Kirchen

Leitende Geistliche werben für den Schutz von ungeborenem Leben


Kardinal Marx, der EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm, der Trierer Bischof Ackermann und der rheinische Vizepräses Pistorius (v.li.) nach dem Eröffnungsgottesdienst vor dem Trierer Dom.
epd-bild/Oliver Dietze
Die ökumenische "Woche für das Leben" befasst sich in diesem Jahr mit der Pränataldiagnostik. Die evangelische und katholische Kirche mahnen, ethische Fragen über deren Konsequenzen nicht aus dem Blick zu verlieren.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, haben zu einem verantwortungsvollen Umgang mit modernen vorgeburtlichen Untersuchungsmethoden aufgerufen. "Unsere Gesellschaft ist geprägt von vielfältigen Optionen, unter denen wir diejenige auszusuchen gewohnt sind, die uns am ehesten entspricht", sagte Bedford-Strohm zur Eröffnung der ökumenischen "Woche für das Leben" am 14. April im Trierer Dom. Beim Umgang mit menschlichem Leben gelte aber etwas anderes. Dort müsse die Achtung für die Würde menschlichen Lebens die Grundlage für jede Entscheidung sein, mahnte er.

Kardinal Marx sagte, er könne die Sorgen der Eltern sehr gut verstehen. "Jeder hofft, dass sein Kind gesund ist." Wenn das in Frage stünde, kämen Ängste auf, die Familien sehr belasten. Es gebe ethische Leitlinien und Werte, die Eltern und Ärzten Orientierung geben könnten. Die Kirche sei dankbar für Eltern, die sich trotz einer schwierigen Situation für ein Kind mit Behinderung entscheiden.

"Dem Leben verpflichtet"

Die jährliche "Woche für das Leben" ist eine bundesweite Aktion der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland. Unter dem Motto "Kinderwunsch. Wunschkind. Unser Kind!" finden bis 21. April in den Gemeinden Gottesdienste und Veranstaltungen statt zu verschieden Aspekten der besseren medizinischen Versorgung für Mutter und Kind.

"Pränataldiagnostik ist zuallererst dem Leben verpflichtet", erklärte Bedford-Strohm. Sie solle Frauen bei ihrer Schwangerschaft so gut wie möglich medizinisch begleiten und die Risiken für die Frau und das werdende Leben begrenzen. "Niemand darf von einem moralischen Hochpodest aus über die schwierigen Konfliktsituationen hinweggehen, die entstehen, wenn Eltern durch Pränataldiagnostik mit abzusehenden schweren Schäden in der embryonalen Entwicklung konfrontiert werden", betonte der Ratsvorsitzende der EKD. Sie bräuchten einfühlsame Beratung und Begleitung.

Kritik an Ausweitung

Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, warnte vor den gesellschaftlichen Folgen neuer Methoden der Pränataldiagnostik. Wenn Untersuchungen auf bestimmte Krankheiten flächendeckend zum Einsatz kämen, sehe er "die große Gefahr, dass das Recht auf Leben immer stärker von bestimmten gesellschaftlich normierten Kriterien abhängig gemacht wird", sagte Rekowski am 13. April in Düsseldorf. Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker erklärte, eine menschenwürdige Gesellschaft entstehe nicht durch Selektion des Kindes, sondern nur durch eine weitreichende Inklusion der Familien mit behinderten oder kranken Kindern.

Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), die Caritas Behindertenhilfe und der Deutsche Caritasverband kritisierten die geplante Ausweitung der kassenärztlichen Leistungen in der Schwangerschaftsvorsorge auf den sogenannten Bluttest. Dies sei als Hinweis darauf zu verstehen, "dass Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft zunehmend nicht mehr erwünscht sind", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung anlässlich der "Woche für das Leben". Mit diesem Bluttest bei der Mutter werden mögliche Veränderungen im Erbgut des ungeborenen Kindes wie etwa Trisomie-21 bestimmt.

Die Familienberatung pro familia ermutigte werdende Mütter und Eltern, das bestehende Beratungsangebot für Schwangere stärker zu nutzen. Es wäre hilfreich, Paare würden sich bereits informieren, bevor sie die Tests machen, "aber das ist eher die Ausnahme", sagte die Ärztin Katharina Rohmert vom Bundesverband dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die pränatale Diagnostik liefere nur Hinweise auf mögliche Schädigungen, "es sind ja keine Beweise", erklärte die Medizinerin. 95 bis 97 Prozent aller Kinder kämen gesund zur Welt.



EKD-Cheftheologe kann Kritik an politischen Predigten nachvollziehen


Thies Gundlach
epd-bild/Norbert Neetz

Der Cheftheologe der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Thies Gundlach, äußert Verständnis für Kirchgänger, die an Predigten mit unmittelbaren Bezügen zur Tagespolitik Anstoß nehmen. "Manchmal reden wir in unseren Predigten vielleicht ein bisschen zu wenig über Gott", sagte Gundlach, der als Vizepräsident die Hauptabteilung II "Kirchliche Handlungsfelder und Bildung" im EKD-Kirchenamt leitet, dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Es ist doch Aufgabe eines Predigers, den Himmel auf Erden zu holen und nicht die Erde sozusagen zu verhimmlischen und politische Positionen mit Noten des Himmels zu versehen", betonte er.

Im Einzelfall sei solche eine Predigtkritik indes nicht fair. "Alle, die auf die Kanzel treten, bemühen sich sicher auf ihre Weise, angemessen von Gott und dem Himmel zu reden. Den allgemein sich verstärkende Eindruck aber, dass Transzendenz in Predigten mitunter einen Tick zu kurz kommt, müssen wir jedenfalls kritisch reflektieren und nicht nur abwehren", sagte Gundlach.

"Zur Versachlichung beitragen"

Er empfiehlt Pastoren genau abzuwägen, ob sie in Zeiten der Verunsicherung politische Bezüge in ihre Predigten einbauen. "Kirche sollte zur Versachlichung überhitzter Auseinandersetzungen beitragen. Wir müssen nicht auch noch von uns aus das Tremolo verstärken", sagte Gundlach. Das schließe nicht aus, Grenzen zu ziehen. "Wo es menschenfeindlich wird, muss Kirche Position beziehen", sagte der Theologe.

Gundlach beschrieb ein "Tremolo der Auseinandersetzung" als Zeitgeistphänom. "Jeder spürt, da finden grundlegende Veränderungen statt, und keiner hat die ganz große Lösung. Das schafft Verunsicherung, und dann wird die Tonlage höher", sagte der Theologe. In dieser Situation werde die Kirche noch einmal besonders in den Blick genommen. "Denn Predigten stehen immer auch unter der Erwartung: Jetzt wird gesagt, wie es geht", sagte Gundlach.

epd-Gespräch: Karsten Ferichs


Autor Mai kritisiert "pseudo-moralisches Geschwätz" der Kirchen

Der Schriftsteller und Historiker Klaus-Rüdiger Mai hat eine aus seiner Sicht zu starke Politisierung der Kirchen kritisiert. Die Kirche müsse ihr Handeln wieder stärker aus dem Glauben speisen, "anstatt aus Angst vor dem Zeitgeist wie eine Moralagentur aufzutreten", sagte Mai dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das betreffe neben politisierten Predigten, wie sie zuletzt etwa "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt kritisiert hatte, auch offizielle Stellungnahmen von Kirchenoberen, ergänzte der Autor, dessen Streitschrift zu diesem Thema in dieser Woche erscheint.

Als Beispiel nannte Mai eine Äußerung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, zu den Koalitionsverhandlungen von Union und SPD im Bund. Wenn Bedford-Strohm "die SPD-Mitglieder dazu auffordert, einer Neuauflage der großen Koalition zuzustimmen, kann er das als Bürger und als SPD-Mitglied natürlich tun - aber nicht als EKD-Ratsvorsitzender", kritisierte Mai: "Dann agiert er nämlich parteipolitisch."

Kritik an Facebook-Post

Bedford-Strohm hatte die Einigung von Union und SPD im Februar auf seiner persönlichen Facebook-Seite begrüßt. Dieser Eintrag wurde vielfach kritisiert, da er als Aufforderung verstanden wurde, beim SPD-Mitgliederentscheid für die große Koalition zu stimmen. Bedford-Strohm verteidigte sich damit, dass er seine persönlichen Einschätzungen zu dieser Frage bewusst unerwähnt gelassen habe.

Mai äußerte sich mit Blick auf seine Streitschrift "Geht der Kirche der Glaube aus?", die die Evangelische Verlagsanstalt in Leipzig in dieser Woche veröffentlicht. Er habe das Buch "aus der Sorge eines Christen um seine Kirche" geschrieben und wolle zur Diskussion anregen, erklärte der praktizierende evangelisch-lutherische Christ. Mai schreibt historische Romane und Sachbücher, darunter die Luther-Biografie "Prophet der Freiheit". Er ist 54 Jahre alt und lebt und arbeitet in Zossen bei Berlin.

Rückbesinnung auf Glaubensinhalte empfohlen

Der Kirche empfahl der Autor eine Rückbesinnung auf Glaubensinhalte. "Ich habe den Eindruck, dass Glaube durch Gesinnung ersetzt wird und die parteipolitische Überzeugung mehr gilt als der christliche Glaube", erklärte Mai. Die Kirche habe kein Recht, "ihren Gliedern eine christliche Einstellung abzusprechen, wenn sie nicht den eigenen parteipolitischen Vorstellungen entspricht". Er halte solch ein Vorgehen "für ein großes Übel", betonte Mai.

Mit Blick auf die Zuwanderung der zurückliegenden Jahre warf Mai den Kirchen "pseudo-moralisches Geschwätz" vor. Sätze wie "Menschlichkeit kennt keine Obergrenze" seien absurd und hätten keinerlei Inhalt, sondern führten dazu, "dass wir das Mögliche nicht machen, weil wir das Unmögliche wollen", betonte Mai. Politik sei die Kunst des Möglichen, nicht des Wünschbaren, fügte er hinzu.

Die Kirche sollte nach Ansicht des Autors, "zuallererst ihre Hauptaufgaben erledigen". Dazu zähle er Gottesdienst, Seelsorge, Diakonie, Bibelstudium, Bildung und Mission. Wenn in der Folge "Bürger, gestärkt durch die Bibel, christliche Werte in die Gesellschaft einbringen, dann hat Kirche aus meiner Sicht politisch gewirkt", erklärte Mai. Kirche habe eine Verantwortung, "sich nicht im allgemein Humanen zu äußern, sondern auch darüber nachzudenken, wie die Dinge gelingen können".

epd-Gespräch: Johannes Süßmann


Nach Amokfahrt: Katholikentag überprüft Sicherheitskonzept

Nach der Amokfahrt wollen die Veranstalter des Deutsche Katholikentags in Münster das Sicherheitskonzept für die Großveranstaltung im Mai überprüfen. "Natürlich werden wir zusammen mit der Polizei alle Vorkehrungen, die wir für die Sicherheit der Katholikentags-Teilnehmenden treffen, auf Herz und Nieren prüfen", sagte der Geschäftsführer des Katholikentags, Roland Vilsmaier, am 9. April dem Evangelischen Pressedienst. Das gelte "auch im Licht der Erkenntnisse, die die Polizei aus diesem schrecklichen Vorfall gewonnen hat". Das umfangreiche Sicherheitskonzept sei gemeinsam mit Polizei und Behörden über ein Jahr hinweg ausgearbeitet worden.

Wassertanks als Barrieren

Auf dem Katholikentag werde es Polizei, Kontrollstellen sowie Wassertanks als Barrieren geben. Das solle jedoch nicht zum bestimmenden Bild des Katholikentags werden. Der Vorfall der Amokfahrt werde auch Thema auf dem Katholikentag sein, kündigte Vilsmaier an. "Wir werden der Opfer auch während des Katholikentag gedenken", erklärte er.

Der Deutsche Katholikentag ist vom 9. bis 13. Mai in Münster zu Gast. Die Veranstalter erwarten mehrere Zehntausend Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet.

Am 7. April hatte ein 48-jähriger Mann einen Campingbus in eine Menschenmenge vor einem Lokal in der Münsteraner Altstadt gesteuert. Dabei wurden zwei Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt. Der Fahrer erschoss sich noch am Ort des Geschehens. Laut Angaben der Polizei war der Mann psychisch labil und hatte Selbstmordabsichten.



Mitmachen beim Kirchentag in Dortmund

Der Deutsche Evangelische Kirchentag lädt Gemeinden und einzelne Aktive zur Mitgestaltung des Kirchentagsprogramms im Juni 2019 in Dortmund ein. Kreative, Musiker, Aussteller und Künstler seien aufgerufen, sich online als Mitwirkende zu bewerben, kündigte Kirchentags-Präsident Hans Leyendecker am 10. April in Dortmund an. Im Internet gibt es Informationen und Bewerbungsformulare.

Mitmachen können Interessierte bei Gottesdiensten, dem Markt der Möglichkeiten, im Bereich Kinder und Jugend sowie bei Kultur- und Musikveranstaltungen. Über die Zulassung von Vorschlägen und Projektideen entscheiden ab Herbst die Gremien des Kirchentages. "Kirchentage sind Festivals des Ehrenamts. Wir freuen uns auf engagierte Menschen, ohne die es die fünf Tage in Dortmund nicht geben würde", sagte Leyendecker.

Außerdem sucht der Kirchentag Gemeinden aus Dortmund als Gastgeber. Wer mit seinen Gästen gemeinsam während des Kirchentages vom 19. bis 23. Juni 2019 feiern möchte, kann online Feierabendmahle, Gute-Nacht-Cafés und Tagzeitengebete anmelden. Ein besonderes Format, zu dem sich Gemeinden und Initiativen aus der Region anmelden können, ist der Abend der Begegnung. Zu diesem riesigen Straßenfest in der Dortmunder Innenstadt am 19. Juni 2019 werden bis zu 200.000 Menschen erwartet.

Der Deutsche Evangelische Kirchentag besteht seit 1949 und ist alle zwei Jahre in einer anderen deutschen Stadt zu Gast. Der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag findet vom 19. bis 23. Juni 2019 in Dortmund statt.



Nach Reformationsjubiläum: Bleibende Spuren in Wittenberg


Menschen formten im August 2017 die Zahl 500 vor der Schlosskirche in Wittenberg.
epd-bild / EKD
Zum 500. Reformationsjubiläum sind bereits viele Bilanzen gezogen worden. Die Tourismuszahlen für 2017 waren erfreulich für Sachsen-Anhalt. Nun haben auch die Partner der Rahmenvereinbarung von 2009, Land und EKD, ein positives Fazit gezogen.

Das 500. Reformationsjubiläum hat aus Sicht des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, viele bleibende Spuren hinterlassen. Die Lutherstadt Wittenberg, die als Ausgangsort der Reformation im vergangenen Jahr im Zentrum der Feierlichkeiten stand, sei "schöner geworden" und habe viele Menschen weltweit inspiriert, sagte Bedford-Strohm am 11. April in Wittenberg. Die sanierten Gebäude, darunter die berühmte Schlosskirche, erstrahlten nun in neuem Glanz. Sie seien mehr als Museen und müssten auch künftig mit dem Geist der Reformation gefüllt werden. Dies sei für das Gemeinwesen genauso wichtig wie für die Kirche, betonte Bedford-Strohm.

Wittenberg habe im vergangenen Jahr viele Spuren in der Geschichte und Spuren in Biografien hinterlassen, sagte der EKD-Ratsvorsitzende. Die Lutherdekade habe zudem noch einmal Rückenwind gebracht, den Menschen das Evangelium nahe zu bringen. Viele Menschen seien neugierig geworden, und es seien auch neue Kontakte in den Gemeinden entstanden.

"Wirkung in die Gesellschaft hinein"

Der sachsen-anhaltinische Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) betonte, dass die Ökumene einen Schwung bekommen habe, "der nicht mehr abzubremsen" sei. Die katholischen Bistümer seien 2017 in Wittenberg präsent gewesen. Zudem seien auch Menschen ohne Konfession erreicht worden. Haseloff sprach von einer "Wirkung in die gesamte Gesellschaft hinein". Er verwies auch darauf, dass es in dem besonders säkularen Umfeld eine besondere Herausforderung für die Kirche sei, die Menschen zu erreichen. Bedford-Strohm ergänzte, die Selbstverständlichkeit, mit der in ökumenischem Geist gefeiert worden sei, habe eine nachhaltige Wirkung.

Anlässlich der 2009 geschlossenen Rahmenvereinbarung der EKD mit dem Land Sachsen-Anhalt, der Lutherstadt Wittenberg, der Union Evangelischer Kirchen in Deutschland (UEK) und der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt zur Vorbereitung des 500. Reformationsjubiläums fand am 11. April im Augusteum in Wittenberg eine Festveranstaltung mit allen Partnern statt. Die Rahmenvereinbarung beinhaltete unter anderem die Sanierungs- und Bauarbeiten am Schlosskirchenensemble und am Augusteum in Wittenberg, den Eigentümerwechsel der Schlosskirche vom Land zur EKD sowie die Gründung der Reformationsgeschichtlichen Forschungsbibliothek im Schloss Wittenberg, die seit Montag für Nutzer geöffnet ist.

80 Millionen investiert

Der Wittenberger Oberbürgermeister Torsten Zugehör (parteilos) sagte, er wünsche sich vor allem eine Fortsetzung der erfolgreichen Formate aus dem Jahr des Reformationsjubiläums. Dazu gehörte beispielsweise das Konfi-Camp, an dem Tausende Jugendliche teilnahmen. Dies sollte zur Tradition in Wittenberg werden, sagte Zugehör.

Sachsen-Anhalt gilt als Ursprungsland der Reformation. Eisleben ist Geburts- und Sterbeort von Martin Luther (1483-1546). In Wittenberg war die Hauptwirkungsstätte des Reformators. Am 31. Oktober 1517 hatte Luther dort seine 95 Thesen gegen die Missstände der Kirche seiner Zeit veröffentlicht. Der Thesenanschlag an der Schlosskirche gilt als Ausgangspunkt der weltweiten Reformation, die die Spaltung in evangelische und katholische Kirche zur Folge hatte.

Rund 80 Millionen Euro investierte Sachsen-Anhalt während der Lutherdekade in das Reformationsjubiläum, davon 60 Millionen Euro in den Erhalt und die Modernisierung der Lutherstätten, darunter die Schlosskirche in Wittenberg, Luthers Sterbehaus und sein Elternhaus in Mansfeld. 20 Millionen Euro wurden für Veranstaltungen und für die Geschäftsstelle aufgewendet.



Papst entschuldigt sich für Umgang mit Missbrauchsfall in Chile


Papst Franziskus und die damalige chilenische Staatspräsidentin Michelle Bachelet im Januar in Santiago de Chile
epd-Bild/OsservatoreRonamo/Siciliani

Papst Franziskus hat "schwerwiegende Fehler" im Umgang mit dem Missbrauchsskandal in Chile eingeräumt. In einem am 11. April vom Vatikan veröffentlichten Brief an die Bischöfe des lateinamerikanischen Landes bat er um Vergebung und kündigte an, bei einem baldigen Treffen mit Opfern im Vatikan diese persönlich um Verzeihung zu bitten. Aufgrund eines Mangels an "ausgewogenen Informationen" habe er sich ein falsches Bild von der Situation gemacht. Missbrauchsopfer in Chile nahmen die Entschuldigung an.

Während seiner Chile-Reise im Januar hatte der Pontifex Proteste ausgelöst, als er den Bischof von Osorno, Juan de la Cruz Barros, in Schutz nahm. Barros wird vorgeworfen, Sexualdelikte des katholischen Priesters Fernando Karadima jahrelang gedeckt zu haben. Franziskus hatte die Anschuldigungen gegen den Bischof als "Verleumdungen" bezeichnet.

Einladung nach Rom

Für seine Wortwahl entschuldigte sich der Papst bereits auf seiner Rückreise nach Rom. Kurze Zeit später setzte er einen Sonderermittler ein, der in Chile mit 64 Beteiligten und Opfern sprach. Der abschließende Bericht des maltesischen Erzbischofs Charles Scicluna habe einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen, erklärte der Papst. Er lud die Bischöfe aus Chile nach Rom ein, um mit ihnen Schlussfolgerungen aus dem Bericht zu diskutieren.

Missbrauchsopfer erklärten in einer von chilenischen Medien veröffentlichten Stellungnahme: "Wir erkennen die Geste des Papstes an." Die Betroffenen bestätigten, vom Vatikan eingeladen worden zu sein, und erklärten, sie prüften nun, ob sie an dem Treffen in Rom teilnehmen.



Wenn der Pastor mit der Waffe predigt

In den USA ist der Ruf nach strengeren Waffengesetzen lauter geworden. Doch der Südliche Baptistenverband, die größte protestantische Kirche, hält sich zurück. Das hat wohl auch damit zu tun, dass weiße Evangelikale besonders häufig Waffen besitzen.

Wer in den Vereinigten Staaten Waffengewalt fürchtet, plädiert entweder für strengere Gesetze oder bewaffnet sich selbst. Seit dem Massaker in ihrer Schule in Parkland in Florida im Februar fordern die jungen Menschen dort striktere Schusswaffenkontrolle. In der Baptistenkirche in Sutherland Springs in Texas hingegen, wo ein Amokläufer im vergangenen November 26 Besucher eines Gottesdienstes erschoss, trägt selbst der Pastor eine Waffe.

Für ihn gehören Schusswaffen zum Alltag. Eine Pistole oder einen Revolver zu tragen sei "nicht ungewöhnlich", erläuterte Pfarrer Frank Pomeroy kürzlich im Rundfunksender WBUR. Er habe auch seiner Frau Sherri zu Weihnachten eine Schusswaffe geschenkt.

Das Massaker habe ihre Welt auf den Kopf gestellt, sagte Sherri Pomeroy dem Radiosender. Im nur mehrere Hunderte Einwohner zählenden Sutherland Springs in Texas lasse man häufig die Haustüre unverschlossen, wenn man mal kurz weggehe. Seit dem Massaker aber fühle sie sich sicherer, wenn sie eine Waffe trage. Das Ehepaar war an jenem Sonntag auf Reisen. Die gemeinsame 14 Jahre alte Tochter nicht. Sie gehört zu den Opfern des Massakers.

Waffen zum Selbstschutz

Frank Pomeroy war früher oft in Europa. Daher wisse er, dass es geradezu unmöglich sei, Europäern die amerikanische Haltung zu Schusswaffen zu vermitteln, sagte er dem Evangelischen Pressedienst. Für ihn als Amerikaner sei es unvorstellbar, keine Waffe tragen zu dürfen.

Mache Schusswaffenbefürworter argumentieren damit, dass man den Täter ohne Feuerwaffen wohl nicht hätte stellen können. Ein Nachbar hörte nach Medienberichten die Schüsse in der Kirche in Sutherland Springs. Er schoss auf den Täter und verfolgte ihn. Er danke Gott, "dass mein Herr mich beschützt hat und mir die Fähigkeit gegeben hat zu tun, was getan werden musste", sagte Stephen Willeford später im Fernsehen.

