Von Anfang an stand die Intendanz von Chris Dercon unter keinem guten Stern: Mit seinem am 13. April bekannt gegebenen Rücktritt als Chef der Berliner Volksbühne hat der 59-jährige Belgier jetzt die Konsequenzen gezogen. In einer Pressemitteilung erklärte Berlins Kultursenator Klaus Lederer (Linke), er sei mit Dercon übereingekommen, dass dessen Konzept "nicht wie erhofft aufgegangen ist, und die Volksbühne umgehend einen Neuanfang braucht". Beide hätten sich einvernehmlich darauf verständigt, die Intendanz mit sofortiger Wirkung zu beenden.

Die Intendanz Dercons war geprägt durch stetige Kritik und Schmähungen, aber auch von zurückgehenden Zuschauerzahlen. Medienberichten zufolge stand die Volksbühne vor einem finanziellen Kollaps. Laut Recherchen von NDR, RBB und "Süddeutscher Zeitung" wurden zu wenig Sponsorengelder eingeworben, Einnahmen blieben hinter den Erwartungen zurück und Eigenproduktionen wurden teurer als veranschlagt. Lederer sagte nach einer Belegschaftsversammlung in der Volksbühne, es habe die Gefahr bestanden, "dass die Spielfähigkeit verloren geht".

Schwierige Castorf-Nachfolge

Kommissarisch übernimmt jetzt Klaus Dörr die Intendanz von Berlins größtem Sprechtheater. Er ist designierter Geschäftsführer der Volksbühne und zugleich noch Künstlerischer Direktor am Schauspiel Stuttgart. Intendant ist dort Armin Petras, der schon als Nachfolger Dercons an der Volksbühne gehandelt wird. Petras kennt die Berliner Theaterszene. Er ist unter anderem in Ost-Berlin aufgewachsen und war von 2006 bis 2013 bis zu seinem Wechsel nach Stuttgart Intendant des Maxim-Gorki-Theaters.

Dercon hatte erst im vergangenen Sommer die Nachfolge des langjährigen Volksbühnen-Chefs Frank Castorf angetreten. Schon damals wurde deutlich: Nicht nur Castorf fiel nach 25 Jahren der ungewollte Abschied schwer. Auch Teile des Ensembles fürchteten eine Abwicklung des etablierten Theaterbetriebes. Kritiker warfen dem Belgier vor, aus der ehrwürdigen Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz eine Eventbude machen zu wollen.

Dercon, der zuvor Direktor des Londoner Museums Tate Modern war, wurde nicht zuletzt auch fehlende Theatererfahrung vorgeworfen. Für die Berufung des Kunsthistorikers, Kurators und Kulturmanagers hatte sich vor allem der damalige Kulturstaatssekretär Tim Renner (SPD) stark gemacht. Zum Abgang Dercons sagte Renner der "Berliner Zeitung" (Online) selbstkritisch, er sei mit seiner damaligen Personalentscheidung nicht erfolgreich gewesen. Die Nachfolge Castorfs anzutreten sei ein schwieriger Auftrag der Stadt Berlin gewesen: "Chris Dercon ist ihn mit einem mutigen Konzept angegangen."

Kulturrat bedauert den Rücktritt

Der Deutsche Kulturrat bedauerte den Rücktritt des Volksbühnen-Intendanten. Nicht Dercon habe versagt, sondern die Politik, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Renner habe eine modernere Volksbühne mit Festivalcharakter im Sinn gehabt: "Für diese Idee war Dercon die richtige Person." Aber offenbar sei die Volksbühne für den angestrebten Politikwechsel nicht das richtige Theater gewesen.

Der silberhaarige und stets mit Schal bekleidete Dercon war mit einem ambitionierten Programm in seine erste Spielzeit gestartet. Zwischen September 2017 und Januar standen 16 Premieren auf dem Spielplan, davon 13 eigene, teils spartenübergreifende Produktionen mit Gastensembles. Die Kritiken dagegen blieben oft verhalten.

Wie geht es weiter in der Volksbühne? Lederer setzt jetzt auf "Gründlichkeit vor Schnelligkeit". Zugleich machte er am Freitag deutlich, dass er die Volksbühne wieder zu einem erfolgreichen Ensemble- und Repertoiretheater machen will. Ganz in der Tradition von Theaterlegenden wie Max Reinhardt und Erwin Piscator, die in dem 1914 eröffneten imposanten Bau inszenierten. Ob die im vergangenen Jahr aus Protest erfolgte Demontage des "Ost"-Schriftzugs auf dem Dach des Hauses und des berühmten Räuberrads auf der Wiese davor rückgängig gemacht wird, wird sich zeigen.