. Ein Bekenntnis zum Schutz von Menschen, die in ihrem Herkunftsland bedroht seien, fehle völlig.

"Brot für die Welt" spricht von "Debakel für die Humanität"

Das evangelische Hilfswerk "Brot für die Welt" sprach von einem "Debakel für die Humanität". Das Kinderhilfswerk Unicef fürchtet um das Wohl von Kindern auf der Flucht, wenn sie in großen Einrichtungen wie den geplanten Anker-Zentren untergebracht werden.

Kommunale Spitzenverbände begrüßten dagegen wesentliche Teile des "Masterplans". Es sei richtig, Asylverfahren und Rückführungen zentral und effizienter zu bündeln, erklärte der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe (CDU). Der Deutsche Landkreistag erklärte, man müsse zu einem "konsequenten und umfassenden Konzept für die Steuerung von Migration und Integration" kommen.

Teile des Maßnahmenpakets wie die Anker-Zentren und die Einstufung der Maghreb-Länder als sichere Herkunftsstaaten sind Teil des Koalitionsvertrages. Anderes dürfte mit der SPD noch zu bereden sein. Seehofer will beispielsweise den Bezug der niedrigeren Asylbewerberleistungen auf drei Jahre ausweiten. Bislang haben Flüchtlinge nach 15 Monaten Anspruch auf Hartz IV. Zudem sollen Flüchtlinge, die keine Papiere haben, beschleunigte Asylverfahren erhalten und mit Leistungskürzungen bestraft werden, wenn sie sich nicht ausreichend um Ersatz kümmern. Die Abschiebehaft soll ausgeweitet und nach Seehofers Plänen auch das Gebot der Trennung von Abschiebe- und regulärer Haft befristet ausgesetzt werden, das EU-Recht eigentlich vorschreibt.

Für Verwunderung sorgte auch, dass im "Masterplan" weiter davon die Rede davon ist, Flüchtlinge, die in einem anderen EU-Land registriert sind, in "Transitzentren" zurückzuweisen. Der mühsam erst innerhalb der Unionsparteien und dann mit der SPD gefundene Kompromiss sah letztlich "Transitverfahren" vor. Es sei ein Plan des Ministeriums, nicht der Koalition, sagte Seehofer.

SPD-Vorstandsmitglied Anke Rehlinger sagte dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland", einen veralteten Plan vorzulegen, sei "Realsatire" und vom Verfahren "kein vernünftiger Beitrag für eine sinnvolle Lösung". Zu inhaltlichen Punkten des Plans gab es am 10. Juli vonseiten des Koalitionspartners zunächst keine Bewertungen.

Deutliche Ablehnung kam von Grünen und Linken. "Keine der vorgeschlagenen Maßnahmen führt dazu, dass es weniger Flüchtlinge gibt", sagte die Grünen-Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg. Es würden weiterhin zahlreiche Menschen auf dem Mittelmeer sterben oder in libyschen Lagern verelenden. Die Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke kritisierte, Seehofer opfere "die letzte Humanität im Asylrecht einem ordnungspolitischen Fanatismus".



NRW will schnellere Rückführung von Flüchtlingen

Der in Nordrhein-Westfalen für Flüchtlinge und Integration zuständige Minister Joachim Stamp (FDP) will die Verfahren zur Rückführung von Flüchtlingen beschleunigen. Darüber sowie über Verbesserungen beim "Rückführungsmanagement" wolle er sich am 17. Juli mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) besprechen, kündigte Stamp am 13. Juli in Düsseldorf an. Bei dem Treffen soll es zudem auch um die von Stamp befürwortete Verbesserung der Bleiberechtsregeln für gut integrierte Flüchtlinge gehen sowie um Verbesserungen bei den Sprachkursen gehen.

Stamp, der auch stellvertretender NRW-Ministerpräsident ist, erklärte, er halte einen Integrationsgipfel zwischen Bund, Ländern und Kommunen für nötig. Geplant habe er auch ein Treffen mit den Verantwortlichen in den übrigen Bundesländern. Wichtigstes Thema dabei sollten verstärkte Bemühungen für Flüchtlings-Rücknahme-Abkommen mit den Herkunftsländern sein.

Bei den Rückführungen, die vom Bund und den Kommunen durchgeführt würden, sollten die Kommunen entlastet werden, sagte Stamp. Hier seien "vor allem die Gefährder das Problem". Der Minister sagte weiter, bei Einhaltung eines "menschenrechtskonformen Umgangs" sollten verstärkt auch Sammelrückführungen in Charterflugzeugen möglich sein. Wichtig sei dies in NRW vor allem bei der Rückführung von Geflüchteten in Magreb-Staaten wie Marokko und Algerien.

Gut integrierten Flüchtlingen sollte hingegen ermöglicht werden, schneller als bislang einen dauerhaften Aufenthaltsstatus zu erlangen, sagte der Integrationsminister. "Hier dürfen wir nicht den gleichen Fehler machen, wie früher bei den Gastarbeitern", warnte Stamp.



Initiative gegen Verschärfung der Abschiebehaft in NRW


Vereins-Sprecher Frank Gockel vor Deutschlands größter Abschiebehaftanstalt in Büren. Deren Plätze sollen aufgestockt werden.
epd-bild / Werner Krüper

Der Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren" hat die geplanten Verschärfungen der Abschiebehaft in Büren scharf kritisiert. Der am 10. Juli von der Landesregierung beschlossene Gesetzentwurf sei "ein kaum vorstellbarer Rückschritt im Haftrecht für geflüchtete Menschen", kritisierte der Sprecher des Vereins, Frank Gockel, am 11. Juli in Detmold. Der Verein bemängelt unter anderem ein neues Sanktionsverfahren und eingeschränkte Kommunikations- und Besuchsmöglichkeiten.

Mit einem neuen Sanktionsverfahren sollen künftig Mitarbeiter der Abschiebehaft entscheiden können, welche Strafe etwa bei Beleidigungen verhängt werde, erklärte Gockel. Damit führe die Anstalt die Ermittlungen durch, bestimme das Strafmaß und führe auch die Bestrafung durch. Ein Einschließen in Isolationshaft könnte so künftig häufiger der Fall sein, befürchtet der Verein.

Kritisch wertet der Verein auch ein neues Zugangsverfahren, in dem innerhalb einer Woche eine Gefährdungseinschätzung der Gefangenen vorgenommen werden soll. Diese Einteilung, die Einfluss auf weitere Einschränkungen habe, geschehe nach willkürlich festgelegten Kriterien und ohne dass es eine rechtliche Prüfmöglichkeit gebe. Besorgt äußerte sich der Verein zudem über eine mögliche Einschränkungen bei der Nutzung von Mobiltelefonen und Besuchen. Ob auch der Zugang der Gefangenen zu Betreuungsangeboten von Flüchtlingsorganisationen eingeschränkt werde, sei noch unklar.

Das Landeskabinett hatte am 1o. Juli in Düsseldorf einen Gesetzentwurf beschlossen, der eine Verschärfung der Bedingungen in der Abschiebehaft sowie eine Vergrößerung der Haftanstalt Büren vorsieht. Die Zahl der Plätze in der Abschiebehaftanstalt in Büren sollen demnach von derzeit 140 auf 175 steigen. Ein neues Zugangsverfahren von bis zu einer Woche soll die Möglichkeiten zur Gefährdungseinschätzung optimieren. Außerdem soll es unter anderem künftig möglich sein, bei gefährlichen Personen Bewegungs- und Besuchsmöglichkeiten sowie die Nutzung eigener Mobiltelefone und des Internets einzuschränken. Die Gesetzesnovelle soll im Herbst im Landtag beraten werden.



Zahl der Asylanträge deutlich zurückgegangen

Die Zahl der Asylanträge ist im ersten Halbjahr 2018 deutlich zurückgegangen. Wie das Bundesinnenministerium am 10. Juli in Berlin mitteilte, wurden insgesamt gut 93.000 Asylanträge gestellt, 18.300 oder 16,4 Prozent weniger als im selben Zeitraum 2017. Von den förmlichen Asylanträgen seien knapp 82.000 Erstanträge und etwa 11.500 Folgeanträge gewesen. Die meisten Antragsteller kamen demnach aus Syrien, Irak und Afghanistan, gefolgt von Nigeria, Iran, der Türkei, Eritrea, Somalia, Georgien und Russland.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), erklärte, dass "weiterhin sehr viele Menschen nach Deutschland" kämen. Er verwies auf den Koalitionsvertrag, wonach Union und SPD die Zahl neu ankommender Flüchtlinge pro Jahr auf 180.000 bis 220.000 begrenzen wollen und warnte erneut, dass dieser vereinbarte Korridor "erreicht wird oder sogar überschritten werden" könnte.

Laut Innenministerium lag im Juni 2018 die Zahl der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellten förmlichen Asylanträge bei mehr als 13.000 (davon gut 11.500 Erst- und rund 1.750 Folgeanträge). Das seien 6,1 Prozent mehr als im Vormonat, aber 13,2 Prozent weniger als im Juni 2017.

Entschieden hat das Bundesamt im ersten Halbjahr 2018 den Angaben nach über die Anträge von gut 125.000 Personen - das waren etwa 280.000 oder 69,3 Prozent weniger als im selben Vorjahreszeitraum. Knapp 20.000 Menschen (15,5 Prozent) wurden als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt. Weitere rund 14.000 erhielten den untergeordneten, subsidiären Schutzstatus (11,3 Prozent) und bei etwa 6.000 Menschen (4,9 Prozent) wurden Abschiebeverbote festgestellt.

Dagegen wurden die Anträge von mehr als 45.000 Personen abgelehnt (36,1 Prozent) oder galten als "anderweitig erledigt", weil der Antrag zurückgenommen oder ein anderes EU-Land für zuständig erklärt wurde (gut 40.000 Menschen oder 32,2 Prozent).



Initiativen drängen auf Hilfen für Flüchtlingsbürgen


Eine der Zahlungsaufforderungen von Sozialämtern oder Jobcenter
epd-bild/Oliver Krato

Die evangelische Kirche und Initiativen in Minden haben eine politische Einigung von Bund und Ländern zur Entlastung von Flüchtlingsbürgen angemahnt. "Wer vor August 2016 durch Verpflichtungserklärungen eine sichere Einreise von Syrern ermöglicht hat, soll nur bis zu deren Anerkennung als Flüchtlinge zahlen müssen", forderte Manfred Stock vom Verein "Minden für Demokratie und Vielfalt" am 10. Juli. Gemeinsam mit anderen Initiativen beklagte er auch, dass ein Antrag der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag zur Einrichtung eines Hilfsfonds für betroffene Flüchtlingsbürgen mehrheitlich abgelehnt worden sei.

"Die Länder können sich nicht einfach zurücklehnen und sagen, das sei allein Sache des Bundes", sagte Rüdiger Höcker vom evangelischen Kirchenkreis Minden. Jobcenter und Sozialämter verschicken nach Angaben der Initiativen seit vergangenem Jahr Zahlungsaufforderungen an Bürgen in Höhe zwischen 4.000 und fast 50.000 Euro.

"Klage und zahle nicht!"

Immer mehr Betroffene suchen laut Höcker nun Beratung im Welthaus Minden, das die Kampagne gegen die Zahlungsaufforderungen der Behörden vernetzt. Allein im Kreis Minden-Lübbecke sei von über 200 Verpflichtungserklärungen auszugehen, nachdem dort nun auch das in kommunaler Trägerschaft betriebene Jobcenter Anhörungsbögen an Bürgen verschickt habe.

Bis es eine politische Lösung gebe, rate man allen Bürgen: "Klage und zahle nicht!", sagte der frühere Gelsenkirchener Superintendent Höcker. Durch die zahlreichen Gerichtsverfahren werde auch zusätzlicher politischer Druck erzeugt. Zugleich suche man weiter das direkte Gespräch mit Politikern in Düsseldorf und Berlin. Am 16. Juli wollen die Initiativen in Minden Betroffene über die aktuelle Lage informieren.

Hintergrund des Streits sind die Landesaufnahmeprogramme für syrische Flüchtlinge, die fast alle Bundesländer zwischen 2013 und 2015 aufgelegt hatten. Danach konnten Bürger in Deutschland syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen durch eine Verpflichtungserklärung für die Kosten des Lebensunterhalts eine sichere Einreise ermöglichen. 2.600 Menschen kamen auf diese Weise allein nach NRW.

Die Dauer der Verpflichtungen war damals jedoch ungeklärt: Länder wie Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen gingen von einer Befristung bis zur Anerkennung als Flüchtlinge für die Syrer aus. Aus Sicht der Bundesregierung aber galt die Bürgschaft auch danach fort. Das Integrationsgesetz bestimmte schließlich im August 2016 eine Fünf-Jahres-Frist, die für "Altfälle" auf drei Jahre reduziert und durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts im Januar bestätigt wurde.



Kommunen fordern mehr Geld für Integration

Die Neuregelung des Teilhabe- und Integrationsgesetzes in Nordrhein-Westfalen stößt bei den Kommunen weiter auf Kritik. Sie begrüßten in einer Anhörung des Integrationsausschusses am 10. Juli in Düsseldorf zwar, dass in diesem Jahr 100 Millionen Euro aus der Integrationspauschale des Bundes an die Städte und Gemeinden fließen. Dies könne aber nur ein "Zwischenschritt" sein.

Da die Integrationspauschale des Bundes für die NRW-Kommunen 434 Millionen Euro vorsehe, werde nun lediglich ein Viertel der Mittel vom Land NRW weitergeleitet, rügte die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände. Künftig müssten diese Bundesmittel vollständig den Gemeinden zukommen. "Die zur Verfügung stehenden Mittel reichen derzeit bei weitem nicht aus, um der Querschnittaufgabe der Integration gerecht zu werden", heißt es in der Stellungnahme. Vor diesem Hintergrund müsse die Landesregierung zügig eine neue Verteilungsregelung für die Jahre ab 2019 erarbeiten.

Nach Angaben des Landes liegen die eigenen flüchtlingsbedingten Zuweisungen an die Kommunen in diesem Jahr bei rund 1,6 Milliarden Euro. Darüber hinaus sollen die vom Bund für 2018 angekündigten Mittel aus dem Europäischen Asyl,- Migrations- und Integrationsfonds in Höhe von zehn Millionen Euro ebenfalls an die Städte und Gemeinden weitergeleitet werden. Dagegen erklärten die Kommunen, wenn das Land seine eigenen Aufwendungen als Begründung für den "massiven Einbehalt" von Bundesmitteln zulasten der Kommunen anführe, müsse es auf eine höhere Bundeszuweisung drängen.

Der Landesintegrationsrat NRW warnte in der Anhörung, die kommunale und gesamtstaatliche Aufgabe der Integration von Flüchtlingen dürften nicht miteinander in Konkurrenz stehen. Integration sei ein Prozess, der alle Mitglieder einer Einwanderungsgesellschaft betreffe. Da der hauptsächliche Teil der Integrationsarbeit aber vor Ort erfolge, müssten die Städte bei dieser Herausforderung weiter gestärkt werden. Bei einem Scheitern der Integration in den Kommunen aus finanziellen Gründen seien die Folgekosten ungleich höher.



Innenministerium will Islamkonferenz neu aufstellen


2016 feierte die Islamkonferenz zehnjähriges Bestehen.
epd-bild/Rolf Zöllner
Mit seiner Aussage "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" irritierte Horst Seehofer kurz nach Amtsantritt die Muslime im Land. Jetzt steht sein Ministerium vor einem Neustart der Islamkonferenz. Gesucht wird nach einem "deutschen Islam".

Das Bundesinnenministerium will nach der Sommerpause mit der Islamkonferenz in neuer Form starten. Staatssekretär Markus Kerber sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 13. Juli, die Vielfalt muslimischen Lebens müsse die Konferenz prägen. Er denke an neue, kleinere Initiativen von jungen Muslimen. In der vergangenen Wahlperiode konzentrierte sich die Islamkonferenz auf Verhandlungen mit den etablierten Verbänden. Kerber sagte: "Ich würde eine Verengung auf einen Dialog mit den Verbänden für einen Fehler halten."

Der Dialog soll nach der Sommerpause beginnen. Nach einem Bericht der "Bild"-Zeitung sollen auch wieder Einzelpersonen zugelassen werden. Das war bereits unter der Federführung früherer Bundesregierungen der Fall, immer wieder aber auch umstritten, weil sich die Frage stellte, wie Einzelpersonen eine Religionsgemeinschaft repräsentieren und über deren Belange verhandeln können.

Auch die Zusammenarbeit mit den Verbänden stieß aber an Grenzen, weil selbst die größeren Vereinigungen wie der Zentralrat der Muslime, der Verband der Islamischen Kulturzentren oder der Islamrat nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden Muslime vertritt. Viele dieser Verbände sind von türkischen Einwanderern geprägt. Die Zusammensetzung der muslimischen Gemeinschaft hat sich durch die Fluchtbewegung aber stark verändert. Dazu kommt seit dem Putschversuch in der Türkei ein gespanntes Verhältnis zum größten deutschen Moscheeverband Ditib, der eng verwoben ist mit der Religionsbehörde in Ankara.