Willefords Ansichten zu Schusswaffen zum Selbstschutz sind der evangelikalen Zeitschrift "Christianity Today" zufolge weit verbreitet unter weißen evangelikalen Christen. Laut dem "Pew Research Center" 2017 besitzen 41 Prozent der weißen Evangelikalen eine Schusswaffe, deutlich mehr als Mainstream-Protestanten (33 Prozent) und Katholiken (24 Prozent).

Jagdausbildung online

Kirchgänger David Colbath wurde beim Gottesdienst in Sutherland Springs von mehreren Kugeln getroffen. Wegen seiner Wunde am rechten Arm lerne der 56-Jährige inzwischen, mit links zu schießen, berichtete kürzlich die Lokalzeitung "San Antonio Express News". Er wolle nicht wieder in einer Situation sein, in der er so verwundbar sei und nichts tun könne "außer sitzen und warten bis man erschossen wird", sagte Colbath.

Es gehe ihm nicht um "philosophische" Debatten bei der Waffenfrage, sagte Colbath der Zeitung. In Texas kostet eine Jagdlizenz für Erwachsene 25 Dollar. Ein "Ausbildungskurs" für angehende Waidmänner und -frauen kann auch online genommen werden, heißt es auf der Webseite des Bundesstaates.

Laut Umfragen befürworten US-Amerikaner bestimmte Formen der Waffenkontrolle. Bei den Detailfragen ist die Politik jedoch so zerstritten, dass seit vielen Jahren sehr wenig geschieht. Nach Angaben des Forschungsbüros im Kongress befinden sich geschätzte 310 Millionen Gewehre, Revolver und Pistolen in Privathänden.

Mehrere protestantische Kirchen und römisch-katholische Bischöfe haben sich für verschärfte Waffengesetze ausgesprochen. Pomeroys "First Baptist"-Kirche gehört dem Südlichen Baptistenverband an, der größten protestantischen Kirche der USA. Die konservativen "Southern Baptists" äußern sich zu zahlreichen gesellschaftlichen Fragen, nicht aber zur Waffenkontrolle.

Der Täter vom Sutherland Springs nahm sich nach Angaben der Polizei auf der Flucht schließlich das Leben. Die Gemeinde hat inzwischen Pläne für ein neues Gotteshaus bekannt gemacht. Es solle ein Leuchtturm für das Evangelium sein, berichtete die Kirchenzeitung "Baptist Standard" Anfang April.

Von Konrad Ege (epd)


EKM-Synode votiert gegen geschlechtergerechte Sprache

Nach kontroversen Diskussionen hat die Landesynode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) die Umschreibung der Kirchenverfassung in eine geschlechtergerechte Sprache knapp abgelehnt. Für das Gesetz wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig gewesen. Dies wären von den am 14. April auf der Tagung im Kloster Drübeck abgegebenen und gültigen 70 Stimmen genau 47 gewesen. Da aber nur 46 Synodale dafür stimmten, scheiterte das Vorhaben. 22 Synodale stimmten mit Nein, bei zwei Enthaltungen.

Die textlichen Änderungen, die vorgesehen waren, sahen vor allem den Zusatz der weiblichen Form wie etwa Pfarrerin, Bischöfin und Mitarbeiterin zu den männlichen Formulierungen vor. Zuletzt hatte der hallesche Kirchenrechtler Michael Germann die geplanten Änderungen unter anderem "als schwerwiegende Verschlechterung" deutlich kritisiert und seinen Austritt aus der EKM-Verfassungskommission erklärt. Darauf hatte die EKM-Gleichstellungsbeauftragte Dorothee Land verärgert reagiert und die Wertschätzung für die vermisst, für deren Lebensweg die Benennung beider Geschlechter existenziell bedeutsam geworden ist.

Der mitteldeutschen Kirche gehören derzeit etwa 733.000 evangelische Christen an, rund 450.000 davon in Thüringen und etwa 240.000 in Sachsen Anhalt. Die übrigen Mitglieder stellen Gemeinden in den Randgebieten von Brandenburg und Sachsen.



Fake-News-Video aus Dresdner Kirche kursiert im Internet

Eritreische Christen sind in Dresden bei einem Gottesdienst unfreiwillig gefilmt worden. In dem Internet-Videoclip werden sie als "Muslime in der Kirche" bezeichnet. Das sorgt für Hasskommentare. Die Kirche reagiert besonnen.

Ein im Internet veröffentlichtes Video über ein angebliches Gebet von Muslimen in der Dresdner Martin-Luther-Kirche sorgt für Aufregung. Der gut zwei Minuten lange Clip mit liturgischen Gesängen eines Gottesdienstes eritreischer Christen war am 9. April über soziale Netzwerke verbreitet und mit den Worten "Unglaublich! Islamische Gebete in der #Lutherkirche #Dresden" untertitelt worden. Damit werde der Anschein erweckt, Muslime würden in einer Kirche feiern.

Mit dem Video sei eine "oberflächliche Beobachtung ohne Wissenshintergrund" verbreitet worden, sagte Matthias Oelke, Sprecher der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 11. April in Dresden. Die in dem Film überbrachte Botschaft sei "eine klare Falschaussage, auf die man eigentlich nur sachlich reagieren kann und muss". Der Beitrag zeuge von "religiösem Analphabetismus". Ob es sich bei dem Video um einen "bösen Vorsatz" handele, sei nicht klar. Das Fake-News-Video wurde im Netz zigfach islamfeindlich kommentiert.

"Keine rechtlichen Schritte"

Die sächsische Landeskirche hat nun juristische Konsequenzen geprüft. Es würden zunächst "keine rechtlichen Schritte ergriffen", sagte Juristin Viola Vogel vom Landeskirchenamt in Dresden dem epd. In den sozialen Netzwerken habe die Landeskirche klargestellt, dass es sich bei den im Video gezeigten Gottesdienstbesuchern nicht um Muslime handelt, sondern um eritreische Christen. Sie hätten in der Martin-Luther-Kirche das orthodoxe Osterfest gefeiert.

Auch die in Dresden erscheinende "Sächsische Zeitung" hatte von dem Video berichtet. Die eritreischen Christen hätten in der evangelischen Kirche in der Dresdner Neustadt seit dem vergangenen Jahr Gastrecht und laden wöchentlich zu Gottesdiensten ein, zitiert die Zeitung den Pfarrer der Lutherkirchgemeinde, Eckehard Möller.

Die Gottesdienstteilnehmer waren offenbar ungefragt gefilmt worden, sagte Möller dem epd. Das Vorgehen bezeichnete er als "unverfroren". Am Kircheneingang sei ein Schild mit dem Hinweis auf den Gottesdienst der eritreischen Christen befestigt gewesen. Das habe die Filmerin, deren Stimme im Video zu hören ist, offenbar "nicht wahrhaben wollen", sagte Möller.

Hasskommentare

Nach dem Bericht der "Sächsischen Zeitung" handelt es sich bei den Urhebern des Videos um mutmaßliche Rechtsextreme. Der Mitschnitt des Gottesdienstes war unter anderem auf der Facebookseite aufgetaucht, die den Namen des ehemaligen Bautzener NPD-Kreischefs Marco Wruck trägt. Geteilt wurde das Video auch vom Dresdner AfD-Mitglied Maximilian Krah, der den Beitrag aber zwischenzeitlich wieder gelöscht hat.

Wie die "Dresdner Neuesten Nachrichten" auf ihrer Online-Seite berichteten, wurde in einigen Hasskommentaren zu dem Video behauptet, dass Christen keinen Zutritt mehr zur Martin-Luther-Kirche hätten und jetzt dort der Muezzin "rumschreit".

Die eritreische Kirche ist eine altorientalische Kirche und damit eine der ältesten christlichen Konfessionen. Es gibt enge Verflechtungen zur orthodoxen Kirche in Äthiopien und zur koptischen Kirche in Ägypten. Eritreischen Christen zählen zur sogenannten Ostkirche und orientieren sich am Julianischen Kalender, nachdem fiel in diesem Jahr der Ostersonntag auf den 8. April.



Kein Strafverfahren wegen Hakenkreuzen an Herxheimer Kirchturm

Die Hakenkreuz-Verzierungen im Kirchturm der pfälzischen Ortschaft Herxheim am Berg werden nicht Gegenstand eines Strafverfahrens. Es bestehe kein Anfangsverdacht für strafbares Verhalten, teilte der Leitende Oberstaatsanwalt Hubert Ströber am Montag mit. Die Staatsanwaltschaft hatte nach einer Anzeige geprüft, ob sie wegen der Verwendung verfassungswidriger Symbole Ermittlungen gegen den Herxheimer Bürgermeister und den örtlichen evangelischen Pfarrer aufnimmt. Die Kirche von Herxheim sorgte wegen ihrer "Hitlerglocke" bereits seit dem vergangenen Jahr wiederholt für Schlagzeilen.

Bereits im Herbst hatte die Staatsanwaltschaft es abgelehnt, ein Ermittlungsverfahren wegen der Verwendung der 1934 gegossenen Glocke einzuleiten, die mit einem Hakenkreuz und der Aufschrift "Alles fuer's Vaterland - Adolf Hitler" verziert ist. Eine weitere, Ende März gestellte Strafanzeige richtete sich gegen zwei in den Kirchturm eingemeißelte Hakenkreuze. Die Polizei habe daraufhin den Turm der evangelischen Jakobskirche von Herxheim "in Augenschein genommen", die beiden Hakenkreuze aber erst mit Hilfe eines Fernglases und einer Digitalkamera mit Teleobjektiv entdecken können.

Die bloße Existenz der Symbole sei keine Verwendung im Sinne des Strafgesetzbuches, stellte die Staatsanwaltschaft klar. Eine Gefahr gehe von den zwei "seit nunmehr 84 Jahren am obersten Teil eines abgelegenen Kirchturms angebrachten, mit bloßen Augen nicht oder nur schwer erkennbaren Hakenkreuzen nicht aus". Auch eine "strafbewehrte Pflicht" zur Beseitigung der Symbole gebe es nicht.

Die Geschichte der Herxheimer Jakobskirche in den Jahren der NS-Diktatur ist seit Monaten Gegenstand einer hitzigen Debatte. Die "Hitlerglocke" wird seit September 2017 nicht mehr geläutet, soll nach dem Willen des Ortsgemeinderats aber im Kirchturm aufgehängt bleiben. An der Kirche soll eine Mahntafel angebracht werden. Im Laufe des Streits um den Umgang mit der Glocke musste bereits der damalige Herxheimer Ortsbürgermeister wegen relativierender Aussagen über die NS-Zeit zurücktreten.



Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek eröffnet

Die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek im Schloss Wittenberg steht seit dem 9. April für Wissenschaftler und andere interessierte Nutzer zur Verfügung. Die neue Bibliothek vereint die Bestände der Bibliothek des Evangelischen Predigerseminars Wittenberg und des Lutherhauses, wie Bibliotheksleiter Matthias Meinhardt in Wittenberg mitteilte. Sie umfasse etwa 220.000 Bände. Besonders wertvoll sei ein Altbestand von rund 100.000 Titeln des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Zudem könnten rund 120.000 Bände mit moderner Literatur und rund 100 laufende Zeitschriften genutzt und ausgeliehen werden.

Im sanierten und umgebauten Schloss der Lutherstadt Wittenberg steht in der Bibliothek nun ein moderner Lesesaal mit 14 Arbeitsplätzen und ein großzügig gestalteter Freihandbereich zur Verfügung, wie Meinhardt weiter mitteilte. Der Sammlungsschwerpunkt der Bibliothek liegt auf der Reformations- und Kirchengeschichte, der Theologie sowie der Universitäts- und Bildungsgeschichte. Zudem gibt es philologische, pädagogische und regionalhistorische Literatur. Getragen wird die Reformationsgeschichtliche Forschungsbibliothek vom Evangelischen Predigerseminar Wittenberg, der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, der Stiftung Leucorea und der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt.

Als Studienstätte für die Geschichte und Kultur der Reformation am zentralen Wirkungsort Martin Luthers (1483-1546) diene die Bibliothek in erster Linie der systematischen Erschließung ihrer historischen Buchbestände für die Wissenschaft, hieß es weiter. Zudem unterstütze sie die Ausbildung von Vikarinnen und Vikaren am Predigerseminar sowie Ausstellungs- und Forschungsprojekte. Als öffentliche Bibliothek steht die Einrichtung aber auch allen anderen Nutzern zur Verfügung.




Gesellschaft

Kirchen und Friedensorganisationen kritisieren Militärschläge in Syrien


Straßenszene in Ost-Ghuta bei Damaskus (Archivbild vom Februar 2018)
epd-bild/Mohammad Alissa
Während sich die Bundesregierung hinter den westlichen Angriff auf Syrien stellt, warnen Kirchen und Friedensorganisationen vor einer Eskalation des Konflikts. Der EKD-Ratsvorsitzende mahnt: "Militärschläge bringen nicht die Lösung."

Nach den westlichen Militärschlägen auf Chemiewaffen-Einrichtungen in Syrien hat UN-Generalsekretär António Guterres vor einer Eskalation gewarnt. Alle UN-Mitgliedsstaaten müssten sich in dieser gefährlichen Situation nach der Militäroperation der USA, Frankreichs und Großbritanniens zurückhalten, verlangte Guterres am 14. April in New York. Er wies auch auf die Verantwortung des UN-Sicherheitsrates für den Weltfrieden hin. Die Mitglieder des Rates müssten endlich Einigkeit zeigen.

Die Bundesregierung stellte sich hinter die Angriffe auf Syrien. "Der Militäreinsatz war erforderlich und angemessen, um die Wirksamkeit der internationalen Ächtung des Chemiewaffeneinsatzes zu wahren und das syrische Regime vor weiteren Verstößen zu warnen", erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin. Eine militärische Beteiligung Deutschlands an einem Angriff auf Syrien hatte die Bundeskanzlerin bereits am vergangenen Donnerstag ausgeschlossen.

"Bruch des internationalen Rechts"

Kirchen und Friedensorganisationen kritisierten den Angriff der Westmächte auf Syrien scharf. Der Lutherische Weltbund (LWB) in Genf verurteilte das Vorgehen als "Bruch des internationalen Rechts", weil die Militärschläge ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates stattfanden. Der LWB forderte einen "sofortigen Stopp der Spirale militärischer Vergeltungsmaßnahmen", welche die Welt näher an einen globalen militärischen Konflikt führe.

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, kritisierte die Angriffe. "Ich glaube, viele von uns haben das Gefühl: Man muss irgendetwas tun gegen die Verletzung der elementarsten Regeln des Völkerrechts durch Giftgasangriffe", erklärte Bedford-Strohm in Trier. "Aber Militärschläge bringen nicht die Lösung", fügte er hinzu. "Insbesondere, wenn kein Plan für das danach erkennbar ist. Die Opfer schreien nach Gerechtigkeit und Frieden."

Papst Franziskus erklärte am 15. April, er sei "zutiefst erschüttert". Trotz der zur Verfügung stehenden Instrumente habe die internationale Gemeinschaft Mühe, sich auf ein gemeinsames Vorgehen für Syrien zu einigen. Franziskus appellierte vor dem Hintergrund von Bemühungen um eine neue UN-Resolution zu Syrien erneut an alle Konfliktbeteiligten, sich für Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen.

Deeskalation gefordert

Die Kampagne "Macht Frieden. Zivile Lösungen für Syrien" kritisierte explizit die politische Unterstützung von Seiten der Bundesregierung für die Militärschläge. "Deutschland muss jetzt deeskalierend auf seine Partnerländer und Russland einwirken", erklärte die Kampagne in Bonn. Syrien sei zum Schlachtfeld weltweiter Interessen geworden, bei dem sich Russland und die Nato gegenüberstehen. "Die derzeitige Eskalation bedroht den Weltfrieden und muss beendet werden, bevor aus Unvernunft oder Fahrlässigkeit ein nuklearer Krieg ausgelöst wird", warnte die Kampagne, die von 25 Organisationen und Gruppen der deutschen Friedensbewegung getragen wird.

Die USA, Frankreich und Großbritannien hatten in den frühen Morgenstunden des 14. April nach eigenen Angaben Chemiewaffen-Installationen des Assad-Regimes angegriffen. Die westlichen Mächte wollen damit einen mutmaßlichen Angriff des Assad-Regimes mit den international geächteten Chemiewaffen auf die Rebellenstadt Duma vor einer Woche bestrafen. Assad und Russland bestreiten den Giftgasangriff.

In Syrien kämpfen Machthaber Baschar al-Assad, Rebellengruppen und Terroristen um die Macht. Russland und der Iran unterstützen Assad. Seit 2011 kamen durch die Gewalt Hunderttausende Menschen ums Leben, Millionen sind auf der Flucht.



Nur sieben Bundesländer nutzen Wohnsitzauflage für Flüchtlinge


Flüchtlingsheim in Berlin
epd-bild/Rolf Zoellner
Mit der umstrittenen Wohnsitzauflage wollte die Bundesregierung 2016 für eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen auf die Kommunen sorgen. Nur sieben Länder machen aktuell davon Gebrauch. Wie viele Flüchtlinge es betrifft, ist aber nicht bekannt.

Mehr als anderthalb Jahre nach Einführung der Wohnsitzauflage für Flüchtlinge macht nur eine Minderheit der Bundesländer davon Gebrauch. Wie aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht, wird sie nur in sieben Bundesländern genutzt: Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Auflage bietet die Möglichkeit, auch anerkannten Flüchtlingen für insgesamt drei Jahre den Wohnort vorzuschreiben, wenn dadurch Wohnungs- und Arbeitssuche sowie das Deutschlernen erleichtert werden. Ob dieses Ziel tatsächlich erreicht wird, ist dem Ministerium aber nicht bekannt.

Wie aus der Antwort, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt, weiter hervorgeht, liegen keine Erkenntnisse darüber vor, wie vielen Flüchtlingen seit Einführung der Regelung im August 2016 der Wohnort vorgeschrieben wurde. Auch über die Zahl von Härtefällen, in denen darauf verzichtet wurde, ist nichts bekannt. Ebenso unklar bleibt der Verwaltungsaufwand für die Durchsetzung der Auflage.

"Flickenteppich"

Die integrationspolitische Sprecherin der Grünen, Filiz Polat, wirft der Bundesregierung "Desinteresse" an ihrem eigenen Gesetz vor. Mit der Umsetzung würden die Länder alleingelassen, sagte sie und ergänzte: "Die Folge ist wie so oft ein Flickenteppich und natürlich eine fehlende Datengrundlage für eine notwendige und zudem angekündigte Evaluierung." Die Geltung der Wohnsitzauflage wurde im damaligen Integrationsgesetz auf drei Jahre befristet. Ohne Verlängerung würde die Regelung im August nächsten Jahres auslaufen.

Polat forderte eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen für Integrationsaufgaben. Die Wohnsitzauflage sei "fatale und kurzsichtige Symbolpolitik", sagte sie. Grüne und Linke als damalige Opposition sowie Flüchtlings- und Sozialverbände hatten den Wohnsitzzwang als Einschnitt in Grundrechte anerkannter Flüchtlinge abgelehnt.

Zuzugsstopp

Die Wohnsitzauflage sieht neben der Möglichkeit der Zuweisung eines Wohnortes auch die Möglichkeit vor, bestimmte Orte vom Zuzug auszuschließen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums gilt solch eine Sperre für Pirmasens, Salzgitter, Delmenhorst und Wilhelmshaven. Die sächsische Stadt Freiberg hat im Februar ebenfalls einen Zuzugsstopp beantragt. Nach Gesprächen der Verantwortlichen ruht dieser Antrag. Nach einer Mitteilung von Donnerstag sollen zunächst weitere Schritte geprüft werden.

Für Cottbus gilt nach Angaben der Stadt eine Zuweisungssperre aus der Brandenburger Erstaufnahmeeinrichtung auf einer anderen Grundlage als auf der Wohnsitzauflage.



Recht auf Familienzusammenführung für Flüchtlinge erleichtert

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge verlieren nach ihrer Volljährigkeit nicht ihr Recht auf Familienzusammenführung. Voraussetzung hierfür ist, dass sie innerhalb einer "angemessenen Frist" nach ihrer Flüchtlingsanerkennung einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 12. April in Luxemburg urteilte. (AZ: C-550/16)

Nach EU-Recht können unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in ihrem Heimatland lebende nahe Angehörigen nachkommen lassen. Das Recht auf Familienzusammenführung ist nicht in das Ermessen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten gestellt.

Zeitpunkt der Einreise entscheidend

Im jetzt entschiedenen Fall reiste eine junge Frau im Februar 2014 im Alter von 17 Jahren aus Eritrea in die Niederlande ein. Als sie wenige Monate später 18 Jahre alt wurde und auch einen Aufenthaltstitel erhielt, wurde ihr Antrag auf Zusammenführung mit ihren Eltern und drei minderjährigen Brüdern wegen ihrer Volljährigkeit abgelehnt.

Entscheidend sei aber, ob der Flüchtling zum Zeitpunkt der Einreise noch minderjährig war, urteilte der EuGH. Wenn der Flüchtling im Laufe des Asylverfahrens volljährig wird, verliere er damit nicht sein Recht auf Familiennachzug. Allerdings müsse der Antrag auf Familienzusammenführung im Regelfall innerhalb von drei Monaten ab dem Tag der Flüchtlingsanerkennung gestellt werden, erklärte das Gericht.



Debatte über Kopftuchverbot für Kinder geht weiter


Verschleierte Frauen vor einem Bekleidungsgeschäft in Duisburg-Marxloh
epd-bild/Friedrich Stark
Der Vorstoß der nordrhein-westfälischen Landesregierung für ein Kopftuchverbot für junge Mädchen sorgt weiter für Diskussionen. NRW-Integrationsstaatssekretärin Güler will mit einem Verbot Kinder vor ihren Eltern schützen.

Die nordrhein-westfälische Integrationsstaatssekretärin Serap Güler (CDU) hat den Vorstoß der Landesregierung für ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren verteidigt. Bei dem erwogenen Verbot gehe es weder um Religion noch um Integration, sagte Güler am 11. April im ZDF-"Morgenmagazin": "Es geht um die freie Entfaltung des Kindes." Wenn ein Mädchen so früh ein Kopftuch trage, müsse darüber debattiert werden, "inwieweit wir auch in manchen Fällen sogar die freie Entwicklung des Kindes vor den Eltern schützen müssen".

"Das Kopftuch sollte man auch nach islamischen Brauch erst mit Anfang der Pubertät tragen", sagte die CDU-Politikerin weiter. Nach islamischen Verständnis trage eine Frau ein Kopftuch, um ihre Reize vor Männern zu verhüllen. Wenn Kinder Kopftücher trügen, sexualisiere sie das. Sie habe häufiger von Eltern gehört, dass Mädchen schon früh Kopftuch tragen sollten, damit sie es später nicht mehr hinterfragen. "Ich möchte aber, dass Kinder das hinterfragen", sagte die Integrationsstaatssekretärin. Wenn eine junge Frau sich später für das Kopftuch entscheide, sei das ihr gutes Recht.

