Genf (epd). Die Schulen in Fataki nehmen zwar zögerlich den Unterricht wieder auf, doch es gibt keine Schüler mehr. Drei von vier Bewohnern der Siedlung im Nordosten Kongos sind auf der Flucht, wie der Chefin der UN-Mission im Kongo (Monusco), Leila Zerrougui, berichtet wird. Und dass die Flüchtlinge bald zurückkehren, ist unwahrscheinlich. Zu schrecklich sind die Massaker, von denen sie erzählen: Mit Macheten, Äxten und Pfeilen fielen Lendu-Milizen über die Hema-Bevölkerung her. Ganze Dörfer gingen in Flammen auf, Augenzeugen schildern, wie Opfer förmlich abgeschlachtet wurden. Viele Täter standen unter Drogen.
Die Krise in der Ituri-Provinz im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo hat seit Jahresbeginn rund 340.000 Menschen vertrieben und war eines von vielen Themen auf einer UN-Konferenz am 13. April in Genf. Doch Ituri ist nicht der einzige Konfliktherd: Insgesamt gibt es im Kongo 4,5 Millionen Flüchtlinge im eigenen Land, mehr als irgendwo sonst in Afrika. Fast 700.000 Kongolesen, die in Nachbarländer geflohen sind, sind da noch nicht mitgezählt. Selbst wer nicht fliehen kann, leidet: 13 Millionen Kongolesen sind nach Angaben der Vereinten Nationen dringend auf internationale Hilfe angewiesen, jedes zweite Kind ist unterernährt.
Schicksale unbeachtet
Es sind Statistiken des Grauens. Auch deshalb bezeichnen die UN den Kongo neben Syrien und Jemen als einen der größten Krisenherde weltweit. Trotzdem droht das Schicksal der Kongolesen unterzugehen, warnt Christian Huber von der Diakonie Katastrophenhilfe: "Vielleicht ja auch, weil die Flüchtlinge nicht über das Mittelmeer kommen." Weil Zusagen von internationalen Gebern fehlten, musste das evangelische Hilfswerk fast die Hälfte ihrer Hilfen 2017 aus Eigenmitteln bestreiten. "Und auch dieses Jahr haben wir zunächst 550.000 Euro bereitgestellt."
Es fehlt an allen Ecken und Enden, dabei sinken die Kosten pro Hilfsbedürftigem sogar, einzigartig in Afrika. Doch die Zahl der Notleidenden ist in nur einem Jahr so stark gewachsen, dass die UN den Hilfsbedarf in diesem Jahr mit rund 1,4 Milliarden Euro kalkuliert. "Viele Flüchtlinge aus Ituri etwa sind in die Provinzhauptstadt Bunia geflohen, dort versorgen wir sie mit dem Allernötigsten: Trinkwasser, Nahrungsmittel, Latrinen, ein Dach über dem Kopf", sagt Huber. Zwar soll perspektivisch auch langfristige Entwicklungshilfe geleistet werden. Doch dafür wären Frieden und Sicherheit die Voraussetzung.
Regierung verfolgt Kritiker
Beides aber ist nicht in Sicht, auch deshalb, weil die Regierung von Präsident Joseph Kabila damit beschäftigt ist, ihre Kritiker zu verfolgen. Seit Ende 2016 ist Kabilas Amtszeit abgelaufen. Seitdem hält er sich im Amt. Kaum jemand glaubt, dass im Dezember tatsächlich wie angekündigt Wahlen stattfinden werden. Menschenrechtler werfen Kabila vor, die zahlreichen Konflikte im Land zu ignorieren oder sogar anzufachen, um mögliche militärische Gegner zu schwächen. Alleine im Osten Kongos wird die Zahl der Milizen auf 120 geschätzt. Je zersplitterter sie sind, desto besser für Kabila.
Bei Protesten im September 2016 erschossen Polizisten mehr als 50 Demonstranten. Seither sind Demonstrationen aller Art verboten, selbst bei den friedlichen "Spaziergängen", zu denen die katholische Kirche aufruft, marschieren Polizei und Militär auf. Die Kirche ist der vielleicht letzte mächtige Gegner Kabilas: Oppositionspolitiker sind zerstritten, die meisten leben im Exil. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Probleme warnen manche Kongo-Experten vor offenen Revolten.
Kabilas Regierung hat als Feindbild unterdessen die Vereinten Nationen ausgemacht. Die Militärmission Monusco soll das Land bis 2020 verlassen. Und auch die Geberkonferenz, bei der an diesem Freitag Geld für die Notleidenden eingesammelt wird, boykottiert Kabilas Regierung. Zwar sei es richtig, dass sich das Land in einer Notlage befinde, sagt der amtierende Premierminister José Makila. "Doch die UN verscheuchen mit ihrer Reaktion potenzielle Investoren." Selbst die Zahl der Flüchtlinge rechnet sich die Regierung schön: Auf ein Zwanzigstel der offiziellen Zahlen.
Die Kongolesen brauchen die Helfer dennoch, betont Huber. "Humanitäre Hilfe ist kein politisches Werkzeug, es geht um Menschlichkeit vor Ort - dafür darf es keine politischen Vorbedingungen geben." Auf der lokalen Ebene funktioniere der Dialog gut, man stimme sich eng ab. Jedenfalls dort, wo Helfer Zugang haben. Wegen der anhaltenden Kämpfe sind weite Teile des Kongos auch für Helfer tabu. Wer dort hungert, muss sich in die nächste sichere Stadt durchschlagen.