Beratungen über genaue Konzeption

Bei der Islamkonferenz wird verhandelt, wie Muslime gleiche Rechte wie als Körperschaft anerkannte Religionsgemeinschaften wahrnehmen können. Wegen der komplizierten Mitgliederstruktur muslimischer Verbände in Deutschland gibt es keine Staatsverträge wie mit den Kirchen, in denen etwa Religionsunterricht, Seelsorge in staatlichen Einrichtungen und der Einzug von Kirchensteuern geregelt sind. Für den islamischen Religionsunterricht und Lehrstühle für islamische Theologie an deutschen Hochschulen wurden Hilfskonstrukte entwickelt. Eine der offenen Fragen ist nach wie vor die Ausbildung von Imamen in Deutschland.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erzeugte kurz nach Amtsantritt Schlagzeilen, als er in einem Interview sagte, der Islam gehöre nicht Deutschland. Kerber sagte dazu der "Bild": "Man kann lange über den Satz streiten, ob der Islam nach Deutschland gehört oder nicht. Minister Seehofer hat sich eindeutig festgelegt: Der Islam gehört nicht dazu, die hier in Deutschland lebenden Muslime schon."

Die Frage sei, ob es einen deutschen Islam geben könne, der auf den rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen in Deutschland basiert, sagte der für den Themenbereich Heimat zuständige Staatssekretär. Kerber war 2006 Mitgründer der Deutschen Islamkonferenz. Damals war er bereits einmal Staatssekretär im Innenministerium, als der damalige Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) das Forum zwischen Staat und Muslimen ins Leben rief.

Welche Verbände und Initiativen künftig konkret dabei sein sollen, sagte Kerber nicht. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), sagte, wichtig sei, dass auch junge Muslime und Frauen eine Stimme erhielten. Es sei gut, die Debatte um einen "deutschen Islam" ins Zentrum zu rücken.

Eine Sprecherin des Innenministeriums sagte, über die genaue Konzeption der Islamkonferenz werde derzeit beraten, auch mit Initiativen der Zivilgesellschaft und den Kirchen. Voraussichtlich gebe es für die künftige Islamkonferenz gar keine festen Mitgliedschaften, sondern themen- und formatorientiert passende Zusammenstellungen.

Von Corinna Buschow (epd)


Der deutsche Streit ums Kopftuch geht ins 20. Jahr


Die Berliner Lehrerin Fereshta Ludin
epd-bild/Judith Kubitscheck
Vor 20 Jahren wurde die Referendarin Fereshta Ludin nicht in den baden-württembergischen Schuldienst übernommen, weil sie ein Kopftuch trug. Sie zog vor Gericht. Damit begann eine Debatte, die bis heute andauert.

Nur selten huscht ein Lächeln über das Gesicht von Fereshta Ludin. Ernst blickt die Frau in die Runde, die zum Symbol des sogenannten Kopftuchstreites wurde. Sie trägt ein cremefarbenes Tuch, das individuell gebunden ist und den Kopf, aber nicht den Hals bedeckt. Mit leiser Stimme erzählt sie, wie alles begann: dass sie ihr Referendariat sehr erfolgreich abschloss und ihre Schule sie als Lehrerin übernehmen wollte. Doch dann entschied das Stuttgarter Oberschulamt am 13. Juli 1998, sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst zu übernehmen.

Die Deutsche afghanischer Herkunft ging vor Gericht und klagte sich durch alle Instanzen. Diese Jahre seien für sie eine schwierige Zeit gewesen, über die sie ungern rede, erklärt Ludin. "Weil mein Wohnort bekannt war, gab es Telefonterror, fremde Menschen klingelten an meiner Wohnungstür." Sie stockt, Tränen schießen ihr in die Augen. Der Zentralrat der Muslime unterstützte Ludin in dem Rechtsstreit, was sie in Augen von Kritikern zu deren Gesinnungstäterin machte. Ludin sagte dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" 2015, dass sie damals den Zentralrat um Hilfe bat, weil sie die Finanzierung der Anwaltshonorare überfordert hätten. Sie sei bis heute kein Mitglied dieses islamischen Verbandes.

"Staat übernahm Deutungsanspruch"

Stimmen wie die der damaligen baden-württembergischen Kultusministerin Annette Schavan (CDU), das Kopftuch sei ein Symbol für politischen Islamismus, kulturelle Abgrenzung und stehe für eine Geschichte der Unterdrückung der Frau, empfand Ludin als stigmatisierend. "Der Staat übernahm den Deutungsanspruch, was das Kopftuch bedeutet", kritisiert sie. Wie sie selbst dagegen das Kopftuchtragen begründet, lässt sie offen und vage: "Wir können nicht festlegen, wofür es steht, jede von uns würde damit etwas anderes verbinden." Sie selbst trage das Kopftuch aus einem religiösen Grund, außerdem gebe es ihr Ruhe, Gelassenheit und Glück.

Im Jahr 2003 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das Tragen eines Kopftuchs ohne gesetzliche Grundlage nicht verboten werden kann. Damit gewann Ludin den Prozess, aber das Urteil sorgte genau für das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollte: In der Folge führten insgesamt acht Bundesländer Verbotsregelungen für Kopftücher bei Lehrerinnen an staatlichen Schulen ein, allen voran Baden-Württemberg. Dass durch ihr Prozessieren anderen muslimischen Glaubensschwestern die Berufsperspektive Lehrerin verbaut wurde, belastete Ludin damals sehr, wie sie in ihrer Autobiografie schreibt.

Ihren eigentlichen Sieg trug Ludin davon, als zwölf Jahre später das höchste Gericht in Karlsruhe entschied, dass Kopftuchverbote unter anderem wegen des Rechts auf Religionsfreiheit nicht pauschal gelten dürfen. Seitdem gibt es in vielen Bundesländern einzelne Lehrerinnen, die mit Kopftuch unterrichten. Doch dieses Urteil ist für die Grund- und Hauptschullehrerin noch kein Grund zum Feiern: Noch immer würden viele Menschen Musliminnen als Fremde wahrnehmen, als "die mit dem Kopftuch", beklagt sie. "Wenn Politiker im Bundestag von 'Kopftuchmädchen' sprechen, fühle ich mich elend".

Juristischer Konfliktstoff bis heute

Bis heute sorgt das Kopftuch für juristischen Konfliktstoff: Im Grundgesetz ist zwar die Religionsfreiheit verankert, zu der das Recht gehört, sich auch religiös kleiden zu können. Zugleich sind der Staat und seine Beamten aber zur religiösen Neutralität verpflichtet. Diese Rechtsgüter müssen Landesregierungen und Gerichte abwägen. Für den Justizbereich haben einige Bundesländer bereits das Tragen von religiösen Symbolen im Gericht untersagt, das Land Nordrhein-Westfalen plant, ähnliche Vorschriften einzuführen.

Seit 20 Jahren lebt Ludin in Berlin, dem einzigen Bundesland, in dem für Frauen mit islamischen Kopftuch aufgrund des Neutralitätsgesetzes ein generelles Unterrichtsverbot an staatlichen Schulen gilt. "Frauen sollten weder unter familiären, gesellschaftlichen oder staatlichen Druck stehen, sich für oder gegen ein Tuch zu entscheiden", ist Ludin überzeugt.

In Berlin-Kreuzberg unterrichtet sie als Grundschullehrerin an einer staatlich anerkannten islamischen Grundschule, dem Islam Kolleg. In der Schule werden Schülerinnen und Schüler im Sexualkunde- und Schwimmunterricht sowie ab der fünften Klasse im Sportunterricht getrennt unterrichtet, wie die Schule auf ihrer Webseite mitteilt. Immer wieder überlegt die 1972 geborene Pädagogin Ludin wie es wäre, wenn sie damals in den Schuldienst übernommen worden wäre, erzählt sie. "Mein ganzes Leben wäre völlig anders verlaufen."

Judith Kubitscheck (epd)


Weimarer Menschenrechtspreis für Schweizer Ordensschwester

Die katholische Schweizer Ordensschwester Lorena Jenal wird für ihren Einsatz für die Opfer von Hexenverfolgung in Papua-Neuguinea mit dem Weimarer Menschenrechtspreis 2018 ausgezeichnet. Bei ihren Hilfsaktionen für Frauen in Gefahr riskiere Lorena Jenal vielfach ihr Leben, teilte die Stadtverwaltung am 11. Juli in Weimar mit. Inzwischen werde sie auch von einem hochrangigen Polizisten bedroht, weil sie mit der Dokumentation eines sogenannten Hexenprozesses die massiven Menschenrechtsverletzungen und die Tatenlosigkeit der Behörden anprangere.

Lorena Jenal versuche, die Ursachen für die neue brutale Welle der Hexenverfolgung zu identifizieren, um Aufklärungsarbeit zu leisten, hieß es. Dabei scheue sie sich auch nicht, mit den Peinigern zu sprechen und gegen das Nichtstun staatlicher Behörden vorzugehen. Inzwischen habe sie ihr Hilfsprojekt mit Spenden der Organisation missio auf ein breites Fundament gestellt. Mit Rettungsprogrammen, Aufklärungsmaßnahmen und ihrem mutigen Einsatz kämpfe sie weiter unermüdlich gegen Menschenrechtsverletzungen.

Der Menschenrechtspreis der Stadt Weimar wird seit 1995 einmal jährlich vergeben. Die Verleihung findet am 10. Dezember statt, dem Internationalen Tag der Menschenrechte.



Umstrittene Ahnenstätte: Erste Forschungsergebnisse zum Jahresende


Grabstelle des Mitbegründers der "Ahnenstätte Seelenfeld", Ludwig Peithmann, im ostwestfälischen Petershagen
epd-bild/Thomas Krüger

Die Stadt Petershagen will bis zum Jahresende erste Forschungsergebnisse zur umstrittenen "Ahnenstätte Seelenfeld" vorlegen. Der Stadtrat habe die Historiker Thomas Lange und Karsten Wilke mit der Aufarbeitung von Geschichte und Gegenwart des privaten Friedhofs mit völkischen Wurzeln beauftragt, bestätigte eine Sprecherin der Kommune im Kreis Minden-Lübbecke am 9. Juli dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Projekt solle sowohl eine geschichtliche Einordnung des um 1930 errichteten Begräbnisplatzes liefern als auch eine aktuelle Bewertung der Ahnenstätte und ihres heutigen Trägervereins ermöglichen.

Der beim Dorf Seelenfeld nahe der Grenze von NRW zu Niedersachsen gelegene Privatfriedhof wurde von Anhängern der völkischen Ludendorff-Bewegung auf einem ehemaligen germanischen Hügelgräberfeld gegründet. Seit 1937 gehört die Anlage, auf der nach wie vor bestattet wird, dem "Ahnenstättenverein Niedersachsen". Ein Journalist hatte im Juni 2017 auf einem Mitgliedertreffen des Vereins auch den rechtsextremen Aktivisten Wolfram Schiedewitz ausgemacht und die Debatte über die Ahnenstätte ausgelöst.

Der freiberuflich tätige Historiker Lange aus Hille soll sich nach Angaben der Stadt Petershagen mit der Entstehungsgeschichte des Friedhofs und seiner Nutzung zur Zeit des Nationalsozialismus befassen. Er kenne sich mit der regionalen NS-Geschichte gut aus und sei unter anderem Gründungsmitglied des Vereins KZ-Gedenk- und Dokumentationstätte Porta Westfalica, sagte die Sprecherin. Wilke sei als Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Experte für die rechte Szene in Ostwestfalen-Lippe. Er solle die Ausrichtung der Ahnenstätte und ihres Trägervereins und deren Beziehungen zu anderen Organisationen von 1945 bis heute erforschen.

Recherchen des Journalisten Julian Feldmann zufolge sollen Vorstandsmitglieder der Ahnenstätte unter anderem Verbindungen zum laut Verfassungsschutz rechtsextremistischen "Bund für Gotterkenntnis" haben. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte "vereinzelte lose Kontakte" von Mitgliedern der Ahnenstätte und ihres Trägervereins "zu rechtsextremistischen, insbesondere völkischen und antisemitischen Organisationen und Einzelpersonen" bestätigt.

Auf der Grundlage der Forschungsergebnisse sollen später Handlungsempfehlungen für die Stadt Petershagen erarbeitet werden, hieß es. Kritiker hatten moniert, dass die Kommune die Ahnenstätte bisher in der Öffentlichkeit lediglich als "Friedhof der besonderen Art" dargestellt, dessen Wurzeln in der völkischen Bewegung aber nicht erwähnt habe.



Julia Klöckner erhält "Orden wider den tierischen Ernst"

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) wird mit dem "Orden wider den tierischen Ernst" geehrt. Die 45-Jährige werde ausgezeichnet als "verlässliche Verfechterin des Brauchtums Karneval, vor allem aber auch als gradlinige und meinungsstarke Politikerin, die Humor und Menschlichkeit mit ihrer Amtsführung verbindet", erklärte der Aachener Karnevalsverein (AKV) am 13. Juli. Der Orden soll am 16. Februar übergeben werden. Nach einer Laudatio von ihrem Vorgänger, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), werde Klöckner in den Narrenkäfig steigen.

CDU-Politikerin mit "Herz und Verstand"

Der Karnevalsvereinspräsident Werner Pfeil erklärte: "Was Julia Klöckner macht, das macht sie mit Herz und Verstand". Sie beeindrucke durch ihre klare Haltung in der Politik genauso wie durch ihre Fähigkeit zuzuhören und ihre Bereitschaft zum Kompromiss. Klöckner sei seit ihrer Jugend im Karneval in Rheinland-Pfalz aktiv - in der Tanzgarde, in der Bütt, im Musikverein oder bei närrischen Umzügen. Zudem lobte der Verein ihr soziales Engagement, beispielsweise für die Caritas, die Stiftung Weltkirche und den Christlich-ambulanten Hospizdienst.

Die Ministerin erklärte, eine gewisse wohlwollende Leichtigkeit im Umgang gepaart mit Ernsthaftigkeit in der Sache tue allen im Alltag gut. "Humor tut gut, er verbindet und überwindet Trennendes", sagte Klöckner.

Der Orden "Wider den tierischen Ernst" wird 2019 im Jahr des 160-jährigen Bestehens des Vereins zum 70. Mal verliehen. Gekürt wurden in den vergangenen Jahren "prominente Persönlichkeiten mit Humor und Menschlichkeit", darunter unter anderen Kardinal Karl Lehmann, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis, Schauspieler Mario Adorf sowie die Politiker Cem Özdemir (Grüne), Christian Lindner (FDP), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und Markus Söder (CSU).




Umwelt

Klima-Kollekte wirbt für CO2-sparende Reisen


Blick aus dem Flugzeug
epd-bild / Norbert Neetz
Die Umweltinitiative rät, in den Sommerferien auf Flugreisen möglichst zu vezichten. Kimafreundlichere Alternativen sind Auto- und Zugfahrt oder Bustouren.

Der CO2-Kompensationsfonds Klima-Kollekte wirbt für einen ressourcenschonenden Urlaub. Wer ein Reiseziel in Deutschland oder Europa wähle, müsse nicht fliegen und könne auf einfache Art das Klima schonen, sagte die Sprecherin von Klima-Kollekte, Sina Brod, in Berlin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei gebe es klimafreundlichere Alternativen zum Auto wie etwa eine Zugfahrt oder eine Busreise.

"Besonders Flugreisen sind sehr klimaschädlich", betonte Brod. Klima-Kollekte ist einer von mehreren sogenannten Ausgleichsfonds in Deutschland, in den für den CO2-Ausstoß einer Reise Geld für Klimaschutzprojekte gespendet werden kann. Der Preis pro Tonne CO2 schwankt dabei je nach Anbieter zwischen fünf und 23 Euro.

Als Beispiel verwies Brod auf einen Flug von Frankfurt am Main nach Bangkok mit einer Strecke von mehr als 8.900 Kilometern. Dabei würden pro Person insgesamt 5,51 Tonnen Kohlendioxid für den Hin- und Rückflug in der Economy Class ausgestoßen. "Das entspricht bereits der Hälfte des Durchschnittsverbrauchs pro Kopf und Jahr in Deutschland und ist rund zehnmal so viel, wie pro Kopf und Jahr in Bangladesch ausgestoßen wird." Wenn es unbedingt eine Flugreise sein müsse, sollte der Urlaub auch entsprechend lange ausfallen, betonte die Mobilitätsexpertin: "Das heißt mindestens 14 Tage."

Die Ausgleichszahlungen der Klima-Kollekte würden gezielt in Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländer investiert, sagte Brod. "Sie sparen CO2 ein, mindern Armut vor Ort, indem sie Frauen stärken, Gesundheit schützen und Perspektiven ermöglichen." Der CO2-Ausstoß werde damit maßgeblich verringert, etwa durch den Einsatz von Photovoltaik-Modulen zur Erzeugung von Strom in Indien oder durch energieeffiziente Öfen in Kenia.

Die Projekte seien nach dem sogenannten Gold-Standard - einem Gütesiegel für Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern - zertifiziert und von lokalen Partnerorganisationen entwickelt. "So leisten unsere Klimaschutzprojekte einen Beitrag zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele. Am besten ist es jedoch, Emissionen zu vermeiden und zu reduzieren", sagte Brod. In Deutschland oder Europa gebe es dafür zahlreiche schöne Reiseziele.

Den kirchlichen Kompensationsfonds Klima-Kollekte gibt es seit 2011. Träger sind unter anderem die Evangelische Kirche in Deutschland sowie die Hilfswerke "Brot für die Welt" und Misereor und die Sternsinger. 2017 nahm der kirchliche Kompensationsfonds rund 650.000 Euro an Ausgleichszahlungen ein. Größter Anbieter von CO2-Kompensation ist laut Stiftung Warentest "Atmosfair". Daneben gibt es unter anderem noch den ältesten Anbieter "Primaklima". Alle drei Unternehmen wurden im März von der Zeitschrift "Finanztest" "sehr gut" bewertet.