"Vater beeinflusst Mädchen subtil"

Ähnlich äußerte sich der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide. Kaum ein muslimisches Mädchen unter 14 Jahren trage aus eigener Motivation ein Kopftuch, sagte der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Münster dem Evangelischen Pressedienst (epd). "In den meisten Fällen beeinflusst der Vater das Mädchen subtil dazu, Kopftuch zu tragen." Ein gesetzliches Verbot könne eine große Hilfe für die Mädchen sei, die sich nur schwer gegen ihre Väter durchsetzen könnten.

Die NRW-Landesregierung prüft ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren. Zuvor war in Österreich ein solches Verbot für Kitas und Grundschulen angekündigt worden. Juristen und Integrationsexperten in Deutschland zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Verbotes. Lehrer reagierten uneinheitlich. Der Philologenverband und der Deutsche Lehrerverband begrüßten den Vorstoß, der Grundschulverband und die Gesamtschulleiter in NRW dagegen lehnten ihn ab.

"Abgegrenzte Felder"

Kritisch sieht auch der Berliner Integrationsbeauftragte Andreas Germershausen ein Kopftuchverbot für Minderjährige. Das löse keine Probleme, sagte Germershausen dem epd. Er beobachte seit langem, dass Kopftuchverbote den Übergang muslimischer Frauen in das alltägliche soziale Leben erschwerten: "Es nötigt Frauen, die ein Kopftuch tragen, in abgegrenzte Felder, in denen das Kopftuch üblich ist."

Der Integrationsforscher Haci Halil Uslucan warnte unterdessen davor, die Rolle der Religion bei der Integration zu überschätzen. Repräsentative Umfragen hätten ergeben, dass die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft vor allem am festen Arbeitsplatz und an der Staatsangehörigkeit bemessen werde, sagte der Leiter des Essener Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung dem epd. Religiosität oder kulturelle Herkunft seien nachrangig. Im Bildungsbereich zeige sich deutlich, dass die ökonomische Lage der Eltern entscheidender für Erfolge in Schule und Beruf sei als die Religion.



Das Kopftuch im Islam

Das Kopftuch als Teil der Bekleidung muslimischer Frauen sorgt in Deutschland immer wieder für öffentliche Debatten. Muslimische Befürworter sehen im Kopftuch ein Zeichen von Schutz, Sittsamkeit oder auch Selbstbestimmung, Gegner interpretieren es als Symbol der Rückständigkeit oder der Unterordnung der Frau.

Im Nahen Osten war der Schleier schon vor der koranischen Offenbarung im 7. Jahrhundert verbreitet. Bereits biblische Quellen verbinden ihn mit religiösen Themen: Auch im Alten Testament erscheint der Schleier als Symbol für die Ehrfurcht vor Gott. Schleier waren bei arabischen Frauen zur Zeit Mohammeds üblich, wurden jedoch erst vom 9. Jahrhundert an zur Pflicht. Bis heute halten die meisten islamischen Rechtsgelehrten daran fest, dass geschlechtsreife Musliminnen ihren Kopf außerhalb des Hauses und in Gegenwart fremder Männer zu bedecken haben. Die Form des Schleiers reicht vom Kopftuch bis zum Ganzkörperschleier.

Keine genauen Vorschriften

Der Koran enthält keine genauen Vorschriften zur Verschleierung. Mehrere Textpassagen lassen sich jedoch in diese Richtung interpretieren. So heißt es beispielsweise, gläubige Frauen sollten darauf achten, dass ihre Scham bedeckt sei und dass sie ihre Schleier über den Schlitz ihres Kleides ziehen mögen (Sure 24, Vers 31). An anderer Stelle ist davon die Rede, dass das Herunterziehen ihres Gewandes Frauen gewährleiste, dass sie unerkannt blieben und nicht belästigt würden (Sure 33, Vers 59).

Vor allem eine Textstelle in den Hadithen, die Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed überliefern, wurde für die Argumentation für die Verschleierung im Alltag herangezogen. Sie berichtet davon, dass Mohammed eine Bekannte darauf hinweist, dass es für Frauen mit Erreichen der Menstruation unpassend sei, bestimmte zu Körperteile zeigen. Der Überlieferung zufolge zeigte der Prophet dabei auf Gesicht und Handflächen.

Über Jahrhunderte hinweg wurde von islamischen Rechtsgelehrten festgelegt, dass mit der Beginn der Geschlechtsreife bestimmte Körperteile zu verhüllen seien. Kontroverse Debatten über die Notwendigkeit der Verschleierung kamen innerhalb der islamischen Gesellschaften im 19. Jahrhundert auf. Von nun an zweifelten muslimische Gelehrte die Rechtmäßigkeit des Gebots der Kopfbedeckung immer wieder an.

Politisierung

Im 20. Jahrhundert wurde das Kopftuch zum Gegenstand der Politisierung. Mustafa Kemal Atatürk, der die Türkei nach westlichem Vorbild modernisieren wollte, verbot das Kopftuch in öffentlichen Institutionen. Im Nachbarland Iran erließ Schah Reza Pahlavi ein generelles Verbot der Verschleierung. Als Ayatollah Khomeini dort später die islamische Revolution ausrief, besiegelte er nicht nur das Ende des Verbots, sondern machte die Verschleierung zur Pflicht. Auch in anderen islamischen Staaten gibt es teils strenge Kleidervorschriften.

Doch auch in westlichen Staaten beschäftigt das Kopftuch immer wieder die Behörden - vor allem, wenn es um den Staatsdienst geht. In Deutschland entschied das Bundesverfassungsgericht 2015, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrerinnen an öffentlichen Schulen nicht mit der Verfassung vereinbar ist. Seither haben die Bundesländer hierzu unterschiedliche Regelungen entwickelt.

Empirische Daten zeigen, dass das Kopftuch auch bei Musliminnen in Deutschland kein beliebiges Kleidungsstück ist, sondern Frage einer grundsätzlichen Entscheidung. Als 2008 im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz 1.092 Musliminnen in Deutschland zu diesem Thema befragt wurden, gab mit 70 Prozent die große Mehrheit von ihnen an, nie ein Kopftuch zu tragen. 23 Prozent erklärten hingegen, immer eines zu tragen. Hierfür sind religiöse Gründe ausschlaggebend: Neun von zehn kopftuchtragenden Befragten nannten religiöse Pflichten als Begründung.



Bundeskabinett beruft weitere Beauftragte

Bei seiner Klausurtagung in Meseberg hat das Bundeskabinett mehrere Beauftragte für diese Legislaturperiode berufen. Der Diplomat Klein soll die Aktivitäten gegen Antisemitismus koordinieren. Terror-Opfer bekommen einen dauerhaften Ansprechpartner.

Das Bundeskabinett hat am 11. April bei seiner Klausurtagung in Meseberg mehrere Beauftragte berufen. Der Botschafter Felix Klein wird Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus. Der bisherige Sonderbeauftragte für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und Antisemitismusfragen im Auswärtigen Amt tritt die Stelle zum 1. Mai an, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. Der neue Beauftragte ist im Bundesinnenministerium angesiedelt, weil dort die Zuständigkeit für den Dialog mit den Religionsgemeinschaften liegt.

Die Einrichtung der Stelle vereinbarten Union und SPD, nachdem der Bundestag auch vor dem Hintergrund zunehmender antisemitischer Straftaten und Übergriffe solch einen Beauftragten gefordert hatte. Klein studierte Rechtswissenschaften und durchlief von 1994 bis 1996 seine diplomatische Ausbildung beim Auswärtigen Amt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte seine Berufung und verwies darauf, dass Klein bei jüdischen Organisationen im In- und Ausland Anerkennung genieße.

Franke wird Opferbeauftragter

Neuer Opferbeauftragte wird der SPD-Bundestagsabgeordnete Edgar Franke. Der Jurist ist damit der zentrale Ansprechpartner für alle Anliegen der Opfer von terroristischen Straftaten in Deutschland und deren Hinterbliebenen. Er wird auch die Betreuung der Opfer des Anschlags vom Breitscheidplatz in Berlin fortsetzen, wie das Bundesjustizministerium mitteilte.

Franke ist seit 2009 im Bundestag und Mitglied im Gesundheitsausschuss. Er war Gründungsrektor der Hochschule der Gesetzlichen Unfallversicherung in Bad Hersfeld, wo er einen Lehrauftrag hat. Zum 31. März endete die Amtszeit des Beauftragten Kurt Beck (SPD), der die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags vom Breitscheidplatz betreut hatte. Der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident hatte sich für eine dauerhafte Anlaufstelle für Terroropfer eingesetzt.

Der bisherige Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Ralf Brauksiepe (CDU), wird neuer Patientenbeauftragter, wie das Bundesgesundheitsministerium mitteilte. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler aus Nordrhein-Westfalen war in der Unionsfraktion zuständig für die Arbeitsmarktpolitik, bevor er 2013 als Staatssekretär ins Bundesarbeitsministerium wechselte. Von dort folgte er Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) ins Verteidigungsministerium.

Zusammen mit dem früheren Präsidenten des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus, wird Brauksiepe sich um die Anliegen von Patienten und ihrer Angehörigen kümmern. Westerfellhaus, der ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen kommt, war schon am 21. März vom Kabinett zum Pflegebevollmächtigten berufen worden. In der vergangenen Legislaturperiode hatten beide Aufgaben noch in einer Hand gelegen.

Mortler bestätigt

Die CSU-Bundestagsabgeordnete Marlene Mortler wurde für eine weitere Legislaturperiode als Drogenbeauftragte bestätigt. Sie koordiniert die Drogen- und Suchtpolitik der Bundesregierung und vertritt sie in der Öffentlichkeit.

Der Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen, Bernd Fabritius, wird neuer Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten. Als Rumäniendeutscher und erfahrender Vertriebenenpolitiker sei Fabritius für sein Amt vorbereitet wie kaum ein anderer, erklärte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

Fabritius ist seit 2014 Präsident des Vertriebenenbundes. Wie ein Sprecher des Verbandes am Mittwoch auf Anfrage sagte, ist derzeit nicht geplant, dass er dieses Amt aufgibt. Dies sei mit dem Bundesinnenministerium abgestimmt. Fabritius stammt aus Siebenbürgen und gehört dort zur rumänendeutschen Minderheit. Sein Abitur machte er im dortigen Hermannstadt, sein Jura-Studium absolvierte er bereits in München. Von 2013 bis 2017 gehörte er für die CSU dem Bundestag an.



Eine Stimme für die jüngsten Zeugen


Ausstellung "Kinder im KZ Bergen-Belsen"
epd-bild/Jens Schulze
Sie litten Hunger und noch mehr Durst, verloren Eltern oder Geschwister. Einige waren ganz auf sich gestellt. Eine Ausstellung in Bergen-Belsen rückt das Schicksal von Kindern in dem KZ in den Blick.

Ivan Lefkovits erinnert sich vor allem an den unbeschreiblichen Durst. "In den letzten Tagen hatten wir kein Wasser mehr", sagt der 81-Jährige. Er war acht, als britische Soldaten ihn am 15. April 1945 gemeinsam mit seiner Mutter aus dem niedersächsischen Konzentrationslager Bergen-Belsen befreiten. Da wog er noch neun Kilogramm. In einer Sonderausstellung rückt die Gedenkstätte Bergen-Belsen bei Celle seit dem 15. April erstmals umfassend das Schicksal von Menschen in den Mittelpunkt, die wie Ivan Lefkovits als Kinder in dem KZ eingesperrt waren.

"Was mir in Erinnerung bleibt, sind die Feuerlöschbecken voller Wasser", sagt Lefkovits. "Darin schwammen Leichen und Exkremente." Seine Mutter habe ihm streng verboten, daraus zu trinken. Andere hätten sich in ihrer Not daran nicht gehalten. "Sie sind gestorben." Der aus der Tschechoslowakei stammende Jude Lefkovits überlebte und machte später in der Schweiz Karriere als Biochemiker. Mit der Ausstellung will die Gedenkstätte den jüngsten Zeugen der NS-Verbrechen eine Stimme geben. Ein Thema, das bisher vernachlässigt wurde, sagt Kuratorin Diana Gring.

800 tote Kinder

Unter rund 120.000 Menschen aus fast allen europäischen Ländern waren in Bergen-Belsen auch etwa 3.500 Kinder unter 15 Jahren inhaftiert, die meisten von ihnen Juden. Schätzungen zufolge starben dort rund 800 Kinder. Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die SS die Lagerregistratur vernichtet hat, erläutert der Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner. "Von einem großen Teil von ihnen wissen wir nicht einmal den Namen."

Mehr als 120 Video-Interviews haben die Historiker der Gedenkstätte seit 1999 mit Menschen geführt, die noch keine 15 Jahre waren, als Bergen-Belsen von britischen Truppen befreit wurde. Für die Ausstellung "Kinder im KZ Bergen-Belsen" bilden die Filme den Hintergrund. Mit Kapiteln wie Hunger und Sterben, aber auch Familie oder Spiele geben dabei neben 20 Filmstationen auch Fotos, Dokumente und Erinnerungsstücke von Überlebenden einen Einblick in die Kindheit im Lager.

Auch eine Nachbildung der Strick-Puppe "Mies" ist in einer Vitrine zu sehen. Lous Steenhuis-Hoepelman hat diese Puppe aufbewahrt. Das Original trägt die 76-Jährige aus den Niederlanden bei einem ersten Rundgang durch die Ausstellung mit sich. "Diese hässliche Puppe konnte ein kleines bisschen Geborgenheit geben", sagt sie. Lous Hoepelman war erst drei, als sie 1944 ins KZ verschleppt wurde. Jemand hatte ihr Versteck bei Pflegeeltern verraten, in dem ihre jüdischen und im Widerstand engagierten Eltern das Mädchen in Sicherheit wähnten. Über das niederländische Lager Westerbork kam sie nach Bergen-Belsen - ohne Eltern auf sich gestellt. Die Puppe "Mies" war alles, was sie bei sich trug.

Erinnerung setzt mit Befreiung ein

Der Vater der Niederländerin wurde in Auschwitz ermordet. Die Mutter überlebte in verschiedenen Verstecken. Das Mädchen wurde nach zwei Monaten in Bergen-Belsen weiter ins Lager Theresienstadt deportiert. Ihre eigene Erinnerung setze erst nach ihrer Befreiung ein, sagt Lous Steenhuis-Hoepelman heute. "Nach dem Krieg fühlte ich mich wie eine Prinzessin, als etwas Besonderes, weil ich noch da war und deshalb auch besonders behandelt wurde."

Als verlässliche Zeitzeugen seien die Kinder lange Zeit nicht gesehen worden, sagt Ausstellungskuratorin Gring. Manchmal seien es nur Bruchstücke, an die sich Menschen erinnerten, die in jungen Jahren inhaftiert waren. Doch diese hätten sich umso tiefer in ihre Seele gebrannt. "Wir wollen deutlich machen: Was sie erlebt haben, ist ernst zu nehmen." In 14 Biografien zeichne die Ausstellung auch den weiteren Lebensweg von Kinder-Überlebenden nach, sagt Wagner.

Zur Eröffnung am 73. Jahrestag der Befreiung am 15. April wollten rund 20 der Frauen und Männer unter anderem aus Kanada, den USA, den Niederlanden, der Schweiz, Israel und Frankreich nach Bergen-Belsen kommen. Ivan Lefkovits und Lous Steenhuis-Hoepelman gehören zu denjenigen, die sich seit einigen Jahren darum bemühen, dass die Erinnerung an die Verbrechen der Nazi-Zeit nicht verblassen.

Jetzt im Alter beschäftige sie ihre früheste Kindheitsgeschichte mehr als früher, sagt die Niederländerin. Die pensionierte Sozialarbeiterin aus Amsterdam erzählt vor Schulklassen aus ihrem Leben. Die Puppe "Mies" hat sie dann immer dabei.

Von Karen Miether (epd)


Vor 75 Jahren: Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto

Wenige Hundert jüdische Kämpfer greifen 1943 im Warschauer Ghetto zu den Waffen. Sie widersetzen sich dem Transport in die Vernichtungslager.

Im Juli 1942 beginnen die deutschen Besatzer, das Warschauer Ghetto zu räumen. Bis Ende September haben sie bereits rund 260.000 Juden aus dem ummauerten Sperrbezirk in das Vernichtungslager Treblinka gebracht und ermordet. Und das Töten geht weiter. Da fallen am frühen Morgen des 19. April 1943 plötzlich Schüsse: Jüdische Freiheitskämpfer sagen den Besatzern den Kampf an.

Sie wehren sich gegen den Abtransport der insgesamt noch rund 60.000 im Ghetto lebenden Juden in die NS-Vernichtungslager. Mit Pistolen, Gewehren und Molotow-Cocktails attackieren die meist nur schlecht ausgebildeten Kämpfer die gepanzerten Fahrzeuge der Truppen. Polizei und SS ziehen sich nach verlustreichen vier Tagen zunächst zurück, stellen die Deportationen vorübergehend ein. Die Kämpfer jubeln: Auf einem Hausdach hissen sie eine Fahne mit dem Davidstern und auch die polnische Nationalflagge.

"Ihr Schicksal ist entschieden"

"Der Traum meines Lebens ist endlich wahr geworden. Die Selbstverteidigung im Ghetto wurde Realität. Jüdischer bewaffneter Widerstand und Rache sind Tatsachen", schrieb Mordechai Anielewicz (1919-1943), Kommandant der Aufständischen, in einem Brief. "Ich war Zeuge dieses großartigen, heroischen Kampfes von jüdischen Männern in der Schlacht." Doch auch ihm war klar: "Die Verbliebenen werden früher oder später sterben. Ihr Schicksal ist entschieden."

Anfangs ging die Guerillataktik der Partisanen auf, heimlich versorgt mit Waffen, Munition und Sprengstoff von der polnischen Untergrundorganisation "Heimatarmee". Zudem hatten sie zuvor Verstecke und Bunker im Ghettodistrikt ausgebaut und Zugänge zur Kanalisation geschaffen.

"Das war der erste städtische Volksaufstand im nationalsozialistisch besetzten Europa", heißt es auf der Homepage der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Und, so schrieb später Marek Edelmann, einer der ganz wenigen Überlebenden: "Der erste Tag des Aufstandes gilt als der erste vollkommene Sieg über die Deutschen."

Aussichtsloser Kampf

Erst Ende 1942 war es gelungen, mehrere jüdische Untergrundorganisationen zu vereinen und eine Kommission zur Koordinierung des Widerstands zu bilden. "Es ging nur darum, die Art des Sterbens zu wählen", sagte Marek Edelmann kurz vor seinem Tod 2009. "Es ging darum, sich nicht abschlachten zu lassen. (...) Es ist eine große Sache, wenn man ohne Kraft und Hoffnung kämpft."

Die hinter dem Widerstand stehende Organisation "Zydowska Organizacja Bojowa" (ZOB) war aus drei zionistischen Jugendbewegungen und der Partei "Poale Zion" entstanden. Zu ihrem Anführer wurde der 24-jährige Mordechai Anielewicz ernannt. Ihm gelang es zwar, die Aufständischen zunächst im Häuserkampf zu halten. Aber: "Der Kampf der schlecht ausgerüsteten Aufständischen war ebenso verzweifelt wie aussichtslos", schreibt der Historiker Arnulf Scriba - David hatte gegen Goliath keine Chance.

Knapp vier Wochen lang gelang es den Juden dennoch, ihre Verstecke gegen mehr als zwei Bataillone der SS zu halten. Die Deutschen änderten daraufhin ihr Vorgehen, fluteten Keller und Kanäle mit Wasser oder Gas. Auch setzten sie Flammenwerfer ein und steckten ganze Straßenzüge an. Aus dem Tagebuch einer jungen Frau, deren Schicksal ungeklärt ist: "Das Ghetto brennt den vierten Tag. Man sieht nur noch die Kamine und die Skelette ausgebrannter Häuser. (...) Wir leben diesen Tag, diese Stunde, diesen Augenblick."

"Todesurteil in der Tasche"

Emanuel Ringelblum (1900-1944), Chronist des Ghettos, gab die düstere Stimmung der Eingeschlossenen wieder: "Wir brauchen uns keine Gedanken um unser Überleben zu machen, denn jeder von uns trägt sein Todesurteil bereits in der Tasche. Wir sollten besser daran denken, mit Würde zu sterben, im Kampf zu sterben."

An der Mila-Straße 18 befand sich der Kommandobunker der Kämpfer. Am 8. Mai 1943 umzingelten die Deutschen den Gefechtsstand. Anielewicz und sein Stab saßen in der Falle. Die Eingeschlossenen begingen vermutlich Suizid. Marek Edelmann war nicht dort. Er führte den Aufstand weiter und konnte am 10. Mai mit einer Gruppe von 40 Kampfgenossen durch die Kanalisation fliehen.

SS-Generalleutnant Jürgen Stroop, 1951 zum Tode verurteilter SS- und Polizeiführer von Warschau, schlug mit mehr als 2.000 Soldaten und SS-Männern den Aufstand nach 27 Tagen nieder. Am 16. Mai notierte er in seinem 75-seitigen Bericht an SS-Chef Heinrich Himmler: "Nur durch den ununterbrochenen und unermüdlichen Einsatz sämtlicher Kräfte ist es gelungen, insgesamt 56.065 Juden zu erfassen bzw. nachweislich zu vernichten." Und weiter meldete er: "Das ehemalige jüdische Wohnviertel Warschau besteht nicht mehr. Mit dem Sprengen der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20.15 Uhr beendet. (...) Alles, was an Gebäuden und sonst vorhanden war, ist vernichtet."

Von Dirk Baas (epd)


Chemotherapie für den Hund


Ein Hund wird per CT untersucht.
epd-bild/Rolf K. Wegst
Neue Behandlungsmethoden in der Tiermedizin werfen neue Fragen auf: Wie weit kann und soll der Mensch gehen, um sein geliebtes Tier zu retten?

Der beigefarbene Hund steht schwanzwedelnd auf dem Behandlungstisch, sein Brustkorb ist in dicke Bandagen gepackt. Er kommt gerade von der Röntgenuntersuchung. "Wir haben geguckt, ob die Speiseröhre noch gelähmt ist und wie sich die Lungenentzündung entwickelt", sagt Tierarzt Alexander Acker. Der Golden Retriever, mit zehn Jahren nicht mehr ganz jung, hat eine schwere Operation hinter sich: Veterinärmediziner der Uni Gießen entfernten an seiner Speiseröhre einen großen Tumor.

Ebenso wie die Humanmedizin macht die Tiermedizin rasante Fortschritte. Computertomographie, Chemotherapie bei Krebs, Herzschrittmacher für Hunde, Einsetzen von Implantaten, künstliche Harnleiter - vieles ist heute möglich, was vor einigen Jahren undenkbar schien. "Wir haben Neurochirurgen, Orthopäden und sogar Experten für Koi-Fische an der Klinik", sagt der Chef der Kleintierchirurgie an der Gießener Veterinärklinik, Martin Kramer.

Tierarzt Acker ruft am Computer ein Bild auf, das den Tumor des Retrievers zeigt: Er ist fast so groß wie das Herz. Die Veterinäre mussten für die OP den Brustkorb aufschneiden, was "relativ invasiv und auch schmerzhaft" war, wie Acker erklärt. Natürlich bekam der Hund ausreichend Schmerzmittel. Trotzdem könnte man fragen: Muss so eine Operation wirklich sein?

Teure Hochleistungsmedizin

Der Tierethiker Peter Kunzmann von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, katholischer Theologe und Philosoph, sieht eine Linie, an der sich Mediziner und Besitzer orientieren können: "Tue ich dem Tier etwas Gutes, ist es ihm zuträglich?" Anschließend müsse man fragen: "Sind Ressourcen vorhanden?"

Die moderne Hochleistungsmedizin ist teuer, und anders als in der Humanmedizin springt bei Tieren keine Krankenkasse ein - es sei denn, der Besitzer hat extra eine Versicherung abgeschlossen. Tierhalter brauchen also Geld und nach der Operation Disziplin und Geduld bei der Versorgung. Schließlich, sagt Kunzmann, folge die Frage: Wenn diese Ressourcen nicht da sind, kann man sie vermehren?

Die Behandlung des Retrievers wird etwa 3.000 Euro kosten, schätzt Acker. "Wer war früher bereit, so viel Geld für ein Tier auszugeben? Aber der Stellenwert des Tieres ist heute ganz anders." In Hannover, berichtet Kunzmann, habe eine Doktorandin für ihre Promotion Besitzer gefragt, ob ihr Hund oder ihre Katze ein vollwertiges Familienmitglied sei. 90 Prozent der Befragten stimmten dem zu. "Die Tiere sind oft Menschenersatz", sagt auch Kramer.

Ratenzahlung

Für Tierhalter ist die Frage angesichts moderner Hightech-Methoden oft sehr schwer: Wie weit gehe ich, welche Behandlung oder Operation lasse ich noch machen, wo ist die Grenze? Bei finanziellen Schwierigkeiten bieten die Klinik-Tierärzte eine Ratenzahlung an oder schlagen eine Therapie vor, die ähnlich gut, aber billiger ist. Manchmal kommt Unterstützung von Tierschutzvereinen, oder es wird ein neuer Besitzer gesucht.

Soll man überhaupt so viel für ein Tier ausgeben? Ja, meint Tierethiker Kunzmann. Man könne es genauso hinterfragen, wenn Leute ihr Geld in ein teures Auto oder exotische Urlaube stecken.

Zwei Tierärztinnen bringen den Retriever weg, der Hund folgt ihnen, er sieht - zumindest aus menschlicher Sicht - froh aus. Acker ist zufrieden, "ihm geht's sehr gut". Trotzdem ist noch unklar, ob der Tumor nicht vielleicht bösartig war.

Sogar eine Chemotherapie sei heutzutage möglich, allerdings laufe sie anders ab als beim Menschen, erklärt Acker. "Es geht nicht darum, den Tumor komplett zu entfernen, sondern um Lebensverlängerung." Die Medikamente sind schwächer dosiert, so dass dem Tier keine Haare ausfallen und ihm auch nicht schlecht wird. "Aber theoretisch könnte man die Medikamente höher dosieren, mit denselben Nebenwirkungen wie beim Menschen." Das machten die Veterinärmediziner in Gießen aber nicht.

Verantwortung

Die "Ultima Ratio" sei das Einschläfern, sagt Ethiker Kunzmann. Wie schwierig das für manchen Tierbesitzer ist, beschreibt die Philosophin und Veganerin Hilal Sezgin, die in Niedersachsen einen Gnadenhof betreibt. Sie schildert in ihrem Buch "Artgerecht ist nur die Freiheit" das Sterben ihrer Henne Keira mit drastischen Worten. "Nach ein paar Tagen rief ich den Tierarzt zur Euthanasie. Kurz bevor der Tierarzt kam, bewegte sich Keira plötzlich wieder und fraß ein ihr dargebotenes gekochtes Ei mit Begeisterung." Immer wieder mobilisierte sie letzte Lebenskräfte. "Da flackerte er ganz deutlich auf, dieser Funke, dieser Wunsch zu leben."

Veterinär Acker sieht sich den Tieren verpflichtet. Sein Beruf sei Berufung, sagt er, er müsse nachts gut schlafen können. Er appelliert an Tierhalter: Wer sich ein Tier anschaffen wolle, mit all den heute großen Kosten und Pflichten und Fragen, solle sich das gut überlegen. "Ich nehme viel Verantwortung auf mich, wenn ich ein Tier halte."

Stefanie Walter (epd)


Die besten Freunde des Gärtners


Regenwürmer bereiten den Boden für eine reiche Ernte
epd-bild/Steffen Schellhorn
Tagein, tagaus fressen sie sich durch die Erde und belüften sie dabei. Ihr Dünger zählt zu den besten der Welt. Aber intensive Bodenbearbeitung und Pestizide bedrohen den Regenwurm.

Charles Darwin hielt den Regenwurm für eines der stärksten Tiere der Erde. Der englische Naturforscher hatte seine Karriere mit einer Rede über Regenwürmer begonnen und widmete ihnen 1881 sein letztes Buch: "Die Bildung der Ackererde durch die Tätigkeit der Würmer". Es war ein Lobpreis auf die 200 Millionen Jahre alten Tiere, die damals für Bodenschädlinge gehalten wurden: "Die Regenwürmer haben in der Geschichte der Erde eine bedeutungsvollere Rolle gespielt, als die meisten auf den ersten Blick annehmen dürften."

Die kalifornische Gartenautorin Amy Stewart kann dem Vater der Evolutionstheorie da nur zustimmen. In ihrem 2015 erschienenen Buch "Der Regenwurm ist immer der Gärtner" schreibt sie: "Regenwürmer modifizieren die Zusammensetzung der Erde, sie erhöhen ihre Fähigkeit, Wasser zu absorbieren und zu halten, und sie bewirken einen Zuwachs an Nährstoffen und Mikroorganismen." Sie weiß auch, dass ein halber Hektar Land eine Million Regenwürmer beherbergen kann, während Darwin nur 50.000 vermutet hatte.

Würmer als Bio-Indikatoren

Von den weltweit geschätzten 670 Arten - einige Schätzungen belaufen sich sogar auf mehr als 3.000 - leben 47 in Deutschland. 14 davon sind extrem selten, zwei gelten als bestandsgefährdet, wie die Bodenzoologin Ricarda Lehmitz am Senckenberg Museum für Naturkunde Görlitz erklärt. "Regenwürmer sind gute Bio-Indikatoren, weil sie sehr spezifische Ansprüche an den Boden stellen. Intensive Bodenbearbeitung sowie Chemikalien- und Pestizideinsatz können zum vollkommenen Verschwinden der Regenwürmer führen", warnt Lehmitz.

Bei der Gartenarbeit stößt man meist auf den neun bis 30 Zentimeter langen Gemeinen Regenwurm, auch Tauwurm genannt. Die Engländer und die Biologen nennen ihn Erdwurm (Lumbricus terrestris), weil er sich permanent durch die Erde wühlt. Dabei ernährt er sich von abgestorbenem organischen Material, das er von der Erdoberfläche in seine bis zu drei Meter tiefen Röhren zieht.

Beliebter Kompostwurm

Ein Wurm, den Biogärtner besonders schätzen, fühlt sich oberirdisch am wohlsten - nämlich im Komposthaufen. Dort zersetzt er gemeinsam mit Hundertfüßern, Käfern und Mikroorganismen organisches Material. Der Kompostwurm (Eisenia fetida) ernährt sich von abgestorbenen Blättern und Blüten, Blattstängeln, Kartoffelschalen und anderen Nahrungsmittelabfällen. Er wird nur sechs bis 13 Zentimeter lang.

Beide, der Kompostwurm und der Gemeine Regenwurm, produzieren mittels Verdauung einen Dünger, der nach Auskunft des Naturschutzbunds Deutschland "zu den besten der Welt gehört": Wurmhumus. Der Gartenfachhandel vertreibt ihn kommerziell. Balkongärtner können über das Internet auch Kompostwürmer bestellen, um zu Hause eine eigene "Wurmfarm" zu gründen und Küchenabfälle nachhaltig zu entsorgen.

Im Garten verraten gekringelte Minipyramiden den blinden, tauben und stummen Gehilfen unter der Erde. Dank der unermüdlichen Bohrarbeiten des Tauwurms wird lehmig-toniger Boden besser belüftet, und Pflanzen können ihre Wurzeln leichter in ihm verankern. Noch im 16. Jahrhundert hieß er "reger Wurm".

Tödlicher Regen

Richtiger Regen kann für ihn tödlich enden. Denn wenn ihn das Trommeln der Tropfen an die Oberfläche lockt, schnappt womöglich eine Amsel oder ein Fuchs nach ihm.

Lange hatte man vermutet, Regenwürmer flüchteten bei Regen nach oben, um in ihren Gängen nicht zu ertrinken. Mittlerweile ist allerdings bekannt, dass sie bis zu 35 Stunden im Wasser überleben können, indem sie ihren Organismus auf einen anaeroben Stoffwechsel durch Milchsäuregärung umschalten.

Eine umfassende Erklärung für das Verhalten des Regenwurms gibt es noch nicht. Einige kanadische und US-amerikanische Studien legen nahe, dass die Regenwürmer in Wirklichkeit vor dem Maulwurf fliehen, denn der prasselnde Regen klingt für sie wie das Grabgeräusch ihres schlimmsten Fressfeinds.

Ein altes Regenwurm-Märchen haben Biologen längst widerlegt: Wer einen Regenwurm beim Jäten versehentlich zerhackt, sollte nicht glauben, beide Teile könnten weiterleben. Nur der vordere Teil mit Mund und Hirnganglion ist regenerationsfähig. Sorgsam mit den Tieren umzugehen, zahlt sich für den Gärtner aus. Denn, so schreibt Claudia Beyerle im Fachblatt "Hessischer Kleingärtner": "Die Regenwurmmasse ist ein Indikator für die Leistung des Bodens."

Von Claudia Schülke (epd)


Amnesty: Zahl der erfassten Hinrichtungen weltweit rückläufig


Amesty-Protest in Berlin gegen Hinrichtungen in Saudi-Arabien (Archivbild)
epd-bild/Christian Ditsch

Menschenrechtler haben im vergangenen Jahr weniger Todesurteile und weniger Hinrichtungen erfasst als 2016. Nach Angaben von Amnesty International wurden 2017 mindestens 2.591 Menschen zum Tode verurteilt, nach 3.117 im Jahr davor. In 23 Ländern wurden mindestens 993 Menschen hingerichtet, 39 weniger als 2016, wie aus dem jährlichen Bericht zur Todesstrafe hervorgeht, den die Organisation am 12. April veröffentlichte. 84 Prozent der Exekutionen erfolgten in den vier Staaten Iran (mehr als 507), Saudi-Arabien (146), Irak (mehr als 125) und Pakistan (mehr als 60).

In der Statistik nicht enthalten sind jedoch wie in den Vorjahren die Zahlen aus China, wo Angaben zur Todesstrafe als Staatsgeheimnis gelten. Amnesty vermutet, dass dort weiterhin jährlich die Todesstrafe tausendfach verhängt und vollstreckt wird. Die meisten Todesurteile gab es in Nigeria (621), Ägypten (mehr als 402) und Bangladesch (mehr als 273). Zugleich haben Guinea und die Mongolei die Todesstrafe vollständig abgeschafft. Damit sind es nun noch 106 Länder, die das Urteil verhängen. Afrika sei ein Hoffnungsschimmer bei der Abschaffung der Todessstrafe, erklärte Amnesty.

Fortschritte in Afrika

Als besorgniserregend bezeichnet die Organisation die zunehmende Anwendung der Todesstrafe bei Drogendelikten. Das sei ein Verstoß gegen internationales Recht. In 15 Ländern seien Menschen im Zusammenhang mit Drogen hingerichtet oder zum Tode verurteilt worden. Weltweit lebten Ende 2017 dem Bericht zufolge insgesamt 16 Prozent mehr Menschen mit einem Todesurteil (21.919) als ein Jahr zuvor (2016: 18.848). In den USA waren es Ende 2017 2.724.

In Afrika sieht Amnesty die größten Fortschritte bei der Abschaffung der Todesstrafe. Guinea war das 20. von 49 Ländern südlich der Sahara, das sich gegen die Kapitalstrafe entschieden hat. In weiteren Staaten wird darüber diskutiert. Gambias neuer Präsident Adama Barrow verhängte im Februar ein Moratorium, um Exekutionen auszusetzen. In Burkina Faso und dem Tschad werden Gesetzesänderungen beraten.

In Afrika südlich der Sahara haben im vergangenen Jahr nur Somalia und der Südsudan Todesurteile vollstreckt. "Diese Region macht neue Hoffnung, dass die Abschaffung dieser grausamen, unmenschlichen und menschenunwürdigen Strafe in Reichweite ist", sagte Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty. Manche Staatschefs sähen in der Todesstrafe eine angeblich schnelle Lösung. "Doch die Todesstrafe ist ein Symptom für eine Kultur der Gewalt und nicht deren Lösung."

Auch in Ländern, die die Todesstrafe entschieden verfechten, verzeichnete Amnesty Fortschritte. So seien die Hinrichtungen im Iran um elf Prozent zurückgegangen. In den vergangenen 40 Jahren seien weltweit entscheidende Erfolge erreicht worden, sagte Shetty. "Aber es braucht noch mehr schnelle Maßnahmen, um die grauenhafte Praxis staatlicher Tötungen abzuschaffen."



Neue Straßennamen im Afrikanischen Viertel in Berlin

Nach jahrelangen Protesten ist der Weg für Straßenumbennungen im sogenannten Afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding frei. Der Kulturausschuss des zuständigen Bezirks Berlin-Mitte habe in seiner Sitzung am Mittwochabend empfohlen, die Lüderitzstraße, den Nachtigalplatz und die Petersallee umzubenennen, teilte das Bündnis Decolonize Berlin am 12. April mit. Künftig werden die Straßen nach der Anti-Apartheid-Kämpferin und Herero-Nationalheldin Anna Mungunda, dem Nama-Widerstandführer Cornelius Fredericks, der Familie Emily und Rudolf Duala Manga Bell aus Kamerun und nach der tansanischen Maji-Maji-Widerstandsbewegung gegen die deutschen Kolonialherren heißen. Die Petersallee bekommt dabei zwei neue Straßennamen.

In dem gemeinsamen Antrag von Grünen, Linke und SPD heißt es, das Afrikanische Viertel glorifiziere bislang immer noch den Kolonialismus und seine Verbrechen. Das beschädige auf Dauer das Ansehen Berlins. Der Antrag soll endgültig am 19. April in der Bezirksverordnetenversammlung beschlossen werden. In dem Gremium haben die drei Parteien die Mehrheit.

"Menschen aus Afrika geehrt"

Mit der Umbenennung werde der konkrete Bezug zur Geschichte der verschiedenen ehemals deutschen Kolonien weitgehend gewahrt, die Perspektive auf die Kolonialgeschichte jedoch umgekehrt, erklärte das Bündnis Decolonize Berlin, das seit Jahren für eine Änderung der umstrittenen Straßennamen kämpft. Die bisherigen Namensträger Adolf Lüderitz (1834-1886), Gustav Nachtigal (1834-1885) und Carl Peters (1856-1918) gelten als Vertreter und Wegbereiter des deutschen Kolonialismus mit zum Teil massiven rassistischen Einstellungen.

"Mit den neuen Namen werden im Afrikanischen Viertel nun nicht nur erstmals Menschen aus Afrika geehrt", erklärte Bündnis-Sprecher Tahir Della. "Es werden die gewürdigt, die im Widerstand gegen die deutschen Kolonialherren ihr Leben ließen." Die Berliner Umbenennungen könnten zudem vergleichbare Initiativen in anderen Städten anregen und als Modell dienen.

Die Umbenennung der Straßennamen hatte das Bezirksparlament bereits vor zwei Jahren beschlossen. Anfang 2017 waren schließlich 196 Vorschläge eingereicht worden, aus denen eine Jury sechs Namen auswählte. Einer der Vorschläge stieß auf heftige Kritik, weil sich die afrikanische Königin Nzinga von Ndongo und Matamba im 17. Jahrhundert am Sklavenhandel beteiligt haben soll. Die vier jetzt beschlossenen Namen gehen auf wissenschaftliche Empfehlungen zurück.



Älteste Frau Deutschlands gestorben


Edelgard Huber von Gersdorff
epd-bild/Thomas Lohnes

Die vermutlich älteste Frau Deutschlands ist gestorben. Die Karlsruherin Edelgard Huber von Gersdorff wurde 112 Jahre alt. Sie sei am 9. April friedlich zu Hause gestorben, hieß es aus ihrem nahen Umfeld. Zuletzt saß sie im Rollstuhl und konnte kaum noch sehen und nur schwer hören.

Bei ihrem 112. Geburtstag im Dezember sagte Huber von Gersdorff dem Evangelischen Pressedienst, sie wolle nicht noch älter werden. "Ich wünsche mir, sanft zu verschwinden", sagte die in der Kaiserzeit geborene Juristin.

Huber von Gersdorff kam 1905 in Gera zur Welt und wuchs als Kind einer adligen Offiziersfamilie in Karlsruhe auf. Als junge Frau erkrankte sie an Kinderlähmung. Dennoch schloss sie ein Jurastudium ab und war lange als Justiziarin bei einer Bank tätig. Noch bis vor drei Jahren ging sie ihren Hobbys nach: Opern- und Theaterbesuche sowie Gedichte schreiben.




Soziales

Urteil über Hunderttausende Stellen


Justitia muss entscheiden
epd-bild/Heike Lyding
Der Europäische Gerichtshof entscheidet am 17. April einen Fall zum kirchlichen Arbeitsrecht in Deutschland. Zugleich geht es um das Verhältnis von Religion und Staat im 21. Jahrhundert und das Verbot der Diskriminierung.

Das Urteil könnte auf lange Sicht Folgen für Hunderttausende Stellen haben. Denn der Fall, den der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 17. April in Luxemburg entscheidet, betrifft Kirchen und ihre Einrichtungen und damit einige der größten Arbeitgeber Deutschlands. Zugleich geht es um das Verhältnis von Religion und Staat im 21. Jahrhundert und das Verbot der Diskriminierung. Nicht erstaunlich, dass EuGH-Generalanwalt Evgeni Tanchev in seinem Gutachten "gar nicht genug betonen" kann, "wie heikel" die Angelegenheit ist. (AZ: C-414/16)

Bekannt ist der Fall unter dem Namen der Klägerin Vera Egenberger. Die Berlinerin bewarb sich 2012 beim Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung um eine befristete Stelle - erfolglos. Abgelehnt wurde sie allein wegen ihrer fehlenden Kirchenzugehörigkeit, ist sich Egenberger sicher. Denn die befristete Stelle drehte sich um einen Bericht zur UN-Antirassismuskonvention. Dafür verweist Egenberger auf jahrelange Tätigkeit bei Nichtregierungsorganisationen. "Mein Lebenslauf ist voll mit einschlägigen Berufserfahrungen."

Diakonie verweist auf kirchliche Selbstbestimmung

Die Diakonie hatte die Stelle tatsächlich ausdrücklich für christliche Bewerber ausgeschrieben, zweifelte aber zusätzlich Egenbergers Qualifikation an. Diese verlangte vor Gericht wegen religiöser Diskriminierung rund 10.000 Euro Entschädigung. Der Rechtsstreit ist in Deutschland bis zum Bundesarbeitsgericht gewandert. Dieses forderte den EuGH auf, die EU-Richtlinie zur Gleichbehandlung im Beruf auszulegen. Hauptfrage: Dürfen Kirchen und ihre Einrichtungen selbst bestimmen, ob sie die Konfession bei jeder möglichen Stelle vorschreiben - zum Beispiel bei Putzfrau und Gärtner ebenso wie bei Pfarrer und Chefarzt?

Die Diakonie sagt ja. Das Stichwort laute "kirchliche Selbstbestimmung", erklärt Personal-Vorstand Jörg Kruttschnitt. Die Selbstbestimmung sei durch deutsches Verfassungsrecht und Lissaboner EU-Vertrag geschützt. Daraus folge, dass kirchliche Arbeitgeber die Konfession zur Bedingung für eine Einstellung machen können. Zwar agiert die Diakonie oft pragmatisch. Längst werden auch Anders- und Nichtgläubige eingestellt. Der springende Punkt ist aber, wer hierüber bestimmt. "Woher will der Staat wissen, wie man das beurteilt?", fragt Kruttschnitt.

Egenberger meint, bei Seelsorge oder Leitungsaufgaben sei die Religionszugehörigkeit als Einstellungsvoraussetzung "nachvollziehbar, sinnvoll und akzeptabel". Anders sei dies bei Tätigkeiten wie IT-Experte oder Arzt. Hier bedeute eine Beschränkung auf Christen, "dass Nichtgläubige, Juden, Buddhisten, Muslime und andere religiöse Gruppierungen bei Einstellungen durch die Kirchen und ihre Einrichtungen diskriminiert werden könnten", erklärt Egenbergers Anwalt Klaus Bertelsmann. Auch ver.di kritisiert die aktuelle Situation. "Der Sonderstatus der Kirchen ist ein Relikt längst vergangener Zeiten", sagt Sylvia Bühler, Mitglied im Bundesvorstand der Gewerkschaft.

Deutsche Justiz entscheidet

Abschließen wird der EuGH den Fall nicht. Nach seiner Auslegung des EU-Gesetzes muss die deutsche Justiz über den konkreten Fall entscheiden. Und auf die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) könnte laut dem Bochumer Arbeitsrechtler Jacob Joussen eine Änderung des Kirchenrechtes zukommen.

Dem für die Diakonie geltenden Kirchenrecht zufolge muss im Grundsatz jeder Mitarbeiter evangelisch sein. Ausnahmen galten lange nur für Christen anderer Konfession. Seit 2017 können ausnahmsweise auch Anders- und Nichtgläubige eingestellt werden - was in der Praxis allerdings schon zuvor der Fall war. Es könnte sein, dass das Kirchenrecht nach dem EuGH-Urteil erneut und noch weiter für Konfessionslose geöffnet werden müsste, meint Joussen.

Der Jura-Professor, der EKD-Ratsmitglied ist, plädiert ohnehin dafür, die evangelische Prägung kirchlicher Einrichtungen nicht zu sehr an ihren Mitarbeitern festzumachen. "Das Selbstverständnis im Haus, Glaubenskurse, Gottesdienste, Seelsorge – das sind Kriterien, die ich mir besser als Ausdruck für eine christliche Prägung vorstellen kann."

Von Phillipp Saure (epd)


Diakonie: Vergleich nach Kündigung wegen Kirchenaustritts

Der Arbeitsrechtsstreit um eine Diakoniebeschäftigte in Niedersachsen hätte aus Sicht des Richter das Potenzial gehabt, "Rechtsgeschichte" zu schreiben. Doch um ein Urteil kam das Landesarbeitsgericht herum.