Im vergangenen Jahr zählte der Deutsche Reiseverband 69,6 Millionen in Deutschland gebuchte Urlaubsreisen ab fünf Tagen Dauer. Wie viele davon auf Flugreisen entfielen, ist unklar. Fast drei Viertel (72,4 Prozent) der Urlaubsreisen ab fünf Tagen Dauer entfielen auf das Ausland. An erster Stelle rangierten dabei Regionen direkt am Mittelmeer (36,9 Prozent) und Westeuropa (12,4 Prozent). Außereuropäische Fernreisen schlugen mit 8,4 Prozent zu Buche.



Naturschützer: Klare Mehrheit für Nationalpark Senne

Eine große Mehrheit der Bevölkerung in NRW befürwortet laut einer aktuellen Umfrage die Einrichtung eines Nationalparks in der Region Senne in Ostwestfalen. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie des Meinungsforschungsinstituts Kantar Emnid, die am 12. Juli vom Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND), der Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) und dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu) in Bad Lippspringe (Kreis Paderborn) vorgestellt wurde. Demnach bewerteten 85 Prozent der Befragten die Schaffung eines Naturparks Senne mit "gut oder sehr gut". Lediglich acht Prozent bezeichneten die Schaffung eines solchen Nationalparks als "schlecht oder sehr schlecht".

Repräsentative Studie

Damit würden die bestehenden Beschlüsse des Landtages NRW für eine Ausweisung der bislang als Truppenübungsplatz genutzten Senne als Nationalpark bestätigt, hieß es. "Die große Mehrheit der Bevölkerung in ganz NRW und auch in Ostwestfalen befürwortet parteiübergreifend die Einrichtung eines Nationalparks in der Senne und ist von den Vorteilen überzeugt", sagte der Sprecher der Naturschutzkonferenz Ostwestfalen-Lippe, Karsten Otte.

Die Naturschutzverbände forderten die NRW-Landesregierung nachdrücklich auf, auf die geplante Streichung des Nationalparks Senne aus dem Landesentwicklungsplan zu verzichten. Über die vom Kabinett beschlossene Änderung solle demnächst der Landtag entscheiden, teilten die Verbände mit. Damit werde der Schutz dieses national und international einzigartigen Naturgebietes aufs Spiel gesetzt, mahnte der Nabu-Landesvorsitzende Josef Tumbrinck. "Für die Zukunft der Senne gibt es nach dem für 2020 angekündigten Abzug der britischen Streitkräfte vom Truppenübungsplatz dann keine sichere Perspektive mehr."

Auch die Behauptung im Koalitionsvertrag der Regierung, ein Nationalpark Senne hätte in der Region keinen Rückhalt, sehen die Umweltverbände durch die Studie widerlegt. Demnach befürworten auch 76 Prozent der Menschen im Regierungsbezirk Detmold einen Nationalpark in der Region Senne. Für die Emnid-Studie wurden 1.020 Menschen ab 16 Jahren in NRW telefonisch befragt.

Artenreiches Offenlandgebieten

Zugleich weisen die Naturschutzverbände auf Gutachten hin, nach denen sich die Senne besonders für eine Nationalparkausweisung eignen würde. Mit ihren artenreichen Offenlandgebieten, mit Heiden, Sandtrockenrasen und Mooren, Erlenbruchwäldern und Fließgewässern bilde die Senne eine europaweit einmalig erhaltene Landschaft. Hier gebe es einen großen Reichtum an Pflanzen- und Tierarten, von denen mehr als 1.000 auf der Roten Liste gefährdeter oder vom Aussterben bedrohter Arten stünden.

Der Landesentwicklungsplan müsse deshalb unbedingt an dem Ziel einer Nationalparkausweisung in der Senne festhalten. Um ihren Zielen Nachdruck zu verleihen, überreichten die Naturschutzverbände am 12. Juli mehr als 15.000 Einwendungen und zahlreiche Stellungnahmen an NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP).



Naturschützer kritisieren Landesentwicklungsplan

Naturschutzverbände kritisieren den Entwurf des Landesentwicklungsplans für Nordrhein-Westfalen. Der Entwurf fördere einseitig wirtschaftliche und kommunale Interessen, bemängelten der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), die Landesgemeinschaft Naturschutz und Umwelt (LNU) und der Naturschutzbund (NABU) in einer am Wochenende in Düsseldorf veröffentlichten Stellungnahme. Kritisiert werden unter anderem eine Aufweichung des Freiraumschutzes sowie Erleichterungen für sogenannte landesbedeutsame flächenintensive Großvorhaben.

Die geplanten Änderungen im Rahmen des sogenannten Entfesselungspaketes der schwarz-gelben Landesregierung gingen zulasten von Natur und Umwelt, heißt es in der Erklärung. Der nun von der Landesregierung vorgelegte Entwurf sei ein "organisierter Ausverkauf von Natur und Heimat".

Nordrhein-Westfalen müsse konkrete Zielvorgaben für eine Flächenreduktion im Landesentwicklungsplan verankern, forderten die Initiativen. Der durchschnittliche tägliche Flächenverbrauch des Landes liege bei fast zehn Hektar. Zudem würden die Pläne zur Ansiedlung von Großvorhaben wie das Industriepark-Projekt "New Park" bei Datteln zu schwerwiegenden Eingriffen in die Natur und Landschaft führen.



Umweltministerium verlängert Frist für Bodenschutzpreis

Das NRW-Umweltministerium hat die Bewerbungsfrist für den Bodenschutzpreis bis zum 31. Juli verlängert. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung soll vorbildliche Initiativen zur Wiedernutzung von Industrie-, Gewerbe- und Militärstandorten prämieren, wie das Ministerium am Wochenende in Düsseldorf mitteilte. In diesem Jahr stehe die Aufbereitung von industriell vorbelasteten Brachflächen durch Flächenrecycling im Vordergrund. Der Preis soll am 12. November in Hattingen vergeben werden.

Der Wettbewerb soll das Flächenrecycling sowie das öffentliche Bewusstsein für den Schutz des Bodens stärken, hieß es. Eingereicht werden können Projekte, die auf zuvor baulich genutzten Flächen im Zeitraum von 2013 bis 2017 realisiert wurden und eine Folgenutzung erkennen lassen.

Der Landeswettbewerb richtet sich den Angaben nach an Akteure aus Wirtschaft, Handel, Logistik und Handwerk sowie an Gemeinden, Zweckverbände und kommunale Arbeitsgemeinschaften. Bewerben können sich auch private Kooperationen und Partnerschaften wie zum Ingenieur- und Planungsbüros, Architekten, Stadtplaner, Grundstückseigentümer, Bauträger und Baufirmen. Ausgeschrieben wurde der Preis gemeinsam von Umweltministerium und dem Verband für Flächenrecycling und Altlastensanierung (AAV).



Atombündnisse halten belgische Reaktoren weiter für unsicher

Anti-Atom-Initiativen bewerten die belgischen Atomkraftwerke an der deutschen Grenze weiter als gefährlich. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich das Aachener Aktionsbündnis gegen Atomenergie (AAA), AntiAtomBonn und das Aktionsbündnis Münsterland gegen Atomanlagen am 10. Juli dafür aus, die Risse in den Atomkraftwerken Doel 3 und Tihange 2 nicht zu unterschätzen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte zuvor unter Berufung auf eine Stellungnahme der deutschen Reaktorsicherheitskommission (RSK) erklärt, dass die Sicherheitsfragen der deutschen Experten weitgehend geklärt seien.

Die belgischen Atomkraftwerke stehen in der Kritik, weil in den Reaktordruckbehältern Risse aufgefallen waren. Nach einer ersten Bewertung im April 2016 hatten deutsche und belgische Experten die Sicherheit überprüft. Der RSK-Stellungnahme zufolge soll noch ein Punkt mit zusätzlichen Experimenten untermauert werden.

"Der Bericht der Reaktorsicherheitskommission ist erst einmal eine beruhigende Nachricht", teilte NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) dem Evangelischen Pressdienst (epd) am 10. Juli auf Anfrage mit. Sobald die Ergebnisse der experimentellen Untersuchungen vorlägen, werde sich das Ministerium das Abschlussgutachten der RSK genau anschauen. "Grundsätzlich bleiben wir aber bei unserer Haltung, dass die recht alten und störanfälligen Reaktoren baldmöglichst abgeschaltet werden sollten."

Die Atomgegner kritisierten, dem Betreiber der Atomkraftwerke gelinge der Sicherheitsnachweis aktuell nur mit fragwürdigen Methoden. Nach den Angaben der Initiativen kann ein Druckbehälter mit Rissen nicht die gleiche Widerstandskraft wie ein unversehrter Druckbehälter aufweisen. In Extremsituationen könne das den Unterschied zwischen Beherrschen und Bersten bedeuten. "Ein Bersten würde die radioaktive Verseuchung großer Teile Mitteleuropas nach sich ziehen", warnen die drei Initiativen und fordern die sofortige Abschaltung der Atomkraftwerke.

Belgien plant nach einem Gesetz bis 2025 den Atomausstieg. Tihange 2 werde 2023, Doel 3 2022 abgeschaltet, erklärte das Bundesumweltministerium.




Soziales

Kitas in NRW erhalten Finanzspritze von 450 Millionen Euro


Stuhlkreis in einer evangelischen Kindertageseinrichtung in Essen (Archivbild).
epd-bild / Stefan Arend
Familienminister Stamp (FDP) verschiebt die Kibiz-Reform auf 2019. Für den Übergang solle 450 Millionen Euro geben. Grünen und SPD ist das zu wenig: Sie fordern eine großangelegte Reform, die laut Grünen mindestens drei Mal so viel kosten würde.

Die schwarz-gelbe Landesregierung in NRW hat eine Übergangsfinanzierung für das Kitajahr 2019/2020 beschlossen. Wie der nordrhein-westfälische Familienminister Joachim Stamp (FDP) am 13. Juli in Düsseldorf erklärte, sieht der Gesetzentwurf ein Gesamtvolumen in Höhe von rund 450 Millionen Euro vor, an dem sich die Kommunen beteiligen. Während die kommunalen Spitzenvertreter die Zwischenfinanzierung begrüßten, kritisierten Sprecher von Grüne und SPD das Fehlen von Verbesserungen am Kita-System.

Für Anfang kommenden Jahres kündigte Stamp zudem an, die Pläne für die geplante große Reform des Kinderbildungsgesetzes (Kibiz) vorzulegen. Dann sollen die Finanzstrukturen sowie die Betreuungsqualität ab dem Kindergartenjahr 2020/21 neu aufgestellt werden. Den Kabinettsbeschluss zur Zwischenfinanzierung nannte der Minister "einen nahtlosen Anschluss an die Finanzierung des Kitaträger-Rettungsgesetzes". Im vergangenen Jahr hatte NRW bereits 500 Millionen Euro für die Kitajahre 2017/18 und 2018/19 zur Verfügung gestellt, um die in Not geratenen Kitas zu sichern.

Kindpauschalen werden erhöht

Durch die jetzt fließenden Gelder bleibe die Stabilität der Kitaträger gewährleistet, erklärte Stamp. Die Kindpauschalen werden nach seinen Angaben ein weiteres Kitajahr 2019/20 um drei Prozent statt 1,5 Prozent erhöht. Von den 450 Millionen Euro für 2019/20 kommen rund 100 Millionen vom Bund und etwa 70 Millionen von den Kommunen. Den Rest trägt das Land. Stamp kündigte auch einen weiteren Kita-Ausbau an.

Der Minister äußerte sich zuversichtlich, dass allen Eltern, die einen Kitaplatz für ihre Kinder suchen, ein Platz zur Verfügung gestellt werden könne. Die Zwischenfinanzierung gebe den Trägern Planungssicherheit bis zur grundlegenden Kibiz-Reform. So könnten die Einrichtungen "ihre Qualität durch einen guten Personalschlüssel sichern."

Die Präsidenten der kommunalen Spitzenverbände erklärten gemeinsam, die Träger der Einrichtungen bekämen nun die dringend benötigte Planungssicherheit. "Eine neue Übergangsfinanzierung ist unbedingt erforderlich, um die Kindergartenlandschaft zu stabilisieren", erklärten Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann (CDU) aus Hamm für den Städtetag NRW, gemeinsam mit dem Landkreistag NRW und dem Städte- und Gemeindebund NRW.

Grüne und SPD fordern mehr Geld für grundlegende Reform

Der familienpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Dennis Maelzer, kritisierte die Zwischenfinanzierung hingegen. "Auch diese Mittel werden in dem verkorksten System untergehen und nichts bewegen", erklärte Maelzer. Für eine großangelegte Reform sei mehr Geld nötig, um den Ausbau der frühkindlichen Bildung zu unterstützen und die Gebührenfreiheit von Kitas sicherzustellen.

Ähnlich äußerte sich die kinder- und familienpolitischen Sprecherin Josefine Paul (Grüne), die die angekündigten Millionen als einen "Notstopfen" bezeichnete, bei dem von langfristiger Planungssicherheit keine Rede sein könne. Ein vernünftig ausfinanziertes Kita-Gesetz benötigt nach ihrer Einschätzung mindestens das dreifache der in Aussicht gestellten 450 Millionen Euro.



Schulleiterin muss gegen ihren Willen Inklusionsklasse einrichten

Wegweisendes Urteil in Bremen: Am Gymnasium Horn in der Hansestadt muss nach den Sommerferien eine Inklusionsklasse in der fünften Jahrgangsstufe eingerichtet werden, in der auch geistig behinderte Schüler aufgenommen werden können. Eine Klage der Schulleiterin Christel Kelm gegen diese Anordnung der Schulbehörde sei abgewiesen worden, teilte das Bremer Verwaltungsgericht am 9. Juli mit. Zur Begründung hieß es, die beamtete Schulleiterin sei nicht klagebefugt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ob Kelm beim Oberverwaltungsgericht Berufung einlegen wird, sei noch nicht entschieden, sagte ihr Rechtsanwalt dem Evangelischen Pressedienst (epd). (AZ: 1 K 762/18)

Klagebefugt sei ein Beamter nur, wenn es möglich erscheine, dass er durch eine hoheitliche Maßnahme in eigenen Rechten verletzt sei, erläuterte das Gericht. Das treffe in diesem Fall nicht zu. Deshalb habe Kelm nur verwaltungsintern auf Bedenken hinweisen können. Überdies bestimme die Bildungssenatorin, wo eine Inklusionsklasse eingerichtet wird und wo nicht. Grundsätzlich entspreche die Einführung der inklusiven Beschulung an allen Bremer Schulen einem klaren gesetzgeberischen Auftrag.

Mit ihrer Klage ging Kelm gegen die eigene dienstvorgesetzte Bildungsbehörde vor. Sie führte an, die Anordnung, an ihrer Schule in der fünften Jahrgangsstufe eine inklusive Klasse mit geistig behinderten Schülern einzurichten, sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten als Direktorin. In dem geplanten Klassenverband sollen nach dem Willen der Behörde 19 Schüler mit einer Gymnasialempfehlung zusammen mit bis zu fünf geistig behinderten Kindern unterrichtet werden.



Leistungen für Behinderte in NRW nun aus einer Hand

Leistungen für behinderte Menschen in NRW werden künftig bei den beiden Landschaftsverbänden gebündelt. Der Landtag NRW erließ am 11. Juli ein entsprechendes Ausführungsgesetz. Es gibt allerdings auch Kritik von Opposition und Verbänden.

In Nordrhein-Westfalen werden die Leistungen für Menschen mit Behinderung künftig stärker bei den Landschaftsverbänden Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL) gebündelt. Der NRW-Landtag verabschiedete am 11. Juli ein entsprechendes Ausführungsgesetz zum Bundesteilhabegesetz, wie die beiden Landschaftsverbände am 12. Juli in Köln und Münster mitteilten. Für behinderte Menschen ergäben sich nun Vorteile, weil mehr Leistungen aus einer Hand gewährt würden, hieß es. Zugleich gab es aber auch Kritik von Verbänden und der Opposition.

Landtag verabschiedet neues Gesetz

Mit dem neuen Gesetz werden alle sogenannten Fachleistungen für erwachsene Menschen mit Behinderung bei den Landschaftsverbänden angesiedelt. Zudem übernehmen die Verbände die Zuständigkeit für die Unterstützungsangebote für behinderte Kinder in Kindertagesstätten, Kindertagespflege und Frühförderung. Die Leistungen zur Existenzsicherung - etwa für Essen und Unterkunft - werden nach dem neuen Gesetz künftig den Städten und Kreisen übertragen. Die Kommunen behalten außerdem die Zuständigkeit für Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche, die in ihrer Familie leben und die Schule noch nicht abgeschlossen haben.

Regelung soll ab 2020 greifen

Das Gesetz gilt rückwirkend seit dem 1. Januar, die Übertragung der neuen Zuständigkeiten erfolgt aber erst Anfang 2020. Die Landschaftsverbände wollen nun zügig einen Landesrahmenvertrag mit der Freien Wohlfahrt, der Selbstvertretung der Menschen mit Behinderung und den kommunalen Spitzenverbänden aushandeln.

LVR-Direktorin Ulrike Lubek begrüßte das Gesetz: "Das Gesetz ist ein weiterer wichtiger Schritt dahin, Selbstbestimmung und Teilhabe der Menschen mit Behinderung entsprechend der UN-Behindertenkonvention effektiv durchzusetzen. Zugleich unterstützt die Aufgabenzuordnung eine effiziente Kostensteuerung im Interesse der Steuerzahlerinnen und -zahler sowie unserer Mitgliedskörperschaften." LWL-Direktor Matthias Löb verwies darauf, dass das neue Gesetz vorsehe, dass behinderte Menschen noch stärker im Zentrum der Hilfen stehen. "Das werden wir nun in NRW umsetzen und weiter ausbauen."

Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag, Josef Neumann, kritisierte dagegen, dass auch nach Verabschiedung des neuen Gesetzes nach wie vor nicht alle Leistungen "aus einer Hand" kämen. Diese "einmalige Chance" sei verspielt worden, weil die Regierungsfraktionen von CDU und FDP einen entsprechenden Änderungsantrag der SPD im Landtag abgelehnt hätten.

Der Sozialverband VdK NRW monierte, dass die Landschaftsverbände weiterhin die Möglichkeit hätten, bestimmte Aufgaben wieder an einzelne Kommunen zu übertragen. "Damit wird der Zuständigkeitsdschungel weder für Behörden noch für Betroffene beseitigt", sagte der VdK-Landesvorsitzende Horst Vöge.



Leichter Anstieg der Organspendezahlen

In Deutschland werden wieder etwas mehr Organe gespendet. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden 484 Spendern Organe für eine Transplantation entnommen, wie die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) am 10. Juli in Frankfurt am Main mitteilte. Das waren 72 Spender mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die Anzahl der Transplantationen stieg ebenfalls von 1.410 auf 1.623.

Dass die Politik dringend handeln müsse, um den historischen Tiefpunkt bei der Organspendezahl 2017 zu überwinden, habe auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erkannt, erläuterte die DSO. Er habe jüngst vor Experten ein breites Maßnahmenpaket sowie mögliche Gesetzesänderungen angekündigt, um die Rahmenbedingungen für die Organspende zu verbessern. "In enger Zusammenarbeit von Ministerium und Deutscher Stiftung Organtransplantation soll jetzt unter Einbeziehung weiterer Partner ein Initiativplan mit konkreten Handlungsschritten erarbeitet werden", kündigte die Stiftung an.

"Die aktuellen Zahlen sind eine Momentaufnahme, die nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass den Diskussionen jetzt strukturelle Veränderungen folgen müssen", sagte Axel Rahmel, der Medizinische Vorstand der DSO. Er verwies darauf, dass nicht länger die angeblich mangelnde Spendenbereitschaft der Bevölkerung im Fokus stehen dürfe, sondern in den Kliniken bessere Rahmenbedingungen für die Organspende geschaffen werden müssten.



Heil: Kernversprechen der Rente erneuern


Senioren in Berlin
epd-bild/Jürgen Blume
Bundesarbeitsminister Heil will die gesetzliche Rente stabilisieren. Dazu hat er in Berlin ein Maßnahmenpaket mit vier Punkten vorgestellt. Sozialverbände äußerten sich positiv, haben aber noch Forderungen.

Mit einem Demografiefonds, Verbesserungen für Mütter und bei der Erwerbsminderungsrente sowie Entlastungen für Geringverdiener will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die gesetzliche Rente stabilisieren. Die Rente sei ein "Kernversprechen unseres Sozialstaats", sagte Heil am 13. Juli in Berlin. Dieses Kernversprechen müsse erneuert werden, um dafür zu sorgen, dass Menschen im Alter abgesichert sind, sagte der Minister. Der Sozialverband VdK begrüßte die Reformpläne als "Schritte in die richtige Richtung".

Der Referentenentwurf des Ministeriums geht jetzt in die Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung. Heil sagte, ein Kabinettsbeschluss werde nach der Sommerpause angestrebt. Das Gesetz soll am 1. Januar 2019 in Kraft treten.

Wesentliches im Koalitionsvertrag vereinbart

Das Paket, das Heil vorstellte, enthält vier Elemente, die bereits angekündigt und in wesentlichen Teilen im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbart wurden. So will der Minister dafür sorgen, dass das Rentenniveau bis 2025 nicht unter 48 Prozent sinkt und zugleich die Beiträge für die Rentenversicherung nicht über 20 Prozent steigen. Damit sollen Heil zufolge die heutigen Rentner abgesichert, die jüngeren Beitragszahler aber nicht zu stark belastet werden.

Um beides zu garantieren, muss laut Heil der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung steigen. Der Minister will die sogenannte doppelte Haltelinie zudem über einen Demografiefonds absichern. Der Fonds soll zum Tragen kommen, wenn auf andere Weise stabiles Rentenniveau und Beitragssatz nicht einzuhalten wären. Dazu könnten weitere Steuermittel notwendig werden, erklärte Heil. In dem Fonds sollen von 2022 bis 2025 insgesamt acht Milliarden Euro angespart werden.

VdK-Präsidentin Verena Bentele nannte diesen Fonds eine sinnvolle Maßnahme. "In den nächsten Jahren gehen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente und weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter folgen nach", sagte sie. Dringend nötig sei aber auch eine dauerhafte Anhebung des Rentenniveaus auf 50 Prozent.

Zweiter Teil von Heils Plänen sind Verbesserungen bei der Mütterrente. Eltern, die vor 1992 mindestens drei Kinder großgezogen haben, sollen einen zusätzlichen Rentenpunkt erhalten. Eine Alternative sei, auch Mütter und Väter mit weniger Kindern zu berücksichtigen und einen halben Rentenpunkt zusätzlich zu vergeben, sagte Heil. Das müsse im parlamentarischen Verfahren besprochen werden.

Die Verbesserungen für Mütter mit drei oder mehr Kindern war eine Forderung der CSU. Sozialverbände und der DGB forderten, nicht nur Mütter mit drei oder mehr Kindern in den Genuss der neuen Mütterente kommen zu lassen. Der DGB erklärte, die Koppelung an die Zahl der Kinder sei verfassungsrechtlich bedenklich.

Die geplanten Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente über eine Verringerung der Zurechnungszeiten würden Heil zufolge rund 170.000 Menschen zugutekommen. Zudem sollen Geringverdiener entlastet werden, indem künftig Einkommen bis zu 1.300 Euro pro Monat mit geringeren Sozialversicherungsbeiträgen belegt werden. Bislang liegt die Grenze den Angaben zufolge bei 850 Euro.



Singen kann den Alltag mit Dementen erleichtern


Tanzstunde in einem Altenzentrum in Witten
epd-bild/Friedrich Stark
Lieder können Demente aktivieren. Musik kann aggressive Patienten beruhigen. Musiktherapeuten sagen, dass durch das gemeinsame Singen auch Alltägliches wie Waschen und Füttern einfacher wird.

Max Liedtke kennt die Patienten und ihre individuellen Geschichten - an die sie selbst sich kaum erinnern. Mehrfach wöchentlich besucht der emeritierte Pädagogikprofessor Schwerstdemente in Pflegeeinrichtungen im Nürnberger Land: Patienten, die eingesunken im Rollstuhl verharren oder verstört um sich schlagen. Liedtke beobachtet: Wenn sie gemeinsam singen, verändert sich etwas. Ein Lächeln hier, Tanzbewegungen dort. Durch seine inzwischen gestorbene, zuvor demente Frau weiß Liedtke: "Gespräche wurden schwieriger. Ich habe bemerkt, dass gemeinsames Tun unsere Kommunikation erleichterte." Gemeinsam zu musizieren, war eine spontane Idee.

Lieder aus der Kindheit sind im Handlungsgedächtnis abgespeichert. Das greift die Demenz erst sehr spät an, erklärt Eckart Altenmüller. Der Neurologe ist Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musiker-Medizin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. Durch das Singen können Verbindungen im Gehirn in gewissem Maß wiederbelebt werden, zeigen Untersuchungen. "Und man kann das Fortschreiten der Demenz damit aufhalten", sagt Altenmüller.

Melodie oder ein "Lalala" reichen

Die Opernsängerin Maartje de Lint bietet sogenannte "Base"-Trainings an. "Base" steht für "Brain Awakening Singing Education". Sinngemäß übersetzt heißt das: gehirnanregende Gesangsstunden. Dazu besucht die 50-Jährige Pflegeheime in den Niederlanden und seit kurzem auch in Deutschland. Sie bildet einen Stuhlkreis und singt gemeinsam mit den Bewohnern. Es gehe nicht darum, den richtigen Ton zu treffen oder die passenden Wörter zu wählen: Die Melodie oder ein "Lalala" reichen. Ein Pianist begleitet den Chor. "Ich gehe nah an die Menschen heran, berühre auch mal eine Hand. Demente verlieren das Rationale. Das Fühlen bleibt aber gesund", sagt Maartje de Lint.

An einem solchen Training nehmen zwölf Demenz-Betroffene teil, deren Angehörige sowie sechs Pflegende. Für die Betreuer ist es als Fortbildung gedacht; das Heim als Veranstalter zahlt pro Workshop etwa 600 Euro. "Ich zeige, wie man den Alltag durch das Singen erleichtern kann. Wenn man jemanden duschen muss, und der will nicht, dann kann ein Schlager wie 'Singin' in the rain' hilfreich sein." Oder ein Kinderlied wie "Zeigt her eure Füße". Die Pflegenden seien von dem Einfluss der Musik oft total überrascht, sagt die Sängerin. "Wenn etwa ein schreiender Patient durch ein Lied beruhigt wird."

Damit habe das gemeinsame Singen nicht nur positive Auswirkungen auf die von Dementen, sondern auch auf das Pflegepersonal und die Angehörigen. Denn auch bei ihnen rufe die Musik gute Gefühle hervor.

Für die Gesangspädagogin Vera Kimming vom Verein "Singende Krankenhäuser" ist das Singen "heilsam für jede Art von Krankheitsbild". Es kann aktivieren, beruhigen, das Selbstwertgefühl fördern. "Vielen ist gar nicht bewusst, wie bedeutsam die Musik ist."

Fortbildungen für Pflegende

Der Verein bietet ebenfalls Fortbildungen zum Singleiter für Pflegende an. Pro Modul und Teilnehmer kostet der Kurs 265 Euro. Inzwischen wurden durch den Verein "Singende Krankenhäuser" über 60 Kliniken in Deutschland, Österreich und der Schweiz zertifiziert. "Durch unseren fachlichen Hintergrund verbinden wir das Singen zum Beispiel mit körperlicher Bewegung. Damit erreichen wir eine andere Qualität als durch das bloße Absingen von Liedern."

Besser als nur Musik zu hören, sei das aktive Tun, bestätigt der Neurologe Eckart Altenmüller. "Idealerweise fördert man zusätzlich die Mobilität der Patienten, durch Klatschen oder Tanzen."

So viel Gutes sein Ehrenamt bewirkt - mit der Freiwilligkeit hadert Max Liedtke gelegentlich. "Ich frage mich, ob man damit den Druck auf die Politiker verringert. Es scheint schließlich so, als könne man durch Freiwillige die Probleme in der Pflege lösen." Dennoch sei er bereit, durch eigenes Handeln etwas zu ändern. Und besucht weiter Demenzkranke, um mit ihnen zu singen.

Insa van den Berg (epd)


Immer mehr Paare trennen sich im höheren Alter


Der Trend zu späten Scheidungen hält seit einigen Jahren an.
epd-bild/Heike Lyding
Für die Trennung ist es offenbar nie zu spät: Immer mehr Menschen lassen sich nach 25 Ehejahren und später scheiden. Die Zahl hat sich seit Anfang der 90er Jahre verdoppelt.

Die Klientel von Felix Löckle ist bunt gemischt: "Es kommen alle, von ganz jung bis ganz alt", sagt der Scheidungsanwalt mit Sitz in Hanau bei Frankfurt am Main. Allerdings stellt er - wie viele seiner Kollegen - seit einiger Zeit fest, dass immer mehr Senioren, "die Trennung unbedingt wollen". Kürzlich hat bei ihm ein 86-Jähriger die Scheidung eingereicht. "Weil seine neue Lebensgefährtin das wollte", sagt Löckle. Zuvor hatte der Mann einige Zeit von seiner Ehefrau getrennt gelebt.

Der Trend zu späten Scheidungen hält seit einigen Jahren an. Nach neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes, veröffentlicht diese Woche, endeten 2017 insgesamt 153.500 Ehen vor dem Scheidungsrichter. Das ist der niedrigste Stand seit 25 Jahren. Aber mehr als ein Sechstel der Scheidungen (17,5 Prozent) wurden nach 25 und mehr Ehejahren eingereicht. Der Anteil hat sich seit Anfang der 90er Jahre verdoppelt, damals waren es nur neun Prozent.

Die Frankfurter Professorin und Psychologin Insa Fooken beschäftigt sich seit langem mit dem Phänomen der "grauen Scheidungen", also der späten Trennungen. Für das Auseinandergehen nach Jahrzehnten gibt es nach ihrer Ansicht nach verschiedene Auslöser. Die Kinder sind aus dem Haus, die Partner verbringen ständig Zeit miteinander - und stellen fest, dass sie sich nicht mehr viel zu sagen haben.

Oder eine berufliche Veränderung führt zu privaten Konsequenzen: Sie oder er will ein völlig neues Leben beginnen. Auch der Eintritt ins Rentenalter ist ein Einschnitt, der zwar mehr Freiräume, aber auch neue Belastungen mit sich bringt.

"Manchmal sind es einfach Ereignisse oder Erlebnisse wie ein runder Geburtstag, eine Trennung im Bekanntenkreis oder ein Kuraufenthalt mit neuen Erfahrungen, die dazu führen, dass eine Partnerschaft nach langer Zeit infrage gestellt wird", erläutert Fooken. Anders als früher ist der Gang zum Scheidungsanwalt nicht mehr so stark ein Tabu. Ehefrauen sind seltener als früher wirtschaftlich abhängig von ihrem Mann.

"So was passiert nicht spontan"

Für Felix Löckle sind Scheidungen dennoch ein langer Prozess: "So was passiert nicht spontan." Zumal die ökonomischen Risiken hoch sind. "Wenn es eine gemeinsame Immobilie gibt, muss diese oft verkauft werden", sagt der Anwalt. Hinzu kommen höhere Kosten des Allein-Lebens: Versicherungen müssen von Familien- und auf Singleverträge umgestellt werden, der Kfz-Schadenfreiheitsrabatt kann nur von einem genutzt werden. Auch die Krankenversicherung wird teurer.

Mitunter droht eine Scheidung gar in der Armut zu enden, besonders bei Rentnern. "Wenn die Frau nie gearbeitet hat und der Mann 2.000 Euro Rente erhält, wird das beim Versorgungsausgleich halbiert", erläutert der Anwalt. Für jeden bleibt nur die Hälfte. "Da droht sehr schnell Hartz IV", sagt Löckle. Er rät daher manchmal sogar seinen Klienten, nach der Trennung formal verheiratet zu bleiben.

Wer sich allerdings zur Scheidung entschlossen hat, egal wie spät, für den geht es um Emotionen und erst mal weniger ums Geld. "Bei uns hat sich einmal ein Mann gemeldet, dem die Ehefrau nach der Goldenen Hochzeit den Ring auf den Tisch gelegt hat", berichtet Insa Fooken. Der Mann sei "aus allen Wolken" gefallen, weil er damit nicht gerechnet hatte. Die Frau wollte noch mal neu anfangen.

Christoph Pompe, Pfarrer und Psychotherapeut, kennt ähnliche Geschichten. Er hat lange in der Eheberatung gearbeitet und ist als Seelsorger für ältere Menschen in einem Wohnstift in Ostwestfalen-Lippe tätig. Dort traf er kürzlich auf eine 83-jährige Rentnerin, die ihm mit Stolz erzählte, dass sie sich mit Ende 60 von ihrem Mann getrennt habe und mit Freundinnen um die Welt gereist sei.

Späte Scheidungen können Freiräume schaffen

"Späte Scheidungen können durchaus neue Freiräume schaffen, wenn die Ehe einfach unglücklich war", sagt Pompe. Er weiß aber auch, dass eine Trennung im hohen Alter viele seelische Belastungen mit sich bringt. "Oft billigen das gerade erwachsene Kinder nicht und schlagen sich auf die Seite des oder der Verlassenen", erzählt Pompe, der zweiter Vorsitzender der Evangelischen Konferenz für Familien- und Lebensberatung ist. Gerade wenn es einen neuen Partner gibt, geht es auch um das gemeinsame Erbe.

Die generell sinkenden Scheidungszahlen zeigen nach seiner Ansicht, dass die Ehe kein Auslaufmodell ist. "Viele Studien belegen, dass sich gerade junge Leute lange, feste und verbindliche Beziehungen wünschen", ist er überzeugt. Allerdings müsse die Ehe sich in verschiedenen Lebensphasen bewähren - und angesichts der zunehmenden Lebenserwartung immer länger halten.

Michael Ruffert (epd)


Mehr Todesfälle und weniger Geburten in Deutschland

Im vergangenen Jahr sind 147.000 Menschen mehr in Deutschland gestorben als geboren wurden. Wie das Statistische Bundesamt am 13. Juli in Wiesbaden mitteilte, standen 785.000 lebend geborenen Kindern 933.000 Todesfälle gegenüber.

Während die Zahl der Neugeborenen im Vergleich zu 2016 um rund 7.000 (0,9 Prozent) sank, erhöhte sich die Zahl der Gestorbenen um etwa 22.000 (2,4 Prozent). Seit 1972 sterben in jedem Jahr mehr Menschen in Deutschland, als Kinder geboren werden.

Den Bund der Ehe haben im vergangenen Jahr 407.000 Paare geschlossen. Das waren 3.000 Eheschließungen beziehungsweise 0,7 Prozent weniger als im Jahr zuvor.



Ausbildungsatlas will Jugendliche und Betriebe zusammenbringen

Der aktuelle Ausbildungsatlas für Nordrhein-Westfalen soll Jugendlichen den Weg zu noch unbesetzten Lehrstellen ebnen. Kurz vor den Sommerferien seien noch viele Ausbildungsplätze frei, betonte die Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit am 10. Juli in Düsseldorf. Anfang Juni waren demnach noch 45.000 offene Lehrstellen bei den Arbeitsagenturen in NRW gemeldet.