Der Rechtsstreit um die Kündigung einer Diakoniebeschäftigten nach deren Austritt aus der evangelischen Kirche ist ohne Urteil beigelegt worden. Die Konfliktparteien einigten sich am 9. April in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen in Hannover auf einen finanziellen Vergleich. Der mittlerweile 65-Jährigen war im Juli 2017 vom Diakonischen Werk Wolfsburg fristlos gekündigt worden, weil sie aus der Kirche ausgetreten war. (AZ: 12 SA 1258/17)

Sie habe sich an ihrem Arbeitsplatz in einem Alten- und Pflegeheim "sehr unchristlich" behandelt gefühlt, sagte ihr Rechtsanwalt Oliver Nowak. Darum sei sie aus der Kirche ausgetreten. Die Diakonie führte dagegen an, die Klägerin habe mit dem Austritt die elementare Loyalitätspflicht gegenüber einem kirchlichen Arbeitgeber verletzt.

Seit ihrer außerordentlichen Kündigung lebte die Frau von Arbeitslosengeld. Das Diakonische Werk wird nach dem geschlossenen Vergleich nun den Differenzbetrag zwischen ihrem früheren Lohn und dem jetzigen Einkommen für ein Jahr bis zu ihrem Renteneintritt bezahlen. Das Braunschweiger Arbeitsgericht hatte die Kündigung in erster Instanz für nichtig erklärt.

"Grundsätzliche Dimension"

Der Fall hätte auch das Potenzial gehabt, "Rechtsgeschichte" zu schreiben, wenn die Klägerin das Vergleichsangebot ausgeschlagen hätte, sagte Richter Tobias Walkling in der Verhandlung. In der Frage kirchlicher Einstellungs- und Entlassungsregeln habe der Fall eine "grundsätzliche Dimension".

Der Anwalt der Klägerin sagte, es müsse rechtlich eindeutig geregelt sein, was kirchliche Arbeitgeber dürfen, bevor staatliche Instanzen eingreifen. "Jeder andere Arbeitgeber würde sich über solche zugriffsfreien Zonen, wie sie die Kirche hat, sehr freuen." Eine Kirchenmitgliedschaft sei nicht zwingend nötig, wenn die Tätigkeit wenig bis nichts mit der Verkündigung christlicher Botschaften zu tun habe, sagte Nowak. Diakonie-Anwalt Niclas Schulz-Koffka argumentierte, es könne nicht Sache des Staates sein zu entscheiden, welche Tätigkeit in kirchlichen Einrichtungen als "verkündigungsnah" eingestuft werden.



Niedersachsen weist Arbeitgeber-Kritik an Feiertagsplänen zurück

Die niedersächsische Landesregierung hat Kritik der Arbeitgeber an dem geplanten neuen Feiertag in Norddeutschland zurückgewiesen. "Die Schaffung eines neuen Feiertages führt nicht dazu, dass die Beiträge zur Pflegeversicherung für die Arbeitnehmer steigen", sagte ein Sprecher des SPD-geführten Sozialministeriums am 11. April in Hannover. Die rot-schwarze Landesregierung in Niedersachsen favorisiert den Reformationstag am 31. Oktober als neuen Feiertag und hat bereits einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt.

Die Arbeitgeberverbände hatten am Dienstag argumentiert, Arbeitnehmer müssten höhere Beiträge zur Pflegeversicherung zahlen, wenn ein neuer Feiertag eingeführt werde. Im Schnitt liege die Mehrbelastung bei rund 230 Euro im Jahr pro Arbeitnehmer. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach von "abenteuerlichen" Schlussfolgerungen und "Tricks" der Arbeitgeber. Diese schürten Panik, wo es nichts zu schüren gebe, sagte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Gemeinsame Linie im Norden

Die Arbeitgeber berufen sich auf das Pflegeversicherungsgesetz, wonach die Arbeitnehmer in Sachsen mit einem um 0,5 Prozentpunkte höheren Pflegeversicherungsbeitrag dafür aufkommen, dass in dem ostdeutschen Bundesland der Buß- und Bettag weiterhin ein Feiertag ist. Dieser war mit der Einführung der Pflegeversicherung 1994 bundesweit abgeschafft worden, um die Einbußen der Arbeitgeber durch die damals neuen zusätzlichen Beiträge zur Pflegeversicherung zu kompensieren.

Der Sprecher des niedersächsischen Sozialministeriums, Uwe Hildebrandt, betonte dagegen, das Gesetz von 1994 lasse keinen Umkehrschluss auf eine Erhöhung der Beiträge durch einen neuen Feiertag zu: "Die Regelungen im Sozialgesetzbuch färben nicht unmittelbar auf das Feiertagsrecht ab." Für die Bundesländer gebe es keine Beschränkungen, neue Feiertage einzurichten.

Die Ministerpräsidenten der norddeutschen Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein hatten sich Anfang Februar auf eine gemeinsame Linie zur Einführung des Reformationstags als neuem Feiertag verständigt. Schleswig-Holstein und Hamburg haben den 31. Oktober bereits zum gesetzlichen Feiertag erklärt. In Bremen hat die Bürgerschaft in erster Lesung für den Reformationstag votiert.



Schulklage gegen Inklusionsklasse löst Kritik aus

Die Klage eines Bremer Gymnasiums gegen die Einrichtung einer Inklusionsklasse für Schüler mit geistiger und körperlicher Behinderung hat eine Welle der Kritik ausgelöst. Der Landesbehindertenbeauftragte Joachim Steinbrück sagte am 10. April dem epd, der nach deutschem Recht und UN-Behindertenrechtskonvention gültige Auftrag zur Inklusion gelte auch für Gymnasien. "Den Ausgrenzungen behinderter Menschen in Schulen müssen dringend Grenzen gesetzt werden."

Besonders problematisch findet Steinbrück, dass die Schulleitung des Gymnasiums Horn vor dem Verwaltungsgericht gegen die Entscheidung der Behörde vorgehen will, an der Schule eine Inklusionsklasse einzurichten. "Der Klageweg polarisiert ungemein. Eine gerichtsnahe Mediation wäre die bessere Lösung." So könne geklärt werden, welche Bedingungen geschaffen werden müssten, damit Jugendliche auf das Abitur ausgerichtet und gleichzeitig Schüler mit Unterstützungsbedarf angemessen unterrichtet werden könnten.

GEW: Klage beschämend

Schulleiterin Christel Kelm hat die Klage nach einem Bericht des Bremer "Weser-Kurier" (Dienstag) eingereicht, weil sie der Auffassung ist, dass geistig behinderte Kinder dem Anforderungsniveau auf dem Gymnasium nicht gewachsen sind. Darum allerdings gehe es im Inklusionsunterricht auf dem Gymnasium gar nicht, widersprach Steinbrück. "Es geht darum, nach Lernzielen differenziert zu unterrichten."

Kritik kam auch von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Wir unterstützen alle Bemühungen, die Ausstattung von Schulen im Sinne einer gelingenden Inklusion zu verbessern. Dies ist auch angesichts des Fachkräftemangels und unzureichender Grundausstattung dringend notwendig", sagte ihr Sprecher Christian Gloede. Dass nun ausgerechnet ein Gymnasium den Klageweg beschreite, um Inklusion gänzlich zu verhindern, sei auch Ausdruck eines längst überwunden geglaubten Standesdünkels.

"Diese Klage ist zudem geeignet, die soziale Spaltung in der Stadt voranzutreiben", erklärte Gloede. Die Klage sei auch beschämend, weil suggeriert werde, dass inklusiver Unterricht an einem Gymnasium nicht möglich sei.




Medien & Kultur

Youtube-Kanal: "Jana" über Poetryslam, Liebe und Glauben


Jana Highholder
epd-bild/Jana Highholder
Die evangelische Kirche will mit der 19-Jährigen die jungen Leute "dort erreichen, wo sie medial unterwegs sind. Und das sind derzeit vor allem Youtube, Instagram und Facebook", sagt GEP-Direktor Bollmann.

Mit dem Youtube-Kanal "Jana" will die evangelische Kirche künftig junge Leute erreichen, die nach dem Sinn des Lebens fragen. Die 19-jährige Poetryslammerin Jana Highholder lässt ihr Publikum dabei an ihrem Alltag als Slammerin, Medizinstudentin und Christin teilnehmen, wie das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) am 13. April zum Start des neuen Kanals in Frankfurt mitteilte.

Wöchentlich spricht Jana den Angaben zufolge über die kleinen und großen Ereignisse im Leben junger Menschen, über Liebe und über ihren Glauben. "Gerade weil es in einer so schnelllebigen Welt gar nicht so einfach ist, etwas Beständiges zu finden, will ich zeigen, wie mich der Glauben trägt und mir im Leben hilft. Und ich will ständig im Dialog mit denen sein, die mir zuschauen", sagte die Studentin aus Münster.

Auch auf Instagram präsent

Das Youtube-Angebot richtet sich an junge Menschen im Alter zwischen 14 und 29 Jahren. Begleitend zum Youtube-Kanal ist Jana auch auf den sozialen Netzwerken Facebook und Instagram präsent. Das Projekt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wird vom GEP und von der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) gemeinsam verantwortet. Produziert wird der Kanal von dem Online-Video-Unternehmen Mediakraft aus Köln.

"Wir möchten jungen Menschen zeigen, wie aktuell die christliche Botschaft auch heute ist und sie dort erreichen, wo sie medial unterwegs sind. Und das sind derzeit vor allem Youtube, Instagram und Facebook", erklärte GEP-Direktor Jörg Bollmann. aej-Generalsekretär Mike Corsa fügte hinzu, Jugendliche fänden "in ihren Medien auf Fragen zu Glaube und Spiritualität fast keine Antworten". Mit dem neuen Youtube-Angebot wolle die Kirche mit ihren Antworten im Alltag junger Menschen präsenter werden.

Auch Bischofskonferenz bei Youtube

Das GEP ist das zentrale Mediendienstleistungsunternehmen der EKD, ihrer Gliedkirchen, Werke und Einrichtungen. Es trägt neben der epd-Zentralredaktion unter anderem die Redaktionen des evangelischen Magazins "chrismon" und des Internetportals "evangelisch.de" und organisiert die Rundfunkarbeit der EKD. Die aej ist der Zusammenschluss der Evangelischen Jugend in Deutschland, der Verband vertritt die Interessen von etwa 1,35 Millionen jungen Menschen.

Die katholische Deutsche Bischofskonferenz hatte bereits 2016/2017 einen Youtube-Kanal für junge Leute angeboten. In "Valerie und der Priester" begleitete die eher kirchenferne Berliner Journalistin Valerie Schönian den Priester Franziskus von Boeselager in seinem Alltag. Die Bischöfe bewerteten das Projekt anschließend als positiv; den Angaben zufolge lag die Zahl der Nutzer in den sozialen Netzwerken bei bis zu einer Million im Monat.



Demontage auf Raten


Chris Dercon, damals noch Direktor der Tate Modern, mit US-Sängerin Patti Smith und einem Foto von Ai Weiwei auf einer Kundgebung für die Meinungsfreiheit im Mai 2015 in Berlin.
epd-bild/Rolf Zoellner
Die Berliner Volksbühne steht vor einem Neuanfang: Nach Beleidigungen, Häme, Schmähungen und einem Rückgang der Zuschauerzahlen hat Intendant Chris Dercon das Handtuch geworfen.

Von Anfang an stand die Intendanz von Chris Dercon unter keinem guten Stern: Mit seinem am 13. April bekannt gegebenen Rücktritt als Chef der Berliner Volksbühne hat der 59-jährige Belgier jetzt die Konsequenzen gezogen. In einer Pressemitteilung erklärte Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke), er sei mit Dercon übereingekommen, dass dessen Konzept "nicht wie erhofft aufgegangen ist, und die Volksbühne umgehend einen Neuanfang braucht". Beide hätten sich einvernehmlich darauf verständigt, die Intendanz mit sofortiger Wirkung zu beenden.

Die Intendanz Dercons war geprägt durch stetige Kritik und Schmähungen, aber auch von zurückgehenden Zuschauerzahlen. Medienberichten zufolge stand die Volksbühne vor einem finanziellen Kollaps. Laut Recherchen von NDR, RBB und "Süddeutscher Zeitung" wurden zu wenig Sponsorengelder eingeworben, Einnahmen blieben hinter den Erwartungen zurück und Eigenproduktionen wurden teurer als veranschlagt. Lederer sagte nach einer Belegschaftsversammlung in der Volksbühne, es habe die Gefahr bestanden, "dass die Spielfähigkeit verloren geht".

Schwierige Castorf-Nachfolge

Kommissarisch übernimmt jetzt Klaus Dörr die Intendanz von Berlins größtem Sprechtheater. Er ist designierter Geschäftsführer der Volksbühne und zugleich noch Künstlerischer Direktor am Schauspiel Stuttgart. Intendant ist dort Armin Petras, der schon als Nachfolger Dercons an der Volksbühne gehandelt wird. Petras kennt die Berliner Theaterszene. Er ist unter anderem in Ost-Berlin aufgewachsen und war von 2006 bis 2013 bis zu seinem Wechsel nach Stuttgart Intendant des Maxim-Gorki-Theaters.

Dercon hatte erst im vergangenen Sommer die Nachfolge des langjährigen Volksbühnen-Chefs Frank Castorf angetreten. Schon damals wurde deutlich: Nicht nur Castorf fiel nach 25 Jahren der ungewollte Abschied schwer. Auch Teile des Ensembles fürchteten eine Abwicklung des etablierten Theaterbetriebes. Kritiker warfen dem Belgier vor, aus der ehrwürdigen Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz eine Eventbude machen zu wollen.

Dercon, der zuvor Direktor des Londoner Museums Tate Modern war, wurde nicht zuletzt auch fehlende Theatererfahrung vorgeworfen. Für die Berufung des Kunsthistorikers, Kurators und Kulturmanagers hatte sich vor allem der damalige Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) stark gemacht. Zum Abgang Dercons sagte Renner der "Berliner Zeitung" (Online) selbstkritisch, er sei mit seiner damaligen Personalentscheidung nicht erfolgreich gewesen. Die Nachfolge Castorfs anzutreten sei ein schwieriger Auftrag der Stadt Berlin gewesen: "Chris Dercon ist ihn mit einem mutigen Konzept angegangen."

Kulturrat bedauert den Rücktritt

Der Deutsche Kulturrat bedauerte den Rücktritt des Volksbühnen-Intendanten. Nicht Dercon habe versagt, sondern die Politik, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Renner habe eine modernere Volksbühne mit Festivalcharakter im Sinn gehabt: "Für diese Idee war Dercon die richtige Person." Aber offenbar sei die Volksbühne für den angestrebten Politikwechsel nicht das richtige Theater gewesen.

Der silberhaarige und stets mit Schal bekleidete Dercon war mit einem ambitionierten Programm in seine erste Spielzeit gestartet. Zwischen September 2017 und Januar standen 16 Premieren auf dem Spielplan, davon 13 eigene, teils spartenübergreifende Produktionen mit Gastensembles. Die Kritiken dagegen blieben oft verhalten.

Wie geht es weiter in der Volksbühne? Lederer setzt jetzt auf "Gründlichkeit vor Schnelligkeit". Zugleich machte er am Freitag deutlich, dass er die Volksbühne wieder zu einem erfolgreichen Ensemble- und Repertoiretheater machen will. Ganz in der Tradition von Theaterlegenden wie Max Reinhardt und Erwin Piscator, die in dem 1914 eröffneten imposanten Bau inszenierten. Ob die im vergangenen Jahr aus Protest erfolgte Demontage des "Ost"-Schriftzugs auf dem Dach des Hauses und des berühmten Räuberrads auf der Wiese davor rückgängig gemacht wird, wird sich zeigen.

Von Lukas Philippi (epd)


Ein echter Preis für den falschen Star

Ludwig Lehner, besser bekannt als falscher Ryan Gosling, und ZDF-Satiriker Jan Böhmermann hatten bei der Grimme-Preisverleihung im Theater Marl die Lacher auf ihrer Seite. Doch es ging auch um bedrohte Pressefreiheit weltweit.

Der falsche Ryan Gosling war der Star des Abends. Ob auf dem roten Teppich vor dem Theater Marl, in der Sitzreihe beim Einnehmen der Plätze oder nach der Show - stets stand Ludwig Lehner im Blitzlichtgewitter der Fotografen. Die ProSieben-Komiker Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf hatten es 2017 geschafft, den Koch aus Bayern in die Übertragung der "Goldenen Kamera" im ZDF einzuschleusen - und der Fake fiel erst auf, als der falsche Gosling live vor Millionenpublikum seinen Preis Joko und Klaas widmete. Für diesen Streich gab es am Abend des 13. Oktober den Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung.

Lehner, der dem Hollywoodstar Gosling verblüffend ähnlich sieht, durfte eine der begehrten Trophäen in Empfang nehmen. Die Moderatorin der gut zweistündigen Preisgala, die TV-Journalistin Annette Gerlach, brachte die Absurdität des Moments auf den Punkt: "Sie kriegen jetzt den Grimme-Preis, obwohl Sie weder Schauspieler noch Regisseur sind", sagte sie durchaus anerkennend zu dem 28-Jährigen. Mit der realen Preisverleihung an einen Fake-Preisträger vollendete sich die "bitterböse Medienkritik", die die Jury in der als "#GoslingGate" bekanntgewordenen Aktion sah.

"Marl nie langweilig"

Auch der ZDF-Satiriker Jan Böhmermann war bei der 54. Vergabe des wichtigsten deutschen Fernsehpreises ein gefragter Mann und sorgte für zahlreiche Lacher. "Marl wird nie langweilig", antwortete er betont bierernst auf die Frage der Moderatorin, ob mit dem inzwischen vierten Grimme-Preis nicht langsam die Luft raus sei. Die Auszeichnung bekam er diesmal für seinen Beitrag "Max Giesinger und die deutsche Industriemusik" aus dem "Neo Magazin Royale". Darin zeigt er auf, dass die Musik der sogenannten neuen deutschen Pop-Poeten oft nur aus beliebigen Versatzstücken zusammengesetzt ist.

Höhepunkt des prämierten Böhmermann-Beitrags ist der Nonsens-Song "Menschen Leben Tanzen Welt", den Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo zufällig aus Textfragmenten zusammengebastelt hatten. Damit wollte Böhmermann eigentlich in diesem Jahr auch den Musikpreis Echo gewinnen - was allerdings nicht funktionierte. "Wir hätten vielleicht noch ein paar bissige Holocaustreferenzen einbauen sollen", ätzte Böhmermann auf der Bühne in Richtung Echo. Einen Tag zuvor waren die Rapper Kollegah und Farid Bang mit dem Musikpreis geehrt worden. Mit Songzeilen wie "Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen" hatten sie in der Öffentlichkeit scharfe Kritik auf sich gezogen.

"Babylon Berlin"

Die meisten Grimme-Einzelpreisträger entfielen in diesem Jahr auf die historische Krimiserie "Babylon Berlin", die in der Kategorie Fiktion erfolgreich war. Gleich 14 Personen bekamen die Trophäe, wodurch es auf der Bühne des Marler Theaters ziemlich eng wurde. Regisseur und Autor Tom Tykwer bestätigte, dass die Koproduktion von ARD und Sky ab Oktober im Ersten zu sehen sein wird. Zwei neue Staffeln seien bereits in Arbeit und könnten in gut anderthalb Jahren ausgestrahlt werden, ergänzte Achim von Borries, der neben Tykwer und Henk Handloegten zu den Schöpfern der Serie gehört.

Für ernste Töne bei der Preisverleihung sorgten der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und die Direktorin des Grimme-Instituts, Frauke Gerlach. Sie verwiesen auf bedrohte Pressefreiheit weltweit und auf die Notwendigkeit eines seriösen Journalismus in Zeiten von Fake News, wie er in der Grimme-Kategorie Information & Kultur ausgezeichnet wird. "Heute hat man den Eindruck, dass Regierungschefs fiktionaler sind als das Fernsehen", sagte Laschet in Anspielung auf US-Präsident Donald Trump. Wo Fake zur Realität werde, sei eine Auszeichnung wie Grimme enorm wichtig. "Wenn es heute keinen Grimme-Preis gäbe, müsste man ihn dringend erfinden", resümierte der Ministerpräsident.

Von Michael Ridder (epd)


Literaturnobelpreis-Jury im Desaster

Die Schwedische Akademie, die den Literaturnobelpreis vergibt, droht an einem Skandal zu zerbrechen. Mit dem Rücktritt von Sara Danius ist die Jury nicht mehr beschlussfähig und die Zukunft der höchstrenommierten Auszeichnung offen.

Die Schwedische Akademie, die den Literaturnobelpreis vergibt, erlebt ihre derzeit schwerste Krise. Wegen eines Skandals um sexuelle Übergriffe und Korruption ist die Ständige Sekretärin, Sara Danius, zurückgetreten. Wie die Akademie am 13. April in Stockholm bestätigte, zog sich Danius am Vorabend mit sofortiger Wirkung aus dem Amt zurück. Auch die schwedische Lyrikerin Katarina Frostenson, deren Mann im Zentrum der Vorwürfe steht, trat zurück. Der deutsche PEN reagierte mit Verständnis auf die Entscheidung von Danius.

Das 18-köpfige Auswahlgremium, das sich im Streit über den Skandal gespalten hatte, ist damit den Statuten zufolge nicht mehr beschlussfähig. Zurzeit sind nur noch elf der auf Lebenszeit gewählten Mitglieder aktiv. Die Akademie, die die schwedische Sprache und Literatur fördern soll, besteht seit 1786.

Vorwürfe sexueller Belästigung

Die schwedische Literaturprofessorin Danius gehört der Akademie seit 2014 an und übernahm 2015 den Vorsitz. Sie legte mit dem Vorsitz zugleich auch ihren Sitz in dem Gremium nieder. Formell bleibt sie weiterhin Mitglied, da die Satzung keine Rücktritte vorsieht. Die 56-Jährige war wegen ihres Umgangs mit dem Skandal in den vergangenen Wochen heftig teils kritisiert worden.

Dabei waren Vorwürfe laut geworden, der Ehemann von Frostenson, der Kulturmanager Jean-Claude Arnault, habe vorab Namen von Literaturnobelpreisträgern bekanntgegeben. Auch geht es um eine Unterstützung der Akademie für das "Kulturforum", das das Paar in Stockholm betrieb. Es wurde 2017 geschlossen, nachdem Arnault der sexuellen Belästigung beschuldigt worden war. Er soll 18 weibliche Akademiemitglieder, Frauen und Töchter von Mitgliedern sowie Mitarbeiterinnen belästigt oder missbraucht haben.

Akademie gespalten

Bei einer Abstimmung über den Ausschluss von Frostenson aus der Akademie stimmten Medienberichten zufolge lediglich sechs Mitglieder dafür, darunter Danius; acht sprachen sich dagegen aus. Drei Mitglieder legten daraufhin bereits Ende vergangener Woche aus Protest ihre Jurorenämter nieder. Nun zog auch Danius die Konsequenzen aus ihrer Abstimmungsniederlage.

Die Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland, Regula Venske, reagierte mit Verständnis auf diesen Schritt. "Den Rücktritt bedaure ich persönlich, aber kann ihn nachvollziehen", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Ausscheiden der Lyrikerin Katarina Frostenson dagegen sei überfällig gewesen. Deren Verhalten bezeichnete Venske als "eklatantes Fehlverhalten".

Die Präsidentin der Schriftstellervereinigung äußerte die Hoffnung, dass es der Akademie gelinge, sich neu aufzustellen und so zu regenerieren, dass sie wieder beschlussfähig werde. Für die Zukunft des Preises wünsche sie sich "die Erweiterung der internationalen Perspektive und wieder mutige Entscheidungen abseits des Mainstreams", sagte Venske.