Der Ausbildungsatlas zeigt den Angaben nach mit farbigen Grafiken, in welchen Regionen es in bestimmten Ausbildungsberufen und Branchen schwierig ist, einen Ausbildungsplatz zu finden. Doch genauso werde anschaulich gemacht, wo welche Branchen händeringend noch Bewerber suchen.

Wer sich beispielsweise jetzt noch für eine Ausbildung als Fachkraft für Veranstaltungstechnik, Mediengestaltung oder als Industriekaufmann entscheidet, dürfte der Karte zufolge in ganz NRW schlechte Karten haben. Deutlich besser sehe es dagegen für diejenigen aus, die sich eine Ausbildung zum Fachangestellten bei einem Notar oder Rechtsanwalt vorstellen könnten, hieß es. Auch würden angehende Hotelkaufleute noch von vielen Unternehmen in ganz NRW gesucht.



Engagementpreis NRW 2019 widmet sich der Digitalisierung

Mit dem Thema "Digitalisierung" befasst sich der Engagementpreis NRW 2019. Ab sofort können sich Vereine, Stiftungen, gemeinnützige GmbHs und Bürgerinitiativen mit ihren ehrenamtlichen Projekten um den Preis bewerben, wie die Staatkanzlei in Düsseldorf am 13. Juli mitteilte. Die Auszeichnung wird im kommenden Jahr zum fünften Mal verliehen, die drei Sieger erhalten ein Preisgeld in Höhe von jeweils 2.000 Euro.

In Nordrhein-Westfalen engagierten sich rund sechs Millionen Menschen unentgeltlich und freiwillig für das Gemeinwohl, sagte die Staatssekretärin für Sport und Ehrenamt des Landes NRW, Andrea Milz. Im Zuge der zunehmenden Digitalisierung eröffneten sich für alle Lebensbereiche neue Chancen, das gelte auch für das bürgerschaftliche Engagement. Kooperationspartner bei dem Wettbewerb ist die Nordrhein-Westfalen-Stiftung.

Die Bewerbungsfrist endet am 23. September. Aus den eingereichten Projekten wählen die Organisatoren Ende des Jahres zwölf Vorhaben aus, die im Laufe des Jahres 2019 als "Engagement des Monats" auf der Internetplattform www.engagiert-in-nrw.de vorgestellt werden. Aus diesen Projekten werden dann Ende 2019 drei Träger des Engagementpreises ausgewählt: Die Sieger werden in einer Online-Abstimmung, durch die NRW-Stiftung und eine Jury bestimmt.



Land fördert medizinische Versorgung Obdachloser

Zur besseren medizinischen Versorgung von wohnungslosen Menschen stellt das Land Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr 850.000 Euro zur Verfügung. Die Fördermittel können von Kommunen, Wohlfahrtsorganisationen oder Freien Trägern in dem Bereich abgerufen werden, wie das Sozialministerium am 13. Juli in Düsseldorf mitteilte. Mit dem Geld könnten beispielsweise Ultraschallgeräte, Zahnarztstühle oder andere medizinische Ausstattungen angeschafft werden. Pro Einzelprojekt können Förderungen zwischen 12.500 und 100.000 Euro beantragt werden, wie es hieß. Die Antragsfrist endet am 30. September.

Das Leben auf der Straße führe zu besonderen gesundheitlichen Belastungen durch Witterung, mangelnde Hygiene und ungesunde Ernährung, erklärte Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU). "Dadurch ist die gesundheitliche Verfassung von wohnungslosen Menschen deutlich schlechter als beim Durchschnitt der Bevölkerung." Als Beispiele nannte er Erkrankungen der Atmungs- und Verdauungsorgane, des Herz- und Kreislaufsystems, Hautkrankheiten sowie psychische und Suchterkrankungen.

"Häufig nutzen wohnungslose Menschen das medizinische Regelsystem nicht - sei es aus Scham oder aus Unkenntnis", sagte der Minister. Deshalb seien aufsuchende Hilfen und Angebote, die sich speziell auf diesen Personenkreis eingestellt haben, wichtig. Ab sofort können kreisfreie Städte, kreisangehörige Gemeinden und Kreise sowie freie Träger Mittel aus dem Sonderprogramm "Bessere medizinische Versorgung wohnungsloser Menschen in Nordrhein-Westfalen" beantragen.



IT-Expertin: Diskussion über Sexroboter ist dringend nötig

Die IT-Rechtsexpertin Iris Phan hält einen ethischen Diskurs über Sexroboter für dringend notwendig. "Wir müssen über das Thema sprechen statt es verschämt in dunklen Räumen abzustellen", sagte die Juristin und Wissenschaftsphilosophin aus Hannover dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sex mit menschenähnlichen Puppen oder Robotern sei immer noch ein Tabuthema. Zudem tendierten viele Menschen dazu, die technologische Entwicklung kleinzureden.

Tatsächlich aber produzierten schon mehrere Firmen sogenannte "Sex Dolls", gab Phan zu bedenken. Die Website "therobotreport.com" beschrieb bereits 2016 zwei amerikanische Firmen, die rund 500 Puppen im Jahr zum Einzelpreis von 5.000 bis 10.000 Dollar verkauften. Phan forscht an der Universität Hannover unter anderem über die rechtlichen und ethischen Probleme der Informationstechnologie.

Wenn Menschen sich vermehrt in Maschinen verliebten oder Sex mit ihnen hätten, könne das die Isolation von Menschen noch verstärken, mahnte Phan. Das Phänomen lasse sich etwa in Japan beobachten. Japan sei ein sehr technologieverliebtes Land und bereits sehr weit mit der Entwicklung von Sex-Robotern. "In Japan ist aber auch die menschliche Isolation weit fortgeschritten." So habe das Land eine der niedrigsten Geburtenraten, auch die Zahl der Eheschließungen sei im weltweiten Vergleich gering. "Wir müssen vorher über die gesellschaftlichen Auswirkungen nachdenken und nicht erst mal drauf los entwickeln", forderte die Juristin.

Makellosigkeit birgt Gefahr

Eine Gefahr könne auch die vermeintliche Makellosigkeit der Sexroboter sein: "Ein Mensch riecht und hat Launen", sagte sie. Wer sich an die ständige Verfügbarkeit und das glatte Äußere der Puppen gewöhne, möge vielleicht irgendwann keine Menschen mehr. Auch darüber, wer die Roboter entwerfe und wie diese aussähen, bestehe Diskussionsbedarf, betonte Phan. Derzeit seien die Modelle auf dem Markt überwiegend weiblich, und die meisten hätte weiße Haut und große Brüste. Auch die Männerpuppen seien sehr stereotyp mit Sixpack und breiten Schultern. "Das ist nicht besonders divers, und das verstärkt unsere Stereotypen."

Natürlich sei Sexualität ein sensibles Gebiet, und der Einsatz von Sexrobotern müsse gründlich abgewogen werden, räumte die Wissenschaftsphilosophin ein. Roboter könnten Menschen helfen, die keinen passenden Partner für ihre sexuellen Bedürfnisse fänden, etwa weil sie alt seien, eine Behinderung hätten oder Angst, von anderen Menschen nicht als sexuell attraktiv empfunden zu werden. Zudem gebe es heute bereits viele Bereiche, in denen Roboter als positiv und nützlich empfunden würden, sagte Phan. Als Beispiele nannte sie Staubsauger-Roboter, den Pflege-Roboter "Aibo" oder den menschenähnlichen Roboter "Pepper".

epd-Gespräch: Leonore Kratz



Medien & Kultur

Eltern können das Facebook-Konto ihres toten Kindes erben


Facebook-Konten können vererbt werden.
epd-bild / Norbert Neetz
Der Bundesgerichtshof hat ein Grundsatzurteil zum digitalen Erbe gefällt.

Eltern muss voller Zugriff auf das Facebook-Konto ihres verstorbenen Kindes gewährt werden. Als Erben hätten sie ein berechtigtes Interesse an dem digitalen Nachlass ihres Kindes, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe in einem am 12. Juli verkündeten Grundsatzurteil. Könnten Tagebücher oder persönliche Briefe vererbt werden, müsse dies auch für einen digitalen Nachlass gelten. Datenschutzrecht werde damit nicht verletzt. (AZ: III ZR 183/17)

Konkret ging es um den Tod eines 15-jährigen Mädchens im Jahr 2012. Das Mädchen wurde in einem Berliner U-Bahnhof aus bislang ungeklärten Gründen von einem Zug erfasst und getötet. Die Eltern vermuteten einen Suizid und erhofften sich über das Facebook-Konto ihrer Tochter und den darin enthaltenen Austausch von Chat-Nachrichten mit Freunden Aufschluss über den Tod. Es könnte ja sein, dass sie sich mit anderen Facebook-Freunden über Probleme oder erlittenes Mobbing per Chat-Nachricht unterhalten und sich der Suizid so angekündigt hat, mutmaßten die Eltern.

Doch als die Eltern sich auf Facebook einloggen wollten, hatte das US-amerikanische Unternehmen das Konto in einen sogenannten Gedenkzustand gesetzt, bei dem nur öffentliche Inhalte, nicht aber private Chat-Nachrichten abrufbar waren.

Facebook weigerte sich, den vollen Zugang zu dem Konto zu gewähren und verwies auf den Datenschutz. Die Chat-Partner der verstorbenen Tochter hätten Anspruch darauf, dass ihre Nachrichten auch privat bleiben. Ohne Erfolg wiesen die Eltern darauf hin, dass sie doch die Erben ihrer Tochter seien.

Das Kammergericht Berlin gab Facebook noch recht. Facebook sei nach dem Fernmeldegeheimnis verpflichtet, die private Kommunikation der Chat-Partner zu schützen. Die Mutter habe zwar die Zugangsdaten zum Account. Es fehle aber an der Einwilligung der Personen, die mit der verstorbenen Tochter gechattet haben. Die Eltern könnten auch nicht auf ihr Recht auf "elterliche Sorge" verweisen. Dieses Recht erlösche mit dem Tod des Kindes.

Analogie zu Tagebüchern und Briefen

Der BGH hob diese Entscheidung nun auf und sprach den Eltern als Erben vollen Zugang zum Facebook-Konto ihres verstorbenen Kindes zu. Nach dem Erbrecht könnten Tagebücher oder persönliche Briefe vererbt werden. Es gebe keinen Grund, dass beim digitalen Nachlass anders verfahren werden müsse.

Entscheidend sei hier der Nutzungsvertrag, den Facebook mit der Tochter geschlossen hatte. Vertraglich könne zwar die Vererbbarkeit des digitalen Nachlasses ausgeschlossen werden. Dies sei in dem Nutzungsvertrag aber nicht geschehen.

Facebook-Nachrichten seien zudem "kontobezogen" und nicht personenbezogen. So müssten auch zu Lebzeiten Chat-Partner damit rechnen, dass andere Personen ihre Nachrichten lesen, indem diese sich Zugang zu dem Konto verschafft haben. Ein "schutzwürdiges Vertrauen", dass die Nachrichten privat bleiben, gebe es daher nicht. Ein Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis liege nicht vor.

Der Anspruch auf das digitale Erbe verstoße auch nicht gegen die Datenschutzgrundverordnung. Diese schütze nur lebende Personen. Die Eltern hätten als Erben ein "berechtigtes Interesse" auf Zugriff zum Facebook-Konto ihrer Tochter. Die Verkündung des BGH-Urteils wurde erstmals live vom Nachrichtensender Phoenix übertragen.



Mehr Beschwerden über Internet-Inhalte

Bei der Beschwerdestelle der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) sind im vergangenen Jahr 5.614 Meldungen eingegangen. Das sei eine Steigerung um 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr (4.644 Beschwerden) und zugleich ein historischer Höchststand, heißt es in dem am 9. Juli in Berlin veröffentlichten Jahresbericht der FSM.

Etwa ein Fünftel (1.155 Beschwerden) der eingegangenen Hinweise betrafen den Angaben zufolge Missbrauchsdarstellungen von Kindern und Jugendlichen. Damit sei dieser Anteil der Beschwerden auf ähnlich hohem Niveau wie im Vorjahr geblieben (2016: 1.394).

Dagegen sei der Anteil der Meldungen mit erwachsenenpornografischen Inhalten 2017 deutlich gestiegen. Mit 1.375 Hinweisen (rund 24 Prozent) machten diese Inhalte erstmals den größten Teil der Beschwerden aus. Der Anstieg sei insbesondere auf nutzergenerierte Inhalte in den sozialen Netzwerken zurückzuführen.

Deutlich zurückgegangen seien im vergangenen Jahr Hinweise über Rechtsextremismus mit 103 Beschwerden (2016: 263 Meldungen). Gleiches gelte auch für volksverhetzende Inhalte mit 54 Hinweisen (2016: 103 Meldungen). Mutmaßlich liege der Rückgang daran, dass in sozialen Netzwerken rechtswidrige Inhalte mittlerweile zuverlässiger entfernt werden, teilte die Freiwillige Selbstkontrolle mit.

Die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter ist eine Selbstkontrolleinrichtung für den Bereich Telemedien, die sich in erster Linie dem Jugendmedienschutz widmet. Der Verein engagiert sich maßgeblich in der Bekämpfung illegaler, jugendgefährdender und entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte in Onlinemedien. Dazu betreibt die FSM eine Beschwerdestelle, an die sich jeder kostenlos wenden kann.



Youtube mit neuen Maßnahmen im Kampf gegen Fake News

Die Videoplattform Youtube hat neue Maßnahmen im Kampf gegen Fake News angekündigt. Unter anderem sollen Videos aus verlässlichen Nachrichtenquellen künftig prominent in den Rubriken "Top News" und "Breaking News" hervorgehoben werden, wie die Tochter des US-Internetkonzerns Google am 10. Juli in einem Blogeintrag ankündigte. Youtube setzt außerdem auf Textinhalte: Bei großen Ereignissen wie Naturkatastrophen, zu denen Nutzer schnell eine unübersichtliche Vielzahl von Videos hochladen, will das Portal in seinen Suchergebnissen in Zukunft Auszüge aus Nachrichtenartikeln veröffentlichen.

Allgemein bekannte historische und wissenschaftliche Themen, die bereits häufig Gegenstand von Fehlinformationen waren, sollen zur besseren Einordnung zudem mit Informationen von Drittanbietern wie Wikipedia verlinkt werden, kündigt Youtube an und nennt als Beispiel unter anderem die Mondlandung.

Daneben will Youtube rund 21 Millionen Euro aus dem Topf der "Google News Initiative" (GNI) in die Verbesserung des "Nachrichten-Ökosystems im Online-Video-Bereich" investieren. Eine Arbeitsgruppe mit Nachrichtenanbietern und Fachleuten aus aller Welt soll bei der Entwicklung neuer Funktionen für die Nachrichtennutzung helfen. In rund 20 Ländern, darunter Deutschland, würden außerdem Finanzmittel bereitgestellt, um Nachrichtenanbieter "beim Aufbau eines nachhaltigen Videogeschäfts zu unterstützen". Zusätzlich will Youtube ein weltweit tätiges Team aufbauen, dass Nachrichtenmedien durch Schulungen unter anderem in den Bereichen Formate und Publikumsentwicklung unterstützt.

Über die GNI stellt Google über die kommenden drei Jahre hinweg insgesamt rund 270 Millionen Euro bereit. Unter dem neuen Dach der Initiative hatte der Internetkonzern im vergangnen März seine Aktivitäten zur Unterstützung von Medien gebündelt. Die GNI basiert zu wesentlichen Teilen auf der Arbeit der "Digital News Initiative" (DNI), die der US-Konzern vor drei Jahren mit Verlags- und Journalismuspartnern in Europa gestartet hatte. Als neues Element waren unter anderem Maßnahmen zur Bekämpfung von irreführenden Inhalten auf den hauseigenen Plattformen des Konzerns angekündigt worden.



Experte: Trendworte wie "seehofern" halten sich nur kurz

Neue Wortschöpfungen wie "seehofern" und "neymaring" werden nach Ansicht des hannoverschen Linguistikprofessors Peter Schlobinski kaum in den allgemeinen Sprachgebrauch eingehen. Diese Begriffe stünden für singuläre politische und öffentliche Handlungen, sagte Schlobinski dem Evangelischen Pressedienst (epd). Zumeist würden sie von Journalisten oder Bloggern erfunden, um pointiert bis satirisch etwas darzustellen. Über die sozialen Medien breiteten sie sich dann aus. "Das ist ein Hype, der so schnell er entsteht, auch wieder abflaut."

Internetnutzer hatten jüngst das Verb "seehofern" in Anspielung auf die Politik von Innenminister Horst Seehofer (CSU) verbreitet. Sie hatten für Spott im Internet gesorgt, in dem sie es unter anderem mit "permanent zunehmenden populistischen Drohungen und Forderungen bei gleichzeitigem Nicht-Handeln" gleichsetzten und eine Aufnahme in den "Duden" forderten. Fußballfans veralberten mit "neymaring" den brasilianischen Fußballstar Neymar für seinen übertrieben zur Schau gestellten Schmerz beim WM-Spiel gegen Serbien.

Solche Trendworte entstünden heute schnell, sagte Schlobinski, Professor für germanistische Linguistik an der Leibniz Universität Hannover. Von Personennamen abgeleitete Adjektive, Substantive und auch Verben gebe es allerdings bereits seit langem. Beispiele seien "röntgen" nach dem Physiker Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) oder napoleonisch. Bekannt aus neuerer Zeit sei etwa "riestern" für die nach dem früheren Bundesarbeitsminister Walter Riester (SPD) benannte Altersversorgung. Diese Begriffe seien deshalb in den allgemeinen Gebrauch eingegangen, weil sie mit großen Ereignissen, Errungenschaften oder Vorhaben verbunden seien, die für viele Menschen von Bedeutung sind.