Nannen-Preis für Martin-Schulz-Reportage

"Spiegel"-Autor Markus Feldenkirchen hat mit seinem Portrait über den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz den Nannen-Preis für die beste Reportage (Egon Erwin Kisch-Preis) gewonnen. Unter dem Titel "Mannomannomann" hatte Feldenkirchen unter anderem Schulz' Rückschläge im Wahlkampf und seine Niedergeschlagenheit wegen schlechter Umfragewerte geschildert. Er rechne es dem SPD-Politiker hoch an, dass er ihm einen sehr persönlichen Zugang "an den Pressestellen vorbei" ermöglicht habe, sagte Feldenkirchen am 11. April bei einer Gala in der Hamburger Elbphilharmonie. Die Reportage erschien dann nach der Bundestagswahl.

Der undotierte Nannen-Preis wurde in sechs Kategorien verliehen. Gala-Moderatorin Caren Miosga kritisierte den geringen Frauenanteil unter den Preisträgern. Für die "Investigative Leistung" ging die Auszeichnung an das Team der "Zeit" für "Ein Anschlag ist zu erwarten". Detailliert werden die zahlreichen Pannen der Behörden vor dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 dokumentiert.

Preise für "Zeit" und "Stern"

Als beste Dokumentation wurde "Warum verdient Frau Noe nicht mehr?" der "Zeit" ausgezeichnet. Catarina Lobenstein portraitiert darin eine Frau, die als Pflegekraft netto nicht einmal 1.800 Euro verdient, obwohl die Nachfrage in der Pflege groß ist.

Der Nannen-Preis für das beste Web-Projekt ging an den "Tagesanzeiger" aus Zürich für die Gletscher-Reportage "In eisigen Tiefen". Mit animierten Grafiken, 360-Grad-Aufnahmen und Videos habe das Team dramaturgisch perfekt die Situation im Gletscher körperlich nahe gebracht, hieß es in der Begründung.

Für die beste "Inszenierte Fotografie" wurde der Australier Adam Ferguson ausgezeichnet. Unter "Dem Jenseits entkommen" hatte der "Stern" seine Fotos von nigerianischen Mädchen veröffentlicht, die von der Terrororganisation Boko Haram entführt worden waren. Ferguson habe das Leid der missbrauchten Mädchen inszeniert, ohne sie zu entblößen, lobte die Jury.

Den Preis für die beste Reportage-Fotografie erhielt der Argentinier Pablo Ernesto Piovano für seine "Stern"-Reportage "In einem vergifteten Land". Portraitiert wurden dort die von Krankheiten, Missbildungen und Tod gezeichneten Opfer eines Unkrauvernichtungsmittels.

Recherchen zum islamischen Terror

Den Sonderpreis der "Stern"-Chefredaktion erhielt die deutsch-marokkanische Journalistin Souad Mekhennet ("Washington Post") für ihre Recherchen zum islamistischen Terror. Um die Motive der Terroristen zu beschreiben, hatte sie mehrfach hochrangige Terroristenführern getroffen. Sie berichte schonungslos über Terroristen, um zu verstehen, was diese antreibe, sagte "Stern"-Chefredakteur Christian Krug.

Der Nannen Preis gilt als bedeutendste Auszeichnung für Journalisten in Deutschland und wird seit 2005 vergeben. Stifter sind der "Stern" und das Verlagshaus Gruner + Jahr. Der Preis erinnert an den "Stern"-Gründer und langjährigen Chefredakteur Henri Nannen (1913-1996).



Belästigungsvorwürfe: WDR sieht keine Versäumnisse

Der WDR hat Vorwürfe zurückgewiesen, verantwortliche Führungskräfte hätten in den vergangenen Jahren Hinweise auf sexuelle Belästigung durch zwei Fernsehkorrespondenten nicht ausreichend ernst genommen. In beiden jetzt bekanntgewordenen Fällen seien Vorwürfe und Gerüchte geprüft worden, hätten sich aber nicht erhärten lassen, teilte der Sender am 13. April in Köln mit. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) forderte eine lückenlose Aufklärung der Fälle.

In einem der beiden Fälle habe es 2010 eine hausinterne Untersuchung gegeben, erklärte der WDR. Alle Betroffenen hätten jedoch ausdrücklich anonym bleiben wollen, etwaige Vorfälle hätten sich nicht konkretisieren lassen. Die Anschuldigungen hätten daher nicht abschließend aufgeklärt werden können. In dem anderen Fall sei der damalige Chefredakteur Jörg Schönenborn nach seinem Amtsantritt Gerüchten nachgegangen, die sich auf die Zeit um 1990 bezogen hätten, erklärte der Sender. Die Prüfung habe jedoch keinen Nachweis für die Gerüchte erbracht.

Korrespondent freigestellt

Erst 2016 seien konkrete Vorwürfe erhoben worden, die konsequent überprüft worden seien, hieß es. Dem betreffenden Mitarbeiter sei schriftlich die Kündigung angedroht worden für den Fall, dass sich die Vorwürfe erhärteten oder neue Vorwürfe bekannt würden. Der beschuldigte TV-Korrespondent ist inzwischen wegen Belästigungsvorwürfen freigestellt.

Das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte berichtet, Schönenborn, der heute Fernsehdirektor beim WDR ist, habe einen der Beschuldigten vor Jahren befördert, obwohl er von den Vorwürfen gewusst habe. Den anderen habe er "auf prestigeträchtige Korrespondentenstellen" geschickt, obwohl er die Gerüchte über sexuelle Belästigung aus den 90er Jahren gekannt habe. Schönenborn erklärte dazu, er habe die Personalentscheidungen damals "auf der Grundlage der mir vorliegenden Fakten" getroffen, und fügte hinzu: "Mit dem Wissen von heute hätte man damals andere Entscheidungen getroffen."

DJV fordert Aufklärung

Zuvor hatten das Recherchebüro "Correctiv" und der "Stern" berichtet, mehrere Frauen hätten dem Auslandskorrespondenten sexuelle Belästigung vorgeworfen. Der Mann habe unter anderem anzügliche Nachrichten geschrieben und nach einer internen Untersuchung 2017 einen Eintrag in die Personalakte erhalten. In einem weiteren Fall hätten mehrere Frauen 2010 vertrauliche Gespräche mit einer Personalrätin geführt. In der Folge sei aber nicht etwa der Mann abgemahnt worden, gegen den die Vorwürfe erhoben wurden, sondern ein Hinweisgeber habe eine Ermahnung bekommen. Ihm sei verboten worden, von sexueller Belästigung in der Programmgruppe zu reden.

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) in NRW forderte, den Worten nun auch Taten folgen zu lassen. Die WDR-Geschäftsleitung müsse die Vorwürfe lücken- und schonungslos aufklären, erklärte DJV-Landesgeschäftsführer Volkmar Kah. Der Sender müsse zudem nicht nur die jetzt aufgefallenen Fälle aufarbeiten, sondern auch die Strukturen, wie mit solchen Vorwürfen umgegangen werde. "Das Signal, dass vermeintliche Täter mehr oder weniger ungeschoren davonkommen, Kollegen, die Zivilcourage zeigen und sich für Aufklärung einsetzen, ist fatal", sagte er.



Max Hollein wird Direktor des Metropolitan Museum of Art


Max Hollein
epd-bild/Thomas Lohnes

Max Hollein wird neuer Direktor des Metropolitan Museum of Arts in New York. Das teilte das Haus am Central Park am 10. April mit. Der frühere Museumschef des Frankfurter Städel leitet seit 2016 das Fine Arts Museum in San Francisco. Sein neues Amt will er den Angaben zufolge im kommenden Sommer antreten. Der 48-Jährige gilt als einer der weltweit renommiertesten Ausstellungsmacher.

Der Kuratoriumsvorsitzende des Metropolitan, Daniel Brodsky, sagte, Hollein sei ein "innovativer und inspirierender Museumsleiter". Als Kurator und Direktor habe er außergewöhnliche Fähigkeiten beim Aufbau von Sammlungen, Erschließen neuer Publikumsschichten und institutioneller Weiterentwicklung bewiesen, erklärte das New Yorker Museum nach dessen Wahl.

Zwei Millionen Exponate

Der gebürtige Wiener hatte nach dem Studium von Kunstgeschichte und Betriebswirtschaftslehre seine Karriere im Guggenheim Museum in New York gestartet. 2001 wurde er an die Frankfurter Kunsthalle Schirn berufen, 2006 kamen die Leitung von Städel und Liebieghaus dazu. Hollein machte mit ambitionierten und publikumträchtigen Ausstellungen - etwa zu Dürer, Botticelli oder Monet - von sich reden.

Im Metropolitan Museum of Art wird Hollein für die enzyklopädische Sammlung von fast zwei Millionen Objekten aus 5.000 Jahren zuständig sein. Neben dem 1870 gegründeten Stammhaus am Central Park gehören noch die Met Breuer für moderne und zeitgenössische Kunst (Madison Avenue) sowie die Met Cloisters mit mittelalterlicher Kunst am Hudson River im Norden Manhattans zu dem Museumskomplex.

Ihn reize es, an einem Ort zu arbeiten, an dem die Besucher die künstlerische Errungenschaft der Menschheit aus erster Hand erleben könnten, sagte Hollein. Zusammen mit dem Met-Präsidenten Dan Weiss hoffe er, das Museum in die Zukunft zu führen und seine Besucher zu inspirieren.

Finanzielle Krise

Das Metropolitan, dass rund 6,7 Millionen Besucher im Jahr zählt, war zuletzt in eine finanzielle Krise geraten. Das Mega-Museum, dass sich weitgehend aus Spenden, Mitgliedschaften, freiwilligen Eintrittsgeldern und Investments finanziert, machte 2015/16 Verluste in Höhe von acht Millionen Dollar. Insgesamt drohte trotz Sparmaßnahmen ein Haushaltsloch von 40 Millionen Dollar. Direktor Thomas Campbell musste gehen.

Der Museumsmanager und Netzwerker Hollein kann indes eine starke Erfolgsbilanz vorzeigen: In Frankfurt vergrößerte er die Städel-Sammlung mit Ankäufen und Leihgaben. Er wurde zum Motor für einen Erweiterungsbau des Städel, dessen Ausstellungsfläche sich fast verdoppelte. Zudem initiierte Max Hollein die digitale Präsentation der Museen, was zum Vorbild für andere europäische Häuser wurde. Auch in Kalifornien realisierte er Ausstellungen mit hohen Besucherzahlen, darüber hinaus organisierte er das Museum of Fine Arts in San Francisco neu und führte es unter striktem Finanzmanagement zu einem ausgeglichenem Budget.



Glasfenster am Naumburger Dom werden restauriert


Die Glasfenster am Naumburger Dom werden restauriert
epd-bild/Steffen Schellhorn

Der einmalige Glasmalereibestand des Naumburger Doms wird restauriert. Die Glaskunst des Bauwerkes umfasst unter anderen Meisterwerke aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert und Ergänzungen aus dem 19. Jahrhundert, wie die Vereinigten Domstifter am 12. April mitteilten. Gravierende Schäden im historischen Bestand machten nun mehrjährige Konservierungsarbeiten notwendig. Vor allem schädliche Umweltbedingungen hätten dem Glas und seinen Oberflächen in den vergangenen 130 Jahren zugesetzt, hieß es.

Für 2017 bis 2019 sei die Finanzierung sichergestellt, erklärten die Vereinigten Domstifter. Zunächst werden die Glasfenster des Westchores instandgesetzt. Sobald die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, sollen die Arbeiten an den Fenstern des Ostchores fortgesetzt werden. Seit Dezember widmen sich vier Restauratorinnen und Projektleiter Ivo Rauch dem Vorhaben in einer temporär neben dem Dom eingerichteten Glasrestaurierungswerkstatt. Das Team der Werkstatt setzt sich aus Absolventinnen aller europäischer Hochschulen zusammen, die Glasrestaurierung als Studienfach anbieten: York, Erfurt und Antwerpen.

267 Glasfelder in Messingrahmen

Zu den Aufgaben gehört auch Grundlagenforschung zu Materialien und bisherigen Restaurierungsarbeiten. Obwohl bereits in den 1940er und 1960er Jahren Restaurierungen stattfanden, gehe der Verfall von Glas und Bemalung immer weiter voran, hieß es. Filigrane Malschichten lösten sich teilweise ab, einzelne Gläser seien rissig. Zudem hätten Kleber und Kunststoffe bei früheren Arbeiten zu Veränderungen am Glasbestand geführt. Hinzu kommen starke Verschmutzungen.

Die Kosten für das gesamte Projekt belaufen sich den Angaben zufolge auf 1,2 Millionen Euro. Insgesamt werden fünf Fenster mit einer Höhe von 11,50 Metern und einer Breite von 2,60 Meter restauriert. Die fünf Fenster bestehen aus insgesamt 267 Glasfeldern, die jeweils mit einem Messingrahmen eingefasst sind. Ein Glasfeld wiegt zwischen fünf und zwölf Kilogramm.

Der Naumburger Dom "St. Peter und Paul" zählt zu den bedeutenden deutschen Kathedralbauten des Hochmittelalters. Er gilt als ein Beispiel für die Baukunst der späten Romanik und der frühen Gotik. Die Verglasung des Westchores wurde zeitgleich mit den weltberühmten Stifterfiguren des Naumburger Meisters in der Zeit bis 1250 geschaffen. Diese Glasmalereien gehören zu den herausragenden Werken gotischer Glaskunst in Europa und bewegen sich auf dem künstlerischen Niveau der Glasfenster in der Kathedrale von Chartres oder in der Sainte-Chapelle in Paris. Zudem hat auch der international erfolgreiche Leipziger Künstler Neo Rauch zeitgenössische Glasfensterkunst im Naumburger Dom geschaffen.



Filme der Woche

Lady Bird

Christine „Lady Bird“ McPherson wächst im eher öden Sacramento auf und träumt davon, nach der Highschool zum Studieren an die Ostküste zu ziehen. Zusätzlich zu ihren Träumereien belasten finanzielle Probleme das Verhältnis zu ihrer Mutter. Und auch ihr Liebesleben gerät in Wallung. Indie-Ikone Greta Gerwig liefert ein aus dem eigenen Leben inspiriertes, wunderbar unaufgeregtes Coming-of-Age-Drama ab. Laurie Metcalf als Mutter und Saoirse Ronan als Lady Bird verleihen diesem mit unzähligen Preisen überhäuften Film über weibliche Selbstermächtigung in ihren Rollen eine beeindruckende Glaubwürdigkeit.

Lady Bird (USA 2017). R u.B: Greta Gerwig. Da: Saoirse Ronan, Laurie Metcalf, Tracy Letts, Lucas Hedges, Timothée Chalamet, Beanie Feldstein. 94 Min.

Arrhythmia

Die Ehe von Sanitäter Oleg und Krankenschwester Katja ist im Begriff zu scheitern. Sie trennen sich, müssen aus ökonomischem Zwang aber weiter zusammen in ihrer kleinen Wohnung hausen. Und die notorische Unterfinanzierung ihres Berufszweigs, sowie Sparmaßnahmen zu Lasten des Patientenwohls machen gerade Oleg das Leben weiter schwer. Boris Khlebnikov gibt mit bitterem Ernst und subtilem Humor einen Einblick in das Russland der Jetztzeit und ist somit gleichzeitig Paar- und Sozialstudie. Zwei geplagte Figuren auf der unterhaltsamen Suche nach Sinn und Hoffnung. Berührend.

Arrhythmia (Russland/Finnland/Deutschland 2017). R: Boris Khlebnikov. B: Natalia Meshchaninova, Boris Khlebnikov. Da: Alexander Yatsenko, Irina Gorbacheva, Nikolay Shraiber, Sergey Nasedkin, Maxim Lagashkin. 116 Min.

Stronger

2013 gab es beim Boston Marathon eine Bombenexplosion. Jeff Baumann verlor damals beide Beine. Auf Basis seines autobiographischen Buchs erzählt David Gordon Green die Geschichte eines Mannes, der sich ins Leben zurückkämpft und öffentlich als Märtyrer gefeiert wird. Dabei seziert er geschickt die Natur uramerikanischer Mythenbildung zum einen, und bleibt zum anderen nah an Jeffs Leben und dessen Tumulten. Auch weitere aktuelle Themen scheut der Film nicht und liefert eine nuancierte Vision jüngerer amerikanischer Zeitgeschichte.

Stronger (USA 2016). R: David Gordon Green. B: John Pollono. Da: Jake Gyllenhaal, Tatiana Maslany, Miranda Richardson, Nate Richman, Lenny Clarke. 119 Min.

The King – Mit Elvis durch Amerika

Essayfilm trifft auf Road-Movie. Eugene Jarecki fährt im Rolls Royce von Elvis Presley durch Amerika und lädt allerlei Prominenz ein, sich zum Wirken des „King“ zu äußern. Von Alec Baldwin über Ashton Kutcher bis zu Aktivist Van Jones und Rapper Chuck D entsteht ein vielgestaltiges Bild über die Rolle und den Einfluss des Musikers. Stets zur Seite steht diesen modernen Aufnahmen klassisches Archivmaterial. Im Rahmen seiner ehrgeizigen Transferleistung verfolgt Jarecki die verschiedenen Ansätze fort und sucht eine Verbindung und eine Erklärung zum Seinszustand des modernen Amerika.

The King – Mit Elvis durch Amerika (USA/Deutschland/Frankreich 2018). R: Eugene Jarecki. B: Eugene Jarecki, Christopher St. John. Da: Alec Baldwin, Ethan Hawke, Chuck D, Mike ­Myers, Ashton Kutcher, Van Jones. 107 Min.

www.epd-film.de



Zentralrat der Juden: Echo-Auszeichnung von Rappern ist "Schande"

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hat scharfe Kritik an der Auszeichnung der Rapper Kollegah und Farid Bang beim Musikpreis Echo geübt. "Die Entscheidung, den beiden Rappern Kollegah und Farid Bang den Deutschen Musikpreis Echo zu verleihen, ist eine Schande", erklärte Schuster am 13. April. Kollegah und Farid Bang waren am Vortag in Berlin für ihr Album "Jung, brutal, gut aussehend 3" in der Kategorie "Album des Jahres" ausgezeichnet worden. Auf der Bonus-EP des Albums heißt es im Song "0815": "Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen".

Der Bundesverband Musikindustrie und die Jury hätten bei ihrer Entscheidung das historische Erbe Deutschlands völlig ausgeblendet, kritisierte Schuster. "Dass die Verantwortlichen der Musikindustrie für solche Texte unter dem Deckmantel der Kunst- und Meinungsfreiheit einen Freifahrtschein erteilen, ist ein Skandal."

"Inakzeptabel"

Der Bundesverband Musikindustrie hatte nach einem kritischen Bericht der "Bild"-Zeitung über den Text den siebenköpfigen Echo-Ethikbeirat eingeschaltet, der sich gegen einen Ausschluss entschieden hatte. Der Ethikbeirat hatte die Nominierung der beiden Künstler als einen "absoluten Grenzfall zwischen Meinungs- und Kunstfreiheit und anderen elementaren Grundrechten" verteidigt.

Die Nominierung der beiden Rapper hatten auch Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz verurteilt. Für besondere Empörung sorgte, dass der Tag der Echo-Preisverleihung mit dem Gedenktag an den jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto im Jahr 1943 zusammenfiel. Er ist auch der jährlich stattfindende Holocaust-Gedenktag in Israel.

Kritik kam auch vom neuen Antisemitismus-Beauftragte Felix Klein. Die antisemitische Songzeilen seien "inakzeptabel". "Solche Zeilen verletzen nicht nur Holocaustüberlebende, sondern auch ihre Familien", schrieb Klein in einem Gastkommentar für die "Bild"-Zeitung am Freitag.

Auch die Linguistin und Antisemitismus-Expertin Monika Schwarz-Friesel zeigte sich empört über die Auszeichnung: Dass Kollegah und Farid Bang tatsächlich den Preis erhalten hätten, sei nicht nur eine Geschmack- und Gefühllosigkeit ohne Gleichen, sondern setze ein klares Zeichen der Verharmlosung von Antisemitismus, sagte sie dem epd.



Mainzer wollen keinen Bibelturm

In Mainz wird es keinen Bibelturm geben. Beim ersten Bürgerentscheid der Stadt stimmten am 15. April 77,3 Prozent der Wähler (49.700) gegen die geplante Erweiterung des Gutenberg-Museums. Für den Plan des Stadtrats und der Stadtspitze stimmten nur 22,7 Prozent (14.600). Die Wahlbeteiligung war mit 40 Prozent überraschend hoch. Mit 64.200 gültigen Stimmzetteln wurde die Mindestbeteiligung von 24.000 Wählern von insgesamt 161.000 stimmberechtigten Bürgern der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt klar übertroffen.

Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), der mit der Mehrheit des Stadtrats für einen Bau geworben hatte, sagte am Abend, es bleibe "eine richtige Entscheidung", die Bürger abstimmen zu lassen. "An jedem Mainzer Küchentisch wurde über Gutenberg geredet und das war gut." Er kritisierte aber die teils verletzend geführten Debatte: "Manches habe ich als zutiefst unmainzerisch empfunden." An Rücktritt habe in der Stadtspitze jedoch "garantiert niemand" gedacht. "Der Museum der Zukunft wird die Unterstützung von Bund und Land brauchen," bekräftige Ebling.

Bürgerprotest

Der Stadtrat hatte vor dem Bürgerentscheid beschlossen, dass in Nachbarschaft des Doms ein rund 20 Meter hoher Turm als Anbau des Gutenberg-Museums zur Ausstellung der kostbaren Gutenberg-Bibeln entstehen soll. Mit der Errichtung des Bauwerks mit einer fensterlosen Fassade aus Metallbuchstaben sollte die überfällige Sanierung des vor über 100 Jahren gegründeten "Weltmuseums der Druckkunst" eingeleitet werden. Für den Bau des Turms als ersten Abschnitt der Modernisierung des Museums hatte die finanzschwache Kommune fünf Millionen Euro bereitgestellt. Wie die weiteren Bauphasen finanziert werden sollten, war bislang noch unklar.

Gegen das Projekt hatte sich eine Bürgerinitiative gebildet und mehr als 10.000 Unterschriften gesammelt. Die Kritiker lehnen den modernen Bau in direkter Nachbarschaft zum 1.000 Jahre alten Mainzer Dom und die notwendige Abholzung mehrerer alter Platanen ab. Sie werfen der Stadt vor, kein Finanzierungskonzept für die komplette Sanierung zu besitzen und forderten einen Bürgerentscheid. Aufgrund des Protests setzte der Stadtrat trotz seines Beschlusses den Bürgerentscheid selbst an.