Wieder andere Wortschöpfungen seien dagegen nur in bestimmten Kreisen verbreitet, erläuterte Schlobinski, der auch Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Sprache ist. So könnten sich Fußball-Liebhaber etwas unter "müllern" und einige philosophische Zirkel etwas unter "heideggern" vorstellen. Neuworte wie "guttenbergen" nach dem über eine Plagiataffäre gestolperten früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) seien aber bereits fast wieder in Vergessenheit geraten. Gleiches gelte für den Ausdruck "einen Anrufbeantworter vollwulffen", der nach einem unbedachten Anruf des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff bei der "Bild"-Zeitung aufkam.

epd-Gespräch: Karen Miether


Bloß nicht brav: Christine Nöstlinger ist tot

Die Wienerin Christine Nöstlinger schuf so wunderbare Figuren wie den unangepassten "Franz" und die wilden "Tomanis". Eines war all ihren Geschichten gleich: Sie stand immer auf der Seite der Kinder.

Mit ihren Büchern wollte sie bei Kindern "Sehnsucht erwecken nach anderen Zuständen", wie Christine Nöstlinger einmal sagte. In den mehr als 100 Werken der österreichischen Erfolgsautorin geht es unkonventionell und fantasievoll zu. Brave Töchter verwandeln sich in fröhlich-zottelige Tomanis. Kinder erheben sich gegen den autoritären "Gurkenkönig". "Ich kann nur über Dinge schreiben, die ich kenne", so beschrieb sie es selbst: "Bei durchsichtigen Männern aus blauem Rauch, fliegenden Katzen und Großmüttern, Erdäpfeln mit Hirn und Herz und dergleichen kenne ich mich aus." Am 28. Juni starb die Autorin im Alter von 81 Jahren in Wien, wie der Residenz Verlag am 13. Juli mitteilte.

Am 13. Oktober 1936 kam Christine Nöstlinger in Wien zur Welt. Ihr Ruhm begann 1970 mit dem Kinderbuch "Die feuerrote Friederike". Da war sie 34 Jahre alt und Mutter zweier Mädchen. Die Illustrationen zu der Geschichte stammten von Nöstlinger selbst - sie hatte Gebrauchsgrafik an der Akademie für angewandte Kunst in Wien studiert. Das Zeichnen überließ sie später Anderen.

Die Autorin erzählte über Sorgen und Erlebnisse von Kindern, griff aber häufig auch Fragen von Autorität und Emanzipation auf. In "Das Austauschkind" geht es um kindliche Einsamkeit, bei den Geschichten um "Gretchen Sackmeier" um Identitätssuche. Wunderschön ihre "Geschichten von Franz", verrückt-witzig "Das Leben der Tomanis", versponnen die Erlebnisse vom "Lieben Herrn Teufel".

"Ihre vielseitige und äußerst engagierte Tätigkeit als Schriftstellerin ist geprägt von respektlosem Humor, scharfsinnigem Ernst und stiller Wärme, und sie steht vorbehaltlos auf der Seite der Kinder und Außenseiter." So begründete die Jury im Jahre 2003 die Vergabe des ersten Astrid-Lindgren-Gedächtnispreises an Nöstlinger. 1984 bekam sie die Hans-Christian-Andersen-Medaille, die als "Nobelpreis der Kinderliteratur" gilt, zuvor bereits den Jugendliteraturpreis.

Zeitenwende in der Kinderliteratur

Der 1972 erschienene Roman "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" um den gemeinen König der Kumi-Ori, der Familie Hogelmann in Turbulenzen stürzt, wurde zum Kinderbuchklassiker. "Die Feuerrote Friederike" und der "Gurkenkönig" stehen für eine neue Zeit in der Kinderliteratur zu Zeiten der antiautoritären Bewegung. Auch "Konrad aus der Konservenbüchse" wird nur darum gerettet, weil ihm das Nachbarsmädchen systematisch das Brav-Sein abtrainiert.

"Davor waren Kinderbücher faktisch Pädagogikpillen, eingewickelt in Unterhaltungspapier", sagte Nöstlinger der österreichischen Zeitung "Der Standard". Sie hätten lehrreich und voller Moral sein sollen, weil "Eltern, Lehrer und Psychologen geglaubt haben, wenn ein Kind ein Kinderbuch liest, in dem sich ein Kind brav verhält, dann wird das lesende Kind selber brav", so die Autorin und urteilte: "Vertrottelt."

Ihre Bücher durchbrachen oft sprachliche und thematische Tabus, was der Autorin nicht selten angekreidet wurde. In der Sprache orientierte sie sich vor allem an ihrer Zielgruppe. Nöstlingers Bücher wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt. Mit "Die Kinder aus dem Kinderkeller" debütierte sie 1971 beim deutschen Verlag Beltz & Gelberg.

Der österreichische Residenz-Verlag brachte im September 2016 anlässlich ihres 80. Geburtstags ein dreiteiliges "Best of Christine Nöstlinger" heraus. Darunter sind auch ihre Erinnerungen, die 2013 erschienen sind. "Glück ist etwas für Augenblicke", hat sie sie genannt und schrieb darin: "Man muss damit zufrieden sein, zufrieden zu sein."

Andreas Rehnolt (epd)


Der Spielplatz kommt ins Museum


Das verschlungene Röhrensystem "Lozziwurm" wurde 1972 von Yvan Pestalozzi entwickelt.
epd-bild/Meike Böschemeyer
Spielplätze sind öffentliche Orte und Teil des Stadtbildes. Doch während Entwicklungen in Stadtplanung und Architektur gut dokumentiert sind, fristet der Spielplatz ein Schattendasein. Die Bundeskunsthalle will das mit einer Ausstellung ändern.

Die Fantasie von Kindern ist von Natur aus grenzenlos. Selbst in den tristesten Stadtlandschaften finden sie noch Dinge zum Spielen: Da werden Treppengeländer zur Rutschbahn, Beton-Poller zu Turngeräten und Mäuerchen zu Schwebebalken. Das zeigt der Film von Helga Reidemeister und Eduard Gernart über eine Familie im Märkischen Viertel in Berlin. Lediglich ein paar Eternit-Würfel zum Klettern boten den Kindern in dem ab 1963 aus dem Boden gestampften Neubauviertel eine Spielmöglichkeit.

Doch genau hier entstand 1967 der erste Abenteuerspielplatz Deutschlands. "Es war ein Hilfeschrei der Eltern, der dazu führte", erklärt Gabriela Burkhalter, Kuratorin der Ausstellung "The Playground Project. Indoor", die bis zum 28. Oktober in der Bundeskunsthalle zu sehen ist. Die Stadtplanerin aus Basel hat sich vor Jahren daran gemacht, ein noch recht unbeschriebenes Blatt der Architektur- und Designgeschichte zu füllen: Die Entwicklung des Spielplatzes.

"Bis heute ist er hässliches Entlein und vielumworbener Raum zugleich", stellt Burkhalter fest. Design und Konzeption von Spielplätzen war bislang ein schlecht dokumentiertes Thema. "Ein Grund ist wohl, dass man mit der Gestaltung eines Spielplatzes keine große Karriere machen kann, weder als Architekt noch als Künstler, Stadtplaner oder Designer", mutmaßt Rein Wolfs, der Leiter der Bundeskunsthalle.

17 Positionen von Architekten, Designern und Kollektiven

Das will die Bundeskunsthalle nun ändern und stellt 17 Positionen von Architekten, Designern oder Kollektiven vor, die Spielplätze kreiert haben. Dabei fehlt es nicht an Anschauungsmaterial. "The Playground Project" dürfte eine der wenigen Ausstellungen sein, in der Kinder sich selbst beschäftigen und austoben können.

Zentrum der Ausstellung ist der "Lozziwurm", ein 1972 von dem Schweizer Plastiker Yvan Pestalozzi entwickeltes Spielgerät. Kinder können durch das verschlungene orange-gelbe Röhrensystem hindurchkriechen und nach Belieben an einer der runden Öffnungen wieder hinausklettern. Zum Ausprobieren laden auch die Kunststoffspielgeräte des deutschen Designers Günter Beltzig ein. Die Rutsche, Wippen, Kletterobjekte und das Karussell standen zuletzt in Beltzigs Garten. Nun können Kinder (und auch Erwachsene) in der Bundeskunsthalle damit spielen.

Zur Ausstellung gehört auch ein Werkraum, in dem Kinder kreativ werden können sowie eine wachsende Skulptur nach einem Konzept der Künstlerin Karin Hochstatter. Besucher können die von Hochstatter begonnene Installation aus Drahtseil weiterbauen.

Daneben dokumentiert die Ausstellung, dass die Entwicklung der Spielkultur in den Städten keineswegs so linear verläuft wie vermutet. Seit der Industrialisierung Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in den großen Städten Spielplätze, die die den Freiraum in der Natur ersetzen sollten. Doch welche Spielmöglichkeiten für Kinder am besten geeignet sind, darüber gab es immer wieder unterschiedliche Ansichten.

Sandkästen als Inseln im Asphalt

So schuf der vom Funktionalismus geprägte niederländische Architekt Aldo van Eyck in den 40er Jahren inmitten der Stadt Sandkästen, die wie Inseln in den Asphalt eingelassen waren. Als sein Verdienst gilt es, dass er den Spielplatz in die kleinsten freien Räume der Stadt brachte. Doch die Sandkästen wirken eher trist und steril. Zur gleichen Zeit entstanden in Dänemark bereits die ersten Abenteuerspielplätze.

Der dänische Landschaftsarchitekt Carl Theodor Sørensen formulierte schon 1931 erstmals die Idee, Kindern einen freien Platz mit Baumaterial und Werkzeugen zur Verfügung zu stellen. Und sogar noch während der deutschen Besetzung Dänemarks 1943 wurde ein solcher Abenteuerspielplatz in einer Wohnsiedlung in Emdrup bei Kopenhagen realisiert.

Es sollte mehr als 20 Jahre dauern, bis die Idee in Deutschland ankam. Beflügelt durch neue pädagogische Ideen in den 70er Jahren verbreitete sich das Modell auch hierzulande. In den 80er Jahren verlor das freie Spiel allerdings an Attraktivität. Neue technische Errungenschaften boten Kindern alternative Spielmöglichkeiten.

Heute sei wieder eine Aufbruchstimmung spürbar, stellen die Ausstellungsmacher fest. Zeugnis davon liefert die bereits eröffnete Ausstellung "The Playground Project. Outdoor" auf dem Dach und dem Vorplatz der Bundeskunsthalle. Dort sind aktuelle Arbeiten von Künstlern zum Thema Spiel zu sehen. Die Spielgeräte, wie zum Beispiel eine Rutschbahn von Carsten Höller oder ein Schaukelpark des Künstlerkollektivs Superflex, dürfen ebenfalls benutzt werden.

Claudia Rometsch (epd)


20 Jahre Nussbaum-Haus: Daniel Libeskind feiert mit


Der New Yorker Star-Architekt Daniel Libeskind hat die Feiern zum 20-jährigen Bestehen des Felix-Nussbaum-Hauses eröffnet.
epd-bild/Uwe Lewandowski
Für Daniel Libeskind ist das Felix-Nussbaum-Haus ein ganz besonderer Bau. Zum 20. Jahrestag der Einweihung besuchte er das von ihm entworfene Museum in Osnabrück. Der Star-Architekt nennt es ein Gebäude mit einer Botschaft.

Der New Yorker Star-Architekt Daniel Libeskind hat am 15. Juli in Osnabrück die Feierlichkeiten anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Felix-Nussbaum-Hauses eröffnet. Das Museum mit Werken des jüdischen Malers Felix Nussbaum (1904-1944) ist das weltweit erste Gebäude, das nach den Entwürfen Libeskinds fertiggestellt wurde. Unter seinen Gebäuden liege es ihm am meisten am Herzen, sagte Libeskind.

Libeskind war gemeinsam mit seiner Ehefrau Nina nach Osnabrück gekommen. Zusammen mit Museumsdirektor Nils-Arne Kässens erlebte das Ehepaar bei einem Rundgang das Haus einer Sprecherin zufolge in besonderer Atmosphäre. Um die Baukunst in den Mittelpunkt zu stellen, sind die Bilder Nussbaums vorübergehend abgehängt und eingelagert worden. Verteilt in den leeren Räumen spielte das Orchester "Ensemble Horizonte". Das Museum wurde 1998 in Nussbaums Geburtsstadt Osnabrück eröffnet. Es beherbergt rund 200 Gemälde des Künstlers, der von den Nationalsozialisten in Auschwitz ermordet wurde.

"Museum ohne Ausgang"

Libeskind hatte den 1994 von der Stadt ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen. Die Grundzüge des von ihm als "Museum ohne Ausgang" konzipierten Gebäudes aus Beton, Stahl und Holz korrespondieren mit der verzweifelten Situation des Malers im belgischen Exil. Das ebenfalls von dem Architekten konzipierte Jüdische Museum in Berlin, dass im gleichen Stil gebaut ist, wurde ein Jahr später eröffnet.

Das Nussbaum-Haus habe eine Botschaft, sagte der jüdisch-amerikanische Architekt dem epd. Es erzähle etwas über den Holocaust, der Millionen Menschen wie Felix Nussbaum getötet habe. Zugleich sei Nussbaums Geschichte auch die seiner Kunst, die über seinen Tod hinaus weiterlebe. "Seine Bilder sind eine Warnung und drücken zugleich eine Hoffnung aus für mehr Menschlichkeit."

Das Museum wurde direkt neben dem unter Denkmalschutz stehenden Altbau des Kulturgeschichtlichen Museums und der sogenannten Villa Schlikker errichtet, die von 1933 bis 1945 Parteizentrale der NSDAP in Osnabrück war. 2011 bekam das Haus einen von Libeskind entworfenen Anbau.

Künstler aus der Region sollen vom 16. Juli an für 20 Tage die Museums-Räume mit ihren Assoziationen zum Thema Architektur gestalten, unter anderem mit Musik, Theater, Lesungen und der Installation von Kunstwerken. Die Gemälde Nussbaums sollen während dieser Zeit in einer digitalen Straßengalerie zu sehen sein. In der Innenstadt sind Stelen mit QR-Codes aufgestellt, die sich mit Smartphone auslesen lassen.



Flaggen des Internationalen Gospelkirchentages in Karlsruhe gehisst

Zum Internationalen Gospelkirchentag kommen im September Tausende Sänger nach Karlsruhe. Bislang gebe es 4.600 Anmeldungen, erklärte der evangelische Dekan Thomas Schalla am 12. Juli. "Ich kann mir jetzt gut vorstellen, dass wir die 6.000-Marke erreichen." Gemeinsam mit dem Pfarrer der Karlsruher Gospelkirche, Joachim Oesterle, hisste Schalla nun die beiden Fahnen des Events.

"Wir wollen damit ein Zeichen setzten, dass die Welt besser werden soll", sagte er. Das Motto der Veranstaltung vom 21. bis zum 23. September ist in diesem Jahr "It's getting better". Die eine der Fahnen zeigt auf lila-gelbem Hintergrund die Daten des Events und Gospelsänger. Auf der anderen Flagge ist das Logo des Gospelkirchentages 2018 zu sehen. "Wir haben ein Doppelkreuz entworfen, das Vergebung und Auferstehung symbolisiert", erklärte Oesterle. Zugleich könne einer der Balken auch als Note interpretiert werden, die für die Musik steht. Außerdem ist unter der Note ein Punkt, der sich aus musikalischer Sicht korrekterweise darüber befinden müsste. "Das heißt, dass man als Christ auch mal gegen den Strich bürsten muss, zum Beispiel, indem man etwas unbequemes sagt", betonte Oesterle.

Der Internationale Gospelkirchentag gilt als Europas größtes Gospel-Festival. Seit 2002 findet es alle zwei Jahre an wechselnden Orten statt. Darunter waren Essen, Düsseldorf, Hannover und Braunschweig. 2010 war das Festival bereits einmal in Karlsruhe. Veranstalter des Karlsruher Festivals ist die Stiftung Creative Kirche in Kooperation mit der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Evangelischen Kirche in Karlsruhe und der Stadt Karlsruhe.



Magazin "chrismon" erreicht 1,59 Millionen Leser

Das evangelische Monatsmagazin "chrismon" erreicht 1,59 Millionen Lesern und damit so viele Menschen wie nie zuvor. Das geht aus den Zahlen der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse (AWA) 2018 hervor. Seit 2014 steigerte "chrismon" seine Reichweite um mehr als 50 Prozent, wie das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) am 11. Juli in Frankfurt am Main mitteilte. Im Vergleich zur AWA 2017 lag der Zuwachs bei sechs Prozent. Das Magazin liegt verschiedenen Tageszeitungen bei, dazu gehören die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die "Süddeutsche Zeitung", "Die Welt", "Welt am Sonntag", die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" und "Die Zeit".

"Wir freuen uns, dass immer mehr Menschen in diesem Land engagierten und ernsthaften Journalismus, bewegende und wahrhaftige Geschichten schätzen. Offenbar suchen Leserinnen und Leser auch noch etwas anderes als fix fabrizierte Meinung und Empörung", sagte "chrismon"-Chefredakteurin Ursula Ott.

GEP-Direktor Jörg Bollmann sagte, es gebe in Deutschland ein stabiles und waches Interesse an einem Diskurs über die Vielfalt der religiösen Überzeugungen und theologischen Meinungen zur breiten Palette der sozialethischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragen. "Das Interesse an unserem evangelischen Magazin 'chrismon', das sich diesen Themen in jeder Ausgabe journalistisch widmet, ist dafür ein überzeugendes Indiz." GEP-Verlagsleiter Bert Wegener betonte, dass es seit 2014 auch bei den jungen Zielgruppen gelungen sei, mehr als 110.000 regelmäßige Leser jeder "chrismon"-Ausgabe hinzuzugewinnen.