Musicalprojekt in Essen würdigt Martin Luther King

Ein großes ökumenisches Musicalprojekt erinnert 2019 in Essen an den US-amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King (1929-1968). Für die Premiere des Chormusicals "Martin Luther King" in der Grugahalle am 9. und 10. Februar 2019 mit 2.400 Sängerinnen und Sängern werden noch Teilnehmer gesucht, wie die Veranstalter am 10. April mitteilten. "Das können Chöre oder Einzelsänger sein, jeder kann mitmachen", betonte Ralf Rathmann von der Stiftung Creative Kirche. Die Stiftung organisiert das Musical zusammen mit der Evangelischen Kirche im Rheinland und dem Bistum Essen. Schirmherren sind Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und der rheinische Präses Manfred Rekowski.

Nach den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" (2010) und "Luther" (2015) mit Zehntausenden Teilnehmenden bundesweit ist es das dritte große Mitmach-Projekt der evangelischen Stiftung aus Witten. Weil die Nachfrage auch diesmal wieder groß sei, seien zwei Chöre mit je 1.200 Plätzen geplant, erläuterte Rathmann. Derzeit gebe es schon 1.500 Anmeldungen. "Amateure treffen auf Profis, neben den acht Profidarstellen ist der Chor der Star des Stückes." Er solle konfessions- und generationsübergreifend von acht bis 80 Jahren sein. Die Premiere in Essen sei der Auftakt für eine bundesweite Tournee 2020.

"Show mit Tiefgang"

In dem als "Unterhaltungsshow mit Tiefgang" angelegten Musical gehe es vor allem um die Frage, welches die Botschaft des vor 50 Jahren ermordeten schwarzen Baptistenpastors für heute sei, sagte der Autor Andreas Malessa. Angesichts eines neu aufkeimenden Rassismus in Deutschland sei es wichtig, "ein Bewusstsein für die Benachteiligung und Geringschätzung von Menschen anderer Rasse, Religion und Herkunft zu schaffen". Als Journalist und Theologe gehe es für ihn um die Schnittstelle von Religion und Politik " jenseits von dem aus allen Schulbüchern bekannten Satz 'I have a dream'." Komponisten des Musicals mit vielen neuen Liedern und altbekannten Gospelsongs sind Hanjo Gäbler und Christoph Terbuyken.

Chordirigenten sind Christoph Spengler, Kirchenmusikdirektor der rheinischen Kirche, und Stefan Glaser, Beauftragter für Kirchenmusik im Bistum Essen. Spengler berichtete, dass frühere Großprojekte "eine Welle von Energie" für die Chorarbeit im Rheinland gebracht hätten: "Es war für viele ein unglaublich emotionales Erlebnis." Glaser betonte, das Musical solle auch eine Ermutigung an die Kirchengemeinden zu gemeinsamen Projekten sein.



MDR darf heimliche Filmaufnahmen aus Bio-Hühnerställen verbreiten

Fast federlose Hühner, tote Hühner: Die Filmaufnahmen, die der MDR aus einem Bio-Hühnerstall zeigte, offenbarten schockierende Haltungsbedingungen. Obwohl die Bilder heimlich erstellt wurden, darf der Sender sie verbreiten, entschied nun der Bundesgerichtshof.

Heimlich aufgenommene Filmaufnahmen über Missstände in Bio-Hühnerställen dürfen in einem kritischen TV-Beitrag zur Massentierhaltung gezeigt werden. Wie der Bundesgerichtshof (BGH) am 10. April in Karlsruhe urteilte, ist die Pressefreiheit und das öffentliche Interesse an den Zuständen der Tierhaltung höher zu bewerten, als das Ansehen und der Ruf des Hühnerstall-Betreibers. Der Erzeugerzusammenschlusses der Fürstenhof GmbH aus Mecklenburg-Vorpommern hatte den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) wegen eines Beitrags über die Bio-Hühnerhaltung auf Unterlassung verklagt. (AZ: VI ZR 396/16)

Der MDR begrüßte das BGH-Urteil. "Das ist ein guter Tag für die Pressefreiheit und eine Stärkung der investigativen Recherche", erklärte MDR-Programmdirektor Wolf-Dieter Jacobi in Leipzig. Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt hatte 2012 in der Reihe ARD Exklusiv und in der Sendung "Fakt" über Missstände in Bio-Hühnerställen des Erzeugerzusammenschlusses berichtet. In dem Beitrag wurden auch heimlich aufgenommen Filmaufnahmen verwendet, die ein Tierschützer dem MDR zur Verfügung gestellt hatte. Diese zeigten unter anderem Hühner mit wenigen Federn sowie tote Hühner.

"Wachhund der Öffentlichkeit"

Die Erzeugergemeinschaft hielt die Veröffentlichung für rechtswidrig und verklagte den MDR auf Unterlassung, die Aufnahmen weiter zu verbreiten. Ihr Unternehmerpersönlichkeitsrecht und ihr Recht an der Ausübung des Gewerbebetriebs würden damit verletzt. Ihre Tierhaltung verstoße nicht gegen geltendes Recht. Die vorinstanzlichen Gerichte verurteilten den MDR zur Unterlassung.

Der BGH verwies nun jedoch auf den hohen Stellenwert der Pressefreiheit und der Rolle der Medien als "Wachhund der Öffentlichkeit". Zwar könne die Ausstrahlung den Ruf und das Ansehen des Hühnerstall-Betreibers beeinträchtigen. Auch werde das Interesse des Klägers berührt, seine "innerbetriebliche Sphäre vor der Öffentlichkeit geheim zu halten". Dennoch sei die MDR-Veröffentlichung rechtmäßig.

Der Sender habe sich an den rechtswidrig erstellten Filmaufnahmen nicht beteiligt. Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse würden nicht offenbart. Vielmehr werde die Art der Hühnerhaltung dokumentiert und der Zuschauer darüber zutreffend informiert. Der Filmbeitrag setze sich kritisch mit der Massentierhaltung auseinander und stelle die tatsächlichen Tierhaltungsbedingungen den von der Klägerin herausgestellten hohen ethischen Produktionsstandards gegenüber.

Der BGH betonte, es gehöre zur Aufgabe der Presse, sich mit diesen Gesichtspunkten zu befassen und die Öffentlichkeit zu informieren. Die Funktion der Presse sei nicht auf die Aufdeckung von Straftaten oder Rechtsbrüchen beschränkt.



UKW-Funkstille vorerst abgewendet

Der Radio-Empfang über UKW ist bis zur Jahresmitte gesichert. Doch die Uhr tickt: Eine Einigung über ein kompliziertes Vertragsgeflecht steht weiter aus.

Die Abschaltung zahlreicher deutscher Radiosender ist vorerst vom Tisch: Der Sendernetzbetreiber Media Broadcast erhält den UKW-Sendernetzbetrieb für mehr als 40 Radioveranstalter bis maximal zum 30. Juni aufrecht, wie das Unternehmen am 9. April in Köln mitteilte. Möglich sei dies durch die Duldung der Antennennutzung fast aller neuen Antennenbesitzer und die Beauftragung durch die betroffenen öffentlich-rechtlichen und privaten Radioanbieter beziehungsweise deren Sendernetzbetreiber Divicon und Uplink. Landesmedienanstalten und Bundesnetzagentur riefen alle Beteiligten dazu auf, nun rasch zu dauerhaft tragfähigen Vereinbarungen zu kommen.

Unstimmigkeiten zwischen den Antenneneigentümern und den Sendernetzbetreibern hätten ohne den Aufschub zu einer Abschaltung der UKW-Signale Mitte dieser Woche führen können. Streitpunkt ist die Höhe der von den neuen Besitzern verlangten Preise für die Antennennutzung. Eine Abschaltung hätte unter anderem die NDR-Wellen in Mecklenburg-Vorpommern, die Programme von MDR und Deutschlandradio, aber auch Privatsender wie Big FM und Radio NRW betreffen können.

Erleichterung

Die Landesmedienanstalten äußerten sich erleichtert darüber, dass die drohende Abschaltung der UKW-Signale in vielen Regionen Deutschlands in letzter Minute abgewendet wurde. Zugleich forderten sie die Beteiligten im UKW-Streit zu einer nachhaltigen Einigung auf. Erreicht sei nur ein wichtiger erster Schritt, die Arbeit fange für alle Beteiligten jetzt erst richtig an, mahnte die Vorsitzende der Landesmedienanstalten, Cornelia Holsten: "Es müssen viele Verträge zwischen zahlreichen Partnern verhandelt und geschlossen werden - die Zeit läuft!"

Die Bundesnetzagentur rief ebenfalls dazu auf, die nächsten Wochen intensiv zu nutzen, um auf Dauer tragfähige Vereinbarungen zu verhandeln. Dazu erwarte man substanzielle Beiträge von allen Seiten, erklärte die dem Wirtschaftsministerium zugeordnete Bundesbehörde in Bonn.

Auch der NDR begrüßte die Abwendung einer UKW-Unterbrechung. Das sei eine gute Nachricht für die Hörer in Mecklenburg-Vorpommern, sagte Produktionsdirektor Michael Rombach in Hamburg. Er appellierte ebenfalls an alle Beteiligten, die nächsten knapp drei Monate konstruktiv zu nutzen "mit dem Ziel einer dauerhaft stabilen Lösung".

Antennen verkauft

Das Infrastrukturunternehmen Media Broadcast hatte die UKW-Antennen im Dezember 2017 an unterschiedliche Investoren verkauft. Am 1. April ist ein Großteil der verkauften Antennen an die neuen Besitzer übergegangen. Mit diesen müssen sich Sendernetzbetreiber und Programmveranstalter einigen. Denn um ihre Programme zu übertragen, müssen sie die Antennen mieten. Doch die neuen Antenneneigentümer verlangen dafür offenbar deutlich höhere Preise als bislang, branchenintern geht man von einer Preiserhöhung um etwa 30 Prozent aus.

Dass bis zum Eigentümerwechsel keine Verträge unterschrieben sein würden, zeichnete sich länger ab. Media Broadcast bot daraufhin bereits Mitte März an, die UKW-Sendernetztechnik zunächst bis Ende Juni weiter zu betreiben. Dafür verlangte Media Broadcast von den Programmveranstaltern selbst oder deren Sendernetzbetreibern allerdings eine formale Beauftragung bis zum 6. April und drohte andernfalls mit Abschaltung.

Die beiden großen Sendernetzbetreiber Divicon Media aus Leipzig und Uplink aus Düsseldorf holten dies aber nun im letzten Moment nach. Media Broadcast stellt jetzt ein neues Ultimatum: "Wir werden definitiv am 30. Juni das Übergangsangebot beenden. Alle Beteiligten haben bis dahin genügend Zeit, Lösungen zu finden", erklärte das Unternehmen.




Entwicklung

Weiter Missstände in Bangladeschs Textilindustrie


Ruine des eingestürzten Rana-Plaza-Gebäudes (Archivbild)
epd-bild / Gordon Welters / Medico International
Hungerlöhne, Entlassungen, Gewerkschafts- und Streikverbote: Fünf Jahre nach dem Einsturz der Kleiderfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit mehr als 1.100 Toten beklagen Hilfsorganisationen weiter miserable Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie in Asien.

Die meisten Firmen in Bangladesch zahlten Näherinnen nur den Mindestlohn von 53 Euro monatlich, von dem niemand leben könne, sagte Sabine Ferenschild vom Südwind-Institut am 9. April in Frankfurt. Auch bei Gebäudesicherheit und Brandschutz gehe es nur langsam voran: "Es ist längst nicht alles getan", sagte Ferenschild bei einer Podiumsdiskussion der "Frankfurter Rundschau".

Auch der viel kritisierte größte deutsche Textildiscounter KiK gab Missstände zu. KiK-Manager Ansgar Lohmann räumte ein, "dass der Mindestlohn sicherlich angehoben werden kann". Allerdings handle keine Handelsfirma den Lohn von Näherinnen in Zulieferbetrieben aus. "Wir brauchen starke Gewerkschaften", sagte Lohmann, der bei KiK den Bereich soziale Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility) leitet.

"Freiwilligkeit ausgereizt"

Aus Sicht der Südwind-Expertin geht die freiwillige Verpflichtung von Unternehmen auf bessere Arbeitsbedingungen nur sehr langsam voran. "Die Freiwilligkeit ist ausgereizt", sagte Ferenschild und plädierte für verbindliche Auflagen für Unternehmen, auf nationaler und internationaler Ebene. Sogar KiK-Manager Lohmann bekräftigte: "Auch wir wollen verbindliche Regelungen." Sie müssten für alle Firmen gelten, sonst werde der Wettbewerb verzerrt. Im deutschen Textilbündnis, das bessere Arbeitsbedingungen in der Lieferkette erreichen will, wirke zum Beispiel kein einziger Online-Händler mit. Verbindliche soziale Standards müssten auf die Tagesordnung des Textilbündnisses, sagte Lohmann: "Wir suchen dafür Mitstreiter." Das sei kein Lippenbekenntnis.

Auf Forderungen an KiK, doch schon jetzt gewerkschaftsfreundliche und besser zahlende Zulieferer zu bevorzugen, reagierte der Manager zurückhaltend. Die Margen des Discounters seien extrem knapp bemessen, um günstige Bekleidung bieten zu können, sagte er. Das stark wachsende Unternehmen mit Sitz im nordrhein-westfälischen Bönen machte 2016 rund zwei Milliarden Euro Umsatz und beschäftigt 25.000 Menschen, davon rund 19.000 in Deutschland. Gewinnzahlen veröffentlicht die Firma, die keinen Betriebsrat hat, ebenso wenig wie die Namen ihrer Zulieferer.

Mehr als 1.100 Tote

Beim Einsturz des Rana-Plaza-Hochhauses in Bangladesch am 24. April 2013 waren mehr als 1.100 Beschäftigte von Textilfirmen getötet worden. Mehr als 2.400 wurden verletzt. Die Produktion war trotz bekannter Baumängel fortgesetzt worden. In Reaktion auf die Katastrophe rief Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) ein Jahr später das Textilbündnis ins Leben, an dem Unternehmen, Gewerkschaften und Entwicklungsorganisationen mitwirken. Ziel sind freiwillige Selbstverpflichtungen auf soziale Standards. Derzeit sind dort Modefirmen Mitglieder mit insgesamt etwa 50 Prozent Marktanteil.



Erste Rohingya-Flüchtlinge nach Myanmar zurückgebracht

Die Regierung in Myanmar hat nach eigenen Angaben die ersten Rohingya-Flüchtlinge aus Bangladesch zurückgeholt. Laut Medienberichten vom 15. April ist eine fünfköpfige Familie am Vortag zunächst in ein "Rückführungslager" im westlichen Rakhine-Staat gebracht worden. Dort haben sie den Angaben zufolge Ausweisdokumente erhalten, was allerdings nicht bedeutet, dass sie damit als Staatsbürger anerkannt werden.

Es handelt sich demnach um einen Mann, zwei Frauen, ein Mädchen und einen Jungen. Anschließend soll die Familie zu Verwandten in der Stadt Maungdaw gebracht worden sein. In einer offiziellen Erklärung bezeichnete Myanmar die Rückkehrer als "Muslime", der Begriff "Rohingya" wurde vermieden. Ob demnächst weitere Rückführungen erfolgen, ist nicht bekannt. Die UN und Menschenrechtler hatten gewarnt, dass unter den jetzigen Umständen von einer freiwilligen, sicheren und würdevollen Rückkehr der Flüchtlinge keine Rede sein könne.

700.000 geflohen

Nachdem die Rohingya-Miliz Arsa Ende August Dutzende Polizei- und Armeeposten im Bundesstaat Rakhine attackiert hatte, begann ein brutaler Feldzug des Militärs gegen die gesamte muslimische Volksgruppe. Seitdem flohen etwa 700.000 Rohingya nach Bangladesch. Myanmars Streitkräfte begründeten ihre Offensive mit dem Kampf gegen Terroristen. Dagegen hatten Medien bereits vor den Angriffen der Rohingya-Miliz von Truppenverstärkungen in Rakhine berichtet.

Die UN und Menschenrechtsorganisationen werfen dem Militär ethnische Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Rohingya vor. Die Rohingya werden im buddhistisch dominierten Myanmar seit Jahrzehnten verfolgt und unterdrückt. Obwohl viele von ihnen seit Generationen im Land leben, sind sie weder als ethnische Minderheit noch als Staatsbürger anerkannt.



Krisenherd Sahel - Deutscher Entwicklungshelfer im Niger entführt

Sie werden "Mr. Marlboro" oder "Wüstenwendehals" genannt. In der unwegsamen und kaum kontrollierten Sahelregion sind seit Jahren Terroristen und Kriminelle aktiv, die sich unter anderem durch die Erpressung von Lösegeld finanzieren.

Die Entführung eines deutschen Entwicklungshelfers im Grenzgebiet vom Niger zu Mali wirft ein Schlaglicht auf eine Krisenregion, in der sich Terroristen, Kriminelle und Milizen weitgehend unbehelligt festgesetzt haben: den westafrikanischen Sahel. Augenzeugen berichten, die Entführer hätten ihre Geisel am 11. April nahe der nigrischen Siedlung Inatès verschleppt und seien in Richtung malischer Grenze geflohen. Der Entführte arbeitet für die Hilfsorganisation Help mit Sitz in Bonn. Wer die Kidnapper sind, blieb zunächst unklar.

Der Standort der Bundeswehr im Rahmen ihres Mali-Einsatzes, Gao, liegt vom Ort der Entführung rund 200 Kilometer entfernt, ähnlich weit wie Nigers Hauptstadt Niamey. Grenzen stehen in der dünn besiedelten und von Sicherheitskräften kaum kontrollierten Region ohnehin nur auf dem Papier.

Anschlag auf Botschaft

Das zeigte sich auch Anfang März bei einem Anschlag auf die französische Botschaft und eine nationale Militärbasis in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos. Dafür zeichnete eine Terrorallianz verantwortlich, die transnational kämpft und sich schnörkellos als "Gruppe für die Unterstützung des Islams und der Muslime" (JNIM), bezeichnet. Zu ihr gehören nach eigenen Angaben die Terrormilizen Ansar Dine und Al-Mourabitoun, die 2012 mit der Unterstützung von Tuareg-Gruppen den Norden Malis besetzten, die Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQMI) und eine Abspaltung von Ansar Dine, die sich Macina-Befreiungsfront nennt.

Die genannten Gruppen haben in der Vergangenheit bereits in Mali, im Niger, in Mauretanien, Algerien, dem Tschad und Nigeria Anschläge verübt. Ihre Rückzugsorte sind die Wüste, entlegene Gebirge oder unwegsame, von Dornengestrüpp bewachsene Gebiete, in denen sich die Täter bestens auskennen.

Mokhtar Belmokhtar etwa, der zuletzt die Terrormiliz Al-Mourabitoun anführte, machte in der Region als Zigarettenschmuggler ein Vermögen, bevor er in die Terrorbranche wechselte. Sein Spitzname lautet noch heute "Mr. Marlboro". Auch Iyad Ag-Ghaly, wegen seiner wechselnden Loyalitäten "Wüstenwendehals" genannt, blickt auf eine kriminelle Vergangenheit zurück.

Terrorgruppen unter Druck

Aber nicht nur Terroristen entführen Ausländer, im Niger und in Mali gibt es auch Schmuggler, Schleuser und andere Kriminelle, die Lösegeld erpressen. So soll Frankreich vor fünf Jahren 20 Millionen Euro gezahlt haben, um vier von AQMI in der nigrischen Minenstadt Arlit entführte Franzosen freizubekommen. Offiziell bestreitet Frankreich Lösegeldzahlungen. Die Entführungsindustrie soll nicht weiter angeheizt werden.

Geld können die Terrorgruppen in der Region gut gebrauchen, denn sie stehen unter Druck. Seit Anfang des Jahres hat die Antiterroreinheit der "G5 Sahel" mit Soldaten aus Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und dem Tschad erste Operationen gestartet. Bis Mitte des Jahres sollen 5.000 erfahrene Soldaten aus der Region gegen die Terroristen im Sahel vorgehen. Bezahlt wird die kostspielige Mission aus dem Ausland. Knapp 300 Millionen Euro sind für das erste Jahr bereits zugesagt worden, mehr als ein Fünftel davon aus Brüssel. Der EU ist ebenso wie der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich am Erfolg der ersten multinationalen Antiterrorgruppe in Afrika gelegen.

Die Stabilisierung der Region ist auch deshalb so entscheidend, weil Afrika ein neues Terrorproblem droht: Gut 6.000 Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) könnten in naher Zukunft vor allem aus Syrien und dem Irak nach Afrika zurückkehren, warnte die Afrikanische Union im Dezember. Auch die Terrorkämpfer von Boko Haram in Nigeria fliehen vor der Armee in den Sahel.

Die Regierungen im Niger, in Mali und den Nachbarstaaten gelten als schwach. Alleine würden sie einem Ansturm von Terrorkämpfern kaum standhalten, wie die schnelle Einnahme des Nordens Malis 2012 gezeigt hat. Neben der G5-Sahel-Truppe gilt die UN-Mission Minusma mit ihren knapp 11.800 Soldaten, bis zu 1.000 davon aus Deutschland, als wichtigstes Bollwerk gegen die Terroristen, die sich mit Geld aus Schleusung, Schmuggel und Entführungen weiter aufzurüsten drohen.

Von Marc Engelhardt (epd)


Hunger, Krieg, Vertreibung - Im Kongo leiden 13 Millionen Menschen

Ganze Dörfer brennen, Menschen werden niedergemetzelt. Im Kongo spitzt sich die humanitäre Lage zu. Aber die Regierung kämpft um ihr politisches Überleben und wirft Hilfswerken Panikmache vor. Ob die geplanten Wahlen stattfinden, bleibt ungewiss.

Die Schulen in Fataki nehmen zwar zögerlich den Unterricht wieder auf, doch es gibt keine Schüler mehr. Drei von vier Bewohnern der Siedlung im Nordosten Kongos sind auf der Flucht, wie der Chefin der UN-Mission im Kongo (Monusco), Leila Zerrougui, berichtet wird. Und dass die Flüchtlinge bald zurückkehren, ist unwahrscheinlich. Zu schrecklich sind die Massaker, von denen sie erzählen: Mit Macheten, Äxten und Pfeilen fielen Lendu-Milizen über die Hema-Bevölkerung her. Ganze Dörfer gingen in Flammen auf, Augenzeugen schildern, wie Opfer förmlich abgeschlachtet wurden. Viele Täter standen unter Drogen.

Die Krise in der Ituri-Provinz im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo hat seit Jahresbeginn rund 340.000 Menschen vertrieben und war eines von vielen Themen auf einer UN-Konferenz am 13. April in Genf. Doch Ituri ist nicht der einzige Konfliktherd: Insgesamt gibt es im Kongo 4,5 Millionen Flüchtlinge im eigenen Land, mehr als irgendwo sonst in Afrika. Fast 700.000 Kongolesen, die in Nachbarländer geflohen sind, sind da noch nicht mitgezählt. Selbst wer nicht fliehen kann, leidet: 13 Millionen Kongolesen sind nach Angaben der Vereinten Nationen dringend auf internationale Hilfe angewiesen, jedes zweite Kind ist unterernährt.

Schicksale unbeachtet

Es sind Statistiken des Grauens. Auch deshalb bezeichnen die UN den Kongo neben Syrien und Jemen als einen der größten Krisenherde weltweit. Trotzdem droht das Schicksal der Kongolesen unterzugehen, warnt Christian Huber von der Diakonie Katastrophenhilfe: "Vielleicht ja auch, weil die Flüchtlinge nicht über das Mittelmeer kommen." Weil Zusagen von internationalen Gebern fehlten, musste das evangelische Hilfswerk fast die Hälfte ihrer Hilfen 2017 aus Eigenmitteln bestreiten. "Und auch dieses Jahr haben wir zunächst 550.000 Euro bereitgestellt."

Es fehlt an allen Ecken und Enden, dabei sinken die Kosten pro Hilfsbedürftigem sogar, einzigartig in Afrika. Doch die Zahl der Notleidenden ist in nur einem Jahr so stark gewachsen, dass die UN den Hilfsbedarf in diesem Jahr mit rund 1,4 Milliarden Euro kalkuliert. "Viele Flüchtlinge aus Ituri etwa sind in die Provinzhauptstadt Bunia geflohen, dort versorgen wir sie mit dem Allernötigsten: Trinkwasser, Nahrungsmittel, Latrinen, ein Dach über dem Kopf", sagt Huber. Zwar soll perspektivisch auch langfristige Entwicklungshilfe geleistet werden. Doch dafür wären Frieden und Sicherheit die Voraussetzung.

Regierung verfolgt Kritiker

Beides aber ist nicht in Sicht, auch deshalb, weil die Regierung von Präsident Joseph Kabila damit beschäftigt ist, ihre Kritiker zu verfolgen. Seit Ende 2016 ist Kabilas Amtszeit abgelaufen. Seitdem hält er sich im Amt. Kaum jemand glaubt, dass im Dezember tatsächlich wie angekündigt Wahlen stattfinden werden. Menschenrechtler werfen Kabila vor, die zahlreichen Konflikte im Land zu ignorieren oder sogar anzufachen, um mögliche militärische Gegner zu schwächen. Alleine im Osten Kongos wird die Zahl der Milizen auf 120 geschätzt. Je zersplitterter sie sind, desto besser für Kabila.

Bei Protesten im September 2016 erschossen Polizisten mehr als 50 Demonstranten. Seither sind Demonstrationen aller Art verboten, selbst bei den friedlichen "Spaziergängen", zu denen die katholische Kirche aufruft, marschieren Polizei und Militär auf. Die Kirche ist der vielleicht letzte mächtige Gegner Kabilas: Oppositionspolitiker sind zerstritten, die meisten leben im Exil. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Probleme warnen manche Kongo-Experten vor offenen Revolten.

Kabilas Regierung hat als Feindbild unterdessen die Vereinten Nationen ausgemacht. Die Militärmission Monusco soll das Land bis 2020 verlassen. Und auch die Geberkonferenz, bei der an diesem Freitag Geld für die Notleidenden eingesammelt wird, boykottiert Kabilas Regierung. Zwar sei es richtig, dass sich das Land in einer Notlage befinde, sagt der amtierende Premierminister José Makila. "Doch die UN verscheuchen mit ihrer Reaktion potenzielle Investoren." Selbst die Zahl der Flüchtlinge rechnet sich die Regierung schön: Auf ein Zwanzigstel der offiziellen Zahlen.

Die Kongolesen brauchen die Helfer dennoch, betont Huber. "Humanitäre Hilfe ist kein politisches Werkzeug, es geht um Menschlichkeit vor Ort - dafür darf es keine politischen Vorbedingungen geben." Auf der lokalen Ebene funktioniere der Dialog gut, man stimme sich eng ab. Jedenfalls dort, wo Helfer Zugang haben. Wegen der anhaltenden Kämpfe sind weite Teile des Kongos auch für Helfer tabu. Wer dort hungert, muss sich in die nächste sichere Stadt durchschlagen.

Von Marc Engelhardt (epd)


Weniger Hilfszusagen für Kongo als erwartet

Vertreter von mehr als 50 Staaten haben 430 Millionen Euro zugesagt, um Notleidenden im Kongo zu helfen. Das ist weniger als ein Drittel des errechneten Bedarfs. Deutschland versprach vorerst keine neuen Hilfen und mahnte Menschenrechte an.

Die internationale Gemeinschaft hat am 13. April 430 Millionen Euro für die Bewältigung der humanitären Krise in der Demokratischen Republik Kongo zugesagt. Damit blieben die Teilnehmer einer Geberkonferenz in Genf deutlich hinter den Forderungen der Vereinten Nationen zurück. Hilfswerke veranschlagen 1,4 Milliarden Euro für die Versorgung von mehr als 13 Millionen Notleidenden im Kongo in diesem Jahr. Die kongolesische Regierung blieb dem Treffen fern. Deutschland sagte keine neuen Mittel zu, sondern verwies auf 20 Millionen Euro, die für dieses und die zwei folgenden Jahre bereits gebilligt sind. Ein Vertreter der Bundesregierung sagte in Genf, sobald der Bundeshaushalt verabschiedet sei, werde man weitere Hilfen prüfen. Mit deutlichen Worten wandte er sich an die kongolesische Regierung. Es sei zuallererst deren Aufgabe, für die Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Geld allein reiche nicht aus, um die Krise im Kongo zu lösen. Die Regierung müsse die Menschenrechte garantieren und politische Gefangene freilassen.

Der Boykott der kongolesischen Regierung überschattete die Konferenz. Mehrere Geberstaaten forderten die Regierung von Präsident Joseph Kabila ausdrücklich auf, wie versprochen bis Ende des Jahres Wahlen abzuhalten und den Übergang zu einer neuen Regierung zu ebnen. Laut Verfassung darf Kabila, der das Land seit 2001 regiert, nicht erneut antreten. Kritiker glauben, dass er sich dennoch an der Macht halten will. Seine Amtszeit ist regulär schon 2016 abgelaufen.

4,5 Millionen Flüchtlinge

Die kongolesische Regierung wirft den UN vor, die Lage im Land zu dramatisieren und damit Investoren abzuschrecken. Wegen bewaffneter Konflikte in mehreren Teilen des Landes sind 4,5 Millionen Kongolesen Flüchtlinge im eigenen Land, weitere 700.000 sind in Nachbarländer geflohen. Jedes zweite Kind ist den UN zufolge unterernährt. Frauen und Mädchen werden immer wieder Opfer sexueller Gewalt.

UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock zog dennoch eine positive Bilanz der Konferenz. Zahlreiche Regierungen hätten ihre Bereitschaft erklärt, im Laufe des Jahres weitere Mittel zu bewilligen. Zudem zeige die Teilnahme von mehr als 50 Staaten, wie groß das Interesse sei, den Kongolesen zu helfen. Lowcock betonte, der Nothilfeplan sei mit Kongos Regierung abgestimmt worden. Er kündigte eine mögliche Folge-Konferenz an, die gemeinsam mit der Regierung organisiert werde.

Hilfswerke kritisierten das Ergebnis. Es werde deutlich mehr Geld gebraucht, um Frauen, Kinder und Jugendliche zu schützen, sagte die Chefin von World Vision im Kongo, Anne-Marie O'Connor. Noch gebe es die Chance, die frühere Stabilität in den Kasai-Provinzen wiederherzustellen. Gelinge dies nicht, drohten dort ähnliche Verhältnisse wie im Osten Kongos, wo seit mehr als zwanzig Jahren immer neue Konflikte ausbrechen.



Internationale Kritik an Journalistenmorden in Ecuador

Drei Medienmitarbeiter wurden in Ecuador von Rebellen entführt und ermordet. Die Vereinten Nationen befürchten, dass die grausame Tat die ohnehin brüchige Stabilität der Grenzregion zu Kolumbien zusätzlich gefährdet.

Internationale Organisationen haben den Mord an den drei entführten Mitarbeitern der ecuadorianischen Tageszeitung "El Comercio" durch Dissidenten der ehemaligen Farc-Guerilla scharf verurteilt. Die Vereinten Nationen betonten am 13. April, Menschenrechtsverletzungen wie diese stellten eine ernsthafte Bedrohung für die Stabilität der Grenzregion zwischen Kolumbien und Ecuador dar. Die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP) forderte, keine Zugeständnisse an den Terror zu machen.

Ecuadors Präsident Lenin Moreno hatte den Tod der drei Männer am Freitagmittag bestätigt und eine viertägige Staatstrauer angeordnet. Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos sprach den Angehörigen und dem ecuadorianischen Volk sein Mitgefühl aus und sicherte seinem Amtskollegen militärische Unterstützung zu.

Drogenbande

Ecuadors Präsident Moreno kündigte zudem verstärkte Militärkontrollen im Grenzgebiet und gemeinsame Aktionen mit dem Nachbarland an. Auf kolumbianischer Seite habe es bereits Militäroperationen gegeben, teilte Kolumbiens Verteidigungsminister Luis Villegas mit, der in die ecuadorianische Hauptstadt Quito gereist war.

Die Mitarbeiter der Tageszeitung - ein Journalist, ein Fotograf und ein Fahrer - waren am 26. März im Grenzgebiet zu Kolumbien entführt worden. Die Drogenbande "Frente Oliver Sinisterra", die von Kolumbien aus operiert und sich selbst als Splittergruppe der Farc bezeichnet, wird für die Entführung verantwortlich gemacht. Sie hatte laut kolumbianischen Medienberichten die Freilassung drei ihrer Mitglieder gefordert, die bei einer Militärintervention in Ecuador festgenommen worden waren.

Das Internationale Rote Kreuz erklärte sich bereit, bei der Bergung und Rückführung der Leichname behilflich zu sein. Die Beteiligung von internationalen Organisationen bei der Übergabe der Toten war eine Forderung der Entführer gewesen.

Mehr Gewalt

Der Anführer der kriminellen Bande "Frente Oliver Sinisterra", Wálter Patricio Arizala, alias Guacho, besitzt nach Medienberichten die ecuadorianische Staatsangehörigkeit, war aktiver Kämpfer der Farc und hat den Friedenschluss der Guerilla mit der kolumbianischen Regierung nicht hingenommen. Für Hinweise zur Ergreifung des Guacho setzten Kolumbien und Ecuador eine Belohnung von insgesamt 230 Millionen US-Dollar aus.

Seit Jahresbeginn hat die Gewalt in der ecuadorianischen Küstenprovinz Esmeraldas nahe der Grenze zu Kolumbien deutlich zugenommen. Es gab mehrere Attentate auf Soldaten und Militäreinrichtungen. Bei einer Explosion in der Gemeinde Mataje wurden Ende März drei Soldaten getötet, ein weiterer starb später an seinen Verletzungen.

Das kolumbianische Department Nariño an der Grenze zu Ecuador gilt als Hochburg der Kokainproduktion. Jahrzehntelang wurde es von Rebellen der Farc kontrolliert. Nach dem Friedensschluss zwischen Farc-Guerilla und der kolumbianischen Regierung Ende 2016 haben sich kriminelle Gruppen in der Region niedergelassen, die nach Einschätzung von Beobachtern um die Vorherrschaft in der Region kämpfen.



Deutschland verfehlt Entwicklungshilfeziel leicht

Bei der Entwicklungshilfe lässt Deutschland nach und erreicht die international vereinbarte Zielmarke nicht. Dabei können auch Gelder für die Versorgung der Flüchtlinge im Inland angerechnet werden. Hilfsorganisationen kritisieren das.

Deutschland hat im vergangenen Jahr das international vereinbarte Ziel für die Entwicklungshilfe leicht verfehlt. Wie aus den am 9. April in Paris veröffentlichten vorläufigen Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht, erreichte die Bundesrepublik 2017 bei den öffentlichen Ausgaben in diesem Bereich 0,66 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die international vereinbarte Zielmarke liegt mit 0,7 Prozent etwas höher. Deutschland hatte sie 2016 erstmals erreicht, weil die OECD die Flüchtlingshilfe im Inland mitzählte.

2017 gingen die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um 3,6 Prozent zurück. Grund war, dass weniger Geld für die Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland ausgegeben wurde. Diese Posten können als öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) angerechnet werden. Entwicklungshilfe-Ausgaben der Industriestaaten von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens ist ein wichtiges Ziel der Vereinten Nationen.

"Widerspruch zu Rhetorik der Regierung"

Hilfsorganisationen kritisierten diesen Trend. Oxfam fordert von Deutschland mehr Engagement beim Kampf gegen Armut in Entwicklungsländern. Ausgaben für die nach Deutschland geflüchteten Menschen sollten nicht länger auf die Entwicklungshilfe angerechnet werden. Diese Ausgaben machten laut OECD-Statistik etwa ein Viertel der deutschen Entwicklungsleistungen des vergangenen Jahres aus.

Die Entwicklungsorganisation "One" kritisierte, der Rückgang der deutschen Entwicklungshilfe stehe im "krassen Widerspruch zu der bisherigen Rhetorik der Bundesregierung". Die Koalitionspartner Union und SPD müssten dies bei der bevorstehenden Klausurtagung der Regierung im Schloss Meseberg zur Sprache bringen.

Insgesamt sind die Ausgaben der 29 Geberländer im OECD-Entwicklungsausschuss demnach stabil geblieben und lagen 2017 bei etwa 120 Milliarden Euro. Der Anteil am jeweiligen Bruttonationaleinkommen, die sogenannte ODA-Quote, lag im Durchschnitt bei 0,31 Prozent. Nach jahrelangem Abwärtstrend sind dabei die Hilfszahlungen für die knapp 50 am wenigsten entwickelten Länder erstmals gestiegen, insgesamt um vier Prozent.

Größter Geldgeber sind weiterhin die USA, dann folgen Deutschland, Großbritannien, Japan und Frankreich. Die ODA-Quote erreicht oder überschritten haben Dänemark, Luxemburg, Norwegen, Schweden und Großbritannien. Die USA sind zwar der größte Geldgeber mit knapp 30 Milliarden Euro, aber ihre Quote liegt nur bei 0,18 Prozent.



Forscher wollen mehr deutsches Engagement gegen Tropenkrankheiten

Mehr als eine Milliarde Menschen leiden unter Tropenkrankheiten, die von der Forschung vernachlässigt sind. Mediziner wünschen sich mehr deutsches Engagement - und erarbeiten eine Art Prioritätenliste.

Forscher haben mehr deutsches Engagement im Kampf gegen "vernachlässigte Tropenkrankheiten" wie Bilharziose, Lepra, Dengue-Fieber oder Tollwut gefordert. In Deutschland liege die Forschungsförderung in diesem Bereich deutlich hinter Ländern wie den USA, Frankreich oder Großbritannien, sagte der Leiter der Abteilung Infektionsepidemiologie des Hamburger Berhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, Jürgen May. Der Wissenschaftler sprach bei der Vorstellung einer Studie zur Einschätzung des Beitrags deutscher Institutionen zur Erforschung von Tropenkrankheiten am 10. April in Berlin.

Nach Angaben des Deutschen Netzwerks gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten haben weltweit rund 1,5 Milliarden Menschen mindestens eine dieser Krankheiten - die meisten von ihnen leben in Afrika und Südamerika. Ziel sei es, 20 Erkrankungen "in einem überschaubaren Zeitrahmen" auszurotten oder zumindest besser unter Kontrolle zu halten, heißt es in der Studie. Die Leiden werden durch Würmer, Parasiten, Pilze, Bakterien, Viren oder auch Gifte hervorgerufen, etwa bei einem Schlangenbiss. Impfungen gibt es den Angaben nach nur für zwei der Krankheiten: Tollwut und Dengue-Fieber. Auch Schnelltests seien nur selten vorhanden.

"Cola leichter zu bekommen als Medikamente"

May sagte, an manchen Orten sei eine "eisgekühlte Cola leichter zu bekommen als Medikamente". Er und 34 weitere an der Studie beteiligte Forscher setzen sich dafür ein, dass Deutschland mehr Engagement bei der Entwicklung von Diagnostika, Impfstoffen und Medikamenten zeigt. Der "Teufelkreis von Armut und Krankheit" müsse durchbrochen werden, betonte er.

Zu den wichtigsten Tropenkrankheiten gehört die Schlafkrankheit, die durch den Stich infizierter Tsetse-Fliegen auf den Menschen übertragen wird und unbehandelt immer zum Tod führt. Laut Studie sind rund 60 Millionen Menschen in Regionen in Afrika südlich der Sahara davon bedroht. Die Zahl neu infizierter Menschen sei zwar auf deutlich unter 10.000 pro Jahr gesunken, doch Krieg, Vertreibung und Migration erhöhten das Risiko wieder.

Die Leishmaniose, von der auch Bundeswehrsoldaten in Afghanistan bedroht sind, ist nach Malaria die parasitäre Tropenerkrankung mit der weltweit zweithöchsten Todesrate. Zur Infektion kann ein Stich von Sandmücken führen. Rund 350 Millionen Menschen leben in Risikogebieten, etwa 14 Millionen sind erkrankt. Da die rasche Entwicklung eines wirksamen und gut verträglichen Impfstoffs eher unwahrscheinlich ist, setzen Mediziner hier auf Präventionsmaßnahmen und die frühzeitige Behandlung etwa der Wunden auf der Haut.

Forscher:Tollwut vermeidbar

Beim Dengue-Fieber, wo die Zahl der jährlichen Infektionen weltweit auf 390 Millionen geschätzt wird, gebe es nach wie vor keine zugelassene antivirale Therapie. Die Tollwut wäre nach Angaben der Forscher indes "zu 100 Prozent vermeidbar". Dennoch gebe es jährlich mehrere Zehntausend Tote infolge einer Infektion.

Lepra sei mit einer bis zu einjährigen Antibiotikatherapie "komplett ausheilbar". Trotzdem seien mindestens vier Millionen Menschen weltweit von Behinderungen und Diskriminierung durch die Krankheit betroffen. Die Bilharziose, bei der sich Saugwürmer im menschlichen Körper stark vermehren, gefährde weiterhin bis zu 800 Millionen Menschen in Afrika, Südamerika und Asien.

Nach Angaben von May spielt bei der Bekämpfung dieser Krankheiten nicht nur die Forschung eine entscheidende Rolle, wichtig sei auch der Zugang zu sauberem Wasser oder Präventionsmaßnahmen gegen Mückenstiche oder gegen die Infektion von Tieren mit den Erregern.

Die Bundesregierung hat das Thema bereits ins Auge gefasst: Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD angekündigt, in die öffentliche Forschung zu investieren, "um insbesondere vernachlässigte und armutsbedingte Krankheiten zu bekämpfen". Der Umfang der Förderung dieses Teilbereichs wird nicht genannt. Das Forschungsministerium will die Studie aber bei künftigen Planungen berücksichtigen.



Anklage gegen Waffenhersteller Sig Sauer wegen Waffen für Kolumbien

Die Staatsanwaltschaft Kiel hat Anklage gegen fünf Mitarbeiter des Waffenherstellers Sig Sauer erhoben. Die Firma in Eckernförde soll illegal über die USA mehr als 36.000 Pistolen nach Kolumbien geliefert haben. Vorgeworfen wird den Mitarbeitern der Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Oberstaatsanwalt Axel Bieler bestätigte dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 12. April einen entsprechenden Bericht der "Kieler Nachrichten".

Laut Staatsanwaltschaft hatte Sig Sauer zwischen April 2009 und Juni 2012 mehr als 70.000 Pistolen mit den erforderlichen Genehmigungen in die USA exportiert. Offiziell waren sie für den zivilen Markt in den USA bestimmt. Mehr als die Hälfte soll allerdings von dem US-amerikanischen Schwesterunternehmen Sig Sauer nach Kolumbien weitergeschickt worden sein, um damit die dortige Nationalpolizei auszurüsten. Laut Medienberichten konnte die US-Firma keine eigenen Pistolen nach Kolumbien liefern, weil die Produktionsmöglichkeiten fehlten.

Keine Ausfuhrgenehmigung

Seinerzeit wurde von Deutschland keine Ausfuhrgenehmigung für Waffen nach Kolumbien erteilt, weil noch Bürgerkrieg herrschte. Kann die Wirtschaftsstrafkammer des Kieler Landgerichts den Mitarbeitern nachweisen, dass sie von der illegalen Weitergabe gewusst haben, droht ihnen eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren. Darüber hinaus hat die Staatsanwaltschaft eine Gewinnabschöpfung von zwölf Millionen Euro bei Sig Sauer beantragt.

Der Kieler Unternehmensanwalt Gerald Goecke erklärte dagegen den "Kieler Nachrichten", dass es nach wie vor die feste Überzeugung gebe, "dass die Ausfuhr in die USA rechtskonform erfolgte".

Der Zoll geht seit 2013 dem Verdacht des illegalen Exports der Pistolen nach. Im Sommer 2014 erhielten NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" interne Dokumente, dass große Mengen an Pistolen des Typs SP 2022 nach Kolumbien gelangt seien und berichteten darüber. Die Staatsanwaltschaft Kiel weitete daraufhin ihre Ermittlungen aus. Bei mehreren Durchsuchungen konnte umfangreiches Beweismaterial sichergestellt werden, das mittlerweile ausgewertet wurde.




Termine

4.-6.5. Wittenberg

Zwischen Euthanasie, Normierung und Normalisierung. Was ist normal? Und was ist die Norm? Menschen bewerten Menschen, und manches Urteil fällt tödlich aus. Warum ist es für Menschen immer wieder so schwer, ihresnichtgleichen auszuhalten, geschweige denn zu akzeptieren? Angesichts aktueller rassistischer Tendenzen wird nach den anthropologischen, historischen und psychologischen Wurzeln des Strebens nach Gleichheit, Normalität und Normierung gefragt und dabei die Spur von der Euthanasie im Nationalsozialismus bis zu medizinethischen Fragen der Gegenwart verfolgt.

https://ev-akademie-wittenberg.de

4.-6.5. Bad Boll

Achtsamkeit in Bewegung. Selbstfürsorge und Stressbewältigung im Alltag. Achtsamkeitsbasierte Methoden werden zunehmend zur Förderung der Selbstfürsorge wie z. B. der Stressbewältigung oder der Burnout-Prophylaxe eingesetzt. Im Seminar lernen Sie eine verhaltensorientierte Achtsamkeitsarbeit kennen. Sensory Awareness schafft durch Bewegung, Sinneswahrnehmung und Kontakt die Grundvoraussetzung zu Präsenz und Gelassenheit im beruflichen wie persönlichen Alltag. Wenn wir uns mit Interesse und Unvoreingenommenheit dem zuwenden, was das Leben mit sich bringt, ermöglicht schon dieses "Sich-Einlassen" eine Gelöstheit, auf deren Grundlage Lösungen gedeihen können.

www.ev-akademie-boll.de

7.-9.5. Loccum

Übergriffig. Zum Umgang mit Gewalt gegen Pflegekräfte. Selten wird wahrgenommen, dass auch Pflegekräfte von Übergriffen in der Altenpflege betroffen sind. Zu diesen Übergriffen kommt es etwa aufgrund einer Erkrankung der Pflegebedürftigen oder einem angespannten Klima in der Einrichtung. Ausgehend von Alltagssituationen analysieren die Teilnehmenden das Phänomen, auch auf dem Hintergrund organisationsethischer Gesichtspunkte. Interaktiv entwickeln sie Handlungsmöglichkeiten und diskutieren mit Experten Voraussetzungen für eine gute Altenpflegepraxis.

www.loccum.de