Das Magazin "chrismon" erscheint im Hansischen Druck- und Verlagshaus (HDV), einer hundertprozentigen Tochter des GEP. Die zentrale Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) trägt unter anderem die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd), die Rundfunkarbeit der EKD und das Onlineportal "evangelisch.de".



"Deutschland spricht" soll Zehntausende Zwiegespräche vermitteln

Das Projekt "Deutschland spricht" geht in eine neue Runde: Zehntausende Diskussionspaare mit möglichst unterschiedlichen politischen Ansichten sollen am 23. September überall in Deutschland Vier-Augen-Gespräche führen. Elf deutsche Medienhäuser beteiligen an der Aktion, für die Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Schirmherrschaft übernommen hat, wie "Zeit Online" zum Start der Bewerbungsphase am 11. Juli in Hamburg mitteilte.

Die Medienpartner werden ihren Lesern in den kommenden Wochen aktuelle, für alle gleichlautende Fragen stellen, etwa: "Sollten deutsche Innenstädte autofrei werden?" Oder: "Können Muslime und Nicht-Muslime in Deutschland gut zusammen leben?" Anschließend findet ein Algorithmus anhand der Antworten diejenigen Menschen, die nahe beieinander wohnen, aber möglichst unterschiedlich denken. Am Sonntagnachmittag des 23. September können sich die auf diese Weise vermittelten Diskussionspaare überall in Deutschland treffen.

Beim ersten "Deutschland spricht", einer Initiative von "Zeit Online", hatten sich im vergangenen Jahr vor der Bundestagswahl 12.000 Menschen angemeldet. In diesem Jahr rufen insgesamt elf Medienhäuser gemeinsam dazu auf, sich mit einem politisch Andersdenkenden zu treffen, darunter "chrismon" und "evangelisch.de", die Deutsche Presse-Agentur (dpa), "Der Spiegel", die "Süddeutsche Zeitung" und die "Tagesthemen".

Bei "Deutschland spricht" wird die Plattform "My Country Talks" eingesetzt, die von "Zeit Online" gemeinsam mit internationalen Partnern konzipiert und zusammen mit Google umgesetzt wurde. Die Software ermöglicht es Medien weltweit, politisch Andersdenkende in Eins-zu-Eins-Gespräche zu vermitteln. In den kommenden Monaten sind "My Country Talks"-Veranstaltungen in der Schweiz, Norwegen, Österreich und Dänemark geplant.

Das evangelische Magazin "chrismon" und das Internetportal "evangelisch.de" werden vom Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) in Frankfurt am Main verantwortet. Die zentrale Medieneinrichtung der Evangelischen Kirche in Deutschland trägt auch die Zentralredaktion des Evangelischen Pressedienstes (epd).



Schwarzer weist Rassismus-Verdacht gegen "Emma" zurück


Alice Schwarzer
epd-bild/ Herbert Sachs

"Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer hat Rassismus-Vorwürfe gegen das feministische Magazin zurückgewiesen. "Emma" sei eine der raren Stimmen in diesem Land, die kritisch über Islamismus, sexualisierte Gewalt und die Lage der Frauen in islamischen Communitys berichteten, schreibt Schwarzer auf "emma.de". Dies sei schon aus Solidarität mit demokratischen Musliminnen geboten, die die ersten Opfer der Islamisten seien.

Unter der Schlagzeile "'Emma' und der Beifall von rechts" hatte die Online-Zeitschrift "Übermedien" Anfang des Monats besonders die Berichterstattung über die Kopftuch-Debatte und die Kölner Silvesternacht kritisiert. "'Emma' benennt und skandalisiert die sexualisierte Gewalt der Männer überwiegend nordafrikanischer Herkunft (...). Allerdings appelliert sie damit an Vorurteile und Stereotype, die in der Gesellschaft ohnehin schon verbreitet sind", hieß es. "Eine gefährliche Dynamik entsteht: Rechtsextreme und die AfD greifen den ursprünglich feministischen Diskurs über sexualisierte Gewalt auf und machen mit ihm gegen Einwanderung mobil."

Schwarzer hielt ihren Kritikern vor, die Realität aus ideologischen Gründen nicht wahrzunehmen: "Der Sexismus des politisierten Islam scheint diese Linken nicht zu stören und auch nicht der Antisemitismus", sagte die "Emma"-Gründerin. Der Antisemitismus eskaliere gerade in politisierten muslimischen Kreisen, "im Namen der Kritik an Israel auch befeuert von westlichen Linken".

"Übermedien" hatte sich unter anderem auf eine Studie des Kommunikationsforschers Luca Hammer für die Initiative "Fearless Democracy" bezogen, der von Januar bis Juni Twitter-Follower von "Emma" beobachtet hatte. Danach stammen zehn bis 15 Prozent der Follower "aus dem rechten Spektrum", 85 bis 90 Prozent sind demnach Feministinnen, Politiker und Politikerinnen, Intellektuelle, Linke und internationale Organisationen.

Der Studie von Luca Hammer zufolge zählen zu den Rechten, die "Emma" lesen, auch die deutsch-türkische Anwältin und Imamin Seyran Ates und den gegen Männergewalt im Namen der "Ehre" engagierten deutsch-isrealischen Psychologen Ahmad Mansour. Bei dieser Definition von Rechts schrumpften die "echt rechten Leserinnen" zur verschwindenden Minderheit, führt Schwarzer an.

Die "Emma"-Redaktion schreibe nicht mit Blick auf Beifall von der richtigen Seite, sondern über das, was sie relevant finde, betonte die Publizistin. Dabei stehe das Blatt in der Tradition der Aufklärung, hüte sich vor Stellvertreterpolitik und lasse etwa im Kopftuchstreit auch Musliminnen zu Wort kommen. So seien auch die Hälfte der Autorinnen der Silvesternacht-Anthologie "Der Schock" (2016) Musliminnen, die verzweifelt an Linke und Liberale appellierten, endlich aufzuhören mit ihrem Kulturrelativismus und ihnen diesselben Menschenrechte zuzugestehen wie sich selbst.



ZDF: 21,3 Millionen Zuschauer beim Fußball-WM-Finale

Mehr als 21,3 Millionen Fußballbegeisterte haben am 15. Juli im ZDF das WM-Finale zwischen Frankreich und Kroatien verfolgt. Das entsprach einem Marktanteil von 76,1 Prozent, wie das ZDF via Teletext mitteilte. Es war allerdings nicht die höchste Einschaltquote während des Turniers in Russland. Beim Spiel Deutschland/Schweden im Ersten fieberten laut ARD 27,5 Millionen Menschen vor den Bildschirmen mit (Marktanteil: 76,3 Prozent). Die deutsche Nationalmannschaft schied noch in der Vorrunde aus.

Die Spiele ohne deutsche Beteiligung hatten nach ARD-Angaben im Ersten durchschnittlich knapp neun Millionen Zuschauer. Abgesehen vom deutschen Spiel war im Ersten die Halbfinalbegegnung zwischen Frankreich und Belgien am erfolgreichsten: Dabei sahen 18,3 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer zu (Marktanteil: 53,3 Prozent). ARD-Programmdirektor Volker Herres sprach von einem "großen Erfolg" der Berichterstattung und beeindruckenden Zuschauerzahlen.



Intendantin des Tanztheaters Wuppertal muss nach einem Jahr gehen

Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch muss sich eine neue künstlerische Chefin suchen. Der Beirat des Tanztheaters beschloss am 13. Juli, sich von Intendantin Adolphe Binder zu trennen, wie es in einer Erklärung des Gremiums hieß. Die Entscheidung sei "leider notwendig geworden, um die Handlungsfähigkeit dieser einzigartigen kulturellen Einrichtung wiederherzustellen", erklärte der Beirat. Konkrete Angaben zu den Gründen der Trennung machte das Gremium zunächst nicht.

Eigentlich hätte der Vertrag der 49-jährigen Binder bis zum Sommer 2022 gegolten. Binder war erst vor einem Jahr als Nachfolgerin der 2009 verstorbenen Pina Bausch an die Spitze des renommierten Tanztheaters berufen worden. Von 2011 bis 2016 hatte sie als Künstlerische Direktorin die Göteborger Danskompani in Schweden geleitet und mehrere Uraufführungen verantwortet.

Noch kein Spielplan für die Saison 2018/19

Der Beirat erklärte, er erwarte von der Geschäftsführung, dass spätestens im September der Spielplan für die kommende Spielzeit 2018/19 vorgelegt wird. Binder soll nach Medienberichten bislang keinen Spielplan für die Saison 2018/19 vorgelegt haben. Auch soll das Verhältnis zwischen der Intendantin und des Geschäftsführers gespannt gewesen sein.

Laut dem Beirat steht der Geschäftsführer Dirk Hesse für eine weitere Amtszeit nicht zur Verfügung und wird seine Tätigkeit für das Tanztheater Ende 2018 beenden. Die Intendantin äußerte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen. Zuletzt hatte sich das Tanztheater für einen Auftritt in Paris aufgehalten.

Die NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen (parteilos) äußerte ihre Erwartung, dass "sich die Stadt mit aller Kraft für eine gute Zukunft des Ensembles einsetzt". Das Land werde die Kommune dabei "aktiv unterstützen". Darüber hinaus werde das Land seine Zusagen zum geplanten Bau des Pina-Bausch-Zentrum im Wuppertaler Schauspielhaus halten. Das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch sei "Teil des nationalen und internationalen Kulturgutes". Das aus rund 40 Arbeiten bestehende Werk von Pina Bausch werde "weltweit verehrt".



Gerichtsdrama "Terror" am häufigsten gespielt

Ferdinand von Schirachs Gerichtsdrama "Terror" ist in der Spielzeit 2016/17 mit großem Abstand das am häufigsten gezeigte Stück auf deutschsprachigen Schauspielbühnen gewesen. Mit 36 Inszenierungen habe das Stück doppelt so viele Aufführungen wie im Vorjahr gehabt, teilte der Deutsche Bühnenverein in Köln am 12. Juli auf Grundlage der Werkstatistik 2016/17 mit. Auf dem zweiten Platz lagen Johann Wolfgang von Goethes "Faust" (27 Inszenierungen) und "Tschick" von Wolfgang Herrndorf (24). Der Autor mit den höchsten Zahlen beim Gesamtwerk blieb William Shakespeare mit 111 Inszenierungen im Schauspiel.

"Hänsel und Gretel" führt in Opern-Sparte

Die Theater spiegelten die gesamtgesellschaftlichen Probleme und Ängste, die Herausforderungen einer Demokratie in ihren Spielplänen, sagte der Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Marc Grandmontagne. In der Opern-Sparte führte Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" mit 33 Inszenierungen, gefolgt von George Bizets "Carmen" (24) und "Die Zauberflöte" von Wolfgang Amadeus Mozart (23). Diese Werke hatten auch in der vorangegangenen Spielzeit die drei Spitzenplätze ausgemacht. Mozart blieb mit 98 Inszenierungen der Komponist mit den meisten Inszenierungen seiner Werke.

Auffällig sei, dass sich unter den zehn führenden Opernkomponisten sowie bei Operette und Musical keine Frau befinde, erklärte der Bühnenverein. Im Bereich Autoren eines Repertoires, das sich über Jahrhunderte entwickelt habe und nur langsam verändere, sei es "besonders schwierig", eine gerechtere Beteiligung aller Geschlechter zu erreichen, hieß es.

Die Werkstatistik 2016/2017 beruht auf den Daten zu Werken und Inszenierungen sowie Aufführungs- und Zuschauerzahlen für verschiedene Sparten. Die Statistik erscheint im Juli in der Zeitschrift "Die Deutsche Bühne". 461 Theater aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben die Zahlen gemeldet - davon 385 aus Deutschland.



Trinkhallen im Ruhrgebiet laden zum Kulturprogramm

Der Tag der Trinkhallen lädt am 25. August wieder zu einem Kulturprogramm in Kiosken im ganzen Ruhrgebiet ein. Von 15 bis 22 Uhr gebe es in 50 ausgewählten Programm-Buden Musik, Filme und Aktionen rund ums Thema Fußball, kündigte die Ruhr Tourismus GmbH als Veranstalterin am 10. Julig in Duisburg an. Insgesamt beteiligen sich an der zweiten Auflage des Tags der Trinkhallen den Angaben nach fast 200 Buden. Bei der Premiere im Jahr 2016 waren schätzungsweise 15.000 Besucher unterwegs.

In "Antje & Jörg's Kiosk" in Bochum sind der Schriftsteller und bekennende VfL-Bochum-Fan Frank Goosen sowie Autor Ben Redelings zu Gast. Ein Fußballquiz bietet die Bude "Zum Sporttreff" in Essen, in der "Ballerbude" in Oer-Erkenschwick werden Fußballhymnen gesungen. In "Rosi's Stübchen" in Duisburg werden Musikproduzent Olaf Opal (Beatsteaks, Sportfreunde Stiller) und Suzie Kerstgens von der Popband "Klee" erwartet. In sieben Trinkhallen werden zudem Filme gezeigt, die im Rahmen eines Projekts zum Thema Familienfilme eingereicht wurden.

Die Veranstalter haben Radtouren zwischen den teilnehmenden Buden konzipiert, die im Internet als GPS-Download verfügbar sind. Zudem böten mehrere ADFC-Ortsgruppen geführte Radtouren von Trinkhalle zu Trinkhalle an, hieß es. Besucher des Aktionstags könnten an den teilnehmenden Kiosken zudem ein Trinkhallen-Quartett erwerben.




Entwicklung

Wohngemeinschaft von Milizionären und Ex-Präsidenten


Blick in eine Zelle
epd-bild/ICC-CPI
In einer Haftanstalt in Den Haag sitzen die Angeklagten des Internationalen Strafgerichtshofs während ihres Prozesses. Wie in einer WG leben frühere Rebellenführer und gestürzte Präsidenten zusammen - äußerst friedlich.

Auf dem Küchenschrank liegen dicke Maniok-Wurzeln, im Regal stapeln sich Dutzende Packungen Reis, Mais und braune Bohnen. Hier wird afrikanisch gekocht. Der Raum erinnert an ein Studentenwohnheim oder eine Großküche: die Einrichtung aus mattem Stahl, um sie leicht sauber halten zu können, tiefe Töpfe und mehrere Kühlschränke, in denen jeder Bewohner sein eigenes Fach hat.

Genutzt wird die Küche aber nicht von Studenten oder einem Kochteam, sondern von Männern, die sich vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verantworten müssen. Abends und an Tagen, an denen keine Gerichtsverhandlungen stattfinden, haben sie Zeit zum Kochen. Manchmal rieche der ganze Flur nach Frischgebackenem, sagt Paddy Craig, Chef der Anstalt für die internationalen Insassen. "Manche sind jedoch bessere Köche als andere", fügt er mit einem Augenzwinkern hinzu.

Das Gebäude 4 der Haftanlage in Scheveningen, einem Vorort von Den Haag, beherbergt die Personen, die vor dem Strafgerichtshof oder den anderen Tribunalen angeklagt sind oder darauf warten, für ihre Haftstrafe in ein anderes Land überstellt zu werden. Das Gebäude steht auf dem Gelände einer niederländischen Justizvollzugsanstalt und ist von Backsteinmauern umgeben, die bis zum ersten Stockwerk reichen. Der Strafgerichtshof mietet beim niederländischen Staat die Zellen. Derzeit leben sechs Männer im Trakt des Strafgerichtshofs.

Um 7 Uhr morgens werden die Zellen geöffnet

Unter ihnen sind Laurent Gbagbo, der frühere Präsident der Elfenbeinküste, der sich wegen der Gewalt nach den Wahlen 2011 verantworten muss. Auch Dominic Ongwen ist hier, ein Stellvertreter des berüchtigten ugandischen Rebellenführers Joseph Kony, dessen "Widerstandsarmee des Herrn" über Jahrzehnte hinweg die Bevölkerung im Norden Ugandas und später in Teilen Zentralafrikas terrorisiert hat. Der einzige unter ihnen, der bereits verurteilt wurde, ist der Malier Ahmad al-Faqi al-Mahdi. Er hat die Zerstörung von Kulturgut in Timbuktu gestanden - ein Kriegsverbrechen.

Sie leben in sauberen, aber schmalen Zellen, in denen es eine Toilette, ein Waschbecken, einen Fernseher und ein Bücherregal gibt. Anders als in den Medien zuweilen berichtet wird, entspricht der Standard keinem Luxushotel, sondern eher einer Jugendherberge. Im Flur riecht es nach Reinigungs- und Desinfektionsmittel, wie in einem Krankenhaus.

"Unsere Einrichtung ist relativ offen, aber es bleibt eine Haftanstalt", erklärt Craig. Um 7 Uhr morgens werden die Zellen geöffnet, bis 20.30 Uhr am Abend - nur während der Pausen der Wärter zwischen 12 und 13 Uhr und zwischen 17 und 18 Uhr müssen die Männer zurück. Im Vergleich zu einem normalen Gefängnis hätten die Bewohner relativ viele Freiheiten, sagt Thijs Bouwknegt vom Niederländischen Institut für Kriegs-, Holocaust- und Genozid-Studien (NIOD), der die Einrichtung ebenfalls vor kurzem besuchte. "Die meisten Insassen sind noch nicht verurteilt, auch für sie gilt die Unschuldsvermutung."

Keine Gewalt

Auch die Atmosphäre sei anders als im normalen Vollzug, berichtet Craig. Entspannter und freundlicher. Probleme, wie sie sonst in Gefängnissen auftreten, gebe es hier nicht: kein Drogen- oder Alkoholmissbrauch, keine Gewalt.

Im Gegenteil: Regelmäßig kochen und essen die Männer gemeinsam. In den vergangenen Jahren standen in verschiedenen Verfahren die Anführer verfeindeter Milizen vor Gericht, die sich im Ostkongo blutige Kämpfe geliefert hatten. Als sie sich in der Haftanstalt in Den Haag wieder über den Weg liefen, blieb die Gewalt jedoch außen vor.

Nur im Sport treten die Männer gelegentlich gegeneinander ein. Im ersten Stockwerk gibt es eine Sporthalle, in der manchmal gekickt wird - entweder mit den Wächtern oder den Bewohnern der anderen Flure, die vor dem Jugoslawien-Tribunal angeklagt sind, einem der anderen Gerichte in Den Haag. Unten im Hof wurden ein Tennisfeld und ein kleiner Garten angelegt, in dem Tomaten, Kartoffeln und Spinat wachsen. Einrichtungsleiter Craig sagt: "Wir versuchen, ein bisschen Normalität herzustellen."

Benjamin Dürr (epd)


Liu Xia darf in Deutschland leben und arbeiten


Die chinesische Dichterin Liu Xia im Jahr 2001 (Archivbild).
epd-bild/Amnesty International/Privat
Einen Tag nach der Freilassung der chinesischen Künstlerin Liu Xia demonstriert die Justiz der Volksrepublik wieder Härte: Ein Bürgerrechtler wurde zu 13 Jahren Haft verurteilt.

Die aus dem Hausarrest in Peking entlassene und in Berlin eingetroffene chinesische Künstlerin Liu Xia kann unbegrenzt in Deutschland bleiben und arbeiten. Die Witwe des vor einem Jahr gestorbenen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo habe einen Aufenthaltstitel nach Paragraf 22 Satz 2 des Aufenthaltsgesetzes bekommen, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am 11. Juli in Berlin. Der Paragraf bezieht sich auf den Aufenthalt aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen.

Nur einen Tag nach der Freilassung der chinesischen Künstlerin wurde ein prominenter Dissident in China zu langjähriger Haft verurteilt. Der Bürgerrechtler Qin Yongmin muss laut einem Urteil des Mittleren Volksgerichts in Wuhan erneut für 13 Jahre ins Gefängnis, wie die Menschenrechtsorganisation "Chinese Human Rights Defenders" (CHRD) am 11. Juli mitteilte. Der 64-Jährige, der insgesamt bereits 22 Jahre hinter Gittern verbracht hat, wurde demnach der Untergrabung der Staatsgewalt für schuldig befunden.

Das Hafturteil gegen Qin Yongmin mache klar, dass auch die gute Nachricht über die Freilassung von Liu Xia nicht darüber hinwegtäuschen könne, dass China an seinem scharfen Vorgehen gegen Menschenrechtsaktivisten festhalte, erklärte CHRD. Qin werde dafür bestraft, dass er in seinem Einsatz für Demokratie in China sein Recht auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit wahrnehme.

Die Künstlerin Liu Xia hatte am 10. Juli nach fast acht Jahren Hausarrest nach Deutschland ausreisen dürfen. Deutschland und andere Staaten hatten sich lange für die 57-jährige Dichterin und Fotografin eingesetzt. Die Freilassung erfolgte zum Abschluss deutsch-chinesischer Regierungskonsultationen in Berlin, die mit einem Besuch von Ministerpräsident Li Keqiang verbunden waren.

Eine Regierungssprecherin sagte, die Bundesregierung sei "froh und erleichtert", dass Liu Xia in Deutschland eingetroffen sei. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte bereits am späten Abend des 10. Juli über den Kurznachrichtendienst Twitter erklärt: "Gut, dass eine menschliche Lösung gefunden werden konnte."

Liu Xias Ehemann, der Bürgerrechtler Liu Xiaobo, war am 13. Juli 2017 mit 61 Jahren an Krebs gestorben. Er war 2009 zu elf Jahren Haft verurteilt worden, weil er sich für demokratische Reformen eingesetzt hatte. 2010 erhielt er den Friedensnobelpreis, den er nicht entgegennehmen konnte. Die Auszeichnung war für die chinesische Führung Anlass, seine Frau Liu Xia ohne Anklage unter Hausarrest zu stellen und permanent zu überwachen.



Tote bei Angriffen auf Kirche in Nicaragua

In Nicaragua sind bei Angriffen von Sicherheitskräften auf eine Kirche mindestens zwei Menschen getötet worden. In der Kirche Divina Misericordia in der Hauptstadt Managua hatten rund 150 Studenten zusammen mit Geistlichen und Journalisten Schutz vor der Gewalt gesucht, wie die Tageszeitung "La Prensa" am 14. Juli berichtete. Zwei Studenten seien durch Kopfschüsse regelrecht hingerichtet worden, erklärte die Erzdiözese von Managua. Zahlreiche weitere Studenten seien zum Teil schwer verletzt worden.

Bei den seit mehr als drei Monaten andauernden Protesten gegen die Regierung von Staatschef Daniel Ortega wurden nach Angaben der Nicaraguanischen Menschenrechtskommission ANPDH bereits mehr als 350 Menschen getötet. Menschenrechtsaktivisten machen Sicherheitskräfte und regierungstreue paramilitärische Banden dafür verantwortlich.

Kardinal Leopoldo Brenes und der Päpstliche Nuntius in Nicaragua, Erzbischof Waldemar Sommertag, forderten von der Regierung ein Ende der Gewalt. "Dialog ist die einzige Möglichkeit, um zu einer Befriedung des Landes zu gelangen", sagte Brenes. Die Bischofskonferenz habe entschieden, mit ihrer Vermittlungstätigkeit weiterzumachen. "Der Papst hat uns dazu ermutigt", sagte Brenes. Friedensverhandlungen zwischen Regierung, Opposition und Menschenrechtsaktivisten unter Vermittlung der katholischen Kirche waren mehrfach gescheitert.

Die Massenunruhen hatten sich an geplanten Steuererhöhungen und Rentenkürzungen entzündet. Obwohl Ortega angesichts des Drucks der Demonstranten seine Pläne zurückzog, weiteten sich die Proteste auf das ganze Land aus. Die Demonstranten verlangen den Rücktritt des autoritär regierenden Staatschefs und vorgezogene Neuwahlen, was Ortega jedoch ablehnt.



Caritas international: Immer mehr Menschen in Not

Die Zahl der extrem Armen überschreitet derzeit weltweit die 130-Millionen-Marke. Laut Caritas international sind die vermehrten Krisen und Naturkatastrophen die Ursache. Gleichzeitig steigen aber auch die privaten Spenden auf ein Rekordhoch.

Immer mehr Menschen auf der Welt sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. "Prognosen zufolge werden in diesem Jahr doppelt so viele Menschen wie noch vor zehn Jahren Hilfe benötigen", erklärte Oliver Müller, der Leiter von Caritas international, am 11. Juli in Freiburg. Grund dafür sind Krisen, Kriege und Naturkatastrophen.

2017 mussten den Angaben zufolge 129 Millionen Menschen versorgt werden. 2018 steigt die Zahl voraussichtlich auf 136 Millionen. Als Beispiele für Länder, in denen das Überleben nur unter schwierigsten Bedingungen möglich ist, nannte Müller Syrien und Somalia. Außerdem lebten viele der "Ärmsten der Armen", in Regionen, die kaum beachtet würden, wie etwa die Zentralafrikanische Republik.

Bei den Ursachen verwies Müller auch auf die steigende Zahl der Naturkatastrophen, die sich seit den 90er Jahren auf heute durchschnittlich 350 pro Jahr verdoppelt habe. Vor allem extreme Wetterereignisse wie Wirbelstürme oder Dürren träten vermehrt auf.

Müller kritisierte, dass die humanitäre Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft mit diesen Entwicklungen nicht gleichauf sei. Zudem würden einige Länder Zusagen nicht einhalten. Daher erhalte derzeit nur noch jeder zweite Mensch, der auf Hilfe angewiesen sei, diese auch. "Es reicht nicht mehr 'nur' auf der Flucht zu sein", sagte Müller. Hilfe könne nur noch dem Hilfsbedürftigen gewährt werden, der weitere sogenannte "Bedarfs-Kriterien" erfüllt. Dazu gehörten zum Beispiel Kinder oder Behinderte.

Ohne Hilfe von außen sei aber zum Beispiel in Syrien das Überleben kaum noch möglich, betonte Caritas-Präsident Peter Neher. "In dem Land kostet ein Kilo Reis regional mittlerweile bis zu 20 Prozent eines durchschnittlichen syrischen Monatseinkommens", sagte er. "In der Folge leben circa 70 Prozent der Menschen in extremer Armut."

Auf der Positivseite vermerkt Caritas international eine steigende Zahl privater Spender. "Es gibt eine sehr hohe Bereitschaft zu helfen. Die Not geht vielen Menschen nahe", sagte Neher. Bei dem katholischen Hilfswerk seien 2017 rund 7,2 Millionen Euro mehr Spenden eingegangen als 2016. Insgesamt seien im vergangenen Jahr 34 Millionen Euro Spenden zusammengekommen. Zusammen mit kirchlichen und öffentlichen Zuwendungen habe Caritas international daher Projekte in 82 Ländern im Umfang von 80 Millionen Euro finanzieren können. "Das war das höchste Projektvolumen in der Geschichte von Caritas international", sagte Neher.



Internationaler Strafgerichtshof feiert 20-jähriges Bestehen

Der Internationale Strafgerichtshof feiert am 17. Juli sein 20-jähriges Bestehen. Zu dem Festakt in Den Haag werden neben dem nigerianischen Präsidenten Muhammadu Buhari auch mehrere Minister weiterer Staaten erwartet. Am 17. Juli 1998 verabschiedeten 120 Staaten das Römische Statut, den Gründungsvertrag des Gerichts.

Der Strafgerichtshof ist das erste ständige internationale Tribunal, das Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verfolgen kann. Das Gericht steht wegen seiner vergleichbar schwachen Bilanz und dem starken Fokus auf afrikanische Konflikte in der Kritik.

Bisher ergingen Urteile in fünf Strafprozessen. Zwei der Angeklagten wurden freigesprochen, zuletzt Anfang Juni der frühere kongolesische Vizepräsident Jean-Pierre Bemba.

Derzeit sind 123 Staaten Mitglieder beim Strafgerichtshof. Das Gericht kann ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats nur in Ländern ermitteln, die dem Römischen Statut beigetreten sind. Weltweit besonders einflussreiche Länder wie die USA, China und Russland sind keine Mitglieder, ebenso wie Indien und Israel und viele arabische Länder.



Ärmste Länder müssen immer mehr für Lebensmittelimporte zahlen

Die Kosten für Lebensmitteleinfuhren haben sich weltweit seit dem Jahr 2000 auf 1,43 Billionen US-Dollar verdreifacht. Im gleichen Zeitraum stiegen die Ausgaben der ärmsten Länder für dringend benötigte Nahrungsimporte jedoch um das Fünffache, wie aus einem am 10. Juli von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) in Rom veröffentlichten Bericht hervorgeht. Für die ärmsten Staaten werde es immer schwerer, die für die Bevölkerung nötigen Grundnahrungsmittel auf internationalen Märkten zu beschaffen, warnte der FAO-Wirtschaftsexperte Adam Prakash.

Während Nahrungsmittelimporte weltweit seit 2000 um jährlich durchschnittlich acht Prozent stiegen, liege die Wachstumsrate bei den ärmsten und auf Einfuhren angewiesenen Ländern im zweistelligen Bereich. Die FAO rechnet in ihrem Lebensmittelausblick damit, dass die Kosten für die Einfuhren in diesem Jahr insgesamt um drei Prozent auf 1,47 Billionen Dollar steigen.

Mit Blick auf Langzeitentwicklungen beklagt die FAO in dem Bericht, dass viele Länder trotz guter Produktions- und Handelsbedingungen "mehr für weniger" ausgeben. So bringen die am wenigsten entwickelten Staaten knapp 30 Prozent ihrer Einnahmen aus Exporten für Lebensmittelimporte auf. Der Anteil verdoppelte sich seit 2005, während reichere Länder nicht nur über ein größeres Pro-Kopf-Einkommen verfügen, sondern auch durchschnittlich nur zehn Prozent ihrer Exportgewinne in Lebensmittelimporte investieren.



Stiftung: Weltbevölkerung wächst weiter

Die Weltbevölkerung ist im vergangenen Jahr um rund 83 Millionen Menschen gewachsen. Zurzeit leben rund 7.635.250.000 Menschen auf der Erde, wie die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung (DSW) am 10. Juli in Hannover anlässlich des bevorstehenden Weltbevölkerungstags am 11. Juli mitteilte. Jede Sekunde würden durchschnittlich 2,6 neue Menschen geboren. Besonders stark wachse die Bevölkerung in Afrika, wo sie sich von heute rund 1,3 Milliarden Menschen auf voraussichtlich rund 2,5 Milliarden im Jahr 2050 fast verdoppeln werde.

In Afrika südlich der Sahara könne jede zweite Frau nicht verhüten und bekomme mehr Kinder, als sie sich wünsche, sagte DSW-Geschäftsführerin Renate Bähr. Bereits vor 50 Jahren hätten die Vereinten Nationen jedem Menschen das Recht zugestanden, frei und eigenverantwortlich über die Anzahl seiner Kinder zu entscheiden. "Es ist ein Skandal, dass dieses Menschenrecht noch immer Millionen Frauen versagt wird", kritisierte Bähr.

Die Deutsche Stiftung Weltbevölkerung ist eine international tätige Entwicklungsorganisation. Ziel ihrer Arbeit ist nach eigenen Angaben, zur Umsetzung des Menschenrechts auf Familienplanung und zu einer zukunftsfähigen Bevölkerungsentwicklung beizutragen.




Ausland

Kirche von England will 100 neue Gemeinden gründen

Die Kirche von England möchte in einem ambitionierten Plan 100 neue Gemeinden gründen. Obwohl die Kirchenbesucherzahlen zurückgehen, habe sich die Kirche entschlossen, 27 Millionen Pfund (rund 30 Millionen Euro) in den Ausbau der Gemeinden zu stecken. Vor allem in Küstenregionen, Marktstädte und in außerhalb von Städten liegende Wohngebiete soll das Geld fließen, hieß es in einer Mitteilung vom 12. Juli.

Darunter sind Gemeinden im Süden des Landes, unter anderem an der Küste von Kent, Wohngebiete in Plymouth sowie Marktstädte in der Region Cambridgeshire. In Swindon soll ein ehemaliges Bahngebäude in eine Kirche umgebaut werden und vor allem Menschen unter 40 Jahren ansprechen, die bisland keine Verbindung zur Kirche haben. Zehn Diözesen sollen aus dem Topf für Neugründungen Geld erhalten.

"Die Kirche von England besteht, um die gute Nachricht von Jesus durch unsere Worten und Taten zu teilen", erklärte Justin Welby, das geistliche Oberhaupt der Kirche von England und Erzbischof von Canterbury. Die Gelder zeugten von der "Verpflichtung, Jesus zu den Orten zu folgen, die uns in der Gesellschaft am meisten benötigen".



Vatikan: Bischöfen fehlte im Ersten Weltkrieg Friedenswille

Der Vatikan hat die mangelnde Unterstützung von Friedensbemühungen im Ersten Weltkrieg durch die katholischen Bischöfe in Europa beklagt. Auch die Episkopate seien "größtenteils vom nationalistischen Fieber ergriffen" gewesen, sagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin Vatikanangaben vom 13. Juli zufolge.

Bei einer Konferenz über das Ende des Ersten Weltkriegs wies er demnach im norditalienischen Aquileia darauf hin, dass viele französische, deutsche und österreichische Bischöfe den Friedensappell von Papst Benedikt XV. vom 1. August 1917 nicht in ihren Bistumsblättern veröffentlichten. Diese Entscheidung hätten sie mit Argument begründet, der Papstappell habe sich an die Regierungen, nicht jedoch an die Gläubigen gerichtet.

Benedikt XV. (1854-1922) hatte den Konflikt in seinem Appell angesichts der hohen Opferzahlen auch unter der Zivilbevölkerung als "nutzlose Schlächterei" angeprangert. Obwohl es sich nicht um einen schlichten Aufruf zur Eintracht, sondern um konkrete Vorschläge gehandelt habe, die denjenigen von US-Präsident Woodrow Wilson von 1918 ähnelten, verweigerte ein Großteil der katholischen Bischöfe Europas laut Parolin dem Kirchenoberhaupt die Unterstützung.



Überreste von frühchristlicher Kirche in Rom entdeckt

Bei Ausgrabungen am Tiber haben Archäologen möglicherweise eine frühchristliche römische Kirche aus dem 3. bis 4. Jahrhundert entdeckt. Bei Arbeiten für eine Stromleitung an der Milvischen Brücke in Rom wurden nach Angaben der römischen Altertümerbehörde vom 13. Juli mehrere Bauschichten vom 1. bis zum 4. Jahrhundert freigelegt.

Bei den Überresten aus dem 1. bis 2. Jahrhundert handelt es sich demnach mutmaßlich um Lager- oder Geschäftsräume. Oberhalb dieser Schicht stießen die Archäologen auf einen reich mit Marmordekorationen geschmückten Baukomplex mit Grabanlagen aus dem 3. bis 4. Jahrhundert. Um zu klären, ob es sich um eine Kirche oder eine reiche Vorstadtvilla mit Begräbnisstätten handelt, soll das Material analysiert und mit Archivmaterialien verglichen werden.